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28 August 2023

Die hohe Kunst des Kundenvergrätzens


Gestriger Dialog im Niederegger-Eiscafé, Travemünde:

„Guten Tag, ich hätte gerne zwei Kugeln in der Waffel, und zwar …“
„Wir haben keine Waffeln, nur Becher.“
„Gut, dann halt im Becher. Zwei Kugeln mit Schokoladensoße, und zwar …“
„Keine Schokoladensoße. Die gibt’s nur zur Schlemmertüte.“
„Äh, okay …? Dann einmal Walnuss und einmal Schokolade. Ich zahle mit Karte.“
„Keine Karte, nur bar.“

Die Niederegger-Zentrale in Lübeck kann natürlich überhaupt nichts für den außergewöhnlichen Liebreiz ihrer Filiale in Travemünde, aber als wir heute an der Zentrale vorbeiliefen, war uns beiden in stillem Einvernehmen klar, dass wir auf jeden Fall ein anderes Café ansteuern würden.

Ganz egal, welches. Hauptsache, nicht Niederegger.

25 August 2023

Sommer in Niendorf, mit Hund


Wahrscheinlich bin ich weltweit der Erste, der jemals mitten in der Ostsee von einem Dackel attackiert wurde. Allerdings muss ich zugeben, dass der Dackel das umgekehrt ebenfalls behaupten könnte.

Jedenfalls schwamm ich heute vor Niendorf bei null Wellengang gemütlich auf dem Rücken durch die Ostsee. Weit und breit war niemand sonst zu sehen, ich wähnte mich ganz allein im weiten Meer; deshalb auch mein arg- und sorgloses Rückwärtsschwimmen. Doch plötzlich kollidierte ich mit irgendwem oder irgendwas und spürte, wie mir etwas hektisch den Rücken zerkratzte.

Ich dachte im ersten Moment nicht einmal an einen Weißen Hai, wie es irrationalerweise vollkommen logisch gewesen wäre, sondern an einen Homo sapiens, vielleicht im mittleren Kindesalter. Doch als ich in milder Panik herumwirbelte, sah ich einen verängstigten Dackel, der mit schreckgeweiteten Augen eilends weiterpaddelte. Drei Meter weg sein Herrchen, das mir mit schmerzvollem Lächeln stumm Vorwürfe machte. Sogar meine hervorgestammelten lobenden Worte über seinen süßen Hund – eine Übersprungshandlung, ich weiß – ließ der Mann unkommentiert. Ich fühlte mich schlecht.

Später konstatierte Ms. Columbo rote Striemen auf meinem Rücken, die ein geübter Forensiker sofort als die typischen Folgen von Dackelpfotenkrallen identifiziert hätte. Freilich waren sie, die Striemen, nicht tief genug, als dass hätte Blut fließen können. Eigentlich schade, denn so wäre mir meine kürzlich erfolgte Tetanusimpfung noch nützlicher erschienen, als das eh schon der Fall ist.

Später sah ich Hund und Herrchen zwischen den Felsen am Ufer. Der Dackel guckte ängstlich. Er schien mich nicht zu mögen. Sein Herrchen ignorierte mich.

Fazit: niemals rückwärts schwimmen. Auch wenn du denkst, du seist ganz allein im weiten Meer.

Abends verunglückte Old Zitterhand dann auch noch ein Foto von der Küstenlinie in Travemünde (Foto).


 

22 Juli 2023

Einmal Nordsee und zurück (Teil 2)

Eine just zu Ende gegangene Schiffsreise von 3917 Kilometern Länge nach England, Schottland und Norwegen brachte uns einige Orte und Städte näher, die hier in Kurzrezensionen gewürdigt werden sollen. Ultrakurz, um genau zu sein, und bestürzend lückenhaft. Aber damit müssen Sie leben. Den ersten Teil gibt es hier.


6. Skjolden, Norwegen



An der Gegend um Skjolden – gelegen am Ende des Lustrafjords, eines Seitenarms des gewaltigen Sognefjords – ist alles, wirklich alles zauberhaft: die sattrote flatterhafte Skulptur vorm allumfassenden Grün der Umgebung, die 900 Jahre alte und weiterhin im sakralen Einsatz befindliche Holzkirche in Urnes, deren Originalbalken die gelungene Photosynthese fleißiger Bäume ab dem Jahr 1000 repräsentieren – und die Tatsache, dass man sich bei der Aussprache des Wortes Skjolden nicht die Zunge brechen muss, sondern einfach „Scholden“ sagen darf. Wermutstropfen, der einen Umzug dorthin weniger attraktiv macht: Der Notarzt muss per Helikopter einfliegen. 


7. Bergen, Norwegen

Kommt man in die regenreichste Stadt Norwegens, wenn nicht ganz Europas, so ist man vor jedweder Enttäuschung gefeit. Denn folgt die Stadt buchstäblich dem Gießkannenprinzip, dann macht sie halt einfach ihren Job. Und ist es sonnig, dann ist man hocherfreut. Als wir dort waren, machte Bergen halt einfach seinen Job. Im Viertelstundenrhythmus platschten geradezu aggressive Regentropfenverbände hernieder, sodass wir ein ums andere Mal von Hoteleingang zu Fischmarktbude sprangen, denn Menschen sind – wenn man es bis zum Ende fortdenkt – wasserlöslich. Also ging’s irgendwann entmutigt zurück aufs Schiff, von wo aus sich die Bergen-typische Schleusenöffnungstaktung weitaus kommoder verfolgen ließ.


8. Stavanger, Norwegen

Bunter als Stavanger ist höchstens die lgbtqia2s+-Bewegung. Dort – also in Stavanger, nicht bei der lgbtqia2s+-Bewegung – gibt es zudem den bestsortierten Nuss- und Trockenfruchtladen aller Zeiten sowie denen, die noch kommen, nämlich Nøtteblanderen in der Kirkegata 21. Sollte ich jemals einen Hausarrest mit Fußfessel antreten müssen, dann bitte ebenda, danke vorab. In Stavanger parkt unser Schiff übrigens in der Altstadt, aber das darf der Nabu nie erfahren, weshalb das strikt unter uns bleiben muss. 












9. Kristiansand, Norwegen


Die Stadt in Südnorwegen ist das Gegenteil von Bergen, nämlich die sonnenreichste Stadt des Landes. Sie brüstet sich gar mit dem Titel „Riviera des Nordens“, was ein wenig an die Beschönigungsskills von Aberdeen erinnert. Doch in der Tat: Ja, es schien die Sonne. Nur dies bewahrte uns angesichts der in Kristiansand aufgerufenen Preise vorm Stimmungstief. Beispiel: In einem Café wollte man für einen winzigen Brownie umgerechnet acht Euro fünfzig. Da sagt der Hamburger von Herzen nein danke. Aber von Herzen ja bitte zu den Wohnungspreisen. Hier bekommt man für rund 200.000 Euro ein solides Haus, während man sich dafür an der Elbe mit anderthalb Zimmern bescheiden müsste. Ohne Balkon.

Ansonsten war viel, viel Nordsee. Hier ein paar Belege.









 

21 Juli 2023

Einmal Nordsee und zurück (Teil 1)

Eine just zu Ende gegangene Schiffsreise von 3917 Kilometern Länge nach England, Schottland und Norwegen brachte uns einige Orte und Städte näher, die hier in Kurzrezensionen gewürdigt werden sollen. Ultrakurz, um genau zu sein, und bestürzend lückenhaft. Aber damit müssen Sie leben. Den zweiten Teil gibt es hier.


1. Newcastle upon Tyne, England




Die Stadt im Osten Englands überrascht nicht nur mit kühner Architektur zwischen schwungvoll und raupenähnlich, sondern in der katholischen St.-Mary’s-Kirche 
auch mit einem rein säkularen Fensterbild. Arbeitendes Volk bei profanen Verrichtungen statt Lobpreis des Einzigen: Deutlicher kann man seine vollumfängliche Niederlage gegen die Anglikaner wohl nicht eingestehen. Deswegen: Auf nach Schottland!











2. Inverness, Schottland


Als ich Ms. Columbo vor einem schönen lila Portal fotografierte und unversehens drei Damen ins Motiv liefen, fühlte ich mich erstaunlicherweise noch nicht an ein berühmtes Beatles-Bild erinnert, beim Betrachten am Rechner indes schon. Sonst blieb von Inverness nicht allzu viel hängen.


3. Aberdeen, Schottland

Die Stadt besteht aus Granit. Heißt: Sie ist grauer als grau. Der Himmel darüber will dem nicht nachstehen, woraufhin das Meer sagt: Das kann ich auch. Die Delfine, die in der Bucht herumtollen, sind ebenfalls nicht rosa. Allerdings betätigen sich die Aberdeener als weltweit größte Beschöniger von ganz Schottland und euphemisieren ihr tristes Häuserkonglomerat nonchalant zur „Silver City“. Angeblich soll im Sonnenschein beim richtigen Strahleneinfallswinkel und wenn man ausreichend Single Malt Scotch getankt hat, Aberdeen silbrig schimmern. Nun: Das können wir nicht bestätigen; ich erspare Ihnen den Fotobeweis. Die grauen Delfine in der Bucht haben uns dennoch verzaubert.


4. Shetlandinseln, Schottland


Vor der Küste der Shetlands soll es Orcas geben. Das ist Hörensagen; für den phasenweise von mäandernden Steinmauern gesäumten und von majestätischer Stille überwölbten Rundweg um das Städtchen Lerwick herum können wir uns allerdings herzlichst verbürgen. Dass die Wohnlage mit der besten Aussicht überhaupt der Friedhof ist, zeugt möglicherweise vom gesunden Antikapitalismus der hiesigen Insulaner; anderswo stünden hier längst lukrative Bettenburgen. Die berühmten Shetlandponys (Foto) hatten wir uns übrigens größer vorgestellt. 




5. Balmoral, Schottland



Hier im Schloss hauchte Queen Elizabeth II. ihr langes Leben aus, ganz wie von ihr gewünscht. Jahrzehntelang wandelte sie allsommerlich sinnierend am River Dee entlang, der das Schloss schier kronenartig umfließt. Wahrscheinlich besuchte Frau Windsor im Park auch regelmäßig den „Pet Cemetery“, und das wollten auch wir – vor allem um zu sehen, welche postmortale Würdigung all den königlichen Corgies zuteil wird, die dort dem Jüngsten Tag entgegenverwesen. Doch wir irrten herum, verpassten den Friedhof und landeten urplötzlich an einem Kiosk mit Eisverkauf, was alles andere augenblicklich bedeutungslos machte. Das offerierte Speiseeis indes war trotz räumlicher Nähe zum Royalen eher niederer Herkunft.

(Fortsetzung folgt mit den norwegischen Stationen Skjolden, Bergen, Stavanger und Kristiansand)


 

19 Juli 2020

Die gemütlichsten Ecken Deutschlands (159)


Ein Baum am Brodtener Steilufer an der Ostseeküste (53.983547, 10.880196). Selbst gestützt.


Foto: Ms. Columbo

02 Juli 2019

Fast, als wäre nichts geschehen

Dank eines wertvollen Tipps des Bloglesers Lars, der sich damit um eine weitere Entlastung unseres Gewissens verdient gemacht hat, haben wir die im letzten Blogeintrag thematisierte Kreuzfahrt bei der Klimaschutzorganisation atmosfair kompensiert. 

Unsere persönlichen CO2-Emissionen der Reise kann man dort ausrechnen lassen; um unsere Umweltsauerei klimaneutral aus der Welt zu schaffen, waren schließlich 66 Euro nötig.

Die Spende fließt nun nach Indien, wo Kleinbauern dabei unterstützt werden, erneuerbare Energien aus Ernteresten zu gewinnen. Das spart fossile Kraftstoffe, gibt den Senfbauern eine zusätzliche Einnahmequelle und schafft Arbeitsplätze.

Nicht, dass damit wieder alles gut wäre. 
Aber es ist besser.

Foto: atmosfair





29 Juni 2019

Auf Schiffsreise


Das ganze Jahr über bemühen wir uns, unseren ökologischen Fußabdruck klein zu halten. Wir verzichten auf Convenience-Essen und werfen nichts weg, was noch verwertbar ist. Wir besitzen kein Auto und legen stattdessen jede notwendige Strecke mit öffentlichen Verkehrsmitteln, Fahrrad oder zu Fuß zurück. Und wir fliegen nicht. 

Unser ökologischer Fußabdruck dürfte im Vergleich zu vielen anderen Mitbewohnern dieses Landes also erfreulich klein sein – und erlaubt es uns deshalb, einmal im Jahr halbschlechten Gewissens 300 Meter lange Schiffsriesen zu besteigen, um eine Woche lang das Schlaraffenland einer Kreuzfahrt zu genießen. Denn schließlich fliegen wir nicht, und wie sollte unsereins sonst je im Leben nach Jerusalem, Casablanca, Rejkjavik oder St. Petersburg kommen? Sie sehen das Problem. 

Natürlich wissen wir, welche Sauerei die Dickschiffe anrichten. Unser Wohlverhalten das ganze Jahr über ist also eine Art Ablasshandel. Es ist der Preis, den wir bezahlen für unser ganz persönliches CO2-Zertifikat. Ob die Rechnung aufgeht und sich hinterher Soll und Haben ausgleichen: keine Ahnung. Ich befürchte eher nein, aber ich rechne lieber nicht nach. Ein bisschen Selbstbetrug gehört zu einem dialektischen Leben nun mal dazu. 

Jedenfalls pustet das Schiff der Aidaflotte, auf dem wir uns zurzeit befinden, gewaltige Mengen Schadstoffe in die Luft. Diese Tatsache macht den Zettel, der in unserer Kabine an der Badezimmerwand klebt, besonders interessant. Sein Text ist von bewundernswert putziger Chuzpe: 

„Möchten sie auch, dass noch viele Menschen die Wunder der Erde und der Ozeane bestaunen können? Dann helfen Sie uns bitte dabei, die Umwelt zu schützen. Setzen Sie ein Zeichen – mit Ihrem Handtuch!“ 

Wir sollen das Handtuch, wie es weiter heißt, am Halter hängen lassen („Das spart Waschmittel und Energie“) und so „die Wunder der Erde und der Ozeane“ retten, während das, was ein paar Decks über uns tonnenweise durch den Schornstein geblasen wird, genau diese Wunder tausendfach mehr gefährdet als es das tägliche Waschen der hier an Bord im Umlauf befindlichen zehntausend Handtücher je könnte. Selten war der Tropfen auf dem heißen Stein so ein Mickerling wie der, der von diesem Zettel tröpfelt. 

Wie wäre es stattdessen, Aida, du verfeuertest kein Schweröl mehr und schlügest die Mehrkosten auf den Reisepreis drauf, während wir nächstes Jahr umso freudiger wiederkämen und tagtäglich die kaum kontaminierten Handtücher frohgemut auf den Badezimmerboden schleuderten – Deal?

Wenn man mal von solch grundlegenden Fragen absieht, ist so eine Schiffsreise recht lehrreich. Vor allem für jene, die aus unverständlichen Gründen noch Defizite in Misanthropie aufweisen. Diese Lücken lassen sich hier an Bord mühelos schließen. Vor allem am Büffet. 

Gestern wurde ich von einem schirmbemützten Herrn hochmittleren Alters in Shorts, Polohemd und Sandalen gleich zweimal binnen einer Minute aus einer günstigen Position gerempelt, einmal natürlich an der Speiseeisstation. Überhaupt lässt der stählerne Ingrimm, mit dem vor allem die Rentnerhamas ihre hellebardisch gereckten Teller durch die das Büffet belagernde Menschenmenge furcht, düster ahnen, wie brachial es nach dem Ende der Zivilisation zuginge unter den Überlebenden. Die Serie „The walking dead“ hat die Situation, da lege ich mich fest, eher beschönigt.

Auch auffällig: Auf dem Fitnessdeck begnet man nur Schlanken, während die Wohlbeleibten andernorts ausschließlich ihre Kaumuskulatur trainieren. Dabei sollte es in einer perfekten Welt, liebe Menschheit, doch genau umgekehrt sein, nicht? Aber in einer perfekten Welt würden wir, die wir kein Auto haben und nicht fliegen, darüber hinaus auch nicht auf Kreuzfahrt gehen. 

Unsere Handtücher hängen übrigens seit Tagen ungewechselt am Halter.








20 November 2017

Rechtsruck in Swinemünde

Speisen in Polen: Das ist ein ganz eigenes Kapitel. Gestern wählte Ms. Columbo aus der Vitrine im sehr empfehlenswerten Swinemünder Lokal La Trompa  einen optisch sehr ansprechenden Kuchen aus, dessen Name nur auf Polnisch angegeben war. Der Lokalchef, ein Deutscher, übersetzte ihn, während er uns über den Rand seiner Lesebrille hinweg neugierig musterte: „Das heißt Zigeunerbrüste.“ 

So etwas hätte es in Deutschland inzwischen schwer. Eine denkbare Variante namens „Sinti-und-Roma-Brüste“ wäre als Vermeidungsstrategie nicht mal die wahrscheinlichste, sondern eher die vorauseilende Flucht in eine garantiert von keiner beleidigungs- und empörungsfähigen Minderheit anmahnbare Umbenennung. Vielleicht „Hügeltorte“ …? 

Unterhaltsam wird es auch, wenn die Swinemünder Gastronomie sich ans deutsche Touristenzielpublikum ranwanzen will. Eine Süßspeise aus der Pommestüte zum Beispiel nennen sie hier „Wuffel“; das ist schon sehr putzig. Allerorten sorgen zudem Karten und Schilder für kleine Entertainmentmomente – einfach nur dadurch, dass beim ungelenken Versuch, sich entgegenkommend des Schriftdeutschen zu bedienen, diese komischen Tüddelchen über den Vokalen fehlen („Brathahnchen“).

Auch in unserem Hotel hakt es überall ein bisschen, aber nirgends so sehr, dass man es deswegen mit Liebesentzug bestrafen müsste. Das hoteleigene Internet etwa schenkt uns seine Gunst nur sporadisch, glänzt dann aber mit Geschwindigkeiten von 217 Mbit/s. Von so was kann ich zu Hause auf dem Kiez nur träumen, o2! 

Im Bad ist derweil die Klobrille locker und kippt – konform zur momentanen polnischen Regierung – stark nach rechts, so dass jede Sitzung zu einem Balanceakt mit ungewissem Ausgang wird. Vom Vorhang vor der Balkontür, der einen knappen Meter überm Boden unversehens endet und Passanten interessante Wadenblicke bietet, berichtete ich ja gestern schon.

Der Swinemünder sieht das eben alles nicht so eng. Wer sich an solchen Petitessen stört, wandert halt ein paar Kilometerchen weit zum Soundtrack der Brandung über den festen Sandstrand nach Norden, wo ihn alsbald das urdeutsche Seebad Ahlbeck willkommen heißt.

Und dort – darauf würde ich eine ganze Wuffelladung verwetten – kippelt keine einzige Klobrille.



19 November 2017

Der Meister aller Chuzpeklassen

Auf dem riesigen Polenmarkt in Swinemünde, der auch im Wind und Regen der Nachsaison unermüdlich durchgeführt wird, inspizieren wir interessiert eine Funktionsjacke von Wellensteyn. Es gibt hier Hunderte davon, und alle sind günstig, aber sind sie auch echt?

Wahrscheinlich will man uns hier Fälschungen andrehen, das ist bekannt. Also heißt es auf dem Quivive sein. Zur Sicherheit haben wir kurz gegoogelt und herausgefunden, woran man echte von gefälschten Wellensteyn-Jacken unterscheiden kann: besonders an den Knöpfen und Reißverschlüssen, auf denen der Firmenschriftzug ebenfalls eingeprägt sein sollte. Diese Aufgabe scheint Fälschern zu komplex zu sein, weshalb sie sie sich gerne sparen. Sie setzen einfach darauf, dass der gemeine Kunde so genau nicht hinschaut, sondern sich von den applizierten Buttons blenden lässt. 

Wir wähnen uns nach dieser Recherche also gut genug gerüstet, um uns von den Händlern auf dem Polenmarkt von Swinemünde nicht übertölpeln zu lassen. Ja, mehr noch: Im Verkaufsgespräch werden wir sie gegebenenfalls mit unseren Erkenntnissen konfrontieren und somit schwer zum Schwitzen bringen. Wahrscheinlich werden sie sodann unter der Last der vorgebrachten Beweise zusammenbrechen und auf Knien schwören, hinfort nicht mehr zu sündigen wider die heilige Markenhoheit der Hersteller. 

Das sind die Rahmenbedingungen, unter denen wir an einem Klamottenstand auf dem Polenmarkt in Swinemünde interessiert eine Funktionsjacke von Wellensteyn inspizieren. Vor allem schauen wir uns die Knöpfe an. Und siehe da: Es gibt weder Wellensteyn-Logo noch imprägnierten -Schriftzug – das Teil ist gefälscht! Der noch arglose Händler schichtet in der Nähe Kleider auf und schaut nicht herüber. Er ahnt noch nichts vom hochnotpeinlichen Kreuzverhör, dem wir ihn gleich unterziehen werden. Doch er kommt uns zuvor. 

„Bittä nicht guckän Knepfe“, sagt er, „ist alläs nachgemacht.“ 

Ein Satz wie aus dem Nichts, einer wie ein nasser Waschlappen, der einem links und rechts um die Ohren gehauen wird. Wir sind komplett entwaffnet, unsere ganze Google-Munition löst sich in Luft auf. „Auch bei Ihren Kollegen?“, fasst sich Ms. Columbo als erste, während ich noch schwer an meiner Verdatterung zu knabbern habe. 

„Nadirrlich“, sagt der Meister aller Chuzpeklassen, während er einen weiteren Kleiderstapel von A nach B packt, „alläs nachgemacht.“

Ich glaube, es gibt kaum etwas Verblüfferendes als fehlendes Unrechtsbewusstsein, das auch noch offensiv vertreten wird. Eine ganz frische Erkenntnis, für die ich Swinemünde von jetzt an sehr dankbar sein werde.

PS: Gespart hat auch unser Hotel, nämlich an der Länge der Vorhänge (Foto). Man könnte von gegenüber also unsere Waden bewundern, aber dort steht nur eine unbewohnte Ruine.



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06 Oktober 2017

Die normative Kraft des Dicklichen

Auf Rügen sind sie alle wohlgenährt: die Spinnen, die Möwen und die Menschen. Schmal hingegen ist die Internetbandbreite. In unserem Göhrener Hotel namens Berliner Bär müssen sich alle Gäste eine einzige kümmerliche 6000er-Leitung teilen. Danke, Merkel! 

Zurück zur Fülligkeit allen Lebens auf Rügen: Im Selliner Kaufhaus Stolz, in das wir uns wegen eines verheißungsvollen 70-prozentigen Umbaurabatts hineinverirrten, fanden wir quasi nichts in unserer Größe, sondern fast durchweg nur Zeugs in X- und XXL (ganz abgesehen davon, dass Stolz seinen Riesenladen mit einem indiskutabel KiK-artigen Polyesterbilligsortiment vollgekotzt hat, für dessen Herstellung wahrscheinlich halb Pakistan seine Kinder opfern musste). 

Tags drauf die nächste Bestätigung unserer Beobachtung. Wir schaukelten in einem maximal 30 km/h dahinrumpelnden Dampfzug namens Rasender Roland nach Binz und stolperten dort über einen Modeladen, der vor der normativen Kraft des Dicklichen längst sämtliche Waffen gestreckt hat – und sein kugelförmiges Zielpublikum mit verheißungsvollen „Größen bis 5XL“ in den Laden locken will.

Vielleicht gibt es im Osten ja nicht überall Kohls blühende Landschaften, doch das Durchschnittsgewicht des Bevölkerungsbesatzes hat sich – zumindest auf Rügen – seit Honeckers Zeiten erheblich hochgearbeitet. Wenn Bertolt Brecht also Recht hätte mit seinem verständnisvollen „Erst kommt das Fressen, dann kommt die Moral“, dann müsste es sich bei den gut gesättigten Rügenern um eine ethisch gefestigte Ethnie von hochentwickelter Menschlichkeit handeln. 

Ehe wir zur Überprüfung dieser These kommen, möchte ich noch vorwegschicken, dass die gewonnenen empirischen Erkenntnisse allein auf der Beobachtung offenkundig deutscher Probanden beruhen. Irgendwie exotisch aussehende Menschen waren schlichtweg nicht zu sehen. Niemand mit Kopftuch. Keine Afrikaner, Türken, Syrer, Chinesen, Koreaner (wobei wir wegen unserer Halbpension im Berliner Bären in die durchaus international aufgestellten Restaurants nicht hineingeschaut haben. Dort mag also möglicherweise importiertes Personal vorzufinden sein).

Es gibt ja das statistische Paradoxon, dass gerade dort, wo es die wenigsten Nichtdeutschen gibt, diese am skeptischsten oder gar ablehnend betrachtet werden. Und genauso ist es auch auf Rügen, wenn man die letzte Wahl als Grundlage nimmt. Jene schlechtgemachte Simulation einer demokratischen Partei namens AfD (bekannte einschlägige Zitate, die ihren nicht nur latenten Rassismus belegen, erspare ich Ihnen an dieser Stelle) räumte nämlich im Wahlkreis Vorpommern-Rügen/Vorpommern-Greifswald kräftig ab. Sie ging bei der Bundestagswahl im September mit 19,6 Prozent als zweitstärkste Kraft durchs Ziel.

Ich fasse zusammen: Die hiesigen, von keiner Irritation durch anders Aussehende geplagten Blässlinge verfügen augenscheinlich über Kalorien im Überfluss und verwenden sie zum Teil dafür, in zeltartigen 5XL-Pullis Kreuzchen gegen Fremde zu machen, die auf Rügen nicht vorkommen.

Aber die Küste, die Klippen und die Seebrücken: toll, toll, toll.



02 Oktober 2017

Vom Aussterben bedroht

Wir müssen Rügen rügen – wegen Regen. Ansonsten ist es ganz amüsant hier oben auf der größten deutschen Insel. Die abgebildete Angebotstafel gibt eine Ahnung, warum.

Aber wie lange wird das noch so sein? Denn wenn die Rügener Bauern ihre Eier auf den Inselmärkten verhökern, statt sie wie seit Jahrtausenden reproduktiv einzusetzen, dürfte es um ihre Zukunft bereits mittelfristig schlecht bestellt sein.


Daran ändert auch das dickste Eigenlob („XL“!) nur wenig. 




15 Juli 2017

Kein Sterbenswörtchen über den Schlagermove

Beim Wettbewerb um die widerlichste regelmäßige Großveranstaltung auf St. Pauli hält der Schlagermove (Archivfoto) seit Jahren konstant eine Spitzenposition unter den Top drei – ästhetisch, musikalisch, sonisch und generell zivilisatorisch. 

Umso großartiger, dass wir ihn dieses Jahr wegen eigener Abwesenheit verpassen, und zwar – vielleicht gibt es ja doch einen Gott – rein zufällig. 

Denn ohne dieses Event aus dem Terminkalender des Teufels überhaupt auf dem Schirm zu haben (das menschliche Gedächtnis versucht ja, die schlimmsten Erinnerungen am schnellsten abzulegen, und zwar im Unterbewusstein unter einem Rubrum namens „Trauma“), buchten wir im Januar arg- und sorglos eine Urlaubsreise. 

Diese startet ausgerechnet am heutigen Sonnabend – also genau an jenem Tag, an dem die im Verlauf der Veranstaltung zuverlässig zu unkontrollierbarer Inkontinenz tendierenden Hossahorden unseren Kiez heimzusuchen planen.

Deshalb habe ich diese Jahr nicht den winzigsten Grund, irgendetwas zu dieser Veranstaltung aus der Vorhölle zu sagen. Wir sind ja nicht da. Ich kann mich jeder Bemerkung enthalten. Kein Wort, nicht das kleinste, wird heuer hier stehen über Miniplimarodeure, Perückenpaviane und „Marmor, Stein und Eisen bricht“-Vomitierer.

Ich kann und werde den Schlagermove 2017 deshalb komplett so was von ignorieren. Er wird diesmal hier auf der Rückseite der Reeperbahn einfach totgeschwiegen.

Und wenn wir wiederkommen, in einer Woche, werden mit Sicherheit sogar die letzten breitflächigen Kotzlachen der vereinigten Helene-Fischer-Chöre längst derart eingetrocknet sein, dass sie uns höchstens noch optisch zu beleidigen vermögen, aber nicht mehr olfaktorisch.

Also wie gesagt: diesmal kein Sterbenswörtchen über den Schlagermove. Denn wir sind nicht da. Hossa!






01 Oktober 2016

Von seltsamen Menschen


Zentralfriedhof Wien, vormittags. Wir stoßen auf eine pompöse Grabstätte in Klavierlackoptik, die anscheinend auf Anweisung eines geschmacksverirrten Etablissementbesitzers gezimmert wurde.

Das Foto in seiner ganzen grauenvollen Pracht spricht hoffentlich Bände – man beachte neben den ganzen Marien- und Engelsstatuen sowie den Pferdegespännen links und rechts der Säulen besonders die auf beiden Seiten vorm Kitschgeländer applizierten Barhocker.

Besonders skurril: Auch die noch gar nicht als Ewigkeitsverbringer aktiven Mitglieder der Familie Mijailović sind schon mit Fotos und Geburtsdaten präsent, nämlich das Ehepaar Milan (*1944) und Dragana (*1949). Milan prostet uns sogar wohlgemut zu, und dazu hat er auch allen Grund, schließlich kann er’s noch.

Zwei ältere Wienerinnen stehen kopfschüttelnd davor. Eine der beiden hat sogar Insiderinformationen. Die Mijailovićs, also Milan und Dragana, erzählt sie, kämen täglich her, um den Klavierlack zu wienern. Diese Woche scheinen die beiden es aber noch nicht geschafft zu haben, denn eine Staubschicht mindert erkennbar die Strahlkraft ihrer designierten Wohnstatt.

Sollten Sie das nächste Mal in Wien sein und den aktuellen Reinheitsgrad der Mijailović’schen Ruhestätte selbst überprüfen wollen: Sie befindet sich in Gruppe 31 a, nicht allzu weit weg von Johann Strauß und Franz von Suppé.

Seltsame Menschen aber gibt es keineswegs nur in Wien, sondern auch auf St. Pauli. Kaum zurückgekehrt, wollte ich ein großes Glas Nutella erstehen, weil sich, wie mir zugetragen wurde, ein 10-Euro-Bahngutschein darin befinden solle, und für so was haben Ms. Columbo und ich ständig Verwendung.

Bei Edeka in der Rindermarkthalle (der gleichen Einkaufshalle, wo es den unlängst an dieser Stelle thematisierten Wucheramericano gibt) suchte ich also die Süßwarenabteilung auf und fand die entsprechenden Nutella-Vorräte – doch meist ohne Gutscheine: Bei fast allen nämlich waren sie gestohlen worden.

Die Gutscheine befinden sich, wie das Bild links dokumentiert, sichtbar im Deckel. Man muss diesen also, um ranzukommen, abschrauben, hinter die Pappbarriere vordringen und dann den Beleg rausfriemeln.

Fairerweise hatten sich die wenigsten dieser charakterlich desorientierten Mitbürger die Mühe gemacht, den Deckel wieder ordentlich zuzuschrauben – wohl eine Art Hinweis für Kaufinteressenten auf eventuell jetzt vorhandene hygienische Mängel der betroffenen Schokonusscreme.

Wenn Sie mich jetzt fragen wollen, welche seltsamen Menschen mir lieber sind – die, die uns trotz ihrer Quicklebendigkeit prophylaktisch von Grabmälern zuprosten, oder jene, die ihre Restwürde bei Edeka abgeben, indem sie Nutella-Gläser behumsen –, dann tun sie das ruhig.




27 September 2016

Der weltweit mieseste Espresso von ganz Wien


Hiermit möchte ich eine Reisewarnung für Wien aussprechen. Nicht für die ganze Stadt natürlich, aber für das Café am Raimundhof.

Ein uns grundlos übel gesinntes Schicksal ließ uns gestern dort einkehren, angelockt von der Verheißung eines Espressos und dem auf der draußen platzierten Tafel offerierten Apfelstrudel.

Der Espresso war völlig ungenießbar – als hätten die Bohnen nach der Röstung zwei Jahre unter verfaultem Heu verbracht. Noch niemals in meiner Kaffeekonsumptionskarriere habe ich ein aufgebrühtes Getränk dieser Provenienz nicht ausgetrunken, hier aber war es mir unmöglich.

Und der Apfelstrudel schmeckte, als sei „Coppenrath & Wiese in der Mikrowelle ermordet worden“ (O-Ton Ms. Columbo). Also, meine Damen und Herren, wenn Ihnen Ihr Leib und Leben und die Erinnerung an Wien wichtig sind, dann meiden Sie unbedingt das Café am Raimundhof!

Zumal der Wirt, als ich ihm schonend die Ungenießbarkeit seines Gebräus nahezubringen versuchte, mit Unverständnis reagierte („Döhs is unser gonz nommaler Kaffee.“) Selbstverständlich landete die unglückselige Tasse demzufolge – obgleich nur zur Hälfte konsumiert – auch auf der Rechnung. Also bleiben Sie bloß da weg! Gehen Sie lieber ins Café Ritter, obwohl man dort keine Kartenzahlung (österreichisch: „Bankomat“) akzeptiert.

Wo ich mich in Wien nicht rangetraut habe, ist eine hierzulande spezifische Variante meines Lieblingsgetränks, nämlich der „Oilesso“. Als Purist, der weder Zucker noch Milch noch Alkoholika an seinen Espresso lässt, ist mir auch die Zutat Kürbiskernöl, welcher ich in anderen Zusammenhängen sehr zugeneigt bin, äußerst suspekt.

Beide Seiten können dabei, wie ich vermute, nur verlieren. Hat jemand sich schon einmal todesmutig einem derartigen Verkostungsexperiment ausgesetzt? Ein Erfahrungsbericht würde mich interessieren, denn ich mag auch Horrorfilme.

Eine interessante Erkenntnis vermittelte uns das Sightseeing. Nach über vier Stunden Wanderns durch Wien, nach knapp 17 Kilometern also, hätten lediglich anderthalb Hamburger Royal mit Käse ausgereicht, um die dabei verbrauchten Kalorien wieder komplett aufzufüllen.

Das spricht eindeutig für den Nährwert von Fast Food – und ebenso für das in bergsteigerischer Hinsicht überschaubare Anspruchslevel von Wien.

Natürlich sind wir nicht nur zu Fuß unterwegs gewesen, sondern auch in der Straßenbahn. Dort fielen mir Sitze ins Auge, die für bestimmte bedürftige Bevölkerungsgruppen reserviert waren: Schwangere, Mütter mit Kind, Blinde – und Harry Rowohlt.

Leider kann der das Privileg nicht mehr in Anspruch nehmen. Es ist zum Heulen.



26 September 2015

Fundstücke (206)


„Sonst“, bemerkt Ms. Columbo ganz richtig, „sieht man so etwas nur in Mafiafilmen. Dann liegt das Gesicht allerdings in einem Teller Spaghetti.“

Das war hier allerdings nicht ganz der Fall. Woher sollte im ICE zwischen Hamburg und Koblenz auch ein Teller Spaghetti kommen?

Die Dame wachte übrigens trotz bedrohlich eingeschränkter Frischluftzufuhr irgendwann wieder auf.

Aber da hatte ich mein klammheimliches Bild schon im Kasten.

27 Juli 2015

Pareidolie (105–107)

 

Unter den Blinden ist der Kohlrabi König, wie mir heute bei Edeka dämmerte.
 

Die anderen beiden Entdeckungen verdanke ich dem bereits in der Vergangenheit immer wieder ergiebigen Schlachthofflohmarkt (wobei Baseballmützen von hinten sowieso ein steter Quell der Freude sind, wie man hier und hier gut sehen kann) sowie einem Bus in Trient. 

Sie sehen: Ich scheue keine Wege, um Sie mit frischen Fundstücken zu versorgen.









PS: Eine ganze Galerie gibt es – natürlich – bei der Pareidolie-Tante.