Heute macht der Spiegel mit dem Thema Homöopathie auf. Es ist meines Wissens die erste ernsthafte Kampagne eines meinungsführenden Magazins gegen diesen offensichtlichen Unsinn, der groteskerweise trotzdem von den deutschen Krankenkassen finanziert wird.
Mit der sofortigen Abschaffung dieser Praxis könnte man Abermillionen Kosten im Gesundheitswesen einsparen; und wer weiter von Heilpraktikern mit wirkungslosen Wässerchen umgluckt werden möchte, kann das ja künftig gerne selber bezahlen. Das müssen Leute, die auf dem Rummelplatz zur Handleserin gehen, schließlich auch.
Da die Finanzlage zappenduster ist, könnte diese Spiegel-Kampagne durchaus etwas bewirken. Wie die Krankenkassen es bis dato rechtfertigen, Geld für Heilpraktiker und Zaubertränke aus dem Fenster zu werfen, habe ich vor einiger Zeit selbst herausfinden dürfen, nachdem meine BKK mir enthusiastisch mitgeteilt hatte, sie finanziere ab jetzt auch homöopathische Behandlungen.
Als Anhänger von Heilmethoden, deren Wirkung auch nachweisbar ist, störte es mich natürlich immens, dass mit einem Teil der dreistelligen Summe, die ich monatlich zwangsentrichten muss, blanker Hokuspokus finanziert wird. Daher schrieb ich an die Krankenkasse einen Brief, aus dem eine Korrespondenz erwuchs.
Im Folgenden ist dieser Schriftwechsel mit einer verkniffen herumeiernden Krankenkasse anonymisiert dokumentiert – als Diskussionsbeitrag zur Spiegel-Kampagne, die gerne eine richtige Welle schlagen darf. Denn es geht um Millionen, die zurzeit noch für Quatsch ausgegeben werden, und das muss aufhören. Sofort.
Von: Matt
Betreff: z. Hdn. Frau V. | Artikel über Homöopathie, „Wir für Sie“
Datum: 14. Januar 2006 18:23:10 MEZ
An: ****@bkk***.de
Sehr geehrte Frau V.,
mit großer Verwunderung habe ich Ihrem obengenannten Artikel entnehmen müssen, dass ins Leistungsspektrum der BKK nun auch die Homöopathie aufgenommen wird.
Ich möchte Sie gern auf Folgendes hinweisen: Keine einzige seriöse Doppelblinduntersuchung hat jemals eine Wirksamkeit der Homöopathie nachgewiesen, die über einen reinen Placeboeffekt hinausginge. Und das wäre auch sehr verwunderlich gewesen, denn homöopathische Vorstellungen basieren auf einem Weltbild, das mit den Naturgesetzen nicht vereinbar ist. Es ist ein rein magisches Ideenkonstrukt.
Man kann zugespitzt sagen: Entweder entspricht die Homöopathie der Wahrheit oder der aktuelle Erkenntnisstand von Physik und Chemie – beides zusammen aber kann nicht gehen.
Nur ein Beispiel: Die Homöopathie behauptet, ein Wirkstoff sei auch dann noch aktiv, wenn durch Verdünnung kein einziges seiner Moleküle mehr in der Tinktur vorhanden ist; und sie behauptet zudem, dass NUR dieser verschwundene Wirkstoff noch aktiv sei, aber keiner der tausend anderen Stoffe, die in jeder Tinktur ebenfalls vorkommen.
Absurd, oder?
Für Sie offenbar nicht. Denn in Ihrem Artikel tun Sie das alles mit einem Nebensatz ab, der bei rational denkenden Beitragszahlern nicht nur latente Empörung wecken muss: „Dass einige Schulmediziner oder von der Pharmaindustrie finanzierte Forschungsinstitute zu anderen Ergebnissen kommen“, schreiben Sie, „muss nicht weiter kommentiert werden.“
So, muss es nicht? Oh doch.
So kommt u. a. auch die weder von der Schulmedizin noch von der Pharmaindustrie gesponserte GWUP (Gesellschaft zur wissenschaftlichen Untersuchung von Parawissenschaften e. V.) zu einer verheerenden Einschätzung der Homöopathie. Näheres dazu finden Sie z. B. hier.
Ich protestiere hiermit ausdrücklich dagegen, dass meine Krankenkassenbeiträge an die BKK für eine lachhafte Methode verschwendet werden, die auf lange überholten Vorstellungen aus dem medizinischen Mittelalter basiert.
Und ich fordere Sie auf, die Homöopathie wieder aus dem Leistungskatalog zu entfernen.
Ich freue mich auf Ihre Stellungnahme.
Mit besten Grüßen
Matt
Von: H. B. <***@bkk***.de>
Betreff: Artikel über Homöopathie, "Wir für Sie"
Datum: 18. Januar 2006 12:38:24 MEZ
An: Matt
Sehr geehrter Herr Wagner,
Ich habe Ihre Email von Frau V. zur Beantwortung erhalten.
Vielen Dank für Ihre kritische Nachricht. Wir haben uns im Vorfelde sehr intensiv mit der Thematik befasst und sehr lange überlegt, ob wir diese Leistung unseren Kunden anbieten können. Wie Sie wissen, ist die Homöopathie sehr umstritten. Fakt ist, dass sehr viele Kunden den Wunsch nach Kostenbeteiligung alternativer Behandlungsformen uns gegenüber geäußert haben. Die Aufnahme der Homöopathie in unseren Leistungskatalog – so wie sie jetzt von uns angeboten wird – betrachten wir als Quantensprung. Ich möchte Ihnen das kurz erklären:
– Zweifelsohne gibt es sicherlich auch sehr gute Heilpraktiker.
– Beachten Sie hierbei jedoch, dass die Bezeichnung Heilpraktiker nicht geschützt ist, d.h. jeder kann sich nach einem Wochenendseminar so nennen.
– Bitte beachten Sie auch, dass wir eine gesetzliche Krankenkasse sind, d.h. wir dürfen uns laut Gesetz nur an den Leistungen beteiligen, die von niedergelassenen Vertragsärzten erbracht werden!!!
– Wir haben also einen Weg gefunden, unseren Kunden zumindest unter bestimmten Voraussetzungen homöopathische Behandlungen zur ermöglichen.
Ich hoffe, Sie bleiben uns wohl gesonnen und verbleibe mit sonnigen Grüßen.
Mit freundlichen Grüßen
H. B.
Leiter Vertrags- und Versorgungsmanagement
BKK ***
Von: Matt
Betreff: Re: Artikel über Homöopathie, "Wir für Sie"
Datum: 21. Januar 2006 01:00:40 MEZ
An: H. B. ***@bkk***.de
Sehr geehrter Herr B.,
vielen Dank für Ihre Mail.
Sie bezeichnen darin die Homöopathie als „umstritten“. Nun, es gibt auch noch immer Menschen, die ernsthaft glauben, die Erde sei vor 6000 Jahren von einem Mann mit weißem Bart erschaffen worden. Die Wissenschaft sagt etwas anderes. Und damit ist das Problem sicherlich auch „umstritten“.
Aber mal ehrlich: Man muss doch immer beurteilen, welche Position plausibler ist! Es geht darum, was beweisbar ist und was nicht. Und die Homöopathie ist alles andere als das – sie ist schlicht Humbug. Und sie kann ja auch nichts anderes sein als Humbug, wenn man ihre Methoden unter die Lupe nimmt. Denn wie ich in meiner ersten Mail schon ausführte: Entweder die Naturgesetze stimmen oder die Homöophathie.
Ihre Aufgabe als Krankenkasse müsste es doch sein, uninformierte und gutgläubige Patienten aufzuklären, damit Sie medizinisch wirksamen Behandlungen eher vertrauen als dem Humbug. Doch nein: Stattdessen finanziert die BKK diesen Irrglauben lieber stillschweigend. Wie kann das sein? Geschieht das nur aus Angst, Patienten zu verlieren oder keine neuen zu gewinnen? Ich bin überzeugt: Mit einer Aufklärungskampagne, die klar machen würde, worin der Unterschied zwischen evidenzbasierter Medizin und Zauberei liegt, könnten Sie viele Patienten gewinnen.
Im weiteren Verlauf Ihrer Mail wird zunehmend unklar, worauf sie überhaupt hinauswollen. Können Sie mir noch einmal genau erläutern, aus was der von Ihnen geschilderte „Quantensprung“ bestehen soll? Mir jedenfalls scheint er ein kläglicher Hops direkt ins Spätmittelalter zu sein.
Dann verstehe ich auch nicht, was sie zu Heilpraktikern schreiben. Man macht ein Wochenendseminar und ist einer – wie soll so jemand mir helfen können, wenn ich krank bin? Und wieso soll so jemand meine Krankenkassenbeiträge kassieren dürfen? Egal, wie gut er ist: Das ist doch skandalös!
Ihre Argumentation hin zum unterstrichenen Teil ist dann leider gar nicht mehr nachzuvollziehen. Natürlich dürfen Sie sich nur an Leistungen beteiligen, die von niedergelassenen Vertragsärzten erbracht werden. Aber was hat das mit Ihrer Entscheidung zu tun, eine irrationale Lehre von anno dunnemals zu finanzieren?
Wenn es nur um die angeblich so liebevolle Zuwendung geht, die Heilpraktikern ihren Patienten entgegenbringen: Dazu ist doch sicherlich auch ein engagierter Arzt in der Lage, der den Freiraum eingeräumt bekommt, ohne dass er deshalb magischen Hokuspokus entfachen muss; solche Ärzte gilt es zu unterstützen mit entsprechenden Anreizen – und nicht die Absolventen von Wochenendseminaren.
Wie Sie sehen, hat Ihre Mail leider nichts zur Klärung unserer Fragen beigetragen. Und sie hat auch unsere Wohlgesonnenheit, die Sie sich wünschten, keineswegs gefördert.
Somit setze ich auf eine Präzisierung. Und ich hoffe natürlich weiterhin inbrünstig und im Interesse aller Patienten darauf, dass Sie unsere Mitgliedsbeiträge nicht für nachgewiesenermaßen wirkungslose Methoden verschwenden.
Mit besten Grüßen
Matt
Von: H. B. ***@bkk***.de
Betreff: Homöopathie
Datum: 27. Februar 2006 16:09:53 MEZ
An: Matt
Sehr geehrter Herr Wagner,
Herzlichen Dank für das große Interesse an unserem integrierten Versorgungsvertrag "Homöopathie" nach § 140a Sozialgesetzbuch (SGB) V. Bitte entschuldigen Sie, dass ich Ihnen nicht postwendend antwortete. Ich habe Ihre Mail vom 27.02.06 an Herrn T. zur Beantwortung erhalten.
Mit dem Versorgungsvertrag nach § 140a SGB V schaffte der Gesetzgeber den Krankenkassen die Möglichkeit neue Versorgungsformen unseren Versicherten anzubieten. Von diesem Angebot haben wir Gebrauch gemacht und mit dem Deutschen Zentralverein homöopathischer Ärzte in Bonn einen Versorgungsvertrag abgeschlossen. An die teilnehmenden Vertragsärzte (Ärzte mit einem Kassenarztvertrag) und an dem Vertrag sind hohe Qualitätsanforderungen sowie eine langjährige Weiterbildung gestellt. Der Versorgungsvertrag behandelt keineswegs die zur Auswahl stehenden Therapien oder homöopathischen Arzneimittel sondern die Erst- und Folgeanaemnese.
Aus Gesprächen mit unseren Versicherten erfahren wir, dass sie über längere Zeiträume mehrere Ärzte aufgesucht haben, ohne das es zu einer Besserung des Krankheitsbildes kommt. Diesen Menschen können wir eine Alternative bei Schulmedizinern anbieten. Die Vereinbarung ist für jeden Versicherten freiwillig. Er kann über eine Vereinbarung mit einem der am Vertrag teilnehmenden Ärzte beitreten.
Insofern ist uns dieser Quantensprung durch den neuen § 140a SGB V eröffnet worden. Ich kann Sie beruhigen, Beitragsmittel werden hier nicht verschwendet, da der Gesetzgeber hierfür die Möglichkeit der monetären Kompensation über die Kassenärztlichen Vereinigungen und Krankenhäuser geschaffen hat.
In diesem Zusammenhang möchte ich noch darauf hinweisen, dass das Bundesverfassungsgericht mit Beschluss vom 06.12.2005 sich mit der Thematik der neuen Untersuchungs- und Behandlungsmethoden und auch kritisch mit der höchstrichterlichen Rechtsprechung auseinandergesetzt hat. Das Bundessozialgericht wurde in dem Klagefall zur erneuten Entscheidung verpflichtet. Unter bestimmten Bedingungen werden die Krankenkassen demnach verpflichtet auch bei alternativen Behandlungsmethoden die Kosten zu übernehmen.
Mit freundlichen Grüßen
HB
Von: Matt
Betreff: Re: Homöopathie
Datum: 27. Februar 2006 18:01:42 MEZ
An: H. B. ***@bkk***.de
Sehr geehrter Herr B.,
danke für Ihre Antwort.
Ich werde mich nach einer Krankenkasse umschauen, die explizit KEINE Pseudowissenschaft und Esoterik unterstützt.
Mit freundlichen Grüßen
Matt
PS: Eine Bitte an alle Esos, Bachblütenblödis und Horoskopheinis: Sagt einfach mal gar nichts. Die Homöopathie ist abschließend widerlegt, es handelt sich lediglich um einen Placeboeffekt. Und ja: Er wirkt manchmal auch bei Hunden.
In einem Behandlungszimmer meines Hausarztes – zum Glück im kleinsten, schäbigsten und deshalb von mir zuvor noch nie betretenen – hängt ein Riesenplakat an der Wand. Es ist überschrieben mit „Ohrakupunktur-Tafel“.
Diese Übersicht, bei der Hirnrissigkeit und Detailreichtum eine unheilvolle Allianz geschmiedet haben, behauptet, es gäbe Punkte an meinem Ohr, die hingen direkt mit meinem Hintern zusammen. Oder meiner Gebärmutter.
Das Plakat faselt von „Meridianen“ und „Energielinien“, also lauter zusammenfantasierten Schimären, deren experimenteller Nachweis bisher immer laut krachend scheiterte und für deren Erforschung man deshalb hinfort bittebitte keinen Cent mehr ausgeben soll. Abgemacht?
Das Plakat als solches wäre natürlich kein Problem (ich meine, es gibt Leute, die lesen Vampirromane und hängen trotzdem keinen Knoblauchkranz ans Küchenfenster) und sein Verfasser nur ein interessanter Fall für einen einfühlsamen Psychotherapeuten – …
… hinge dieses Ding nicht ausgerechnet im Behandlungszimmer meines Hausarztes.
Was kommt als nächstes – Voodoopuppen? Das Handeln dieses mir stets ehrenhaft und seriös vorkommenden Mannes schien mir bisher von überprüfbaren Erkenntnissen geprägt und weniger von Spinnereien aus einer eh von Spinnereien komplett durchsuppten Zeit, als man noch an Drachen, fliegende Teppiche und die Scheibenform der Erde glaubte.
Kurz: Ich war nachhaltig erschüttert.
Dummerweise ist der Mann gerade im Schiurlaub, weshalb ich ihm nicht persönlich mein Vertrauen entziehen konnte. Und vielleicht – an diese Hoffnung klammere ich mich jetzt – weiß er auch gar nichts von diesem vertrauenserodierenden Schaubild, sondern es war die Interims- und Assistenzärztin, die den (auch künstlerisch erbärmlichen) Humbug heimlich aufgehängt hat.
Bei ihrer Diagnose verließ sie sich übrigens dann doch lieber auf Laboranalysen und Röntgenbilder. Sonst hätte ich ihr auch was gehustet.
(Andererseits: Das hab ich auch so. Aber aus anderen Gründen.)
PS: Von irgendwelchen ohrakupunkturverteidigenden Kommentaren bitte ich dringend abzusehen. Der Effekt wird eh nur der sein, dass ich das Bedürfnis verspüre, Ihnen die Nummer eines einfühlsamen Psychotherapeuten rauszukramen. Und danach können Sie schließlich auch selber googeln.
Du bist noch längst kein guter Mensch, nur weil du diskriminiert wirst.
Jede Wahrheit braucht einen Mutigen, der sie mit bunter Kreide auf den Gehweg vor der Kita Zapperlot in der Seilerstraße kritzelt.
Mutig war gestern auch die Frankfurter Allgemeine Zeitung. Dort geschah etwas Ungeheuerliches, etwas so Unvorstellbares, dass ich noch immer nicht sicher bin, ob es wirklich stimmt. Denn Nils Minkmar, Autor der FAZ, schrieb einen langen, traurigpoetischen Abgesang auf den Neoliberalismus – in der FAZ.
Das muss man sich mal vorstellen, kann es aber nicht.
Die FAZ ist berühmt dafür, das Goldene Kalb des Neoliberalismus jahrzehntelang unermüdlich umtanzt zu haben. Und jetzt sagt FAZ-Autor Minkmar in einer epischen Elegie, diese Geschichte sei nun zu Ende. Es müsse eine neue folgen.
Und erst jetzt, wo ausgerechnet die FAZ den Neoliberalismus fallen lässt wie einst die Menschen ihren Glauben an die Scheibenform der Erde, erst jetzt, wo ausgerechnet die FAZ vom verlorenem Glauben spricht und eine Ahnung durchscheinen lässt von der Esoterik, die in der Vorstellung von der Selbstregulierung eines freien Marktes liegt, erst jetzt glaube ich es wirklich, ausgerechnet dank der FAZ:
Dass der globalisierte Kapitalismus am Ende ist.
Heute kam mir eine wichtige Erkenntnis, natürlich auf der Arbeit. Sie lautet:
Wenn man nicht mehr weiß, wo einem der Kopf steht,
kann man ihn wenigstens nicht verlieren.
Eine Erkenntnis, die keinesfalls durch weitere Erörterungen verwässert werden darf. Höchstens buchstäblich – durch ein Foto der Elbe bei Blankenese.
Es ist furchtbar. Draußen grinst uns noch immer frech der Winter an, doch bereits in zehn Wochen werden die Tage wieder kürzer.
Dann ist der Sommer gefühlt so gut wie rum, und die Eichhörnchen in Planten un Blomen werden allmählich anfangen, Nüsse zu verstecken. Schon das allein ist zum Heulen.
Doch nur zwei Wochen nach dem Beginn des Kürzerwerdens der Tage ist auch die Europameisterschaft, auf die ich mich seit zwei Jahren freue, nur noch Erinnerung.
Es ist alles ganz furchtbar. Kann das alles mal irgendjemand stoppen, bitte?
„Das ist das Drama: Alles hat seinen Preis in der Marktwirtschaft, jeder Kauf entscheidet darüber, wie wir leben, und jene, die am wenigsten haben, sind gleichzeitig diejenigen, die mit der Kaufentscheidung dafür sorgen, dass es weiterhin Dampf für die Maschinerie des Niedergangs gibt.“ Don Alphonso
Zurzeit hält jeder Hype nur noch zehn Minuten. Die hippe MySpace-Band von heute Morgen ist schon mittags wieder öde. Dem noch gestern ultracoolen Laptop fehlt die Killerapplikation des Folgemodells. Und das iPhone gibt’s erst ab November. Verdammt.
So denken sie, die Trendlämmer.
So denken wir doch, nicht wahr?
Noch nie hatten die Profi(t)trendsetter uns Dummerchen so im Griff wie heute. Lemminggleich hecheln wir Teens, Twens und Berufsjugendlichen dem neuesten Hype hinterher und gleich danach dem allerneuesten. Wie die Karnickel sollen wir den geilen Akt des Konsumierens vollziehen – und wehe, es wird dank des überzogenen Dispos ein Coitus interruptus. Autsch.
Wir wundern uns, dass die Welt vor die Hunde geht – aber warum wundern wir uns bloß? Unser eigener Erneuerungswahn ist doch schuld daran. Denn dem geilen Konsumakt geht in aller Heimlichkeit etwas viel Ungeileres voraus: ein Akt der Zerstörung durch Produktion.
Das ist doof, das ist unschön, und deshalb sollten die Dinge am besten recht lange halten. Sollte man meinen. Doch ganz im Gegenteil: Nur das erwünschte Kaputtgehen und Uncoolwerden von allem und jedem hält uns Hamster im Riesenrad am Laufen – und verzehrt zugleich die Ressourcen, die wir doch retten wollten, als wir neulich auf Ökostrom umstiegen.
Mal ehrlich: Wer die Welt wirklich retten will, der muss aufhören, sie zu verbrauchen. So simpel ist das.
Und so schwer ist das.
Unser ganzer Lebensstil nämlich – und mit ihm diese Ikone namens Wachstum – gehört vor Gericht. Klingt übel, ist es auch. Aber es ist wahr.
Jeder, der sich neue Schuhe kauft, obwohl die alten noch halten, beteiligt sich an der Zerstörung, ob er nun Grün wählt oder nicht. Jeder, der Auto fährt, obwohl er auch laufen könnte, bricht ein Stückchen Substanz aus dem Gefüge der Dinge. Jeder, der irgendeinem Trend folgt, obwohl er bis jetzt auch ohne ganz zufrieden war, schubst die Erde weiter Richtung Abgrund, selbst wenn er ein Hemd von American Apparel trägt und Burger bäh findet.
Das Bescheuertste daran: Trendhörigkeit – also unsere hocherwünschte Jagd nach der Coolness, dem Hype, dem jüngsten Schrei – geht immer aus wie das Rennen zwischen Hase und Igel. Du kannst nicht gewinnen. Oder für höchstens zehn Minuten. Denn überall ist es cooler, wo wir nicht sind. Momentan zum Beispiel in den USA, wo sie das iPhone schon kaufen können. Verdammt.
Wer die Welt wirklich retten will, muss ans Eingemachte.
Er. Muss. Den. Kapitalismus. Abschaffen.
So einfach ist das.
Und so schwer ist das.
Denn natürlich heißt das nicht, dass ein anderes System automatisch die Welt retten würde. Doch keinem anderen ist die permanente Zerstörung des Bestehenden so sehr ein Herzenswunsch wie der – ähem – sozialen Marktwirtschaft. Ihre ganze Dynamik schöpft sie aus dem möglichst raschen Uncoolwerden all dessen, was verkauft ist. All das schon Bezahlte ist aus ihrer Sicht mausetot, und deshalb muss sie neue Hypes ausrufen, möglichst global. Sie muss das aus ihrer Sicht Tote, weil Bezahlte auch uns Dummerchen als tot suggerieren, selbst wenn’s noch wunderbar funktioniert.
Weil die Dinge nicht schnell genug verrecken, macht die Marktwirtschaft uns zu Trendlämmern – ums Verrecken.
Ihre schlimmsten Alpträume drehen sich deshalb um die Schrecken unkaputtbarer Kleidung und ewig brennender Glühbirnen. Sie gruselt’s beim Gedanken an rostfreie Autos, an korrosionsfeste Häuser. Und die schlimmsten Depressionen kriegt sie, wenn sie sich vorstellt, wir, die Konsumenten irgendwo hier draußen, würden keinen Hypes mehr folgen. Der Horror.
Deshalb muss die Marktwirtschaft mit ihren Hilfstruppen, den Werbern, die Coolness täglich neu definieren, muss panisch neue Hypes kreieren und befeuern.
Der Todfeind des Kapitalismus ist unsere Bedürfnislosigkeit. Doch nur sie würde die Welt retten.
Wer cool sein will, sollte das wissen. Und erst dann losgehen, um sich ein iPhone zu kaufen. Und natürlich die nächste Ausgabe des U_mag.
(Dieser Text steht auch in der Oktoberausgabe des U_mag.)
Wieso eigentlich kaufen die Chinesen plötzlich unsere ganze Milch? Ich dachte immer, sie könnten sie gar nicht verdauen.
Nein, mit Logik kommt man manchmal einfach nicht weiter. Zum Beispiel gibt es Radrennfahrer, die schmieren sich abends ein Testosterongel auf den Arm, obwohl sie wissen, dass der Missbrauch der Paste pipileicht auffliegt.
Wie Patrik Sinkewitz, der heute endlich alles zugegeben hat. Am 18. Juli klang das noch einen Tuck anders, wie mein vorsorgliches Bildschirmfoto seiner Webseite dokumentiert.
Seitdem habe ich auf zweierlei gewartet: auf Sinkewitz’ Einknicken und das Verschwinden seines Dementis. Heute geschah beides. Er gab alles zu, und unterm 18. Juli steht auf einmal etwas ganz anderes.
Pinocchio Sinkewitz hat die dreiste Lüge flugs gegen ein dopingbereinigtes Bulletin ausgetauscht; jetzt betreibt der Mann auch noch Geschichtsklitterung. Ts, ts.
Übrigens verdamme ich das Lügen nicht grundsätzlich; schließlich soll das jedem von uns rund 200-mal pro Tag unterlaufen, meistens unmerklich. Doch man sollte lieber keine Lüge wagen, deren Entdeckung einen dazu zwingt, monatelang mit hochrotem Kopf rumzulaufen.
Sinkewitz tat fatalerweise genau das, und er dachte, jetzt lösch ich den peinlichen Quatsch einfach und behebe damit das Problem. War aber nix.
Uns Normallügnern droht gemeinhin nur dank eines Sonnenbrands ein hochroter Kopf, doch den zu erwerben fällt in diesem grausamen Juli immens schwer. Dafür bietet der pflichtvergessene Monat wenigstens weiterhin den Vorteil eines actionreichen Himmels.
Über den Kiez ziehen zurzeit gewaltige Wolkenwattebäusche, die geformt sind wie Walhaimünder oder wie Riesenmäuseköpfe mit liegenden Nixenkörpern. Manche sehen sogar aus wie der Drache Fuchur, und einer erinnerte mich geradezu an ein plattes Fahrrad.
Wobei der letzte Vergleich erstunken und erlogen ist. Aber sonst stimmt alles, ehrlich.
Wir fliegen nie (okay, das liegt an meiner Flugangst), und wir fahren kein Auto.
Wir essen vor allem frische, unverpackte Lebensmittel, beziehen Ökostrom und stolpern lieber im Dunkeln durchs Treppenhaus, als diese dämonische Nichtenergiesparlampe anzuknipsen.
Und trotzdem: Lebten alle so wie Ms. Columbo und ich, bräuchten wir exakt 2,3 Planeten.
Ja, was sollen wir denn NOCH tun, Himmelsakra?
(Auf den Link zu diesem teuflischen Test wies mich dieser Herr hin. Na, danke auch …)
Das Leben ist zugleich
Einbahnstraße und Sackgasse.
Tolle Kombination, echt.
In gerade mal zwölf Wochen wird die Badesaison
schon wieder vorüber sein.