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21 November 2011

Seid umschlungen, Neuronen!



Den Briefkasten an der Postfiliale
(l. o.) unten an der Ecke hat jemand mehrfach mit einem rotweißen Sperrzonenband umschlungen. Jetzt stehe ich davor mit meinen wichtigen Briefen wie ein Freier aus Heinsberg-Waldfeucht vor einer Schmuckstraßentranse: relativ ratlos.

Klar, aller Wahrscheinlichkeit nach ist hier ein Witzbold am Werk gewesen, und die Funktionsfähigkeit dieses Briefkastens wird vom Sperrzonenband in keiner Weise eingeschränkt. Gleichwohl gibt es – zumindest in meiner von wichtigen Briefen kontaminierten Fantasie – diese winzige Wahrscheinlichkeit, dass es sich vielleicht doch um eine neue schrullige Kommunikationsmethode der Post handeln könnte, die mir signalisieren soll:

Dieser Kasten wird bis auf Weiteres nicht mehr geleert.
Werfen Sie nichts hinein, es würde erbarmungslos verrotten.


Psychologisch und neuronal gesehen verrät dieses bang imaginierte Szenario natürlich einen erschreckenden Mangel an Risikofreude. Und obgleich mir das völlig bewusst ist, schlurfe ich mit meinen wichtigen Briefen wieder nach Hause. Heute werde ich sie – sicher ist sicher – am Schalter abgeben.


Bitte lachen Sie JETZT.

01 November 2011

Zurechtgerückt



So, ich habe mein Netzteil wieder, welches ich in einem Büsumer Hotel liegen gelassen hatte.

Telefonisch waren wir übereingekommen, dass ich das Porto nachträglich erstatte, und was tun diese Nordseeküstler nichtsdestowenigertrotz? Schicken mir das Ding unfrei per Nachnahme.

Auf der Post durfte ich es daher unter Aufbietung von 15 Euro auslösen; für ungefähr 10 Euro mehr hätte ich mir ein neues kaufen können.

Doch mein Ärger verflüchtigte sich bald, denn in der Postfiliale stand ich mitten in der Hartz-IV-Schlange, und so etwas rückt die Dinge rasch zurecht.

Hinter mir ärgerten sich zwei Männer in meinem Alter über das ganze System. Fünf Euro bekäme er zwar jetzt mehr, sagte der eine, doch dafür hätten sie ihm die Krankenkostzulage beschnitten. „Die krieg ich“, sagte er, „wegen mein Krebs, verstehste?“

Sein Kumpel verstand nur allzu gut. Dank seinem Diabetes.

(Und mehr Pointe gibt’s heute nicht. Das Foto entstand übrigens direkt vor der fraglichen Postfiliale und passt auch inhaltlich ein bisschen.)

07 Oktober 2011

Wo ist mein Kindle?



Mein Kindle, endlich wurde er geliefert!

Aufgeregt eile ich mit dem DHL-Abholzettel zur Nachbarin, die ihn laut Benachrichtigung entgegengenommen haben soll – doch die ist ehrlich überrascht und weiß von nichts.

Anruf bei DHL. Nach minutenlangem Dialog mit einer Computerstimme, der ich in blödsinnigem Roboterstakkato Zahlen, Jas und Neins vorsagen muss, lande ich endlich bei einem menschlichen Wesen, dem ich mein Kindlechaos schildern kann.

Wie sich rasch herausstellt, hat man bei DHL kurioserweise sogar mich persönlich als Abnehmer des Päckchens dokumentiert, nicht etwa die Nachbarin. Mein Einwand, ich sei zum fraglichen Zeitpunkt brav meinem Brotjob im Büro nachgegangen, was notwendig sei, da ich mir andernfalls keinen Kindle leisten könne, generiert am anderen Ende blanke Ratlosigkeit.

Die Callcenterdame ruft die Kopie der Empfängerunterschrift auf. „Haben Sie jemand im Haus, dessen Name mit Ga beginnt?“, fragt sie. „HABEN WIR JEMAND IM HAUS, DESSEN NAME MIT GA BEGINNT?“, rufe ich die Frage weiter in Richtung Ms. Columbo. Nein, niemand mit Ga.

„Ist es vielleicht ein Pa?“, frage ich die DHL-Dame. „Wir haben jemand mit Pa im Haus.“ Nein, keinesfalls, kopfschüttelt sie.

Wo also ist mein Kindle, DHL?! Man verspricht, sich zu kümmern, man will den Auslieferer befragen, wenn nicht gar zur Rede stellen.

Und wenn vielleicht doch die Nachbarin …?

Nein, ausgeschlossen; sag’s nicht, denk’s nicht mal.

Bestimmt hat DHL Mist gebaut. Vielleicht war es ein muffeliger Zusteller, frustriert von Leuten, die tagein, tagaus die Frechheit besitzen, nicht zu Hause zu sein, wenn er klingelt – einer, der Zettel hinterlässt wie den oben dokumentierten, den mir unlängst eine amüsierte Kollegin mailte.

Das Interessante an dieser DHL-Botschaft ist nicht nur, dass hier ein Dienstleister mal den Spieß umdreht und offensiv den Kunden anblafft, sondern die Tatsache, dass er mitten im Blaffen vom Duzen ins Siezen übergeht. „Sei doch endlich da, wenn Sie so viel bestellen“: Das ist ein Satz von vielschichtigem Reiz, auch und gerade semantisch.

Aber wo ist mein Kindle, verdammt?

Fortsetzung folgt, und am Ende wird alles gut.



Nachtrag 16:50 Uhr: Alles wurde gut. Der DHL-Wuselkopf hatte einen falschen Namen auf die Benachrichtigungskarte geschrieben, aber inzwischen ist die richtige Person identifiziert. Seit heute Mittag kindle ich schon.

08 August 2011

Kommt Zeit, kommt Karte





Beim Stöbern in biografischen Devotionalien stieß ich neulich auf diese vergilbte Bewertungspostkarte zum 1981er Gaststättenwettbewerb der Hauptstadt der DDR.

Ich hatte sie am 17. Oktober 1981 im Ostberliner Interhotel Unter den Linden nach einem betrüblichen Restaurantbesuch zwar ausgefüllt, aber nie abgeschickt. Warum, ist mir entfallen.

Jedenfalls war die Karte aus lappigem Papier wieder mit zurückgereist gen Westen, zu Hause in irgendeiner Schublade gelandet, vielfach mit mir umgezogen und schließlich 30 Jahre später wieder aufgetaucht, nämlich – wie erwähnt – neulich.

Adressat wäre einst die Tageszeitung Neues Deutschland gewesen, damals Honeckers offizieller Blockflötenchor. Bei einer Auflage von über einer Million Exemplaren repräsentierte das ND zu jener Zeit 99,21 Prozent aller Stimmen bei Volkskammerwahlen. Heute gehört die Zeitung mehrheitlich der Partei Die Linke, die bei Bundestagswahlen mit rund zehn Prozent Zuspruch rechnen darf; die Auflage des ND liegt bei knapp 37.000.


File under Bedeutungsverlust.

Als mir diese Postkarte jedenfalls neulich wieder in die Hände fiel, erschien mir die Idee recht charmant, sie nun doch noch abzuschicken. Der Gaststättenwettbewerb 1981 ist zwar höchstwahrscheinlich längst entschieden, ebenso wie die VEB Sachsenring Zwickau wohl mittlerweile den letzten Trabi ausgeliefert hat. Doch das Porto war bezahlt, warum also nicht auch endlich die zugehörige Dienstleistung abrufen?

Eine kleine Recherche ergab, dass sich adresstechnisch zumindest beim Neuen Deutschland nichts verändert hat. Die Zeitung hält immer noch unverdrossen am Franz-Mehring-Platz 1 die sozialistische Stellung. Das Hotel Unter den Linden hingegen wurde 2006 abgerissen; heute steht dort das
Upper Eastside Berlin.

Am vergangenen Freitag warf ich schließlich die Postkarte in den Briefkasten. Mehrere Fragen harrten seither einer Antwort. Würde die Deutsche Post AG als Rechtsnachfolgerin der DDR-Post das 1981 vorfinanzierte Porto auch 30 Jahre später noch als ausreichenden Obolus ansehen, um einen unterbezahlten Austräger loszuschicken? Wenn nicht, landete die Karte dann vielleicht mit einem „unzureichend frankiert“-Stempel bei meinen erstaunten Eltern auf dem Westerwald?

Und wenn doch: Würde das Neue Deutschland versuchen, mich nach 30 Jahren ausfindig zu machen? Schließlich herrscht storytechnisch gerade Sommerloch, da könnte so was Skurriles wie eine jetzt endlich eintreffende Meinung zum Gaststättenwettbewerb 1981 doch ganz interessant sein.

Gleich mehrere dieser Fragen sind inzwischen beantwortet, denn heute klingelte bei meinen Eltern auf dem Westerwald das Telefon. Das Neue Deutschland war dran, es bat um meinen Rückruf.


Mal schauen, ob sie die Geschichte auch dann noch interessant finden, wenn sie erfahren, dass die Postkarte keine 30 Jahre unterwegs war.

Sondern nur 0,008219178082192.