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03 Januar 2021

Drei Begegnungen

1. Wir werden Zeugen eines bereits laufenden Streits in der Balduinstraße. Beteiligt sind zwei Männer, der eine am Gehwegzaun, der andere auf einem Balkon im zweiten Stock. Wenn ich mir das richtig zusammenreime, hat der Mann auf dem Balkon den anderen mit kritischem Unterton bezichtigt, eine Stange Wasser in die Ecke gestellt zu haben. Das regt den Pinkler mächtig auf.

Es gebe keinerlei Grund, ihn zu kritisieren, „nur weil ich pisse“, und überhaupt, fährt er argumentativ diskutabel fort, „ficke ich deine Mutter, du Hundesohn“. Ein kühnes Versprechen, denn wahrscheinlich hat er nicht mal die Kontaktdaten der guten Frau.

Seine Willensbekundung gibt allerdings auf gleich mehreren Ebenen Anlass zum Nachdenken. Mir hat sich zum Beispiel noch nie so recht erschlossen, warum manche Männer – vor allem auf dem Kiez – sich derart oft der Fantasie hingeben, mit der Erzeugerin eines zufälligen Kontrahenten sexuell zu interagieren, obwohl doch die Gefahr besteht, dass die Auserwählte in einem inkompatiblen Alter sein könnte.

Na gut, manche stehen auf Milfs. Aber in der Regel wissen sie in Fällen wie dem vorliegenden doch null Komma nichts über deren vielleicht sogar gänzlich fehlende äußere Anziehungskraft. Dabei entzünden sich erotische Fantasien doch gewöhnlich an der Optik. Hier aber, in der Balduinstraße, gibt es nicht den kleinsten Anhaltspunkt, wie diese denn beschaffen sein könnte. Der Mann am Zaun gibt also quasi einem Blind Date eine Beischlafgarantie!

Doch nicht nur das lässt unsereins vorwurfsvoll die Stirn runzeln. Auch die Rhetorik dieses Wildpinklers erscheint mir durchaus grenzwertig. Es wird jedenfalls ein schwieriges Jahr, wenn dein Karmakonto schon am 1. Januar hüfthoch im Dispo steht.

2. Am Tag vor Silvester fährt in der Neuen Großen Bergstraße ein mit bunten Tüchern und Blinklichtern verziertes Fahrrad an uns vorbei. Im Gepäckkorb befindet sich ein Ghettoblaster (sagt man das noch?). Das Gerät spielt aber keine Musik ab, sondern Feuerwerksgeräusche. Ein, wie ich finde, lobenswert kreativer Umgang mit den Einschränkungen, die in diesem Jahr den Jahreswechsel prägen.

3. In der Detlev-Bremer-Straße (Foto) schiebt sich ein Mann die Maske unters Kinn. Dann holt er eine zweite Maske aus der Jackentasche und schnäuzt ergiebig hinein.

2021 kann wirklich nur besser werden.





12 Juli 2010

Humbug Homöopathie oder Die herumeiernde BKK

Heute macht der Spiegel mit dem Thema Homöopathie auf. Es ist meines Wissens die erste ernsthafte Kampagne eines meinungsführenden Magazins gegen diesen offensichtlichen Unsinn, der groteskerweise trotzdem von den deutschen Krankenkassen finanziert wird.

Mit der sofortigen Abschaffung dieser Praxis könnte man Abermillionen Kosten im Gesundheitswesen einsparen; und wer weiter von Heilpraktikern mit wirkungslosen Wässerchen umgluckt werden möchte, kann das ja künftig gerne selber bezahlen. Das müssen Leute, die auf dem Rummelplatz zur Handleserin gehen, schließlich auch.

Da die Finanzlage zappenduster ist, könnte diese Spiegel-Kampagne durchaus etwas bewirken. Wie die Krankenkassen es bis dato rechtfertigen, Geld für Heilpraktiker und Zaubertränke aus dem Fenster zu werfen, habe ich vor einiger Zeit selbst herausfinden dürfen, nachdem meine BKK mir enthusiastisch mitgeteilt hatte, sie finanziere ab jetzt auch homöopathische Behandlungen.

Als Anhänger von Heilmethoden, deren Wirkung auch nachweisbar ist, störte es mich natürlich immens, dass mit einem Teil der dreistelligen Summe, die ich monatlich zwangsentrichten muss, blanker Hokuspokus finanziert wird. Daher schrieb ich an die Krankenkasse einen Brief, aus dem eine Korrespondenz erwuchs.

Im Folgenden ist dieser Schriftwechsel mit einer verkniffen herumeiernden Krankenkasse anonymisiert dokumentiert – als Diskussionsbeitrag zur Spiegel-Kampagne, die gerne eine richtige Welle schlagen darf. Denn es geht um Millionen, die zurzeit noch für Quatsch ausgegeben werden, und das muss aufhören. Sofort.

Von: Matt
Betreff: z. Hdn. Frau V. | Artikel über Homöopathie, „Wir für Sie“
Datum: 14. Januar 2006 18:23:10 MEZ
An: ****@bkk***.de

Sehr geehrte Frau V.,

mit großer Verwunderung habe ich Ihrem obengenannten Artikel entnehmen müssen, dass ins Leistungsspektrum der BKK nun auch die Homöopathie aufgenommen wird.

Ich möchte Sie gern auf Folgendes hinweisen: Keine einzige seriöse Doppelblinduntersuchung hat jemals eine Wirksamkeit der Homöopathie nachgewiesen, die über einen reinen Placeboeffekt hinausginge. Und das wäre auch sehr verwunderlich gewesen, denn homöopathische Vorstellungen basieren auf einem Weltbild, das mit den Naturgesetzen nicht vereinbar ist. Es ist ein rein magisches Ideenkonstrukt.

Man kann zugespitzt sagen: Entweder entspricht die Homöopathie der Wahrheit oder der aktuelle Erkenntnisstand von Physik und Chemie – beides zusammen aber kann nicht gehen.

Nur ein Beispiel: Die Homöopathie behauptet, ein Wirkstoff sei auch dann noch aktiv, wenn durch Verdünnung kein einziges seiner Moleküle mehr in der Tinktur vorhanden ist; und sie behauptet zudem, dass NUR dieser verschwundene Wirkstoff noch aktiv sei, aber keiner der tausend anderen Stoffe, die in jeder Tinktur ebenfalls vorkommen.

Absurd, oder?

Für Sie offenbar nicht. Denn in Ihrem Artikel tun Sie das alles mit einem Nebensatz ab, der bei rational denkenden Beitragszahlern nicht nur latente Empörung wecken muss: „Dass einige Schulmediziner oder von der Pharmaindustrie finanzierte Forschungsinstitute zu anderen Ergebnissen kommen“, schreiben Sie, „muss nicht weiter kommentiert werden.“

So, muss es nicht? Oh doch.

So kommt u. a. auch die weder von der Schulmedizin noch von der Pharmaindustrie gesponserte GWUP (Gesellschaft zur wissenschaftlichen Untersuchung von Parawissenschaften e. V.) zu einer verheerenden Einschätzung der Homöopathie. Näheres dazu finden Sie z. B. hier.

Ich protestiere hiermit ausdrücklich dagegen, dass meine Krankenkassenbeiträge an die BKK für eine lachhafte Methode verschwendet werden, die auf lange überholten Vorstellungen aus dem medizinischen Mittelalter basiert.

Und ich fordere Sie auf, die Homöopathie wieder aus dem Leistungskatalog zu entfernen.
Ich freue mich auf Ihre Stellungnahme.

Mit besten Grüßen

Matt


Von: H. B. <***@bkk***.de>
Betreff: Artikel über Homöopathie, "Wir für Sie"
Datum: 18. Januar 2006 12:38:24 MEZ
An: Matt


Sehr geehrter Herr Wagner,

Ich habe Ihre Email von Frau V. zur Beantwortung erhalten.

Vielen Dank für Ihre kritische Nachricht. Wir haben uns im Vorfelde sehr intensiv mit der Thematik befasst und sehr lange überlegt, ob wir diese Leistung unseren Kunden anbieten können. Wie Sie wissen, ist die Homöopathie sehr umstritten. Fakt ist, dass sehr viele Kunden den Wunsch nach Kostenbeteiligung alternativer Behandlungsformen uns gegenüber geäußert haben. Die Aufnahme der Homöopathie in unseren Leistungskatalog – so wie sie jetzt von uns angeboten wird – betrachten wir als Quantensprung. Ich möchte Ihnen das kurz erklären:

– Zweifelsohne gibt es sicherlich auch sehr gute Heilpraktiker.
– Beachten Sie hierbei jedoch, dass die Bezeichnung Heilpraktiker nicht geschützt ist, d.h. jeder kann sich nach einem Wochenendseminar so nennen.
– Bitte beachten Sie auch, dass wir eine gesetzliche Krankenkasse sind, d.h. wir dürfen uns laut Gesetz nur an den Leistungen beteiligen, die von niedergelassenen Vertragsärzten erbracht werden!!!
– Wir haben also einen Weg gefunden, unseren Kunden zumindest unter bestimmten Voraussetzungen homöopathische Behandlungen zur ermöglichen.

Ich hoffe, Sie bleiben uns wohl gesonnen und verbleibe mit sonnigen Grüßen.

Mit freundlichen Grüßen

H. B.
Leiter Vertrags- und Versorgungsmanagement
BKK ***


Von: Matt
Betreff: Re: Artikel über Homöopathie, "Wir für Sie"
Datum: 21. Januar 2006 01:00:40 MEZ
An: H. B. ***@bkk***.de


Sehr geehrter Herr B.,

vielen Dank für Ihre Mail.

Sie bezeichnen darin die Homöopathie als „umstritten“. Nun, es gibt auch noch immer Menschen, die ernsthaft glauben, die Erde sei vor 6000 Jahren von einem Mann mit weißem Bart erschaffen worden. Die Wissenschaft sagt etwas anderes. Und damit ist das Problem sicherlich auch „umstritten“.

Aber mal ehrlich: Man muss doch immer beurteilen, welche Position plausibler ist! Es geht darum, was beweisbar ist und was nicht. Und die Homöopathie ist alles andere als das – sie ist schlicht Humbug. Und sie kann ja auch nichts anderes sein als Humbug, wenn man ihre Methoden unter die Lupe nimmt. Denn wie ich in meiner ersten Mail schon ausführte: Entweder die Naturgesetze stimmen oder die Homöophathie.

Ihre Aufgabe als Krankenkasse müsste es doch sein, uninformierte und gutgläubige Patienten aufzuklären, damit Sie medizinisch wirksamen Behandlungen eher vertrauen als dem Humbug. Doch nein: Stattdessen finanziert die BKK diesen Irrglauben lieber stillschweigend. Wie kann das sein? Geschieht das nur aus Angst, Patienten zu verlieren oder keine neuen zu gewinnen? Ich bin überzeugt: Mit einer Aufklärungskampagne, die klar machen würde, worin der Unterschied zwischen evidenzbasierter Medizin und Zauberei liegt, könnten Sie viele Patienten gewinnen.

Im weiteren Verlauf Ihrer Mail wird zunehmend unklar, worauf sie überhaupt hinauswollen. Können Sie mir noch einmal genau erläutern, aus was der von Ihnen geschilderte „Quantensprung“ bestehen soll? Mir jedenfalls scheint er ein kläglicher Hops direkt ins Spätmittelalter zu sein.

Dann verstehe ich auch nicht, was sie zu Heilpraktikern schreiben. Man macht ein Wochenendseminar und ist einer – wie soll so jemand mir helfen können, wenn ich krank bin? Und wieso soll so jemand meine Krankenkassenbeiträge kassieren dürfen? Egal, wie gut er ist: Das ist doch skandalös!

Ihre Argumentation hin zum unterstrichenen Teil ist dann leider gar nicht mehr nachzuvollziehen. Natürlich dürfen Sie sich nur an Leistungen beteiligen, die von niedergelassenen Vertragsärzten erbracht werden. Aber was hat das mit Ihrer Entscheidung zu tun, eine irrationale Lehre von anno dunnemals zu finanzieren?

Wenn es nur um die angeblich so liebevolle Zuwendung geht, die Heilpraktikern ihren Patienten entgegenbringen: Dazu ist doch sicherlich auch ein engagierter Arzt in der Lage, der den Freiraum eingeräumt bekommt, ohne dass er deshalb magischen Hokuspokus entfachen muss; solche Ärzte gilt es zu unterstützen mit entsprechenden Anreizen – und nicht die Absolventen von Wochenendseminaren.

Wie Sie sehen, hat Ihre Mail leider nichts zur Klärung unserer Fragen beigetragen. Und sie hat auch unsere Wohlgesonnenheit, die Sie sich wünschten, keineswegs gefördert.

Somit setze ich auf eine Präzisierung. Und ich hoffe natürlich weiterhin inbrünstig und im Interesse aller Patienten darauf, dass Sie unsere Mitgliedsbeiträge nicht für nachgewiesenermaßen wirkungslose Methoden verschwenden.

Mit besten Grüßen
Matt


Von: H. B. ***@bkk***.de
Betreff: Homöopathie
Datum: 27. Februar 2006 16:09:53 MEZ
An: Matt


Sehr geehrter Herr Wagner,
Herzlichen Dank für das große Interesse an unserem integrierten Versorgungsvertrag "Homöopathie" nach § 140a Sozialgesetzbuch (SGB) V. Bitte entschuldigen Sie, dass ich Ihnen nicht postwendend antwortete. Ich habe Ihre Mail vom 27.02.06 an Herrn T. zur Beantwortung erhalten.


Mit dem Versorgungsvertrag nach § 140a SGB V schaffte der Gesetzgeber den Krankenkassen die Möglichkeit neue Versorgungsformen unseren Versicherten anzubieten. Von diesem Angebot haben wir Gebrauch gemacht und mit dem Deutschen Zentralverein homöopathischer Ärzte in Bonn einen Versorgungsvertrag abgeschlossen. An die teilnehmenden Vertragsärzte (Ärzte mit einem Kassenarztvertrag) und an dem Vertrag sind hohe Qualitätsanforderungen sowie eine langjährige Weiterbildung gestellt. Der Versorgungsvertrag behandelt keineswegs die zur Auswahl stehenden Therapien oder homöopathischen Arzneimittel sondern die Erst- und Folgeanaemnese.

Aus Gesprächen mit unseren Versicherten erfahren wir, dass sie über längere Zeiträume mehrere Ärzte aufgesucht haben, ohne das es zu einer Besserung des Krankheitsbildes kommt. Diesen Menschen können wir eine Alternative bei Schulmedizinern anbieten. Die Vereinbarung ist für jeden Versicherten freiwillig. Er kann über eine Vereinbarung mit einem der am Vertrag teilnehmenden Ärzte beitreten.
Insofern ist uns dieser Quantensprung durch den neuen § 140a SGB V eröffnet worden. Ich kann Sie beruhigen, Beitragsmittel werden hier nicht verschwendet, da der Gesetzgeber hierfür die Möglichkeit der monetären Kompensation über die Kassenärztlichen Vereinigungen und Krankenhäuser geschaffen hat.

In diesem Zusammenhang möchte ich noch darauf hinweisen, dass das Bundesverfassungsgericht mit Beschluss vom 06.12.2005 sich mit der Thematik der neuen Untersuchungs- und Behandlungsmethoden und auch kritisch mit der höchstrichterlichen Rechtsprechung auseinandergesetzt hat. Das Bundessozialgericht wurde in dem Klagefall zur erneuten Entscheidung verpflichtet. Unter bestimmten Bedingungen werden die Krankenkassen demnach verpflichtet auch bei alternativen Behandlungsmethoden die Kosten zu übernehmen.
Mit freundlichen Grüßen


HB


Von: Matt
Betreff: Re: Homöopathie
Datum: 27. Februar 2006 18:01:42 MEZ
An: H. B. ***@bkk***.de


Sehr geehrter Herr B.,

danke für Ihre Antwort.

Ich werde mich nach einer Krankenkasse umschauen, die explizit KEINE Pseudowissenschaft und Esoterik unterstützt.

Mit freundlichen Grüßen
Matt



PS: Eine Bitte an alle Esos, Bachblütenblödis und
Horoskopheinis: Sagt einfach mal gar nichts. Die Homöopathie ist abschließend widerlegt, es handelt sich lediglich um einen Placeboeffekt. Und ja: Er wirkt manchmal auch bei Hunden.

02 September 2007

Keine alte Kuh

Für die Zeitschrift U_mag habe ich mich neulich mit der Frankfurter Rapperin Sabrina Setlur gestritten, während ihr Hund darauf bestand, von mir gekrault zu werden. Hier gibt’s einen kurzen Ausschnitt des Interviews mit der Kodderschnauze. Wer es komplett lesen will, muss schon an den Kiosk gehen, tja. Kostet aber nur zwei Euro. (Nein, mein Verleger hat mich NICHT zu diesem Beitrag gezwungen.)

Matt: Sabrina, ich möchte mich mit dir kabbeln.
Sabrina Setlur: Hmmhm … Dein gutes Recht.
Matt: Dein Album heißt ja auch „Rot“, immerhin die Farbe des Streits.
Setlur: Nicht nur! Rot ist auch die Farbe der Leidenschaft, der Liebe, der Intensität. Alarm, Hitze.
Matt: Kannst du dich daran erinnern, dass wir uns schon mal getroffen haben?
Setlur: Dunkel.
Matt: Das war 1997 – und eins der blödesten Interviews, die ich je hatte.
Setlur: Warum?
Matt: Du saßt wortkarg da, hast Kaugummi gekaut, MTV geguckt, und die meisten Fragen beantwortete dein Begleiter.
Setlur: Damals haben sich verschiedene Leute unheimlich verantwortlich gefühlt; daher diese Situation. Von mir war sie bestimmt nicht gewollt. Wenn ich wortkarg werden sollte, müsste ich schon eine Kieferoperation hinter mir haben.
Matt: Beim Rappen wäre das hinderlich.
Setlur: Rap hat nichts damit zu tun, wie man im Privaten redet. Ich rappe ja nicht den ganzen Tag. Ich sprech ja ganz normal mit dir.
Matt: Klingt so, ja.
Setlur: Glaub mir, ich spreche auf jeden Fall nicht in 135 bpm mit dir, wie auf dem Album.
Matt: Zumindest möchte ich darum bitten.
Setlur: Werden wir sehen. Wenn du dich artig benimmst.
Matt: Hast du die Texte deines Albums „Rot“ selber geschrieben?
Setlur: Zusammen mit Moses Pelham.
Matt: Hmm …
Setlur: Wir waren beide wirklich auf diesem Flash.
Matt: Du behandelst auf „Rot“ die klassischen Rap-Themen. Klingt alles immer noch teenagerhaft, aber du bist jetzt 33.
Setlur: Na und?
Matt: Wie lange kannst du das noch machen?
Setlur: Erstens: Das ist das Leben. Zweitens: Wie sollte sich denn eine 33-Jährige benehmen?
Matt: Sag du’s mir. Aber Partys feiern, immer wieder Beziehungen beenden …
Setlur: „Immer wieder“? Siehst du, du pauschalisierst!
Matt: … nachzutreten …
Setlur: Nee, das stimmt so nicht! Natürlich gibt es auf meiner Platte Balladen, die sich damit beschäftigen, dass eine Beziehung nicht klappt – aber ganz ruhig: Das ist überhaupt nichts Negatives! Und wenn wir von Partyliedern reden, dann geht es um das Gefühl des Zusammenseins, des Lebensbejahens – einfach der Freude. Das sind auch wieder so Klischees. Du hörst was und sagst: buff, buff, buff …!
Matt: Deswegen sprechen wir ja darüber.
Setlur: Zu dem Altersding: Mir wird immer bewusster, dass mir Leute aufdrücken wollen, ich sei eine alte Kuh – wogegen ich mich vehement wehre. Meiner Meinung nach ist man immer so alt, wie man sich fühlt.
Matt: Ein Klischee.
Setlur: Ein Klischee. Aber auch eine Gefühlsangabe.
Matt: Übrigens halte ich dich nicht für eine alte Kuh.
Setlur: Das wäre ja noch schöner!
Matt: Aber im Rap gibt es doch den Zwang, berufsjugendlich zu sein.
Setlur: Wenn das so ist, unterliege ich diesem Zwang nicht. Ich sag dir mal eins: Wenn ich mit 50 immer noch was zu sagen habe, dann wirst auch du mir nicht das Maul stopfen.
Matt: Werde ich wohl nicht schaffen.
Setlur: Nee, das schaffste nicht.
Matt: Beschreibt dich das Wort „Zicke“ eigentlich gut?
Setlur: Nein.
Matt: Hast du schon mal jemand eine runtergehauen?
Setlur: Ganz ehrlich: Ich habe immer Angst, dass ich mir mehr weh tue als dem, den ich schlage.
Matt: Was müsste ich tun, damit du mir eine langst?
Setlur: Mich körperlich angreifen.
Matt: Dann droht keine Gefahr.

06 Mai 2007

Man kann sich seine Verwandten nicht aussuchen

Edit 6.12.2007: Hier konnte man bis heute das kleine Foto eines Nudelgerichts sehen. Dafür habe ich eine Abmahnung des Anwaltsbüros Rotermund (Marions Kochbuch) erhalten, die mich 747,50 Euro kosten soll.

Da hat man erstmals Gäste aus dem Rheinland und will ihnen zeigen, welch buntes, derbes, aber lebenswertes Viertel St. Pauli ist. Also geht man mit ihnen erst mal zum Italiener (Link entfernt) um die Ecke, bestellt Pizza, Pasta, Wein und Salat, und plötzlich taucht eine kleine Dicke im Lokal auf und beschimpft umstandslos die Frau hinterm Tresen.

Randale! Alle gucken gespannt, natürlich auch die Gäste aus dem Rheinland – und komischerweise auch das Personal. Erst als die Furie anfängt, über die Theke nach ihrer Feindin zu spucken, bequemt sich ein erstaunlich wortkarger Kellner, sie aus der Tür zu schieben.

Draußen setzt sie sich an einen Tisch, steht auf, kommt wieder rein, schimpft und spuckt; diesmal sogar auf den Tisch mit den Antipastitöpfchen.

Die Chefin hat inzwischen die Polizei gerufen, doch die war auch schon mal schneller da. Wieder wird die Dicke rausgeschoben, wieder kommt sie rein, diesmal nimmt sie eins der Töpfchen und wirft es wütend nach der Barfrau, es zerschellt auf dem Boden.

„Hey, jetzt reicht’s aber!“, rufe ich der Frau zu, deren wulstiger, gleichwohl dank eines zu kurzen Hemdes frei zugänglicher Bauch sich schlaff über den Hosenbund beugt, als wolle ihr Nabel Fußbodenstudien betreiben.

Der Kellner bequemt sich erneut her und schiebt die sich Wehrende stumm raus, wieder wundern wir uns über seine relative Duldsamkeit. Keine Minute später wackelt das kleine Monster wieder ins Lokal – genau einmal zu viel nach meinem Geschmack. Ich gehe hin und schiebe sie raus.

„Was geht dich das dan?“, schreit sie. Ich versuche ihr zu verklickern, dass es gemeingefährlich sei, Gegenstände durch bevölkerte Gaststätten zu pfeffern, und mich daher ihr Ignorieren dieser allgemein bekannten Tatsache sehr wohl etwas anginge – zumal Ms. Columbo und die Gäste aus dem Rheinland sich im Wurfradius befinden. So richtig überzeugt aber wirkt sie nicht.

Eingangs ihres linken Nasenlochs hängt ein Rotzklumpen, und ich bleibe einen Meter von ihr weg, um die Gefahr des Angespucktwerdens etwas zu mindern. Jetzt, wo ich mit ihr streitend im Eingang stehe, bequemt sich auch der Kellner wieder her, doch ich bin angesichts des bisher stetig eskalierenden Verlaufs der Gesamtlage skeptisch, ob er die Wildgewordene dauerhaft fernhalten kann. Ich indes bin inzwischen sehr entschlossen, das rabiate Weib von Ms. Columbo und den
Gästen aus dem Rheinland fernzuhalten, o ja.

Doch zum Glück kommt die Polizei, endlich. Die zeternde Dicke wird in Handschellen gelegt und abtransportiert. Als wir und die Gäste aus dem Rheinland später – nach Pizza, Pasta, Wein und Salat – aufbrechen wollen, kommt der passive Kellner noch mal zu uns und entschuldigt sich für die Umstände. Und dann sagt er einen Satz, der erklären könnte, warum die Frau nicht auf die kiezüblich rustikale Weise aus dem Lokal befördert wurde.

„Sie ist“, sagt er leise, „die Schwester vom Chef.“


24 April 2007

Ich hasse rote Krawatten

„Haben Sie eine Kamera dabei?“, fragt mich der Sicherheitsmann am Eingang der Color Line Arena, und ich, überrumpelt, begehe den fatalen Fehler, ihm die Wahrheit zu sagen. Wahrscheinlich sind das die vermaledeiten Reste meiner protestantischen Erziehung, ich weiß es nicht.

Jedenfalls schickt mich der Mann zu einem Kameraeinsammler ein paar Meter weiter, und ich erwäge, diesen Gang einfach nicht anzutreten, doch beim Abtasten der Leute, die hinter mir in der Schlange standen, dreht der Sicherheitsmann sich immer wieder um zu mir. Kein Entkommen; er kennt seine Pappenheimer.

Der Kameraeinsammler trägt einen lächerlich kurzen roten Schlips, der etwa in der Mitte zwischen Kehlkopf und (imaginierten) Nabel endet, aber das Ästhetische spielt gerade keine Rolle, denn er will meine Kamera. Gerade beginne ich mich an den unschönen Gedanken kameraloser Stunden zu gewöhnen, als es heißt: „Ein Euro bitte.“

„Warten Sie mal“, sage ich, „Sie zwingen mich, meine Kamera abzugeben, die ich lieber behalten würde, und verlangen auch noch Geld dafür?“ Der Mann schaut mich gelangweilt an. „Dafür“, sagt er, während ich auf seinen lachhaft kurzen roten Schlips starre, „passen wir auch darauf auf.“

„Darum habe ich Sie aber gar nicht gebeten!“, wende ich mit unamüsiertem Lächeln ein. „Normalerweise zahle ich nur für Dienstleistungen, die ich aktiv in Auftrag gebe.“

„Tja“, sagt der Mann und verstaut meine Kamera in einer hermetisch verschließbaren und – wie sich Stunden später herausstellen soll – ohne Hilfsmittel wie Scheren, Teppichmesser oder Kreissägen nicht mehr zu öffnenden hochreißfesten Plastiksicherheitstüte der Marke Debasafe. Sie hat die Codenummer 5854767.

Der Mann händigt mir einen Plastikstreifen aus, auf dem die gleiche Nummer steht. „Nicht verlieren“, sagt er, „sonst kriegen Sie die Kamera nicht wieder.“ „Das wäre ja noch schöner!“, errege ich mich, während ich ihm widerwillig einen Euro in die Hand drücke. „Tja“, sagt er und legt die Münze in die Tasche. Aus irgendeinem Grund muss ich an Schäuble denken.

Ich hasse rote Krawatten. Vor allem, wenn sie zu kurz sind.

18 Mai 2006

Wie ich mal die Steuerzahler entlastet habe

Was ist denn los? Warum geht es nicht weiter? Seit fünf Minuten steht der Bus an der S Reeperbahn, und mir dämmert das erst allmählich, weil ich auf den Ohren den alten Al Green habe und vor den Augen ein Buch. Ich blicke auf.

Vorn diskutiert ein massiger Mann afrikanischer Prägung erregt mit dem Fahrer. Eine Einigung scheint fern. Der Fahrer ist offenbar nicht gewillt loszufahren, solange der lautstarke Diskutant sich nicht trollt. „Steigen Sie aus!“ schallt es durch den Bus. Der so unfein schroff Aufgeforderte aber denkt nicht im Traum daran, sondern kommt jetzt den Gang herunter und setzt sich schräg hinter mich.

Zu einer Lösung der Lage trägt diese Entscheidung freilich nicht bei, denn der Fahrer stellt den Motor ab und nestelt an seinem Funkgerät. Offenbar ist er zu dem Schluss gekommen, externe Hilfe sei opportun. Immerhin ist die Davidwache (Foto) nah, da könnte in Bälde ein wirksamer Eingriff der Exekutive erfolgen.

„Was ist denn los?“ frage ich den Herrn hinter mir. Froh über ein offenes Ohr, dem er sein Leid klagen kann, erläutert er, sich im Besitz einer Tageskarte zu befinden – und es stimmt, er hält sie mir hin –, die nach Aussage des für den Verkauf zuständigen Schaltermenschen auch für diesen Bus hier Gültigkeit besäße. Doch der Fahrer sei uneinsichtig, ja geradezu renitent. Dieser Bürokrat, führt er sinngemäß weiter aus, habe seiner Auslegung der Tageskartenfunktion gänzlich unaufgeschlossen gegenübergestanden und ihm als Alternative in recht deutlichen Worten den Kauf eines zusätzlichen Tickets anempfohlen. Kostenpunkt: einszwanzig.

Dies hält mein Nachbar weiterhin für inakzeptabel. Schließlich habe er zum einen eine gültige Tageskarte und andererseits zehn Cent zu wenig in der Tasche.

Hm, mir schwant ein Polizeieinsatz, mir schwanen schreiende Menschen, über Muskeln sich spannende Uniformen, ich höre vor meinen geistigen Ohr das silbrige Klirren von Handschellen, sehe Tränengasschwaden, es droht eine Gefährdung des öffentlichen Personennahverkehrs, ich sehe Verhaftung, Abschiebung, eine zerrissene Familie und schließliches Dahindämmern in den Slums von Kinshasa oder Ouagadougou … Und alles nur wegen einer fehlenden Münze, der viertkleinsten überhaupt.

Während der Fahrer vorne offenbar im Begriff ist, eine erfolgreiche Funkverbindung zur Einsatzleitung herzustellen, offeriere ich dem Mann zehn Cent, zunächst in Form einer Ein-Euro-Münze, die er mit einem Wort des Dankes auch annimmt. Damit stapft er ungebrochen verärgert nach vorne und legt wortlos seinen und meinen Euro dem Fahrer hin. Der beendet den Funkkontakt, ratscht – ebenfalls stumm – ein Ticket aus dem Automaten, zählt das Wechselgeld ab, und der Mann steckt es samt Ticket still ein, stapft durch den Gang zurück und gibt mir 90 Cent zurück. Der Bus fährt los, alles ist gut.

Wäre man Haushaltsexperte im Fachbereich polizeiliche Einsatzkräfte, könnte man wohl leicht ausrechnen, wieviele Steuern die Stadt Hamburg just durch die Investition einer Zehn-Cent-Münze zur richtigen Zeit am richtigen Ort gespart hat.


Die Rendite ist jedenfalls atemberaubend. Schade, dass ich bei privaten Finanzgeschäften dagegen immer auf die Schnauze falle.

Ex cathedra: Die Top 3 der Songs von Al Green
1. „Love is a beautiful thing“
2. „I can't stop“
3. „Call me“

03 Oktober 2005

Der Schuh

Wenn ein verlängertes Wochenende ansteht, macht das Tollhaus Kiez Überstunden. Wie heute früh, am blutjungen Tag der Deutschen Einheit. Auf der Straße lange nach Mitternacht plötzlich Geschrei, von einer sehr hellen, sehr besoffenen Stimme. Wieder mal Straßenkino, denke ich, und betrete gemessenen Schritts den Balkon. Eine sehr blonde Frau brüllt auf der anderen Straßenseite einen sehr stummen Mann an; er wirkt wie ein melancholischer Türsteher.

Sie zetert, zieht ihren rechten Schuh aus, pfeffert ihn weg, ihm vor die Füße. Man versteht kein Wort. Sie verstummt kurz, um sich zwecks oraler Erleichterung ganz anderer Art über die Baustellenabsperrung zu beugen, nimmt den Faden aber gleich danach wieder auf - und den Schuh natürlich, den sie erneut wirft, diesmal nach ihm. Er will den Rückzug antreten, sie humpelt hinterher, obgleich ihre Standfestigkeit an die eines Kreisels erinnert, der stark an Schwung verloren hat.

Sie kriegt ihn zu fassen, krallt nach seiner Jacke, zieht sie ihm dabei schreiend halb aus. Er immer noch stumm, nicht aber die beiden Hilfspolizisten, die eigentlich die Falschparker-Armada abzetteln wollten und jetzt alarmiert herbeieilen. Ihr schwant Unheil, ihr vernebeltes Ich trifft im Prinzip die richtige Entscheidung: Flucht. Allerdings gerät die ihr taumelnd, schier kreisförmig. Ihr Erzürner dackelt nebenher, die Polizisten holen sie ein, ein paar Ermahnungen, dann lassen sie die beiden wieder allein.

Und sofort geht's weiter. Sie schreit, wirft schon wieder den Schuh, verschwindet im Eingang der Spielhalle gegenüber. Die Polizisten kommen zurück, verhandeln mit dem ratlosen Tropf - und entscheiden, einen Streifenwagen herzufunken. Fünf Minuten später ist der da, zwei Beamte holen die Frau aus der Spielhalle und verfrachten sie ins Auto. Das letzte, was ich höre, ist die sehr laute Stimme eines Polizisten aus dem Streifenwagen: „Ziehen Sie endlich ihren Schuh wieder an!"

Ihr Begleiter trollt sich. Wie das Paar sich wieder zusammenraufen will, ist mir schleierhaft. Er hat sie ja quasi der Polizei ausgeliefert. Eigentlich ein Grund, mit mehr zu werfen als nur einem Schuh.