Das ganze Jahr über bemühen wir uns, unseren ökologischen Fußabdruck klein zu halten. Wir verzichten auf Convenience-Essen und werfen nichts weg, was noch verwertbar ist. Wir besitzen kein Auto und legen stattdessen jede notwendige Strecke mit öffentlichen Verkehrsmitteln, Fahrrad oder zu Fuß zurück. Und wir fliegen nicht.
Unser ökologischer Fußabdruck dürfte im Vergleich zu vielen anderen Mitbewohnern dieses Landes also erfreulich klein sein – und erlaubt es uns deshalb, einmal im Jahr halbschlechten Gewissens 300 Meter lange Schiffsriesen zu besteigen, um eine Woche lang das Schlaraffenland einer Kreuzfahrt zu genießen. Denn schließlich fliegen wir nicht, und wie sollte unsereins sonst je im Leben nach Jerusalem, Casablanca, Rejkjavik oder St. Petersburg kommen? Sie sehen das Problem.
Natürlich wissen wir, welche Sauerei die Dickschiffe anrichten. Unser Wohlverhalten das ganze Jahr über ist also eine Art Ablasshandel. Es ist der Preis, den wir bezahlen für unser ganz persönliches CO2-Zertifikat. Ob die Rechnung aufgeht und sich hinterher Soll und Haben ausgleichen: keine Ahnung. Ich befürchte eher nein, aber ich rechne lieber nicht nach. Ein bisschen Selbstbetrug gehört zu einem dialektischen Leben nun mal dazu.
Jedenfalls pustet das Schiff der Aidaflotte, auf dem wir uns zurzeit befinden, gewaltige Mengen Schadstoffe in die Luft. Diese Tatsache macht den Zettel, der in unserer Kabine an der Badezimmerwand klebt, besonders interessant. Sein Text ist von bewundernswert putziger Chuzpe:
„Möchten sie auch, dass noch viele Menschen die Wunder der Erde und der Ozeane bestaunen können? Dann helfen Sie uns bitte dabei, die Umwelt zu schützen. Setzen Sie ein Zeichen – mit Ihrem Handtuch!“
Wir sollen das Handtuch, wie es weiter heißt, am Halter hängen lassen („Das spart Waschmittel und Energie“) und so „die Wunder der Erde und der Ozeane“ retten, während das, was ein paar Decks über uns tonnenweise durch den Schornstein geblasen wird, genau diese Wunder tausendfach mehr gefährdet als es das tägliche Waschen der hier an Bord im Umlauf befindlichen zehntausend Handtücher je könnte. Selten war der Tropfen auf dem heißen Stein so ein Mickerling wie der, der von diesem Zettel tröpfelt.
Wie wäre es stattdessen, Aida, du verfeuertest kein Schweröl mehr und schlügest die Mehrkosten auf den Reisepreis drauf, während wir nächstes Jahr umso freudiger wiederkämen und tagtäglich die kaum kontaminierten Handtücher frohgemut auf den Badezimmerboden schleuderten – Deal?
Wenn man mal von solch grundlegenden Fragen absieht, ist so eine Schiffsreise recht lehrreich. Vor allem für jene, die aus unverständlichen Gründen noch Defizite in Misanthropie aufweisen. Diese Lücken lassen sich hier an Bord mühelos schließen. Vor allem am Büffet.
Gestern wurde ich von einem schirmbemützten Herrn hochmittleren Alters in Shorts, Polohemd und Sandalen gleich zweimal binnen einer Minute aus einer günstigen Position gerempelt, einmal natürlich an der Speiseeisstation. Überhaupt lässt der stählerne Ingrimm, mit dem vor allem die Rentnerhamas ihre hellebardisch gereckten Teller durch die das Büffet belagernde Menschenmenge furcht, düster ahnen, wie brachial es nach dem Ende der Zivilisation zuginge unter den Überlebenden. Die Serie „The walking dead“ hat die Situation, da lege ich mich fest, eher beschönigt.
Auch auffällig: Auf dem Fitnessdeck begnet man nur Schlanken, während die Wohlbeleibten andernorts ausschließlich ihre Kaumuskulatur trainieren. Dabei sollte es in einer perfekten Welt, liebe Menschheit, doch genau umgekehrt sein, nicht? Aber in einer perfekten Welt würden wir, die wir kein Auto haben und nicht fliegen, darüber hinaus auch nicht auf Kreuzfahrt gehen.
Unsere Handtücher hängen übrigens seit Tagen ungewechselt am Halter.