27 September 2016

Der weltweit mieseste Espresso von ganz Wien


Hiermit möchte ich eine Reisewarnung für Wien aussprechen. Nicht für die ganze Stadt natürlich, aber für das Café am Raimundhof.

Ein uns grundlos übel gesinntes Schicksal ließ uns gestern dort einkehren, angelockt von der Verheißung eines Espressos und dem auf der draußen platzierten Tafel offerierten Apfelstrudel.

Der Espresso war völlig ungenießbar – als hätten die Bohnen nach der Röstung zwei Jahre unter verfaultem Heu verbracht. Noch niemals in meiner Kaffeekonsumptionskarriere habe ich ein aufgebrühtes Getränk dieser Provenienz nicht ausgetrunken, hier aber war es mir unmöglich.

Und der Apfelstrudel schmeckte, als sei „Coppenrath & Wiese in der Mikrowelle ermordet worden“ (O-Ton Ms. Columbo). Also, meine Damen und Herren, wenn Ihnen Ihr Leib und Leben und die Erinnerung an Wien wichtig sind, dann meiden Sie unbedingt das Café am Raimundhof!

Zumal der Wirt, als ich ihm schonend die Ungenießbarkeit seines Gebräus nahezubringen versuchte, mit Unverständnis reagierte („Döhs is unser gonz nommaler Kaffee.“) Selbstverständlich landete die unglückselige Tasse demzufolge – obgleich nur zur Hälfte konsumiert – auch auf der Rechnung. Also bleiben Sie bloß da weg! Gehen Sie lieber ins Café Ritter, obwohl man dort keine Kartenzahlung (österreichisch: „Bankomat“) akzeptiert.

Wo ich mich in Wien nicht rangetraut habe, ist eine hierzulande spezifische Variante meines Lieblingsgetränks, nämlich der „Oilesso“. Als Purist, der weder Zucker noch Milch noch Alkoholika an seinen Espresso lässt, ist mir auch die Zutat Kürbiskernöl, welcher ich in anderen Zusammenhängen sehr zugeneigt bin, äußerst suspekt.

Beide Seiten können dabei, wie ich vermute, nur verlieren. Hat jemand sich schon einmal todesmutig einem derartigen Verkostungsexperiment ausgesetzt? Ein Erfahrungsbericht würde mich interessieren, denn ich mag auch Horrorfilme.

Eine interessante Erkenntnis vermittelte uns das Sightseeing. Nach über vier Stunden Wanderns durch Wien, nach knapp 17 Kilometern also, hätten lediglich anderthalb Hamburger Royal mit Käse ausgereicht, um die dabei verbrauchten Kalorien wieder komplett aufzufüllen.

Das spricht eindeutig für den Nährwert von Fast Food – und ebenso für das in bergsteigerischer Hinsicht überschaubare Anspruchslevel von Wien.

Natürlich sind wir nicht nur zu Fuß unterwegs gewesen, sondern auch in der Straßenbahn. Dort fielen mir Sitze ins Auge, die für bestimmte bedürftige Bevölkerungsgruppen reserviert waren: Schwangere, Mütter mit Kind, Blinde – und Harry Rowohlt.

Leider kann der das Privileg nicht mehr in Anspruch nehmen. Es ist zum Heulen.



25 September 2016

Reeperbahnfestival 2016: Eine Fotonachlese


Als ich heute Abend beim Konzert der britischen Newcomerin Alexandra Saviour im Imperial-Theater war, dachte ich: In einer skurrileren und deshalb lebenswerteren Version unserer Welt würde Herr Naidoo sie heiraten und ihren Namen annehmen.

Die gute Alexandra habe ich nicht fotografiert – wie überhaupt wenige Künstler –, dafür aber das Drumherum, vor allem die Stilleben im Trubel. Hier eine kleine Nachlese dreier toller Tage auf dem Kiez, die so ganz anders waren als sonst wochenendüblich.



Große Freiheit, Bühnenhintergrund der Band Get Well Soon. Die Nutzungsgebühren gehen wohl an John Lennon bzw. Yoko Ono. Es sei denn, die Liebe ist immer noch gemeinfrei. Heutzutage kann man sich dessen ja nicht mehr sicher sein.


Spielbudenplatz, Grillstand.





Die Decke des Resonanzraums im Bunker. Als Soundtrack dazu müssen Sie sich bitte eine von Olga Scheps gespielte Chopin-Etüde vorstellen, dann sind Sie ganz nah an der Wahrheit.



Große Freiheit, Eingang zum Sanitärbereich. Die Leuchtschrift müsste aus der Zeit stammen, als das Wasserklosett gerade erfunden worden war.




Imperial-Theater, Wandbeleuchtung.




Hand mit Band. Mit diesem kleinen Accessoire kam ich überall rein – und hätte sogar die ganze Zeit auch öffentliche Verkehrsmittel benutzen können. Bei den kurzen Distanzen zwischen den Clubs waren Füße und Fahrrad aber die weitaus bessere Wahl.



Kaiserkeller, Wandbeleuchtung. Ob die auch schon dort war, als die Beatles hier spielten? Bestimmt.



Große Freiheit, Anna Ternheim (l.). Warum die Schwedin im Bademantel die Bühne betrat, erschloss sich dem Publikum nicht. Zumal das unförmige Teil auch leider wenig kleidsam war. 
Die Lautstärke rechts habe ich hingegen beim Konzert von Okta Logue im Grünspan gemessen. Laut DIN 15 905, welche als Höchstgrenze 99 db vorsieht, hätte die Veranstaltung also abgebrochen werden müssen. Was sehr schade gewesen wäre – und ja auch nicht passiert ist.

Deshalb kann es im kommenden Jahr weitergehen mit dem besten deutschen Clubfestival. Sollten Sie dann nicht anreisen, haben Sie vielleicht nicht die Kontrolle über Ihr Leben verloren – aber ganz sicher über Ihre Freizeitgestaltung.



24 September 2016

Streichereinheiten



Heute war für mich ein Streichertag auf dem Reeperbahnfestival. Und von James Johnston, früher bei den Quartalsrockern Gallon Drunk, hätte ich das keinesfalls erwartet.

Doch der Mann kam mit Kammerorchesterchen und mitteldüsterem Pop noir in den Bahnhof Pauli am Spielbudenplatz, und wäre plötzlich Nick Cave in Duettabsicht aus der Kulisse geschlurft gekommen, so hätte sich niemand gewundert.

Vorher bereits hatten mich die drei außergewöhnlich harmoniegesangbegabten Baselerinnen von Serafyn (zwei Celli, eine Akustikgitarre) bezirzt. Kammerfolk so zerbrechlich wie eine angedetschte Mingvase. Dafür hatten Choir Of Young Believers gar keine Streicher dabei, obwohl das angekündigt war, sondern spielten einen Portishead-artigen Elektropop.

Möglicherweise waren das aber auch gar nicht Choir Of Young Believers; so genau weiß man das manchmal gar nicht mehr, wenn man von Club zu Club schwebt wie eine von der Vielfalt herumschlierender Nektararomen halbberauschte Biene.

Was gab’s noch? The Slow Show etwa, ein Solokünstler mit einer Stimme, die an Bill Morrissey erinnert, und Songs, die eigentlich gar keine sind, weil dem Mann das Schema Strophe/Refrain fremd ist und dafür der Begriff Mantra umso vertrauter. Er sollte sich mit Thomas Dybdahl zusammentun, die beiden wären als schwer umwölkte Indiefolkies unschlagbar.

Anna Ternheim, meine ganz persönliche Lieblingsschwedin, geruhte abends in der Großen Freiheit im Bademantel aufzutreten und hallenkompatibel zu indierocken. Künstlerische Weiterentwicklung ist natürlich herzlich willkommen, ohne Frage, doch mir ist ihre „Shoreline“-Phase noch immer die allerallerliebste. Aber auf mich hört ja keiner, am wenigsten Anna Ternheim.

Dafür hören Okta Logue seit Jahren auf mich, obwohl ich gar nichts zu ihnen gesagt habe (na gut, in Form von Rezensionen schon). Diese blassen Griesheimer Jungs mit ihrer Affinität zu Grooves und Psychedelia bilden die weltweit beste deutsche Gitarrenband, und ich würde mich auf jeden beliebigen Kaffeetisch stellen und diese Behauptung aufrechterhalten. Punkt. 

Das gilt in keiner Weise für Connor Youngblood; kann ja auch gar nicht, weil er ein filzköpfiger Afroamerikaner aus Dallas, Texas, ist. Im Imperial-Theater startete der gerätegestärkte Mann mutig mit einer Akustikballade und einem stratosphärenhohen Stimmchen. Danach fing er an, allerlei Sachen wie Ukulelen, Drums etc. live zu samplen und den Status Quo des Lo-Fi zu definieren.

Da war es schon nach Mitternacht und für mich Zeit zu gehen. Schließlich wird der Samstag noch mal an den Kräften zehren, zumal ich mich jetzt schon nicht mehr an alle Bands erinnere, die ich außer den oben aufgelisteten heute alle gesehen habe.

Dieser dunkel pulsende Elektroact im Kaiserkeller zum Beispiel, mit dem (und einem Bier) ich spontan die Pause zwischen Okta Logue und Anna Ternheim überbrückte, war wirklich toll, aber ich bin jetzt zu müde, um ihn im Programmheft nachzuschlagen.

Bis morgen.




23 September 2016

Kann man machen



Reeperbahnfestival: Das bedeutet alljährlich, dass ein Wochenende lang Leute mit gutem Musikgeschmack den Kiez dominieren und nicht die üblichen Heerscharen von Ballermännern und Eckenpinklern.

Denn das muss man zur Ehrenrettung der Hipsterbartträger auch mal sagen: Sie sind zivilisiert(er). Nach einem Schlagermove sieht das Viertel aus, als wäre eine Konfettibombe über einer Urin- und Kotzlache explodiert; nach dem Reeperbahnfestival liegen höchstens Programmprospekte rum.

Ich startete den Abend im Sommersalon mit Me + Marie – und die strahlenden Augen des Trios beim fröhlichen Herumlärmen (u. a. coverten sie Motörheads „Ace of Spades“) machten sofort klar und deutlich, dass auch in hundert Jahren noch junge Menschen zur Gitarre greifen und rumrocken werden.

Diese Art und Weise, seine Jugend zu verbringen, ist einfach unübertrefflich. Meistens zwar nur für die Musiker selbst, aber das galt heute Abend keineswegs für Me + Marie, nicht nur wegen „Ace of Spades“.

Weiter ging’s im Imperial Theaer, wohin mich der vokalreiche Wohlklang des Künstlerinnennamens „Olivia Sebastianelli“ gelockt hatte. Die junge Frau kam allerdings nicht aus Livorno, sondern aus London, und sah auch noch aus wie der jüngste Sprössling der Addams Family.

Gleichwohl sang sie derart laut und fest, dass Dieter Bohlen glatt ein Ei aus der Hose gesprungen wäre, doch er war überhaupt nicht da, sondern wahrscheinlich in Tötensen. Die Sebastianelli wird mal ein Star, da leg ich mich fest, und wenn sie nicht spätestens nächstes Jahr im Vorprogramm von Adele auftritt, dann nur deshalb nicht, weil Adele Schiss vor der Konkurrenz hat.

Nächste Station: Bunker. Kurioserweise virtuosierte dort die Starpianistin Olga Scheps, und zwar außergewöhnlicherweise in Lederhosen und Pumps. So was erlebt man weltweit wohl nur beim Reeperbahnfestival: die Parallelität von Indierockern, Folkpflänzchen UND Weltklassetastenfrauen, die Chopin spielen.

Dass die Scheps auch noch akzentfrei Deutsch spricht, hätte man in der Laeiszhalle, wo sie in der Regel stumm vor einem höchstsituierten Schurwollzwirnpublikum ihre Superskills vorführt, nie erfahren. Auf dem Reeperbahnfestival schon – weil die Booker sich nicht entblödeten, frohgemut gegen den Strich zu denken und eine Frau wie sie einzuladen.

Kurz vor Scheps’ Satie-Part hetzte ich rüber ins Knust, wo das gemütliche Dickerchen Noah Guthrie in Triobesetzung den Country mit Crooning verschmolz. Handwerklich super, aber als Songschreiber ist Guthrie (trotz seines legendären Namens) nicht vom Himmel, sondern höchstens vom Dreimeterbrett gefallen.

Dann halt Black Oak in der St.-Pauli-Kirche am Pinnasberg. Dabei handelt es sich um holländische Indiefolkies mit einem Hang zu Westcoastharmonien und kaum verhohlenen Stolz auf einen amerikanischen Akzent beim Englischsprechen.

Kann man machen, aber faszinierender als ihre Musik war das oben abgebildete Schild auf dem Klo der St.-Pauli-Kirche, was an einem milden Hamburger Septemberabend noch eine Spur grotesker wirkt als sowieso schon.

Morgen Abend geht es weiter mit dem weltweit besten Festival von ganz St. Pauli – und wahrscheinlich sogar dem Rest des Planeten. 







18 September 2016

Die schlechtesten Cover ALLER Zeiten (2)


Natürlich, diese zum Aushängeschild einer Langspielplatte geronnene Szenerie ist dermaßen legendär kacke, dass das Motiv einst auch schon von der britischen Zeitung Guardian in ihre Allzeitbestenliste der allerübelsten Albumgestaltungen aufgenommen wurde.

Für meine Ende August gestartete Galerie der schlechtesten Albumcover ALLER Zeiten ist Millie Jacksons 1989er-Werk „Back to the Shit“ aber genau deshalb und in umso größerem Maß die reinste Zierde.

Dass die (nebenbei bemerkt: großartige) Soulsängerin sich auf diesem Foto nicht nur nicht entblödet, ihr bitchy Outfit im Rahmen einer Toilettensitzung komplett ad absurdum zu führen, sondern auch noch guckt, als erlebe sie nach einwöchiger Verstopfung justamente die Erleichterung einer Totalabfuhr, ist für Außens(t)ehende wirklich nur äußerst schwer zu verknusen. Auf mich wirkt das sogar verstörend.

Und warum eigentlich steht die Gute anscheinend kurz davor, uns mit einem ihrer Pumps zu bewerfen – nur weil wir das Cover anstarren wie eine Massenkarambolage auf der A7? Denn das tun wir völlig zu Recht, Millie!

Immerhin ist das Cover bei all seiner Scheußlichkeit gleichwohl in der Lage, auch positive Gefühle auszulösen. Ich empfinde zum Beispiel Mitleid mit dem Blumenstrauß in der Vase unten rechts. Und bin außerdem sehr dankbar für die blickdiche Gardine vorm Klofenster.

Was mich allerdings nachhaltig beschäftigt, ist die bestürzende Tatsache, dass der abgebildete Fußboden peinlicherweise ein verblüffend ähnliches Muster aufweist wie der in unserer Küche auf der Rückseite der Reeperbahn.

Ms. Columbo und ich müssen wohl noch diese Woche den Familienrat zusammenrufen und sehr, sehr ernsthaft über eine ästhetische Neuorientierung im Kochbereich reden.

Herzlichen Dank auch dafür, Frau Jackson. 



 
 
 

16 September 2016

Elf sind voll

Bloggeburtstag Nummer elf! Ich bedanke ich mich bei bisher (Stand: 20:17 Uhr) 2.786.234 Zuschauern – und hoffe sie mit einer kleinen Bilderstrecke zu erfreuen, welche hoffentlich für die tote Ratte vom letzten Jahr entschädigt.

Die meisten Fotos zeigen Kiez- und Hafenmotive, nur der stolze Vogel mit seinen beiden Bodyguards gehört der Alstersphäre an. Aber wir sind ja tolerant hier auf der Rückseite der Reeperbahn. 

Wer weiß das besser als Sie.










11 September 2016

Meine Beklaubarkeit ist grenzenlos

Umkleidekabine von Fitness First am Rödingsmarkt: Als ich  aus dem Kurs von Katha Gnadenlos zurückgekrochen komme, finde ich den Platz unter der Garderobe vor meinem Spind, wo ich immer meine Badeschlappen abzustellen pflege, verwaist vor.

Sie sind weg – und zwar definitiv geklaut, denn oben am Empfangstresen weiß man von nichts. Aber wer um alles in der Welt klaut denn bloß Badelatschen?

Nicht dass ich damit aufwartete, aber wäre es nicht denkbar, eventuell sogar recht wahrscheinlich, dass wildfremde Badelatschen bis in die letzte Polyesterecke mit Fußpilzsporen kontaminiert sein könnten, so dass man die Idee, sie entwenden zu wollen, doch allein schon aus hygienischen Grünen zwingend verwerfen müsste?

Der Dieb indes scheint völlig frei gewesen zu sein von derlei Erwägungen. Oder er hat die bezirzende neongrüngelbe Pracht meiner Badelatschen als eine Verlockung jener Art empfunden, die alle Gegenargumente hinwegzuschwemmen in der Lage ist, sogar welche fungogener Provenienz.

Dies eingedenk: Was kommt als nächstes – Leute, die mir meine gebrauchte Zahnbürste entwenden? Meinen Nasenhaarschneider? Meine vollgeschneutzten Papiertaschentücher?

Immerhin, und das muss ich dem Dieb doch ein wenig anrechnen, nahm er nicht mein Fahrrad mit. Man freut sich ja schon über Kleinigkeiten. Und eins dämmert mir allmählich: Gehörte es wirklich noch zu meiner Lebensplanung, mich zu reproduzieren, so würde ich als einen meiner herausragendsten genetischen Defekte mit hoher Wahrscheinlichkeit wohl vor allem einen vererben: pipileichte Beklaubarkeit. Und das darf man ja keinem Kind sehenden Auges antun.

Jetzt besorge ich mir erst mal neue Badelatschen – und zwar aus lauter Protest genau hier: in einem Strandshop in Travemünde. So.