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16 August 2009

Was in Künstlerinterviews wirklich gesagt wird

„Kann natürlich auch sein, dass einige Leute sagen, das geht zu weit, weil, mich interessiert überhaupt nicht, was er über seine Oma denkt, weißt du, aber es gibt genauso die anderen Leute, wenn ich jetzt Lieder mache, wie ich sie immer gemacht habe, einfach mit nem fetten Beat such, gute Reime such, und dann ist einfach n toller Flow und jetzt aber nich so, dann gibt’s eben auch die Leute, die sagen so, das is bestimmt gut für das, was er macht, aber toucht mich überhaupt nicht, und deshalb, das muss man immer für sich abschätzen, was man jetzt gerade machen will und welche Leute man womit erreichen will und jetzt gerade, das Feedback was ich krieg, eben dadurch, dass die Leute eben dann nich sagen: oah, das war jetzt ein fetter Beat, weißt du, und Kritik kam jetzt eh gar nicht die letzten Tage, keiner hat jetzt wirklich was zu kritisieren, und alle sagen mir so, ja, meine Oma, das war ja so, und weißt du, und fangen dann an zu reflektieren über ihr eigenes Leben, und das ist ja letztendlich, was ich auslösen will.“

(Authentischer Teil eines Interviews mit einem bekannten deutschen Rapper.
Um wen es sich handelt, wird hier verschwiegen. A
us humanitären Gründen.)

24 Mai 2009

Watermarked



Viele Rezensions-CDs gehen mir mit Wasserzeichen zu. Falls diese Musik also im Internet landen sollte, wäre sie bis zu mir zurückzuverfolgen. Meine „Karriere“ wäre zu Ende.

Solche CDs sind daher eine echte Belastung für meine Gemütslage. Verschenken kann ich sie nicht; man darf schließlich niemandem trauen. Und sie im Archiv zu haben, ist ebenfalls beunruhigend. Es könnten schließlich Einbrecher kommen, sie klauen und ins Netz stellen.
Und wer landete dann im Knast – die Einbrecher? Nein, ich.

Deshalb zerstöre ich solche CDs rituell: zuerst optisch, dann physisch. Und danach genieße ich die Freuden der Katharsis.

Paranoia macht manchmal richtig gute Laune.

17 Februar 2009

Tannenzapfenzupfen (10): Zweifels ohne Käse Füße

(Foto via FHS Holztechnik)


Von Zeit zu Zeit gibt es hier kleine gruselige Einblicke in den Alltag eines Musikjournalisten. Denn ich werde nicht nur mit immer neuen grottigen Bandnamen behelligt, die einem das Messer in der Tasche aufgehen lassen (z. B. „Monsters of Liedermaching“ oder „Hasenscheisse“), sondern auch mit grässlich verunglücktem Promosprech, das dir sogar die Klappsense in der Tasche aufgehen lässt.

Neulich zum Beispiel sprach einer von „vauöhen“, obwohl er „releasen“ meinte – das geht doch nicht!

Diese Serie trägt den Namen ihres ersten Eintrags (nämlich „Tannenzapfenzupfen“) und soll hier und heute fortgesetzt werden, da auf dem Kiez gerade nichts Wesentliches passiert ist. Zumindest mir nicht.

Wie immer gilt dabei das bewährte Motto: Ohren zu und durch.

1. „Gerne attache ich Ihnen die Short Infos“, „toller typ, womanizer, charmeur, handsome looks“, „Den dritten Floor hosten die Onlinecommunity VIRTUAL NIGHTS und das Musikdownloadportal DJtunes.com“ – alltägliche Beispiele für eigentlich kriminelles Denglishkauderwelsch; aber fast schon so normal, dass der Brechreiz allmählich nachlässt. Nein, eigentlich doch noch nicht – bläärch …

2. „Wie ein würdiger, bedachtsamer, in einer Höhle gereifter Käse riechen THE FREEKS auch nach wahrer Klasse und verheißen einen verdrehten Höhepunkt des Geschmacks. … Als sich schließlich alle diese Zutaten spontan vermischten, stand am Ende ein bizarres, stark riechendes Milchprodukt, das die Geschmacksnerven zu verzücken weiß. Schon die großen Köche sind sich seit langem darüber einig, dass Dinge, die so verdächtig riechen, als seien sie bereits schlecht geworden, meist genau die Dinge sind, die perfekt schmecken. THE FREEKS haben dieses Konzept noch ein wenig weiter getrieben und Geschmacksnerven durch Trommelfelle ersetzt. Wenn Ohren nur ansatzweise einen in Trüffeln gerollten Boschetto schmecken könnten, dann würden sie den stinkig-coolen Sound der FREEKS vernehmen.“ Selten begnet einem eine solche Armada schiefer und zugleich ekelerregender, uns geradezu olfaktorisch belästigender Sprachbilder. Aber wenn, dann muss man sie unbedingt verewigen; vielleicht hat man ja nie wieder so ein Glück.

3. „Wir trauern um den ehemaligen Schlagzeuger der Band One Foot In The Grave, Gino Costa, der im Alter von 91 Jahren in Arizona gestorben ist.“ So traurig das auch ist, so ist es doch auch lustig. Ja, tut mir Leid.

4. „Denn uns ist immer noch eine zweitklassige Black Flag Kopie aus Moers lieber, die in ihrem Ort was reißt, als eine Band, die für astronomische Gagen einmal im Jahr rüber kommt und hier auf Koks Star macht! Dieser Newsletter entsteht unter extrem lauter Anhörung der Eating Glass Platte von den Spermbirds - zweifels ohne ihre Beste!“ Der bisherige Deppenleerzeichenrekord des Jahres. Aber da kommt noch was, ich hab es im U Rin.

Zum Schluss ein Bonustrack aus einer verwandten Sphäre, der ergiebigen Gammelsprechquelle namens Spammail:

5. „Ich suche Ihre Zusammenarbeit, um Sie meiner firmer als die folgende von der Verwandtschaft/Begünstigten meinem Verstorben-Kunden zu präsentieren, der im Flugzeugabsturz mit seiner Familie vor seinem Tod starb, er lässt eine firmer mit meiner firmer zur Melodie (von 18.5 Millionen $), verstorbenem Dr George Brumley, einer Amerikanischen Staatsbürgerschaft, einem Unternehmer erwägen, der am Flugzeugabsturz zusammen mit seiner Familie einschloß.“ Ruhe sanft. Und möglichst lange.


Was bisher geschah: 9, 8, 7, 6, 5, 4, 3, 2, 1





02 Juli 2008

Tannenzapfenzupfen (9)

(Foto via FHS Holztechnik)


V
iel zu lange pausiert nun schon die recht beliebte Fundstücke- und Gammelsprechrubrik. Dabei fliegt mir doch weiterhin genug verbloggbares Zeugs zu, nicht nur diese strunzdumm-fröhliche Eigenwerbung einer Zeitschrift:

„Hier das neueste Update der aktuellen ,Mädchen’-Ausgabe, inklusive Ehrenmorde und einem Guide, wie ihr in sieben einfachen Schritten ein Meth-Labor in ein Terrarium umwandelt.“ Vor allem das heitere Anpreisen der Ehrenmorde in unmittelbarer Gesellschaft einer Terrariumsbauanleitung ist irritierend, oder geht’s nur mir so?

Hier kommen weitere Beispiele IQ-gedimmter und naturbelassener Promotexte aus der Musikbranche, die man so niemals erfinden könnte. Ohren zu und durch:

1. „Es sind Gefühle im Innern, die in mir das Verlangen auslösen, einen Song schreiben zu wollen. Das fließt direkt aus dem Herzen heraus. Nicht aus dem Kopf, sondern aus den Eingeweiden.“ Die anatomisch nicht sattelfeste Sängerin Lou Rhodes über das etwas anrüchige Geheimnis ihrer Kreativität.

2. „Der Schlagzeuger drischt auf seinen Schrottplatz ein, dass man sicher ist, er verspeist Kleinkinder zum Fruehstueck. Das alles macht soviel Spass wie schon lange nichts mehr!“ Ja – aber nur Hannibal Lecter.

3. „Wie ein Ninja, der auf dem Hochhaus sitzt und konzentriert zum letzen mal die Klinge seines Schwertes prüft und küsst und sie dann in eine Nazi Demo gleiten lösst und ein romantisches, farbenfrohes Blutband purer Formvollendung anrichtet! Ein Feuersturm der totalen Übernahme bereitet sich in Flensburg vor um loszuschlagen!“ Ein Blutband. Aus Flensburg. Alles klar.

4. „In bester Tradition von Helden wie Cult Of Luna, Isis und Neurosis, aber dennoch mit einer angenehmen Eigenständigkeit läuten TEPHRA mit ,A Modicum Of Truth’ den Weltuntergang ein.“ Immerhin mit angenehmer Eigenständigkeit, was die Apokalypse viel erträglicher macht.

5. „Mal wieder nur mit schlechten Spruechen die Hintertuer bekritzelt und mit schelmischer Miene an der Bar den Barkompasen von Barcorde und von der Baerenjagd erzaehlt. Barnanas! So wie es frueher war.“ Ein Rätsel, dieser Text. Er geriet dem Schreiber zu einem Alliterations- und Binnenreimdelirium, das nur mit der exzessiven Einnahme von Barbituraten erklärlich ist.


Man gerät fast in die Stimmung für einen Ehrenmord. Aber vielleicht bau ich doch lieber das Terrarium um.

Was bisher geschah: 8, 7, 6, 5, 4, 3, 2, 1




13 Juni 2008

Telefonprotokolle (3)

Heute rief mich ein Musikpromoter aus Berlin an. Es entspann sich folgender Dialog (Gedächtnisprotokoll):

„Hey, Matt, sag mal, mit was muss ich dich denn bestechen, damit du die Platte besprichst?“
„Der Veröffentlichungstermin ist wichtiger.“
„Die Platte kommt am 25. Juli.“
„Na, dann schick doch mal. Vielleicht kann sie sich ja im August gegen die Konkurrenz durchsetzen.“
„Okay. Aber noch mal: Goldene Rolex? Sportwagen?“
„Sexuelle Vergünstigungen sind mir lieber.“
„Au-ha! … Aber wir sind gut bestückt.“
„Dann leg der CD doch einfach Fotos bei.“
„Alles klar. Du hast bald Post.“


06 Mai 2008

Im Bann des Elektrophallus

Im Kukuun am Spielbudenplatz, direkt gegenüber vom Hotel Monopol, soll uns heute Abend das hochgeheime neue Album der Band Coldplay vorgespielt werden.

Mich werden Sicherheitsvorkehrungen erwarten, als wollte ich Guantanamo Bay verlassen. Deshalb kleide ich mich knapp über nackt, also ohne Jacke, Handy, Kamera und Panzerfaust.

Am Eingang erwartet mich ein pferdebeschwänzter Sicherheitsmann mit einem dieser elektronischen Gummiknüppel, die jedes Stück Metall aufspüren, das du am Körper trägst. Wahrscheinlich musst du auch deine künstliche Hüfte abgeben, um das neue Coldplay-Album hören zu dürfen.

Ich informiere den Sicherheitsmann über meine gleichsam jungfräuliche Ausstattung, die auch eine fehlende künstliche Hüfte einschließt, doch er will mich trotzdem mit diesem Ding da scannen.

„Hey, ich habe doch gesagt: Ich habe nichts dabei“, gebe ich mich bewusst störrisch. „Die Sicherheitsvorkehrungen erfordern das aber“, mault er und fingert mir mit seinem Leuchtstab vorm Gemächt herum, während ich mich schrittweise zurückziehe und er auf entwürdigende Weise hinter mir her wedelt mit seinem piepsenden Elektrophallus.

Es ist grotesk. Es ist lächerlich. Es ist die Musikbranche.

Später, während das Coldplay-Album gespielt wird, halte ich meinen USB-Stick am Schlüsselbund hoch wie ein Mikrofon, aber es fällt außer zwei kichernden Kolleginen von Konkurrenzzeitschriften niemandem auf. Trotzdem fühle ich mich auf schäbige Weise ein klein wenig besser.

Mal schauen, wie die Rezension ausfällt.

02 Mai 2008

Mit einem Bein im Knast



Es ist kurz vor Mitternacht, als es endlich losgeht.

Die Discokugel des Nachtasyls verstreut huschende Lichtflecken im Raum, und weil die Wand hinter der Bühne gewellt ist, fangen die Flecken dort zu flattern und zu tanzen an wie Schmetterlinge auf einer Frühlingswiese – das perfekte visuelle Ambiente für die zwei wunderbaren kalifornischen Folksängerinnen Mariee Sioux und Alela Diane.

Ich hocke zu Füßen der Grazien auf dem Boden vor der Bühne, versuche mein Glas vor unbekümmerten Füßen zu schützen und zugleich im Rotschummerlicht ein passables Filmchen auf den Chip zu kriegen.

Was natürlich nicht gelingt; trotzdem gibt es hier einen kleinen miesen Clip. Schließlich hat mich Alelas Promoter inständig gebeten, das zu tun – eine erstaunliche Alternative zu den üblichen Knastandrohungen der Musikbranche für dieses Vergehen.

Sollte ich dennoch demnächst aus Fuhlsbüttel bloggen, war ich zu naiv.

11 März 2008

Lose Zusammengekehrtes (2)


Wahrscheinlich denken einige Romantiker noch immer, das Leben eines Musikjournalisten sei geprägt von Sex & Drugs & Rock’n’Roll. Und tja: Manchmal ist es das auch.

„Hallo“, stand zumindest neulich in der Mail eines Plattenpromoters, „ich wollte kurz anchecken, ob das LSD-Promopack bei dir angekommen ist.“


Augenblicklich durchwühlte ich fahrig den Haufen Post. Doch nur unzählige CDs fielen mir entgegen. „Hallo, Peter“, mailte ich zurück, „bisher ist leider nichts eingetroffen, was sich schnupfen oder spritzen lässt.“


Zwei Tage später kam es dann an, das Päckchen. Drin: Das neue Album einer Band namens LSD.


In diesem Zusammenhang möchte ich einen frischkreierten Kalauer zitieren: Bei welchem Instrument ist es sogar von Vorteil, an Parkinson zu leiden? Na, bei der Zither.


Und nur, um zu beweisen, dass auch andere Blödsinn machen, und zwar unfreiwillig, ist das heutige Bild da, wo es ist.


(zu Teil 1)

29 Januar 2008

Tannenzapfenzupfen (8)

(Foto via FHS Holztechnik)


Manchmal reicht ein einziger Satz, um zu wissen: Dieses Buch wird niemals mein Freund, zumindest nicht in der deutschen Übersetzung. Glücklicherweise stand dieser eine entscheidende Satz schon in der Pressemitteilung zu Snoop Doggs autobiografischem Roman „Love don’t live here no more“. Ein Service, der einem viel Zeit spart.

Der Satz heißt: „Auf den Straßen hingen wir mit den Baby-Bitches aus der Hood ab, die für uns ihre T-Shirts lüfteten und ihre Titties zeigten.“

Wahrscheinlich sind solche Übersetzungen mitverantwortlich dafür, dass der deutsche HipHop (vor allem der aus Berlin) oft so merkbefreit peinlich ist.


Vielen Texten aus den Tiefen der Promoabteilungen geht es aber kaum besser. „Die zweite Compilation dieser Ausgabe wird compiled von Sofia Coppola“, meinte mir unlängst jemand mitteilen zu müssen. Doch nicht immer wird man mit Denglisch gequält. Fast noch peinigender: von Kompetenz ungetrübter Sprachehrgeiz.

„Die Band gründete sich, um sich selbst zu gründen. Und um zu ergründen, ob die Gründe die Band zu gründen, begründet werden können. Aus diesem Grund gründete sich die Band, die eigentlich keine Band sondern eine Bande ist.“

Eins von den zwei Kommas, die diesem Geschwurbel fehlen, hat der nächste Satz zuviel, doch er erreicht wenigstens semantisch eine gewisse Reflektionsebene. „Newsletter zu schreiben“
, räsoniert da ein Promoter, „macht immer noch soviel Spass, wie ein Stacheldrahtsalat zum Frühstück.“

Beim Newsletterlesen geht’s mir ganz ähnlich.

Was bisher geschah: 7, 6, 5, 4, 3, 2, 1



05 September 2007

Erst das Fressen, dann die Moral

Man sollte nach einem langen Bürotag nie hungrig zu einer Veranstaltung gehen, bei der die Methode der Futterversorgung im Ungewissen liegt. Diese existenzielle Erkenntnis reifte in langen Hamburger Jahren heran zur Statur eines Axioms. Umso unverständlicher, wieso sie mir immer mal wieder entfällt.

Zur CD-Veröffentlichungsparty in der psychedelisch bunten Kantine des Spiegel jedenfalls erscheinen wir fatalerweise ohne kulinarische Absicherung. Ein Fehler, ein schwerer. Denn schon wenige Minuten nach unserer Ankunft ereilt uns düstere Kunde: Der Spiegel serviert ein „Flying Buffet“.

Das ist die Höchststrafe. „Ich hätte mir zu Hause noch ein paar Oliven reinziehen sollen“, zische ich kraftlos Ms. Columbo zu. Denn ein „Flying Buffet“ bedeutet vor allem eins: Das Essen ist immer gerade da, wo wir nicht sind. Wenn man Glück hat, kann man Sichtkontakt herstellen, mehr auch nicht.

Manchmal flattert es federleicht vorüber, erwägt aber nicht mal im Traum einen Zwischenstopp an unserem Tisch. Nein, ein „Flying Buffet“ funktioniert nur, wenn die Gäste schon vorgesättigt oder mit gesunder Brutalität im Nahkampf ausgestattet sind. Beides trifft auf Ms. Columbo und mich nur sehr partiell zu, eigentlich gar nicht.

Um die Zeit zu überbrücken, bis eventuell doch eins dieser flüchtigen Tabletts mit Lachstatar, thailändischer Kokossuppe oder Basmatireis an Rindfleischstreifen in Greifweite vorüberschwebt, bephilosophiere ich Ms. Columbo mit schwachbrüstigen Theorien.

Zum Beispiel mit jener über den mäßigenden Einfluss der Zivilisation auf die animalisch-vulkanische Kraft der Triebe, die es uns als einziger Spezies hienieden ermögliche, selbst bei akutem Hunger dem darbenden Mitmenschen einen Bissen abzugeben – sofern wir selbst überhaupt einen Bissen haben natürlich, aber da ist das „Flying Buffet“ ja vor.

Als alter Dialektiker streife ich natürlich pflichtgemäß auch Brechts brachialen Balladenvers „Erst kommt das Fressen, dann kommt die Moral“, um auch die bei einer Verschärfung der Situation progressiv zunehmende Anfälligkeit der gepriesenen Triebzügelung nicht unerwähnt zu lassen.

Während unserer wenig engagierten und gedanklich immer wieder in Richtung Lachstatar abschweifenden Diskussion flackert mein Blick unruhig durch den Raum. Ich sehe viele zufrieden möfelnde Partygäste, die sicht- und hörbar an der Qualität der thailändischen Kokossuppe wenig auszusetzen haben.

Ich werde immer schwächer. Ms. Columbo überbrückt mit Mineralwasser, ich halte mich an den nahrhafteren Orangensaft – und urplötzlich, wie aus dem Schlaraffenland herbeigebeamt, steht ein Engel vor uns. Er ist weiblich, er lächelt, und er balanciert auf anmutigste Weise ein vieltelleriges Tablett. Wir entscheiden uns unisono für den Lachs, und von da an beginnt der Abend zu flutschen.

Der Engel vergisst uns hinfort nicht mehr, ja, er bekommt sogar Verstärkung. Kein Gang entgeht uns, das „Flying Buffet“ als Prinzip verliert nach und nach seinen Schrecken – bis zum nächsten Mal, an dem wir nach einem langen Bürotag hungrig zu einer Veranstaltung gehen, bei der die Methode der Futterversorgung im Ungewissen liegt.

Brecht jedenfalls war schon ein Guter, aber echt.

02 September 2007

Schwensens Schraubstock und die Beine von Olivia

Ja, das ist ist so einer dieser Abende, an denen man betütert und betüddelt, becatert und umschwänzelt wird, obwohl man doch keinen Zweifel daran gelassen hatte, dass ein Artikel darüber nun nicht in Frage käme. Trotzdem: Man wollte uns. Und man bekam uns.

Es geht um „The Dome“, jenen säkularen Gottesdienst für zehntausend kreischbereite Teenager, die ihre Bravo-Stars nirgends sonst in derart großer Zahl leibhaftig auf den Altar gestellt bekommen.

„Heute stehen hier die Top 5 der Charts auf der Bühne!“, schwärmt ein Mensch des veranstaltenden Fernsehsenders von sich und seinem Fernsehsender, und wir nicken pflichtschuldig und mit jener dosierten Bewunderung, die in solchen Momenten dank Höflichkeit, Routine und guter Erziehung als mimische Möglichkeit spontan zur Verfügung steht. Das Catering wirkt ebenfalls nicht demotivierend.

Nach drei gemütlichen Stunden in der Loge werden wir in einem Bus zur Aftershowparty ins Edelfettwerk kutschiert, ein labyrinthisch verbautes Ex-Fabrikgebäude, wo wir nach einem verwirrenden Rundgang zufällig in der Lounge landen und – wie sich herausstellt – auch stranden.

Hier sitzt man gemütlich und gut, die Bar ist in Reichweite, und auch die Mit-VIPs verirren sich irgendwann im Lauf der Nacht verlässlich hierher, so dass wir uns fühlen wie im Zentrum des Geschehens. Eine Position, die entscheidende Erkenntnisse erlaubt.

Zum Beispiel die, dass es keins der Models, die heute Abend hier herumlaufen, mit den unglaublich weiblichen Stelzenbeinen der gefühlt drei Meter großen Dragqueen Olivia Jones aufnehmen kann. Dabei heißt Olivia eigentlich Oliver Knöbel, was die Sache noch erstaunlicher macht.

Sabrina Setlur, Co-Moderatorin von „The Dome“, reichte Herrn Knöbel wahrscheinlich nur bis an den Nabel, doch das bleibt Theorie, denn wir schaffen es nicht, sie unauffällig nebeneinander zu stellen.

Eine weitere Erkenntnis aus der Lounge: Ex-Kiezgröße Kalle Schwensen hat a) wirklich zwei Augen hinter der angewachsenen Sonnenbrille (wenn man nah genug ran kommt, erweist sie sich als halb durchsichtig) und b) einen Händedruck wie ein augehungerter Schraubstock, der schon lange nichts Anständiges mehr zwischen die Spannbacken gekriegt hat.

Dank Schwensen sorge ich mich sofort nach dem Abklingen des Schmerzes schon wieder um meinen Ring. Ich erwäge ihn hinfort links zu tragen; schließlich häufen sich zuletzt solche Vorfälle.

Übrigens muss sich jeder hereinschneiende Star vor der Logowand fotografieren lassen, und wir nutzen ein paar starlose Minuten, um dort Faxen zu machen. Hätte Mark ein Blog, sähe man mich dort wahrscheinlich einbeinig herumhüpfen; so aber muss Mark damit leben, quasi beim Knutschen mit Sabrina Setlur erwischt worden zu sein.

Von ihr wird hier schon bald mehr zu lesen sein, das drohe ich schon mal an.

29 August 2007

Tannenzapfenzupfen (7)

(Foto via FHS Holztechnik)

Heute gibt es eine weitere Folge mit gruseliger Promoprosa und Pidginpoesie am Rande der Körperverletzung. Alles Blaugefärbte wurde Pressetexten zu neuen CDs entnommen und so belassen, wie der Promoter es schuf. (Woher der Rubrikenname „Tannenzapfenzupfen“ kommt, steht
hier
.)


1. „In der zur Zeit sehr kalten Jahreszeit Heizen heizen bei Punch It! die derzeit angenagtesten DJs ein.“(Ja, da steht wirklich „angenagtesten“. Und zweimal „heizen“. Ich kann doch auch nichts dafür.)

2.
„Schon allein der Name Tuomo Prättälä zergeht auf der Zunge wie schmackhaftes Kalakukko und schmiegt sich sanft in die Ohrmuschel wie ein finnischer Schneehase.“(Ja, der ist wirklich hübsch. Weiß jemand, was Kalakukko ist?)

3.
„Und als sie ihr erstes Lied zur elektrischen Gitarre anstimmt, öffnen sich Herz, Ohren und Augen in selten erlebter Klarheit. Uns gegenseitig am Ärmel zupfend, versuchen wir durch einen Wirbelsturm aus elektrischem Krach, maßlos schönem Gesang und nackter Emotion einander wissen zu lassen, dass wir hier gerade etwas Unglaubliches erleben dürfen. Da steht diese sehr junge Frau ganz bei sich selbst und ihren Liedern seiend. Wir schauen von kalten Fiebern geschüttelt zu ihr auf, mit geöffneten Seelen der nächsten Flutwelle aus unmaskiertem Gefühl und halsbrecherischer Virtuosität harrend.“ (Ein schönes Beispiel für Überehrgeiz, der vor Ernst und Bedeutung nur so zittert – und aus umso größerer Höhe in ein Jauchefass voll Lächerlichkeit platscht. Verdientermaßen natürlich.)

4.
„Erdmöbel waren schon in einer Menge Schubladen.“ (… dabei ist diese Bestattungsmethode eher im Mittelmeerraum verbreitet. Aber wenn’s der Promoter sagt. Wer’s nicht weiß: Erdmöbel nennt sich eine sehr gute Deutschpopband aus Köln.)

5. „Das Büro ist vom 23.9.–12.10. nicht besetzt. Mails werden nicht regelmässig gelesen, aber beantwortet.“(Das würde ich auch sehr gerne können.)

Was bisher geschah

6, 5, 4, 3, 2, 1


18 Juli 2007

Der Ring blieb heil

Vorm Showcase des – glaubt mir einfach – kommenden Popstars Peter Cincotti drückt mir der Deutschlandchef von Warner Music die Hand, und zwar brutalstmöglich.

Augenblicklich wird sie physisch spürbar, die geballte Kraft des Global Players, der verbissen gegen die Zeitläufte ankämpft.

Sofort danach überprüfe ich verstohlen den Zustand des goldenen Rings, den ich einst gemeinsam mit Ms. Columbo als Symbol unserer Liebe bei Wempe an der Reeperbahn auserkor und seither praktisch ununterbrochen trage.

Ergebnis: Er ist nicht verbogen. Den Auftritt Peter Cincottis verfolge ich daher deutlich wohlgesonnener.


Später werde ich dem Künstler vorgestellt. Lächelnd, doch mit grimmiger Entschlossenheit drückt er mir die Hand, so fest es einem Menschen möglich ist, der davon lebt, seine Finger über eine Ansammlung toter Elefantenzähne tanzen zu lassen.

Dabei bleibt Cincotti natürlich deutlich hinter der Barzahl seines Chefs zurück. Offensichtlich ist er jemand, der Risiko und Chance sorgsam abzuwägen vermag.


Wie gesagt: ein kommender Popstar. Glaubt mir einfach.

PS: Das Foto erweckt zwar nicht den Eindruck, doch Cincotti verfügt wirklich über zwei Hände.

01 Juni 2007

Als das Virus wiederkam (Zum Start der Open-Air-Saison)

Noch Anfang dieses Jahrtausends brach jeden Sommer eine weltweite Epidemie aus, und Millionen Infizierter wankten willenlos hinaus ins Grüne, zu Musikfestivals. Inzwischen ist die Massenerkrankung besiegt. Ein Rückblick mit Schaudern – aus dem Jahr 2054.

Aus der Sicht von heute – Sommer 2054 – wirkt das Verhalten junger Leute Anfang des Jahrtausends bizarr. Schuld war ein Virus. Immer im Sommer schlug es zu und zwang die Menschen zunächst dazu, sogenannte „Vorverkaufsstellen“ aufzusuchen.


Die von solcher Hirnvernebelung Befallenen beschlossen dann wie ferngesteuert, ein ganzes Wochenende lang alle Bequemlichkeiten der Zivilisation abzustreifen und sich in eine archaische Situation zu begeben, die ihrer körperlichen und geistigen Gesundheit unbedingt abträglich war. Das Groteske: Sie bezahlten sogar dafür! Um die 100 Euro Tribut forderte das Virus pro „Open-Air-Festival“, wie man damals den Ort der Krankheitsausübung beschönigend nannte.

Die Folgen waren grausam: Wer unterm euphorisierenden Einfluss des Woodstockvirus (so sein wissenschaftlicher Name) Wald und Wiesen aufsuchte, neigte binnen kurzem dazu, sich zu entkleiden, selbst wenn ästhetische Erwägungen dagegen sprachen.


Im Furor des Virenfiebers nahmen die Enthemmten alkoholhaltige Getränke im Übermaß zu sich und verschmutzten ihre unmittelbare Umgebung alsbald mit Abfällen aller Art, darunter Körpersäfte und –stoffe. Abends krochen die Infizierten in feuchte Zelte statt ins heimische Bett, holten sich frohgemut Halsentzündungen mitten im Sommer und erlebten das gemeinsame Klobenutzen mit 80 000 Leidensgenossen irrigerweise als beglückend – und das, obwohl viele der Kranken ein virusbedingt sehr lockeres Verhältnis zur Körper- und Raumhygiene hatten.

Oftmals verwandelte Regen die weitläufigen Areale vor den Bühnen in schlammige Seen. Gesunde hätten darauf mit einer Mischung aus Ekel, Dusch- und Abreisezwang reagiert, doch seit dem erstmaligen Ausbruch des Virus 1969 gehörte es zur Symptomatik des Befalls, das meist nackige Sichsuhlen im Dreck als toll zu empfinden und sich zur Not lieber mit einem Trecker aus dem Schlamm ziehen zu lassen, als dieses vermeintliche Vergnügen panisch zu fliehen.

Am schlimmsten jedoch waren die Darbietungen selbst, zu deren Besuch das Virus die Menschen trieb. Wer heute Musik hört, die ja seit 2031 nicht mehr öffentlich, sondern nur noch privat abgespielt werden darf, kann sich kaum vorstellen, welches Inferno regelmäßig über die Virusträger hereinbrach.


Auf den gewaltigen Bühnen spielten sogenannte „Bands“: selbst Erkrankte, die spezielle Parallelsymptome (Kreativität, Exhibitionismus) dazu trieben, öffentlich im Freien zu lärmen. Und technisch waren die Menschen jener Ära wirklich in der Lage, Lärm zu machen, o ja!

Hoch aufragende Boxenwände prügelten mit Tausenden von Watt auf die Kranken vor den Bühnen ein, und unter dieser Tortur begannen sie verweifelt zu schreien, ihre schlammverkrusteten Extremitäten zuckten konvulsivisch, und ihre nicht mehr steuerbaren Hände schlugen brutal aufeinander ein, bis sich die Innenflächen röteten.

So zwang das Virus die Infizierten nicht nur willenlos in die Wildnis; dort erwartete sie auch noch eine rundum fürchterliche Situation aus bedrückender Beengtheit, null Hygiene und Schallterror. So konnte es natürlich nicht weitergehen, und schon einige Jahre bevor das weltweit letzte Großkonzert vor echten Zuschauern über die Bühne ging (Tokio Hotel, Maracanã-Stadion, Rio de Janeiro, 2022), zeichnete sich das Ende der Liveära ab.


Für die vielen Kranken war es immer gefährlicher geworden, allsommerlich Festivals zu besuchen. Hörschutz aus der Sprengbranche, Schienbeinschoner und Kevlarwesten gehörten spätestens seit Hurricane 2014 zur Standardausrüstung jedes Infizierten. Die Gefahr, bei einem Kreislaufkollaps von merkbefreiten Mitpatienten totgetrampelt zu werden, ließ sich dagegen nur mit dem Ganzkörperairbag (vulgo „Festivalwurst“) abwenden.

Das pfiffige Teil kam um 2015 in Mode: Sobald ein eingebauter Sensor an der Brust „horizontale Lage“ signalisierte, pumpte es sich explosiv auf wie eine Schwimmweste und verschaffte dem Kranken zugleich eine Liegefläche von anderthalb Quadratmetern. Während der Massenpanik 2017 im dänischen Roskilde, einer der europaweit größten Versammlungsstätten Viruskranker, verhinderte die Festivalwurst das Schlimmste.

Open-Air-Besuche jedenfalls mussten irgendwann geplant werden wie Himalaya-Erstbesteigungen. Doch die Erkrankten waren wegen ihrer herabgesetzten Ratio dazu einfach nicht mehr in der Lage. Ab 2016 weigerten sich zudem alle Krankenkassen, die Behandlung von Knochenbrüchen, Gehörschäden und schlammbedingter Diarrhö zu finanzieren, wenn der Patient nicht nachweisen konnte, innerhalb des letzten Monats kein Open-Air-Konzert besucht zu haben.

Die Lage geriet allmählich außer Kontrolle, der volkswirtschaftliche Schaden ging ins Unermessliche. So entschlossen sich weltweit die Gesundheitsministerien in einer dramatischen Gesetzesinitiative, globale Massenimpfungen gegen das Woodstockvirus schon bei der Einschulung durchzusetzen.
Mit Erfolg: Seit 2022 gibt es keine Freiluftfestivals mehr, in öffentlichen Innenräumen (damals: „Liveclubs“ oder einfach „Clubs“) wurde schließlich 2030 die letzte Monitorbox ausgemustert.

Heute, ein Vierteljahrhundet nach dem Scheitelpunkt der Krise, scheint die Krankheit im Griff, das Virus eingedämmt. Und wenn mal wieder ein Fall publik wird, wo sich jemand schreiend, zuckend und mit aufgedrehtem iPod in ein Schlammloch geworfen hat, um sich mitten im Sommer eine Erkältung zu holen und ein unter falschem Namen gemietetes und sorgsam verdrecktes Dixieklo zu benutzen, dann behandeln die Gesundheitsämter das sehr diskret.


Aber auch mit aller gebotenen Härte.

Dies ist die gekürzte Fassung eines Textes, den ich für das U_mag geschrieben habe. Er ist in der aktuellen Ausgabe nachzulesen, mit viel schöneren Fotos.

20 Mai 2007

Hier werden skills gepostet

Wie das mit diesem Blog wohlvertraute Publikum seit langem weiß, geht es auf der Rückseite der Reeperbahn nicht immer nur um Sex & Drugs & Rock’n’Roll, sondern hie und da auch um dummbratzige Satzverhunzer und -zerhäcksler, die gleichwohl eine tragische biografische Fehlentscheidung dazu brachte, beruflich „irgendwas mit Sprache“ machen zu wollen.

Meist handelt es sich dabei um Werber oder Promoter, was also pimpe wäre, denn denen hört eh niemand zu. Sollte man meinen. Ist aber nicht so. Denn was diesen beiden Berufsgruppen den lieben langen Tag so an denglischen Sprachunfällen aus dem Mund purzelt, findet sich oftmals plötzlich in freier Wildbahn wieder.

Es gibt wirklich Menschen, die das nachplappern und sich – ähem – cool dabei fühlen. Das aber nur nebenbei; mein Blogpublikum ist zum Glück resistent. Ich auch. Neulich wollte mir ein Partypromoter mit diesen Worten den Mund wässrig machen:
„Das roughe Spektrum überrascht diesmal mit Frequenzen von Fusion Drum n Bass bis Breakbeatz, Deep-House und rotzigem Elektrotrash auf 2 Floors.“
Klang abschreckend, natürlich mied ich diese Party. Gegenüber dem ehemaligen Deutsche-Bank-Chef Hilmar Kopper war der Partypromoter allerdings eine kümmerliche Wurst. Kopper nämlich hub mal folgendermaßen zu sprechen an und avancierte so schlagartig zur neuen Jil Sander:
„Jeder muss im job permanently seine intangible assets mit high risk neu relaunchen und seine skills so posten, dass die benefits alle ratings sprengen, damit der cash-flow stimmt. Wichtig ist corporate-identity, die mit perfect customizing und eye catchern jedes Jahr geupgedatet wird.“
So zitiert es zumindest Ferris Goldenstein in seinem neuen Buch „Business-Denglisch“. Bei einer Bank, die Leute wie Kopper auf der Gehaltsliste hat, möchte ich jedenfalls kein Konto haben, so viel ist sicher.

Ein Restaurant hingegen, das mir versehentlich „Käse mit Oliver“ anbietet, werde ich stets von Herzen gern aufsuchen – und die Käseplatte trotzdem meiden.

Nur zur Sicherheit.

15 März 2007

Beim Showcase

Ein Showcase unterscheidet sich grundsätzlich von einem normalen Konzert. Beim Showcase zahlt niemand Eintritt, alle sind eingeladen. Anwesend sind Journalisten, die auf Häppchen und kostenlosen Wein hoffen, sowie Angehörige der zuständigen Plattenfirma.

Wenn die Journalisten genug Häppchen und kostenlosen Wein intus haben, tritt der zu promotende Künstler auf. Der träge Beifall der Journalisten wird übertönt vom enthemmten Juchzen einer homogenen Gruppe, die sich zentral vor der Bühne ballt: Es ist die Belegschaft der Plattenfirma.

Man erkennt sie vor allem daran, dass ihre Mitglieder wippen und klatschen und in rasch wiederkehrenden Intervallen schier epileptisch Begeisterung und Fassungslosigkeit heucheln, weil sie ihrem Chef, der lässig in Jeans und Jacket wippend und klatschend in ihrer Mitte steht, keinen Kündigungsgrund liefern wollen.

Dem Chef glost derweil die Panik im Auge, denn wenn sein Künstler, den er hier verzweifelt vorbildlich bewippt und beklatscht, nicht durchstartet, dann muss er die schon lang beäugte Villa auf Fehmarn abhaken und mindestens 80 Prozent dieser epileptischen Idioten um sich herum feuern.

Ja, man kann sagen: Die Jubelorgie dieser zentral vor der Bühne platzierten Gruppe steht in einem reziprok proportionalen Verhältnis zu ihren wahren Gefühlen – meistens jedenfalls, denn wann hat man schon mal einen Künstler im Portfolio, der dich wirklich zu schier epileptischer Begeisterung zwingt?

Insofern haben es die Journalisten viel leichter. Ihr stilles Sichlaben an Häppchen und Wein ist von großer Aufrichtigkeit, ihr schlaffes Applaudieren kaum minder. Und wenn sie dann heimwärts schlendern über Herbert- und Davidstraße, dank einer Begleiterin am Arm unbelästigt von allen Avancen, vorbei an Pornokinos, über Spielbudenplatz und Reeperbahn, dann stellen sie zufrieden fest: Alles ist an seinem richtigen Platz.

Das Leben ist schön.

08 März 2007

Vom Handeln mit Rezessionen

Promoterin: „Hallo, ich habe dir das neue Album von The Dingenskirchens geschickt. Planst du eine Rezession?“
Matt: „Du meinst wahrscheinlich eine Rezension.“

Promoterin: „Versteh ich jetzt nicht.“
Matt: „Eine Rezession ist ein wirtschaftlicher Abschwung.“
Promoterin (aufgeregt): „Genau das meine ich!“

Gut: Ich stelle mir also mal vor, wie es sein könnte, Rezessionen zu planen. Darin liegt, bei genauer Betrachtung, eine geniale Geschäftsidee: Ich könnte einen Im- und Exportservice aufmachen, mit Rezessionen. Man könnte sie ganz unkompliziert bei mir bestellen, und ich würde sie zeitnah liefern, sofern gerade eine geeignete auf Halde läge.

Aber wer wäre mein Zielpublikum, wer sollte mir welche abkaufen? Bin Laden vielleicht, die Taliban natürlich. Oder Hedgefonds, die prall und aufgeblasen sind vor lauter Put-Optionen.

Ich glaube, ich würde mich gleichwohl lieber teuer dafür bezahlen lassen, keine Rezessionen zu verkaufen. Ich würde mich fürs Stillhalten, fürs Wegschließen und Deponieren, vielleicht sogar fürs Entsorgen von Rezessionen bezahlen lassen, und zwar fürstlich. Von Leuten, die prall und aufgeblasen sind vor lauter Call-Optionen. Oder von Franz Müntefering.

Jau, ich glaube, so mache ich’s.

23 Februar 2007

Fundstücke (33)

1. Der Promoter und Musikjournalist Ralph Buchbender sagt Wahres und Witziges über die Musikbranche: „Nach eingehender Betrachtung aller Aspekte bin ich zu dem Schluss gekommen, dass es im Grunde keine Entschuldigung für Popmusik gibt. Popmusik zahlt sich monetär kaum noch aus, ist in der Herstellung zu teuer und verkündet meist unpraktikable Lebenskonzepte. Doch das beste Argument für ein generelles Verbot ist die Tatsache, dass die meiste Popmusik schlicht schlecht ist. Niemand stellt tausend Tonnen Erdbeermarmelade her, nur weil er erwartet, dass fünf Tonnen davon essbar sind. Die Popindustrie indes tut genau dies.“

2. „irgendwann merkt man dann, dass man copyrights nicht essen kann“, sagt Felix zum gleichen Themenkomplex.

3. Bela B. von den Ärzten enthüllt in einem Interview mit Zeit.de Bestürzendes über den FC St. Pauli, der als linker alternativer Stadtteilverein eigentlich sein natürlicher Verbündeter sein müsste – und es lange Jahre auch war. Seit einiger Zeit aber laufen Belas Songs nicht mehr im Stadion, und er glaubt zu wissen, dass „einer der Stadionsprecher Die Ärzte hasst. Er steht auf Die Böhsen Onkelz, da sind wir Feindbild. Das hat er mir selbst so erzählt.“ Ein Böhse-Onkelz-Fan – ein Quasinazi also – am Millerntormikro? Bela irrt sich, er muss sich irren.

4. Ich hätte nicht gedacht, dass Bogota (Entfernung: 9198 km) weiter weg liegt von der Reeperbahn als Tokio (8970 km) oder das südafrikanische Houghton Estate (9027 km). Apropos Houghton Estate: Ich hege die schmeichelhafte Vorstellung, es sei Nelson Mandela gewesen, der von dort aus meine Website angesurft habe, er kommt nämlich von dort. Mandela wäre der kleine weiße Punkt in der Bildmitte unten, über dem antarktischen Packeis. Ja, Bloggen bildet, gerade geografisch.

Alle bisherigen Fundstücke: 1, 2, 3, 4, 5, 6, 7, 8, 9, 10, 11, 12, 13, 14, 15, 16, 17, 18, 19, 20, 21, 22, 23, 24, 25, 26, 27, 28, 29, 30, 31, 32, Oh, my Google!

07 Dezember 2006

Tannenzapfenzupfen (6)

(Foto via FHS Holztechnik)

Diese Rubrik hätte ich am liebsten unbenannt in „Gammelsprech“, zumal ich das Copyright auf diesen Begriff habe. Als Bebilderung wäre freilich nur Unappetitliches in Frage gekommen, und dafür sorgt ja schon die körperverletzende Promoprosa, die ich hier alle paar Wochen zusammenscheuche. Also bleibt's beim bewährten Tannenzapfenzupfen. (Woher dieser hübsche Rubrikenname kommt, steht
hier
.)


Wie immer gilt: Alles Blaugefärbte wurde Originalpressetexten der Musikbranche entnommen, natürlich inklusive der bisweilen eigenwilligen Orthografie.

Diesmal geht's in einem Rutsch vom Gruselgenre Denglisch bis zu Metaphern, die an etwas erinnern, was man nach drei Wochen aus einer kaputten Kühltruhe holt.


1. „Very entertaining ist auch die Website zu ,Knights Of Cydonia’ , auf der alle Hauptdarsteller gefeatured werden und es zudem auch einen Quiz gibt. Try it!!!”

2.
„Auf der Skala des ewig gültigen, dessen was wahr ist und sein wird, liegt Chris Garneau’s Stimme irgendwo zwischen Flüssigkeit und Materie.“

3.
„Er stieg im Frühjahr 2005 bei Chris ein, um dessen außergewöhnliche Songs mehr Leben einzuhauchen, so dass sie noch nachgesungen würden, nachdem wir alle von diesem Planeten verschwunden sind.“ (Aha, und von WEM …?)

4.
„Dankbarer Weise tragen LaVern Baker und Patsy Cline zu einer sehr weißen, sehr männlichen, sehr klassischen Rock-Selektion bei.“ (Hä? Baker und Cline sind Frauen. Und Baker schwarz. Vielleicht ist aber auch genau das Gegenteil von dem gemeint, was da steht. Nichts ist unmöglich.)

5. „Konsequenter und unerlässlicher denn je brauchen die Gejagten heute ihre standhaften Koalitionspartner. Es gilt niemand geringeren als den Tod wegzuscheissen! Ein kolossaler Schlachtstoß aus Leidenschaft und Potenz hat sich völlig unprätentiös zu einer mächtigen Gegengarnison formiert. Hellwach stehen die Ketten gebildet. Alle sprühen Alles.“

6.
„Jeder seiner Bogenstriche trifft direkt in die Eingeweide und berührt so zutiefst.“ (… ich stell’s mir gerade vor.)

Was bisher geschah

5
, 4, 3, 2, 1

16 November 2006

All you need is … den richtigen Namen

Zur Feier des neuen Beatles-Albums seilten sich heute Abend Menschen ohne jede Höhenangst – also offenkundig Aliens – vom trutzigen Weltkriegsbunker an der Feldstraße ab, um den Albumtitel „LOVE“ ins Novemberdunkel zu lächeln. Ein rührender roter Triumph übers gewaltige Grau des Betons.

Wie man sieht, musste der Buchstabe „V“ ohne persönlichen Betreuer auskommen, doch das lag nicht an einem vorangegangenen Absturz; von vornherein standen für den „LOVE“-Dienst nur drei Mann parat.

Das später im fünften Stock anberaumte Büffet war dann – trotz der in Rotwein(!) marinierten Lachshappen – den einleitenden Worten der taffblonden High-Heels-Labelchefin weit überlegen. Ihr fiel nämlich der Name der weltberühmten Hamburger Beatles-Fotografin nicht ein, was sie kaltlächelnd mit „Astrid Irgendwer“ überspielte.

Daraufhin verließ Eurovison-Contest-Moderator Peter Urban schnaubend und kopfschüttelnd den Saal, der Rest der Anwesenden tuschelte gepeinigt.

Sollte Astrid Kirchherr persönlich hier gewesen sein, was angesichts der Promidichte mit Beatles-Bezug (darunter Star-Club-Gründer Horst Fascher) sogar wahrscheinlich war, dann hat sie bestimmt Peter Urban im Aufzug getroffen.

Ex cathedra: Die Top 3 der Beatles-Songs (Version November 2006)
1. „While my guitar gently weeps (Demo-Version)“
2. „Don't let me down“
3. „Rocky Raccoon“