Alle Jahre wieder steht hier an dieser Stelle zu genau diesem Zeitpunkt ein inständiger Appell an Ihre Restvernunft, und alle Jahre wieder muss ich Anfang Januar in der Zeitung lesen, dass sie ihn überhört haben, ignorierten, darauf spuckten, in die Tonne traten, wegwischten, ja hohnlachend missachteten. Das betrübt mich sehr. Aber vielleicht wird ja diesmal alles anders. Vielleicht denken Sie: Mensch, Matt könnte ja recht haben, ich spreng mir dieses Jahr einfach mal nicht Nase, Augen, Arme, Beine und Geschlechtsteile weg. Klingt jedenfalls nach einer guten Idee. Und genau die sollten Sie jetzt umsetzen. Ich will nämlich einmal Anfang Januar keine einzige dieser Silvestersplattergeschichten in der Zeitung lesen. Deal? Deal. Und hier nun das Original von 2006. Es ist der am wenigsten angestaubte Text im ganzen Blog.
Liebe Krüppel vom Neujahrsmorgen,
schaut bitte jetzt noch mal an euch herab. Arme, Hände, Beine, Füße: Alles ist noch dran. Das ist gut. Noch.
Denn heute Nacht werdet ihr euch etwas wegsprengen. Ja, genau. Wahrscheinlich ein, zwei Finger, vielleicht auch eine Hand. Oder beide.
Manche von euch wird es noch schlimmer erwischen. Im Gesicht nämlich. Ihr werdet die Nase verlieren, den Unterkiefer, die Augen. Und einige von euch auch den Rest: euer Leben.
Alles ist momentan noch dran, wenn ihr an euch herabschaut. Das ist gut. Doch in den Zeitungen vom 2. Januar werdet ihr auftauchen: als Beispiele für Dumm-, Blöd- und Bescheuertheit. Jedes Jahr stehen diese Beispiele in den Zeitungen vom 2. Januar. Und diesmal seid ihr es, die zu blöd wart, einen Böller ordnungsgemäß abzufackeln.
Euer ganzes Leben – wenn ihr es denn behaltet – wird danach ein völlig anderes sein. Wahrscheinlich verliert ihr eure Mobilität. Vielleicht könnt ihr euch danach nie mehr alleine die Zähne putzen. Vielleicht verliert ihr euren Job. Oder euren Partner. Vielleicht beides.
Und alles aus Blödheit.
Aber noch ist nicht Mitternacht. Noch könnt ihr es vermeiden, am 2. Januar in den Zeitungen als Beispiele für lebensgefährliche Blödheit aufzutauchen.
Wie wär’s? Ist eigentlich ganz leicht.
Aber ich habe wenig Hoffnung. Denn genau das definiert ja Blödheit: Sogar das eigentlich Leichte noch zu leicht zu nehmen.
Schaut bitte noch mal an euch herab. Arme, Hände, Beine, Füße: Alles ist noch dran. Und jetzt sagt zu all dem bitte leise servus.
Melancholische Grüße,
Matt
Foto: Gruppe anschlaege.de