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25 August 2024

Cat ohne Power

Vorab: Sich im großen Saal der Elbphilharmonie aufhalten zu dürfen, ist immer ein Genuss für sich. Die augenschmeichelnde Architektur, das wohlig warme Dämmerlicht: All das tut dem Gemüt gut, ganz unabhängig davon, wer oder was tief dort unten – wir saßen unterm Dach auf Ebene sechzehn – die Rundbühne bevölkert. Selbst wenn es die amerikanische Sängerin Cat Power ist.

Von ihrer grundsätzlich bezirzenden Idee, Bob Dylans berühmtes 1966er-„Royal Albert Hall“-Konzert (das in Wahrheit in der Free Trade Hall in Manchester stattfand) eins zu eins nachzuspielen, hatte ich mir als passionierter Dylanologe natürlich einiges versprochen – es allerdings vorab verabsäumt, Frau Power davon auch in Kenntnis zu setzen.

Das Problem der an diesem Abend geradezu Liza-Minnelli-haft zu- und hergerichteten Amerikanerin: Sie verfügt zwar über ein ansprechendes Timbre, kann aber – so hart muss man es sagen – nicht singen, zumindest nicht live. Und so leid es mir tut: Einen Ton nicht zu treffen, bedeutet noch lange keine gelungene Neuinterpretation.

Der Lagerfeuerklampfer, der sie in der ersten – akustischen – Konzerthälfte aufs banalste begleitete, verstärkte den Eindruck einer künstlerisch höchst dürftigen Darbietung, deren herausragendes Feature die Langeweile war. In der zweiten Hälfte wurde das Ganze, analog zur Vorlage, dann zum Rockkonzert. An Cat Powers größtem Talent, nicht singen zu können, änderte das freilich wenig, wodurch wir uns ermuntert sahen, in aller Ruhe das Weite zu suchen, also St. Pauli. 

Doch was soll’s: Wir hatten uns im großen Saal der Elbphilharmonie aufhalten dürfen, und selbst wenn dort unten auf der Rundbühne eine frisch bemalte Leinwand gestanden hätte, der wir beim Trocknen zugesehen hätten: Es wäre ein Genuss für sich gewesen.

Aber schade um die schönen Songs war’s schon.




13 Oktober 2016

Bob Dylan und ich haben den Nobelpreis



Heute hat Bob Dylan den Literaturnobelpreis bekommen. Grund genug, hier und jetzt mal wieder meinen Rang als wahrscheinlich weltweit fanatischster Dylan-Coversongsammler überzubetonen.

Ich weiß nicht mehr genau, wann ich damit begann, systematisch Coverversionen von Bob-Dylan-Songs zu sammeln. Ich weiß nur, dass es keineswegs an Vorbehalten gegen Dylans Stimme oder Gesangsstil lag, was viele Leute ja ins Feld führen, wenn sie begründen wollen, weshalb dieses oder jenes Cover angeblich „besser“ sei als das Original.

Nein, Dylan ist ein einmaliger Interpret seiner selbst und seine Stimme ein Wunder der Natur, von Anfang an. Mittlerweile erinnert sie zwar eher an die verkohlten Ruinen einer metallverarbeitenden Fabrik, aber auch das hat seine Reize. Jedenfalls lag es nicht im Mindesten an einer Aversion gegen Dylan selbst, dass ich Covers zu sammeln begann, sondern an der puren Brillanz seiner Songs.

Stücke wie „Desolation Row“, „Wedding song“, „The ballad of Frankie Lee and Judas Priest“ oder „Don’t think twice“ sind so wunderbar komponiert, ihre Melodieführung so hinreißend, dass mir das Immerwiederhören der Originale irgendwann einfach nicht mehr reichte. Nein, meine Gier nach Varianten wurde im Lauf der Jahre immer größer – zumal man als Musikfan im Lauf seiner Sozialisation sowieso immer wieder mit verblüffenden Neu-, Um- und Ausdeutungen von Dylans Songs konfrontiert wird. Van Morrisons dramatisch zwischen Verlustangst und Angstlust schwankendes „It’s all over now, baby blue“ wird jeder Mensch mit Geschmack irgendwann kennen- und liebenlernen, ob er nun 1940 geboren ist oder 2001.

Ich jedenfalls begann vor einigen Jahren systematisch damit, alle – alle! – Bearbeitungen von Dylan-Kompositionen zu sammeln. Zunächst schlachtete ich die eigene LP- und CD-Sammlung aus, parallel dazu recherchierte ich Veröffentlichungen und schaufelte mir unzählige Coverblogs in den RSS-Reader (ich LIEBE das Internet!), um keine Interpretation zu verpassen, sei sie alt, abgelegen, scheußlich oder neu. Ich kaufte, kopierte, lud runter – kurz: Ich warf ein riesiges Dylan-Coversongsschleppnetz aus, und zwar mit recht passablem Erfolg.

Es gibt übrigens Fanatiker, die katalogisieren jedes einzelne gecoverte Stück, was eine unschätzbar wertvolle Quelle ist, aber auch ein steter Quell der Qual. Denn natürlich sind die bereits deutlich über 30.000 verzeichneten Studioeinspielungen von Dylan-Songs niemals alle zu beschaffen, und das frustriert schon ein bisschen. Andererseits gibt diese Tatsache mir auch die beruhigende Gewissheit, dass die Suche immer weitergehen kann und wird.

Denn das wäre ja das Schlimmste für einen Jäger und Sammler: dereinst den letzten, allerletzten Schatz gehoben zu haben.

Mein entsprechender iTunes-Ordner verzeichnet momentan jedenfalls nur rund sieben Prozent aller bekannten Covers, das sind exakt 2171 Stück mit einer Laufzeit von gut sechs Tagen – oder, digital gesprochen, 17,26 Gigabyte.

Darunter befinden sich epische Progrockversionen („All along the watchtower“, Affinity), ranschmeißerische Anschmachter („He was a friend of mine“, Cat Power), wildestes Cowpunkgeprügel („Blowin‘ in the wind“, Me First & The Gimme Gimmes), japanischer Kleinmädchenkitschpop („Mr. Tambourine man“, Kumisolo), superglitschige Schnulzepen („Wigwam“ von Drafi! Deutscher!!), virtuose Mash-ups („All along the love lockdown (Bob Dylan vs. Kanye West), ToTom) oder unfassbar grottige Poprockfassungen einer galizischen Amateurcombo namens 7 Ivvas.

Es gibt buchstäblich kein Genre, das es nicht gibt im Kosmos der Dylan-Covers, und jede einzelne Adaption beweist nur eins: wie inspirativ und befeuernd die jeweilige Originalkomposition ist. Kurz: Dylan hätte nicht nur den Literaturnobelpreis verdient, sondern auch den Musiknobelpreis. Den ich hiermit anrege.

All die oben genannten Künstler und Künstlerchen und auch all seine Fans verleihen diesem Songdichter letztlich seine Bedeutung – und deshalb hat nicht nur Bob Dylan heute den Nobelpreis bekommen, sondern sie alle. Wir alle. Auch ich. Aber nicht die, die ihn für einen schlechten Sänger halten. Sie haben irgendetwas nicht richtig verstanden.

Unter diesem Link finden Sie alle zurzeit von mir verwalteten Coversongs. Die Liste ist, wie Sie sicherlich schon ahnten (oder befürchteten), außerordentlich vorläufig.

Aber so was von.


PS: Dieser Text ist die aktualisierte Fassung einer Vorschau auf eine von mir 2011 konzipierte Dylan-Sendung beim Internetradio Byte.fm.

PPS: Das Foto zeigt mich im Kreise Gleichgesinnter bei der Zelebration von Dylans 75. Geburtstag im Mai diesen Jahres.

Update vom 6. Januar 2017: Inzwischen ist der Bestand auf 2335 Coversongs gewachsen, nicht zuletzt dank einiger liebenswerter Leser dieses Blogtextes. Dafür ein aufrichtiges Dankeschön!



 

21 Oktober 2013

Was lange währt, wird endlich Bob

Wie sehr, sehr langjährige Leser dieses Blogs wissen, versuche ich seit den frühen 80er-Jahren vergeblich, Bob Dylan zu fotografieren. Dieses Unterfangen scheiterte stets auf klägliche Weise; eine selbstentlarvende Chronik der Ereignisse gibt es peinlicherweise noch immer hier

Seit gestern aber ist mir diese selbstauferlegte Last von den Schultern genommen, denn ich habe VERDAMMT NOCH MAL ENDLICH BOB DYLAN FOTOGRAFIERT! Und zwar so, dass man ihn – und das ist das Sensationelle an dieser Meldung – auch erkennen kann. 

Der Künstler selbst begünstigte dieses epochale Ergebnis freundlicherweise durch den Verzicht auf die sonst bei ihm üblichen Accessoires Hut und Sonnenbrille. Und statt mich hatten die Sicherheitskräfte am Eingang nur Ms. Columbo nach einem Fotoapparat gefragt – Glück happens.

Übrigens kam Dylan während des Konzertes, wenn man von den zwei Zugaben absieht, ohne jeden Song aus den 60ern aus. Ein also in mehrerlei Hinsicht unvergesslicher Abend. Als Fotograf müsste ich mich eigentlich jetzt – auf dem Höhepunkt meiner „Karriere“ – zur Ruhe setzen. Und vielleicht tu ich das auch. 

Denn ich habe VERDAMMT NOCH MAL ENDLICH BOB DYLAN FOTOGRAFIERT.


24 Mai 2011

Bob Dylan zum Klimaschutz auf Kiezianisch



Wie vergangene Woche bereits vorsorglich angedroht, behellige ich Sie nun erneut mit einem Hinweis auf die von mir konzipierte Sendung mit Bob-Dylan-Coverversionen auf Byte.fm.

Heute Mittag um 12 Uhr kann sie, wer will, im Internet hören – am einfachsten mithilfe eines Klicks auf den Player links in der Leiste.

Byte.fm hat anlässlich dieses Jubiläums natürlich noch viel mehr Sendungen im Programm; einen Überblick mit allen Terminen gibt es hier.

Das alles hat natürlich nur sehr partiell mit dem heutigen Foto zu tun. Es zeigt einen jungen St. Paulianer, welcher der gemeinhin sinnlosen Nachtbeleuchtung unserer Postfiliale gestern Abend einmal einen Sinn verlieh – indem er in ihrem heimelig gelben Schein sein Fahrrad reparierte.

„It ain’t no use in turnin’ on your light, babe“, hat Dylan dazu angemerkt, erstaunlicherweise schon 1963.

18 Mai 2011

It ain’t him, babe



Ich weiß nicht mehr genau, wann ich damit begann, systematisch Coverversionen von Bob-Dylan-Songs zu sammeln. Ich weiß nur, dass es keineswegs an Vorbehalten gegen Dylans Stimme oder Gesangsstil lag, was viele Leute ja ins Feld führen, wenn sie begründen wollen, weshalb dieses oder jenes Cover angeblich „besser“ sei als das Original.

Nein, Dylan ist ein einmaliger Interpret seiner selbst und seine Stimme ein Wunder der Natur, von Anfang an. Mittlerweile erinnert sie zwar eher an die verkohlten Ruinen einer metallverarbeitenden Fabrik, aber auch das hat seine Reize. Jedenfalls lag es nicht im mindesten an einer Aversion gegen Dylan selbst, dass ich Covers zu sammeln begann, sondern an der puren Brillanz seiner Songs.

Stücke wie „Desolation Row“, „Wedding song“ oder „Don’t think twice“ sind so wunderbar komponiert, ihre Melodieführung so hinreißend, dass mir das Immerwiederhören der Originale irgendwann einfach nicht mehr reichte. Nein, meine Gier nach Varianten wurde im Lauf der Jahre immer größer – zumal man als Musikfan im Lauf seiner Sozialisation sowieso immer wieder mit verblüffenden Neu-, Um- und Ausdeutungen von Dylan-Songs konfrontiert wird. Van Morrisons dramatisch zwischen Verlustangst und Angstlust schwankendes „It’s all over now, Baby Blue“ wird jeder Mensch mit Geschmack irgendwann kennen- und liebenlernen, ob er nun 1940 geboren ist oder 1990.

Ich jedenfalls begann vor einigen Jahren systematisch damit, alle – alle! – Bearbeitungen von Dylan-Kompositionen zu sammeln. Zunächst schlachtete ich die eigene LP- und CD-Sammlung aus, parallel dazu recherchierte ich weitere Veröffentlichungen und schaufelte mir unzählige Coverblogs in den RSS-Reader (ich LIEBE das Internet!), um keine Interpretation zu verpassen, sei sie alt, abgelegen, scheußlich oder brandneu. Ich kaufte, kopierte, lud runter – kurz: Ich warf ein riesiges Dylan-Coversongs-Schleppnetz aus, und zwar mit durchaus passablem Erfolg. Denn das wäre ja das Schlimmste für einen Jäger und Sammler: dereinst den letzten, allerletzten Schatz gehoben zu haben.

Mein entsprechender iTunes-Ordner verzeichnet momentan jedenfalls nur rund fünf Prozent aller bekannten Covers. Das sind 1513 Stück mit einer Laufzeit von vier Tagen, fünf Stunden, 20 Minuten und 33 Sekunden. Darunter befinden sich epische Progrockversionen („All along the Watchtower“, Affinity), ranschmeißerische Anschmachter („He was a friend of mine“, Cat Power), wildestes Cowpunkgeprügel („Blowin' in the wind“, Me First & The Gimme Gimmes), japanischer Girliekitschpop („Mr. Tambourine Man“, Kumisolo) oder unfassbar grottige Poprockfassungen einer galizischen Amateurcombo namens 7 Ivvas.

So, das war die Einleitung. Denn was ich mit all dem sagen will, ist Folgendes: Am 24. Mai mittags um 12 Uhr laufen beim Internetsender Byte.fm eine Stunde lang abgelegene, skurrile, merkwürdige und keineswegs allgemein bekannte Dylan-Covers aus meiner Sammlung.

It ain’t him, babe, sozusagen – und dennoch sehr unterhaltsam. Oder gerade deswegen – zumindest für all jene, die aus mir völlig unverständlichen Gründen Dylans Stimme oder Stil nicht mögen. Mehr zur Sendung gibt es auf der Programmseite von Byte.fm – und natürlich werde ich Sie kommende Woche noch einmal mit einer kleinen Erinnerung an diese Sendung nerven; das haben Sie sich sicher schon gedacht.

Es gibt übrigens Fanatiker, die katalogisieren jedes einzelne gecoverte Stück, was für einen wie mich eine unschätzbar wertvolle Quelle ist, aber auch ein steter Quell der Qual. Denn natürlich sind die bereits über 30.000 verzeichneten Studioeinspielungen von Dylan-Songs niemals alle zu beschaffen, und das frustriert schon ein bisschen. Andererseits gibt diese Tatsache mir auch die beruhigende Gewissheit, dass die Suche immer weitergehen kann und wird.

Es gibt buchstäblich kein Genre, das es nicht gibt im Kosmos der Dylan-Covers, und jede einzelne Adaption beweist nur eins: wie inspirativ und befeuernd die Originalkomposition ist.



14 Oktober 2008

50 Prozent SEINER Gene



Man kann von keinem Sänger der Welt erwarten, Bob Dylans künstlerisches Gewicht zu erreichen, warum also sollte ausgerechnet sein Sohn dazu in der Lage sein?

Dank dieser Überlegung prophylaktisch milde gestimmt, kommt mir das Konzert von Jakob Dylan in der Fabrik gar nicht mehr so mittelmäßig vor, obwohl es das natürlich weiterhin ist.

Wir stehen zunächst oberhalb, dann neben der Bühne, vielleicht vier Meter von ihm entfernt, und mir wird klar, dass ich wohl niemals näher an Bob Dylan herankommen werde als an die dort drüben Gitarre spielenden 50 Prozent seiner Gene.

Zurück vom Konzert, das wir vorzeitig verlassen, rege ich an, als Betthupferl noch ein wenig „24“ zu schauen. „Aber nur eine Folge“, mahnt Ms. Columbo.

„Okay, aber eine ist keine, also können wir noch eine zweite schauen, das ist dann eine, und dann geht auch noch eine dritte, weil die zweite ja genau genommen auch keine ist“, erwidere ich.

„Wir können’s auch ganz lassen“, sagt Ms. Columbo.

07 Juli 2007

Lauter Banalitäten, aber wenigstens musikalische

Bereits gestern hatte mich Heißhunger auf bretonische Harfenmusik gepackt.

Wahrscheinlich lag es an etwas Kreuzbanalem, vielleicht war beim Skippen durchs „Fernseh” (Poodle) irgendwo im Off ein Harfenpartikel aufgeblitzt und hatte mir à la Proust eine verschollene Erinnerung aus dem Gedächtnis gefischt.

Heute jedenfalls gestand ich Ms. Columbo diesen Heißhunger – und gleich darauf auch das Bedürfnis, ihn endlich zu stillen, hier und jetzt.

Gottergeben sah sie mir zu, wie ich zur LP-Sammlung schritt und drei 70er-Jahre-Alben der bretonischen Harfencombo An Triskell hervorzog, um eine nach der anderen umstandslos aufzulegen – nicht ohne in erklärendes Salbadern zu verfallen übers Weshalb und Warum dieses von ihr richtigerweise als „schräg“ rubrizierten Tuns.

Aus welchen Gründen ich Ms. Columbo dann aber mit Zeltingers Kölschpunk „Müngersdorfer Stadion“ malträtierte, bleibt unklar. Und warum bloß stellte ich uns danach unter die prasselndste Fremdschämvolldusche seit „Borat“, nämlich mit Udo Lindenbergs „Wozu sind Kriege da?“? Der Abend endete dennoch versöhnlich, dank eines Dylan-Bootlegs („The Genuine Basement Tapes“, Teil 3).

Wen das alles interessieren soll, liegt übrigens genauso im Dunkeln wie die Ursache meines Heißhungers auf bretonische Harfenmusik.

Hat eigentlich jemand die Vinylsingle „Blanc bleu rouge“ von An Triskell? Das Ding muss ich haben. Wirklich.

25 Mai 2007

Dylan und die toten Präsidenten

Ups, ich habe gestern glatt vergessen, meinem Lieblingskünstler Bob Dylan öffentlich zum 66. Geburtstag zu gratulieren … Deshalb jetzt ein Beitrag zur Wiedergutmachung.

Das Jubiläum von Dylans Wiegenfest fiel zusammen mit der erneuten barbarischen Tötung eines Gefangenen durch US-Behörden in Ohio – und in dieser Parallelität steckt eine niederschmetternde Widersprüchlichkeit: Dieses Land, die USA, brachte die Menschenrechtserklärung und Künstler wie Dylan hervor, und zugleich tritt es bis heute die Menschenrechte reinen christlichen Gewissens mit Füßen.

Dazu passt Dylans Song über ein Justizopfer in der Todeszelle. Er heißt „Hurricane“, und darin weint Scarlet Riveras tragische Geige voller Wehmut um die verlorenen Ideale George Washingtons.

Dylan selbst reagiert heute – wenn überhaupt – mit lakonischem Sarkasmus auf die unheilbaren Wunden seiner Nation. Zumindest meine ich das aus einer launigen Bemerkung rückschließen zu können, mit der er unlängst in seiner Radioshow die Stadt Dallas charakterisierte.

„Dallas, Texas“, witzelte er, „where they shoot presidents and shoot people who shot presidents …"

Okay, here comes the story of the Hurricane:

04 April 2007

Die lange und jämmerliche Geschichte meiner Versuche, Bob Dylan zu fotografieren

Ich versuche in der Color Line Arena den offenen Kasten zu knipsen, in dem die Gitarren von Bob Dylans Begleitband aufbewahrt werden; er trägt die Aufschrift „Beware of DOG“. Und diese Warnung war berechtigt, denn sofort walzt eine Security-Bulldogge heran und verbietet mir das Knipsen.

Der Typ ist unfassbar dick und so wulstig rund wie das Michelin-Männchen, sein kahler Schädel mündet am Kinn unmittelbar in den Schlips. Ein Hals, an dem das Kleidungsstück festgebunden sein könnte, ist nicht zu sehen, nicht einmal im Ansatz.

„Beware of DOG!“, halte ich ihm die Trivialität meines Motivs kommentarlos vor und versuche ihm so die Lachhaftigkeit seines Ansinnens vor Augen zu führen. Was auch funktioniert. Allerdings lacht er nicht. „Danach ist sofort Schluss“, sagt er.


Im weiteren Verlauf des Abends versuche ich mehrfach heimlich Bob Dylan zu fotografieren, gerate jedoch immer wieder ins Visier der argwöhnischen Bulldogge. Dass letztlich kein einziges Bild entsteht, welches das Manko des Dilettantischen abzustreifen vermag, will ich gleichwohl nicht dem Dicken anlasten, sondern einer langen persönlichen Tradition vergeblicher Versuche, Bob Dylan zu fotografieren.

Sie reicht zurück bis in die frühen 80er Jahre, als ich erstmals der Gnade anteilig wurde, einen Ort auf dieser Erde mit dem auratischen Künstler teilen zu dürfen, was mir seither weitere fünf Male vergönnt war. Es war auf der Loreley am Rhein, das Gelände war so riesig wie meine Pocketkamera klein, und ich kam kaum näher als fünfzig Meter an die Bühne heran.

Dennoch wagte ich einen Schuss, der – zusätzlich beeinträchtigt durch ein ehrfurchtsvolles Zittern meiner Hände – einen verwischten rotweißen Fliegenschiss in der Mitte des Fotos ergab, und das war Bob Dylan. Dass ich der Einzige weltweit war, der diese Bilddeutung zu leisten imstande war, steigerte meine gedämpfte Freude über den Beweis meiner Begegnung allerdings kaum. (Übrigens habe ich heute Abend alle Schubladen nach diesem Foto durchwühlt, um diese Schilderung zu dokumentieren, konnte es aber nicht finden.).

Danach passierte dekadenlang nichts, doch vor zwei Jahren traf ich wieder einmal kamerabewehrt auf Dylan, und zwar im CCH. Der Versuch, in die Nähe der Bühne zu gelangen, schien zunächst von Erfolg gekrönt, doch kaum zückte ich die Kamera zum finalen Schuss, vertrieb mich ein menschlicher Panzerschrank, der mich jetzt, im Rückblick, frappant an jenes Monstrum erinnert, welches mich heute Abend vom „Beware of DOG“-Schild fernhalten wollte.

Aus der Deckung der letzten Reihe versuchte ich noch mal mein Glück und erzeugte jenes oben zu sehende wirre Gewische aus Rot- und Gelbklecksen, in dessen Mitte mit viel gutem Willen eine Art Hut zu erkennen ist, und der gehört Bob Dylan. Das tut er, ich schwör’s!

Heute Abend nun gelang mir unter den argwöhnischen Schweinsäuglein der Bulldogge jenes oben gleichfalls dokumentierte blaugrundierte Werk, in dessen Bildmitte ein verwackelter weißer Hut zu erkennen ist, worunter sich wer versteckt? Bob Dylan.

Diesmal – soviel kann ich stolz behaupten – habe aber nicht ich gewackelt, sondern Bob. Insofern bedeutet das einen kleinen Höhepunkt in der langen Geschichte meiner jämmerlichen Versuche, Bob Dylan zu fotografieren.

Na ja, wirklich wichtig sind ja eh nur die Bilder, die man im Kopf hat. Leider scheitere ich aber immer wieder daran, davon Abzüge fertigen zu lassen.

24 Mai 2006

Poodle-Bob

Heute Abend in der Tanzhalle spielte der kanadische Songwriter Jason Collett mit seiner Band auf, doch die Idee, Bob Dylan ein Ständchen zum 65. zu singen, kam dem guten Mann nicht. Ich zählte auf die Zugaben, doch Collett spielte störrisch Selbstkomponiertes.

Das war toll, keine Frage, aber ein kleines „Forever young“ oder so hätte mein Herz genauso erfreut wie sein zwischendurch erzählter Jugendschwank von einem Tanzabend, der an einem Joint scheiterte.

Dessen noch nicht ganz verglommener Stummel nämlich war Collett irgendwie in den Kragen seines Polyesterpullovers geraten, was ihn zunächst weder bekümmerte noch davon abhielt, mit einer gewissen Crystal Vanderbilt ins Highschoolfoyer zu marschieren. Darauf aber hatte der perfide Jointstummel nur gewartet – und setzte Colletts Pullover in Flammen. Polyester, das weiß er seither, brennt verdammt gut. „Crystal was screaming and laughing“, schilderte Collett den recht holprigen Verlauf der Rettungsaktion, aber ein Dylanstück spielte er nicht mehr heute Abend.

Dafür liefert der hochgeschätzte Herr Poodle ein ebensolches, was mir die beabsichtigte Eloge vollkommen erspart, die mir eh wieder viel zu lang geraten wäre und einen Teil der Leserschaft zum Augenrollen gezwungen hätte. Bis auf Herrn Boogie natürlich, der mich gar zu einer dylanologischen Abhandlung animieren wollte.

Nicht nur ihn hoffe ich daher mit dem dritten Teil von Dylans Radioshow zu besänftigen, diesmal zum Thema Trinken. Apropos Nahrungsaufnahme: In seiner Autobiografie schildert der Musikmanager Walter Yetnikoff, wie er 1986 mal zum Lunch mit Bob Dylan verabredet war und dieser nicht alleine, sondern mit seiner Mutter, mehreren Onkeln und Kusinen anrauschte.

Während des Mahls musste Yetnikoff dann mit großem Befremden erleben, wie sich der mysteriöse Dichter in Klein-Bobby Zimmerman verwandelte. Dylans Mutter nämlich schnitt Sohnemann das Essen klein, fand ihn zu dünn, drängte darauf, er möge tüchtiger zulangen und sich vor allem klarer artikulieren.

„Bobby", mahnte sie streng das Sprachrohr seiner Generation, „be nice!“
Ergo: Happy birthday, Bob!

*** Exklusiver Bonustrack: „Big River“, ein offiziell unveröffentlichtes Duett von Johnny Cash und Bob Dylan, aufgenommen im Februar 1969 in Nashville, Tennessee.

17 Mai 2006

Bob Dylan: Vom Schweiger zur Plaudertasche

Nicht nur, weil er über lange Zeiten schwieg oder pro Dekade höchstens ein Interview gab (und das an konspirativen Orten), gilt der amerikanische Sänger, Dichter und Komponist Bob Dylan als Mysterium. Selbst auf der Bühne spricht er nicht, er brummt am Ende eines Konzertes allenfalls die Namen der Mitmusiker.

Ein Rätsel, dieser Mann. Und wahrscheinlich der bedeutendste, einflussreichste, geheimnisvollste US-Künstler der letzten 100 Jahre. Als vor einigen Monaten der Regisseur Martin Scorsese auf seiner DVD „No direction home“ gefilmte Interviews mit ihm veröffentlichte, konstatierte die internationale Dylanologie erstaunt und ergriffen: Der Mann kann ja doch sprechen. Und das sogar flüssig und fein mit Witz gewürzt.

Doch nicht genug der Sensationen. Bob Dylan, die Sphinx unserer Zeit, hat jetzt eine eigene Radioshow.


Als DJ.
Ungelogen.

Jede Woche mittwochs geht er auf Sendung. Er knöpft sich ein Thema vor, erzählt mit sonorer Stimme kleine Geschichten über die Künstler, die er gleich spielen wird, wirft uns nonchalant Nachtschattenaphorismen hin und scheint uns dabei zuzuzwinkern.

Ja: Dylan ist jetzt ein DJ, man fasst es nicht. Die Sendung gibt es natürlich nur gegen Bares im Internet, bei XM Satellite Radio. Doch ich habe zwei Links zu MP3-Mitschnitten der Sendungen entdeckt. Die online zu stellen, ist vielleicht illegal, mag sein, aber damit muss sich die Ursprungsquelle herumschlagen. Und wer weiß, wie lange diese 60-Minuten-Wunderwerke der Radiogeschichte noch dort verfügbar sein werden.

Doch solange sie da sind: Hört sie euch an. Ladet sie auf eure Rechner. Dann kann sie euch niemand mehr nehmen. Denn wenn jemand jahrzehntelang mehr oder weniger schwieg und jetzt redet, dann sollte man zuhören, was er zu sagen hat. Es ist ja nicht irgendjemand. Es ist Bob Dylan. Wir haben nicht viele, die größer sind als er.

Hier sind die Links:
3. Mai 2006: Thema „Weather“
10. Mai 2006: Thema „Mothers“.

Aber verpetzt mich nicht, ok?

Ex cathedra: Die Top 3 der Songs, die DJ Bob aufgelegt hat
1. „Mama don't allow“ von Julia Lee
2. „The wind cries Mary“ von Jimi Hendrix
3. „Have you seen your mother, baby, standing in the shadow“ von The Rolling Stones

26 Oktober 2005

Die Tanke

Gestern erwähnte ich Christians Begegnung der Dritten Art mit Bob Dylan an einer österreichischen Tankstelle. Heute erzählt er die ganze Geschichte in seinem eigenen Blog. Lohnt sich.

Komme heute nach Arbeitstag und Fitnesstraining erst gegen 21 Uhr in ein verwaistes Zuhause, denn die Liebste ist auf Achse. Und immer an einsamen Abenden packt mich der Heißhunger auf das Besondere – sei es, um mich über ihre Abwesenheit hinwegzutrösten, sei es, weil ich mir dann in aller Ruhe etwas zubereiten kann, das sie nicht mag.

Zum Beispiel gebratene luftgetrocknete Salami mit gedünsteten Tomaten und überbackenem Spiegelei, was am Ende komplett auf ein doppelt getoastetes Sauerteigbrot gelegt wird, das mit dünnen, durch die Wärme des Brotes leicht angeschmolzenen Parmesanscheiben belegt ist. Dazu ein Astra Urtyp – das ist kulinarisches Glück. Deftig, aber unübertrefflich.


So ist's geplant, und die Butter brodelt auch schon in der Pfanne, als ich die Kühlschranktür öffne und nur sehr wenige Eier erblickte. Genauer gesagt: null. Auf St. Pauli ist das aber kein Problem. Während der Rest der Republik nach 20 Uhr nur noch zum Nachbarn gehen kann, um Lebensmittelmängel zu beheben, habe ich die Wahl zwischen mindestens vier Läden, die sich an keine Öffnungszeiten halten müssen. Einer davon hat meines Wissens sogar rund um die Uhr auf (sicher kann ich es nur deswegen nicht sagen, weil ich ihn morgens um vier noch nie aufgesucht habe).


Ich entscheide mich für die geografisch nächste Möglichkeit: die Tankstelle am Spielbudenplatz, die trotz eines augenscheinlich begrenzten Verkaufsraums ALLES zu haben scheint, natürlich auch Eier. Diese Tanke rettet meinen Abend, nicht zum erstenmal. Und auf dem Rückweg ragt das Steakhaus an der Reeperbahn derart attraktiv in die Nacht, dass es hier glatt fotografisch verewigt werden muss.


Große Musik, die heute durch den iPod floss: „25 minutes to go“ von Johnny Cash, „La la la I love you“ von Don McLean und „Sing“ von Travis.

25 Oktober 2005

Dylan (2)

Gestern nachmittag ging ich ins Büro von Kramer und dem Franken und sagte: „Liebe Kollegen, ich möchte euch darum bitten, mal für einen Moment innezuhalten. Lasset uns innehalten und der Tatsache gedenken, dass eins der größten Genies, das je unter der Sonne wandelte, sich just in dieser Sekunde ganz in der Nähe von uns aufhält und wir die unverdiente Ehre haben, diese Stadt mit ihm zu teilen.“

Die Kollegen schauten irritiert, einer zieh mich sogar eines pastoralen Tons. Doch die beiden hatten ja auch keine Karten für das abendliche Konzert von Bob Dylan. Aber ich. Auf dem Weg durchs hässliche CCH begegnete ich kurz dem Blick von Bap-Chef Wolfgang Niedecken und war recht froh, dass er nicht wusste, mit welchen Worten ich vor einiger Zeit seine Hörbuchfassung von Dylans Memoiren auseinandergenommen hatte.

Ich saß im Hochparkett (alle saßen, leider), und dennoch bekam ich die volle Ladung jener Auradusche ab, die Dylan stets aufdreht, wenn er einen Saal betritt. Näher als bei einem Dylan-Konzert kann man der Geschichte der Populärkultur nämlich nicht sein. Er spielt sein „All along the watchtower“, und diese mythosbildende Maschine namens Gehirn lässt die ganze Historie des Rock innerlich abschnurren und sagt dir, dass Jimi Hendrix ohne diesen Song um ein paar Nummern kleiner ins kollektive Menschheitsgedächtnis eingesunken wäre. Hendrix!


Und genau jener Typ, der dafür verantwortlich ist, steht in nur wenigen Metern Entfernung vor dir, ganz in schwarz und mit einem hellen Hut auf dem notorischen Wuschelkopf, er patscht auf dem Keyboard herum, raunzt „the wind began to howl“ und schickt dich unter die Auravolldusche. Und weil wir, wir alle, seine Songs okkupiert und sie in Folklore, Volksgut, Allgemeinbesitz verwandelt haben, holt er sie sich zurück, indem er sie verbiegt und zerkrächzt, indem er alle Melodien in eine fließen lässt, ob von „Simple twist of fate“ oder „Lay lady lay“, und so ihr Zombiedasein beendet und sie wieder zum Leben erweckt. Ja, er holt seine Kinder heim.


Dylan spielt keine verschiedenen Stücke mehr (obwohl seine Band die Harmonien heute abend sehr originalnah angeht und sie mit überraschendem Countryflair versieht), sondern er singt einen einzigen großen, großen Song. Am Ende steht er stumm da, wiegt sich vor und zurück, wischt sich kurz über die Nase mit unbewegter Miene und versucht es einen weiteren Tag auszuhalten, im Körper einer Legende gefangen zu sein, im Körper von BOB DYLAN.


Hinterher geht es in der
Weltbühne weiter, wo Kollege Max Dax aus Berlin Dylan-Raritäten auflegt, und der aus dem Eintrag von gestern bekannte Zeiser vom Prinz erzählt, wie er mal Dylan auf Europatour hinterher reiste und dem Sänger an einer Tankstelle in der Nähe von Wien leibhaftig begegnete. Er stand zwischen den Zapfsäulen herum, trug eine Kapuze über dem Kopf und blickte in den Wagen, aus dem heraus ihn Zeiser & Co. anstarrten. Dann ging er weg.

Lasset uns innehalten
.

Große Musik, die heute durch den iPod floss: „Ringing bells“ von Mando Diao, „Valdez in the country“ von Donny Hathaway und „Sans Soleil“ von Kreidler.

20 September 2005

Dylan (1)

Sam Shepard über Bob Dylan:
„Ich mache zum ersten Mal gründlich Bekanntschaft mit seiner Gabe, zu schweigen. Dem fehlenden Bedürfnis, Pausen zu füllen.“
(Rolling Thunder - Unterwegs mit Bob Dylan, S.Fischer, 2005)