27 Oktober 2022

Zwischen Kontrolle und Kontrollverlust



Nach meinem bescheidenen Dafürhalten lohnt sich der Kauf einer Fahrkarte für den öffentlichen Personennahverkehr nur dann so richtig, wenn man unterwegs auch ordnungsgemäß kontrolliert wird. Ich weiß, es ist grundfalsch und unmoralisch, so zu denken, aber nach einer längeren Fahrt unbehelligt wieder aussteigen zu müssen, fühlt sich an, als sei der Erwerb des Tickets eine Fehlinvestition gewesen.

Mit einem gewissen Behagen sah ich deshalb heute in der S21 irgendwo zwischen Bergedorf und Hauptbahnhof zwei unbeteiligt dreinblickende Herren in gelben Signalwesten zusteigen. Das Behagen rührte vom präventiven Erwerb eine Tageskarte, und bereits beim Anblick der Herren war unmittelbar klar, dass dies keine Fehlinvestition gewesen war. Ich blickte also vorfreudig dem Augenblick entgegen, da ich sie zücken und somit die Legitimität meiner Anwesenheit in der S21 nachweisen konnte. Ein schöner Tag.

Die Gelbwesten näherten sich meiner Position, wurden aber zunächst aufgehalten. Ein junger Mann zeigte eine Abokarte vor, die noch nicht gültig war. Ein Ticket aus der Zukunft also. Das die Gegenwart betreffende hatte er wohl zu Hause vergessen. Immerhin räumten die beiden ihm eine Frist von einer Woche ein, um sie nachträglich vorzuzeigen. Bei mir lief dann alles glatt – ich hatte ja eine Tageskarte! Und sie ungerührt und nonchalant vor den Scanner gehalten. Tschacka.

Hinter mir aber braute sich alsbald etwas zusammen. Ein Pärchen wurde kontrolliert, sie hatte eine Karte, er nicht. Eine Diskussion entspann sich, in deren Verlauf sich herauskristallisierte, dass er – obzwar ohne gültigen Fahrschein – seinen Ausweis nicht vorzeigen wollte. Es ging hin und her, man tauschte – nun ja – Meinungen aus, bis einer der Kontrolleure sagte: „Dann steigen wir jetzt aus und rufen die Polizei.“

Spätestens jetzt hätte ich mich an seiner Stelle in mein Schicksal gefügt, meine Schwarzfahrerei vielfach verflucht und die 60 Euro Strafe, sofern in ausreichender Höhe in bar verfügbar, gezahlt. Nicht so der ticketlose Ausweisvorzeigeverweigerer. Er wollte es drauf ankommen lassen. Während seine Freundin schweigend sitzen blieb und sich ihren Teil dachte, eskortierten die Gelbwesten ihn hinaus.

Kaum dass sie den Bahnsteig betreten hatten, suchte der Mann sein Heil in der Flucht, doch die ÖPNVler waren auf dem Quivive, schnappten ihn sich, er schlug um sich, man rangelte und raufte, und schließlich gelang es den Gelbwesten, den Mann an die Wand zu drücken. Noch während des Kampfs hatte sich seine Freundin schließlich doch dazu entschlossen, ihrem Hornochsen beizustehen, und den Waggon verlassen.

„Alan“, sagte sie, „nun beruhige dich doch mal.“ Aber nix da, Alan wollte sich nicht beruhigen, sondern überwältigt werden, auf dass seine Strafe weit über die 60 Euro hinausginge, das war er sich schuldig und eine Frage der Ehre, dann lieber vor Gericht, als klein beizugeben, das wäre doch gelacht. Übrigens trug er die ganze Zeit aufs Akkurateste seine Maske, auch noch, als er bewegungsunfähig die Wand küsste. Wenigstens die Coronaregeln waren für ihn sakrosankt, dafür Daumen hoch.

Da ich ja – habe ich das schon erwähnt? – eine Tageskarte hatte, enterte ich, zurück in Hamburg, an den Landungsbrücken aus Jux und Dollerei die Fähre 62 und schaukelte bei spätsommerlichen 20 Grad an den abgebildeten Hafenkränen vorbei nach Finkenwerder und zurück. Leider wurde ich nicht mehr kontrolliert.




24 Oktober 2022

Gepriesen sei die Müllabfuhr!

Immer wieder kommt es vor, dass ein Hornochse denkt, es sei angebracht und überhaupt nichts dabei, seinen Müll einfach auf die Straße zu kübeln, weil ja eh schon genug davon herumliegt auf St. Pauli. In der Tat begegnen viele Benutzer unseres Viertels – wahrscheinlich mehrheitlich welche, die nicht hier wohnen – dieser Angewohnheit empörend gelassen.

Ich gehöre nicht dazu. Müll stört mich. Man kann es auf folgenden Nenner bringen: Mich stört alles, was Tauben erfreut. Zwischen uns gibt es einfach keinen gemeinsamen Nenner. Deshalb mag ich auch Möwen: weil Tauben genau das nicht tun. Tauben sind der definitive Kontraindikator, und wer sich jetzt echauffieren möchte über dieses scheinbar grundlos ungerechte Federviehbashing, dem rufe ich zu: Wir haben eine gemeinsame Geschichte, wir und die Tauben! Sie besteht aus mehreren Kapiteln (1, 2, 3, 4) und ist nicht schön.    

Jedenfalls meldete ich den Haufen vor der Spielothek am Tag nach der Entdeckung via App der Hamburger Stadtreinigung. Da hatte er, der Haufen, bereits damit begonnen, in einen gewissen Zerfledderungsprozess überzugehen. Im Fußball würde man sagen: Er vergrößerte auf regelwidrige Weise seine Körperfläche.

Nach meiner Meldung, da war ich mir sicher, würde erst mal nicht viel passieren. Außer dass Tauben drin herumstolzieren, prekär aufgestellte Passanten den Schandfleck nach Brauchbarem durchwühlen und flanierende Torkler aus dem Umland ihren mitgeführten Restmüll ebenfalls dem Haufen überantworten würden. Denn er war ja schon da, und eine Astradose mehr oder weniger würde doch wohl an der Gesamtlage kaum etwas ändern. TUT ES ABER!

Egal. Als ich am Tag nach der Müllmeldung via App morgens auf den Balkon hinaustrat, um mir beim Zähneputzen den spätsommerlichen Oktoberwind um die Nase wehen zu lassen, sah ich kaum Glaubliches (vgl. unteres Bild): nämlich kein Fitzelchen Müll mehr. 

Die Stadtreinigung Hamburg, diese gebenedeite unter allen Anstalten des öffentlichen Rechts, hatte es über Nacht vermocht, den Müllhaufen auf Nimmerwiedersehen verschwinden zu lassen, und dafür gebührt ihr jeder verfügbare Jubel und Lobpreis. 

Sogar dann, wenn es vielleicht nur ein schöner dummer Zufall war.




05 Oktober 2022

Die gemütlichsten Ecken St. Paulis (179)


Bei der morgendlichen Flanage über den Panoramaweg in St. Pauli geriet mir gestern unversehens ein äußerst imposantes Gebäude in den Blick, das ich sogleich fotografisch dokumentieren musste. 

Jemand vielleicht eine Idee, um was es sich dabei handelt?