Posts mit dem Label zint werden angezeigt. Alle Posts anzeigen
Posts mit dem Label zint werden angezeigt. Alle Posts anzeigen

09 Oktober 2010

Ein Tag im Amüseum

Am Freitagvormittag schlenderte ich durch milchigen Herbstsonnenschein rüber zur inoffiziellen Eröffnung des Sankt-Pauli-Museums in der Davidstraße, wohin mich der Initiator und Exponatebestücker Günter Zint eingeladen hatte.

Ich war ein paar Minuten zu früh dran und machte daher noch einen Abstecher in die Herbertstraße, einfach um zu sehen, wie es da wohl an einem milchigen Oktobertag gegen 11 Uhr morgens ausschaut. Nun: trist.

Ich war der einzige Flaneur, die meisten Schaufenster präsentierten einen verwaisten Stuhl, der mit dem üblichen riesigen Handtuch vor was weiß ich geschützt worden war. Nur drei bis vier Damen waren schon im Dienst und langweilten sich. Sie machten Koberversuche, deren erschütternde Halbherzigkeit angemessen war angesichts der langen Schicht, die sie noch vor sich hatten.

Inzwischen war es 11, das „Amüseum“ (Zint) ließ nun Presse und Kiezblogger ein. In der Einladung hatte mich vor allem der verheißene „familienfreundliche Ü-18-Bereich“ neugierig gemacht. Widerspicht sich das nicht – gerade und vor allem in einer Welt, deren Deutungshoheit just Stephanie Freifrau zu Guttenberg (32) übernommen hat?

Im Herzen des Museums jedenfalls fand sich dieser sog. familienfreundliche Ü-18-Bereich, abgetrennt von schweren weinroten Vorhängen. Dahinter: Bilder und sehr explizite Videos aus dem vor 12 Jahren eingegangen Sexvarieté Salambo in der Großen Freiheit. Man fühlt sich sofort heimisch, also wie bei YouPorn.

Das Salambo brummte dekadenlang nicht wegen seiner theatralischen Qualität, sondern weil es auf der Bühne kondom- und kompromisslos rundging. Und „familienfreundlich“ war der Laden natürlich deshalb, weil nachweislich mindestens drei Kinder während der öffentlichen Rammeleien gezeugt wurden.

Was machen diese Kinder wohl heute? Und ihre Eltern …? Aus einer Vitrine der Star-Club-Abteilung schaut übrigens ein erstaunter, vielleicht auch irgendwie sehnsüchtiger Paul McCartney genau auf den abgesperrten Salambo-Bereich.

Am Ende des Rundgangs wollte ich noch ein kleidsames Sankt-Pauli-Museum-T-Shirt erstehen, welches mithilfe eines aufgeflockten Spruchs die unmittelbar einleuchtende These vertritt, Hamburg sei ein Vorort von St. Pauli.

Als ich die erforderlichen 14 Euro rauskramte, stellte sich jedoch heraus, dass ich mich verhört hatte: Das Hemd kostet 40 Euro. Ich verhängte daraufhin erst mal ein zunächst unbefristetes Moratorium.

Ab sofort ist das noch in der Entwicklung begriffene Museum, das die Kiezgeschichte chronologisch und höchst komprimiert von der ersten Besiedlung bis heute erzählt, für die ganze Welt geöffnet. Wer die Kiezpostleitzahl 20359 hat (
ich rede mir ein, das sei eine Lex Wagner), kommt für nur 3 statt 5 Euro rein.

Geil: Nach nur 20 Besuchen habe ich also so viel Geld gespart, dass ich mir davon ein Sankt-Pauli-Museum-T-Shirt kaufen kann. Manchmal bin ich richtig stolz auf meine kaufmännische Gewitzheit.



02 August 2010

26 Juli 2010

Indianerbier fürs Wegsteckhuhn

Wieder mal ein Sonnensonntag, den wir zum fröhlichen Kreuzen auf der Elbe nutzten.

Auf der Fähre von Finkenwerder zum Fischmarkt telefonierte eine Touristin im späten Teenageralter mit Mama, während der steife Westwind ihr fast die total coole Riesenretrosonnenbrille vom Näschen riss, die offenbar gerade auch auf dem Westerwald total cool ist (die Brille, nicht das Näschen).

Denn dort schien mir die junge Frau herzukommen; so klang jedenfalls ihr Dialekt (und mit dem kenne ich mich ganz gut aus).

Gestern Nacht war sie mit Freunden erstmals in ihrem Leben durch die Clubs und Spelunken der Großen Freiheit
(Foto) gezogen, das war total aufregend, und davon musste sie Mama jetzt berichten.

„Ich hätt drei Handynummänn krieche kenne“, erzählte sie nicht unstolz. „Han ich awwer net gemacht.“

Braves Mädchen.

Auf der Großen Freiheit hätte sie neben Handynummänn aber auch viele Kiezvokabeln aufschnappen können. Zum Beispiel „Indianerbier“: Das wurde aus lauter Resten zusammengeschüttet. Oder „Frikadellenpuff“. So nennt man auf St. Pauli eine Pommesbude, zumindest in Kreisen.

Ich weiß so was übrigens nicht von einschlägigen Bekannten, die solcherart Sprech als Umgangston pflegen, sondern aus Günter Zints legendärem Buch „Die weiße Taube flog für immer davon“ (1984), woraus neulich im Silbersack gelesen wurde.

Der Touristin aus dem Westerwald wäre manches davon aber doch vielleicht eine Spur zu derbe gewesen, nehme ich mal an. Zum Beispiel „Wegsteckhuhn“:

So nennt der lakonische Lude eine Hure, die es wirklich macht.


23 Juni 2010

Besuch in der Herbertstraße



Heute betrat ich die sagenumwobene Herbertstraße, allerdings nur zum Besuch einer Bar- und Ausstellungseröffnung und sonst gar nichts.

Die Adresse lautete Herbertstraße 7. „Hoffentlich verwechsle ich nicht den Eingang“, hatte ich zum Abschied noch scherzhaft zu Ms. Columbo gesagt – und verwechselte dann auch prompt den Eingang nicht.

Allerdings wäre selbst das gar nicht so schlimm gewesen, denn die illustre Hurenschar, die hier normalerweise in den Fenstern sitzt und thematisch abgestufte Dienste offeriert – von Schmusekätzchen über Wuchtbrumme bis Peitschenfrau –, hatte sich vorsichtshalber in ihre Gemächer zurückgezogen angesichts der zu erwartenden Journalist(inn)en und des einen Bloggers (= moi).

Mit O-Saft und Prosecco
begossen wurde nämlich die Eröffnung der Kontaktbar Domenicas Lounge, wo diverse Fotos der legendären Sexdienstleisterin an den Wänden hängen und die Flasche Dom Perignon (warum eigentlich IMMER Dom Perignon?) 750 Euro kostet.

Sofern dem kontaktgeneigten Gast das zu hoch erscheint, kann er auch ausweichen auf Wodka für 150 den Liter oder einen Cappuccino für sagenhaft schmale 2 Euro. Alles darf, nichts muss.

Ich nutzte die einmalig kostengünstige Gelegenheit, um einen benachbarten und wie gesagt verwaisten Hurenpräsentationsraum aufzusuchen (Foto oben), weil man so was sonst immer nur von außen sieht und ethnologisch-kiezkulturelle Aspekte unbedingt für eine nähere Inaugenscheinnahme sprachen.

Erstes Fazit: Alles ist immer rot. Übrigens auch die Wände von Domenicas Lounge und sogar der Schirm im … hüstel … Ständer.

Unter den Gästen waren diverse altgediente Kiezianer, und dementsprechend verliefen auch die Dialoge. Einer erzählte von seinem Vater, der im Krieg in Frankreich stationiert war und den Nazigrößen Prostituierte zuführen musste.

„Mein Vater“, erzählte er, „konnte nämlich Französisch.“ Rückfrage des etwa gleichalten Günter Zint: „Auch die Sprache?“

Nur wenige Meter entfernt von der neuen Bar saß übrigens Domenica einst im Fenster und buhlte um devote Kunden. Der verwaiste Stuhl, der heute dort zu sehen war, verströmte eine gewisse Melancholie und schien zu flüstern: Alles ist endlich, auch die Liebe und die Lust.

Obwohl die Liebe sicherlich nur sehr selten vorbeischaute in der Herbertstraße 7. Wenn überhaupt.

--> Die beliebtesten Tags: Brief | Bus | Einzelhandel | Franke | Fußball | Obdachlose | Panne | Reeperbahn | Sex | Skurriles | Sprache | St. Pauli| Typen


23 März 2010

Freibier dank Erwin



Morgen Nachmittag (24. März) um 17 Uhr findet eine Abschiedsfeier für den im Februar verstorbenen Kiezmaler Erwin Ross statt, und zwar im Hamborger Veermaster an der Reeperbahn 162.

Natürlich gibt es dort auch einige seiner Werke zu sehen, darunter ein unvollendetes Beatles-Bild. Ab 20 Uhr singt der Hopfenchor Hamburger Lieder, und damit die Trauerfeier nicht gar zu traurig wird, gibt es Freibier – von Carlsberg in Flaschen, von Warsteiner in Fässern.

Wer Astra vermisst, muss sich halt selber welches mitbringen. Is so.

Foto: Günter Zint

24 Februar 2010

Was Kirche und Kiez trennt



Wer aktuell erwägt, zum Christentum zu konvertieren, hat die Qual der Wahl, aber buchstäblich.

Wo soll er bloß hin – zu den Kinderf*ckern, die vor jeder neuen Vergewaltigung die letzte einfach wegbeichten? Oder doch lieber zu den Suffköppen, die den Abendmahlswein wegkippen, als gäbe es selbst für sie kein Morgen?

Hach, es ist ein Krux mit dem Kreuz. Da lobe ich mir doch den Kiez: Hier ist der Sex nicht ganz so tabulos, und wer besoffen Auto fährt, ist in der Regel noch clever genug, sich nicht erwischen zu lassen.

Womit wir völlig unelegant überleiten können zum legendären Tittenmaler Erwin Ross, den Günter Zint, der unermüdlichste Kiezfotograf aller Zeiten, unzählige Male in seinem Leben abgelichtet hat.

Heute mailte mir Günter – selbst ein Kiezoriginal wie viele seiner Motive – einige sehr schöne Ross-Fotos, von denen ich hier eins dokumentiere.

Will sagen: Wer für Bücher, Filme oder was weiß ich St.-Pauli-Bilder aus knapp fünf Jahrzehnten braucht, der kommt an Günters Archiv nicht vorbei – und sollte sich einfach mal mit ihm in Verbindung setzen.

PS: Nein, er bezahlt mich NICHT für diesen Blogbeitrag.
Er wusste nicht mal was davon.


10 September 2009

Ein Ruck muss durch Ole gehen!



Wenn man während einer Busfahrt das Glück hat, neben dem legendären Fotografen Günter Zint zu sitzen, ist der Ausflug gerettet, egal was sonst noch passiert. Der Mann ist nämlich ein Anekdotenspringbrunnen.

Kein Wunder: Zint fotografierte einst im Starclub, er lernte die Beatles kennen, spielte zu Hause Jimi Hendrix Platten vor, zog mit Günter Wallraff konspirativ durch die Lande – und wies unlängst noch Eric Burdon (The Animals) darauf hin, dass er Mist schreibt in seiner Autobiografie, wenn er behauptet, er habe nie im Starclub gespielt. Hat der gute Eric nämlich doch, und Günter kann es beweisen, er war nämlich dabei.

Zint betreibt seit 1991 das Sankt-Pauli-Museum in der Hein-Hoyer-Straße, eine Schatzkiste ohnegleichen, nicht nur wegen des gewaltigen Zint’schen Fotoberges. Es dokumentiert in vielfältiger Form das Leben und Treiben auf dem Kiez im Lauf der Zeiten – und ist jetzt in Gefahr.

Denn die Stadt will den eh mageren Jahreszuschuss nicht mehr zahlen; schließlich muss unser Erster Bürgermeister Ole von Beust jeden Cent zusammenkratzen, um den städtischen Anteil am 450-Millionen-Projekt Elbphilharmonie zu wuppen.

Günter Zint und seine Tochter Lena, die gerade eingestiegen ist, könnten das Sankt-Pauli-Museum mit einem Tausendstel dieser Summe länger betreiben, als es je Huren in der Davidstraße geben wird, aber das kriegen die Zints nicht, das Tausendstel.

Deshalb hat Günter der Stadt zwei Vorschläge gemacht, von denen sie sich einen aussuchen kann – und Ole wäre echt mit der Angelrute gepeitscht, wenn er das nicht täte.

Zum Beispiel wäre der generöse Günter bereit, das komplette Museum der Stadt zu übereignen, wenn sie ihm, dem 68-Jährigen, hinfort eine monatliche Leibrente von 2500 Euro zahlte. Dafür will er sich sogar noch weiter ums Museum kümmern. Das wäre der billigste Kulturschatz, den Hamburg je erworben hätte, selbst wenn Günter 100 würde, was ihm unbedingt zu wünschen wäre.


Also, Ole: Gib dir einen Ruck!


Im Rahmen der Busfahrt hat er mich übrigens fotografiert, der legendäre Knipser. Viel mehr werde ich im Leben nicht erreichen können.

Und natürlich habe ich mich revanchiert.


08 März 2009

Die letzte Reise ist rosa

Eine herzförmige rosa Urne mit gleichfarbiger Schleife drumrum.

Darin wird Domenica, die barocke Exkönigin der Herbertstraße, am Mittwochmorgen der Hamburger Erde überantwortet.

Nichts weniger als: kongenial.

(Foto mit freundlicher Genehmigung von Günter Zint)