Posts mit dem Label konflikt werden angezeigt. Alle Posts anzeigen
Posts mit dem Label konflikt werden angezeigt. Alle Posts anzeigen

22 Juni 2021

Die Tauben eskalieren wieder

Heute auf dem Balkon wurde ich, obzwar von guten Mächten – nämlich unserem Sonnenschirm (Foto) – wunderbar geborgen, Opfer eines im Flug in Einzelteile zerfallenen Guanogeschosses. Dessen Farbe (grünweiß) und Konsistenz (schleimig) lenkten meinen Verdacht schnell auf eine Vertreterin der Taubenvögel. Obwohl ich nicht genau weiß, warum, wäre mir eine Möwe lieber gewesen.

Aber egal: Ich wurde getroffen, und zwar am rechten Brillenbügel sowie am Unterarm, und der fetteste Batzen dieser ordentlichen Portion Taubenkacke landete mitten auf dem Monitor meines MacBook Pro von 2018. Eine Fotodokumentation erspare ich Ihnen; schließlich sollen sie nicht auf unschöne Weise an einen der größten cineastischen Fehler Ihres Lebens erinnert werden, nämlich den Besuch von Faith Akins Film „Der Goldene Handschuh“ – oh, Verzeihung. Ich sage nur so viel: Dieser grünweiße Schleim war flüssig genug, um pfützenartig aufzuplatzen, jedoch auch ausreichend kohäsiv, um nicht gravitationsbedingt in Fluss zu geraten.

Dass er mich und mein MacBook Pro überhaupt traf, obwohl wir beide eigentlich wunderbar geborgen unterm Sonnenschirm saßen, lässt einen wichtigen forensischen Rückschluss zu. So kann der tatverdächtige Vogel keinesfalls aus einer Ruheposition heraus aktiv geworden sein. Es saß also nicht irgendwo über uns herum und führte gemütlich ab. Nein, im Flug muss er seine Last losgeworden sein, wodurch diese eine schräge Falllinie einnahm. Die Schutzfunktion unseres Sonnenschirms ist indes nur für Geschosse TÜV-lizenziert, die in einem akkuraten 90-Grad-Winkel herniederprasseln.

So sah mich St. Pauli heute Vormittag fluchend auf einem Retinadisplay herumrubbeln. Die letzten Spuren der Attacke entdeckte Ms. Columbo noch nachmittags, und zwar oberhalb meines rechten Ohrs, inzwischen geruchsneutral eingetrocknet.

Nach mehr als zwölf Jahren der relativ friedlichen Koexistenz im Anschluss an die legendären Taubenkriege von St. Pauli interpretiere ich diesen Zwischenfall nun als erstmalige Erhöhung der Eskalationsstufe. Jetzt muss über Reaktionsoptionen nachgedacht werden. Ich meine: Was täte Joe Biden, wenn ein nordkoreanischer Torpedo das Heck des Flugzeugträgers USS Theodore streifte?

Eine Frage, die sich vor allem die hiesigen Vertreter der Taubenvögel stellen sollten. Aber egal, was passieren wird: Ich habe nicht angefangen.




29 August 2017

Auf dem Kiez wird eskaliert


In St. Pauli (Symbolbild) liegen die Nerven blank. Dafür sprechen zwei Vorfälle innerhalb eines Tages. 

Vorfall 1, morgens kurz vor neun: Draußen schreit eine Frau. Sie steht unten vor der Postfiliale in der Fahrertür ihres Mittelklassewagens, mutmaßlich eines VW Golf, und ihr Geschrei gilt einem älteren Radfahrer mit Strohhut in Begleitung eines ebenfalls mit Fahrrad versorgten Kindes, der neben ihrem Auto steht. 

„Warum schlägst du mein Auto?“, schreit sie den Mann an. Der verweigert die Aussage und fährt lieber weiter, ebenso das Kind. Inzwischen hat ein weiterer Wagen angehalten, und dessen Fahrerin klagt die Empörte nun ihr Leid. „Der hat mein Auto geschlagen!“, ruft sie, „voll auf die Scheibe!“

Aus der Balkonperspektive wirkt das Glas indes unversehrt. Natürlich ist es eine Verletzung der sozialen Distanz, ja geradezu der Intimsphäre, gegenüber einem Wagen handgreiflich zu werden, doch in meiner Welt ist so was besser, als die Hand gegenüber der Fahrerin selbst zu erheben. 

Die Ursache von all dem bleibt im Dunkeln. Doch die Empörung dieser Frau über eine Hand auf ihrer Scheibe, die Vehemenz, mit der sie den halben Kiez zusammenschreit, und die Ungerührtheit, mit der der Strohhutträger samt Kind den Schauplatz verlässt: All das hat sich mir eingeprägt, wenngleich nicht so tief, dass ich mich – sagen wir – zu Weihnachten noch daran erinnern könnte. Deshalb schreibe ich es hier auch auf. Ebenso wie Vorfall 2. 

Vorfall 2, nachmittags, kurz nach drei: An der Kreuzung Glacischaussee/Feldstraße warte ich am Fahrradweg auf die Grünphase. Gegenüber tut dasselbe ein junger Mann Marke Punk: spidderige Gestalt, schwarzes Motto-T-Shirt mit einem Spruch, den ich nicht lesen kann, Kopfhörer auf. Zwischen uns rollt ein Wagen zentimeterweise Richtung Kreuzung, der Fahrer scheint ungeduldig ob der allzu langen Rotphase.

Als wir Grün kriegen, fährt der Punk los und wird fuchtig. Er radelt sehr nah an der Kühlerhaube des zu weit vorgerollten Wagens vorbei und keift dabei den Fahrer an: „Bleib ma hinter der Linie stehen, du Hurensohn, ey!“

Dieser Satz in dieser Situation überrascht auf gleich mehreren Ebenen. Zum einen erstaunt die sich unvermittelt Bahn brechende bürgerliche Attitüde dieses Burschen. Irgendetwas sagt mir, dass er sonst in seinem Alltag eher mal Fünfe gerade sein lässt, als vor jeder seiner Handlungen erst mal sorgsam deutsche Gesetzestexte zu memorieren. Aber hier lässt er plötzlich den StVO-Kapo raushängen. Überraschend, wie gesagt.

Und dann auch noch dieses altbackene „Hurensohn“. Ich meine: Wie kann man als jemand, der outfitoptisch einen alternativen Lebensstil nahelegt, Prostituiertenkinder dissen, und das auch noch auf St. Pauli? Das ist Sexworkshaming, du Honk!

Was mich an beiden Vorfällen aber am meisten irritiert, ist die Eskalationsbereitschaft aus dem Nichts. Wenn schon in solchen harmlosen Alltagsmomenten sonisch und semantisch die ganz große Keule ausgepackt wird, was tun diese Menschen dann, wenn sie mal wirklich einen Grund zum Ärgern haben – den anderen mit einer Kettensäge filetieren?

Auf St. Pauli liegen jedenfalls die Nerven blank. Durch so was leider auch meine. Man reiche mir die Kettensäge.



06 Mai 2017

Die Unerträglichkeit meines Raschelns

Nach Fitnesskurs und Saunagang legte ich mich auf eine Liege und las die FAZ. Gerade war ich beim Feuilletonteil angelangt und wollte mich einem Text über Heimito von Doderers Roman „Die Strudlhofstiege“ widmen, als sich jemand vor mich stellte und auf mich einzureden begann.

Zunächst zweifelte ich kurz daran, überhaupt gemeint zu sein, was mich den Anfang seiner Suada verpassen ließ. Weder kannte ich diesen Menschen, noch vermochte ich ihm – da gedanklich gerade der Welt Heimito von Doderers verhaftet – zu folgen. 

Doch er schaute mich beim Reden stier an, und sein Blick war alles andere als freundlich. Im Gegenteil: Mühsam gebändigter Ärger schimmerte ihm aus buschig überwölbten Augen, und sein fratzenartiges Eislächeln war blutrünstig.

Der Mann war, wie ich jetzt wahrnahm, ein über und über tätowierter Muskeldeutscher, rothaarig, mit Vollbart und Brilli im Ohr. Sozusagen die Hipstervariante von Arnold Schwarzenegger. Und nach und nach kristallisierte sich für mich auch so etwas wie Semantik aus seinem feurigen Bramabarsieren.

Es ging ihm nämlich um die Art, wie ich Zeitung las. Ich hatte, wie er mir in hastigen Wortkaskaden vorhielt, beim Umblättern geraschelt, und zwar unentwegt. 

Das konnte zwar so nicht ganz stimmen, denn immerhin hatte ich mich manchem FAZ-Text – zum Beispiel jenem Kommentar, der sich kritisch mit Erdogans Todesstrafenreferendumswunsch auseinandersetzte – durchaus längere Zeit gewidmet, in dieser Phase also durchaus wenig geraschelt. Aber sonst schon; schließlich war ich bereits im Feuilleton angelangt. Allerdings erschloss sich mir nicht sofort, warum mein raschelndes Blättern ein Problem sein sollte.

Er erklärte es mir in hochgradiger Aufregung. Mein Rascheln sei „unerträglich“, hielt der Muskelhipster mir vor, schließlich sei das hier ein „Ruheraum“, und wie ich es denn wohl meinerseits fände, wenn er plötzlich anfinge, Karaoke zu singen.

Die Situation schien mir recht absurd, die Diskrepanz zwischen seiner optischen Erscheinung und der Feinfühligkeit hinsichtlich des Umgebungsschalls fast komisch. Das wollte ich dem vor Ärger fast platzenden Bi- und Trizepswunder aber aus deeskalierenden Erwägungen so nicht unbedingt erläutern. Stattdessen machte ich ihn auf den Lautstärkeunterschied zwischen Rascheln und Karaokesingen aufmerksam, der doch recht beträchtlich sei.

Eine beschwichtigende Wirkung hatte dieser Einwand kaum, zumal er nicht mal richtig hinhörte. Er wolle mir „das nur mal sagen“, erregte er sich; gemeint sei das „nur mal so als Hinweis“ auf meine Rücksichts- und Gedankenlosigkeit. 

Dann warf er sich adrenalingetränkt auf seine Liege und ich hatte plötzlich keine Lust mehr auf Heimito von Doderer. Dafür umso mehr auf Sibylle Berg, die mich, was mir dank der heutigen Begegnung wieder einfiel, in ihrem Newsletter mal zärtlich „Raschelhufer“ genannt hatte. 

So nahm alles wieder mal ein versöhnliches Ende.


05 Februar 2017

Löschen oder nicht?

Wenn man viele Jahre lang regelmäßig bloggt, kommt es immer mal wieder vor, dass sich jemand gestört fühlt von dem, was da geschrieben steht. 

Auch bei mir wurden schon einige Leute vorstellig, die mich empört, verärgert oder verängstigt um Korrektur, Löschung oder unzulässige Hintergrundinformationen ersuchten. Diese Woche war es wieder mal so weit. Aber der Reihe nach. 

Erstmals hatte ich im Juni 2009 jemand wegen eines Blogeintrags auf der Matte stehen. Damals war ich zufällig Zeuge geworden, wie ein notgeiles Paar öffentlich rammelte, und zwar auf einem Autodach, das gegen diese ungewohnte Belastung mit einer Delle protestierte. 

Das Beweisfoto des Vorgangs hatte ich aus Gründen des Persönlichkeitsschutzes natürlich mit Augenbalken versehen. Der Wagenbesitzer hegte allerdings einen Verdacht, wer seinem Wagen aufs Dach gestiegen sein könnte, und erbat die Herausgabe des unverfälschten Fotos. War natürlich nicht drin, aber er war am Ende auch ohne meine Hilfe erfolgreich.
 
Der nächste Vorfall ereignete sich nur einen Monat später. Unter unserem Balkon fand ein Polizeieinsatz mit gezückten Waffen, Gebrüll, Geschrei und überhaupt hohem Erregungspotenzial statt. Matt, der Kiezdokumentarist, zückte furchtlos die Kamera, filmte mit und bloggte darüber.

Zwar waren alle Beteiligten dank der 90-Grad-Aufsicht nur von oben oder hinten zu sehen, doch einer derjenigen, die sich auf Anweisung der Polizei in den Dreck der Seilerstraße zu werfen hatten, befürchtete erkannt zu werden und mailte mich an. Vor allem sein Arbeitgeber, glaubte er, könnte irritiert auf diese Aufnahmen reagieren. Nun, seinem Antrag wurde ex cathedra stattgegeben. Eine Steigerung der Arbeitslosigkeit in Deutschland liegt nicht im Interesse dieses Blogs.

Ein weiterer Fall trat im Oktober 2010 in mein Leben und war entschieden kurioser. Ich hatte im Eingang einer Kiezkneipe einen netten Hund mit St.-Pauli-Halstuch abgelichtet – und plötzlich sein Frauchen am Hals, welches ultimativ die Löschung dieses Fotos verlangte.

Ich erläuterte ihr die Rechtslage – Hunde haben, im Gegensatz zu Menschen, kein Recht am eigenen Bild – und verweigerte die Offlinestellung des Blogeintrags. Allerdings sicherte ich ihr zu, den Text sofort zu löschen, sofern der Hund persönlich mich darum bäte. Dies geschah bisher nicht, und deshalb ist das Foto immer noch online. 

Danach war sieben Jahre lang Ruhe, bis letzte Woche. Ein Eintrag vom April 2006 (!), der sich auf ein Erlebnis von 1995 (!!!) bezog, stieß jemand sauer auf. Dieser Jemand sieht durch die Überschrift „Leblos in der Lincolnstraße“ seinen Geschäftserfolg gefährdet – und würde sich „wirklich sehr freuen, wenn du zumindest den Titel ändern könntest“, wäre aber noch glücklicher, wenn ich „den Artikel gänzlich entfernen“ würde, zumal er „wirklich krass und auch nicht mehr zeitgemäß“ sei. Wichtigstes Argument: ein angeblicher Panikanfall der Mutter bei Lektüre meines Textes.

Ich lehnte ab. Nicht mehr zeitgemäß, führte ich aus, sei ja praktisch alles, was in der Vergangenheit gesagt, getan oder geschrieben wurde. Sollte man all das deswegen nachträglich löschen? So wie den Negerkönig aus Pippi Langstrumpf?

Um ihr die Seltsamkeit ihres Anliegens zu verdeutlichen, machte ich die Person auf zugängliche Zeitungsarchive aufmerksam, in denen sich Artikel über die Bandenkriege auf dem Kiez, über die Pinzner-Morde etc. befänden, alle höchstwahrscheinlich geschäftsschädigend und schlecht für ein mütterliches Herz. Aber so war die Welt nun mal, schrieb ich, und so wird sie immer gewesen sein. Das gelte auch für die Lincolnstraße.

Daraufhin änderte sie ihre Argumentation. Die Überschrift gäbe einem „ein schlechtes und mulmiges Gefühl“ und sei zudem gar nicht wahr, schließlich sei die Frau, die als leblos in der Lincolnstraße beschrieben werde, ja gar nicht tot gewesen.

Ich lehnte erneut ab. Daraufhin wechselte die Person erneut die Argumentationsstrategie – und behauptete, eine Bank habe ihr unter Bezugnahme auf meinen Blogtext einen Geschäftskredit verweigert.

Wow, welch eine Ehre für einen Kiezblogger – die Hamburger Bankenwelt entscheidet auf Basis meiner Blogtexte über Gedeih und Verderb des hiesigen Einzelhandels!

Ich fühlte mich enorm geschmeichelt von der Erkenntnis meiner bisher ungeahnten Wichtigkeit, wies den Antrag aber nichtsdestrotz letztinstanzlich zurück. „Dann bleibt dieser superwichtige Artikel“, kam es hochverschnupft zurück, „eben da, wo er ist, kann man nichts machen.“

Und das entspricht voll und ganz der Wahrheit.


13 September 2015

Doch nur 3:2!



Schwerin, Eiscafé Valentino, heute Nachmittag. Ich bestelle den abgebildeten Rocherbecher, und wenn Sie jetzt denken, ich zöge hier jetzt über die gleich drei(!) blamablen Deppenleerzeichen in der Beschreibung her, dann liegen Sie nur ganz am Rande richtig.

Nein, mir geht es um die abgebildeten fünf Rocherpralinen. Denn ihre Anzahl beeinflusst meine Bestellentscheidung absolut essenziell. 
Nach wenigen Minuten wird das Eis geliefert, und was muss ich sehen? 
Nicht fünf Rocherpralinen. Sondern nur zwei.

Die Gesamtkomposition ist gleichwohl von köstlicher Provenienz, keine Frage, und ich möchte hier die Welt ausdrücklich ermuntern, dem Eiscafé Valentino in Schwerin einen Besuch abzustatten. Und doch keimt in mir beim Verzehr des Rocherbechers eine gewisse Produktenttäuschung, die sich beim Bezahlen zwangsläufig ihren Weg bahnen muss; so bin ich halt gestrickt.

Den original italienischen Ober mache ich also auf die Diskrepanz zwischen visueller Verlockung und servierter Realität aufmerksam. Die Reaktion ist überraschend: Das ficht ihn nämlich nicht die Bohne an. Es stünde im Kleingedruckten, dass die Fotos gleichsam nur vage Produktbeispiele seien, äußert er sich sinngemäß. Außerdem sei das „heutzutage so“ und er außerdem „nur Angestellter“.

Meinem Vorschlag, er möge doch dem Boss – wahrscheinlich einem Signore Valentino – von meiner Enttäuschung berichten, gab er sofort statt, äußerte aber Zweifel daran, ob Cheffe „für 3000 Euro neue Eiskarten drucken lassen“ würde, nur damit eine vernachlässigenswerte Kleinigkeit wie die Zahl der gelieferten Rocherpralinen mit jener auf der Abbildung übereinstimme. 

Natürlich gäbe es auch die Variante, künftig einfach fünf statt zwei Pralinen auf dem Eis zu drapieren, was auf Jahre hinaus günstiger käme als der Druck einer neuen Eiskarte, aber sei’s drum: Anscheinend ist hier, im Eiscafé Valentino, auf solcherart Einsicht nicht zu hoffen. 

Nach 40 Cent Trinkgeld gehen wir und monieren draußen unisono des Obers Taktik, mit gebremster Patzigkeit auf meine Kritik zu reagieren statt mit ein bis zwei spendierten Mea-culpa-Espressi.

Doch der Nachklapp kommt noch. Als ich mir eben zu Hause das Foto des Rocherbechers noch einmal etwas genauer anschaute, stellte ich etwas fest, was vor Ort nicht nur mir, sondern auch dem Ober entgangen war, Ihnen aber natürlich längst aufgefallen ist:

Das Bild zeigt gar nicht fünf Rocherpralinen, wie ich die ganze Zeit dachte. 
Es zeigt vier halbe sowie oben auf der Sahnehaube (vermutlich) eine ganze. 

Somit lautet das Ergebnis beim Duell Euphemismus gegen Wirklichkeit also nicht etwa 5:2, sondern nur noch 3:2. Das wiederum ist derart knapp, dass ich hiermit lauthals ausrufe gen Schwerin:  

Gehen Sie nicht zum Rapport zu Valentino, Ober! Und beim nächsten Mal, das garantiert in Bälde folgen wird, gibt’s wieder ordentlich Trinkgeld, versprochen!

(Reicht das für die Absolution?)




29 April 2015

Sie lässt mich einfach nicht ran


Fitnessstudio am Rödingsmarkt. Die Dame am Rückengerät, wo ich gerne meine nächsten Übungen durchführen würde, macht schon seit mehreren Minuten keinerlei Anstalten, ihren Platz zu räumen, obwohl sie ihn nur noch zum Ausruhen nutzt. Und zum Simsen.

Ich überbrücke das Warten mit Dehnen in ihrem Sichtfeld und trage eine düster umwölkte Stirn zur Schau, welche von der Rückengerätblockiererin eigentlich als sanftes Drängeln gedeutet werden müsste. Indes vergebens. Die Dame bleibt sitzen.

Nach weiteren drei bis vier zähen Minuten – inzwischen bin ich gedehnt bis zum Ohrläppchen – reicht es mir. Ich gehe hinüber – und stutze kurz vorm Erreichen des Showdownareals. Mir ist nämlich auf einmal nicht mehr ganz klar, mit welchen wohlgesetzten Worten ich ihr mein Anliegen denn nun eigentlich verklickern soll.

„Können Sie mich kurz ranlassen?“ klingt irgendwie deutlich verfänglicher, als es gemeint ist. „Darf ich mal dazwischen?“ hat einen geradezu obszönen Beiklang. Und ein „Lassen Sie mich mal ans Gerät?“ schließt angesichts ihrer Oberweitenausstattung einen unfreiwilligen Nebensinn zumindest nicht vollends aus.

Das Problem ist verzwickt. Ja, es erscheint mir sogar in dieser durchgegenderten Welt voller Sprech- und Tretminen hier und jetzt nicht ohne weiteres lösbar.

Aber die Brustpresse ist ja auch ein nützliches Gerät, und nach dem Fotografieren des wunderhübsch zerfurchten Balancekissens geht zum Glück auch schon der Bauchkurs los.


24 Mai 2014

„Isch schmeiß disch ausm Fenster!“

Kurz nachdem ich das verwaiste Handtuch vom Sitz des Fitnessgeräts genommen hatte und versonnen meine Übungen durchführte, baute sich gleichsam aus dem Nichts ein muskulöser Mann von geschätzten 90 Kilo vor mir auf und sagte: „Was fasst du mein Handtuch an? Isch bin hier am Trainieren!“ 

Eine überraschende Aussage, denn außer dem Handtuch war vorher weit und breit niemand zu sehen gewesen. Statt das Naheliegendste zuerst zu sagen – „Bitte lassen Sie uns doch beim Sie bleiben“ –, erläuterte ich ihm, wie sich mir die Situation dargestellt hatte: ein verwaistes Handtuch auf dem Sitz eines allem Anschein nach temporär ungenutzten, also freien Fitnessgerätes, weshalb ich mir erlaubt habe … „Du schtehst jetzt auf, sofort!“

Ein, wie ich fand, ziemlich ungehobelter Einschub. Die Diskussion lief an dieser doch recht frühen Stelle bereits Gefahr, eine unschöne Wendung zu nehmen, weshalb ich umso mehr auf die Strahlkraft sachlicher Argumente setzen zu müssen glaubte. Mein Kurs begänne gleich, in nur 30 Sekunden sei ich durch mit meiner Üb… „Isch schmeiß disch ausm Fenster!“

Der Nachdruck, die Lautstärke, die 90 Kilo: Ich kann nicht verhehlen, dass die Diskussionsstrategie dieses Muskelmannes ihren Eindruck auf mich nicht verfehlte. Indes fühlte ich mich weiter im Recht; schließlich sind wir dank einer über Jahre geführten breiten gesellschaflichen Debatte zu dem Konsens gekommen, reservierend ausgelegte Handtücher an den Beckenrändern von Swimmingpools seien unfein. Warum sollte das in Fitnessstudios anders sein? 

Der Mann schien vom Ergebnis dieser Debatte allerdings wenig bis gar nichts mitbekommen zu haben, geschweige denn von der Option einer Transferübertragung von Schwimmbädern auf Fitnessclubs, denn er baute sich inzwischen vor mir auf, als erwäge er ernsthaft, mich aus dem Fenster zu schmeißen. „ISCH SCHMEISS DICH AUSM FENSTER, WENN DU NISCHT AUFSCHTEHST!“, bekräftigte er denn auch vernehmlich. 

Inzwischen verfolgte das komplette Fitnessstudio diesen interessanten Auftritt mit nicht geringer Anteilnahme, die allerdings – ähnlich wie auf der Autobahn – über dumpfes Glotzen nicht hinausging. Auch zwei Trainer hatten die dicke Luft gerochen und traten jetzt deeskalierend herzu. „Komm, Abdurrahim*“, sagte der eine, der ungefähr zweimal in Abdurrahim hineingepasst hätte, „jetzt beruhig dich mal!“ Abdurrahim dachte allerdings ganz und gar nicht daran, sondern bekräftigte seinen Entschluss, mich auf ungewöhnlichem Weg aus dem Gebäude zu befördern, überdeutlich, will sagen: mit ganz schön vielen Dezibel. 

In diesem Moment erkannte ich schlagartig zweierlei: 

1. Die Trainer würden mich hier und jetzt kaum vor echtem Ungemach bewahren können; es fehlte vor allem an den körperlichen Voraussetzungen.

2. Der Handtuchreservierer war dank der fitnessclubweiten Öffentlichkeit drauf und dran, sein Gesicht zu verlieren, was in seiner Welt keinesfalls passieren durfte. Die Folgen für mich wollte ich mir angesichts seiner Statur und seines Erregtheitslevels lieber nicht en detail ausmalen. 

Augenblicklich wurde mir klar, was nun unbedingt zu tun war: 

Ich stand auf, entschuldigte mich, sagte auf das Gerät zeigend „Bitte sehr“ und verließ den Ort des Geschehens.

Hinter mir her eilte der Trainer. „Lass dich von so einem nicht provozieren“, raunte er, „man weiß nie, wie die ticken.“ Eigentlich weiß ich so etwas selbst; schließlich lebe ich auf dem Kiez und folge seit Jahren der Maxime, Spatzenhirnen keine Anlässe zu liefern, dumme, dumme Dinge zu tun, bei denen sie mit ein paar Jährchen Haft davonkämen, ich hingegen möglicherweise mit ein paar Ewigkeiten unter den Radieschen. 

Was mir im Nachhinein jedenfalls ein wenig Angst macht, ist die Erkenntnis, dass ich während des Konfliktes keine Angst hatte. Das ist schlecht und darf nicht wieder passieren. 

Schließlich möchte ich noch ein wenig weiter bloggen können, hier auf der Rückseite der Reeperbahn.

* Name geändert


http://vg08.met.vgwort.de/na/4bdd2c795ace45608ffd83b868e5a875" width="1" height="1" alt="">

19 Januar 2013

Schnauze oder Notaufnahme

Am Schlump steigen vier so halb- wie lautstarke Muskeltürken zu. Einer von ihnen, ein kleiner Pitbull mit Bartflaum auf der Oberlippe, hält es nicht für nötig, die auf dem Bahnsteig bereits verbotenerweise gerauchte Kippe wenigstens im Waggon auszumachen.

Die Rauchschwaden ziehen provozierend durch den Wagen und werfen unwillkürlich Fragen auf. Der Impuls, den Quarzer auf den von ihm verursachten Missstand hinzuweisen, muss indes wohlüberlegt werden.

Klar, man könnte natürlich hingehen und versuchen, ihm ins Gewissen zu reden – entweder legalistisch („Rauchen ist hier verboten“) oder persönlich betroffen („Das stört“). Sehr sorgfältig abzuwägen wären allerdings mögliche Reaktionen seinerseits.

Vielleicht möchte sich der Oberlippenflaum vor seinen Kumpels ja nicht maßregeln und ergo lieber die Fäuste sprechen lassen. Will ich das riskieren?

Die Alternative wäre defensiver, aber auch sicherer: drei Stationen zähneknirschend die Schnauze halten und sich dies insgeheim als urbane Toleranz schönreden. Das könnte das Wochenende verschönern, weil die Chance erheblich stiege, es zu Hause statt in der Notaufnahme zu verbringen.

Gut, zwar könnte sich die deutlich sichtbare Überwachungskamera an der Decke kalmierend auf mögliche Vergeltungsmaßnahmen auswirken, doch sicher ist das auch nicht unbedingt. Schließlich sieht man solche Bilder immer öfter in der Tagesschau. Und auf taktische Intelligenz zu hoffen, scheint mir beim Anblick dieser Truppe nicht sehr ratsam zu sein.

Die Tatsache, Recht zu haben und dies auch frei heraus zu thematisieren, muss also sehr sorgfältig abgewogen werden gegen die gar nicht geringe Chance auf einen Nasen- und Jochbeinbruch.

Noch während ich all dies so hin und her überlege, erreichen wir die Station Feldstraße, wo das halb- und lautstarke Quartett überraschend die Bahn verlässt. Eigentlich wirkten sie nämlich wie St.-Pauli-Aussteiger.

Als ich nach Hause komme, begrüßt mich Ms. Columbo stirnrunzelnd: „Hast du heimlich geraucht?“

Ich hätte doch was sagen sollen, echt.


02 September 2012

Was ist schon normal?



„8 Euro 10 für ESSEN??? Spinnst du?“

Die kompakte Struwwelblonde mit Sonnenbrille fasst es einfach nicht. Ihr Freund, ein schlaksiger Softie mit Brille und Zopf, steht peinlich berührt vorm Kiezbäckertresen im Silbersack und will dem Verkäufer gerade einen Zehner rüberreichen.

„NEIN! Das! Tust! Du! Nicht!“, schreit sie, springt vor, entreißt ihm den Schein, springt zurück und bleibt kampfeslustig im Ladeneingang stehen. Der Kiezbäcker schaut ungerührt. Die Brötchentüte liegt auf dem Tresen.

Halb dreht sich der Schlaks zu seiner Herzallerliebsten um, in einer unschlüssigen Bewegung, die alles sagt über die Machtverhältnisse ihrer Beziehung. „Hör mal …“, setzt er an mit mausgrauem Stimmchen, doch sie unterbricht ihn mit einem bestechenden Argument: „8 Euro 10 für BRÖTCHEN??? Bist du BESCHEUERT?“

Er lächelt schmerzlich. „Es sind ja nicht nur Bröt…“ „NEIN!“, schreit sie, „NEIN!“ Er blickt sich entschuldigend um, doch ich erwidere seinen Blick nicht. Ich käme halt nur gerne bald dran.

Allerdings ist sonntagsmorgens beim Kiezbäcker meine Langmut groß, schon aus Sicherheitsgründen: Man weiß nie, wer von der Nacht übrigblieb und in welchem mentalen Aggregatzustand. Man weiß nie, welche Handlungsoptionen den von all dem eventuell beträchtlich geschädigten Hirnen im Eskalationsfall plausibel erscheinen.

Geduld, unbeteiligtes Herumstehen, leises „La Paloma“-Pfeifen: Das sind Strategien, um den frühmorgendlichen Brötchenkauf mit hoher Wahrscheinlichkeit unfallfrei zu absolvieren. Und live bei öffentlichen Konflitklösungsstrategien dabei zu sein, ist ja auch von wissenschaftlichem Interesse (ich hatte Soziologie im Nebenfach).

„Komm, gib mir die zehn Euro wieder“, fleht er sie leise an. „Du bist BESCHEUERT!“, ruft die Blonde aus sicherer Entfernung. Er begreift, hier ist verbal kein Weiterkommen. Erneut kramt er in seiner Börse. Dort findet er noch einen Zehner, den er dem Kiezbäcker rüberreicht.

„NEEEIIIN!“, schreit es von der Tür her. Nach Kassieren des Wechselgeldes kostet ihn die Tüte jetzt schon 18 Euro 10, denn von der Blonden kriegt er den entwendeten Zehner mit Sicherheit nicht wieder zurück, schon aus Prinzip nicht.

Der Kiezbäcker hat das alles mit der stoischen Gelassenheit eines Streetworkers bzw. Kriegsreporters verfolgt. Wahrscheinlich denkt er das Gleiche wie vergangenen Sonntag, als er die Kundenorder „Drei normale und ein Franzbrötchen“ mit der abgeklärten Gegenfrage „Was ist schon normal?“ beseufzte.

Und dann bin ich auch schon dran.

PS: Das Bild ist übrigens nur ein Symbolfoto. Der Kiezbäcker hat viel bessere Brötchen. Viel bessere!

27 Juni 2012

Ich wollte nur helfen

Gegen 22:15 Uhr Schreien und Weinen unten auf der Straße. Eine junge Frau lehnte krumm an einem Lieferwagen, als wäre sie verletzt. Leute gingen vorüber und kümmerten sich nicht. Samariter Matt war also gefragt.
 
Ich zog mich an, doch als ich runterkam, war sie bereits einige zehn Meter die Seilerstraße westwärts entlanggetaumelt. Man hörte aber immer noch gut, wo sie war. Ich holte sie vor der Musicalschule ein und fragte, ob ich helfen könne. Viel war nicht zu verstehen. Sie heulte Rotz und Wasser (keine Metapher) und lallte Wortfetzen wie „Herz gebrochen“, „belogen und betrogen“, „will sterben“.

Ihren Namen kriegte ich immerhin raus, nachdem ich mich zunächst selbst vorgestellt hatte, um ihr Vertrauen zu gewinnen. Sie hieß Anja (zumindest nenne ich sie hier so). Nachfragen nach Freunden oder Verwandten, die ich hätte anrufen können, blieben fruchtlos.

Auf meinen Vorschlag, mit ihr zu Davidwache zu gehen, reagierte sie wie Dracula auf den Anblick eines knoblauchumrankten Kruzifixes. Stattdessen zog sie mich schluchzend und schreiend Richtung Hamburger Berg (Foto), weil dort irgendwo ihre Sachen lägen. Ich stützte sie halbwegs, während sie immer wieder auf ihren zu langen Schal trat, und versuchte uns Richtung Bürgersteig zu dirigieren, doch sie bestand in ihrem Elend auf einer Schlangenlinieroute straßenmittig.

Vorm italienischen Restaurant Don Camillo & Peppone saß eine Gruppe Gäste, die rübergafften. Hätte ich an ihrer Stelle auch getan, denn auf sie wirkten wir bestimmt wie ein Lude mit seiner durchgeknallten Hure. „Was guckt ihr denn so blöde?“, schrie Anja. Dann griff sie so schnell, dass ich überhaupt nichts mehr machen konnte, nach einem metallenen Sektkübel, der auf einem unbesetzten Tisch stand, und schleuderte ihn mit der Treffsicherheit eines Dirk Nowitzki auf die Gruppe.

Der Kübel traf eine Frau, die sich im Aufspringen drehte, am Rücken; von seinem Inhalt hatten aber alle was. Entgeistert zog ich die weiter schreiende Anja am Arm zurück und versuchte gleichzeitig deeskalierend auf den gorillaartigen Vierschröter einzuwirken, der brüllend vor Wut und Rachlust auf uns zustürzte, um die Ehre seiner triefenden Begleiterinnen wiederherzustellen.

Ich schleifte Anja in rasender Eile weg von der Szenerie, auch im eigenen Interesse, denn eigentlich war ich mental lediglich darauf eingestellt gewesen, einem Menschen in Not beizustehen, keineswegs aber, an seiner Statt eine Tracht Prügel einzustecken.

Der Gorilla blieb zu meiner großen Erleichterung stehen und beließ es bei einer Schimpfkanonade. „Fotze!“, schrie Anja, während ich sie anschrie, sie solle verdammt noch mal aufhören mit dem Scheiß.

An einem Hauseingang vorm Sexkino am Hamburger Berg lagen ihre ganzen Sachen: mehrere Taschen mit Kleiderzeugs, auch ihre Handtasche. Inzwischen war sie wieder im Rotz-und-Wasser-Modus, brach halb zusammen, fiel aber nie um.

Mühsam schaffte ich es, sie auf einen Plastikstuhl zu setzen. Ich wollte ihr ein Taxi nach Hause spendieren, denn in ihrem erbärmlichen Zustand konnte sie diese arktische Juninacht unmöglich überstehen. Doch belastbare Angaben zu ihrer Adresse waren keine aus ihr rauszubekommen, stattdessen fiel sie im Sitzen in sich zusammen wie eine Narkoleptikerin, mit dem Kopf zwischen den Knien.

Ich rief die 112 an, nach fünf Minuten kam ein Notarztwagen. „Sie heißt Anja und wohnt in Wilhelmsburg“, informierte ich die Sanitäter. „Wir übernehmen“, sagte einer der beiden jovial. Erleichtert ging ich nach Hause.

„Matthias!“, hörte ich es plötzlich hinter mir schreien. Ich drehte mich um und sah Anja auf mich zutaumeln wie ein Zombie aus „The walking Dead“: der Körper x-förmig abgeknickt, das rechte Bein nachziehend, die Arme wie willenlos baumelnd, ihr Schal schleifte über die Straße.

Als sie mich erreicht hatte und sich an mich hängte wie ein Wäschesack, bog der Krankenwagen um die Ecke und hielt an. Der Sanitäter auf der Beifahrerseite hatte das Fenster runtergekurbelt. Er grinste mir zu, zuckte mit den Schultern – und dann fuhren sie davon. WTF?

„Warn großer Fehler, n Kranknwan’g zu rufn!“, lallte Anja und begann wieder zu weinen. Herz gebrochen, belogen und betrogen, sie will sterben. Ich begleitete sie zurück zu ihren Sachen, als plötzlich wie aus dem Boden gewachsen zwei Polizisten vor uns standen.

„Alles in Ordnung?“, fragte mich der mit dem Unterlippenbart, den ich aus diversen Spiegel-TV-Reportagen über die Davidwache kannte. Ich verneinte und beschrieb kurz Anjas Zustand. Den Zwischenfall mit dem Sektkübel behielt ich für mich.

Anja, deren Artikulationsrepertoire bisher nur in Lallen, Schluchzen, Schreien, Weinen und Lamentieren bestanden hatte, ratterte wie ferngesteuert Namen und Adresse runter. Der Unterlippenbart wandte sich an mich und flüsterte: „Die ist total auf Crack.“

Auf so was wäre ich Naivling wieder mal alleine nicht gekommen. „Haben Sie noch all ihre Sachen?“, fragte er. Ich tastete mich ab, alles noch da. „Kümmern Sie sich um sie?“, fragte ich ihn. Er nickte. Ich winkte der zuckenden, winselnden Anja zum Abschied unsicher zu und ging nach Hause.

Als ich bei Don Camillo & Peppone vorbeikam, war der Tisch leer, an dem vorhin die Gruppe gesessen hatte. Um ihn herum war der Boden nass. Plötzlich hörte ich hinter mir, wie sie meinen Namen schrie.

Ich beschleunigte meinen Schritt.



15 Juni 2012

Alle Wege führen nach …



„Nicht streiten, nicht streiten“, murmelt Kramer (l.) ohne hochzuschauen mantraesk vor sich hin, als der Franke (r.) und ich (m.) heftig diskutierend sein Büro betreten. „Nicht streiten.“

Wir gucken erst uns, dann ihn an, als habe der Papst öffentlich gestanden, er träume von einer Karriere als Strapsmodell bei Victoria’s Secret. Was ist bloß los mit dem Großcholeriker Kramer, der normalerweise hochgeht wie ein Chinaböller, selbst wenn gar niemand seine Zündschnur unter Feuer gesetzt hat? Ist er vielleicht nach dem Besuch eines Splatterfilms zum Pazifisten geworden?

Der Franke hat eine bessere Theorie. „Ich glaube, seine Freundin hat ihm was in den Kaffee getan“, sagt er. „Ja“, sekundiere ich nickend, „vielleicht Brom.“ Der Franke giggelt.

Kramer aber schaut mild hoch, als sei er jener Enkel, den Ghandi sich immer gewünscht hat. „Alle Wege“, sagt er leise, „führen nach Brom.“

Keine Pointe.


06 Juni 2012

Niemand hat den Kopf verloren



Heute verbrachte ich den ganzen Abend auf der Frau Hedi, was außerhalb Hamburgs wahrscheinlich anzüglicher klingt als innerhalb, denn die Frau Hedi ist – wie Stammleser wissen – eine hochanständige Barkasse.

Sie tuckerte heute Abend drei Stunden lang kreuz und quer durch den Hafen, und nicht nur ich war an Bord, sondern auch zwei Bands, die sogenannte Showcases spielen sollten. Das sind Konzerte speziell für Journalisten, damit sie warm werden mit den Künstlern und vielleicht geneigter sind, ein Interview zu führen. Die Konkurrenz um die raren Artikelplätze ist schließlich groß.

Einer der Künstler war Stefan Dettl, der bayerische Frontmann von La Brass Banda, der vehement eine Solokarriere anstrebt. Wie so vielen vor ihm war ihm aber die Spezifik eines Showcases nicht ganz klar. Ich zum Beispiel gehöre zu jenen spezifisch gestrickten Menschen, die sich von Aufforderungen, mitzuklatschen oder gar zu -singen, gänzlich unbeeindruckt zeigen. Sie sind mir sogar zuwider.

 
Schließlich bin ich nicht automatisch Fan, sondern im Dienst, warum also sollte ich Euphorie heucheln? Er tat jedenfalls alles, der Dettl, und das ist wirklich viel, doch die Journaille inklusive mir verließ nie das Terrain der höflichen Akklamation, und das war auch gut so.

In der Kloschlange bekam ich Kontakt zu einer Frau, die sich als frühere Produktmanagerin der Toten Hosen herausstellte. Eine gute Gelegenheit, um ihr Vorhaltungen zu machen. Sie konnte sich ja nicht wehren, wir standen in der Kloschlange.

„Sie sind also dafür mitverantwortlich“, schimpfte ich, „dass die Toten Hosen zwar immer um Rezensionen gebettelt, aber ihr Label innerhalb von 20 Jahren niemals eine einzige Anzeige in den Medien geschaltet haben, für die ich arbeite.“

Sie verkrampfte, das war deutlich zu sehen, doch noch ehe sie zur Verteidigungsrede ansetzen konnte, fuhr ich die zweite Angriffswelle. „Tickten alle so wie die Toten Hosen“, erläuterte ich ihr mit bitterem Hohnlächeln, „dann wären wir längst Pleite – und ich arbeitslos.“

Immerhin stünden wir dann jetzt nicht in der gleichen Kloschlange, schoss mir durch den Kopf; das Ganze hätte also auch Vorteile. „Ich war ja immer nur die Botin mit der schlechten Nachricht“, piepste sie verunsichert. Dann ging zu ihrer (doppelten) Erleichterung die Toilettentür auf, was sie zur Flucht nutzte.

In absolutistischen Zeiten, fiel mir ein, hat man Boten, die schlechte Nachrichten überbrachten, geköpft. Ob das auch für Botinnen galt, weiß ich allerdings nicht.

Mal Google fragen.


09 März 2012

Der Franke als Dackelschreck



Wir alle wissen seit vielen leidvollen Jahren, wie viel Angst und Schrecken der Franke unter ganz normalen Menschen zu verbreiten in der Lage ist – einfach nur dadurch, dass er seinen ethnisch bedingten Urinstinkten folgt.

Seit kurzem weiß das auch unser Verlagshund Frankie.

„Der Dackel“, schreibt Wikipedia, „zeichnet sich durch niedrige, kurzläufige, langgestreckte, aber kompakte Gestalt aus. Er ist sehr muskulös, mit aufrechter Haltung des Kopfes und aufmerksamem Gesichtsausdruck.“

Zweifellos alles ehrenvolle Eigenschaften, doch sie nützten unserem Dackel nichts, als der Franke es opportun fand, das gänzlich ahnungslose und bis dahin artbedingt zutrauliche Tier an beiden Vorderpfoten zu packen und ruckartig auf den Rücken zu schleudern.

Der Dackel quittierte das mit einem entsetzten (und entsetzlichen) Quieken, berappelte sich panisch und schoss davon wie Christian Wulff beim Anblick der Steuerfahndung.

Der Franke, von Tierfreunden in der Redaktion (also allen) schroff zur Rede gestellt, rechtfertigte sein Vorgehen damit, dieses bei einem Cockerspaniel bereits einmal erfolgreich praktiziert zu haben. Der habe zwar ebenfalls gequiekt, allerdings vor Vergnügen, und der Dackel solle sich bitte nicht so anstellen.

Es heißt ja immer, Hunde verfügten lediglich über ein Kurzzeitgedächtnis und hätten schon nach zehn Minuten wieder vergessen, dass man sie eben noch fürs Pieseln auf den Teppichboden ausgeschimpft hat (was bei Frankie auch stimmt), doch immer, wenn der Hund seither den Franken auch nur aus der Ferne sieht, wetzt er irren Blicks unter Schreibtische, hinter Heizungen oder bei Frauchen untern Rock.

Das wäre alles ja eher amüsant als schlimm; immerhin ist jede Strategie generell eine gute, welche die Gesellschaft des Franken auf ein Minimum reduziert. Doch leider nahm dieser volltraumatisierte Dackel tagelang jemand in Sippenhaft: mich.

Anscheinend identifizierte er mich als irgendwie frankenähnlich (in der Tat liegen unsere Geburtstage nur gut zwei Wochen auseinander) und entschied sich sicherheitshalber, Männern dieser Altersgruppe generell mit gesunder Panik zu begegnen.

Wenn Frankie mich also erblickte, wich er ebenfalls auf geradezu verletzende Weise vor meiner streichelwilligen Hand zurück, obgleich ich ihn noch niemals an den Vorderpfoten gepackt und ruckartig auf den Rücken geschleudert hatte. Erst ganz allmählich und dank meines übermenschlichen Einfühlungsvermögens gewann ich das Vertrauen dieses grundsympathischen Vertreters der Gattung Canis lupus familiaris zurück.

Der Franke hingegen ist aus Frankies Sicht weiterhin eine Persona non grata, und dafür bewundere ich ihn insgeheim schon ein wenig. Also den Dackel.

Wikipedia schreibt übrigens auch, dass in Brasilien Dackelfelle zum Bespannen von Reibetrommeln verwendet werden, aber im Grunde tut das an dieser Stelle überhaupt nichts zur Sache. Und Frankie sollte das besser auch nie erfahren.


22 Februar 2012

Mit allen Mitteln gegen Kramer



Kramer ist der schlagfertigste Mensch, den ich kenne. Seine Schlagfertigkeiten sind sogar derart originell, dass mir keine einzige davon in Erinnerung geblieben ist. Somit kann ich meine Behauptung nicht mal beweisen. Sie müssen mir also einfach glauben.

Jedenfalls gibt es angesichts seiner überragenden Schlagfertigkeit nichts Schöneres, als ihm die Sprache zu verschlagen. Da mir das innerhalb der vergangenen sieben Tagen gleich zweimal gelungen ist, rechtfertigt das einen eigenen Blogeintrag.

Das erste Mal geschah im Zuge eines kleinen Streiches. Heimlich hatte ich auf seinem Rechner als Bildschirmhintergrund die abgebildete FBI-Warnung installiert und danach das Tastaturkabel gelockert, damit sein spontanes Erschrecken beim Anblick des Bildes durch die zusätzliche vermeintliche Stilllegung seines Computers in einen veritablen Schweißausbruch münden würde.

Natürlich musste er irgendwann dahinterkommen, das war klar, und natürlich würde er dann empört beim Hauptverdächtigen vorstellig werden, nämlich bei mir. Für diesen Fall hatte ich eine vorwärtsverteidigende Abstreitstrategie ersonnen, die ihn überrumpeln und sprachlos machen sollte.

Wie vermutet klingelte er alsbald durch und bezichtigte mich unverhohlen der Tat. Ich konterte unverzüglich mit dem Satz: „Haben sie dir etwa heute schon ins Gehirn geschissen? Ich dachte, damit fangen sie immer erst Mitte der Woche an!“

Völlige Stille am anderen Ende der Leitung. Keine Reaktion, sekundenlang. Dann ein zaghaftes „Wer spricht da überhaupt?“ – was nichts weiter war als das bedingungslose Eingeständnis einer Niederlage auf ganzer Linie.

Dieses Kramer’sche Eloquenzdesaster markierte den ersten großen Erfolg.
Und heute gelang mir der zweite.

Während einer Nichtraucherpause ging es aus irgendwelchen Gründen um das Verhältnis zwischen Hannah Arendt und Martin Heidegger in Marburg anno dunnemals; der Franke und ich pingpongten uns in Kramers Anwesenheit die Eckdaten dieser Beziehung zu, als ich mich einer plötzlichen Eingebung folgend unvermittelt an ihn wandte.

„Weißt du eigentlich“, sagte ich zu Kramer, „dass das Krughafte des Kruges im Geschenk des Gusses west?“ Es ist das einzige Heidegger-Zitat, das ich auch im Schlaf herbeten kann, und der Erfolg war durchschlagend.

Kramer, der schlagfertigste Typ seit Oscar Wilde, stierte mich an, als habe ich ihm erzählt, der Papst plane nach seiner Vatikanzeit eine Karriere als Drogenbaron in Tijuana. Sekundenlange Verwirrung im Kramerhirn. Danach vermochte er sich zu sammeln und irgendwas komplett Unschlagfertiges zu sagen, was ich aber wieder vergessen habe.

Ein Doppeltriumph binnen sieben Tagen. Eigentlich sollte ich jetzt zurücktreten und mich in der Unvergänglichkeit dieses Ruhmes sonnen. Und vielleicht tu ich das auch.


03 Februar 2012

Momentane Hauptbaustellen (2): Tele2



Die schwedische VerbrecherTelefongesellschaft Tele2 hat meine zusammengenommen 156 Jahre alten Eltern von der Telekom weggelotst und ihnen einen neuen Vertrag aufgeschwatzt. Laufzeit: zwei Jahre.

Leider wird das Ganze im Hintergrund übers Mobilnetz abgewickelt, und in dem Dorf, wo meine Eltern leben, gibt es überhaupt keinen Empfang.

Die beiden können nun schon seit drei Wochen nicht mehr telefonieren, und ich habe das Verfahren kurzentschlossen an mich gezogen, obwohl ich in solchen Fällen dazu neige, zum grundunsympathischen Echauffator zu mutieren.

Bei Tele2 habe ich nach schwierigen Verhandlungen, bei denen ich unter Aufbietung unmenschlicher Kräfte aus rein taktischen Gründen nicht ausfallend wurde, eine außerordentliche Kündigung erwirken können, doch die Rückabwicklung dauert.

Und dauert.

Um sich über den neusten Stand der Dinge zu informieren, fährt mein Vater jetzt immer auf einen Berg hoch überm Dorf, um mich von dort aus mit einem Alice-Handy anzurufen, das wir ihm geschenkt haben. Alice nämlich ist unten im Tal auch nur so zuverlässig wie Regen in der Sahelzone.

Alles schien jedenfalls ganz allmählich einen guten Ausgang zu nehmen. Heute allerdings habe ich erfahren müssen, dass meine Eltern einen weiteren Zweijahresvertrag mit Tele2 haben.

Sie, die mit durchschnittlich vier verschiedenen Menschen telefonieren, von denen drei in ihrem Dorf wohnen und einer in Hamburg, erhalten von Tele2 monatlich einen Einzelverbindungsnachweis – für ungefähr 18 Euro Grundgebühr, so genau wusste meine Mutter das aus dem Stegreif nicht.

Es ist also noch nicht vorbei. Etwas hat überlebt.

(Serie wird fortgesetzt.)

02 Februar 2012

Momentane Hauptbaustellen (1): Sky



Der Bezahl-TV-Sender Sky hat mir bereits fünf fehlerhafte Bestätigungsschreiben über die genaue Laufzeit meines just verlängerten Vertrages zugeschickt. Immer steht dort als Ablaufdatum „31.1.2012“ statt „31.1.2013“.

Nach jedem Eingang rufe ich bei der Hotline an, verklickere das skurrile Phänomen einer immer neuen Telefonstimme, die meist sagt: „Oh, ein neuer fehlerhafter Brief ist bereits an Sie unterwegs! Betrachten Sie ihn einfach als nichtig! Wir schicken Ihnen die richtige Bestätigung!“

Immer frage ich zurück, ob ich mich denn jetzt darauf verlassen könne, und immer wird mir das inbrünstigst bestätigt. Ich habe mich bereits dabei ertappt, die große Erschöpfung, die sich dank dieser Angelegenheit in mir breitmacht, mit den immer neuen Telefonstimmen in Form eines psychologischen Therapiegespräches zu thematisieren.

Das Verständnis ist stets groß, es grenzt fast an Mitgefühl. Aber helfen können sie mir letztlich alle nicht. Call me Kafka.

Mit den bisher angefallenen Telefongebühren könnte ich mir wahrscheinlich schon jetzt einen ganzen Monat das konkurrierende Telekom-Angebot Entertain leisten, und vielleicht täte ich das auch, wenn ich nur nicht so erschöpft wäre.

(Serie wird fortgesetzt.)


16 Januar 2012

Hausverbot mit Ansage

Ein Kioskladen in der Silbersackstraße, schräg gegenüber der berühmten Kneipe (Foto). Vor mir in der Schlange steht ein Mann. Geduldig rückt er vor. Als er dran ist, sagt er zum Verkäufer: „Haste ma fümunswansich Cent?“

Das bringt den Verkäufer binnen einer tausendstel Nanosekunde auf 180. „Hausverbot!“, platzt es augenblicklich aus ihm heraus, „du hast Hausverbot!“ Er zeigt mit leninesker Geste zur Tür, seine Augen funkeln vor Zorn.

„Steck dir dein Hausverbot in’n Arsch!“, ruft der Schnorrer. Derweil geht er allerdings gehorsam hinaus, die Hände tief in den Taschen, wie ein Flaneur.

Dieses Kleinbeigeben trotz vokaler Renitenz – eine Ton-Bild-Schere in freier Wildbahn – ist natürlich inkonsequent. Es verhindert aber zuverlässig jede weitere Eskalation, und darauf kommt es doch an.

Erstaunlicher war eh seine von vorneherein sinnlose Strategie des Anstellens. Schließlich war absehbar, wie das alles ausgehen würde. Wäre ich ein Schnorrer, hätte ich eher die Leute in der Schlange statt den Verkäufer angebaggert – also zum Beispiel mich.

Aber was weiß ich schon.


15 Januar 2012

„Ich muss GAR NICHTS!“



Ich radle durch die Annenstraße, die zwar eigentlich eine Einbahnstraße, für Fahrräder aber in beide Richtungen befahrbar ist, als mir ein Auto entgegenkommt.

Es visiert eine Parklücke an – allerdings eine auf meiner Seite und zudem genau in dem Moment, als ich vorüberradeln will.

Beide steigen wir in die Eisen, ich vermeide es in letzter Sekunde, dem Wagen dekorativ über Kühlerhaube, Dach und Heck zu rollen – und bin sauer. Und zwar mit allem Recht, das die Straßenverkehrsordnung herzugeben in der Lage ist.

Der Fahrer leiert die Scheibe runter. „Sagen Sie mal …“, hebe ich an, als er auch schon losblökt. „Ich hab den BLINKER gesetzt“, schreit er, „weißte nich, was’n BLINKER ist?“

Wie immer, wenn Leute, die ich gerade aus einer Position moralischer Überlegenheit heraus anblaffen will, stattdessen mich anblaffen, bin ich derart verblüfft, dass ich nicht in adäquater Eloquenz reagieren kann.

„Wenn Sie einparken wollen, müssen Sie doch erst mal den Gegenverkehr …“, versuche ich eine Belehrung, doch er – ein Mittfünfziger mit Sorgenfurchen um die Lippenwinkel, dessen eigentlich beeindruckend üppige Haarpracht dadurch immens an Wirkung einbüßt, dass er sie trägt wie Jürgen Drews 1977 – haut dazwischen.

„Ich muss GAR NICHTS!“, brüllt er, „und jetzt fahr weiter!“ Dann leiert er die Scheibe hoch. Was schade ist.

Denn ich hätte ihm einerseits noch sehr gerne erläutert, dass er als PS-starker Beweger einer ganzen Tonne Stahl 76-Kilo-Radler grundsätzlich wie Mingvasen behandeln sollte, auch und gerade beim ordnungswidrigen Versuch, die Fahrbahn trotz Gegenverkehrs zu queren.

Und zum andern hätte ich ihm auch gerne noch in wohlgesetzt harschen Worten dafür kritisiert, mich ohne Not geduzt zu haben. So aber blieben mir nur dumpfer Groll sowie zwei Überzeugungen: Dieser Mann kann unmöglich St. Paulianer sein – und er gibt Blogstoff ab.

Und so geschah es dann ja auch.


PS: Einen Vorteil hat es ja, die Szene vor lauter Schreck nicht fotografisch dokumentiert zu haben: Ich kann irgendwas hier reinstellen. Sogar ein Foto des hübschen Graffitis am Lieblingshaus der Wildpinkler an der Großen Freiheit, Ecke Schmuckstraße.


10 Januar 2012

Schnick Schnack Schnuck um Speckfrikadellen



Also: Rahmspinat mit Rührei oder doch lieber Speckfrikadellen mit Senfsauce und Röstkartoffeln? Die Mittagskarte des Voltaire in der Friedensallee (Foto) macht es dem Franken und mir nicht leicht, doch schließlich ist die Sache für uns beide klar.

„Die Speckfrikadellen, bitte“, sagt der Franke, und darauf hätte ich natürlich unbesehen meine komplette Sammlung 1976er Trockenbeerenauslesen verwettet.


„Nehme ich auch“, sage ich.
„Nehmen Sie nicht“, sagt die Bedienung.

Wir schauen sie an, als hätte sie uns gerade erzählt, der Papst habe in Strapsen das Casino von Travemünde überfallen. „Es ist nämlich“, präzisiert sie genüsslich, „nur noch eine Portion da.“ Ach so. Da der Franke bereits geordert hat, bescheide ich mich generös mit dem Spinat. Ist ja ebenfalls eine feine Sache, fragen Sie Popeye.

Doch der gemeinhin auch inwendig eher grobschlächtig geformte Franke entdeckt plötzlich ein der Welt bislang tief verborgen gebliebenes Faible für Fairness und schlägt vor, Schnick Schnack Schnuck um die Portion Speckfrikadellen zu spielen. Bis drei.

Als Freund jedweden Duellierens – unabhängig von Speckfrikadellen – willige ich freudig ein. Sofort gerate ich 0:1 ins Hintertreffen, gleiche mit Stein gegen Schere aus und drehe schließlich in der finalen Runde das Spiel mit Schere gegen Papier. Der Franke hat gedacht, ich setzte auf Brunnen. Ich hingegen habe gar nicht gedacht, sondern nur gemacht.

Just als mir also die Speckfrikadellen zuungunsten des Spinats wieder als mittägliche Verheißung vorm geistigen Auge auferstehen, kommt die Bedienung zurück. „Entwarnung“, sagt sie, „es sind doch noch zwei Portionen da.“

In des Franken Auge flammt sofort die Freude schöner Götterfunken auf; es ist Ausdruck tiefempfundenen Glücks desjenigen, der unversehens doch noch etwas zu mümmeln kriegt, das er längst abgeschrieben hatte: Speckfrikadellen. Und nichts und niemand wird ihn von ihrem umstandslosen Verzehr abhalten können, nicht mal Brunnen.

„Gerade haben wir noch Schnick Schnack Schnuck um die Speckfrikadellen gespielt“, schildere ich der Bedienung die Ereignisse der letzten 30 Sekunden, „und ich habe gewonnen.“ Sie zuckt mit den Schultern.

Irgendwie fühle ich mich jetzt, als hätte man mir am grünen Tisch einen Sieg geklaut, dabei kriege ich doch ebenfalls Speckfrikadellen.

Versteh einer die menschliche Psyche.

PS: Die „Frankensaga“ ist bei Amazon billiger geworden: 3,42 statt 3,82 €. Sale! SALE!


04 Januar 2012

Vermintes Gelände

Als der Franke und ich im Fischrestaurant in der Bahrenfelder Straße die Rechnung bezahlt haben, schenkt uns die Bedienung unversehens noch zwei Promoflaschen Cola Zero. Wir nehmen sie höflich und dankend an, obgleich wir beide zu diesem „Getränk“ stehen wie ein ralliger Ozelot zu Kopfsalat.

Auf dem Weg zurück ins Büro überlegen wir, wem wir damit eine Freude machen könnten. „Ich schenke sie Kramer“, entscheidet der Franke. „Und ich einfach einer sehr schlanken Frau“, sage ich. „Damit bin ich auf der sicheren Seite. Jede Frau, die nicht sehr schlank ist, würde doch automatisch denken, ich hielte sie für fett. Und wenn die schlanke Frau, der ich sie schenke, das aus irrationalen Gründen ebenfalls denkt, dann kann ich ihr genau erklären, warum ich genau ihr die Flasche geschenkt habe und keiner … Vollschlanken.“

Derart argumentativ abgesichert betrete ich selbstgewiss dieses schwer verminte Gelände und schenke meine Cola Zero einer sehr schlanken Kollegin. Sie betrachtet die Flasche. „Meinst du denn“, fragt sie, während sie unsicher lächelt, „ich hätte das nötig?“

„Siehst du!“, rufe ich dem Franken hinterher, der bereits auf dem Weg zu Kramer ist, dem man übrigens jederzeit alles schenken kann, zum Beispiel auch Schwartemagen, Fruchtgummi oder alte Nachos; Hauptsache, man schenkt ihm überhaupt etwas.

Der Franke stürzt feixend herbei, und ich erläutere in seinem Beisein der sehr schlanken Kollegin, wie ich vorhin überlegt hätte, ob sie wohl annähme, ich hielte sie für fett, wenn ich ihr diese Flasche Cola Zero gäbe, und dann erkannt hätte, dass ich dieser Falle nur dadurch entgehen könne, indem ich sie einer sehr schlanken Frau schenkte.

„Danke“, haucht sie.
Es klingt geradezu ergriffen.


PS: Vielleicht sollte man als Mann generell mehrere Flaschen Cola Zero vorrätig haben.
(War das gerade der Flirttipp des Tages? Scheint so.)