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22 September 2020

Die gemütlichsten Ecken Hamburgs (161)

Pünktlich nach dem Verzehr zweier von Astraknollen flankierter Matjesbrötchen, die Nuggi’s Elbkate zur Verfügung gestellt hatte, geruhte die Sonne spektakulär unterzugehen.

Kann man machen.


14 März 2020

13 September 2019

Endlich sorgenfrei!

Neulich stand ich in Potsdam sehr ratlos vorm Eingangsportal von Schloss Sanssouci und rang um Fassung. Schuld daran war der brachiale Kommafehler, der die Fassade hochprominent kontaminierte. Das tut er, wie mir zugetragen wurde, schon seit zweihundertzweiundsiebzig Jahren.

Zweifellos ist diese voll in die royale Verantwortung fallende Fehlleistung dazu angetan, das ansonsten doch recht beachtliche Lebenswerk des Schlossbauherrn Friedrich des Großen unschön zu überschatten. Zumindest in meinen Augen. 

Dabei hätte es durchaus Eingriffsmöglichkeiten gegeben. Klar, rechtschreibkundige Hofschranzen haben sich damals natürlich nicht getraut, das Maul aufzumachen. Aber warum bloß hat Friedrichs Freund Voltaire ihn beim immerhin vier Jahre andauernden Besuch in Potsdam dafür nicht wenigstens an einem weinseligen Abend böse ausgescholten? Auch der französische Philosoph büßt in diesem Zusammenhang, wie ich zugeben muss, viel an Nimbus ein. Der Mann hätte unbedingt intervenieren müssen, gerade als Muttersprachler!

Heute an der Simon-von-Utrecht-Straße in St. Pauli gemahnte mich ausgerechnet die beschriftete Seite eines parkenden Lkw erneut an Friedrich und Voltaire und diesen gruseligen Moment in Potsdam, den ich längst erfolgreich verdrängt zu haben glaubte. „Echte Kerle, trinken Elbperle“ – da rollen sich dir doch sämtliche Fuß- und Fingernägel auf! Und mir auch!

Es sei denn, derjenige, der sich diesen Werbespruch zurechtdengelte, vertraut auf die intelligente Hintersinnigkeit des vorbeiflanierenden Um-die-Ecke-Denkers und dessen Fähigkeit, die subtile Anspielung auf die Potsdamer „Sans, souci“-Kommakatastrophe zu dechiffrieren. 

Immerhin heißt „sanssouci“ auf Deutsch sorgenfrei, und womit ist dieser Zustand nun mal besser herzustellen als mit einer geexten Gallone Elbperle?

Und siehe da: Plötzlich ergab alles einen Sinn. 
Und sogar einen Blogbeitrag.



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31 August 2019

Das haben die G20-Gefangenen nicht verdient!

Neulich war ich einen trinken mit German Psycho und zwar im Chug Club auf St. Pauli. Unter anderem in diesen Räumen in der Taubenstraße drehte Jan Schütte 1987 seinen unvergleichlichen Film „Drachenfutter“, ein schwarz-weißes Juwel der deutschen Kinogeschichte über das Schicksal von Immigranten in Hamburg, das eigentlich dauerhaft in den Mediatheken der Öffentlich-Rechtlichen abzurufen sein müsste. Aber das ist natürlich nicht der Fall.

Zurück zur Anschlussverwendung des „Drachenfutter“-Drehortes als Cocktailbar: Im Chug Club darf leider geraucht werden, was mich als Nikotinabstinenzler auf eine harte Probe stellt. Aber was tut man nicht alles für einen gemütlichen Abend unter Freunden. German Psycho, Raucher, kennt meine diesbezüglichen Nöte und geht immer, wenn er Schmacht hat, aus Höflichkeit raus auf die Straße. Ich begleite ihn natürlich jeweils herzlich gerne.

Während wir also dort stehen, zeigt er auf den oben abgebildeten Aufkleber, der einen Mülleimer in der Nähe der Eingangstür verziert. „Findest du das auch so empörend?“, fragt er. Ich schaue näher hin, lese mir das durch und sage: „Ja, unfassbar … Was für ein hammerhartes Deppenleerzeichen!“ German Psycho nickt zufrieden; genau das hatte er gemeint. Doch auch semantisch bietet dieser von einer gewissen „Anarchistischen Initiative“ verantwortete Text mindestens eine Denksportaufgabe. 

Denn was um alles in der Welt bedeutet der Passus „Auch mit den Unschuldigen“? Sollte die Solidarität mit den armen durch ein Deppenleerzeichen verunstalteten Gefangenen nicht den Unschuldigen sowieso, aber eben „auch den Schuldigen“ gelten? Nicht, dass ich selbst dieser Auffassung wäre; ich versuche hier nur die Argumentation der Anarchistischen Initiative zu hinterfragen und mich – wie es die Pflicht eines jeden Homo politicus ist – einer gewissenhaften Exegese zu befleißigen.

Also: Warum werden gerade „die Unschuldigen“ von der Anarchistischen Initiative nur wie ein lästiger Appendix behandelt? Denen sollte doch der ganze Furor des anarchistischen Engagements gelten! Stattdessen gibt man mit diesem – wie man leider sagen muss: letztlich undurchdachten – Geschwurbel (wahrscheinlich höchst versehentlich) zu, dass es in der Tat doch Schuldige gibt; und stellt sie implizit auch noch besser als die armen Würste, die damals Opfer von Polizei- und Staatsanwaltswillkür wurden.

Inzwischen hat German Psycho seine Zigarette zu Ende geraucht. Wir gehen wieder rein, schwankend zwischen Empörung (Deppenleerzeichen!) und Ratlosigkeit (Semantik!). Und ich beschließe, mir demnächst mal wieder „Drachenfutter“ anzuschauen. Ich habe ihn, liebe Öffentlich-Rechtlichen, auf Festplatte.

PS: Wer nachlesen möchte, wie es wirklich zuging auf St. Pauli beim G20-Gipfel 2017, der möge sich diese Blogbeiträge noch mal zu Gemüte führen.  









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09 November 2018

Fluchtpunkt Topinamburschaumsüppchen


Eins muss man ja mal deutlich festhalten: Ohne den schlüpfrigen Santa-Pauli-Weihnachtsmarkt und das Varietézelt Palazzo wäre die Vorweihnachtszeit in Hamburg nichts weiter als eine fantasielose Glühweinverklappungstortur vor bisweilen wenigstens schöner Kulisse.

Während uns Santa Pauli alljährlich vielerlei unchristliche Aktivitäten wie etwa ein geschlechterübergreifendes Stripzelt anempfiehlt (sie schrauben drüben aufm Spielbudenplatz übrigens just die Buden zusammen), setzt die Dinnershow Palazzo im Spiegelpalast an den Deichtorhallen heuer zum fünften Mal auf die Verbindung von Kulinarik und Artistik. Und diesmal spart die Mottoshow namens „Kings & Queens!“ sich – im Gegensatz zum vergangenen Jahr – glücklicherweise auch die derben Zoten. Ohne freilich bei den Akrobatennummern auf Erotik zu verzichten.

Sogar für Interessierte mit eher fließenden Geschlechterdefinitionen ist einer abgestellt: Der Spanier Omar Cortes Gonzalez (großes Foto), einst Turnolympionike in Sydney 2004, hangelt sich in Travestiemontur an baumelnden Bändern durch die Tiefe des Raums und vor allem dessen Höhe. „Er sieht ein wenig aus wie der Bruder von Conchita Wurst“, flüstert mir mein Schwippschwager zu. Korrekt.

Mit Ms. Columbo, dem Franken und besagtem Schwippschwager saß ich an einem optimal platzierten Tisch: nah genug am Geschehen, doch ausreichend weit weg, um bei der in einer halbvollen Badewanne startenden Luftnummer von Fréderique Cornoyer-Lessard ohne Wasserflecken auf dem Sakko davonzukommen; dicht dran und doch auf der richtigen Seite des Tisches, um den üblichen Mitmachspäßken zu entgehen und stattdessen weiter vergnügt am weißen D’Artagnan nippen zu können.

Palazzo – das bedeutet reinsten Eskapismus. Denn was kümmern uns noch Trump, Horst und Erdogan, was Schäfer-Gümbels Griff nach der Macht in Hessen oder die zweifelhafte Zukunft der gesetzlichen Rente, wenn wir unter einer rot illuminierten Zeltkuppel gemütlich Angeldorsch und Speckknusper aus Cornelia Polettos Topinamburschaumsüppchen fischen dürfen?

Die Realität in Form einer fantasielosen Glühweinverklappungstortur vor bisweilen wenigstens schöner Kulisse holt uns noch früh genug ein. Denken Sie an meine Worte.


Disclaimer: Zu dieser Veranstaltung war ich eingeladen.



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10 November 2017

Zoten, Zoff und Ziegenricotta


Nicht nur aus alliterierenden Gründen – ich schlug dort mit dem Franken, den Frauen und Freunden auf – war der gestrige Abend im Palazzo-Spiegelzelt an den Deichtorhallen ein erinnernswerter. Man fühlt sich dort ein wenig wie auf einem Kreuzfahrtschiff: eingetaucht in eine künstliche Schummerwelt ohne Gestern und Morgen, in der die Stunden unversehens verfliegen. Ein Abend getaktet im Rhythmus der Essensgänge und den Nummern des Unterhaltungsprogramms. 

Während die frühere Sterneköchin Cornelia Poletto, die mit dem früheren Bahnchef Rüdiger Grube verheiratet ist, für vier anspruchsvolle Gänge sorgt (natürlich zeitgeistgemäß für Fleischesser und -verächter), versucht sich die Rahmenhandlung aus Nummerrevue und Akrobatik an etwas sehr, sehr Schwierigem: mit allerlei Derbheiten das Zielpublikum kräftig zu erweitern, ohne Kulinariker mit kulturellem Anspruch ganz zu verschrecken. Denn damit das Palazzo-Spiegelzelt bis März – so lange bleibt es stehen an den Deichtorhallen – zuverlässig gefüllt bleiben möge, müssen nun mal auch schlichtere Humorgemüter herbeigelockt werden.

Die Rahmenhandlung feiert unter dem Obertitel „Glücksjäger“ vor allem Süchte wie Rauchen, Trinken, Sex und Glücksspiel, und das in der Nähe der mittigen Rundbühne platzierte Publikum muss durchaus damit rechnen, ordentliche Spritzer aus Wasserpistolen abzubekommen. Die vielen verbalen und realen Tiefschläge  des sich hemmungslos zoffenden Ensembles kommen hingegen auch in unserer Randlage unverfälscht an. Doch selbst wenn uns daran etwas ernstlich gestört hätte: Mit den vorzüglichen Weinen – einem Grauburgunder von Hauck aus Rheinhessen und einer Merlot-/Cabernet-Sauvignon-Cuvée aus dem Languedoc – hätten wir uns mühelos auch noch den gröbsten Gag schöntrinken können.

Das Programm mit seinen auf althergebrachte Weise rollenkonformen Anzüglichkeiten zeigt sich jedenfalls komplett unbeeindruckt von den zurzeit grassierenden Sexismusdiskussionen. Hier werden Lauch und sehr große Karotten noch handfest phallisch allegorisiert, und gegen Ende – ich hatte mich gerade ausgiebig der lackierten Perlhuhnbrust mit Mais und geräuchertem Pflaumenjus gewidmet – traten auch noch zwei nackte Rumturner auf, die mit nichts als Pfannen bewaffnet die selbstaufgeworfene Frage lange kunstvoll offen hielten: Sehen wir nun ihre Schniedel noch baumeln oder doch nicht? 

(Wenn Sie die Antwort erfahren wollen, müssen Sie schon selber hingehen – hier gibt’s Karten

Ein Abend also zwischen Zoten, Zoff und Ziegenricotta – um diesen Rückblick ähnlich abzuschließen, wie er anfing: alliterierend.



26 September 2017

Keine Freaks, nirgends

Zurück aus dem Kurzurlaub am Mittelrhein fällt uns umso stärker der Freakanteil auf St. Pauli ins Auge. Ein solcher Ausflug, und sei er noch so kurz, sorgt sofort für eine Schärfung des Blicks.

Ob der frühvergreiste Junkie mit Totenkopfsweatshirt, der rollatorgestützt über den Hamburger Berg schlurft, oder der hagere Pomadenträger in der Seilerstraße, der vor sich hin brabbelt und wütend eine halbgerauchte Zigarette auf den Gehweg schmeißt: Schon beim ersten Gang zum Supermarkt begegnen uns überall Menschen mit Problemen, die sie nicht verbergen können. Meistens hagere, ausgezehrte Typen, fast immer Männer. 

Im idyllischen Boppard am Mittelrhein hingegen, wo wir am vergangenen Wochenende das Weinfest besucht haben, sieht man nichts Vergleichbares. Fast alle dortigen Bevölkerungsteilnehmer sind wohlgenährt und rotgesichtig, der ortsüblich hervorragende Wein zaubert Fröhlichkeit in ihre Gesichter. 

Klar, wahrscheinlich haben auch diese Menschen ihre Probleme, doch entweder sind die nicht so übermächtig (was ich glaube), oder sie kauen lieber innnerlich auf diesen Problem herum, als ihnen zu erlauben, sich allzu deutlich in ihrer Physiognomie niederzuschlagen. 

Das Freakigste, was ich am Wochenende in Boppard sah, war ein etwa 60-jähriger Mann in weißem Oberhemd und Jeans, der sich auf dem Weg zum Nachschubstand alle leeren Gläser seiner Zechgesellschaft zwischen die Fiinger der rechten Hand geklemmt hatte und mit der linken die fast leere Weinflasche an den Hals setzte, um den Rest umstandslos zu inkorporieren.

Anscheinend bringt die weingeprägte Kultur dort unten am Rhein einen anderen Menschentypus hervor als die biergeprägte hier oben auf dem Kiez. Allerdings muss man auch sagen, dass ein Stadtteil wie St. Pauli allein schon deshalb einen erheblich größeren Anteil an Sonderlingen aufweist, weil sie provinzielle Gegenden wie den Mittelrhein, wo man ihnen wohl eher stirnrunzelnd als ermutigend begegnen dürfte, fliehen – urbane Gegenden wie der Kiez werden so zu toleranten Sammelbecken, wo jedes Tierchen sein Pläsirchen findet und man noch jeder Wunderlichkeit schulterzuckend statt kritisch begegnet. Deshalb vielleicht die hohe Quote.

Das Schicksal des vergreisten Junkies im Totenkopfsweatshirt, der sich rollatorgestützt über den Hamburger Berg schleppt, möchte ich gleichwohl nicht romantisieren. Wenn er die Uhr zurückdrehen und neu wählen dürfte, würde er sein Leben wohl mit dem des properen Bopparder Flaschenrestaussüfflers tauschen.

Im Nachbarort Osterspai haben wir übrigens doch noch etwas Unidyllisches entdeckt (s. Foto). Es ist aber keineswegs repräsentativ! Bitte überzeugen Sie sich vor Ort.



27 August 2017

Mal kein Dreck unter den Fingernägeln

Auf dem Spielbudenplatz ist Winzerfest, ganz St. Pauli umlagert die Stände, trinkt und swingt und fühlt sich super. Wir auch. 

Am Stand des Weinguts Edelhof Minges aus dem pfälzischen Kirrweiler nippen wir an der sehr, sehr trinkbaren Weißburgunderspätlese. Dafür nehmen sie hier pro Schoppen sechs Tacken, was auf der Onlineseite des Weinguts die ganze Flasche kostet, aber so ist das nun mal. Sie haben ja auch immense Kosten zu stemmen zwischen Kirrweiler und Kiezwinzerfest. 

Neben uns lehnt ein junges Paar Anfang 20 am Tresen von Edelhof Minges. Er interpretiert miit seinem Outfit unverkrampft die Hippieära: nackenlange Locken, Fünftagebart, ein weißes, luftiges, über der Shorts getragenes Leinenhemd mit hochgeschlagenen Ärmeln, dazu Turnschuhe. 

Sie wirkt ein wenig wie eine Businessfrau im Freizeitmodus: Bubikopf, lange Kunstwimpern, grauer Wollpulli über wadenlangen Leggins; dazu ebenfalls Turnschuhe. 

Während wir also an der Weißburgunderspätlese nippen, sagt er unvermittelt jenen Satz, ohne den dieser Blogeintrag jetzt hier nicht stünde. 

„Du bist das erste Mädchen beziehungsweise die erste Frau“, kriegt er nämlich mit leicht verlegenem Lächeln gerade noch so die Gendersprechkurve, „für die ich mir je die Fingernägel gesäubert habe.“ (Hervorhebung von mir.)

Ein Geständnis, das zwar einen bestürzenden Blick in seine generellen Vorstellungen von Körperhygiene erlaubt, seine Begleitung aber gleichwohl zu hingerissenem Giggeln animiert. Hier hat jemand offensichtlich den richtigen Ton getroffen. 

Der Ausblick auf gewisse Details des eventuell bevorstehenden Beziehungsalltags ist zwar aus meiner Sicht ein eher trüber, doch so weit scheint der schwer geschmeichelte Bubikopf hier, im Lampionschummer einer weinseligen Kiezsommernacht, nicht zu denken. 

Ich prophezeihe dieser Liaison ewige Dauer, vielleicht sogar mehr als drei Monate. 

Das St.-Pauli-Winzerfest auf dem Spielbudenplatz endet übrigens heute – für den Fall, dass Sie sich auf die Suche nach noch nie gehörten Killerkomplimenten begeben und diese von überteuerten, aber schmackhaften Spätlesen flankiert sehen möchten.


 

24 Juli 2017

Die Falle der Mönche

Selbstverständlich sollte man im mittelalterlichen Brügge unbedingt das Biermuseum besuchen, gerne auch am hellichten Nachmittag. Allerdings sollten Sie, die Sie dies beim nächsten Brüggebesuch erwägen, eines wissen: Zum krönenden Abschluss werden drei Biersorten zum Verkosten gereicht. 

Ich nahm naiverweise an, es handele sich dabei um schnapsglaskleine Probierportiönchen, doch der belgische Zapfmann schenkte forsch aus; das tendierte alles deutlich in Richtung Kölschgröße. Dreimal nullzwo, das sind ja schon nullsechs. Wie gesagt, am hellichten Nachmittag. 

Auch das wäre noch kein Problem gewesen, das man als gestandener Hanseat nicht bewältigen könnte, hätte sich unter den Verkostungsproben nicht eine befunden, die auf den Namen La Trappe Quadrupel hörte.

Dass bereits der Name dieses Getränks an das englische Wort für Falle gemahnt, hätte bei uns sofort sämtliche Alarmglocken schrillen lassen müssen. Was bei uns arglosen Hamburger Hascherln allerdings nicht geschah.

Dieses Bier also, das La Trappe Quadrupel, wird von Zisterziensermönchen gebraut, die umgangssprachlich auch Trappisten genannt werden, und wenn man schon unbedingt nach einer Existenzberechtigung für das Christentum suchen möchte, dann liefert dieses Getränk das bislang überzeugendste mir vorliegende Argument.

Denn es ist verdammt noch mal das beste Bier, das ich in meinem ganzen Leben getrunken habe. Allerdings bedauerlicherweise auch das stärkste. 

Mit gewaltigen zehn Volumenprozenten überfällt es einen hinterrücks – und unter tätiger Beihilfe der anderen beiden Bierproben karriolt man ergo nach Abschluss der Veranstaltung hackedicht durch Brügge. Vor allem Ms. Columbo, die ja nix gewohnt ist, traf das La Trappe völlig unvorbereitet.

Das Foto oben zeigt einen noch zuversichtlichen Blogbetreiber in jenem Augenblick, als das Unglück seinen Lauf zu nehmen begann. Der Rest ist Geschichte.




30 März 2017

Die gemütlichsten Ecken von St. Pauli (111)




Gut, die Hasenschaukel in der Silbersackstraße, wo inzwischen die Bar Mad Hatter eingezogen ist, war NOCH gemütlicher. 

Aber ein Schild mit einer derartig objektiven, unanfechtbaren Wahrheit hing damals nicht an der Wand. Und ein Laphroaig in Fassstärke war ebenfalls nicht auf der Karte. Und der Chef hieß nicht Pawel. 

Alles selbst getestet, heute Abend.

31 August 2016

Ein halber Euro zu viel


Kurz nach der Eröffnung des Einkaufszentrums Rindermarkthalle in St. Pauli besuchten Ms. Columbo und ich eine dort ansässige Espressobar, wo die abgebildete Tafel uns über die Preise informierte. Unter anderem über den eines sogenannten Americano.

Als monothematischer und somit ignoranter Kaffeekonsument – will sagen: Ich trinke ausschließlich völlig unkontaminierten schwarzen Espresso à la italiano, nichts anderes, niemals – wusste ich nicht genau, was darunter zu verstehen war.

„Das ist ein mit Wasser verlängerter Espresso“, klärte mich Ms. Columbo auf. Also so eine Art Kaffeeschorle. Umso erschreckender der im Vergleich exorbitante Preissprung. Immerhin wird einem ganz normalen Espresso lediglich Leitungswasser beigefügt, und wenn der Barbetreiber schlau ist, nimmt er sogar weniger Espressopulver; merkt ja eh keiner.

Es handelt sich also um ein Produkt, das den Betreiber wahrscheinlich weniger kostet als ein Espresso. Gleichwohl hält er eine 33-prozentige Preissteigerung für opportun. Mir war das eine Thematisierung wert.

Also fragte ich denjenigen, der uns bediente, warum denn ein Americano ein Drittel mehr koste als ein Espresso, obwohl der einzige Unterschied doch lediglich in der Beifügung einer kostentechnisch vernachlässigbaren Menge Leitungswassers bestünde.

Der Mann war baff. Darüber habe er noch gar nicht nachgedacht, gab er zu, und wir hatten keinerlei Grund, an seiner Aussage zu zweifeln. Eigentlich, fuhr er fort, hätten wir aber Recht. Das sei im Grunde nicht zu rechtfertigen, für das bisschen Wasser. Er würde das mal bei der Geschäftsführung zur Sprache bringen.

So kann es also auch gehen in der Gastronomie: Man wird auf einen Fehler aufmerksam gemacht und korrigiert ihn. Wie in so einer idealen Welt. Wir bedankten uns gerührt und empfahlen uns.

Das war, wie gesagt, in der Eröffnungsphase der Rindermarkthalle. Also vor ungefähr anderthalb Jahren. Heute waren wir mal wieder da und hatten die Gelegenheit, unser segensreiches Wirken anhand der dort noch immer aufgestellten Tafel zu überprüfen.

Und jetzt raten Sie mal, wie viel der Americano mittlerweile kostet.

Ganz genau.







31 Oktober 2014

Reif fürs Land?


Eine als „kulinarisch“ bezeichnete Flussreise durch Frankreich bis runter nach Macon wird vor allem von einer Begleiterscheinung geprägt: Wein zu allen Gelegenheiten, derer es denn auch (beinah allzu) viele gibt.

Und ich wäre natürlich ein schlechter Gast unseres Nachbarlandes, wenn ich mich der guten gallischen Sitte des bereits mittags einsetzenden Weinkonsums verweigerte. Zurück in Deutschland musste ich jedenfalls jetzt erst mal abstillen. Sinnvollerweise mit Bier.

Unser Besuch im Abteirestaurant der Kochlegende Paul Bocuse in Mont d’Or markierte in vinologischer Hinsicht übrigens den Höhepunkt, zumindest mengenmäßig. Meine Tischnachbarin, die den mit Zirkuskitsch en gros dekorierten Esstempel vor vielen Jahren schon einmal aufgesucht hatte, versicherte vorfreudig vorab: „Bei Bocuse ist das Glas immer voll.“

Und in der Tat: Eine kaum überschaubare Schar Bocuse’scher Ober wieselte allzeit bienenfleißig durch die Reihen, um der Unzumutbarkeit bereits wieder halbleerer Gläser entschieden und rasch zu begegnen.

Statt betulicher Fahrten über Saône und Rhône sehen wir uns aber schon längst wieder dem hektischen Kiezalltag ausgesetzt. Und mir ist heute erstmals überdeutlich bewusst geworden, was mich an St. Pauli am meisten stört.

Es ist nicht die Hundekacke oder die Wochenendekotze an den Hauswänden, es sind nicht die Irren, Durchgeknallten oder volltrunkenen Vollpfosten, nein:

Es ist die Tatsache, dass ich nie die Straße überqueren kann, ohne erst mal ein Auto vorbeilassen zu müssen.

Vielleicht bin ich doch allmählich reif fürs Land. Oder gleich ein Weingut in Frankreich.

17 Oktober 2014

Kaum zurück, schon wieder weg

Zugegeben: Die beiden letzten Blogeinträge haben zweifellos dazu beigetragen, ein Zerrbild des Tirolers ins kollektive Gedächtnis der Menschheit einzubrennen, und das habe ich nicht gewollt. Der Wirt unseres Gästehauses etwa hielt sich von jeder Ausformung der Adipositas fern. 
 

Stattdessen machte er Witze. Eingedenk der beim St. Johanner Knödelfest durch die Straßen geführten Almkühe augenzwinkerte er beim Frühstück: „Auf der Alm kamma sich lieben/denn im Herbst wird abgetrieben.“ 

 
Auch so was wie Charme hat der Mann. Nachdem wir den Meldezettel abgegeben hatte, kam er hinter uns her gelaufen und monierte das eingetragene Geburtsdatum von Ms. Columbo – das sei gewiss falsch und müsse unzweifelhaft zehn Jahre später liegen. 

Hier dämmerte uns allmählich, welch raffinierter Rhetorik der Tiroler sich notgeboren befleißigen kann und muss, wenn es darum geht, den eigentlich begrenzten Genpool über Jahrhunderte am Brodeln zu halten. 

Doch längst sind wir wieder zurück auf dem Kiez, wo alles beim Alten ist. In der Bar 99 Cent in der Erichstraße zum Beispiel kostet wirklich weiterhin alles nur 99 Cent, sogar der Whiskey. Mit was sie ihn dort heimlich verdünnen, will ich lieber nicht wissen; jedenfalls erhält der Begriff Absturzkneipe dort seine höchste Ausformung.



Auch in der Hamburger Alm auf der Reeperbahn, liebe Touristen, wirbt man ausschließlich mit Getränkeangeboten, obgleich die hier zu sehende Tafel eher davidstraßenübliche Dienstleistungen zu offerieren scheint.

Derweil verabschiedet man auf einem Hausdach am Hafen grillend den Sommer, wie wir unlängst von der Clouds-Dachterrasse aus ungläubig beobachten konnten. Geländer? Netz? Doppelter Boden? Pah: Auf dem Kiez lebt man natürlich standesgemäß wild und gefährlich – und an dieser Grillparty sollte halt niemand teilnehmen, der sich vorher in der Bar 99 Cent einen schwankenden Gang angetrunken hat. Oder gerade dann – um zu zeigen, wie man neben Mietenwahnsinn und Bullenterror auch das überlebt.

Mit diesen halbherzig mahnenden Worten empfehlen wir uns in den nächsten Urlaub. Diesmal geht es – dem Bahnstreik und anderen Widrigkeiten hoffentlich tapfer trotzend – nach Südfrankreich. 

Und wer weiß: Vielleicht stehen hier schon ganz bald völlig klischeefreie Charakterisierungen einer mit dem Tiroler nur sehr weitläufig verwandten, aber mit Sicherheit genauso schrulligen Spezis – nämlich des gemeinen Südfranzosen.

20 September 2014

In den Alpen


Der Tiroler gehört zu einem der Korpulenz wohlwollend zugeneigten Bergvolk, welches sich seiner genetischen Disposition nicht im Geringsten schämt, im Gegenteil.

Das Weibchen etwa überbetont das seine Milchdrüsen umgebende Fettdepot mit einem „Dirndl“ genannten Kleidungsstück, welches die damit nordwärts der Taille eingefassten Körperteile sowohl halb freilegt als auch darbietend vorwölbt.

Tirolermännchen hingegen finden es allem Anschein nach behaglich, in müffelnden, aus den Häuten halbverwester Tiere gefertigten halblangen Hosen herzumzulaufen, welche den Blick auf grobbehauene Waden aufs Unschönste freigeben.

Derlei naturgegebene und auf beiderlei Geschlechter freigebig verteilte Defekte scheinen freilich die hiesige Reproduktionsfreude keinesfalls zu beeinträchtigen. Allerorten jedenfalls watschelt korpulesker Nachwuchs in ähnlicher Staffage daher wie seine Erzeuger.

Im Rahmen eines sich allerhöchster Frequentierung erfreuenden sog. „Knödelfestes“ ergab sich der St. Johanner Tiroler heute stundenlang vor allem dem Suff, was sich in ausgedehnten Torkelorgien niederschlug. Hier am Fuße des Kitzbühler Horns werden sie jedoch anscheinend als „Tanz“ fehlgedeutet.

Der größte Sohn der Stadt – ein anatomisch den Bevölkerungsschnitt erstaunlich treffsicher repräsentierender Trumm, der unter dem Namen einer Gletscherleiche firmiert („DJ Ötzi“) – war zwar nicht physisch, doch akustisch anwesend, und zwar in Form musikalischer Darbietungen, die dem Tiroler Anlässe für seine Torkelorgien zu liefern versuchten. Was, wie gesagt, gelang.

Nachmittags entflohen wir diesen verstörenden Stammesriten per Seilbahn in die höhere Bergwelt. Doch auch dort zeitigten die schrulligen Verhaltensweisen des Tirolers unschöne Folgen. Just heute nämlich hatte er bergan, bergab tonnenweise Gülle auf die eh ums Überleben kämpfende alpine Vegetation ausgebracht, was die Gegend olfaktorisch ähnlich stark kontaminierte wie seine Kleidungsgewohnheiten die Talsenke visuell.

Nach erklommenen hundert Höhenmetern kehrten wir entmutigt um, da die Gülleglocke anscheinend erst in der Stratosphäre an Intensität einzubüßen schien. Drunten ergaben wir uns einfach unserem Schicksal und verzehrten weiter Knödel. Denn wenn er, der Tiroler, eins kann außer saufen, torkeln und unwaschbare Müffelhosen tragen, dann Knödel, und zwar in erstaunlicher Varianz.

Ach ja: Er kann auch Regenbögen.


04 September 2014

East of Eden

Das East-Hotel, eine mondäne Provokation mitten auf St. Pauli, feiert 10-jähriges Jubiläum. 

Im Lauf der Dekade wurden, wie der Chef im Vorfeld seiner Geburtsansprache penibel ausgerechnet hat, 65 Tonnen Rinderfilet serviert und eine halbe Million Portionen Sushi. 

Heute Abend aber spendiert das East etwas, statt immer nur Geld zu scheffeln, und zwar alle Getränkeeinnahmen zugunsten von Hamburg Leuchtfeuer. 

Saufen gegen Aids: ein Projekt, an dem man (= wir) natürlich gerne und generös mitwirkt. Der Schampus wird zu fünf Euro das Glas verramscht, und so ein gülden perlendes Gläschen steht jemand im cremefarbenen Canali-Anzug – also mir – ausnehmend gut, wie ich zumindest annehme respektive hoffe.

Unter den kostenlos gereichten kulinarischen Köstlichkeiten findet sich allerdings nullkommanix Vegetarisches, weshalb sich Ms. Columbo recht früh empfiehlt und ich in ein Gespräch mit einem Hamburger Künstler und seiner Begleitung gerate, welches derart einseitig verläuft, dass sie sich irgendwann absentiert.

Meine Versuche, ihn dezent auf die Notwendigkeit hinzuweisen, diesem tragischen Umstand durch umgehendes Hinterherlaufen Rechnung zu tragen, versanden so lange, bis ich überdeutlich werde. Dann eilt er von hinnen und ich zur Theke, um ein weiteres Glas Champagner für einen Fünfer zu ordern. 

Der gute Zweck heiligt, hicks, die Mittel, ist doch klar.

21 März 2014

Immer wieder Nuggi

Kramer, der Franke und ich hatten bereits gestern den frühlingsbeseelten Entschluss gefasst, heute sofort nach der Arbeit runter zu radeln zum Museumshafen in Övelgönne. 

Das Ziel unserer Träume: Nuggi’s Elbkate. 

Bei Nuggi’s Elbkate handelt es sich um einen vergrößerten Kiosk mit verkleinerten Preisen direkt an der Hafenkante, in dem eine dralle schwarze Lebefrau die köstlichsten Matjesbrötchen seit Erfindung der Niederlande rüberreicht, und zwar im Takt eines melancholischen Calypsos oder so ähnlich. 

Sie dreht diese hier so herrlich unpassende Begleitmusik immer runter, wenn jemand was bestellen will, und dann wieder rauf, wenn sie z. B. eine Bockwurst in den Kochtopf wirft.

Wir würden – so der genial ausgetüftelte Plan – die dralle Lebefrau, bei der es sich möglicherweise um Nuggi höchstselbst handelt, um Matjesbrötchen und Astraknollen bitten, uns damit ans Ufer setzen und sinnierend gen Westen schauen, in die untergehende Sonne. Schweigend würden wir essen und trinken. 

Es würde Stille herrschen – bis auf das leise Lecken der Elbwellen am dümpelnden Eisbrecher Stettin. Bis auf das Geräusch, das ein Kronenkorken macht, wenn er sich vom Flaschenrand der Astraknolle löst. Bis auf das Knirschen und Knacken der Zwiebelringe zwischen unseren Zähnen. 

Und genau so kam es dann auch – wenn man vom Sabbeln, Sülzen, Flachsen, Labern, Lachen und Lästern absieht, mit dem Kramer (l.) und der Franke (r.) diesen genial ausgetüftelten Plan genussvoll zunichte machten. 

Der Franke und ich durchliefen dabei, wie ich gestehen muss, drei komplette Zyklen mit Matjes und Astra, während der berufsrenitente Kramer in Richtung Erbsensuppe und Krakauer ausscheren zu müssen glaubte.

Tja, und wegen all dem müssen wir schon bald wieder runterradeln zu Nuggi’s Elbkate. Am besten sobald die Sonne das nächste Mal plant, in der Elbe unterzugehen. Morgen?