Posts mit dem Label reeperbahnfestival werden angezeigt. Alle Posts anzeigen
Posts mit dem Label reeperbahnfestival werden angezeigt. Alle Posts anzeigen

26 September 2021

Kant und Gammelfleisch

Was ich heute Morgen in meinem Fahrradkorb vorfand (und vor Ärger und Abscheu leider vergaß zu fotografieren), war folgendes Ensemble an Dingen, die vorher, beim Abstellen, noch nicht dort waren und dort auch keinesfalls hingehören:

 

– eine Edeka-Broschüre

– eine Burgerverpackung aus Styropor (zum Glück leer)

– eine zusammengeknüllte graubraune Papierserviette (stark gebraucht)

– ein mit Reis beflocktes handtellergroßes Stück Gammelfleisch, nasen- und augenscheinlich Lamm, sowie

– ein abgelutschter Eis-am-Stiel-Stiel mit halb eingetrockneten Vanilleeisspuren.

 

Ganz abgesehen davon, dass diese Kollektion keineswegs auf einen kulinarisch verfeinerten Geschmack ihres Schöpfers und Spenders hindeutet: Allem Anschein nach vermochte er auch im entscheidenden Moment nicht mehr den kategorischen Imperativ Immanuel Kants zu memorieren, der ihm anderenfalls in den Arm gefallen wäre mit der Erwägung, etwas am besten keinesfalls zu tun, sofern es – wenn es alle Erdbewohner täten – diese Welt nicht zu einem besseren Ort machen würde.

 

Also hieß es heute Morgen vorm obligaten Brötchenholen erst einmal spitzfingrig sauber machen. Was jetzt noch auf dem Drahtgittergeflecht des Fahrradkorbs verblieben ist, sind schwer zu entfernende Reisreste. Diesbezüglich hoffe ich auf unsere verlässlichsten Kumpel, die Mikroorganismen, welche in den nächsten Wochen (wahrscheinlich eher Monaten) doch bitte segensreich wirken mögen, danke schön vorab.

 

Ich befürchte allerdings, auch im kommenden Frühjahr dort im Korb noch Spuren mumifizierter Reiskörner vorzufinden. Und alles nur, weil irgendein Absolvent des gerade zu Ende gegangenen Reeperbahnfestivals im entscheidenden Moment ausnahmsweise mal nicht an einen unserer größten Philosophen gedacht hat.

 

Aber beim nächsten Mal wieder, da bin ich mir doch sehr, sehr sicher.


PS: Das Foto zeigt den Eingang der S-Bahnstation Reeperbahn, und zwar deshalb, weil ich, wie gesagt, den kontaminierten Fahrradkorb aus Ärger und Abscheu zu fotografieren vergaß.



22 September 2019

Ich hatte ein Wristband!

Das Reeperbahnfestival sorgt seit 14 Jahren jeden September für Feiertage auf dem Kiez – genauer gesagt taten das die diesmal 50.000 Indiefans, die von Mittwoch bis Samstag durch die auf der Karte zu sehenden Clubs zogen. Darunter ich. 

Dank meiner Akkreditierung war ich dieses Jahr ein „Wristbandholder“ und hoffte, dass mein Wristband vier Tage Höchstbelastung (darunter Duschen) aushalten würde, ohne abzufallen. Dann wäre ich nämlich aufgeschmissen gewesen.

Diesmal hatte ich mir nur ein loses Programm zusammengestellt. Ich wollte mich einfach quer durch St. Pauli treibenlassen – von Gig zu Gig, von einem (mir unbekannten) Act zum andern. Doch so einfach war das nicht. Im Pooca am Hamburger Berg machte ich gleich wieder kehrt, als ich drinnen auf Menschen mit glühenden Zigaretten stieß. Für so was bin ich einfach zu alt (obgleich ich es als Kind noch erleben durfte, wie die Erwachsenen sogar im Auto rauchten, bei geschlossenen Fenstern und mir auf dem Rücksitz).

Vor einigen Clubs stieß ich auf grimmige Türsteher, die „Einlassstopp!“ grummelten, was auch schon längst per Pushnachricht auf meinem Smartphonebildschirm aufgeploppt war, aber dank des gegenüber normalen Kiezabenden noch mal deutlich dezibelreicheren Grundbrummens rundherum war mir das entgangen. Zwar hätte ich mir als offizieller Wristband- und Akkreditierungskärtchenholder trotzdem Zutritt verschaffen können, doch mich in einen brechend vollen Laden zu quetschen, wo ohne Bazooka weder Theke noch Klo in absehbarer Zeit erreichbar gewesen wären, dafür bin ich – Sie ahnen es – zu alt.

Problemlos gelang indes das Entern des Sankt-Pauli-Museums, vor dessen Eingang ich vergangenes Jahr Günter Zint bei seiner Attacke auf ein Verkehrsschild ablichten konnte. Dort sang der isländische Singer/Songwriter Teitur Magnússon, ein rotbärtiger Nordmann mit Pelzmütze, aber verblüffend elfenähnlicher Bübchenstimme. Wenn wirklich Gott die Menschen – und somit auch Herrn Magnússon – erschaffen hat, dann muss man sagen: ER hat Sinn für Humor.

Im Moondoo an der Reeperbahn stieß ich auf die junge, dünne argentinische Elektrokünstlerin Catnapp. Ihre Schläfen waren rasiert, dafür wippte ein einzelner langer Rastazopf im Rhythmus kalter blauer zuckender Strahler und dem reeperbahnerschütternden Beben ihrer Breakbeats und -bässe. Es war faszinierend. Im Berliner Berghain soll sie eine große Nummer sein. Hoffentlich trägt sie regelmäßig Ohrstöpsel, sonst geht es ihr irgendwann wie Sven Väth.

Freitag dann Elbphilharmonie. Zwar passt der Kulturtempel nur suboptimal zu einem Festival, das vor allem auf kleine Clubs und Indiekünstler setzt, doch wie könnte ich das bemäkeln, wenn dort die schwedische Songwriterin Anna Ternheim auftritt, die ich seit ihrem ersten Album verehre (Näheres dazu in diesem Buch)? 

Der schwarze Herrenanzug, den sie trägt, umschlottert sie derart, dass ich die Journalistin, die neben mir sitzt und Ternheim erst neulich interviewt hat, frage, ob diese damit ein eventuelles Untergewicht zu kaschieren trachte. Das sei sicher nicht so, heißt es, Ternheim sei sehr normalgewichtig.

Mit Sicherheit ist sie auch sehr duldsam mit dem unbotmäßigen Verhalten ihres blonden Schopfs. Hätte ich eine Frisur, die mich dazu zwänge, mir alle acht Sekunden die Strähnen aus dem Gesicht zu wischen, ich legte mir augenblicks eine gänzlich andere zu. Andererseits verfügte ich als jemand, der sich seine spärlichen Reststoppel zweimal die Woche auf einen halben Millimeter Länge runterkürzt, gern über ein solches Luxusproblem.

Ternheim jedenfalls wischt sich während ihres Auftritts hochgerechnet circa 600-mal die Haare aus dem Gesicht, derweil das sie begleitende Kaiser Quartett ihre schönsten (und leider auch einige mittelprächtige neue) Songs in apartesten Kammerpop kleidet. Hätte Ternheim statt des herumrumpelnden Drummers einen Perkussionisten dabeigehabt, das Ganze wäre als Zauberabend in die Reeperbahnfestivalgeschichte eingegangen. Das Publikum war trotzdem euphorisiert bis zum Aufspringen und mehrfach Zugabefordern.

Genau so wie das des kanadisch-ukrainischen Pianoschrats Lubomyr Melnyk am Samstag in der St.Pauli-Kirche. Der 71-Jährige, ein leicht berberhaft wirkender Grauzausel in ausgebeulter Cordhose, ist sozusagen das missing link zwischen Rachmaninov und Steve Reich, nur dass er schneller spielt als Lucky Lukes Schatten. 

Damit schafft Melnyk wellenartig dröhnende Klangmuster, von denen er behauptet, die (für ihn eh verdammenswerte) Digitaltechnik sei zu träge, um sie adäquat aufzunehmen. Warum der Mann an seinem Verkaufsstand trotzdem neben Vinyl auch CDs anbietet, gehört zur Dialektik dieses Festivals – des weltweit besten von ganz St. Pauli, wenn nicht des ganzen Planeten.

Mein Wristband hat übrigens vier Tage lang durchgehalten. Gegen die Schere Samstagnacht war es aber hilf- und machtlos.



-->

23 September 2018

Reeperbahnfestival 2018: Fotonachlese


Festival Village auf dem Heiligengeistfeld 


Basisausrüstung


Livebühne auf dem Spielbudenplatz; Eingangsbereich Bahnhof Pauli


Botschaft der geplagten Nachbarn des Nochtspeichers, die sich mit dem Club einen Eingang teilen


Die Präsenz der DSGVO auf dem Festival 


Die Schuhe der färöischen Sängerin Frum


Es werde Licht bei Jungle im Docks


Klaus Voormanns Porträt von Paul McCartney in der Arrestzelle auf der Davidwache (Festival Village)


Vorm Sommersalon


Spielbudenplatz


Vorm Panikmuseum


Was nicht rostet – auch nicht bis zum Festival im nächsten Jahr.
Versprochen.


20 September 2018

Alles wackelt – auch dank Günter Zint


Reeperbahnfestival! Jedes Jahr der höchste Höhepunkt in einem an Höhepunkten wahrlich nicht armen Viertel. Reeperbahnfestival heißt: sich über den Kiez treiben lassen, der von unzähligen Indieacts- und -bands zum Wackeln gebracht wird, mal in diesem Club vorbeischauen, mal in jenem (gilt natürlich auch für den Astra-Stand), und irgendwann ist es plötzlich nach Mitternacht und man freut sich auf morgen.

Bei dem Londoner Soulfunker Joel Culpepper in Angie’s Nightclub überzeugt vor allem das Outfit und sein Prince-Falsett, doch als er fragt, ob es cool sei, wenn er das Publikum ein wenig einbeziehe, muss ich mich leider absentieren. Ich gehöre zu jenem misanthropischen Publikumsteil, der auf keinen Fall einbezogen werden möchte, weder zum Mitklatschen noch -singen und erst recht nicht zum Auf-die-Bühne-geholt-Werden. Also tschüs, Joel – und hallo Frum

Die blonde färöische Sängerin führt eine Art Nachthemd aus und dazu etwas klobig Sneakerartiges, worauf man sich vor allem deswegen gut konzentrieren kann, weil ihre Stimme zu leise abgemischt ist. Im Publikum: die legendäre, ebenso winzige wie einen grotesk hoch aufragenden Hut tragende Sängerin, Komponistin und Produzentin Linda Perry.

Ach, ich weiß noch, welch ein Wahnsinns-Wow anno 1992 ihr 4-Non-Blondes-Song „What’s up” beim allerersten Ohrkontakt auslöste – und wie unerträglich das Stück beim tausendsten Mal geworden war. Dieses Schicksal – es tausendmal hören zu müssen – blieb in der ganzen westlichen Hemisphäre damals wohl keinem erspart. Ein Supersuperhit. Und jetzt steht Frau Perry hier im Nochtspeicher, starrt auf das Nachthemd einer Färöerin, deren Stimme zu leise abgemischt ist, und denkt wahrscheinlich: kein Supersuperhit, nirgends.

Auf dem Weg die Davidstraße runter stelle ich fest, dass der an einem Band um meinen Hals baumelnde Presseausweis des Reeperbahnfestivals die Huren so zuverlässig fernhält wie eine Knoblauchknolle Dracula. Bis jemand von links ein „Matthias, kommst du mal her?“ flötet. Da hat eine ziemlich gute Augen und meinen Namen auf dem Ausweis identifiziert. Er ist also doch keine Knoblauchknolle.

Vorm Sankt-Pauli-Museum, wo später zu Elektrobeats und Landschaftsfilmen eine verzaubernde Frauenstimme zu hören sein wird, die überraschenderweise einem muskulösen kahlköpfigen Franzosen namens Temperance gehört, treffe ich das Kiezurgestein schlechthin: Günter Zint.  

Wenn einer sowohl ein Chronist St. Paulis als auch der linken Protestbewegung der alten Bundesrepublik ist, dann der 77-Jährige mit seiner halben Brille, über deren Rand er dich mit gesenktem Kopf mustert. Irgendjemand müsste Günter mal über die immense Nützlichkeit von Gleitsichtbrillen informieren, aber dann wäre auch sein Markenzeichen flöten. Also lieber doch nicht. Der Mann war einst an allen Brennpunkten, Startbahn West, Gorleben, er war mit Wallraff undercover, und ich wundere mich ein bisschen, wieso er augenblicks nicht durch den Hambacher Forst kraxelt.

Weil er sich um sein Museum kümmert, vor dem ein Verkehrsschild steht, an dem er gerade wackelt. „Ich geb dir 200 Euro“, raunt er mir zu, „wenn du dieses Schild hier mit der Flex abschneidest.“ Das Schild informiert darüber, dass die Einfahrt in die Friedrichstraße zwischen 20 Uhr abends und 5 Uhr morgens verboten ist. Aber es steht halt auch direkt vorm Eingang von Zints Museum. „Dieses Schild“, sagt er und rüttelt wieder dran, „ist auf jedem Scheißtouristenfoto des Museums zu sehen!“

Eine junge Frau, die sich als eine Groninger Booking-Assistentin namens Myrte entpuppt, hört amüsiert mit, und Zint sagt: „Ich gebe dir 300 Euro …“ (was hier, in der Davidstraße, ein noch missverständlicheres Angebot sein dürfte als in irgendeiner anderen Straße Europas) „… wenn du das Schild hier mit einer Flex umlegst!“ Für mich 200, für sie 300. Schon verstanden.

Das Schild steht heute morgen übrigens immer noch da, das Reeperbahnfestival geht in seinen zweiten Tag, und plötzlich wird es Mitternacht sein, und man freut sich auf morgen.



-->

25 September 2016

Reeperbahnfestival 2016: Eine Fotonachlese


Als ich heute Abend beim Konzert der britischen Newcomerin Alexandra Saviour im Imperial-Theater war, dachte ich: In einer skurrileren und deshalb lebenswerteren Version unserer Welt würde Herr Naidoo sie heiraten und ihren Namen annehmen.

Die gute Alexandra habe ich nicht fotografiert – wie überhaupt wenige Künstler –, dafür aber das Drumherum, vor allem die Stilleben im Trubel. Hier eine kleine Nachlese dreier toller Tage auf dem Kiez, die so ganz anders waren als sonst wochenendüblich.



Große Freiheit, Bühnenhintergrund der Band Get Well Soon. Die Nutzungsgebühren gehen wohl an John Lennon bzw. Yoko Ono. Es sei denn, die Liebe ist immer noch gemeinfrei. Heutzutage kann man sich dessen ja nicht mehr sicher sein.


Spielbudenplatz, Grillstand.





Die Decke des Resonanzraums im Bunker. Als Soundtrack dazu müssen Sie sich bitte eine von Olga Scheps gespielte Chopin-Etüde vorstellen, dann sind Sie ganz nah an der Wahrheit.



Große Freiheit, Eingang zum Sanitärbereich. Die Leuchtschrift müsste aus der Zeit stammen, als das Wasserklosett gerade erfunden worden war.




Imperial-Theater, Wandbeleuchtung.




Hand mit Band. Mit diesem kleinen Accessoire kam ich überall rein – und hätte sogar die ganze Zeit auch öffentliche Verkehrsmittel benutzen können. Bei den kurzen Distanzen zwischen den Clubs waren Füße und Fahrrad aber die weitaus bessere Wahl.



Kaiserkeller, Wandbeleuchtung. Ob die auch schon dort war, als die Beatles hier spielten? Bestimmt.



Große Freiheit, Anna Ternheim (l.). Warum die Schwedin im Bademantel die Bühne betrat, erschloss sich dem Publikum nicht. Zumal das unförmige Teil auch leider wenig kleidsam war. 
Die Lautstärke rechts habe ich hingegen beim Konzert von Okta Logue im Grünspan gemessen. Laut DIN 15 905, welche als Höchstgrenze 99 db vorsieht, hätte die Veranstaltung also abgebrochen werden müssen. Was sehr schade gewesen wäre – und ja auch nicht passiert ist.

Deshalb kann es im kommenden Jahr weitergehen mit dem besten deutschen Clubfestival. Sollten Sie dann nicht anreisen, haben Sie vielleicht nicht die Kontrolle über Ihr Leben verloren – aber ganz sicher über Ihre Freizeitgestaltung.



24 September 2016

Streichereinheiten



Heute war für mich ein Streichertag auf dem Reeperbahnfestival. Und von James Johnston, früher bei den Quartalsrockern Gallon Drunk, hätte ich das keinesfalls erwartet.

Doch der Mann kam mit Kammerorchesterchen und mitteldüsterem Pop noir in den Bahnhof Pauli am Spielbudenplatz, und wäre plötzlich Nick Cave in Duettabsicht aus der Kulisse geschlurft gekommen, so hätte sich niemand gewundert.

Vorher bereits hatten mich die drei außergewöhnlich harmoniegesangbegabten Baselerinnen von Serafyn (zwei Celli, eine Akustikgitarre) bezirzt. Kammerfolk so zerbrechlich wie eine angedetschte Mingvase. Dafür hatten Choir Of Young Believers gar keine Streicher dabei, obwohl das angekündigt war, sondern spielten einen Portishead-artigen Elektropop.

Möglicherweise waren das aber auch gar nicht Choir Of Young Believers; so genau weiß man das manchmal gar nicht mehr, wenn man von Club zu Club schwebt wie eine von der Vielfalt herumschlierender Nektararomen halbberauschte Biene.

Was gab’s noch? The Slow Show etwa, ein Solokünstler mit einer Stimme, die an Bill Morrissey erinnert, und Songs, die eigentlich gar keine sind, weil dem Mann das Schema Strophe/Refrain fremd ist und dafür der Begriff Mantra umso vertrauter. Er sollte sich mit Thomas Dybdahl zusammentun, die beiden wären als schwer umwölkte Indiefolkies unschlagbar.

Anna Ternheim, meine ganz persönliche Lieblingsschwedin, geruhte abends in der Großen Freiheit im Bademantel aufzutreten und hallenkompatibel zu indierocken. Künstlerische Weiterentwicklung ist natürlich herzlich willkommen, ohne Frage, doch mir ist ihre „Shoreline“-Phase noch immer die allerallerliebste. Aber auf mich hört ja keiner, am wenigsten Anna Ternheim.

Dafür hören Okta Logue seit Jahren auf mich, obwohl ich gar nichts zu ihnen gesagt habe (na gut, in Form von Rezensionen schon). Diese blassen Griesheimer Jungs mit ihrer Affinität zu Grooves und Psychedelia bilden die weltweit beste deutsche Gitarrenband, und ich würde mich auf jeden beliebigen Kaffeetisch stellen und diese Behauptung aufrechterhalten. Punkt. 

Das gilt in keiner Weise für Connor Youngblood; kann ja auch gar nicht, weil er ein filzköpfiger Afroamerikaner aus Dallas, Texas, ist. Im Imperial-Theater startete der gerätegestärkte Mann mutig mit einer Akustikballade und einem stratosphärenhohen Stimmchen. Danach fing er an, allerlei Sachen wie Ukulelen, Drums etc. live zu samplen und den Status Quo des Lo-Fi zu definieren.

Da war es schon nach Mitternacht und für mich Zeit zu gehen. Schließlich wird der Samstag noch mal an den Kräften zehren, zumal ich mich jetzt schon nicht mehr an alle Bands erinnere, die ich außer den oben aufgelisteten heute alle gesehen habe.

Dieser dunkel pulsende Elektroact im Kaiserkeller zum Beispiel, mit dem (und einem Bier) ich spontan die Pause zwischen Okta Logue und Anna Ternheim überbrückte, war wirklich toll, aber ich bin jetzt zu müde, um ihn im Programmheft nachzuschlagen.

Bis morgen.




23 September 2016

Kann man machen



Reeperbahnfestival: Das bedeutet alljährlich, dass ein Wochenende lang Leute mit gutem Musikgeschmack den Kiez dominieren und nicht die üblichen Heerscharen von Ballermännern und Eckenpinklern.

Denn das muss man zur Ehrenrettung der Hipsterbartträger auch mal sagen: Sie sind zivilisiert(er). Nach einem Schlagermove sieht das Viertel aus, als wäre eine Konfettibombe über einer Urin- und Kotzlache explodiert; nach dem Reeperbahnfestival liegen höchstens Programmprospekte rum.

Ich startete den Abend im Sommersalon mit Me + Marie – und die strahlenden Augen des Trios beim fröhlichen Herumlärmen (u. a. coverten sie Motörheads „Ace of Spades“) machten sofort klar und deutlich, dass auch in hundert Jahren noch junge Menschen zur Gitarre greifen und rumrocken werden.

Diese Art und Weise, seine Jugend zu verbringen, ist einfach unübertrefflich. Meistens zwar nur für die Musiker selbst, aber das galt heute Abend keineswegs für Me + Marie, nicht nur wegen „Ace of Spades“.

Weiter ging’s im Imperial Theaer, wohin mich der vokalreiche Wohlklang des Künstlerinnennamens „Olivia Sebastianelli“ gelockt hatte. Die junge Frau kam allerdings nicht aus Livorno, sondern aus London, und sah auch noch aus wie der jüngste Sprössling der Addams Family.

Gleichwohl sang sie derart laut und fest, dass Dieter Bohlen glatt ein Ei aus der Hose gesprungen wäre, doch er war überhaupt nicht da, sondern wahrscheinlich in Tötensen. Die Sebastianelli wird mal ein Star, da leg ich mich fest, und wenn sie nicht spätestens nächstes Jahr im Vorprogramm von Adele auftritt, dann nur deshalb nicht, weil Adele Schiss vor der Konkurrenz hat.

Nächste Station: Bunker. Kurioserweise virtuosierte dort die Starpianistin Olga Scheps, und zwar außergewöhnlicherweise in Lederhosen und Pumps. So was erlebt man weltweit wohl nur beim Reeperbahnfestival: die Parallelität von Indierockern, Folkpflänzchen UND Weltklassetastenfrauen, die Chopin spielen.

Dass die Scheps auch noch akzentfrei Deutsch spricht, hätte man in der Laeiszhalle, wo sie in der Regel stumm vor einem höchstsituierten Schurwollzwirnpublikum ihre Superskills vorführt, nie erfahren. Auf dem Reeperbahnfestival schon – weil die Booker sich nicht entblödeten, frohgemut gegen den Strich zu denken und eine Frau wie sie einzuladen.

Kurz vor Scheps’ Satie-Part hetzte ich rüber ins Knust, wo das gemütliche Dickerchen Noah Guthrie in Triobesetzung den Country mit Crooning verschmolz. Handwerklich super, aber als Songschreiber ist Guthrie (trotz seines legendären Namens) nicht vom Himmel, sondern höchstens vom Dreimeterbrett gefallen.

Dann halt Black Oak in der St.-Pauli-Kirche am Pinnasberg. Dabei handelt es sich um holländische Indiefolkies mit einem Hang zu Westcoastharmonien und kaum verhohlenen Stolz auf einen amerikanischen Akzent beim Englischsprechen.

Kann man machen, aber faszinierender als ihre Musik war das oben abgebildete Schild auf dem Klo der St.-Pauli-Kirche, was an einem milden Hamburger Septemberabend noch eine Spur grotesker wirkt als sowieso schon.

Morgen Abend geht es weiter mit dem weltweit besten Festival von ganz St. Pauli – und wahrscheinlich sogar dem Rest des Planeten. 







27 September 2013

An der Schwelle der Wodka-Martini-Ära

Zum Auftakt des Reeperbahnfestivals, welches mich seit gestern auf höchst sinnvolle Weise um einen Teil der Nachtruhe bringt, war ich in den Edelstripclub Dollhouse geladen. Dort hielt der Musiker Dave Stewart (l.) Hof.

Viele erinnern sich gewiss noch an seine große Zeit mit den Eurythmics („Sweet Dreams“). Hier im Dollhouse hatte er nicht nur sein neues Album dabei, sondern auch eine schräge Produktidee, an deren weltrevolutionäre Kraft der Mann unerschütterlich glaubt: eine Wodka-Martini-Maschine.  
  
„Wie viele von Ihnen hatten vor zehn Jahren eine Cappuccinomaschine zu Hause?“, rief er uns in seiner Muttersprache Englisch zu. Ich bin mir nicht sicher, ob Engländer zu Espressomaschinen generell Cappuccinomaschinen sagen, er sagte auf jeden Fall Cappuccinomaschine.  

Vor zehn Jahren? Keiner von uns hob die Hand, entweder aus Schüchternheit oder weil wir allesamt vor zehn Jahren keine Cappuccinomaschine zu Hause stehen hatten. „Sehen Sie?“, triumphierte Stewart und legte uns damit den zwingenden Rückschluss nahe, 2023 allesamt zu Hause über Wodka-Martini-Maschinen zu verfügen, und zwar natürlich welche aus seiner Fabrikation.

Nun, bei mir zumindest wird er mit dieser Prognose völlig falsch liegen, weil ich weder Wodka noch Martini mag und die Kombination aus beidem schon mal gleich doppelt nicht. Da ich aber die Suggestionskraft des Kollegen Germanpsycho kenne, der mich unlängst auf den anhaltenden Trip brachte, mich in edle Tuche zu kleiden, und zurzeit viel Zeit darauf verwendet, seine Skills im Cocktailmixen zu verfeinern, will ich Dave Stewarts Nahelegung vorsorglich mal nicht als komplett ins Fabelreich verbannen. 

Er hatte übrigens noch einen anderen Knaller dabei: einen 11.1-Mix seiner aktuellen Single. Wenn ich 2023 dank Fukushima oder einer Überdosis Wodka-Martini über elf Ohren verfüge, höre ich mir den bestimmt (noch) mal in Ruhe an. 

 

24 September 2012

Sooo Billstedt

Am dritten Tag des Reeperbahnfestivals machten sich allmählich Verschleiß-, wenn nicht gar Zerfallserscheinungen bemerkbar. So vergaß ich sowohl den Zettel mit meinem Tagesprogramm als auch meinen Fotopass.

Verstört irrte ich über den Kiez, wo zum Glück jeder zweite Laden reeperbahnfestivaltechnisch bespielt wurde. In einige kam man allerdings nicht mehr rein. Und vor anderen war die Schlange lächerlich lang.

Wegen des Rappers Cro, der die schrullige Angewohnheit hat, nur mit einer Pandamaske aufzutreten, reichte sie vom Docks bis fast zur Davidwache. Ohne mich! Stattdessen holte ich mir mein persönlich längstes Konzert des Festivals ab, nämlich eine volle Stunde Okta Logue im Angie’s.

Für das kürzeste sorgte hingegen die britische Rapperin Speech Debelle (Einschub: Mein saublödes Rechtschreibprogramm verbesserte ihren Namen gerade eigenmächtig in „Debile“). Ich erwischte sie just in dem Moment, als sie den letzten Vers ihres Auftritts ins Auditorium schmetterte und dann ging.

Was nach diesen handgestoppten 34 Sekunden blieb, war der rein optische Eindruck einer stämmigen Frau in Jogginghose. Der lustigste Moment des Festivals passierte aber im Café Five an der Reeperbahn und hatte mit Musik nichts zu tun.

Zwei junge Frauen stritten sich auf dem Damenklo, wie mir aus glaubwürdiger Quelle zugetragen wurde, bis der einen der Kragen platzte. „Halt die Klappe!“, rief sie ihrer Kontrahentin zu, „du klingst sooo Billstedt!

Bei Billstedt, das für Nichthanseaten, handelt es sich um einen sogenannten Problemstadtteil, der gewiss zu den Hauptentsendungsgebieten der hier am Wochenende regelmäßig einfallenden Prollmassen gehören dürfte. Ja, es liegen mir sogar intuitive Indizien dafür vor, dass eventuell jemand aus Billstedt den abgebildeten Mümmelmann auf der Wandtapete der Hasenschaukel verschönert hat.

Wie auch immer: In ihrem von einem innigen Abgrenzungswunsch motivierten Ausruf „Du klingst sooo Billstedt!“ schien die junge Frau eine Herkunft aus einem kultivierteren Hamburger Stadtteil nahelegen zu wollen.

Mein Eindruck vom Kiezpublikum während der drei Festivaltage war ähnlich: Hier dominierten endlich mal nicht die krakeelenden Wer-ist-schneller-hackedicht-Heinis, sondern Indiefans aller Altersgruppen. Die Sauf-, Gröl- und Pöbelfraktion ging gleichsam in der Masse der Musikinteressierten unter, sie wurde komplett absorbiert.

Das Wochenende auf den Straßen St. Paulis war demzufolge geradezu eins zum Wohlfühlen, und diesen Satz habe ich noch nie in dieser Deutlichkeit ausgesprochen.

Daher mein Appell an die Verantwortlichen: Wiederholt bitte das Reeperbahnfestival jede Woche. Egal, wer dann noch sooo Billstedt klänge: Seine Stimme wäre nur noch ein Hintergrundrauschen.

Ich finde diesen Vorschlag übrigens ziemlich großartig.

25 September 2010

„Wie geht’s dir, Baby?“



Bizarr: Althippie und Folklegende Donovan auf dem Reeperbahnfestival! Unter lauter jungem Gemüse!

Elektrisiert von der Chance auf eine weitere kapitale Kerbe im Colt schleppe ich den von des Schotten Existenz erst jetzt erfahrenden German Psycho ins Fliegende-Bauten-Theaterzelt, wo der Barde auftritt.

„Der hat ja mehr Haare als wir beide zusammen!“, heult GP sofort los, als der vollbemattete 64-Jährige kregel die Bühne betritt. „Hoffentlich spielt er nichts, was er nach 1970 geschrieben hat“, sorge ich mich hingegen. Tut Donovan dann auch nicht.

Ich habe vor allem immer seine Vorliebe für Alliterationen und Binnenreime geschätzt. „Jennifer Juniper“, „Sunshine superman“, „Mellow yellow“, „Clara Clairvoyant“, „Poke the pope“, „Divine daze of deathless delight“: So was traut sich ja heute keiner mehr. Allerdings reimt Donovan auch „stitch“ auf „witch“ und „rich“, was GP sofort despektierlich vertwittern muss.

Nur 800 Meter Luftlinie von Donovan entfernt, in der Großen Freiheit 36, treten die britischen Neogrunger Blood Red Shoes auf, und dorthin zieht es uns nach dem Schlusschoral von „Atlantis“, ein Stück, das Donovan damals bestimmt nur deshalb geschrieben hat, um die Kompostionsform von „Hey Jude“ zu kopieren und Paul McCartney eins auszuwischen.

Wir laufen durch die Schmuckstraße, den traditionellen Transenstrich auf dem Kiez. Ich wechsle etwas zu früh auf die problematische Seite des Gehwegs und habe sofort ein schwarzhaariges Megababe am Hals, das mir einen grandios falschen Busen entgegenreckt. Sein Koberspruch ist allerdings noch großartiger als sein aufwendig schmuckstraßenkompatibel gefakter Body.

Nichts à la „Hey du, kommste mal mit?“, wie es in der Davidstraße Ouzo ist, sondern ein baritonisch hingehauchtes: „Wie geht’s dir, Baby …?“ Auch GP ist hingerissen. „Würde ich sofort twittern“, sagt er, „aber es ist dein Satz.“ Ein Ausbund an Sitte und Anstand, dieser Mensch.

Bei den Blood Red Shoes explodiert gerade die Halle. Nur ein Junge und ein Mädchen, Schlagzeugset plus Gitarre, und doch geht die Welt unter, aufs Euphorisierendste. GP ist schon wieder am Twittern. Er hält mir sein iPhone hin, das schon etwas blässlich um die Nase ist. „Ich habe mich gerade verliebt. #blood red shoes“, vermag ich seinen Tweet zu entziffern.

Er meint die Sängerin und Gitarristin Laura-Mary Carter, der die Haare allerdings derart ins Gesicht hängen, dass man sich mangels Anschauungsmaterial eigentlich unmöglich in sie verlieben kann. GP bezieht sich allerdings eh auf Carters Beine.

Danach versuchen wir noch ins Molotow reinzukommen, doch dort sieht man schon von außen, wie literweise Körpersäfte an der Panoramascheibe kondensieren, und das treibt uns rüber ins Lehmitz an der Reeperbahn, wo wir um Mitternacht kurzärmlig draußen ein Abschlussastra trinken, mit den Jacken über den Stühlen, und den Strom der Kiezflaneure an uns vorübertreiben lassen.

Gäbe es St. Pauli nicht, man müsste es erfinden, verdammt.

30 September 2007

Oliver Stone und ich haben was gemeinsam


Link: sevenload.com

Reeperbahnfestival, dritter und letzter Tag, nicht mehr lang bis Mitternacht. Ich bin extra eine halbe Stunde zu früh im D-Club, um noch die Chance zu haben, mich in die ersten Reihen vorzukämpfen.

Denn Juliette Lewis
wird spielen, die Frau aus Oliver Stones „Natural born Killers“, und so eine schaut man sich nun mal nicht aus der Ferne an.

Der D-Club ist so voll, dass die Masse schier rausquillt auf den Spielbudenplatz. Dort steht eine unwirsche Schlange, die von grimmigen Türstehern gebändigt wird. Ich werde nur deshalb noch reingelassen, weil ich einen Wunderpass um den Hals trage und ein Wunderbändchen am Handgelenk.

Mit Letzterem musste ich die letzten Tage sogar duschen. Was man nicht alles tut für die Kunst und privilegierten Einlass. Jedenfalls klappt es, ich bin drin, und dann schubse, schiebe und kneife ich mich vor bis in Bühnennähe.

Dort ist neben Luftholen (sofern man die gasförmige Substanz, die sich hier zäh wie flüssiges Gummi durch die Bronchien zwängt, noch als Luft bezeichnen kann) keine andere Bewegung mehr möglich. Ein Zustand, der sich gegenüber dem, der folgt, als komfortabel erweisen soll.

Als die rockende Mimin auftaucht, bekomme ich eine Bierdusche ab, noch vor dem ersten Song. Das hätte mich warnen sollen, doch ich bin arglos, trotz der Erfahrungen vieler hundert Konzerte.

Dann legt die Band los, und sofort klärt sich die Lage auf fatalste Weise: Ich befinde mich zu meinem Entsetzen mitten unter hunderten von Hardcore-Fans. Und diese Leute sind brutalst entschlossen, jener Frau, die statt einer Serienkillerin heute Abend die klassische Rock’n’Roll-Bitch spielt, ihre Verehrung deutlich zu zeigen, vor allem physisch.

Für mich heißt das Übles. Um mich herum beginnt es zu brodeln und zu toben, hundert Kilo schwere Lewis-Fans beginnen unter demokratischer Berücksichtigung aller horizontalen und vertikalen Möglichkeiten zu hüpfen und verfehlen dabei nicht immer meine Füße.

Statt einer einzelnen Bierdusche setzt zudem ein Bierregen ein. Und von allen Seiten rammen mir enthemmte Wahnsinnige Ellenbogen in alle verfügbaren Weichteile.

Ich halte mit den Fäusten dagegen, setze beide Schultern ein, schlage zurück. Erzieherische Wirkung entfaltet das aber alles nicht. Irgendwann wird mir alles egal, und ich hole unter abenteuerlichen Umständen die Kamera raus, um mich endlich mal auf Augenhöhe mit Oliver Stone zu fühlen.

Wer die technische Qualität des Clips moniert, sollte bedenken: Jeder Wackler dokumentiert unsichtbar einen hingenommenen Schlag in die Rippen, jedes Verrutschen des Bildes einen gefühlten Zehenbruch. Was man nicht alles tut für die Kunst und Videodokumente für die Ewigkeit.

Danach kämpfe ich mich raus, biergetränkt, rauchverpestet, durchgewalkt. Und irgendwo tief drin keimt auf einmal beängstigend viel Verständnis für natural born killers, ich weiß auch nicht warum.

28 September 2007

Was Schneider nicht passt, wird Passig gemacht

Ms. Columbo und ich suchen und finden schließlich sogar das aufschrift- und hinweislos in einem Hinterhof versteckte Goethe-Institut am Hauptbahnhof. Unser Ziel: eine mit Wolf Schneider (Stilpapst), Kathrin Passig (Blogpäpstin) und Feridun Zaimoğlu (Kanakspraklegende) prominent besetzte Podiumsdiskussion zum gewagt formulierten Thema „Wer rettet die deutsche Sprache?“

Kathrin Passigs leicht schläfriger Blick und schwankungsarmer Ton steht in hartem Kontrast zu ihrer Blitzgescheitheit, die auch im Angesicht Wolf Schneiders, dem Mount Rushmore des Journalismus, nicht ins Wanken geraten will. Dabei hätte das Schneider nur zu gern.

Doch während er den „Überschuss idiotischer Anglizismen“ beklagt, wirft sie ihm leicht schläfrig und schwankungsarm „Sprachbesorgnishuberei“ vor. Ein bisschen springt Schneider wenigstens der zum Labern neigende Zaimoğlu bei.

Zaimoğlu – das muss hier betont werden – erweist sich live als bei weitem weniger hässlich als auf sämtlichen Fotos, die ich von ihm kenne. Offenbar ist der Mann ein Musterbeispiel für praktisch komplett abwesende Fotogenität, was ich übrigens auch (in hoffentlich abgeschwächter Form) für mich selbst reklamieren kann.

Zaimoğlu jedenfalls findet Folgendes: „Sprachunvermögen ist nur Ausdrucks eines Hangs zur Idiotie“, und das ist schon schneideresk. Derweil wettert Schneider in geschliffener Eloquenz gegen E-Mails und Chatrooms, muss aber unwillig zugeben, sein komplettes Wissen darüber aus zweiter Hand zu haben – Punkt für Passig, aber ein dicker.

Die bleibt gelassen, sagt, beim Chatten und so weiter ginge es mehr um soziale Nähe als um gehobene Schreibe, und an irgendeiner Stelle sagt Charmeur Schneider zu ihr: „An dieser Stelle möchte ich Ihnen gerne den Krieg erklären.“

Passig lächelt schläfrig, während Zaimoğlu seine elektrische Schreibmaschine lobt und Computer labernd beschimpft, vor allem ihre Tastaturen. Interessanter Abend.

Danach hetze ich aufs Reeperbahnfestival, verpasse dank der Sprachdiskutanten Salim Nourallah im Kukuun-Hotel, wo aber zum Glück der rosa Flur noch da ist, so dass ich wenigstens ein verblogbares Bild im Kasten habe.

24 September 2006

Tortour mit Intermezzo


In den letzten 48 Stunden verbesserte sich meine Konzertstatistik im gleichen Maße, wie sich meine körperliche Verfassung verschlechterte.

Am Donnerstag in Berlin begann die Live(tor)tour mit
Shawn Colvin, Fionn Regan und Maximilian Hecker, ehe es in Hamburg ab Freitag beim Reeperbahnfestival weiterging mit The Rifles, Kajak, Minor Majority, Maplewood, Nerina Pallot, Paolo Nutini, The On Offs, Dominic Miller sowie Epo 555.

Samstagnachmittag lief ich zur Auflockerung auch noch bei der offiziellen
Beatlestour mit, die Stadtteilführerin Stefanie Hempel mit enthusiastischem Dauerlächeln moderierte. Wie ernst sie ihren Job nimmt, zeigten die Intermezzi. Zur Ukulele (und Verwunderung der Touristen) schmetterte die Musikerin illustrativ Beatlessongs über den Kiez.

Während der Führung begleitete uns ein Kamerateam von Tide TV; und das hatte vor allem am Ende richtig was zu filmen. Denn auf dem Gelände des alten Star Clubs in der Großen Freiheit saßen ein paar saufende britische Kleiderschränke mit Glatzen herum, die Stefanies formidable „Twist and shout“-Fassung um euphorisches Mitgrölen bereicherten. Riesenbeifall am Ende, für Stefanie und die Engländer.


Am Mittwoch soll das Ganze auf Tide TV laufen; hier gibt es vorab schon mal Stefanies liebenswerte Fassung von „In my life“.