29 Juli 2014

Geklebt und nicht vernäht

„Hey, German Psycho“, sagte ich neulich abends in einer Kiezbar zu German Psycho, „wissen Sie, was er hier …“ – und dabei zeigte ich auf unseren Tischnachbarn, einen bezopften und kurzbehosten Serben aus Frankfurt – „… mir gerade erzählt? Er habe Armani-Anzüge im Schrank, die er seit 25 Jahren nicht mehr rausgeholt hat.“

German Psycho schaute hoch, ohne zu blinzeln. „Sie sind ja auch“, sagte er, „geklebt und nicht vernäht.“
 
Das bringt alles auf den Punkt. Alles.

Und gibt mir Gelegenheit, diesen Blogeintrag mit dem unlängst auf dem Flohmarkt geschossenen Armani-Sakko zu dekorieren. Wahrscheinlich ist es geklebt und nicht vernäht. 

Ich sollte es 25 Jahre lang in den Schrank hängen und nicht mehr rausholen.

21 Juli 2014

„Unterwegs einloggen? Geht nicht.“

Im Sommer vor 18 Jahren, also im Pleistozän des Internets, interviewte ich die amerikanische Autorin J.C. Herz. Anlass war die deutsche Ausgabe ihres Buches „Surfing on the Internet“. 

Damals, 1996, fühlte ich mich ziemlich fachkundig, schließlich hatte ich Erfahrung mit BTX und seit ungefähr drei Jahren ein Mailkonto bei dem total hippen US-Dienst CompuServe (was ist aus dem noch mal geworden?). Mit dem Internet, wie J.C. Herz es verstand – also das Kommunizieren in Newsgroups mithilfe von Ascii-Text, so eine Art prähistorisches Simsen  –, hatte ich allerdings keinerlei Erfahrung. 

Es ist lustig, dieses wenig glanzvolle, aber doch erhellende Interview heute noch mal zu lesen. Herz sagt unerhörte Sachen wie „Am College hat jeder eine Mailadresse“ oder träumt von Kabelmodems. Manches wirkt ungewollt prophetisch, anderes naiv und vieles putzig aus Sicht der Smartphoneära von heute. 

Grund genug jedenfalls, dieses höchst angestaubte Fundstück aus dem Pleistozän fast zwei Dekaden danach noch zu verbloggen – und sei es nur, um den digitalen Abgrund zu vermessen, der uns inzwischen von damals trennt. Ich habe den Text lediglich der aktuellen Rechtschreibung angepasst und dokumentiere ihn hier – erstmals! – in ungekürzter Form. 

Heutzutage schreibt Herz eher über Fitness als übers Web, ist aber natürlich sowohl auf Facebook als auch auf Twitter aktiv.

Ihr Buch „Surfen auf dem Internet“ gibt es übrigens immer noch zu kaufen. 
Bei Amazon für einen Cent.


Das Gewicht des Net

Sie ist verstruwwelt und sommersprossig. Mit 25 wirkt die New Yorker Journalistin J.C. Herz wie ein später Teenager. Dabei ist sie eine Veteranin – des Internets. „Ich habe mehr Zeit im Net verbracht, als ein menschliches Wesen sollte“, grinst sie. Und das lange vor Erfindung des WordWideWeb, als das Internet nichts weiter war als ein Ozean von Ascii-Text. Herz hat den virtuellen Wortwogen ein handfestes Buch entrungen: „Surfen auf dem Internet“. Im Netjargon und ziemlich witzig schreibt sie (Netname: „Mischief“) über Nächte am Schirm, Koffeinkatastrophen und Onlineschimpf („flamewars“). Und über schräge Vögel, die irre, romantische, einsame Sätze durch Drähte jagen. Beim Interview ist J.C. offline und physisch da – ungewöhnlich für einen Netjunkie. Dass sie ihre Onlinesucht in einer Selbsthilfegruppe – im Internet! – therapiert hat, ist aber ein Werbegag.

Matt: J.C., kannst du einloggen, wenn du unterwegs bist?
J.C. Herz: Nein, und das stört mich auch nicht sonderlich. Schlimmer ist es, wenn ich meinen Anrufbeantworter nicht abhören kann.
Matt: Wie geht es deinen Augen nach den Jahren vorm Bildschirm?
Herz: Gut. Ich trage Linsen. Aber das hat nichts mit meinen Computererfahrungen zu tun.
Matt: Wie hoch war deine letzte Telefonrechnung?
Herz: Das ist der Unterschied zwischen Deutschland und Amerika: In New York kosten zehn Stunden im Netz einen Dollar – völlig vernachlässigenswert. Deshalb entwickelt sich das Net auch in Deutschland nicht so rasch. Euer Telefonanschluss ist einfach zu teuer. Meine Telefonkosten rühren mehr von Distanzbeziehungen her als vom Internet …
Matt: Die Netsurfer, die du in deinem Buch beschreibst, sind einsam, egozentrisch, seltsam und selbstmitleidig, sie sehnen sich nach Berührungen und fliehen doch vor den Menschen …
Herz: Dass sie seltsam sind, stimmt. Ich glaube aber, dass wir uns alle durch neue Technologien fremder werden. Im Net bemitleiden sich nicht alle selbst, das ist kein generelles Phänomen. Wenn du dir den durchschnittlichen Netuser von vor zehn Jahren (also 1986; Matt) anschaust, dann war er ein weißer männlicher Computerprogrammierer. Das ist lange vorbei. Heute sind 37 Prozent aller US-User Frauen. Das Net ist eine sehr bunte Gemeinschaft geworden, und es ist sehr, sehr gefährlich, zu verallgemeinern – damit lag ich selbst schon mal daneben. Ich war in Boston zum Lunch mit einem Computerfachmann verabredet, den ich zum Thema Internet interviewen sollte. Ich dachte: Mein Gott, dieser Typ trägt bestimmt eine Glasbausteinbrille und ein T-Shirt mit Periodensystemaufdruck, hat dünnes Jesushaar und ist total widerwärtig. Mit diesem Alptraumszenario im Kopf ging ich hin – und er sah aus … göttlich! Beim Essen sagte ich kein Wort, so beschämt war ich. Unglücklicherweise war er verheiratet.
Matt: Statt 37 Prozent Frauenanteil haben wir in Deutschland knapp zehn. Woher kommt es, dass Frauen so weit hinterherhinken?
Herz: Ursprünglich war das Internet ein Experiment des US-Verteidigungsministeriums, einer Männerdomäne. Dann schlossen sich Computerwissenschaftler an – auch überwiegend Männer. Frauen kommen sehr gut zurecht, wenn sie erst mal ihre Angst vor der Technik überwunden haben – das Net hat schließlich mit Kommunikation zu tun, und darin sind Frauen gut. Sie finden es halt nicht besonders unterhaltsam, sich mit Maschinen abzugeben. Aber das Net ist keine Maschine mehr, du erreichst andere Leute damit. Seitdem das so ist, bevölkern Frauen das Internet. Deutschland hinkt in dieser Beziehung zwei Jahre hinter uns her.
Matt: Nicht eher zehn …?
Herz: Nein, ihr habt das Web, und ihr habt Leute, die Websites entwickeln.
Matt: Aber hier ist das kein Teenagermedium, wie du es in deinem Buch beschreibst. Der duchschnittliche User ist über 30, gebildet und verdient gut.
Herz: Richtig. Dass US-User so jung sind, liegt daran, dass seit den frühen 90ern Studenten sehr guten Zugang zum Net erhalten. Am College hat jeder automatisch seine E-Mail-Adresse. Und auch die Highschools sind im Internet. Außerdem fällt jungen Leuten der Umgang mit der Technik leichter als ihren Eltern.
Matt: Du zitierst die Verlegerin Lisa Palac, die sagt, das Internet würde für die 90er, was den 70ern der Vibrator war. Was glaubst du?
Matt: Ich glaube, dass Lisa sehr gut mit Worten umgehen kann – deshalb rufe ich sie ständig an und bitte sie um Statements! Nein, das Net gibt den Frauen mehr Macht. Im Net sitzen sie selbst am Steuer, was Kommunikation und das Organisieren von Informationen angeht. Und wenn du als Frau online gehst, weiß niemand, dass du eine Frau bist; deswegen kann dich auch niemand wegen deines Geschlechts diskriminieren.
Matt: Du gehörst zur ersten Generation überhaupt, die einen Teil ihrer Jugend online verbrachte. Das muß sich irgendwie aufs Sozialverhalten auswirken …
Herz: Es macht dich offener für Begegnungen. Fast überall auf der Welt ist es doch so: Du gehst zur Schule mit Leuten aus deinem Viertel. Dann gehst du aufs Gymnasium, triffst eine ganz bestimmte Sorte Leute, und genauso am Arbeitsplatz. Gesellschaften bestehen aus Schichten; man hat meistens nur Kontakt mit Leuten aus seiner Schicht. Im Net dagegen sind die Gruppen völlig vermischt – schau dir nur die Meinungen an, die vertreten sind. Du kannst also jemand treffen, dem du normalerweise nicht unbedingt auf einer Cocktailparty begegnen würdest. Und ich glaube unbedingt, dass das gut ist. Es bringt Leute aus aller Welt in Kontakt – wenn auch dabei oft nur klar wird, wie verschieden ihre Meinungen sind.
Matt: Und das birgt Suchtgefahren …?
Herz: Internetabhängigkeit gibt es schon, aber im Buch gebrauche ich das ironisch. Es ist ein Witz, und es wundert mich, wenn das die Leute nicht kapieren. Wenn ich die ganze Zeit im Net verbracht hätte, gäbe es dieses Buch nicht.
Matt: Du liebst die Anarchie des Internet. Wird dieses Archaische stark genug sein, um das Net vor der Kommerzialisierung zu schützen?
Herz: Das Web hat das Internet schon vor kommerziellen Interessen gerettet! Die Befürchtung war, große Firmen würden die Newsgroups stürmen und statt Diskussionsbeiträgen Produktangebote ablegen. Dann kam das Web mit seinen tollen Bildchen. Darüber bin ich wirklich froh, denn das Web gab der Werbeindustrie eine Anlaufstelle, und das rettete die Netkultur. Wenn dir jemand in einer Newsgroup eine Werbebotschaft zukommen lässt, hast du gar keine andere Wahl, als sie erst zu lesen, ehe du die Löschtaste drückst. Im Web ist es anders: Wenn du dich mit dem Zeug nicht abgeben willst, brauchst du das auch nicht.
Matt: Dafür gibt es nun das Problem der Langsamkeit. Man sitzt endlos herum und wartet, bis der Datentransfer abgeschlossen ist.
Herz: Absolut. Jemand hat gesagt, die Summe aller Wünsche hinsichtlich des Internet könnte man in folgendem Stoßseufzer zusammenfassen: Hätten wir nur ein breiteres Band …! Deswegen weiß ich wirklich nicht, ob das Net wirklich das Wunschmedium der Industrie ist – es ist einfach langsam. Time Warner baut wohl gerade Kabelmodems; vielleicht bringen die was. Aber wahrscheinlich kriegen wir dann einfach nur quick-time infomercials zu allen Produkten. Aber es liegt nicht nur an den Firmen. Es gibt unzählige Homepages mit Fotos von Tante Trude, Kuchenrezepten und Fotos von Schoßhündchen. Die verstopfen das Web genauso.
Matt: Das Net gibt dir die Möglichkeit, jede Identität anzunehmen. Du kannst Mann sein oder Frau, Riese oder Zwerg. Aber in Wahrheit bist du nichts – nur Worte und Emoticons. Ist das befriedigend?
Herz: Kommt drauf an. Wenn du erwartest, das Net würde deine Probleme im Bett lösen – sorry, das wird nicht klappen. Aber es ist befriedigender als Fernsehen. Es ist interessant, dass Leute das Net auf Dinge abklopfen, die sie beim Fernsehen nicht mal interessieren. Sie stellen diese Fragen immer nur technischen Entwicklungen, vor denen sie Angst haben. Ich glaube, das Net hat interessante Erkenntnisse beizusteuern, was Identität angeht: wer wir sind, Geschlechtsrollen … Ich finde es sehr interessant, wie jemand einen Charakter konstruiert, der von seiner echten Persönlichkeit abweicht. Sie gehen shoppen und probieren neue Kleider an.
Matt: Im Net wird geschrieben wie gesprochen, in deinem Buch auch. Keimt da eine neue Art Literatur?
Herz: Es wäre schrecklich, wenn man mich dafür verantwortlich machte! Das Net ist interessant, weil es weder Fisch noch Fleisch und an den Rändern zu Hause ist. Es ist ironisch, dass im Net geschrieben wird, denn es funktioniert wie eine orale Kultur. Leute, die im Internet tippen, gebrauchen Buchstaben, aber sie fühlen sich nicht als Gemeinschaft literarischer Individuen, die Briefe entwerfen. Es ist keine Gruppe Belletristen des 19. Jahrhunderts. Es sind Leute, die miteinander quatschen, und so fühlen sie sich auch. Wenn du siehst, wie Diskussionen im Net ablaufen, merkst du schnell, dass das Idiom viel eher ein gesprochenes als ein geschriebenes ist. Dass all das in Ascii-Text abläuft, finde ich ironisch. Natürlich ist das gut, weil die Leute wenigstens lesen. Ich glaube, dass seit den Comics kein anderes Medium mehr Teenager Lesen gelehrt hat. Gut, sie lesen nicht Dickens, aber sie lesen! Und sie merken’s nicht mal. Als jemand, die schreibt, finde ich das tröstlich. Ich mag Worte.
Matt: Du hast mal den Kultautor William Gibson getroffen, der das Wort Cyberspace erfunden hat. Er soll nicht mal eine E-Mail-Adresse haben.
Herz: Ich habe William Gibson gefragt, warum er nicht im Net sei. Und er sagte: „Weil ich glaube, dass sein Gewicht mich erdrücken würde.“ Ich wusste nicht, wie er das meinte. Doch als ich für mein Buch recherchiert habe, verstand ich es – denn dem Net verdankte ich einen Nervenzusammenbruch, ich konnte es nicht mehr aushalten. Wie auf einer Party, auf der dich plötzlich Platzangst überfällt. So fühlte ich mich; und ich glaube, so hat er es gemeint.
Matt: Aber wie wusste er das?
Herz: Weil er ein sehr intuitiver und hochintelligenter Mensch ist. Weißt du, wenn Gibson ins Internet ginge, wäre das die erste Szene einer hard day's night – mit all diesen verzweifelten Groupies, die ihn umdrängten …
Matt: Wie wirkt denn dein Buch auf die Leser – strömen sie ins Net?
Herz: In den E-Mails, die ich bekomme, steht zum Beispiel: „Ich hab dein Buch gelesen, mich eingeloggt und finde es toll.“ Oder: „Oh, mein Gott – das Buch erinnert mich total an mich selber!“ Solche Leute erschrecken mich …

• J.C. Herz: Surfen auf dem Internet (Rowohlt 1996, 320 S., 38 DM)

(Eine gekürzte Version dieses Interviews erschien im August 1996 in der Zeitschrift „Kultur!News“, die sich inzwischen glücklicherweise ihres Binnnenausrufezeichens entledigt hat)

20 Juli 2014

Man muss nicht mal ein Schelm sein, um …

Zugegeben, ich freue mich  immer, wenn meine berüchtigte Sprach- und Satzzeichenpedanterie mal kein Augenrollen unter allen Anwesenden hervorruft, sondern selbst Skeptiker durch pure Evidenz zu überzeugen vermag. 

Ein solches unmittelbar einleuchtendes Beispiel liefert die Firma Geile aus dem nordhrein-westfälischen Westerkappeln, wovon ich mich heute an Bahnsteig 3 des Bahnhofs Kassel-Wilhelmshöhe überzeugen konnte. 

Bereits ein einfacher Bindestrich hätte ausgereicht, um den Pennäler in mir nicht wachzuküssen. Doch das sorgsam eingebaute Deppenleerzeichen lässt für Interpretationen kaum noch Spielraum.

Deshalb ist es – auch für die Art künftiger Geschäftskontakte – durchaus wichtig zu erwähnen, dass die Firma Geile Schokoriegel- und Instantcappuccinoautomaten herstellt und keineswegs Vibratoren.

Aber nicht, dass dagegen irgendwas zu sagen gewesen wäre; dass das mal klar ist.


12 Juli 2014

Fundstücke (193)


Keine Ahnung, ob ein im Sattel steckender (gebrauchter!) Zahnstocher ein effektiver Schutz vor Fahrraddieben ist, aber eins ist sicher: 

Wer immer sich das Rad aneignet und damit flieht – übersehen sollte er dieses Detail besser nicht.

Entdeckt in der Seilerstraße.

04 Juli 2014

Eine Mail aus der Hölle

AN: Kundenzentrum-StPauli@hamburg-mitte.hamburg.de

Sehr geehrte Dame, sehr geehrter Herr,

ich maile Ihnen aus der Hölle: St. Pauli.

Seit Wochen jagt eine Großveranstaltung die nächste. Sie machen unsere Wochenenden unerträglich, eins nach dem anderen. Erst Motorradgottesdienst, dann Schlagermove, nun drei Tage lang Harley Days. 


Wie ist es möglich, dass z. B. schwere Motorräder offenbar keinerlei Lärmemissionsgrenzen einhalten müssen? Seit heute morgen donnern sie durch unsere Wohnstraße, und das wird bis Sonntag so weiter gehen.

Wie soll man es im Sommer in St. Pauli überhaupt noch aushalten? Wie kann es sein, dass die Stadt Hamburg durch Genehmigungen allsommerlich praktisch die Unbewohnbarkeit eines ganzen Stadtviertels fördert, das als Amüsierviertel eh schon ganzjährig außergewöhnlichen Belastungen ausgesetzt ist?

Für eine Antwort danke ich Ihnen schon vorab. Und fordere hiermit ausdrücklich eine Änderung dieser Politik, im Sinne der Gesundheit aller St. Paulianer.

Mit freundlichen Grüßen
Matt

01 Juli 2014

Der würdelose Pinkelgreis

Telefonzellen gibt es ja kaum noch, und die letzten haben es auch nicht immer leicht. Am Wochenende wurde die vor der Postfiliale von gleich vier Toilettenhäuschen bedrängt. 

Der ältere Herr, der von dort – also der Telefonzelle – eine ganze Weile lang irgendwohin telefonierte, ertrug die Umgebung dennoch mit jener Gelassenheit, die Menschen eigen ist, die IMMER NOCH kein Smartphone besitzen. 

Am Tag vorher übrigens – da stand die Phalanx der Dixiklos dort noch nicht stramm – hatte ich einen anderen Mann dabei ertappt, wie er an unserer Hauswand sein Wasser abschlug. 

Sein Resthaar war so weiß wie sein Schnauzer, was durch seine Solariumsbräune besonders betont wurde. Eine halblange Shorts hielt seinen Wohlstandsbauch nur unzureichend im Zaum, und die hellen Kniestrümpfe, die in Sandalen ausliefen, waren sorgsam auf sein zeltartiges rotes Polohemd abgestimmt. 

Ich stellte ihn zur Rede, was ihm offenkundig nicht zupass kam. Jedenfalls erstarb sein Strahl sofort, hastig steckte er sein tropfendes Gerät zurück in die Bux – und suchte sich mit der Ausrede zu rechtfertigen, es einfach nicht mehr ausgehalten zu haben. 

Schneidend verwies ich den Mann auf die nicht nur gefühlt 184 mit sanitären Einrichtungen wohlausgestatteten Bars, Restaurants, Kneipen und Spielsalons in unmittelbarster Umgebung, darunter die Eisdiele Lieblings, von deren Außenbereich man ihn behaglich stracciatellaschleckend beim Urinieren hätte zusehen können, wenn auch nur von hinten. 

„Aber ich hab’s an der Prostata!“, jammerte der würdelose Greis, doch ich war nicht in der Stimmung, ihn mit vorgeschützten fadenscheinigen Diagnosen davonkommen zu lassen. „Pinkeln Sie NICHT an unser Haus!“, schnarrte ich schroff, und er trollte sich murrend. 

Heute morgen, als ich die Postfiliale aufsuchte, sah ich ihn erneut. Ich an seiner Stelle hätte zwar den Ort der Schmach hinfort gemieden, aber jeder Mensch ist halt anders. 

Er fuhr in einem silbergrauen Mercedes vor, obwohl – ohne dass ich genau sagen kann warum – mir ein Moped logischer vorgekommen wäre.