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05 Juni 2017

Der Hosenflop

Pfingstflohmarkt auf dem Spielbudenplatz (Archivfoto). An einem Stand eine interessante Chinohose in Beige und meiner Größe. 

Wie viel soll sie kosten? Der Händler sagt fünf, ich sage drei, er sagt ja. Ich nehme die Hose, gehe über die Reeperbahn nach Hause, probiere sie an. 

Der Spiegel sagt: zu weit, zu groß und unten zu viel Schlag. Also wieder eingerollt das Teil, rüber zur Budapester Straße und hinein mit ihm in den Altkleidercontainer.

Das hätte sich diese Chinohose heute früh, als sie auf dem Flohmarkttisch drapiert wurde, wahrscheinlich nicht träumen lassen: dass da jemand kommt, sie für drei Euro auslöst und sofort entsorgt.

Der Jemand aber auch nicht.



09 Juni 2014

„19 …?“


Was gibt es eigentlich Langweiligeres als noch ein Bahnbashing? Das ist doch seit Jahren Volkssport in deutschen Blogs. Dennoch soll auch hier in der gebotenen Kürze nicht unerwähnt bleiben, wie engagiert das ehemalige Staatsunternehmen in Abwicklung sich darum bemühte, unsere Pfingstreise nach Paris zu beeinträchtigen. 

„Die Abfahrt verspätet sich um einige Minuten“, „Wir sind außerplanmäßig in einem Tunnel zum Halten gekommen“, „Oberleitungsstörung“, „Betriebsstörung“ etc. pp.: Diese einst recht vorzeigbare Transportfirma mit längst institutionalisiertem Handicap fuhr während beider Fahrten das ganze guterprobte Arsenal leicht zerknirscht klingender Ansagen auf, um die linear wachsenden Verspätungszeiten wenigstens begrifflich halbwegs einzuhegen. 

Das Unternehmen scheint zu einer vollmaroden Klitsche verkommen zu sein, in der es überall klappert, hakt und zwickt und lediglich die leicht zerknirschten Verspätungsbegründungsansagen noch tadellos funktionieren – auch wenn natürlich eine Floskel wie „… sind außerplanmäßig zum Halten gekommen“ keine Begründung darstellt, denn das hatten wir auch so bereits bemerkt. 

Von der Zeit, die wir in Paris verbringen wollten, forderte die Bahn jedenfalls schon auf der Hinfahrt einen außerplanmäßigen Tribut von zweieinhalb Stunden, und dafür werden wir sie mit einem Erstattungsantrag kräftig bluten lassen, versprochen. 

Doch wir sind angekommen in Paris, und das ist ja die Hauptsache, nicht wahr. Beim Flohmarkt am Samstag am Porte du Vanves biss ich mir die Zähne aus an einer Verkäuferin, der ich zwei mit je zehn Euro ausgepreiste Hemden von Christian Lacroix und Donna Karan zum Mengenrabatt abkaufen wollte. Ich begann also mit 14, woraufhin sie „No, 20“ sagte. „Okay, 15“, machte ich ein Angebot zur Güte, was sie mit „No, 20“ konterte. 

Schon jetzt schien mir der Zeitpunkt gekommen, sie daran zu erinnern, wo wir uns gerade befanden: auf einem Flohmarkt nämlich, einer Veranstaltung also, der Handeln und Feilschen gleichsam wesenseigen sei. Dann bot ich 16. Sie sagte „No, 20“, ich: „Okay: 18!“, sie „No, 20“, ich – fassungslos zu Ms. Columbo – „Mann, die ist ja bockelhart!“ und dann zu ihr, nur noch pro forma und mit bereits erstorbener Verve „19 …?“ 

Sie schüttelte den Kopf und lächelte melancholisch: „20.“ Zur Wahrung meiner Restwürde entschloss ich mich zu einer dual abgestuften Rückzugsstrategie, kaufte ihr das Lacroix-Hemd für den geforderten Zehner ab und hängte das Karan-Hemd zerschmettert wieder zurück. Über das seither nagende Gefühl, es lieber in meinem Besitz zu haben, tröstet mich auch die Tatsache nicht hinweg, zehn Euro mehr in der Geldbörse zu wissen.

Was es sonst noch gab in Paris (Auswahl): 

gegen Mitternacht ein famoser Gitarrentsunami der legendären Shoegazerband Slowdive (Foto) im Parc de la Villette

– eine merkwürdig holprig konzipierte Van-Gogh-Ausstellung im Musée d’Orsay

– eine durch Abwesenheit glänzende Duchamp-Schau im Centre Pompidou (die nämlich – anders, als es das blöde Internet behauptet – erst ab Oktober läuft)

– herumkrakeelende Jugendliche unterm Fenster unserer Wohnung im 12. Arrondissement, die nachts um 1 von einem gottgeschickten Regenguss nach Hause gespült wurden

– den schönen Kalauernamen „L’or ange“ für einen Saft

Und ab jetzt wieder Kiez. 
Moin.


30 April 2014

„Wie sind Sie denn drauf???“

Schlachthofflohmarkt. Ich befühle versonnen ein feines Wollsakko. Da tritt der Standbetreiber an mich heran und bittet darum, mich dem Sakko doch von der anderen Seite zu nähern. 

Ich schaue ihn an, als hätte er mir gerade erzählt, der Papst schwämme jeden Sonntag nach der Messe in Strapsen durch den Trevibrunnen. „Warum denn das?“, frage ich, nachdem ich mich wieder gefangen habe. 

Weil die Stelle, wo ich gerade stünde und von der aus ich das feine Wollsakko befühle, zum Nachbarstand gehöre, nicht zu seinem. Also solle ich doch bitte um den Garderobenständer herumgehen und das Sakko von der anderen Seite befühlen. 

„Danke“, antworte ich, „jetzt nicht mehr.“ 
Und er, laut: „Wie sind Sie denn drauf???“ 

Trotz solch schrulliger Typen erziele ich auf dem Schlachthofflohmarkt immer wieder bedeutende Kauferfolge. So gelang es mir erst am vergangenen Samstag, eine Boss-Hose aus reiner Schurwolle, eine in Würde gealterte Mustangjeans sowie die Mac-Originalversion des Office-2004-Pakets zu erwerben – für insgesamt 7 Euro!

Mal schauen, ob ich am Samstag auf dem Wiener Naschmarkt ähnlich erfolgreich sein werde.


20 Januar 2014

Ein Fall für den Duden


Spontan dachte ich ja beim Anblick dieses auf dem Schlachthofflohmarkt entdeckten Schildes, bei „Polover“ handele es sich um einen mir bisher unbekannten und besonders zärtlichen Kosenamen für Schwule.

Auch wenn ich schließlich begriff, wie profan der wahre Sachverhalt war, so plädiere ich hiermit doch dafür, den „Polover“ von nun an in den Kanon der Schwulenkosenamen aufzunehmen.

Duden, übernehmen Sie!


23 August 2013

Pareidolie (64)


Was Spiegel-Autor Konrad Lischka gerade gemacht hat, hätte ich ehrlich gesagt auch gekonnt: ein Buch mit Pareidolien zu füllen. Aber wer zu spät kommt, ist nun mal nicht der frühe Vogel, so ist das halt.

Deshalb geht es vorerst hier im Blog weiter mit der Pareidolieserie. Meine wäre auch bestimmt weniger gut vermarktbar, denn im Gegensatz zu Lischkas pareidolischem La-La-Land (Untertitel: „Die Welt steckt voller Lächeln“) geht es hier allzu oft sehr düster, ja manchmal geradezu panisch zu. Wie heute mal wieder.

Entdeckt auf dem Hoheluftflohmarkt.


PS: Eine ganze Galerie gibt es übrigens bei der Pareidolie-Tante. Sie hätte überhaupt als erste ein solches Buch machen sollen. Aber so ein E-Book ist ja schnell gestrickt heutzutage.

09 März 2013

Die gemütlichsten Ecken von St. Pauli (82)


Schon wieder avanciert der samstägliche Flohmarkt auf dem Schlachthofgelände zur gemütlichsten Ecke – aber was soll ich machen, wenn diese arm- und beinlose Puppe sich derart pittoresk vom Märzschnee überzuckern lässt?


09 Februar 2013

Gescheitert beim Verramschen

Die Trainingsphilosophie von Chris, dem Schlächter, kann man kurz und bündig zusammenfassen. Sie lautet: Zuckerbrot und Peitsche – nur ohne Zuckerbrot.

Sein allsamstägliches Vorgehen beim Fitnesskurs ist der Hauptgrund, weshalb ich über den Schlachthofflohmarkt wankte, als spielte ich in einem George-Romero-Film mit, aber keinen von den Lebendigen.

Die trotz dieser anatomischen Einschränkungen tapfer durchgeführte Suche nach Weinraritäten zum kik-Preis führte zu keinerlei Ergebnissen. Wenn ich also schon nichts zu  kaufen finde, dachte ich mir, dann verkaufe ich wenigstens was.

Also suchte ich zu Hause einen Stapel alter CDs zusammen und radelte ächzend in die Feldstraße zu Ruff Trade Records. Ein graubärtiger Althippie saß dort hinterm Tresen. Ich fragte ihn, ob er mir ein paar CDs abnehmen wolle.

„CDs?“, brummte er und schaute, als hätte ich ihn gefragt, ob er sich vorstellen könne, mit mir nach Tuvalu auszuwandern, „die kannste gleich wieder mitnehmen.“ Und das meinte der Mann auch noch ernst; er wollte nicht mal einen Blick in meine Tasche werfen.

Solche Erlebnisse zeigen überdeutlich, dass die Totenglöckchen für dieses kaum 30-jährige Trägermedium längst bimmeln. Mit Vinyl kann man inzwischen wieder richtig was reißen, aber CDs sind oft nicht mal mehr so viel wert wie ein Ersatzjewelcase, das man für das verkratzte alte kaufen muss, damit die CD überhaupt noch was wert ist.

Ich sitze übrigens auf Tausenden dieser Scheiben. Aber das haben Sie sicher schon geahnt.


15 November 2012

Glück im Unglück und im Keks


Neulich vermisste ich meine Kamera. Nirgends war sie zu finden. Ich schickte Rundmails an die üblichen Verdächtigen, ohne Erfolg.

Als ich drei Tage später zu Hause eine Jacke von der Garderobe nahm, sah ich sie plötzlich wieder. Sie hing mittels der Handschlaufe an einem der Jackenknöpfe. Die ohne Zweifel gerichtsfeste Rekonstruktion des Vorfalls lautet hiermit folgendermaßen:

 

Als ich den Parka, in deren Brusttasche sich die Kamera üblicherweise befindet, drei Tage zuvor von der Garderobe genommen hatte, verfing sich die Schlaufe im Knopf der darunter hängenden Jacke. Die Kamera wurde dadurch sanft und unbemerkt herausgezogen und blieb dort baumeln.

Die üblichen Verdächtigen waren also wirklich unschuldig. Das war Vorfall Nummer eins, der glimpflich ausging. Vorfall Nummer zwei betraf mein iPhone. Es befindet sich ebenfalls gerne mal in der Brusttasche des Parkas.

Beim Schlendern übern Flohmarkt fand ich es allerdings zu meiner Verblüffung in der Umhängetasche, in der ich normalerweise Flohmarkfunde wie rare Edelweine verstaue, aber niemals das iPhone.

Auch hier gelang mir dank meiner Sherlock-Holmes-schen Kombiniationsgabe eine lückenlose Beweisführung des Tathergangs: 


Ich hatte in einer Kiste gewühlt, die auf dem Boden stand, und mich tief hinabgebeugt. Dabei war das iPhone klammheimlich aus der Brusttasche gefallen – aber nicht etwa in die Kiste, sondern in meine Umhängetasche, die mir ob meiner gebeugten Körperhaltung und wohl auch in weiser Voraussicht vom Rücken vor den Oberkörper gerutscht war.

All das geschah
direkt vor meinen Augen und doch vollkommen unbemerkt. Zwei entscheidende Gadgets, ohne die mein Leben trübsinnig wäre und voller Harm und Ödnis, sind also aus purem Dummenglück weiterhin in meinem Besitz.

„Mit all dem“, fasste Ms. Columbo diese Slapsticknummern zusammen, „könntest du im chinesischen Staatszirkus auftreten.“ Anscheinend bin ich gebenedeit unter den Schusseln.

Apropos China: Im Asiarestaurant Bok im Schanzenviertel erwischte ich neulich oben abgebildete Glückskeksbotschaft, die meine gesamte Berufslaufbahn der vergangenen 25 Jahre trefflichst auf den Punkt bringt.

Irgendwie ein toll(dreist)er Monat, dieser November, wenn ich dieses Fazit schon mal ziehen darf.

06 November 2012

Entscheidungshilfe erbeten

Auf dem Schlachthofflohmarkt ist mir die abgebildete Flasche Sauternes-Wein von 1967 (!) für einen lächerlichen Preis in die Hände gefallen.

Da der Wert dieser Kreszenz laut einer kurzen fiebrigen Webrecherche aber eher in den dreistelligen Eurobereich hineinlappt, stellt sich mir nun eine (ge)wichtige Frage: trinken oder verticken? Und wenn trinken: mit wem?

Bewerbungen bitte in den Kommentaren.

17 Mai 2012

Ein bisschen aufgesetzt



An einem Tag wie diesem wagt man sich am besten nur vorsichtig aus dem Haus.

Sie nennen diesen Tag Vatertag, und jene Leute, die sich sonst immer erst am Wochenende einen Vorwand zum Saufen auf dem Kiez zurechtreimen, finden ihn nun bereits am Donnerstag.

Unterm Balkon sammeln sie all ihre Kräfte und Alkoholvorräte, über die Hauptstraßen cruisen im Schneckentempo Bierbikes. Ich husche zwischen zwei Regengüssen hinüber in die Schanze zum Flohmarkt und entnehme einer Kostenloskiste eine sozirote Schirmmütze mit der Aufschrift „IG-Metall“. Kann man immer gebrauchen, so was.

„Und, steht sie mir?“, frage ich Ms. Columbo zu Hause, nachdem ich all die Bierbikes und grölenden Suffköppe mit ihren Astrawägelchen unfallfrei umslalomt habe. „Na ja“, sagt sie, „sieht ein bisschen aufgesetzt aus.“

Ich bin halt einfach kein Gewerkschaftstyp.


17 Januar 2012

Es gibt Wurstschneidemaschinen!

Der Sonntag war schön wie Uschi Obermaier anno 68, die Sonne brachte Hamburg zum Leuchten, und wir fuhren weit raus nach Steilshoop, weil dort laut iPhone-App ein Flohmarkt anberaumt war. Allerdings ein spezieller, wie sich herausstellte.

Wir wussten vorher kaum etwas über Steilshoop, haben aber seit diesem Ausflug eine ungefähre Vorstellung von der Zusammensetzung der dortigen Population – zumindest, wenn man die Flohmarktstände als Datenbasis zugrundelegen darf.

Praktisch jeder Steilshooper Flohmarktanbieter hatte sein Angebot nämlich auf die Bedürfnisse von Besuchern mit breitgefächertem Migrationshintergrund abgestellt. Es gab polnische Pierogi, die in der Wintersonne klammheimlich ihr Mindesthaltbarkeitsdatum heruntersetzten, ein Händler offerierte „Hausschuhe für zwei Euro!“, und zwar welche, die gefüttert waren mit original Lammfellimitat, und komplette Kunstfaserbettgarnituren wurden für sagenhafte acht Euro unter die dankbaren Völker dieser Welt gebracht.

Auch Handyschalen gab es sonder Zahl, russische und türkische Wortfetzen tanzten Ringelreihen in der frostigen Luft, und an einem Stand stapelten sich für kleines Geld die unfassbarsten Küchenhelfer. Darunter auch der „Wurst-Schneider Curry Max Das Original“, bekannt aus der TV-Werbung.

Kein Zweifel: Dieser Steilshooper Flohmarkt war an einem Tag, der so schön war wie Uschi Obermaier anno 68, auch eine etwas weitere Anreise wert, selbst wenn wir, Ms. Columbo und ich, dort draußen als Zielpublikum völlig versagten. Doch vielleicht entwickeln wir uns ja noch, man kann nie wissen.

Dieser Schokobrunnen für zehn Euro brachte mich jedenfalls schon mal ins Grübeln, verdammt.


29 November 2011

Die Menschen sind schlecht



Der Franke hat an seinem Rad zunächst unter ungeklärten Umständen Tretlager und Gangschaltung gefetzt, alles dann für schmerzhafte 163 Euro reparieren und es sich direkt in der Nacht darauf klauen lassen.


Ein Schicksal, welches mich derart rührt, dass ich mir jeden Scherz darüber verkniffen habe, und ich finde, das sollte der Franke mir hoch anrechnen. Ich würde mich allerdings sehr wundern, wenn er das täte.

Jetzt stromern wir gemeinsam über den Schlachthofflohmarkt, um nach einem neuen Rad Ausschau zu halten. Der Franke aber ist unkonzentriert, denn er befindet sich in jenem Opfermodus, den ich auch schon fünfmal durchlaufen habe: Er scannt mit flackerndem Blick die Bestände sämtlicher Fahrradanbieter in der Hoffnung, sein eigenes darunter zu entdecken.

„Ich bin paranoid“, gibt er unumwunden zu – und auch, dass er überlegt hat, ganz Hamburg mit Plakaten zu pflastern, auf denen sein Fahrrad abgebildet ist sowie der putzige Spruch: „Ich kriege dich, du Dreckschwein!“

Traurig zeigt er mir stattdessen die Fotos seines verschollenen Lieblings, die er zufällig mit sich führt, und wäre jetzt das Dreckschwein von Dieb zugegen, er gäbe das Rad vor lauter Mitleid bestimmt freiwillig zurück.

Doch wir müssen nach vorne blicken, ganz generell, und ich mache mich spontan stark für ein ordentlich wirkendes TCM-Alurad (Foto), für das der Franke nach Händlerangaben 95 Euro latzen soll.

„Fahren Sie Probe!“, lockt der Verkäufer, als er den Franken zweifeln sieht – und schon
schwingt sich der Gebeutelte aufs Rad und karriolt damit munter davon. Der Händler will ihn noch stoppen, doch zu spät: Gäbe es hier Berge, der Franke wäre längst über alle.

„Keine Sorge, ich bleibe hier als Pfand“, beruhige ich den unruhigen Mann, der, wie sich herausstellt, zurecht besorgt dem entschwindenden Franken hinterherschaut, denn schon zweimal ist er Opfer unehrlicher Probefahrer geworden. Einmal, erzählt er mir (seiner Geisel) habe eine sympathisch wirkende Frau ihn betuppt.

„Sie war jung und charmant, sie sah harmlos aus“, sagt er, „wie eine Studentin.“ Er betont Studentin auf eine Weise, die ein verwunderliches Grundvertrauen in diese Spezies Mensch signalisiert, welches allerdings längst den Gang alles Irdischen gegangen ist.

Denn die junge Frau kam nicht wieder mit dem Rad, für das der Händler eigentlich 250 Euro haben wollte. Ein andermal ließ ein Probefahrer als Pfand eine Tasche da, die sich allerdings, nachdem er auf Nimmerwiedersehen geflohen war, als öd und leer entpuppt hatte.

Der Händler ist also ein gebranntes Kind. Er scheint daher entschlossen, so etwas nie mehr geschehen zu lassen, und sollte der Franke nicht zurückkehren, wird er mich zweifellos für den Rest meines Lebens Ketten ölen lassen.

Doch da kommt der unheilbar katholisch kontaminierte Würzburger auch schon wieder angeeiert, stellt das Rad ab und sagt: „Nein, doch nicht.“ Wie viel er denn geben würde statt der 95, fragt der Händler, und der Franke sagt „70“, und der Händler sagt: „Geht klar.“

Fast habe ich das Gefühl, als sollte nicht das Rad, sondern ich ausgelöst werden. Und so ganz falsch ist das ja auch nicht.

03 Oktober 2011

Neues unter der Sonne



Dieser Sommer mitten im Herbst macht alle Leute kirre. Gestern auf dem Flohmarkt kramte ich eine CD aus einer Kiste und sagte zum Standbesitzer: „Okay, die nehm ich für zwei.“

Er antwortete: „Komm, gib mir einen.“

Und meinte das ernst.

Noch nie erlebt, so was – genauso wenig wie das Frisbeespielen in der Ostsee an einem 2. Oktober, freundlich bewacht von still im Himmel stehenden Drachen.

Man erlebt halt auch im gesetzteren Alter immer wieder neue Dinge, und so lange es solche sind wie an diesem Wochenende, werde ich den Teufel tun und das anprangern.

25 August 2011

Hm, leckeres Graubrotsushi!



Das Grafikbüro, welches einst den Auftrag erhielt, das abgebildete Sushibuch mit einer Titelillustration zu versehen, finde ich deswegen so rührend, weil es wirklich alles falsch gemacht hat.

Gehen wir die Elemente mal einzeln durch:

– Eine Dorade? Kein Sushifisch.
– Ein Messweinpokal? Keineswegs ein adäquates Behältnis für den Riesling zum Sashimi.
– Ein Graubrot? Wer um alles in der Welt assoziiert zum Sushi GRAUBROT?

Dieses haarsträubend fehlkompilierte Ensemble dann auch noch in eine Plastikschale zu legen und eine Folie drüberzuziehen: mutig. Ich denke mal, das Buch war nicht der vom Verlag erwartete Verkaufsschlager.

Immerhin aber habe ich es am Wochenende auf dem Alsterdorfer Flohmarkt entdeckt, irgendjemand muss es also mal bewusst erworben haben.

Und beinah hätte ich nach dem Preis gefragt. Beinah.

22 August 2011

Die Jo-Jos der Avantgarde



Eine Frau in mittleren Jahren verteilt die Zeitschrift „Spartakist“, es riecht nach Bratwurst und gebrannten Mandeln. Rastafaris verkaufen tropische Cocktails, vor der Roten Flora gibt es „Soli-Bier“ für einszwanzig, am Kuchenstand läuft Punk. Schwangere Mütter mit bereits geschlüpftem Nachwuchs im Tragetuch blättern in Kisten mit angeschmuddelten Platten der Dead Kennedys, und trotz der Hitze würden viele hier eher auf Dixieklos verzichten als auf ihr Palästinensertuch:


Hach, ich liebe das Schanzenfest.

Es erinnert mich an alte Studienzeiten in Marburg. Man fühlt sich links und gut, das ganze Schulterblatt ist gesperrt, Tausende schieben sich übers Pflaster, vorbei an Transparenten und Ständen mit veganem Hack, und ich mit meinem Rad mitten in der Masse, während eine Frau rechts von mir ihrem Begleiter zuraunt: „Warum müssen diese Leute auch ihr Fahrrad mitbringen …“


Tagsüber ist das Schanzenfest ein wunderbarer Ort voller Sonne, Familien und aufrecht ums Weltwohl Besorgter, doch wenn es dunkel wird, brennen seit einigen Jahren rituell die Barrikaden.

Als ich allerdings einen Flohmarktstandbesitzer rufen hörte: „Leude, seid Teil der Avantgarde, kauft Jo-Jos!“, da wusste ich, dass es abends nicht so schlimm werden würde wie sonst. Und genauso kam es auch: ein bisschen wurde gezündelt und gekloppt, fünf Polizisten mussten zum Arzt – Pipifax gegenüber 2010.

Wer genau da jährlich an jedem Schanzenfestabend jeweils mit Ansage rummarodiert, ist mir allerdings inzwischen noch unklarer als in den Jahren zuvor. Anlass zu dieser Verunsicherung gibt dieses YouTube-Video.

Dort ist nämlich ein Mann zu sehen, der die pyromanischen Kinderspiele allem Anschein nach dazu nutzt, um den richtigen Winkel des Hitlergrußes zu üben, und zwar mit dem linken Arm (ab 00:55). Doch keiner aus der Menge beweist ihm, dass man auch mit dem zusammengeknüllten „Spartakist“ sehr gut ein Maul stopfen kann.

Wo seid ihr, liebe Selbstreinigungskräfte, wenn man euch mal braucht?


12 Juli 2011

Grenzerfahrung in der Hafencity



Vor zwei Jahren nahm ich schon einmal das spezifische Flohmarktsortiment in der Hafencity unter die Lupe und kam zu interessanten soziologischen Erkenntnissen. Am Sonntag waren wir mal wieder da, um erneut die Anwohner von Magellanterrassen und Sandtorkai beim Ausmisten zu beobachten.

Diesmal auffällig oft vertreten: Nippes, den man von Flugreisen übrigbehält. Also Schirmmützen der Lufthansa, Rucksäcke von Condor, Einwegschlappen aus Luxushotels – sowie ein zauberhafter Strohhut mit der Banderolenaufschrift „Sheraton-Grande Lacuna Beach Phuket“, den ich augenblicks erstehen musste (aus Gründen), und zwar für faire drei Euro. Der Herr in den besten Jahren, der ihn mir verkaufte, begründete seine Entscheidung damit, sein Kopf sei mittlerweile „zu groß geworden“.

Ich fand das merkwürdig, weil gemeinhin mit dem Alter eher Körperpartien wie Bauch, Hüfte oder Oberschenkel dazu neigen, Lebensjahre kongenial in Speckzuwachs umzusetzen, doch vielleicht unterscheidet ja gerade das die Hafencitybewohner essenziell von Kiezianern oder Eimsbüttlern.

Gleichwohl verstörte mich etwas anderes weitaus mehr, nämlich das Cover der abgebildeten Vinylsingle.

Klar, die Popgeschichte ist überreich an ästhetischen Verirrungen, ja Vollkatastrophen, doch dieses Exemplar einer gewissen Claudia Phillips, die den Begriff „Brustimplantat“ auf bestürzende Weise neu interpretiert und dazu grellstens grimassiert, als schöbe man ihr gerade einen Skorpion ins Rektum, gehört in seiner Scheußlichkeit sicherlich zu den herausragenden Beispielen.

Es ist also völlig nachvollziehbar, weshalb ein Hafencitybewohner sich lieber vorgestern als übermorgen von der dreiköpfig mutierten Frau Phillips trennen möchte. Die entscheidende Frage aber lautet doch: Wie ist er überhaupt in den Besitz dieser Platte gelangt? Wurde er irgendwo auf der Welt, vielleicht im Folterkeller des Sheraton-Grande Lacuna Beach Phuket, unter Androhung roher körperlicher Gewalt zum Kauf gezwungen?

Ich habe mich nicht getraut zu fragen. Schließlich gibt es Grenzen.

03 Juli 2011

Das Wetter spielte mit



Um den Schlachthofflohmarkt (Foto) tut’s mir natürlich Leid.


Aber bin ich eigentlich ein schlechter Mensch, wenn ich mich klammheimlich über punktgenaue Sturmböen und Dauerregen beim Schlagermove gefreut habe?

Ich frage für mein Karma.