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04 Dezember 2013
Es war echt subber
Nach fast 3.500 Seemeilen – das ist ein Sechstel des Erdumfangs – sind wir zurück von der Schiffsreise, und Hamburg feiert dieses Ereignis standesgemäß: mit Orkan und Sturmflut. Wir fühlen uns geschmeichelt – aber auch ein wenig fröstelig.
Vergangene Woche noch schwitzten wir bei 29 Grad am Rand der Negevwüste, jetzt glaubt der Kiez uns mit Nieselregen nahe null bezirzen zu können. Aber das funktioniert nicht, Kiez! Immerhin bleiben uns schöne Erinnerungen, die uns niemand mehr nehmen kann. Zum Beispiel unser Vierertisch beim Abendessen.
Unsere kleine Runde nämlich wurde von einem wunderbaren älteren Ehepaar komplettiert, das ausgerechnet woher kam? Aus FRANKEN! Die beiden aus einem Dörfchen nahe Schweinfurt unterhielten uns knapp zwei Wochen lang mit Anekdoten und Tragödien, mit Wärme, Witz und Bratenrezepten; es war das reinste Vergnügen. Und beim Abschied fanden die beiden uns ebenfalls „Subber! Gans subber!“
In Izmir erstaunte uns die geringe Kopftuchquote, die uns niedriger schien als in Hamburg; für Erdogan gibt es also noch viel zu tun. Ein Händler in der Altstadt rief uns zu: „Wir habbe eine Lade mit Originalkopie! Lederjacke, alles!“ So wird das schon rein urheberrechtlich schwer mit dem EU-Beitritt, liebe Izmirer, Ankararer etc.
In Athen hatte es am Tag vor unserem Besuch geschüttet wie verrückt, Land und Luft waren blitzeblankgespült, und somit erblickten wir von der Akropolis aus etwas, was man sonst von dort aus niemals sieht: Athen!
In Rom war es so unglaublich kalt (16 Grad!), dass die Gladiatorendarsteller vorm Kolosseum Socken trugen. „Wenigstens schwarze“, versuchte Ms. Columbo das empörend Unhistorische dieser Situation zu beschönigen. In einer Kaffeebar dort tranken wir den teuersten Espresso unseres Lebens (3,30 Euro für eine extrakleine Pfütze) und versuchten uns zu rächen, indem wir keinen Cent Trinkgeld gaben, aber es wollte sich keinerlei Genugtuung einstellen.
In Jerusalem focht ich einen zähen Kampf mit einem Busfahrer aus. Er fuhr die Klimaanlage trotz meiner Interventionen immer wieder auf eisige 18 Grad runter, was eine deutlich zu große Differenz zu den tropischen Außentemperaturen darstellte, als dass ich mir keine Klimaanlagenerkältung hätte zuziehen können. Und so kam es, wie es kommen musste: Erst musste ich mich dem Busfahrer beugen und bereits am nächsten Tag dem Schnupfen.
Tja, und in Tel Aviv schwebte ein Baum in der Luft.
01 Dezember 2013
Todsünde Toast Hawaii
Oh Mann, wer hätte gedacht, dass ich mitten im Garten Gethsemane, wo Judas Jesus einst den römischen Häschern auslieferte, an die Reeperbahn erinnert werde …?!
In Gethsemane jedenfalls ist noch mehr verboten als auf dem Kiez, sogar Essen, Rauchen, Gassigehen, Sommerkleidung und Fahrradfahren. Dafür stuft man – im Gegensatz zu St. Pauli – Messer, Baseballschläger und Pfefferspray offensichtlich als unbedenklich ein.
Israel ist sowieso reich an Kuriosiäten, vor allem kulinarisch. An Meeresgetier zum Beispiel wird nur das verzehrt, was Schuppen hat. Ein Riesenglücksfall für Krabben, Hummer, Tintenfische oder Aale. An Landtieren hingegen kommt dem Israeli nur das auf den Tisch, was wiederkäut. Alle anderen haben Schwein gehabt.
Niemals dürfen zudem Milch- und Fleischprodukte zusammen gegessen werden. Ein Käse-Schinken-Sandwich? Der Horror! In israelischen McDonald’s-Filialen gibt es selbstverständlich keine Cheeseburger. Somit darf auch die vielköpfige Zielgruppe der Orthodoxen dort essen – weil sie sicher sein kann, kein Besteck vorgesetzt zu bekommen, das irgendwann mal mit Milch UND Fleisch in Berührung gekommen ist. Das wäre dann nämlich nicht mehr koscher, und eine Nutzung würde ihr ewiges Seelenheil gefährden.
Diese Verzehrvorschriften sind durchaus nicht nur unter gläubigen Juden verbreitet, sondern gleichsam zur allgemeinen Esskultur geworden.
Wenn sich also am Ende aller Tage herausstellen sollte, dass dummerweise doch der Gott der Juden der einzig wahre war, dann sind alle am Arsch, die mal einen Toast Hawaii gegessen haben. Willkommen im Club, meine Lieben.
Und damit zurück ins gute, alte Europa.
In Gethsemane jedenfalls ist noch mehr verboten als auf dem Kiez, sogar Essen, Rauchen, Gassigehen, Sommerkleidung und Fahrradfahren. Dafür stuft man – im Gegensatz zu St. Pauli – Messer, Baseballschläger und Pfefferspray offensichtlich als unbedenklich ein.
Israel ist sowieso reich an Kuriosiäten, vor allem kulinarisch. An Meeresgetier zum Beispiel wird nur das verzehrt, was Schuppen hat. Ein Riesenglücksfall für Krabben, Hummer, Tintenfische oder Aale. An Landtieren hingegen kommt dem Israeli nur das auf den Tisch, was wiederkäut. Alle anderen haben Schwein gehabt.
Niemals dürfen zudem Milch- und Fleischprodukte zusammen gegessen werden. Ein Käse-Schinken-Sandwich? Der Horror! In israelischen McDonald’s-Filialen gibt es selbstverständlich keine Cheeseburger. Somit darf auch die vielköpfige Zielgruppe der Orthodoxen dort essen – weil sie sicher sein kann, kein Besteck vorgesetzt zu bekommen, das irgendwann mal mit Milch UND Fleisch in Berührung gekommen ist. Das wäre dann nämlich nicht mehr koscher, und eine Nutzung würde ihr ewiges Seelenheil gefährden.
Diese Verzehrvorschriften sind durchaus nicht nur unter gläubigen Juden verbreitet, sondern gleichsam zur allgemeinen Esskultur geworden.
Wenn sich also am Ende aller Tage herausstellen sollte, dass dummerweise doch der Gott der Juden der einzig wahre war, dann sind alle am Arsch, die mal einen Toast Hawaii gegessen haben. Willkommen im Club, meine Lieben.
Und damit zurück ins gute, alte Europa.
29 November 2013
Mitten im Religionsoverkill
An der Klagemauer werden die Betenden nach Geschlechtern getrennt. Männer links, Frauen rechts – inoffizielle Begründung: damit die Schläfenlockenträger beim Gebet nicht hormonell herausgefordert werden.
So etwas entlarvt auf hübsche Weise, für wie wenig kraftspendend die Gläubigen letztlich ihren Schöpfer halten, der ja auch ihre Hormone schuf. Überhaupt wirkt Jerusalem, obwohl es bis obenhin vollgestopft ist mit monotheistischem Religionsoverkill, wie eine gewaltige Säkularisierungsmaschine.
Denn der Kitsch allenthalben ist zum Weglaufen. An der Stelle in der Grabeskirche, wo Jesus gekreuzigt worden sein soll, glimmt und glitzert es wie am Wochenende in Las Vegas. „Sieht aus wie ein Lampengeschäft“, kommentiert Ms. Columbo das große Baumeln von der Decke.
Alle halten ihre Handys und Tablets hoch, um zu fotografieren, manche kriechen untern Steintisch, der vorm Kreuz steht, um knieend zu beten. Andere breiten ihre PVC-Rosenkränze und strassbesetzten Plastikkreuze auf der Platte aus, wo ihr Heiland angeblich vor der Beerdigung präpariert wurde, und küssen und streicheln den Stein.
Wer nicht spätestens hier begreift, dass Religionen nur mehr oder weniger geschickt konzipierte Produkte verkaufen, während sie parallel Ängste schüren, vor denen ebenjene Produkte die zitternden Kunden dann wieder erlösen sollen, der begreift es nimmermehr.
In einem christlichen Nippesladen in Bethlehem, den wir vorher besucht hatten, verkaufen sie ein sehr europäisch wirkendes Jesusbaby aus Holz oder Plastik, das anscheinend bereits betend dem Mutterleib entschlüpft ist. Kitsch as Kitsch can.
Dennoch duschen die jahrtausendealten Jerusalemer Mauern und Steine uns mit einem wahren Aurawasserfall. Schließlich hätte sich ein Großteil der orientalischen und abendländischen Politik, Geschichte und Kultur ohne diese Stadt und die Region komplett anders entwickelt.
Was hier gedacht und getan wurde, beeinflusst weltweit Milliarden Menschen in ihrem Denken und Tun. Abermillionen wurden im Lauf von rund fünf Jahrtausenden gefoltert, getötet, verachtet, geschnitten und vertrieben, nur weil hier ein paar Mythen mit Moral ausgetüftelt und von zwölf Göttern elf gestrichen wurden. Eine unfassbar langlebige, uns dadurch durchweg alle betreffende und beeinflussende Wirkungsgeschichte – und genau deshalb so faszinierend.
All das steckt in den Steinen von Jerusalem. Am Sockel der Klagemauer ist das sogar sichtbar. Bis in ungefähr 1,80 Meter Höhe hat die Patina von zweitausend Jahren ihn dunkel eingefärbt. Es ist das hinterlassene Körperfett von fast hundert Generationen von Menschen, die mit ihren Köpfen und Händen die Mauer berührten.
Auch ich fasse sie an – und erwäge sogar, irgendetwas (genauer gesagt: meine Visitenkarte, weil ich sonst überhaupt nichts Zettelähnliches dabeihabe) in eine der Ritzen zu stopfen. Zugleich bekämpfe ich mühsam den Impuls, zum Ausgleich eine der zahlreichen bereits dort steckenden Botschaften an mich zu nehmen.
Gut, dass ich widerstand, denn es hätte sich sowieso nicht gelohnt. Zum einen könnte ich die Sprache nicht lesen, zum andern enthalten diese Zettel mit hoher Wahrscheinlichkeit nur lauter kleine lächerliche egoistische Bitten an eine Schimäre. Die der Männer links, jene der Frauen rechts.
In der Via Dolorosa, dem Kreuzweg, gibt es übrigens seit mindestens zweitausend Jahren kein offenes WLAN. Nicht mal ein verschlüsseltes.
So etwas entlarvt auf hübsche Weise, für wie wenig kraftspendend die Gläubigen letztlich ihren Schöpfer halten, der ja auch ihre Hormone schuf. Überhaupt wirkt Jerusalem, obwohl es bis obenhin vollgestopft ist mit monotheistischem Religionsoverkill, wie eine gewaltige Säkularisierungsmaschine.
Denn der Kitsch allenthalben ist zum Weglaufen. An der Stelle in der Grabeskirche, wo Jesus gekreuzigt worden sein soll, glimmt und glitzert es wie am Wochenende in Las Vegas. „Sieht aus wie ein Lampengeschäft“, kommentiert Ms. Columbo das große Baumeln von der Decke.
Alle halten ihre Handys und Tablets hoch, um zu fotografieren, manche kriechen untern Steintisch, der vorm Kreuz steht, um knieend zu beten. Andere breiten ihre PVC-Rosenkränze und strassbesetzten Plastikkreuze auf der Platte aus, wo ihr Heiland angeblich vor der Beerdigung präpariert wurde, und küssen und streicheln den Stein.
Wer nicht spätestens hier begreift, dass Religionen nur mehr oder weniger geschickt konzipierte Produkte verkaufen, während sie parallel Ängste schüren, vor denen ebenjene Produkte die zitternden Kunden dann wieder erlösen sollen, der begreift es nimmermehr.
In einem christlichen Nippesladen in Bethlehem, den wir vorher besucht hatten, verkaufen sie ein sehr europäisch wirkendes Jesusbaby aus Holz oder Plastik, das anscheinend bereits betend dem Mutterleib entschlüpft ist. Kitsch as Kitsch can.
Dennoch duschen die jahrtausendealten Jerusalemer Mauern und Steine uns mit einem wahren Aurawasserfall. Schließlich hätte sich ein Großteil der orientalischen und abendländischen Politik, Geschichte und Kultur ohne diese Stadt und die Region komplett anders entwickelt.
Was hier gedacht und getan wurde, beeinflusst weltweit Milliarden Menschen in ihrem Denken und Tun. Abermillionen wurden im Lauf von rund fünf Jahrtausenden gefoltert, getötet, verachtet, geschnitten und vertrieben, nur weil hier ein paar Mythen mit Moral ausgetüftelt und von zwölf Göttern elf gestrichen wurden. Eine unfassbar langlebige, uns dadurch durchweg alle betreffende und beeinflussende Wirkungsgeschichte – und genau deshalb so faszinierend.
All das steckt in den Steinen von Jerusalem. Am Sockel der Klagemauer ist das sogar sichtbar. Bis in ungefähr 1,80 Meter Höhe hat die Patina von zweitausend Jahren ihn dunkel eingefärbt. Es ist das hinterlassene Körperfett von fast hundert Generationen von Menschen, die mit ihren Köpfen und Händen die Mauer berührten.
Auch ich fasse sie an – und erwäge sogar, irgendetwas (genauer gesagt: meine Visitenkarte, weil ich sonst überhaupt nichts Zettelähnliches dabeihabe) in eine der Ritzen zu stopfen. Zugleich bekämpfe ich mühsam den Impuls, zum Ausgleich eine der zahlreichen bereits dort steckenden Botschaften an mich zu nehmen.
Gut, dass ich widerstand, denn es hätte sich sowieso nicht gelohnt. Zum einen könnte ich die Sprache nicht lesen, zum andern enthalten diese Zettel mit hoher Wahrscheinlichkeit nur lauter kleine lächerliche egoistische Bitten an eine Schimäre. Die der Männer links, jene der Frauen rechts.
In der Via Dolorosa, dem Kreuzweg, gibt es übrigens seit mindestens zweitausend Jahren kein offenes WLAN. Nicht mal ein verschlüsseltes.
28 November 2013
Wenn Israel dir tief in die Augen schaut
Bereits hunderte Kilometer vor der Ankunft im Hafen von Ashdod (Foto) kommen israelische Grenzer an Bord und nehmen jeden einzelnen Passagier unter die Lupe, selbst wenn er gar nicht vorhat, in Ashdod an Land zu gehen.
Über 3000 Leute müssen also nach und nach zur Gesichtskontrolle. Ms. Columbo und ich haben Massel und werden unbeanstandet durchgewinkt. Puh.
Die Paranoia der Israelis ist nachvollziehbar. Als einzigem Land der Welt wird ihnen unverhohlen mit Auslöschung gedroht (Iran), sie werden von Nachbarn mit Raketen beschossen (Hamas et. al.) und seit Jahrhunderten von Antisemiten aus aller Welt für sämtliche globalen Probleme verantwortlich gemacht. Da kann man (= weiblich, blond, Mitte 20) schon mal Matt Wagners Reisepass aufklappen und ihm tief in die Augen schauen.
Immerhin lässt Israel uns ohne Visum ins Land – aber nur, weil wir nach 1928 geboren sind. Wer bei Kriegsende mindestens 17 war, muss mit einem intensiveren Vergangenheitscheck rechnen, ehe er willkommen geheißen wird. Ein Verfahren, das allerdings über kurz oder lang auch den letzten Rest Relevanz verlieren wird. Die Methode Demjanjuk.
Übrigens drückt Israel uns dankenswerterweise keinen Einreisestempel in den Reisepass, sondern händigt uns eine lose Besuchsgenehmigung aus. Nur so können wir künftig, wenn wir möchten, auch gewisse andere Länder der Region besuchen, die uns mit einem jüdischen Stempel im Pass den Einlass strikt verwehren würden.
Diese israelische Kulanz finde ich rührend, denn eigentlich müsste es ihnen ja egal sein, ob wir irgendwann mal Ärger mit Meschuggen bekommen oder nicht. So aber könnten wir uns auch künftig nach Herzenslust in Teheran oder Damaskus vom Staatsfernsehen mit antisemitischer Propaganda berieseln lassen.
Ja, so eine Demokratie hat schon was für sich. Trotz zweifellos rumpeldummer Siedlungspolitik.
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