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15 Juli 2018
13 Juli 2018
Diesmal wird vorab geätzt!
Es ist ja nun wirklich nicht so, dass die Hamburger Stadtreinigung das seit Jahren pünktlich zum Schlagermove anschwellende Jammern und Wehklagen der Kiezbewohner immer noch ignorieren würde.
Nein, die erwartungsfrohe Phalanx der Klohäuschen, die sie in den vergangenen Tagen an nahezu jeder Ecke von St. Pauli aufstellen ließ (das Foto zeigt die hochmotivierte Einsatztruppe Millerntorplatz), zeugt vom durchaus tapferen Versuch, das Schlimmste wenigstens in Bahnen zu lenken.
Irgendwas aber sagt mir (es ist, genau gesagt, die Erfahrung), dass die so geschmacksamputierte wie schnapsaffine Heuschreckenarmee der Hirnlos-durch-die-Nacht-Dschihadisten, die sich in diesen schicksalhaften Stunden bereits an den leider schon vor Jahrhunderten geschleiften Stadtmauern zusammenrottet, eben jene Klohäuschen aus promilletrüben Augen lediglich verständnislos anglotzen wird. Um sie dann – das wäre immerhin die günstigste denkbare Entwicklung – rülpsend anzupinkeln.
Der hochtoxische Mix aus Alkohol und Schlager nämlich wirkt auf die zivilisatorische Stabilität des deutschen Durchschnittbürgers, der den Schlagermove mehrheitlich bevölkert, wie ein Spritzer Nowitschok auf das Herz-Kreislauf-System von Exspionen. Nur dass der Durchschnittsbürger trotz allem weiterhin in der Lage ist, das erstaunlich breite Sortiment seiner Körperflüssigkeiten wahllos im gesamten Stadtviertel zu exkorporieren. Hauptsache nicht innerhalb von Klohäuschen.
Wahrscheinlich werden Sie Naivchen von außerhalb mich jetzt für einen misanthropischen Pessimisten halten, und das bin ich natürlich auch, aber morgen Abend – das verspreche ich Ihnen – wird alles noch viel schlimmer gekommen sein.
Auch auf die Gefahr hin, dass ich mich wiederhole, was ich in der Tat Jahr für Jahr tue: Aber für diese Prognose gibt es handfeste empirische Indizien – und zwar hier, hier, hier, hier und hier. Und hier.
Irgendwas aber sagt mir (es ist, genau gesagt, die Erfahrung), dass die so geschmacksamputierte wie schnapsaffine Heuschreckenarmee der Hirnlos-durch-die-Nacht-Dschihadisten, die sich in diesen schicksalhaften Stunden bereits an den leider schon vor Jahrhunderten geschleiften Stadtmauern zusammenrottet, eben jene Klohäuschen aus promilletrüben Augen lediglich verständnislos anglotzen wird. Um sie dann – das wäre immerhin die günstigste denkbare Entwicklung – rülpsend anzupinkeln.
Der hochtoxische Mix aus Alkohol und Schlager nämlich wirkt auf die zivilisatorische Stabilität des deutschen Durchschnittbürgers, der den Schlagermove mehrheitlich bevölkert, wie ein Spritzer Nowitschok auf das Herz-Kreislauf-System von Exspionen. Nur dass der Durchschnittsbürger trotz allem weiterhin in der Lage ist, das erstaunlich breite Sortiment seiner Körperflüssigkeiten wahllos im gesamten Stadtviertel zu exkorporieren. Hauptsache nicht innerhalb von Klohäuschen.
Wahrscheinlich werden Sie Naivchen von außerhalb mich jetzt für einen misanthropischen Pessimisten halten, und das bin ich natürlich auch, aber morgen Abend – das verspreche ich Ihnen – wird alles noch viel schlimmer gekommen sein.
Auch auf die Gefahr hin, dass ich mich wiederhole, was ich in der Tat Jahr für Jahr tue: Aber für diese Prognose gibt es handfeste empirische Indizien – und zwar hier, hier, hier, hier und hier. Und hier.
Eigene Erfahrungen können in diesem Jahr übrigens erstmals interessierten Stadtbediensteten direkt geschildert werden, und zwar unter folgender „Pipi-Hotline“ (Mopo):
040-428 28 1000
04 Juli 2014
Eine Mail aus der Hölle
AN: Kundenzentrum-StPauli@hamburg-mitte.hamburg.de
Sehr geehrte Dame, sehr geehrter Herr,
ich maile Ihnen aus der Hölle: St. Pauli.
Seit Wochen jagt eine Großveranstaltung die nächste. Sie machen unsere Wochenenden unerträglich, eins nach dem anderen. Erst Motorradgottesdienst, dann Schlagermove, nun drei Tage lang Harley Days.
Wie ist es möglich, dass z. B. schwere Motorräder offenbar keinerlei Lärmemissionsgrenzen einhalten müssen? Seit heute morgen donnern sie durch unsere Wohnstraße, und das wird bis Sonntag so weiter gehen.
Wie soll man es im Sommer in St. Pauli überhaupt noch aushalten? Wie kann es sein, dass die Stadt Hamburg durch Genehmigungen allsommerlich praktisch die Unbewohnbarkeit eines ganzen Stadtviertels fördert, das als Amüsierviertel eh schon ganzjährig außergewöhnlichen Belastungen ausgesetzt ist?
Für eine Antwort danke ich Ihnen schon vorab. Und fordere hiermit ausdrücklich eine Änderung dieser Politik, im Sinne der Gesundheit aller St. Paulianer.
Mit freundlichen Grüßen
Matt
Sehr geehrte Dame, sehr geehrter Herr,
ich maile Ihnen aus der Hölle: St. Pauli.
Seit Wochen jagt eine Großveranstaltung die nächste. Sie machen unsere Wochenenden unerträglich, eins nach dem anderen. Erst Motorradgottesdienst, dann Schlagermove, nun drei Tage lang Harley Days.
Wie ist es möglich, dass z. B. schwere Motorräder offenbar keinerlei Lärmemissionsgrenzen einhalten müssen? Seit heute morgen donnern sie durch unsere Wohnstraße, und das wird bis Sonntag so weiter gehen.
Wie soll man es im Sommer in St. Pauli überhaupt noch aushalten? Wie kann es sein, dass die Stadt Hamburg durch Genehmigungen allsommerlich praktisch die Unbewohnbarkeit eines ganzen Stadtviertels fördert, das als Amüsierviertel eh schon ganzjährig außergewöhnlichen Belastungen ausgesetzt ist?
Für eine Antwort danke ich Ihnen schon vorab. Und fordere hiermit ausdrücklich eine Änderung dieser Politik, im Sinne der Gesundheit aller St. Paulianer.
Mit freundlichen Grüßen
Matt
18 Juni 2013
Die männliche Klofrau
Was mich geritten hatte, den Wettvorschlag des Franken zu akzeptieren? Keine Ahnung.
Jedenfalls behauptete ich nachmittags aus irgendeinem Grund und heiterem Himmel, Oliver Welke würde nachher bei seinem Auftritt im Schmidt-Theater bestimmt einen Maß- oder zumindest einen -anzug tragen, schließlich täte er das auch in der „heute-show“.
Pah, machte der Franke, unterstellte dem dicklichen Gütersloher stattdessen Jeans und erklärte, wir sollten dieser gewichtigen Frage die Ehre einer Wette antun. Einsatz: ein Bier.
Nach einigem Hin und Her um die Modalitäten (was z. B. wäre, wenn Welke einen Anzug lediglich dabeihätte, z. B. in einem Koffer, ihn aber nicht anzöge etc. pp.) wetteten wir und begaben uns ins Schmidts. Wo der dickliche Gütersloher in Jeans und Polohemd auf die Bühne schlurfte.
Feixend und glücklich nuckelte der Franke alsbald an einem Duckstein for free, was ihm natürlich gleich doppelt so gut schmeckte. Vorher hatte der Leiter des Schmidt-Theaters eine kleine Eröffnungsansprache gehalten, die er mit den Worten „Viel Spaß, auch im Namen der Klofrau“ beschloss.
„Das ist heute ein Mann!“, rief ein Zuschauer, der anscheinend auf soeben gewonnene Erkenntnisse aus dem Sanitärbereich zurückgreifen konnte.
„Habe ich zuerst auch gedacht“, schoss der Theaterleiter nach nicht mal einer Millisekunde zurück, „aber schauen Sie noch mal genauer hin …“
Ein eindrucksvoller, zudem auf elegante Weise kiezkompatibler Konter, um den ich diesen Mann glühend beneide. Denn Schlagfertigkeit steht – neben Weltfrieden, ewigem Sommer und einer baldigen Deutschlandtour von Tony Joe White – sehr weit oben auf meiner persönlichen Wunschliste.
Oliver Welke und sein Kompagnon Dietmar Wischmeyer lasen übrigens aus ihrem Buch „Franz Bsirske macht Urlaub auf Krk“ und waren sehr komisch, trotz Jeans.
Jedenfalls behauptete ich nachmittags aus irgendeinem Grund und heiterem Himmel, Oliver Welke würde nachher bei seinem Auftritt im Schmidt-Theater bestimmt einen Maß- oder zumindest einen -anzug tragen, schließlich täte er das auch in der „heute-show“.
Pah, machte der Franke, unterstellte dem dicklichen Gütersloher stattdessen Jeans und erklärte, wir sollten dieser gewichtigen Frage die Ehre einer Wette antun. Einsatz: ein Bier.
Nach einigem Hin und Her um die Modalitäten (was z. B. wäre, wenn Welke einen Anzug lediglich dabeihätte, z. B. in einem Koffer, ihn aber nicht anzöge etc. pp.) wetteten wir und begaben uns ins Schmidts. Wo der dickliche Gütersloher in Jeans und Polohemd auf die Bühne schlurfte.
Feixend und glücklich nuckelte der Franke alsbald an einem Duckstein for free, was ihm natürlich gleich doppelt so gut schmeckte. Vorher hatte der Leiter des Schmidt-Theaters eine kleine Eröffnungsansprache gehalten, die er mit den Worten „Viel Spaß, auch im Namen der Klofrau“ beschloss.
„Das ist heute ein Mann!“, rief ein Zuschauer, der anscheinend auf soeben gewonnene Erkenntnisse aus dem Sanitärbereich zurückgreifen konnte.
„Habe ich zuerst auch gedacht“, schoss der Theaterleiter nach nicht mal einer Millisekunde zurück, „aber schauen Sie noch mal genauer hin …“
Ein eindrucksvoller, zudem auf elegante Weise kiezkompatibler Konter, um den ich diesen Mann glühend beneide. Denn Schlagfertigkeit steht – neben Weltfrieden, ewigem Sommer und einer baldigen Deutschlandtour von Tony Joe White – sehr weit oben auf meiner persönlichen Wunschliste.
Oliver Welke und sein Kompagnon Dietmar Wischmeyer lasen übrigens aus ihrem Buch „Franz Bsirske macht Urlaub auf Krk“ und waren sehr komisch, trotz Jeans.
11 April 2013
Die gemütlichsten Ecken von St. Pauli (83)
Angeblich kostet es im Jahr 2000 Euro Mitgliedsgebühr, um nach Lust und Laune das Uppereast im East-Hotel betreten und dort die erstaunlichen Getränkepreise zahlen zu dürfen.
Dafür hängen dort dann aber auch nicht nur Leute mit einem ab, die ebenfalls 2000 Euro Jahresgebühr hingeblättert haben, sondern mindestens ebensoviele Birnen von der Decke. Siehe Foto.
Wir wissen das natürlich nicht etwa deshalb, weil wir uns widersinnigerweise zu einer 2000-Euro-Uppereast-Mitgliedschaft entschlossen hätten, oh nein, sondern weil wir anlässlich des Barjubiläums dort eingeladen waren.
Im Großen und Ganzen erwies sich das Uppereast dabei als Raum von verblüffend eingeschränktem Liebreiz. Vermutlich reißt die Qualität seiner 2000-Euro-Mitglieder alles wieder raus, vielleicht geht hier ja samstagsnachts z. B. Sylvie van der Vaart auf die Balz.
Ich erstand während der Party runtergesetzte Hummel-Turnschuhe, die dort zugunsten einer Aidsstiftung vertickt wurden. Dadurch, dass ich weise auf den Kauf weiterer 68 Paar verzichtete, habe ich mir jetzt quasi die Jahresmitgliedschaft im Uppereast zusammengespart.
Mit Hummels an den Füßen würden sie mich dort aber wahrscheinlich gar nicht einlassen.
Dafür hängen dort dann aber auch nicht nur Leute mit einem ab, die ebenfalls 2000 Euro Jahresgebühr hingeblättert haben, sondern mindestens ebensoviele Birnen von der Decke. Siehe Foto.
Wir wissen das natürlich nicht etwa deshalb, weil wir uns widersinnigerweise zu einer 2000-Euro-Uppereast-Mitgliedschaft entschlossen hätten, oh nein, sondern weil wir anlässlich des Barjubiläums dort eingeladen waren.
Im Großen und Ganzen erwies sich das Uppereast dabei als Raum von verblüffend eingeschränktem Liebreiz. Vermutlich reißt die Qualität seiner 2000-Euro-Mitglieder alles wieder raus, vielleicht geht hier ja samstagsnachts z. B. Sylvie van der Vaart auf die Balz.
Ich erstand während der Party runtergesetzte Hummel-Turnschuhe, die dort zugunsten einer Aidsstiftung vertickt wurden. Dadurch, dass ich weise auf den Kauf weiterer 68 Paar verzichtete, habe ich mir jetzt quasi die Jahresmitgliedschaft im Uppereast zusammengespart.
Mit Hummels an den Füßen würden sie mich dort aber wahrscheinlich gar nicht einlassen.
13 Juli 2008
The pain never stops
Folgende Veranstaltungen, Senat, sollte man künftig an einem einzigen megalomanischen Wochenende zusammenlegen und in einem Rutsch runterfeiern:
Harley Days, Motorradgottesdienst, Hafengeburtstag, Christopher-Street-Day, Schlagermove, Triathlon, Cyclassics, Welt-Astra-Tag und Marathon.
Der brillante Vorschlag kommt von Ms. Columbo; er erfuhr durch mich nur eine leichte Erweiterung. Den insgesamt rund zwei Trilliarden Zuschauern könnte man so nämlich, Senat, für drei Tage im Jahr feierlich den Kiez zur freien
Übrigens strömen diese zwei Trilliarden Menschen nur deswegen herbei aus aller Herren Länder, weil es so unvergleichlich toll ist auf dem Kiez. Und wir, Ms. Columbo und ich, haben das Privileg, das ganze Jahr über hier einfach so rumleben zu dürfen, ohne jeden speziellen Anlass.
Seit ich das erkannt habe, geht’s mir ganz großartig. Ja, ich werde die 35.000 zum Gottesdienst antretenden Zweitakt- und Teilzeitchristen einfach triumphal an- und somit weglächeln.
Sie werden nicht den nanokleinsten Schimmer haben, was das soll, dieses Lächeln.
19 August 2007
Meditieren auf der Reeperbahn
Mehrfach jährlich herrscht hier auf dem Kiez die sonische Hölle. Zum Beispiel beim Schlagermove („Fiesta Mexicana“-grölende Kampftrinker in Schlaghosen), dem Christopher-Street-Day (Tunten in Tüll und Karnevalsklamotten) oder den Harley Days (rollende Bierbäuche mit applizierten Graubärten).
Müsste ich mich entscheiden, welchen dieser empörenderweise sogar polizeiunterstützten Terrorakte ich zum Teufel wünschen sollte, so fiele mir das leicht: alle drei.
Außerdem gibt es hier noch ein Radrennen, die CyClassics. Auch das führt zu Lärmentwicklung. Denn tausende von Menschen stehen gewöhnlich an der Strecke und nerven akustisch die schutzlosen Fahrer.
Doch dank der Tour de France war heute alles anders. Zwar rauschte das Fahrerfeld zig-mal über die Reeperbahn, nur stand da kaum jemand rum. Radelnde Chemiedepots? Braucht wohl keiner mehr.
Weil aber natürlich trotzdem alles für den Autoverkehr gesperrt war, herrschte heute auf dem Kiez plötzlich eine himmlische Ruhe. Dafür danke ich Leuten wie Ullrich, Fuentes und Sinkewitz von Herzen. Bitte immer weiterspritzen, ja?
Natürlich nutzte ich auch die unverhoffte Chance, mich mal mitten auf die verwaiste Reeperbahn zu stellen und diese sonst tagtäglich so gequälte Straße einmal im verträumten Dämmerzustand zu fotografieren.
Ein bisschen war’s wie meditieren. Ommm.
Müsste ich mich entscheiden, welchen dieser empörenderweise sogar polizeiunterstützten Terrorakte ich zum Teufel wünschen sollte, so fiele mir das leicht: alle drei.
Außerdem gibt es hier noch ein Radrennen, die CyClassics. Auch das führt zu Lärmentwicklung. Denn tausende von Menschen stehen gewöhnlich an der Strecke und nerven akustisch die schutzlosen Fahrer.
Doch dank der Tour de France war heute alles anders. Zwar rauschte das Fahrerfeld zig-mal über die Reeperbahn, nur stand da kaum jemand rum. Radelnde Chemiedepots? Braucht wohl keiner mehr.
Weil aber natürlich trotzdem alles für den Autoverkehr gesperrt war, herrschte heute auf dem Kiez plötzlich eine himmlische Ruhe. Dafür danke ich Leuten wie Ullrich, Fuentes und Sinkewitz von Herzen. Bitte immer weiterspritzen, ja?
Natürlich nutzte ich auch die unverhoffte Chance, mich mal mitten auf die verwaiste Reeperbahn zu stellen und diese sonst tagtäglich so gequälte Straße einmal im verträumten Dämmerzustand zu fotografieren.
Ein bisschen war’s wie meditieren. Ommm.
08 Juli 2007
Angriff der Hossa-Hamas
Der Traum ging so: Tagsüber sollte es niagaraartig schütten und die Spaßterroristen des Schlagermove vom Kiez spülen; abends dann würde es plötzlich aufklaren, so dass wir uns unter linden Bedingungen dem größten Konzert aller Zeiten widmen könnten, nämlich „Live Earth“ im Volksparkstadion.
Zunächst lief alles nach Plan. Es goss, als stünde Noah persönlich an den Schleusen. Ms. Columbo und ich frohlockten, während das vom Spielbudenplatz herüberwehende „Griechischer Wein“ übertönt wurde vom infernalischen Pladdern der Sintflut.
Das anschließende Aufklaren verfolgten wir bang, nahmen aber gegen 15:26 Uhr das göttliche Geschenk eines anständigen Gewitters gerne an.
Komischerweise schien den Veranstaltern ein Abbruch des Schlagermoves gleichwohl keine Option. Und dann wurde es um kurz nach 4 auch noch empörend trocken; nur die von Westen heraneilenden Wolkenwände ließen die Hoffnung leben.
Und siehe da: Um 16:55 zog irgendwo dort droben jemand erneut den ganz großen Stöpsel raus. Yippie! 17:35 aber ein ernster Rückschlag. Kurz bevor John Denvers „Country roads“ die Scheiben der Sexshops zum Klirren brachte, kam gar die verdammte Sonne raus.
Andererseits nahte auch unserer „Live Earth“-Besuch, und ein minutengenaues Timing kann man selbst Petrus nicht abverlangen. Wir brachen also auf. Ich schlug vor, über die Reeperbahn zur S-Bahn zu gehen, um einen angeekelten Blick auf die durchgeknallte Hossa-Hamas zu werfen. Doch erwies sich das als die schlechteste Idee, seit ich damals in Belgrad den falschen Zug bestiegen hatte und dies erst acht Stunden später bemerkte: an der Endstation.
Wir hingen nämlich sofort fest zwischen Massen lallender Rosaperückenträger, während auf der Reeperbahn Themenwagen entlangkrochen, die uns mit gefühlten zwanzigtausend Watt „Fremder Mann“ in alle Körperöffnungen pressten.
Endlich bei „Live Earth“. Der zweite Teil des Traum wurde einschränkungslos wahr: Es blieb trocken. Das Stadion aber gähnte vor Leere. In den Umbaupausen lief auf der Leinwand das Schwesterfestival in London, was uns schmerzlich bewusst machte, mit welchem Mittelmaß wir abgespeist wurden.
Hier Revolverheld – dort Duran Duran. Hier Juli – dort Metallica. Hmpf. Immerhin interpretierte Juli-Sängerin Eva Briegel die herbstlichen Temperaturen ganz und gar Gore-gemäß: „Es ist kälter geworden“, freute sie sich über ein wichtiges globales Ziel der Megaveranstaltung, „es wirkt schon!“
Das erklärt übrigens auch meine Aufmachung auf dem Foto.
Zunächst lief alles nach Plan. Es goss, als stünde Noah persönlich an den Schleusen. Ms. Columbo und ich frohlockten, während das vom Spielbudenplatz herüberwehende „Griechischer Wein“ übertönt wurde vom infernalischen Pladdern der Sintflut.
Das anschließende Aufklaren verfolgten wir bang, nahmen aber gegen 15:26 Uhr das göttliche Geschenk eines anständigen Gewitters gerne an.
Komischerweise schien den Veranstaltern ein Abbruch des Schlagermoves gleichwohl keine Option. Und dann wurde es um kurz nach 4 auch noch empörend trocken; nur die von Westen heraneilenden Wolkenwände ließen die Hoffnung leben.
Und siehe da: Um 16:55 zog irgendwo dort droben jemand erneut den ganz großen Stöpsel raus. Yippie! 17:35 aber ein ernster Rückschlag. Kurz bevor John Denvers „Country roads“ die Scheiben der Sexshops zum Klirren brachte, kam gar die verdammte Sonne raus.
Andererseits nahte auch unserer „Live Earth“-Besuch, und ein minutengenaues Timing kann man selbst Petrus nicht abverlangen. Wir brachen also auf. Ich schlug vor, über die Reeperbahn zur S-Bahn zu gehen, um einen angeekelten Blick auf die durchgeknallte Hossa-Hamas zu werfen. Doch erwies sich das als die schlechteste Idee, seit ich damals in Belgrad den falschen Zug bestiegen hatte und dies erst acht Stunden später bemerkte: an der Endstation.
Wir hingen nämlich sofort fest zwischen Massen lallender Rosaperückenträger, während auf der Reeperbahn Themenwagen entlangkrochen, die uns mit gefühlten zwanzigtausend Watt „Fremder Mann“ in alle Körperöffnungen pressten.
Endlich bei „Live Earth“. Der zweite Teil des Traum wurde einschränkungslos wahr: Es blieb trocken. Das Stadion aber gähnte vor Leere. In den Umbaupausen lief auf der Leinwand das Schwesterfestival in London, was uns schmerzlich bewusst machte, mit welchem Mittelmaß wir abgespeist wurden.
Hier Revolverheld – dort Duran Duran. Hier Juli – dort Metallica. Hmpf. Immerhin interpretierte Juli-Sängerin Eva Briegel die herbstlichen Temperaturen ganz und gar Gore-gemäß: „Es ist kälter geworden“, freute sie sich über ein wichtiges globales Ziel der Megaveranstaltung, „es wirkt schon!“
Das erklärt übrigens auch meine Aufmachung auf dem Foto.
14 Mai 2007
Die Rückkehr der Matrosen
Einst waren sie es, die – wie in jedem Hafen der Welt – für die Entstehung des Rotlichtviertels sorgten. Dann verschwanden sie spurlos, doch die Huren blieben.
Einmal im Jahr aber, am Hafengeburtstag, kehren sie zurück nach St. Pauli, wie ein folkloristischer Anklang an eine lang versunkene Zeit: Matrosen.
Drei Tage lang sahen wir sie in Dreier-, Vierergruppen die Reeperbahn abschreiten, die meisten schienen russisch zu sprechen. Sie trugen blaue Ausgehuniformen – und weiße Mützen, die so groß waren, als kokettierten sie mit der Möglichkeit eines Daseins als richtige Hüte.
Gestern sah Ms. Columbo gar eine Gruppe in besonders festlichen Uniformen, deren vergoldete Knöpfe allerdings nicht recht harmonieren wollten mit den Plastiktüten der Drogeriekette Schlecker, die an den Händen der Matrosen baumelten.
Im Hafen, der nun schon seit 818 Jahren das Schicksal Hamburgs bestimmt, lagen drei Tage lang ihre Kreuzer und Großsegler, ein Gewirr turmhoher Takelagen dominierte die Aussicht von den Landungsbrücken. Doch ein kleines hässliches Entlein von Ausflugsbarkasse, das immer hier vor Anker liegt, ließ sich von den stolzen Schwänen der Meere die Laune nicht verderben.
Es heißt „Christa Glitscher“, und ich kann mir nicht helfen: Der Name klingt frivol, ja geradezu obszön. Vielleicht liegt das aber auch an mir; vielleicht bin ich verdorben durchs Leben auf St. Pauli, das so, wie es ist, nur dank längst vergangener Generationen von Matrosen werden konnte.
Und immer, wenn Hamburg Hafengeburtstag feiert, kehren sie zurück aus dem Nebel der Vergangenheit, ganz so wie ihre Kollegen in John Carpenters Film „The Fog“. Doch diese hier in ihren blauen Ausgehuniformen wollen uns nicht ans Leder, sondern einfach nur bei Schlecker einkaufen.
Oder eine Hafenrundfahrt buchen auf der „Christa Glitscher“.
Einmal im Jahr aber, am Hafengeburtstag, kehren sie zurück nach St. Pauli, wie ein folkloristischer Anklang an eine lang versunkene Zeit: Matrosen.
Drei Tage lang sahen wir sie in Dreier-, Vierergruppen die Reeperbahn abschreiten, die meisten schienen russisch zu sprechen. Sie trugen blaue Ausgehuniformen – und weiße Mützen, die so groß waren, als kokettierten sie mit der Möglichkeit eines Daseins als richtige Hüte.
Gestern sah Ms. Columbo gar eine Gruppe in besonders festlichen Uniformen, deren vergoldete Knöpfe allerdings nicht recht harmonieren wollten mit den Plastiktüten der Drogeriekette Schlecker, die an den Händen der Matrosen baumelten.
Im Hafen, der nun schon seit 818 Jahren das Schicksal Hamburgs bestimmt, lagen drei Tage lang ihre Kreuzer und Großsegler, ein Gewirr turmhoher Takelagen dominierte die Aussicht von den Landungsbrücken. Doch ein kleines hässliches Entlein von Ausflugsbarkasse, das immer hier vor Anker liegt, ließ sich von den stolzen Schwänen der Meere die Laune nicht verderben.
Es heißt „Christa Glitscher“, und ich kann mir nicht helfen: Der Name klingt frivol, ja geradezu obszön. Vielleicht liegt das aber auch an mir; vielleicht bin ich verdorben durchs Leben auf St. Pauli, das so, wie es ist, nur dank längst vergangener Generationen von Matrosen werden konnte.
Und immer, wenn Hamburg Hafengeburtstag feiert, kehren sie zurück aus dem Nebel der Vergangenheit, ganz so wie ihre Kollegen in John Carpenters Film „The Fog“. Doch diese hier in ihren blauen Ausgehuniformen wollen uns nicht ans Leder, sondern einfach nur bei Schlecker einkaufen.
Oder eine Hafenrundfahrt buchen auf der „Christa Glitscher“.
12 Mai 2007
Wer darf zu St. Pauli gegen Dresden? Ich nicht.
Seit Tagen schon kreisen die Gedanken des Franken nicht mehr um die üblichen Frankenthemen (Essen, Schmerzen in der Schulter, FC Bayern), sondern um etwas viel Allgemeingültigeres.
Er hat nämlich etwas, das 50 000 andere Hamburger auch gern hätten, inklusive mir: Karten für das letzte Heimspiel des FC St. Pauli am 25. Mai gegen Dresden.
Der Franke besitzt sogar volle fünf Stück davon. Seine ganze Frankenfamilie lässt er einfliegen zu diesem entscheidenden Spiel um den Zweitligaaufstieg. Und statt sich bis dahin breit grinsend in Vor- und Schadenfreude zu suhlen, macht er seit Tagen was ganz anderes: Er verfolgt die Schwarzmartkkurse seiner Tickets.
„Die stehen teils schon bei 211 Euro pro Stück!“, teilt er unruhig mit. Ein tiefer Zweifel scheint sich in der Brust des Franken eingenistet zu haben, seine Familie ahnt derweil nichts Böses. „Ja“, gieße ich pflichtgemäß Öl ins Feuer seiner Gier, „das sind über tausend Euro Gesamterlös bei fünf Karten. Und nächste Woche gehen die noch höher. Wirst schon sehen.“
„Vielleicht sollte ich sie wirklich verkaufen“, sinniert er mehr für sich, „und mit den anderen zum Public Viewing gehen.“ Mein Stichwort. „Weißt du eigentlich“, versuche ich ihn besserwisserisch zu nerven, „dass Public Viewing übersetzt ,öffentliche Leichenschau' heißt? Die doofe Fifa wollte zur WM wohl weltläufig wirken und hat das nicht gerafft. Und seither gibt es öffentliche Leichenschauen auf Großbildleinwänden, und keiner merkt’s.“
Der Franke, zwar emotional gefangen im Wägen all seiner merkantilen Möglichkeiten, steigt komischerweise auf diesen Themenwechsel ein. „Passt ja wenigstens zur Brisanz des Spiels“, sagt er, „es geht schließlich gegen Dresden, und auf dem Heiliggeistfeld kann die Polizei die Fangruppen nicht ordentlich trennen.“
„Man müsste zum Public Viewing eigentlich auch Body Bags mitnehmen, also Leichensäcke“, ergänze ich. „Wäre ja nur konsequent.“
„Habe ich dir schon erzählt, für wieviel die Karten inzwischen auf Ebay gehandelt werden?“, sagt der Franke und stiert wieder auf den Bildschirm. Ja, hat er, vor zwei Minuten. Und gestern.
Ende März war übrigens mal kurz davon die Rede, mir eins der Tickets zum Selbstkostenpreis zu verkaufen, sofern Schwager oder Schwester doch nicht kommen könnten. Ganz allmählich aber beschleicht mich das Gefühl, ich sollte mir das lieber abschminken.
„211 Euro“, sagt der Franken mehr zu sich, aber da bin ich schon halb aus dem Zimmer. Mir bleibt wohl nur die öffentliche Leichenschau.
Doofe Fifa.
Er hat nämlich etwas, das 50 000 andere Hamburger auch gern hätten, inklusive mir: Karten für das letzte Heimspiel des FC St. Pauli am 25. Mai gegen Dresden.
Der Franke besitzt sogar volle fünf Stück davon. Seine ganze Frankenfamilie lässt er einfliegen zu diesem entscheidenden Spiel um den Zweitligaaufstieg. Und statt sich bis dahin breit grinsend in Vor- und Schadenfreude zu suhlen, macht er seit Tagen was ganz anderes: Er verfolgt die Schwarzmartkkurse seiner Tickets.
„Die stehen teils schon bei 211 Euro pro Stück!“, teilt er unruhig mit. Ein tiefer Zweifel scheint sich in der Brust des Franken eingenistet zu haben, seine Familie ahnt derweil nichts Böses. „Ja“, gieße ich pflichtgemäß Öl ins Feuer seiner Gier, „das sind über tausend Euro Gesamterlös bei fünf Karten. Und nächste Woche gehen die noch höher. Wirst schon sehen.“
„Vielleicht sollte ich sie wirklich verkaufen“, sinniert er mehr für sich, „und mit den anderen zum Public Viewing gehen.“ Mein Stichwort. „Weißt du eigentlich“, versuche ich ihn besserwisserisch zu nerven, „dass Public Viewing übersetzt ,öffentliche Leichenschau' heißt? Die doofe Fifa wollte zur WM wohl weltläufig wirken und hat das nicht gerafft. Und seither gibt es öffentliche Leichenschauen auf Großbildleinwänden, und keiner merkt’s.“
Der Franke, zwar emotional gefangen im Wägen all seiner merkantilen Möglichkeiten, steigt komischerweise auf diesen Themenwechsel ein. „Passt ja wenigstens zur Brisanz des Spiels“, sagt er, „es geht schließlich gegen Dresden, und auf dem Heiliggeistfeld kann die Polizei die Fangruppen nicht ordentlich trennen.“
„Man müsste zum Public Viewing eigentlich auch Body Bags mitnehmen, also Leichensäcke“, ergänze ich. „Wäre ja nur konsequent.“
„Habe ich dir schon erzählt, für wieviel die Karten inzwischen auf Ebay gehandelt werden?“, sagt der Franke und stiert wieder auf den Bildschirm. Ja, hat er, vor zwei Minuten. Und gestern.
Ende März war übrigens mal kurz davon die Rede, mir eins der Tickets zum Selbstkostenpreis zu verkaufen, sofern Schwager oder Schwester doch nicht kommen könnten. Ganz allmählich aber beschleicht mich das Gefühl, ich sollte mir das lieber abschminken.
„211 Euro“, sagt der Franken mehr zu sich, aber da bin ich schon halb aus dem Zimmer. Mir bleibt wohl nur die öffentliche Leichenschau.
Doofe Fifa.
02 Mai 2007
Ein Schrei für die Ewigkeit
Color Line Arena, gestern. In wenigen Augenblicken werden Tokio Hotel auftreten. Die Lichter gehen aus, und da ist sie, die Essenz des Pop: ein Schrei aus zehntausend Teeniekehlen. Unisono, hochfrequent, ein Tsunami aus Schall (den der Clip oben nur lachhaft dünn wiederzugeben in der Lage ist).
Mir stellen sich die Haare auf, und ich sehe mich selbst, wie ich den Kopf schüttle und fassungslos lache, wie ich mir die Hände auf die Ohren presse. Ja, das ist sie, die Essenz des Pop: das reine, hemmungslose, pure Gefühl der Erwartung und der bevorstehenden Erlösung. Die zum Schrei geronnene Emotion. Das Hier und Jetzt, die nie mehr endende Gegenwart, die Diktatur der Körperchemie.
Zehntausend Stimmen schreien einen einzigen Schrei, und mir wird klar, was für ein Handicap die Ratio sein kann. Und ich ertappe mich dabei, wie ich die schreigewordenen Teenies beneide um die Reinheit und Totalität ihres Gefühls.
Etwas in dieser Intensität hatte ich nie. Für die Beatles war ich viel zu jung, und gefangen auf dem Dorf hätte mir die Gnade einer früheren Geburt eh nichts genützt. Erst mit 16 schaffte ich es auf die ersten großen Konzerte, aber das ist viel zu spät für den essenziellen Schrei, in dem das ganze Leben steckt und tief versteckt und unbewusst auch das Gegenteil davon.
Das alles wird mir klar beim Konzert von Tokio Hotel in der Color Line Arena, und dafür werde ich der Band ziemlich lange dankbar sein.
Auch wenn sie den Abend in eine Melancholie tünchten, die lange nachhallen wird.
24 April 2007
Ich hasse rote Krawatten
„Haben Sie eine Kamera dabei?“, fragt mich der Sicherheitsmann am Eingang der Color Line Arena, und ich, überrumpelt, begehe den fatalen Fehler, ihm die Wahrheit zu sagen. Wahrscheinlich sind das die vermaledeiten Reste meiner protestantischen Erziehung, ich weiß es nicht.
Jedenfalls schickt mich der Mann zu einem Kameraeinsammler ein paar Meter weiter, und ich erwäge, diesen Gang einfach nicht anzutreten, doch beim Abtasten der Leute, die hinter mir in der Schlange standen, dreht der Sicherheitsmann sich immer wieder um zu mir. Kein Entkommen; er kennt seine Pappenheimer.
Der Kameraeinsammler trägt einen lächerlich kurzen roten Schlips, der etwa in der Mitte zwischen Kehlkopf und (imaginierten) Nabel endet, aber das Ästhetische spielt gerade keine Rolle, denn er will meine Kamera. Gerade beginne ich mich an den unschönen Gedanken kameraloser Stunden zu gewöhnen, als es heißt: „Ein Euro bitte.“
„Warten Sie mal“, sage ich, „Sie zwingen mich, meine Kamera abzugeben, die ich lieber behalten würde, und verlangen auch noch Geld dafür?“ Der Mann schaut mich gelangweilt an. „Dafür“, sagt er, während ich auf seinen lachhaft kurzen roten Schlips starre, „passen wir auch darauf auf.“
„Darum habe ich Sie aber gar nicht gebeten!“, wende ich mit unamüsiertem Lächeln ein. „Normalerweise zahle ich nur für Dienstleistungen, die ich aktiv in Auftrag gebe.“
„Tja“, sagt der Mann und verstaut meine Kamera in einer hermetisch verschließbaren und – wie sich Stunden später herausstellen soll – ohne Hilfsmittel wie Scheren, Teppichmesser oder Kreissägen nicht mehr zu öffnenden hochreißfesten Plastiksicherheitstüte der Marke Debasafe. Sie hat die Codenummer 5854767.
Der Mann händigt mir einen Plastikstreifen aus, auf dem die gleiche Nummer steht. „Nicht verlieren“, sagt er, „sonst kriegen Sie die Kamera nicht wieder.“ „Das wäre ja noch schöner!“, errege ich mich, während ich ihm widerwillig einen Euro in die Hand drücke. „Tja“, sagt er und legt die Münze in die Tasche. Aus irgendeinem Grund muss ich an Schäuble denken.
Ich hasse rote Krawatten. Vor allem, wenn sie zu kurz sind.
Jedenfalls schickt mich der Mann zu einem Kameraeinsammler ein paar Meter weiter, und ich erwäge, diesen Gang einfach nicht anzutreten, doch beim Abtasten der Leute, die hinter mir in der Schlange standen, dreht der Sicherheitsmann sich immer wieder um zu mir. Kein Entkommen; er kennt seine Pappenheimer.
Der Kameraeinsammler trägt einen lächerlich kurzen roten Schlips, der etwa in der Mitte zwischen Kehlkopf und (imaginierten) Nabel endet, aber das Ästhetische spielt gerade keine Rolle, denn er will meine Kamera. Gerade beginne ich mich an den unschönen Gedanken kameraloser Stunden zu gewöhnen, als es heißt: „Ein Euro bitte.“
„Warten Sie mal“, sage ich, „Sie zwingen mich, meine Kamera abzugeben, die ich lieber behalten würde, und verlangen auch noch Geld dafür?“ Der Mann schaut mich gelangweilt an. „Dafür“, sagt er, während ich auf seinen lachhaft kurzen roten Schlips starre, „passen wir auch darauf auf.“
„Darum habe ich Sie aber gar nicht gebeten!“, wende ich mit unamüsiertem Lächeln ein. „Normalerweise zahle ich nur für Dienstleistungen, die ich aktiv in Auftrag gebe.“
„Tja“, sagt der Mann und verstaut meine Kamera in einer hermetisch verschließbaren und – wie sich Stunden später herausstellen soll – ohne Hilfsmittel wie Scheren, Teppichmesser oder Kreissägen nicht mehr zu öffnenden hochreißfesten Plastiksicherheitstüte der Marke Debasafe. Sie hat die Codenummer 5854767.
Der Mann händigt mir einen Plastikstreifen aus, auf dem die gleiche Nummer steht. „Nicht verlieren“, sagt er, „sonst kriegen Sie die Kamera nicht wieder.“ „Das wäre ja noch schöner!“, errege ich mich, während ich ihm widerwillig einen Euro in die Hand drücke. „Tja“, sagt er und legt die Münze in die Tasche. Aus irgendeinem Grund muss ich an Schäuble denken.
Ich hasse rote Krawatten. Vor allem, wenn sie zu kurz sind.
21 April 2007
Im Aidadivawahn
Es ist ein Witz. Hunderttausende strömen an die Landungsbrücken, drängen sich an den Weinstöcken am Stintfang, treten sich am Fuß des Hafenhotels auf die Füße, und alle haben nur ein Ziel: 68 500 Bruttoregistertonnen namens Aidadiva beim trägen Elbabwärtsfahren zuzusehen.
Was wollen diese Menschen hier? Interessiert sie die Lasershow? Das Feuerwerk? Oder wirklich nur das monströs dicke Schiff, das ihrer wildesten Träume verkörpert von Müßiggang und Fernweh?
Es ist ein Witz. Und ich bin mittendrin.
Was wollen diese Menschen hier? Interessiert sie die Lasershow? Das Feuerwerk? Oder wirklich nur das monströs dicke Schiff, das ihrer wildesten Träume verkörpert von Müßiggang und Fernweh?
Es ist ein Witz. Und ich bin mittendrin.
20 April 2007
Wer brüllt, hat Unrecht
Zunächst muss ich GP im Aurel auslösen. Er hat – da als Erster eingetroffen – bereits für uns beide Bier bestellt, welches direkt am Tresen zu bezahlen ist; allerdings verfügt er zurzeit über keinen Cent Bargeld. Jetzt sitzt er da, wohlbeschirmt vom Argwohn der Barfrau. Schöner Anblick.
Eine sardonische Sekunde lang überlege ich, jede Bekanntschaft mit ihm entrüstet abzustreiten, doch die Zeit drängt: Wir müssen hoch in die Color Line Arena, wo Roger Waters uns auf einen monströsen Trip in die Vergangenheit schicken will. Und siehe da: Der alte Haudegen ist fast genauso gut wie die Pink-Floyd-Coverband, die ich vor einigen Jahren in der Großen Freiheit sah.
GP sitzt die ganze Zeit ruhig im psychedelischen Pathosdonner, während ich ihm zwischen den Stücken unnützes Fachwissen zubrülle. „Der Song war auf der ersten Floyd-Platte!“, schreie ich, „noch von Syd Barrett geschrieben!“
Er stiert mich an, als spräche ich hyperboräisch, und ich verfluche innerlich diesen ewigen Drang, der mich immer dann überkommt, wenn ich mich auf einem bestimmten Gebiet sachkundiger wähne. Auch Ms. Columbo sieht sich oftmals solchen Attacken ausgesetzt, erträgt sie allerdings mit einer Engelsgeduld, die ich als Liebesbeweis werten muss.
„Achtung, gleich kommt ein toller Solopart der Sängerin!“, brülle ich GP während „The great gig in the sky“ ins oropaxlose Ohr, und schon kommt ein toller Solopart der Sängerin. Nach der letzten Zugabe spricht GP von „einem der großartigsten Konzerte überhaupt“, was mich erfreut, aber auch wundert, denn zuvor hatte er keinerlei Anhaltspunkte für diese Einschätzung geliefert.
Er klärt mich auf: Allein die Tatsache, dass er nicht vorzeitig gegangen sei, müsse ich bereits als überschäumende Begeisterung werten. Ich entschuldige mich dafür, ihn während „Comfortably numb“ mit der gebrüllten Info erschreckt zu haben, dies sei schon immer mein Lieblingssong vom Album „The wall“ gewesen.
Insgesamt also ein toller Abend – wozu auch ein grauhaariges Waters-Groupie vor der Bühne beiträgt, das vor unseren Augen eine Ton-Bild-Schere aufführt. Die sehr rüstige Dame hüpft auf und ab und singt dabei lauthals: „We don’t need no education – teachers: leave us kids alone!“ Und das Merkwürdigste: Ihr scheint das alles überhaupt nicht merkwürdig vorzukommen.
Übrigens war der oben erwähnte Song gar nicht auf der ersten, sondern der zweiten Floyd-Platte, wie ich zu Hause feststelle, und Syd Barrett war auch nicht der Autor.
GP darf das nie erfahren.
Eine sardonische Sekunde lang überlege ich, jede Bekanntschaft mit ihm entrüstet abzustreiten, doch die Zeit drängt: Wir müssen hoch in die Color Line Arena, wo Roger Waters uns auf einen monströsen Trip in die Vergangenheit schicken will. Und siehe da: Der alte Haudegen ist fast genauso gut wie die Pink-Floyd-Coverband, die ich vor einigen Jahren in der Großen Freiheit sah.
GP sitzt die ganze Zeit ruhig im psychedelischen Pathosdonner, während ich ihm zwischen den Stücken unnützes Fachwissen zubrülle. „Der Song war auf der ersten Floyd-Platte!“, schreie ich, „noch von Syd Barrett geschrieben!“
Er stiert mich an, als spräche ich hyperboräisch, und ich verfluche innerlich diesen ewigen Drang, der mich immer dann überkommt, wenn ich mich auf einem bestimmten Gebiet sachkundiger wähne. Auch Ms. Columbo sieht sich oftmals solchen Attacken ausgesetzt, erträgt sie allerdings mit einer Engelsgeduld, die ich als Liebesbeweis werten muss.
„Achtung, gleich kommt ein toller Solopart der Sängerin!“, brülle ich GP während „The great gig in the sky“ ins oropaxlose Ohr, und schon kommt ein toller Solopart der Sängerin. Nach der letzten Zugabe spricht GP von „einem der großartigsten Konzerte überhaupt“, was mich erfreut, aber auch wundert, denn zuvor hatte er keinerlei Anhaltspunkte für diese Einschätzung geliefert.
Er klärt mich auf: Allein die Tatsache, dass er nicht vorzeitig gegangen sei, müsse ich bereits als überschäumende Begeisterung werten. Ich entschuldige mich dafür, ihn während „Comfortably numb“ mit der gebrüllten Info erschreckt zu haben, dies sei schon immer mein Lieblingssong vom Album „The wall“ gewesen.
Insgesamt also ein toller Abend – wozu auch ein grauhaariges Waters-Groupie vor der Bühne beiträgt, das vor unseren Augen eine Ton-Bild-Schere aufführt. Die sehr rüstige Dame hüpft auf und ab und singt dabei lauthals: „We don’t need no education – teachers: leave us kids alone!“ Und das Merkwürdigste: Ihr scheint das alles überhaupt nicht merkwürdig vorzukommen.
Übrigens war der oben erwähnte Song gar nicht auf der ersten, sondern der zweiten Floyd-Platte, wie ich zu Hause feststelle, und Syd Barrett war auch nicht der Autor.
GP darf das nie erfahren.
16 April 2007
Laura Veirs zu verschenken
Die vielfältigen Probleme einer umfangreichen Plattensammlung ahnt man nicht im Entferntesten, wenn man sie noch nicht hat, die umfangreiche Plattensammlung.
Neben dem schieren Platzbedarf, der irgendwann zu diversen Reibungen bis hinein in eine ansonsten toll funktionierende Zweierbeziehung führt, stellt eine umfangreiche Plattensammlung auch enorme Anforderungen ans menschliche Gedächtnis. Zumindest an meins.
Manchmal stehe ich auf dem Flohmarkt und frage mich: Habe ich diese Platte schon oder nicht? Immer öfter auch freue ich mich kindlich über ein feines Fundstück, welches ich im besten Fall schon seit Jahren suchte und nun glückstrunken nach Hause trage, wo ich der frustrierenden Wahrheit ins Gesicht blicken muss. Sie lautet: Jetzt habe ich die Platte doppelt.
Heute Abend im Knust, beim Konzert von Laura Veirs, über die ich vor Äonen schon einmal ein bisschen bloggte, stand ich am Verkaufsstand und fragte mich angesichts ihrer CD „The Triumphs & Travails of Orphan Mae“ ratlos, ob ich mich eigentlich schon in der Gewissheit ihres Besitzes wiegen dürfe oder nicht.
Da ich das nicht nur innerlich, sondern auch vernehmlich für den Verkäufer tat, versuchte er sich an einer pragmatischen Lösung. „Buy it to make it sure“, sagte er listig. Ein Killerargument, wie ich bewundernd zugeben musste.
Also kaufte ich sie. Und jetzt habe ich sie doppelt. Die im Archiv ist allerdings eine gebrannte Promoversion, ich darf sie somit nicht einmal auf Ebay versteigern, weil man für so was natürlich sofort wieder gesperrt wird.
Praktisch veranlagte Blogleser drängt es jetzt sicherlich danach, mir ersatzweise den Verkauf der erst heute Abend erstandenen Original-CD nahezulegen, was zwar legal wäre, aber erst recht nicht in Frage kommt. Sie hat nämlich im Gegensatz zu der profan verpackten Kopie ein schönes rotes Pappcover (neudeutsch: Digipack), das ich nie mehr missen mag.
Nein, dann verschenke ich lieber die Gebrannte – im Rahmen einer Verlosung unter allen Kommentatoren dieses Beitrags. Es entscheidet allein der blinde Würfel und nicht die Qualität des Kommentars. Wobei ich natürlich niemand davon abhalten will, etwas Intelligentes zu sagen – was eine völlig unnötige Bemerkung ist, denn das Niveau der hiesigen Kommentare übersteigt eh meist die Qualität der Beiträge, und deshalb …
… verdammt, ich verzettle mich. Eine umfangreiche Plattensammlung verschlechtert offenbar nicht nur die Performance des Erinnerungsvermögens, sondern meine Geistesleistungen ganz allgemein.
Kurz: Wer die Platte haben will, soll was sagen.
Pasta.
Neben dem schieren Platzbedarf, der irgendwann zu diversen Reibungen bis hinein in eine ansonsten toll funktionierende Zweierbeziehung führt, stellt eine umfangreiche Plattensammlung auch enorme Anforderungen ans menschliche Gedächtnis. Zumindest an meins.
Manchmal stehe ich auf dem Flohmarkt und frage mich: Habe ich diese Platte schon oder nicht? Immer öfter auch freue ich mich kindlich über ein feines Fundstück, welches ich im besten Fall schon seit Jahren suchte und nun glückstrunken nach Hause trage, wo ich der frustrierenden Wahrheit ins Gesicht blicken muss. Sie lautet: Jetzt habe ich die Platte doppelt.
Heute Abend im Knust, beim Konzert von Laura Veirs, über die ich vor Äonen schon einmal ein bisschen bloggte, stand ich am Verkaufsstand und fragte mich angesichts ihrer CD „The Triumphs & Travails of Orphan Mae“ ratlos, ob ich mich eigentlich schon in der Gewissheit ihres Besitzes wiegen dürfe oder nicht.
Da ich das nicht nur innerlich, sondern auch vernehmlich für den Verkäufer tat, versuchte er sich an einer pragmatischen Lösung. „Buy it to make it sure“, sagte er listig. Ein Killerargument, wie ich bewundernd zugeben musste.
Also kaufte ich sie. Und jetzt habe ich sie doppelt. Die im Archiv ist allerdings eine gebrannte Promoversion, ich darf sie somit nicht einmal auf Ebay versteigern, weil man für so was natürlich sofort wieder gesperrt wird.
Praktisch veranlagte Blogleser drängt es jetzt sicherlich danach, mir ersatzweise den Verkauf der erst heute Abend erstandenen Original-CD nahezulegen, was zwar legal wäre, aber erst recht nicht in Frage kommt. Sie hat nämlich im Gegensatz zu der profan verpackten Kopie ein schönes rotes Pappcover (neudeutsch: Digipack), das ich nie mehr missen mag.
Nein, dann verschenke ich lieber die Gebrannte – im Rahmen einer Verlosung unter allen Kommentatoren dieses Beitrags. Es entscheidet allein der blinde Würfel und nicht die Qualität des Kommentars. Wobei ich natürlich niemand davon abhalten will, etwas Intelligentes zu sagen – was eine völlig unnötige Bemerkung ist, denn das Niveau der hiesigen Kommentare übersteigt eh meist die Qualität der Beiträge, und deshalb …
… verdammt, ich verzettle mich. Eine umfangreiche Plattensammlung verschlechtert offenbar nicht nur die Performance des Erinnerungsvermögens, sondern meine Geistesleistungen ganz allgemein.
Kurz: Wer die Platte haben will, soll was sagen.
Pasta.
05 April 2007
Abenteuerurlaub Bloggerlesung
Am 14. April – dem gleichen Tag also, nur 152 Jahre später, als John Wilkes Booth Abraham Lincoln erschoss – gibt es in der Hanauer Zehntscheune eine schillernd kompilierte Bloggerlesung mit dem bewusst nach Vollhorst klingenden Titel „Herbert – Die Lesung“.
Beteiligt ist folgendes schrille Ensemble: DieJulia, German Psycho, Turnschuhromantik, Murmeltiertag, kreativbetrunken und Zahltag.
Das Ganze kostet lachhafte fünf Euro, man bekommt also im Schnitt für nur 83 Cent einen Blogger. Oder eine Bloggerin. Das entspricht umgerechnet einem Drittelbier – und entzieht Ausreden fürs Nichterscheinen jede Grundlage. Die Bewohner Hessens und benachbarter Bundesländer mögen also bitte geschlossen erscheinen.
Und keine Angst vor German Psycho: Normalerweise ist er recht harmlos. Zudem haben die Veranstalter versprochen, ihn beim Lesen festzuketten – wie einst King Kong im New Yorker Theater.
(Ja, ich weiß, wie das damals ausging. Aber die Qualität der Ketten ist inzwischen viel besser. Die halten.)
(Foto: geocities)
Beteiligt ist folgendes schrille Ensemble: DieJulia, German Psycho, Turnschuhromantik, Murmeltiertag, kreativbetrunken und Zahltag.
Das Ganze kostet lachhafte fünf Euro, man bekommt also im Schnitt für nur 83 Cent einen Blogger. Oder eine Bloggerin. Das entspricht umgerechnet einem Drittelbier – und entzieht Ausreden fürs Nichterscheinen jede Grundlage. Die Bewohner Hessens und benachbarter Bundesländer mögen also bitte geschlossen erscheinen.
Und keine Angst vor German Psycho: Normalerweise ist er recht harmlos. Zudem haben die Veranstalter versprochen, ihn beim Lesen festzuketten – wie einst King Kong im New Yorker Theater.
(Ja, ich weiß, wie das damals ausging. Aber die Qualität der Ketten ist inzwischen viel besser. Die halten.)
(Foto: geocities)
04 März 2007
Raute gegen Wölfe
Braucht noch jemand eine sehr gute Sitzplatzkarte (Lage s. roten Pfeil rechts) für das Knallerspiel des klaren Uefacup-Kandidaten HSV gegen den Marcelinho-Club VfL Wolfsburg?
Anpfiff ist am Sonntag, 1. April, um 17 Uhr.
Wer das Westtribünenticket zum Selbstkostenpreis plus Porto von mir haben möchte, sollte jetzt aufstehen oder für immer schweigen – wer zuerst mailt, kauft zuerst.
(Wenn man’s sich recht überlegt, ist so ein Blogdings besser als Ebay; man spart Einstellgebühr und Verkaufsprovision. Hm.)
Anpfiff ist am Sonntag, 1. April, um 17 Uhr.
Wer das Westtribünenticket zum Selbstkostenpreis plus Porto von mir haben möchte, sollte jetzt aufstehen oder für immer schweigen – wer zuerst mailt, kauft zuerst.
(Wenn man’s sich recht überlegt, ist so ein Blogdings besser als Ebay; man spart Einstellgebühr und Verkaufsprovision. Hm.)
26 Februar 2007
Die Schnatterschnepfen
Heute Abend waren wir in der Kantine des Spiegel, wo die Veröffentlichung des ganz ausgezeichnet kompilierten Samplers „Kulturkantine“ gefeiert wurde. Der Songzyklus ist wirklich zum Zungeschnalzen.
Die auftretende Band Lucky Jim sah sich allerdings mit einer Unzahl von Leuten konfrontiert, die sich nicht um die Musik kümmerten, sondern nur um ihren Smalltalk. Journalisten!
Mir platzt da traditionell leicht der Rollkragen, und irgendwann wandte ich mich an die Schnatterschnepfen hinter mir: „Entschuldigen Sie“, sagte ich mit jener gespielten Freundlichkeit, die gerne und zurecht als Vorstufe deutlich bedrohlicherer Sanktionen wahrgenommen wird, „da vorn wird wunderschöne Musik gespielt, möchten Sie nicht lieber zuhören?“
„Oh“, zuckte eine der beiden, die auch noch rauchte, furchtsam zusammen, „sind wir zu laut?“ Ich nickte schmerzlich und verwies auf den weitaus geeigneteren Nachbarraum, in dem zwar genau derselbe psychedelische Spiegel-Kantinenfarbterror das Hirn zum Flirren brachte wie hier, sich aber immerhin keine aparte Indiefolkband das Herz aus dem Leib spielte, um Schnatterschnepfen zum Schweigen zu bringen.
Ich werde nie verstehen, was solche Menschen auf Veranstaltungen wie diese zieht. Geht es ihnen nur um kostenlose Grünkohllasagne in Kräutersoße? Gebratene Scampi auf Pilz-Rucola-Risotto in Safransauce? Geht es nur darum – um Lachstatar auf Reibekuchen mit Kaviarschmand? Quarkklöße mit Pflaumenröster als Nachspeise? Oder den 2005er Tariquet Sauvignon?
Offenbar ja, ja, ja, denn die beiden machten trotz meiner Ansprache genau dort weiter, wo ich sie unterbrochen hatte, wenngleich leiser.
Überall gab es diese summenden Smalltalknester, und ich sah die Vergeblichkeit meiner Bemühungen ein, war aber froh, meinen Frust wenigstens in eine schneidend freundliche Zurechtweisung sublimiert zu haben. Man muss sich Lucky Jim heute Abend als unglückliche Band vorstellen.
In der Spiegel-Kantine hängen übrigens gefühlte zweitausend orange Lampen von der Decke, doch alle – und damit sind wir bei einer sehr aktuellen Diskussion – verfügen bereits über Energiesparbirnen.
Wenn der Spiegel in dieser Sache demnächst mal Position ergreift, weiß ich das jetzt einzuordnen. Insofern doch ein lehrreicher Abend.
Die auftretende Band Lucky Jim sah sich allerdings mit einer Unzahl von Leuten konfrontiert, die sich nicht um die Musik kümmerten, sondern nur um ihren Smalltalk. Journalisten!
Mir platzt da traditionell leicht der Rollkragen, und irgendwann wandte ich mich an die Schnatterschnepfen hinter mir: „Entschuldigen Sie“, sagte ich mit jener gespielten Freundlichkeit, die gerne und zurecht als Vorstufe deutlich bedrohlicherer Sanktionen wahrgenommen wird, „da vorn wird wunderschöne Musik gespielt, möchten Sie nicht lieber zuhören?“
„Oh“, zuckte eine der beiden, die auch noch rauchte, furchtsam zusammen, „sind wir zu laut?“ Ich nickte schmerzlich und verwies auf den weitaus geeigneteren Nachbarraum, in dem zwar genau derselbe psychedelische Spiegel-Kantinenfarbterror das Hirn zum Flirren brachte wie hier, sich aber immerhin keine aparte Indiefolkband das Herz aus dem Leib spielte, um Schnatterschnepfen zum Schweigen zu bringen.
Ich werde nie verstehen, was solche Menschen auf Veranstaltungen wie diese zieht. Geht es ihnen nur um kostenlose Grünkohllasagne in Kräutersoße? Gebratene Scampi auf Pilz-Rucola-Risotto in Safransauce? Geht es nur darum – um Lachstatar auf Reibekuchen mit Kaviarschmand? Quarkklöße mit Pflaumenröster als Nachspeise? Oder den 2005er Tariquet Sauvignon?
Offenbar ja, ja, ja, denn die beiden machten trotz meiner Ansprache genau dort weiter, wo ich sie unterbrochen hatte, wenngleich leiser.
Überall gab es diese summenden Smalltalknester, und ich sah die Vergeblichkeit meiner Bemühungen ein, war aber froh, meinen Frust wenigstens in eine schneidend freundliche Zurechtweisung sublimiert zu haben. Man muss sich Lucky Jim heute Abend als unglückliche Band vorstellen.
In der Spiegel-Kantine hängen übrigens gefühlte zweitausend orange Lampen von der Decke, doch alle – und damit sind wir bei einer sehr aktuellen Diskussion – verfügen bereits über Energiesparbirnen.
Wenn der Spiegel in dieser Sache demnächst mal Position ergreift, weiß ich das jetzt einzuordnen. Insofern doch ein lehrreicher Abend.
14 November 2006
Negerkuss als Bumskopf
Unbemerkt hat sich Schmalhans bei uns zum Küchenmeister aufgeschwungen, zumindest was das Dessert angeht. Keine Schokolade mehr da, nicht mal Erdbeerjoghurt. Und bei mir keine Bereitschaft, noch schnell zu Penny auf der Reeperbahn zu laufen – was nicht ausschließlich abendlicher Faulheit zuzuschreiben ist, sondern vor allem der mangelnden Sachkompetenz Pennys in punkto Süßigkeiten.
Bei Penny, mal ehrlich, kauft man doch nur das allerdings sehr passable Klopapier „Happy End“. So füge ich mich in mein temporäres Schicksal als frustrierter Süßschnabel und schleiche moderat missmutig hinüber in die Prinzenbar, wo John Vanderslice im Angesicht von Stuckengeln ein Konzert spielt.
Und was passiert? Nach dem dritten Stück fragt der Mann, ob es eigentlich schon spät genug für „candy“ sei. Das Publikum, inklusive mir, bejaht ahnungsvoll, woraufhin der vergötterungswerte Künstler anfängt, Schüsseln voller Süßigkeiten zu verteilen, darunter Schokoladenplätzchen mit ganzen Nüssen und Exemplare jenes Schaumgebäcks, welches in Zeiten, als man die Abkürzung „pc“ noch für einen Rechner hielt, als Negerkuss bekannt und beliebt war.
So komme ich doch noch zu meinem Dessert und muss an eine alte Weisheit denken: Wenn du denkst, es geht nicht mehr, kommt von irgendwo ein Lichtlein her. Im Zuge meiner Recherchen zum Negerkuss, der mittlerweile unter dem Tarnnamen „Schokokuss“ eine erneut erfolgreiche Existenz aufgebaut hat, stoße ich auf weitere Bezeichnungsvarianten, wovon mir am meisten die aus dem Bayerischen Wald behagt.
Dort nennt man das Süßgebäck nämlich „Bumskopf“.
Bei Penny, mal ehrlich, kauft man doch nur das allerdings sehr passable Klopapier „Happy End“. So füge ich mich in mein temporäres Schicksal als frustrierter Süßschnabel und schleiche moderat missmutig hinüber in die Prinzenbar, wo John Vanderslice im Angesicht von Stuckengeln ein Konzert spielt.
Und was passiert? Nach dem dritten Stück fragt der Mann, ob es eigentlich schon spät genug für „candy“ sei. Das Publikum, inklusive mir, bejaht ahnungsvoll, woraufhin der vergötterungswerte Künstler anfängt, Schüsseln voller Süßigkeiten zu verteilen, darunter Schokoladenplätzchen mit ganzen Nüssen und Exemplare jenes Schaumgebäcks, welches in Zeiten, als man die Abkürzung „pc“ noch für einen Rechner hielt, als Negerkuss bekannt und beliebt war.
So komme ich doch noch zu meinem Dessert und muss an eine alte Weisheit denken: Wenn du denkst, es geht nicht mehr, kommt von irgendwo ein Lichtlein her. Im Zuge meiner Recherchen zum Negerkuss, der mittlerweile unter dem Tarnnamen „Schokokuss“ eine erneut erfolgreiche Existenz aufgebaut hat, stoße ich auf weitere Bezeichnungsvarianten, wovon mir am meisten die aus dem Bayerischen Wald behagt.
Dort nennt man das Süßgebäck nämlich „Bumskopf“.
17 Oktober 2005
Der Kiezfreak
Warum setzt man bloß eine Vernissage schon um 19 Uhr an? Die noch viel wichtigere Frage: Warum schreibe ich den Termin trotzdem um 20 Uhr in den Kalender? Als ich im Levantehaus in der Mönckebergstraße eintreffe, ist das Buffet jedenfalls schon geräumt, aber der Künstler noch ebenso präsent wie die Getränkevorräte.
Es ist der britische Gitarrist Chris Rea, jener ruhmreiche Verehrer von „Josephine“, der zum Pinsel gegriffen und das gemalt hat, von dem er am meisten versteht: Gitarren. Gitarren. Gitarren. Siehe Foto.
Auf dem Rückweg steige ich in St. Pauli aus der U3 und finde den Bahnsteig klangverseucht vor. Ein wilder Technotrance übertönt brutalstmöglich die üblichen Etüden aus den installierten Lautsprechern. Ich schaue mich um und sehe einen Typen, wie man ihn wirklich nur hier trifft: älterer Herr mit wirren grauen Locken und Schnauzer, obenrum lila Blouson aus Ballonseide, untenrum herzeigbare dunkle Anzugshose, in der Rechten einen Gettoblaster und in der Linken eine Halbliterbüchse Bier, die er mit offenkundiger Routine ihrer Bestimmung zuführt.
Er ist die Quelle des infernalischen Lärms, macht selbst aber einen sehr ungerührten Eindruck. Warum sein Gettoblaster schrillen Technotrance und nicht zum Beispiel Chris Reas „Josephine“ ausspuckt, werden wir nie erfahren, denn ich habe nicht gefragt.
Es ist der britische Gitarrist Chris Rea, jener ruhmreiche Verehrer von „Josephine“, der zum Pinsel gegriffen und das gemalt hat, von dem er am meisten versteht: Gitarren. Gitarren. Gitarren. Siehe Foto.
Auf dem Rückweg steige ich in St. Pauli aus der U3 und finde den Bahnsteig klangverseucht vor. Ein wilder Technotrance übertönt brutalstmöglich die üblichen Etüden aus den installierten Lautsprechern. Ich schaue mich um und sehe einen Typen, wie man ihn wirklich nur hier trifft: älterer Herr mit wirren grauen Locken und Schnauzer, obenrum lila Blouson aus Ballonseide, untenrum herzeigbare dunkle Anzugshose, in der Rechten einen Gettoblaster und in der Linken eine Halbliterbüchse Bier, die er mit offenkundiger Routine ihrer Bestimmung zuführt.
Er ist die Quelle des infernalischen Lärms, macht selbst aber einen sehr ungerührten Eindruck. Warum sein Gettoblaster schrillen Technotrance und nicht zum Beispiel Chris Reas „Josephine“ ausspuckt, werden wir nie erfahren, denn ich habe nicht gefragt.
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