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10 Oktober 2013
Cholerisch auf der Davidwache
Kaum etwas auf der Welt wirkt leerer als eine Wand mit metallenem Handlauf, von dem das morgens mit einer 40-Euro-Abus-Kette ordnungsgemäß gesicherte Fahrrad brutal abgeschnitten wurde. Laufen die Diebe neuerdings etwa mit einer ausgewachsenen Flex durch die Zeisehallen?
Abends stehe ich also mal wieder – zum inzwischen sechsten Mal – auf der Davidwache vorm Tresen und melde einen Fahrraddiebstahl. Doch bevor ich dran bin, muss ich mir das Elend der Leute vor mir in der Schlange anhören. Einem ist ein Rucksack mit allem Wichtigen drin gestohlen worden, und jetzt ist er derart aufgebracht, als hätten ihn die Ordnungshüter höchstselbst ums Eigentum gebracht.
Als der Polizist ihn bittet, ein Formular auszufüllen, fängt er an herumzubrüllen. „Hier sind doch die Kopien, da steht alles drauf!“, schreit er und klatscht mit den Händen auf die Vielzahl der Dokumente, die er auf dem Davidwachentresen ausgebreitet hat. „Warum soll ich das auch noch ausfüllen?“
Die beruhigenden Worte des anscheinend psychologisch geschulten Davidwächters verfehlen in der Folge komplett ihre Wirkung. Sie scheinen eher an der Eskalationsschraube zu drehen, wenn man die Reaktion des tobenden Wichtels vorm Tresen als Maßstab nimmt.
Mit rudernden Armen rafft der Choleriker seine kopierten Dokumente zusammen, ruft was von „Gehe jetzt zur Kripo! Mir reicht’s!“ und dampft ab wie ein Bulle nach der Nasenring-OP. Etwa eine Viertelstunde später – ich bin noch mitten in der Anzeigenaufnahme mit dem buddhaesken Polizisten – fliegt die Tür auf und der Giftzwerg wieder herein.
„Morgen früh ruf ich die Kripo an!“, brüllt er, als sei das etwas Neues für uns. „Ich nehm mir einen Anwalt! Und Sie werden versetzt!“ Er donnert die Fäuste auf den Tresen. Offenbar ist er erst draußen so richtig auf Betriebstemperatur gekommen.
„Sie sitzen nicht mehr lange auf diesem Stuhl“, schäumt er, „dafür werde ich sorgen! Das geht hoch bis nach Karlsruhe!“ Und weg ist er.
Zum ersten Mal in meinem Leben muss ich gemeinsam mit einem Polizisten losprusten. Aus dem Treppenhaus weht derweil noch ein abschließendes „Arschloch!“ zu uns herein. Der Polizist sitzt fein lächelnd vor seinem Computer und tippt die Rahmennummer meines Fahrrads in die Eingabemaske.
„Ich glaube, ich werde mal darauf verzichten, ihn wegen Beleidigung anzuzeigen.“ Ich stimme ihm zu. „Der liebe Gott muss dumme Menschen furchtbar lieb haben“, sagt er, „sonst hätt er nicht so viele davon gemacht.“ Mit diesem Schlusswort kann ich auch als Atheist gut leben.
Übrigens: Wer dieses Fahrrad – ein dunkelgrünes 28er Batavus Winner mit Dreigangschaltung und einem viel zu früh blockierenden Rücktritt – zufällig irgendwo herumstehen sieht, möge mich bitte konspirativ benachrichtigen. Danke.
24 März 2010
Warum immer ich?
Du sozialsedierter Parasit, du Affenarsch mit hoffentlich progressiv wachsenden Warzen am Anus, du hirngegrillte Stinkmorchel, du Prototyp rekordverdächtiger Armseligkeit, der du heute MEIN FAHRRAD GEKLAUT HAST:
Möge dir die verrostete Sattelstange dort dauerhaft steckenbleiben, wo die größte Streptokokkenarmada seit Erfindung der Ruhr ihre Einstandsparty als deine Dauermietnomaden feiert!
Auf der Davidwache, wo ich wieder mal den Diebstahl anzeigte, pustete die augenblicklich deprimierte Polizistin tief durch, als ich mit meinem Anliegen ankam. Dann setzte sie sich sich erschlaffend an den Rechner, und zwar mit jener speziellen Erschlafftheit, die nur solche Polizisten befällt, die einst, als sie sich für den Dienst bewarben, von einer Karriere als gefeierte Serienkillerjäger träumten.
„Was ist Ihnen eigentlich lieber“, fragte ich sie, um sie aufzumuntern (dabei war ich das Opfer!), „das hier oder ein Banküberfall?“ Sie musste prusten, aber mehr vor Überraschung. „Es gibt natürlich interessante Fälle“, sagte sie, und ich registrierte mit Wohlgefallen, dass sie sorgsam den Komparativ vermied, „aber diese Arbeit muss auch getan werden.“
Ich hatte das durchgesägte Schloss aus einem Mülleimer in unmittelbarer Nähe des Tatorts gefischt und präsentierte es ihr nun in der Hoffnung, sie möge es erkennungsdienstlich behandeln. „Vielleicht sind Fingerabdrücke drauf“, insinuierte ich.
„Ist die Oberfläche glatt?“, fragte sie, während sie fatalistisch die Rahmennummer meines Rades aus dem Fahrradpass ins Dokument übertrug. „Na, halt so eine plastikummantelte Stahlkette“, sagte ich und kramte das Corpus delicti aus der fingerabdruckschonenden Plastiktüte. Sie schaute desinteressiert hoch. „Zu glatt“, murmelte sie und tippte weiter.
Irgendwie habe ich das Gefühl, es war für uns beide ein Scheißtag. Nur nicht für diese hirngegrillte Stinkmorchel, aber da vertraue ich einfach auf die Rache meiner verrosteten Sattelstange.
PS: Wer irgendwo das abgebildete Fahrrad herumstehen sieht, möge mich anmailen. Inzwischen hat es eine feuerrote Klingel, die einen reizvollen Kontrast bildet zum restlichen Marineblau.
>> Die beliebtesten Tags: Brief, Bus, Einzelhandel, Franke, Fußball, Obdachlose, Panne, Reeperbahn, Sex, St. Pauli
11 Juli 2009
Zwischenfall vorm Freudenhaus
Heute hätten wir mühelos in den Besitz eines neuwertigen silbergrauen Polizeiwagens gelangen können, sofern uns eine Verwendung dafür eingefallen wäre.
Doch zum einen missfielen uns seine schillblauen Streifen, zum anderen bevorzugen wir aus grundsätzlichen Erwägungen Fahrräder und ÖPNV.
Dass der Wagen uns überhaupt so diebstahlfertig dargereicht wurde, lag wohl an einem Handtaschenräuber. Just als wir die Kreuzung am Freudenhaus erreicht hatten, kreischten Bremsen. Wir schauten rüber und sahen den Streifenwagen uns entgegenrutschen, und noch ehe er stand, sprang der Fahrer bereits mützenlos heraus und rannte die Hein-Hoyer-Straße, die er gerade noch entlanggefahren war, wieder zurück.
Seine Beifahrerin, etwas gedrungener als ihr Buddy, dackelte wackelnd hinter ihm her, sie gab ihr Bestes. Alles übrigens in Sichtweite der Davidwache; die Pisageneration ist offenbar erfolgreich im Diebesalter angekommen.
An der Reeperbahn raste der Flüchtende rechts um die Ecke, die Cops hinterher juchhe. Und ihr Wagen stand völlig verdattert da, freund- und helferlos, mit offener Fahrertür die gesamte Kreuzung höchst effizient versperrend, und ich wette, der Schlüssel steckte.
Doch wie gesagt: kein Interesse. Wir gingen weiter. Am Hamburger Berg schauten wir rüber Richtung Reeperbahn, und dort, direkt an der Ecke, war alles zuende gegangen.
Ein Mann in Jeans und hellem Hemd lag niedergerungen auf dem Boden, umringt von Polizisten und Passanten. Schon bald wird es einen Gerichtstermin geben, ein Urteil, eine Strafe, sein Leben wird eine sehr unschöne Wendung nehmen, und dabei hat er nur eins.
Der Einkauf bei Edeka verlief dann ohne weitere Zwischenfälle. Wenn man davon absieht, dass der Biobrokkoli ein bisschen zu klein war für sein Geld.
13 August 2008
Ruhe sanft, Citystar
Es ist immer das Gleiche, verdammt. Alle zwei bis vier Jahre schlurfe ich – enttäuscht von der Menschheit im Allgemeinen und den Kiezgestalten im Besonderen – zur Davidwache und melde dort den Diebstahl meines Fahrrads.
Mein guter, alter Citystar-Drahtesel: Jetzt hat es auch dich erwischt, direkt vor der Haustür. Obwohl ich stets ein altes billiges Fahrrad auf dem Flohmarkt schieße, um die Klaugefahr zu minimieren, trage ich es in den ersten Wochen abends stets hoch in die Wohnung und am nächsten Morgen wieder runter.
Nach einer gewissen Karenzzeit folgt dann eine Phase, in der die Hochtragdisziplin zu bröckeln beginnt. Zunächst noch selten, bald immer öfter schließe ich es vorm Haus an Geländerstangen an, meist, wenn ich eine gute Ausrede habe, zum Beispiel eine Saftkiste unterm Arm. Irgendwann aber wird das Nichthochschleppen zur Gewohnheit, auch ohne Saftkiste. Bei Wind und Wetter steht hinfort das treue Gefährt duldsam im Freien und wartet auf Herrchens nächsten Ausritt.
So geht das zwei bis drei Jahre lang, und dann ist es wieder soweit: Ich schlurfe – enttäuscht von der Menschheit im Allgemeinen und den Kiezgestalten im Besonderen – zur Davidwache und melde dort den Diebstahl.
Diesmal traf es also das Citystarrad. Nie werde ich seine robusten sieben Gänge vergessen. Oder seine regelmäßig versagenden Lampen, vorne wie hinten. Der Lenker schien immer ein klein wenig schief zu stehen, dennoch fuhr das sympathische Rad zuverlässig geradeaus – ein kleines Kunststück, welches ich bis zuletzt an ihm bewundert habe. Na gut, das mit dem kaputten Tretlager (40 Euro) hätte nicht sein müssen, zumal es geruhte, erst kurz vor dem gewaltsamen Verlust um Austausch zu betteln. Doch jetzt ist es über alle Berge, das komplette Rad. Samt futschneuem Tretlager, schiefem Lenker und kaputter Lampe hinten.
Selbst der eigentlich immer wirksame Trostspruch „Du bist ja nicht weg, dich hat nur ein anderer“ will auf dem Weg zur Davidwache nicht recht zünden. Der mich am Tresen verständnisvoll empfangende Polizist fragt, ob ich alles dabei hätte. „Personalausweis? Klar, habe ich dabei“, antworte ich und nestle an der Brieftasche. „Auch die Rahmennummer?“, fragt der Polizist. „Äh, nein“, sage ich. Er legt schon mal den bereits gezückten Stift wieder hin und sagt: „Kaufvertrag?“ Hüstel …
Dann, sagt der Davidwachenmann, könnten wir's auch gleich sein lassen mit der Anzeige, schließlich könnte ich meinen Besitzanspruch selbst dann nicht beweisen, wenn er das Rad wiederfände – was ungefähr so wahrscheinlich sei wie ein segensreicher Meteoriteneinschlag aufs Haus von Albaner-Willi, dem Kiezpaten.
Das sagte der Polizist nicht wörtlich, schließlich ist mit Albaner-Willi nicht zu spaßen; es ist eher so, dass mir seine Ausführungen vorkommen, als könne man sie mithilfe dieser Allegorie treffsicher wiedergeben.
Jedenfalls schlurfe ich noch am gleichen Tag – enttäuscht von der Menschheit im Allgemeinen und den Kiezgestalten im Besonderen – zu jenem Fahrradladen, wo der Irokesenassistent, der den Franken gefragt hatte, ob er Rechts- oder Linksträger sei, inzwischen nicht mehr arbeitet, und erstehe ein neues altes Rad. Der Flohmarkt hatte sich zuvor als unergiebig erwiesen.
Warum ich mir allerdings erst vier Fahrräder klauen lassen muss, um endlich auf die Idee zu kommen, all ihre Details fotografisch festzuhalten und die Rahmennummer zu notieren, kann mir selbst Ms. Columbo nicht verklickern.
Mal sehen, ob ich in zwei bis drei Jahren die entsprechenden Unterlagen wiederfinde. Das scheint mir die nächste unüberwindliche Hürde zu sein.
Mein guter, alter Citystar-Drahtesel: Jetzt hat es auch dich erwischt, direkt vor der Haustür. Obwohl ich stets ein altes billiges Fahrrad auf dem Flohmarkt schieße, um die Klaugefahr zu minimieren, trage ich es in den ersten Wochen abends stets hoch in die Wohnung und am nächsten Morgen wieder runter.
Nach einer gewissen Karenzzeit folgt dann eine Phase, in der die Hochtragdisziplin zu bröckeln beginnt. Zunächst noch selten, bald immer öfter schließe ich es vorm Haus an Geländerstangen an, meist, wenn ich eine gute Ausrede habe, zum Beispiel eine Saftkiste unterm Arm. Irgendwann aber wird das Nichthochschleppen zur Gewohnheit, auch ohne Saftkiste. Bei Wind und Wetter steht hinfort das treue Gefährt duldsam im Freien und wartet auf Herrchens nächsten Ausritt.
So geht das zwei bis drei Jahre lang, und dann ist es wieder soweit: Ich schlurfe – enttäuscht von der Menschheit im Allgemeinen und den Kiezgestalten im Besonderen – zur Davidwache und melde dort den Diebstahl.
Diesmal traf es also das Citystarrad. Nie werde ich seine robusten sieben Gänge vergessen. Oder seine regelmäßig versagenden Lampen, vorne wie hinten. Der Lenker schien immer ein klein wenig schief zu stehen, dennoch fuhr das sympathische Rad zuverlässig geradeaus – ein kleines Kunststück, welches ich bis zuletzt an ihm bewundert habe. Na gut, das mit dem kaputten Tretlager (40 Euro) hätte nicht sein müssen, zumal es geruhte, erst kurz vor dem gewaltsamen Verlust um Austausch zu betteln. Doch jetzt ist es über alle Berge, das komplette Rad. Samt futschneuem Tretlager, schiefem Lenker und kaputter Lampe hinten.
Selbst der eigentlich immer wirksame Trostspruch „Du bist ja nicht weg, dich hat nur ein anderer“ will auf dem Weg zur Davidwache nicht recht zünden. Der mich am Tresen verständnisvoll empfangende Polizist fragt, ob ich alles dabei hätte. „Personalausweis? Klar, habe ich dabei“, antworte ich und nestle an der Brieftasche. „Auch die Rahmennummer?“, fragt der Polizist. „Äh, nein“, sage ich. Er legt schon mal den bereits gezückten Stift wieder hin und sagt: „Kaufvertrag?“ Hüstel …
Dann, sagt der Davidwachenmann, könnten wir's auch gleich sein lassen mit der Anzeige, schließlich könnte ich meinen Besitzanspruch selbst dann nicht beweisen, wenn er das Rad wiederfände – was ungefähr so wahrscheinlich sei wie ein segensreicher Meteoriteneinschlag aufs Haus von Albaner-Willi, dem Kiezpaten.
Das sagte der Polizist nicht wörtlich, schließlich ist mit Albaner-Willi nicht zu spaßen; es ist eher so, dass mir seine Ausführungen vorkommen, als könne man sie mithilfe dieser Allegorie treffsicher wiedergeben.
Jedenfalls schlurfe ich noch am gleichen Tag – enttäuscht von der Menschheit im Allgemeinen und den Kiezgestalten im Besonderen – zu jenem Fahrradladen, wo der Irokesenassistent, der den Franken gefragt hatte, ob er Rechts- oder Linksträger sei, inzwischen nicht mehr arbeitet, und erstehe ein neues altes Rad. Der Flohmarkt hatte sich zuvor als unergiebig erwiesen.
Warum ich mir allerdings erst vier Fahrräder klauen lassen muss, um endlich auf die Idee zu kommen, all ihre Details fotografisch festzuhalten und die Rahmennummer zu notieren, kann mir selbst Ms. Columbo nicht verklickern.
Mal sehen, ob ich in zwei bis drei Jahren die entsprechenden Unterlagen wiederfinde. Das scheint mir die nächste unüberwindliche Hürde zu sein.
04 Mai 2007
Die Verrückte
Heute sah ich sie wieder, die Verrückte. Sie irrt oft durch St. Pauli, manchmal trifft man sie auch in der U-Bahn.
Es handelt sich um ein hageres, sozial enthemmtes, oft sturzbesoffenes Wesen mit Kurzhaarschnitt und Männerklamotten, das äußerlich an Martin Semmelrogge erinnert. Unablässig spricht es Leute an und bestreitet diese ausnahmslos einseitige Kommunikation mit den wirrsten Inhalten.
Meist handelt es sich dabei um Beleidigungen, oft aber auch um räsonierende Weltbetrachtungen, wobei die dazugehörige Welt erst noch erfunden werden muss. Das Erstaunlichste dabei ist die Mimik dieser Frau: Sie würde reichen für eine Schauspielkarriere.
Die Verrückte vermag nämlich jeden einzelnen Gesichtsmuskel beliebig zu bewegen. Zwischen den Verzerrungen der Wut und aasigem Grinsen vergeht keine Nanosekunde, und schon in der nächsten ist ihre in jede denkbare Richtung verbiegbare Gesichtstopografie bei Abscheu und Verachtung angelangt.
Welch ein Talent! Und welch eine tragische Verschwendung davon. Denn ihr Gehirn, das all diese Möglichkeiten steuert, schießt seine Befehle wahllos ab auf die Nervenenden und Muskelfasern, und deshalb läuft die Frau durch St. Pauli und gilt als verrückt.
Ihr Geschlecht übrigens war mir nie völlig klar, bis heute morgen. Sie stand hüftabwärts nackt und breitbeinig vor World of Sex auf der Reeperbahn neben einem Müllcontainer, ihre Männerhose hatte sie ausgezogen, und sie ließ sich die Pisse zwischen die Füße pladdern, während sie einem verstörten Passanten, der einen Bogen um sie schlug, auf Hamburgisch über einen unverständlichen Sachverhalt informierte: „Das war ein Fransosee!“, schnarrte sie.
Seit heute also kann ich das Geschlecht der Verrückten genauer bestimmen. Ich verzichtete auf ein Foto ihrer Rückseite (stattdessen die Satellitenperspektive), das problemlos möglich gewesen wäre, und schlug einen großen Bogen um sie. Als ich an der Bushaltestelle stand, sah ich sie die Davidwache betreten. Arme Bullen.
Dann kam ein Cockerspaniel vorbei und pinkelte neben mir an einen Stromkasten.
Es handelt sich um ein hageres, sozial enthemmtes, oft sturzbesoffenes Wesen mit Kurzhaarschnitt und Männerklamotten, das äußerlich an Martin Semmelrogge erinnert. Unablässig spricht es Leute an und bestreitet diese ausnahmslos einseitige Kommunikation mit den wirrsten Inhalten.
Meist handelt es sich dabei um Beleidigungen, oft aber auch um räsonierende Weltbetrachtungen, wobei die dazugehörige Welt erst noch erfunden werden muss. Das Erstaunlichste dabei ist die Mimik dieser Frau: Sie würde reichen für eine Schauspielkarriere.
Die Verrückte vermag nämlich jeden einzelnen Gesichtsmuskel beliebig zu bewegen. Zwischen den Verzerrungen der Wut und aasigem Grinsen vergeht keine Nanosekunde, und schon in der nächsten ist ihre in jede denkbare Richtung verbiegbare Gesichtstopografie bei Abscheu und Verachtung angelangt.
Welch ein Talent! Und welch eine tragische Verschwendung davon. Denn ihr Gehirn, das all diese Möglichkeiten steuert, schießt seine Befehle wahllos ab auf die Nervenenden und Muskelfasern, und deshalb läuft die Frau durch St. Pauli und gilt als verrückt.
Ihr Geschlecht übrigens war mir nie völlig klar, bis heute morgen. Sie stand hüftabwärts nackt und breitbeinig vor World of Sex auf der Reeperbahn neben einem Müllcontainer, ihre Männerhose hatte sie ausgezogen, und sie ließ sich die Pisse zwischen die Füße pladdern, während sie einem verstörten Passanten, der einen Bogen um sie schlug, auf Hamburgisch über einen unverständlichen Sachverhalt informierte: „Das war ein Fransosee!“, schnarrte sie.
Seit heute also kann ich das Geschlecht der Verrückten genauer bestimmen. Ich verzichtete auf ein Foto ihrer Rückseite (stattdessen die Satellitenperspektive), das problemlos möglich gewesen wäre, und schlug einen großen Bogen um sie. Als ich an der Bushaltestelle stand, sah ich sie die Davidwache betreten. Arme Bullen.
Dann kam ein Cockerspaniel vorbei und pinkelte neben mir an einen Stromkasten.
27 März 2007
Die uninteressanten Päckchen
Gegenüber auf dem Flachdach turnen plötzlich zwei Jungs herum. Sie laufen hin und her, gehen dann zur Dachkante am Innenhof und werfen zwei weiße, offenbar gewichtige Päckchen hinunter. Schätzgewicht: vier Kilogramm.
Das ist der Moment, wo ich mich entschließe, wieder mal bei der Davidwache durchzuklingeln. Während ich auf die Streife warte, klettern die Jungs über Feuerleitern höher und höher. Jetzt stehen sie ungesichert auf dem Dach von Reeperbahn Nr. 35. Sie posieren, fotografieren sich gegenseitig mit ihren Handys. Immer hart an der Kante – ein gefährliches Spiel.
Zwei bullige Polizisten betreten unsere Wohnung, ein Mann und eine Frau. Ich zeige ihnen die Extremkletterer gegenüber und erzähle von den zwei weißen Päckchen. Letzteres stößt komischerweise kaum auf Interesse. Stattdessen verlangen sie meinen Personalausweis und treten sehr präsent auf unseren Balkon. Das finde ich merkwürdig. Lernt man das etwa auf der Polizeischule: Wenn dich ein mutmaßlicher Täter noch nicht entdeckt hat, dann werfe ihm den Überraschungseffekt per Selbstenttarnung vor die Füße?
Natürlich erblicken die Jungs die Polizisten sofort und verschwinden über den Dachgiebel auf die Reeperbahnseite. Die Polizisten geben das per Funk an die Verstärkung durch. „Auf der anderen Seite kommen die nicht runter“, theoretisiere ich und versuche noch einmal die Aufmerksamkeit auf die zwei weißen Päckchen zu lenken. Vergeblich.
Man sieht von unserem Balkon aus nur einen Teil des Innenhofs, doch das reicht, um dort frisch eingetroffene Menschen zu erkennen, und es sind keine Polizisten. Möglicherweise wollten die beiden Jungs ihre Fracht nicht verstecken, sondern übergeben. Eile scheint geboten, doch die beiden Uniformierten auf unserem Balkon geben sich gelassen. Das Funkgerät meldet sich. „Seht ihr die beiden noch?“, krächzt es. „Negativ“, sagt der Mann.
Beide Polizisten meine ich zu kennen, ich weiß auch woher: Aus den vielen Spiegel-TV-Dokus über den Kiez. Alle enden immer mit einem Einsatz der Leute von der Davidwache. Gehört zum Drehbuch. Das hier, denke ich bei mir, ist wie im richtigen Leben, also wie im Fernsehen.
Die Polizisten verlassen den Balkon und verharren im Wohnzimmer. Sie sind kurzärmlig, und ihnen ist kalt. Ich biete eine Jacke an, sie lehnen ab. Kaum ist unser Balkon menschenleer und die Luft scheinbar rein, klettern die Jungs wieder über den Giebel und beginnen den Abstieg. Natürlich haben sie keine Chance. Die Verstärkung wird per Funk informiert, dann gehen die beiden Polizisten runter, wo ihnen die Jungs in die Arme laufen.
Verstärkung trifft ein, Verhaftung mit allen Schikanen wird abgespult. Abgang alle. Auch im Innenhof sind keine Menschen mehr zu sehen, erst recht keine Polizisten.
Und auch keine weißen Päckchen mehr. Jede Wette.
Das ist der Moment, wo ich mich entschließe, wieder mal bei der Davidwache durchzuklingeln. Während ich auf die Streife warte, klettern die Jungs über Feuerleitern höher und höher. Jetzt stehen sie ungesichert auf dem Dach von Reeperbahn Nr. 35. Sie posieren, fotografieren sich gegenseitig mit ihren Handys. Immer hart an der Kante – ein gefährliches Spiel.
Zwei bullige Polizisten betreten unsere Wohnung, ein Mann und eine Frau. Ich zeige ihnen die Extremkletterer gegenüber und erzähle von den zwei weißen Päckchen. Letzteres stößt komischerweise kaum auf Interesse. Stattdessen verlangen sie meinen Personalausweis und treten sehr präsent auf unseren Balkon. Das finde ich merkwürdig. Lernt man das etwa auf der Polizeischule: Wenn dich ein mutmaßlicher Täter noch nicht entdeckt hat, dann werfe ihm den Überraschungseffekt per Selbstenttarnung vor die Füße?
Natürlich erblicken die Jungs die Polizisten sofort und verschwinden über den Dachgiebel auf die Reeperbahnseite. Die Polizisten geben das per Funk an die Verstärkung durch. „Auf der anderen Seite kommen die nicht runter“, theoretisiere ich und versuche noch einmal die Aufmerksamkeit auf die zwei weißen Päckchen zu lenken. Vergeblich.
Man sieht von unserem Balkon aus nur einen Teil des Innenhofs, doch das reicht, um dort frisch eingetroffene Menschen zu erkennen, und es sind keine Polizisten. Möglicherweise wollten die beiden Jungs ihre Fracht nicht verstecken, sondern übergeben. Eile scheint geboten, doch die beiden Uniformierten auf unserem Balkon geben sich gelassen. Das Funkgerät meldet sich. „Seht ihr die beiden noch?“, krächzt es. „Negativ“, sagt der Mann.
Beide Polizisten meine ich zu kennen, ich weiß auch woher: Aus den vielen Spiegel-TV-Dokus über den Kiez. Alle enden immer mit einem Einsatz der Leute von der Davidwache. Gehört zum Drehbuch. Das hier, denke ich bei mir, ist wie im richtigen Leben, also wie im Fernsehen.
Die Polizisten verlassen den Balkon und verharren im Wohnzimmer. Sie sind kurzärmlig, und ihnen ist kalt. Ich biete eine Jacke an, sie lehnen ab. Kaum ist unser Balkon menschenleer und die Luft scheinbar rein, klettern die Jungs wieder über den Giebel und beginnen den Abstieg. Natürlich haben sie keine Chance. Die Verstärkung wird per Funk informiert, dann gehen die beiden Polizisten runter, wo ihnen die Jungs in die Arme laufen.
Verstärkung trifft ein, Verhaftung mit allen Schikanen wird abgespult. Abgang alle. Auch im Innenhof sind keine Menschen mehr zu sehen, erst recht keine Polizisten.
Und auch keine weißen Päckchen mehr. Jede Wette.
01 April 2006
Der Polizeieinsatz
Wildes Hupen hallt durch die Seilerstraße, nachts um halb zwei. Durchdringend, langanhaltend. Wenn dieses Hupen einen Gemütszustand verkörpert, dann ist es: Wut. Ich betrete den Balkon und sehe die Bescherung. Eine junge Frau hat auf dem Gehweg geparkt und ist dann von einem weiteren Illegalen zugestellt worden. Jetzt geht nach hinten nix mehr und nach vorn erst recht nicht: ein Bauanhänger, Verkehrsschilder und ein weiterer Gehwegparker sorgen für einen vollverstellten Fluchtweg – es ist wie verhext.
Sie hupt, sie steigt aus, regt sich auf, verflucht ihr Schicksal. Was soll sie auch sonst tun – die Polizei rufen, als Gehwegparkerin? Verflixt. Inzwischen sind zwei Freunde von ihr eingetroffen, die helfen wollen. Allerdings erweist sich das Imaginationsvermögen dieses Trios als zutiefst erschütternd.
Wie man auf dem schlechten, aber dennoch aussagekräftigen Foto sieht, ist kein Meter Platz zwischen dem Halteverbotsschild und dem blauen Wagen in der legalen Parkbucht; trotzdem rangiert die Fahrerin auf engagierte Anweisungen eines ihrer Begleiter das Auto unablässig hin und her – in der Absicht, sich durchzuquetschen. „Komma, komma, komma“, lallt der dickliche Nachtschwärmer lautstark, „un’ schdobb! Un’ surügg, einschlan’g, un’ vor – schdobb!“
So geht das eine Viertelstunde lang, obwohl das Ganze ungefähr so sinnvoll ist wie der Versuch, ein Nilpferd in eine Hundehütte zu quetschen. Gleichwohl bleibt das Trio eifrig bei der Sache, drückt sogar an jenen Wagen herum („Scheise, der haddi Hannbremse ange’sogen!“), deren Abwesenheit sich die wütende Frau jetzt wohl noch sehnlicher wünscht als als eine IQ-Verdopplung ihrer Hilfstruppen.
Als die beiden Herren allerdings anfangen, die umliegenden Verkehrsschilder abzubauen, beschließe ich, die Polizei zu rufen. Schließlich sollte man weiterhin erfahren, dass die Seilerstraße ab diesem Punkt nur in eine Richtung befahren werden darf. Fünf Minuten später: Ein Streifenwagen zischt heran, zwei Polizisten springen heraus. Die beiden Begleiter der Frau verdrücken sich unauffällig, sie bleibt notgedrungen zurück.
Doch zu meiner Verwunderung stürzen die Ordnungskräfte sich plötzlich auf einen korpulenten Typen im T-Shirt, der ein paar Meter weiter vor der Spielhalle steht. Sofort werden die üblichen Klischeeschikanen durchdekliniert: Arme hoch, an die Wand, Beine auseinander. Gebrüll, Protest, das ganze Programm. Hier oben auf dem Balkon macht sich Verwunderung breit. Hallo, was ist denn nun mit dem abgebauten Einbahnstraßenschild? Ihr habt den falschen Mann!
Die Polizisten führen ihn zu einem Wagen hinter jenem, der die Frau zugeparkt hat. Auch der steht illegal auf dem Gehweg. Und er hat eine eingeschlagene Windschutzscheibe, wie ich jetzt sehe; der T-Shirt-Typ gilt offenbar als hauptverdächtig. Allerdings schwört er „bei meiner Mudder”, diese Scheibe noch nie im Leben gesehen, geschweige denn eingeschlagen zu haben.
Der Schauplatz des Geschehens hat sich verlagert, eindeutig. Schließlich lassen die Polizisten ihn doch laufen, obwohl sie das Entlastungspotenzial seines Mudderschwurs zunächst als nicht ausreichend hoch eingestuft hatten. Noch während sie Spuren am beschädigten Auto sichern, kommt endlich der Zuparker zurück. Und die Frau, die während der polizeilichen Investigation das unauffällige Mäuschen spielte, stürzt jetzt auf ihn zu, hält ihm den ausgestreckten Zeigefinger unter die Nase und faltet ihn zusammen wie eine Kiezhure ihren insolventen Freier.
„Du Wichser hast mich zugeparkt!“, brüllt sie, „was denkst du dir eigentlich dabei, Arschloch! Ich polier dir die Fresse, Pisskopp!“ Er bleibt stumm, steigt ein und fährt schnell weg. Sie auch. Und während dieser ganzen Szene stehen die Polizisten daneben; das Ganze interessiert sie für keine zwei Cent. Verschwundene Einbahnstraßenschilder, Gehwegparker, Furien am Rande des verursachten Kieferbruchs: egal. Sie bewachen ungerührt ein Loch in einer Windschutzscheibe.
Die Show ist also vorbei. Hier gibt es nichts (mehr) zu sehen. Nur zu bloggen.
Ex cathedra: Die Top 3 der Songs mit Polizeibeteiligung
1. „Hurricane“ von Bob Dylan
2. „Good cop bad cop“ von Everything But The Girl
3. alles von The Police
Sie hupt, sie steigt aus, regt sich auf, verflucht ihr Schicksal. Was soll sie auch sonst tun – die Polizei rufen, als Gehwegparkerin? Verflixt. Inzwischen sind zwei Freunde von ihr eingetroffen, die helfen wollen. Allerdings erweist sich das Imaginationsvermögen dieses Trios als zutiefst erschütternd.
Wie man auf dem schlechten, aber dennoch aussagekräftigen Foto sieht, ist kein Meter Platz zwischen dem Halteverbotsschild und dem blauen Wagen in der legalen Parkbucht; trotzdem rangiert die Fahrerin auf engagierte Anweisungen eines ihrer Begleiter das Auto unablässig hin und her – in der Absicht, sich durchzuquetschen. „Komma, komma, komma“, lallt der dickliche Nachtschwärmer lautstark, „un’ schdobb! Un’ surügg, einschlan’g, un’ vor – schdobb!“
So geht das eine Viertelstunde lang, obwohl das Ganze ungefähr so sinnvoll ist wie der Versuch, ein Nilpferd in eine Hundehütte zu quetschen. Gleichwohl bleibt das Trio eifrig bei der Sache, drückt sogar an jenen Wagen herum („Scheise, der haddi Hannbremse ange’sogen!“), deren Abwesenheit sich die wütende Frau jetzt wohl noch sehnlicher wünscht als als eine IQ-Verdopplung ihrer Hilfstruppen.
Als die beiden Herren allerdings anfangen, die umliegenden Verkehrsschilder abzubauen, beschließe ich, die Polizei zu rufen. Schließlich sollte man weiterhin erfahren, dass die Seilerstraße ab diesem Punkt nur in eine Richtung befahren werden darf. Fünf Minuten später: Ein Streifenwagen zischt heran, zwei Polizisten springen heraus. Die beiden Begleiter der Frau verdrücken sich unauffällig, sie bleibt notgedrungen zurück.
Doch zu meiner Verwunderung stürzen die Ordnungskräfte sich plötzlich auf einen korpulenten Typen im T-Shirt, der ein paar Meter weiter vor der Spielhalle steht. Sofort werden die üblichen Klischeeschikanen durchdekliniert: Arme hoch, an die Wand, Beine auseinander. Gebrüll, Protest, das ganze Programm. Hier oben auf dem Balkon macht sich Verwunderung breit. Hallo, was ist denn nun mit dem abgebauten Einbahnstraßenschild? Ihr habt den falschen Mann!
Die Polizisten führen ihn zu einem Wagen hinter jenem, der die Frau zugeparkt hat. Auch der steht illegal auf dem Gehweg. Und er hat eine eingeschlagene Windschutzscheibe, wie ich jetzt sehe; der T-Shirt-Typ gilt offenbar als hauptverdächtig. Allerdings schwört er „bei meiner Mudder”, diese Scheibe noch nie im Leben gesehen, geschweige denn eingeschlagen zu haben.
Der Schauplatz des Geschehens hat sich verlagert, eindeutig. Schließlich lassen die Polizisten ihn doch laufen, obwohl sie das Entlastungspotenzial seines Mudderschwurs zunächst als nicht ausreichend hoch eingestuft hatten. Noch während sie Spuren am beschädigten Auto sichern, kommt endlich der Zuparker zurück. Und die Frau, die während der polizeilichen Investigation das unauffällige Mäuschen spielte, stürzt jetzt auf ihn zu, hält ihm den ausgestreckten Zeigefinger unter die Nase und faltet ihn zusammen wie eine Kiezhure ihren insolventen Freier.
„Du Wichser hast mich zugeparkt!“, brüllt sie, „was denkst du dir eigentlich dabei, Arschloch! Ich polier dir die Fresse, Pisskopp!“ Er bleibt stumm, steigt ein und fährt schnell weg. Sie auch. Und während dieser ganzen Szene stehen die Polizisten daneben; das Ganze interessiert sie für keine zwei Cent. Verschwundene Einbahnstraßenschilder, Gehwegparker, Furien am Rande des verursachten Kieferbruchs: egal. Sie bewachen ungerührt ein Loch in einer Windschutzscheibe.
Die Show ist also vorbei. Hier gibt es nichts (mehr) zu sehen. Nur zu bloggen.
Ex cathedra: Die Top 3 der Songs mit Polizeibeteiligung
1. „Hurricane“ von Bob Dylan
2. „Good cop bad cop“ von Everything But The Girl
3. alles von The Police
21 Februar 2006
Die wahren Psychopathen
„Sofort, als sie hereinkamen, wusste ich, dass es ein Fehler gewesen war, mich mit German Psycho und Pat Bateman zu verabreden. Bewusst hatte ich einen öffentlichen Treffpunkt vorgeschlagen, nämlich das Aurel in Ottensen. Hier war ich einst dem Dude begegnet, hier fühlte ich mich sicher.
Doch was da torkelnd und schreiend durch die Eingangstür hereinbrach wie zwei gleichzeitige Hurrikane über die Florida Keys, war in höchstem Maße beunruhigend. GP, den ich von einem gemailten Passfoto kannte, sah aus, als hätte er im Müllcontainer übernachtet. Sein Zegnahemd hing ihm aus den Baggypants, in den schulterlangen Dreadlocks hatten sich Stofffetzen verfangen, seine schneeweiße Wildlederhose war gesprenkelt mit roten Flecken irgendeiner Flüssigkeit, die sich an den Rändern bereits dunkel verfärbte; offenbar aufgrund eines Trocknungsprozesses.
Batemans hagere Gestalt hingegen wurde umflattert von einer ärmellosen Jeansjacke, darunter trug er ein vollkommen verdrecktes Hell's-Angels-T-Shirt, das lange parallele Risse aufwies – als hätte ihm jemand mit einer riesigen Gabel die Brust gefurcht. Oder war es eine verkrampfte, panische, mit langen spitzen Fingernägeln gespickte Hand gewesen? Auf seiner vollverspiegelten Dolce&Gabbana-Sonnenbrille schimmerte es öligbunt, die orangefarbenen Spandexleggings waren dunkelfleckig und mit Brandlöchern übersät.
Beide, mit den Armen über des anderen Schultern, grölten „Eat the rich“ und waren augenscheinlich völlig von Sinnen. Dennoch hätte dieser bizarre Auftritt mit etwas gutem Willen noch als hanseatische Exzentrik durchgehen können. Was aber die Gäste des Aurel – und mich – augenblicklich erstarren ließ, war die gewaltige Axt, die Bateman an seiner schwergliedrigen silbernen Halskette befestigt hatte und deren Stiel ihm fast bis an die Knie reichte. Vom einst chromblitzenden Keil tropfte eine rote Flüssigkeit, fleischartige Bröckchen säumten die Schneide, irgendetwas Furchtbares musste geschehen sein.
„Come on baby, eat the rich“, schrie Bateman, und GP antwortete: „Put the bite on the son of a bitch!“ Ich duckte mich hinter mein gottlob hoch aufragendes Halbliterglas Große Freiheit und hoffte, sie würden mich nicht entdecken.
Mir wurde schlagartig alles klar. Es war ein verdammter Fehler gewesen zu glauben, diese beiden hätten sich ihre psychopathischen Blogidentitäten nur zugelegt. Nein, alles, was GP und Bateman in ihren Blogs geschrieben hatten, alle blutigen Metzelfantasien, diese ganze scheinbar literarische Bret-Easton-Ellis-Mimikry war nichts weniger als wahr, wahr, wahr – und das zynische, gefühllose Schreiben darüber die beste Tarnung, die sich Psychopathen nur wünschen konnten.
Ich musste hier raus, musste diesen Irrsinn stoppen, sofort. Beide taumelten jetzt brüllend auf die Theke zu, der wild schlenkernde Axtstiel streifte einen Gast am Knie, doch der wagte nichts zu sagen, sondern stand geduckt auf und huschte zur Tür.
Meine Chance! Im Windschatten des Fliehenden schlüpfte ich hinaus, ich rannte wie wahnsinnig zum Bahnhof Altona, stürzte in ein Taxi, „Zur Davidwache!“, schrie ich, dort stolperte ich mit jagendem Puls die Treppe hoch, klammerte mich hechelnd an den Tresen und stammelte meine Geschichte.
Der Beamte schaute mich an. Dann lächelte er. Er glaubte mir kein Wort. Kein einziges.“
Ex cathedra: Die Top 3 der gefährlichsten Songs
1. „Careful with that axe, Eugene“ von Pink Floyd
2. „Don't fear the reaper“ von Blue Öyster Cult
3. „The killer in the rain“ von Paul K. & The Weathermen
Doch was da torkelnd und schreiend durch die Eingangstür hereinbrach wie zwei gleichzeitige Hurrikane über die Florida Keys, war in höchstem Maße beunruhigend. GP, den ich von einem gemailten Passfoto kannte, sah aus, als hätte er im Müllcontainer übernachtet. Sein Zegnahemd hing ihm aus den Baggypants, in den schulterlangen Dreadlocks hatten sich Stofffetzen verfangen, seine schneeweiße Wildlederhose war gesprenkelt mit roten Flecken irgendeiner Flüssigkeit, die sich an den Rändern bereits dunkel verfärbte; offenbar aufgrund eines Trocknungsprozesses.
Batemans hagere Gestalt hingegen wurde umflattert von einer ärmellosen Jeansjacke, darunter trug er ein vollkommen verdrecktes Hell's-Angels-T-Shirt, das lange parallele Risse aufwies – als hätte ihm jemand mit einer riesigen Gabel die Brust gefurcht. Oder war es eine verkrampfte, panische, mit langen spitzen Fingernägeln gespickte Hand gewesen? Auf seiner vollverspiegelten Dolce&Gabbana-Sonnenbrille schimmerte es öligbunt, die orangefarbenen Spandexleggings waren dunkelfleckig und mit Brandlöchern übersät.
Beide, mit den Armen über des anderen Schultern, grölten „Eat the rich“ und waren augenscheinlich völlig von Sinnen. Dennoch hätte dieser bizarre Auftritt mit etwas gutem Willen noch als hanseatische Exzentrik durchgehen können. Was aber die Gäste des Aurel – und mich – augenblicklich erstarren ließ, war die gewaltige Axt, die Bateman an seiner schwergliedrigen silbernen Halskette befestigt hatte und deren Stiel ihm fast bis an die Knie reichte. Vom einst chromblitzenden Keil tropfte eine rote Flüssigkeit, fleischartige Bröckchen säumten die Schneide, irgendetwas Furchtbares musste geschehen sein.
„Come on baby, eat the rich“, schrie Bateman, und GP antwortete: „Put the bite on the son of a bitch!“ Ich duckte mich hinter mein gottlob hoch aufragendes Halbliterglas Große Freiheit und hoffte, sie würden mich nicht entdecken.
Mir wurde schlagartig alles klar. Es war ein verdammter Fehler gewesen zu glauben, diese beiden hätten sich ihre psychopathischen Blogidentitäten nur zugelegt. Nein, alles, was GP und Bateman in ihren Blogs geschrieben hatten, alle blutigen Metzelfantasien, diese ganze scheinbar literarische Bret-Easton-Ellis-Mimikry war nichts weniger als wahr, wahr, wahr – und das zynische, gefühllose Schreiben darüber die beste Tarnung, die sich Psychopathen nur wünschen konnten.
Ich musste hier raus, musste diesen Irrsinn stoppen, sofort. Beide taumelten jetzt brüllend auf die Theke zu, der wild schlenkernde Axtstiel streifte einen Gast am Knie, doch der wagte nichts zu sagen, sondern stand geduckt auf und huschte zur Tür.
Meine Chance! Im Windschatten des Fliehenden schlüpfte ich hinaus, ich rannte wie wahnsinnig zum Bahnhof Altona, stürzte in ein Taxi, „Zur Davidwache!“, schrie ich, dort stolperte ich mit jagendem Puls die Treppe hoch, klammerte mich hechelnd an den Tresen und stammelte meine Geschichte.
Der Beamte schaute mich an. Dann lächelte er. Er glaubte mir kein Wort. Kein einziges.“
Ex cathedra: Die Top 3 der gefährlichsten Songs
1. „Careful with that axe, Eugene“ von Pink Floyd
2. „Don't fear the reaper“ von Blue Öyster Cult
3. „The killer in the rain“ von Paul K. & The Weathermen
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