24 Juli 2017

Die Falle der Mönche

Selbstverständlich sollte man im mittelalterlichen Brügge unbedingt das Biermuseum besuchen, gerne auch am hellichten Nachmittag. Allerdings sollten Sie, die Sie dies beim nächsten Brüggebesuch erwägen, eines wissen: Zum krönenden Abschluss werden drei Biersorten zum Verkosten gereicht. 

Ich nahm naiverweise an, es handele sich dabei um schnapsglaskleine Probierportiönchen, doch der belgische Zapfmann schenkte forsch aus; das tendierte alles deutlich in Richtung Kölschgröße. Dreimal nullzwo, das sind ja schon nullsechs. Wie gesagt, am hellichten Nachmittag. 

Auch das wäre noch kein Problem gewesen, das man als gestandener Hanseat nicht bewältigen könnte, hätte sich unter den Verkostungsproben nicht eine befunden, die auf den Namen La Trappe Quadrupel hörte.

Dass bereits der Name dieses Getränks an das englische Wort für Falle gemahnt, hätte bei uns sofort sämtliche Alarmglocken schrillen lassen müssen. Was bei uns arglosen Hamburger Hascherln allerdings nicht geschah.

Dieses Bier also, das La Trappe Quadrupel, wird von Zisterziensermönchen gebraut, die umgangssprachlich auch Trappisten genannt werden, und wenn man schon unbedingt nach einer Existenzberechtigung für das Christentum suchen möchte, dann liefert dieses Getränk das bislang überzeugendste mir vorliegende Argument.

Denn es ist verdammt noch mal das beste Bier, das ich in meinem ganzen Leben getrunken habe. Allerdings bedauerlicherweise auch das stärkste. 

Mit gewaltigen zehn Volumenprozenten überfällt es einen hinterrücks – und unter tätiger Beihilfe der anderen beiden Bierproben karriolt man ergo nach Abschluss der Veranstaltung hackedicht durch Brügge. Vor allem Ms. Columbo, die ja nix gewohnt ist, traf das La Trappe völlig unvorbereitet.

Das Foto oben zeigt einen noch zuversichtlichen Blogbetreiber in jenem Augenblick, als das Unglück seinen Lauf zu nehmen begann. Der Rest ist Geschichte.




23 Juli 2017

Die Spur der Steine


Natürlich haben Gegenstände oder Orte aus sich heraus keine „Aura“. Ein Stein ist ein Stein ist ein Stein, auch noch 5000 Jahre, nachdem er auf einen anderen gelegt wurde.

Gegenstände, Steine oder Orte gewinnen ihre Ausstrahlung – wenn alles gut läuft – erst durch denjenigen, der sie betrachtet. Sie entsteht in seinem Inneren. Doch er hat das Gefühl, es sei genau umgekehrt. 

Diese Ausstrahlung ist also eingebildet, sie ist eine Schimäre. Aber eine, die das Erlebnis, vor einem Stein zu stehen, der vor 5000 Jahren auf einen anderen gelegt wurde, zu einem sehr emotionalen werden lässt.

Das gilt vor allem in Stonehenge. Gerade selbst getestet.


15 Juli 2017

Kein Sterbenswörtchen über den Schlagermove

Beim Wettbewerb um die widerlichste regelmäßige Großveranstaltung auf St. Pauli hält der Schlagermove (Archivfoto) seit Jahren konstant eine Spitzenposition unter den Top drei – ästhetisch, musikalisch, sonisch und generell zivilisatorisch. 

Umso großartiger, dass wir ihn dieses Jahr wegen eigener Abwesenheit verpassen, und zwar – vielleicht gibt es ja doch einen Gott – rein zufällig. 

Denn ohne dieses Event aus dem Terminkalender des Teufels überhaupt auf dem Schirm zu haben (das menschliche Gedächtnis versucht ja, die schlimmsten Erinnerungen am schnellsten abzulegen, und zwar im Unterbewusstein unter einem Rubrum namens „Trauma“), buchten wir im Januar arg- und sorglos eine Urlaubsreise. 

Diese startet ausgerechnet am heutigen Sonnabend – also genau an jenem Tag, an dem die im Verlauf der Veranstaltung zuverlässig zu unkontrollierbarer Inkontinenz tendierenden Hossahorden unseren Kiez heimzusuchen planen.

Deshalb habe ich diese Jahr nicht den winzigsten Grund, irgendetwas zu dieser Veranstaltung aus der Vorhölle zu sagen. Wir sind ja nicht da. Ich kann mich jeder Bemerkung enthalten. Kein Wort, nicht das kleinste, wird heuer hier stehen über Miniplimarodeure, Perückenpaviane und „Marmor, Stein und Eisen bricht“-Vomitierer.

Ich kann und werde den Schlagermove 2017 deshalb komplett so was von ignorieren. Er wird diesmal hier auf der Rückseite der Reeperbahn einfach totgeschwiegen.

Und wenn wir wiederkommen, in einer Woche, werden mit Sicherheit sogar die letzten breitflächigen Kotzlachen der vereinigten Helene-Fischer-Chöre längst derart eingetrocknet sein, dass sie uns höchstens noch optisch zu beleidigen vermögen, aber nicht mehr olfaktorisch.

Also wie gesagt: diesmal kein Sterbenswörtchen über den Schlagermove. Denn wir sind nicht da. Hossa!






09 Juli 2017

G20: Nachlese eines Desasters


Ich weiß nicht, ob das Gerücht stimmt, aber in den Tagen vorm Gipfel sollen Leute aus der autonomen Szene die oben abgebildeten Plakate mit dem Text „NO G20 – SPARE OUR STORE“ verteilt haben – aber nur an manche, offenbar politisch genehme Ladengeschäfte. Was im Umkehrschluss bedeuten hätte, dass jene, die kein Plakat erhalten hatten, zum Abschuss freigegeben waren. So eine Art umgekehrtes Judensternprinzip also.

Wie gesagt: Keine Ahnung, ob das stimmt. Keine Ahnung, ob eine Art linksautonomes Gremium eine Selektion des Einzelhandels vorgenommen hat. Die Plakate sah man jedenfalls in den Tagen vorm Gipfel in vielen Geschäften. Heute hingen immer noch viele auf dem Kiez und in der Schanze; an unversehrten Scheiben.


Andere hatten keine „SPARE OUR SHOP“-Plakate abgekriegt, und weil sie nicht mal ein Shop waren, bastelten sie sich panisch selber welche. Die Kita in der Bernhard-Nocht-Straße zum Beispiel. 

Das Gebäude, in dem sie untergebracht ist, wurde erst vor einigen Jahren im typischen Klinker-Glas-Mix errichtet, und das macht es wohl – durch den Tunnelblick eines Pflastersteinwichtes – zum zerstörungsprädestinierten Palast des Raubtierkapitalismus. Zumindest scheint die Kita-Leitung diesen Verdacht gehegt zu haben – und appellierte vorauseilend auf schier verzweifelte Weise ans Mitleid der Randalierer. 

Ob es die Schilder waren, die wirkten, oder der Schwarze Block gerade keine Wurfgeschosse zur Hand hatte, als er durchs Viertel marodierte: Wir werden es nie erfahren. 




Mindestens einer von ihnen aber hatte zumindest eine Spraydose dabei. Und schaffte es, beim Verschönern einer Klinkerfassade in der Taubenstraße gleich zwei Rechtschreibfehler in einen einfachen Hauptsatz einzubauen. Möchte man wirklich, dass solche Leute irgendwann mal das Sagen (und Schreiben!) haben? Auch nur ein winziges Bisschen? Nope, Sir.


Eingangs des Schulterblatts brachte die Gluthitze der brennenden Barrikaden den Asphalt zum Schmelzen. Er erstarrte danach wieder zu einem welligen, grobporigen, buckligen Etwas, das nun von Baustellenmarkierungen eingezäunt ist. 

Ein paar Dutzend Meter weiter haben Anwohner des Schanzenviertels eine Wäscheleine gespannt und Zettel drangehängt, auf denen sie ihre Wut (nicht nur auf die potenziellen Mörder, sondern auch auf unseren Ersten Bürgermeister Olaf Scholz) und ihren Stolz darauf, anders zu sein als die Marodeure, aufgeschrieben haben. 

Drumherum sitzt alles bereits wieder in den Kneipen, Restaurants, auf Bänken und Gehwegen. Es ist viel passiert, aber nichts davon verdirbt ihnen dauerhaft Durst und Appetit – nimm das, Autonomer.






Den ganzen Sonntag über räumten die Schanzenbewohner ihr Viertel auf, und heute Abend sah es schon beinah wieder so hübsch abgeranzt aus wie immer – wenn man von den vielen blinden Fensterlöchern absieht, hinter denen nun Bretter und Spanplatten befestigt sind. 

In der Seilerstraße sind die grotesk wirkenden, weil in dieser Gegend eigentlich nicht überlebensfähigen Parklücken inzwischen wieder verschwunden. Das Foto unten konserviert aber die atemberaubende Ausnahmesituation für die Ewigkeit – damit die Enkelgeneration es uns auch glaubt.



Auf dem Spielbudenplatz hatte noch jemand eine Botschaft für alle, die es angeht. Eine ohne einen einzigen Rechtschreibfehler. 






04 Juli 2017

G20: Haut Trump die Elphi kurz und klein?


Für zwei hochkarätige Teilnehmer des G20-Gipfels verspricht das Konzert in der Elbphilharmonie am Freitagabend besonders aufregend zu werden. 

Recep Tayyip Erdoğan etwa wird bass erstaunt darüber den Kopf schütteln, dass dieser einst als Trainer in der Türkei erfolglose Teufelskerl Jogi Löw neuerdings sogar in der Lage ist, ein Sinfonieorchester zu dirigieren (Bild). 

Donald Trump hingegen wird sich mächtig aufregen über die dargebotene „Fake music!“, weil das Fraud-Media-Programmheft böswillig verschweigt, wer das von Jogi Löw dirigierte Stück namens „Beethoven“ in Wahrheit schuf – nämlich der große amerikanische Komponist Chuck Berry.

Viel Konfliktpotenzial also am Wochenende. Bleiben Sie lieber zu Hause oder in Travemünde.

Quelle: Hamburger Abendblatt, 28.06.2017


01 Juli 2017

Neues aus St. Pauli


  1. In der Taubenstraße legt ein Kleinwagenfahrer bei erstaunlich geringem Tempo direkt neben uns einen perfekten U-Turn hin und erfreut sich diebisch an unserem Schreck; einen Augenblick lang sah es nämlich so aus, als sei der Gehweg für uns keineswegs die momentan sicherste Region auf ganz St. Pauli.

  2. In der Wohlwillstraße kracht, als wir gerade auf der gegenüberliegenden Straßenseite vorübergehen, ein Blumentopf auf den Bürgersteig und verfehlt nur knapp zwei Passantinnen. Das erinnert mich unschön an einen Vorfall von circa 1997, den ich hier aus gutem Grund noch niemals geschildert habe. Damals fiel neben uns kein Blumentopf vom Himmel, sondern ein Frauenkörper. Einzelheiten vielleicht irgendwann. Wenn ich soweit bin.

  3. Ein Nachbar aus einem Haus an der Reeperbahn, dessen Rückseite wir vom Balkon aus sehen, präsentiert sich der Öffentlichkeit mit Deutschland- und Totenkopfflagge. Was die Frage aufwirft, was er im September wohl wählen wird – AfD oder Die Linke? Die Welt ist kompliziert geworden. Und St. Pauli ebenfalls.

  4. Durch die Seilerstraße traben vier Pferde mit Polizisten obendrauf. Irgendwie beruhigend, dass man selbst in Zeiten von Hightechwaffen noch immer parallel – wie dereinst Dschingis Khan und Sitting Bull – auf die einschüchternde Präsenz der Gattung Equus setzt.

  5. Inzwischen sind die Hotels bekannt, in denen die G20-Teilnehmer absteigen. St. Pauli hat keinen Staatschef abgekriegt, sondern nur Journalisten – die Russen hausen im Hotel Hafen Hamburg, der Rest im Empire Riverside. Vladimir Putin belegt samt Entourage das Park Hyatt in der Innenstadt, wo ich 1999 mal Patricia Kaas interviewt habe, deren erste Single Gerard Depardieu finanzierte, der später ein Freund Vladimir Putins wurde. Die Welt ist klein, Kreise schließen sich. Patricia Kaas sagte damals den Satz: „Ich bin ziemlich naturelle, aber eben auch gerne sophistiquée.“ Das erinnert mich an den Nachbarn von gegenüber, den mit den zwei widersprüchlichen Flaggen. Aber dafür kann La Kaas natürlich nicht das Geringste.