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13 September 2011
Die absurde Pantomime
Heute Abend auf einer Party erzählte uns eine Frau von ihrem beruflichen Aufenthalt in Pjöngjang, der Hauptstadt Nordkoreas.
Sie hatte an einer organisierten Stadtrundfahrt teilgenommen, und am nachhaltigsten waren ihr die Verkehrspolizisten im Gedächtnis geblieben. Geschminkt und schick uniformiert standen sie mitten auf leeren Kreuzungen und regelten mit professioneller Gestik den Verkehr.
Den es allerdings nicht gab.
Autos fuhren nämlich so gut wie keine in Pjöngjang. Doch die Verkehrspolizisten taten ihr Werk Stunde um Stunde, sie gaben imaginäre Spuren frei, stoppten Phantomfahrzeuge, winkten das große Nichts durch.
Sie verhielten sich wie menschliche Ampeln, die mechanisch ihren Dienst tun, unabhängig davon, ob es Adressaten ihrer Botschaften gibt. Eine Pantomime des Absurden, wie aus einem Stück von Ionesco oder Beckett.
Und damit habe ich endlich doch noch etwas entdeckt, was mir am Stalinismus gefällt.
PS: Das heutige Foto passt perfekt, denn es zeigt ebenfalls keinen Verkehr in Pjöngjang – und außerdem das verrottende Parkhaus des stillgelegten Real-Marktes am Neuen Kamp.
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Investitionen, Beschäftigung und Partizipation weiter Bevölkerungsteile entwickelten sich nämlich so gut wie keine in den USA/Griechenland/Spanien oder Deutschland. Doch die Finanzpolizisten taten ihr Werk Stunde um Stunde, sie gaben imaginäre Märkte frei, stoppten effizienzhemmende Regulationen, winkten das große Nichts durch.
AntwortenLöschenSie verhielten sich wie menschliche Ampeln, die mechanisch ihren Dienst tun, unabhängig davon, ob die Adressaten ihrer Botschaften in Washington oder Brüssel gute Lobbyarbeit geleistet hatten oder aus vorauseilendem Gehorsam. Eine Pantomime des Absurden, wie aus einem Stück von Ionesco oder Beckett.
Und damit habe ich endlich doch noch etwas entdeckt, was mir am Kapitalismus gefällt.
Das klingt gewaltig nach Cargo Cult. Vielleicht hat man in der Partei gesehen, dass überall da, wo Überfluss herrscht, der Verkehr ordentlich geregelt wird und daraus den einzig logischen Schluss gezogen, dass, wenn nur der Verkehr ordentlich geregelt wird, der Überfluß bald kommt.
AntwortenLöschenSchnakidischnupp, dann haben wir ja jetzt beide ein System gefunden, das uns gefällt … ;) … Nein, im Ernst: Natürlich kann man das übertragen, wie Sie es tun, doch das Absurde liegt hier zweifelsohne im Konkreten. Ihr Beispiel ist zu abstrakt, um mit den Geisterpolizisten von Pjöngjang mithalten zu können.
AntwortenLöschenAnonym 07:40, das klingt nicht unplausibel.
... oh je, Matt, da haben Sie doch nicht etwa gewagt, den guten Stalinismus anzugreifen? Das geht natürlich nicht ohne eine entsprechende Würdigung der Greueltaten der Marktwirtschaft! Das müssen Sie doch einsehen!
AntwortenLöschenHabe soeben „Cargo Cult” nachschlagen müssen und freue mich darüber, nun wieder etwas gelernt zu haben, btw. Da klaffte wohl eine (von vielen) Bildungslücken auf.
GP, niemals würde ich den Stalinismus angreifen wollen. Gulag ist mein zweiter Vorname!
AntwortenLöschenDen Cargo-Kult kannte ich auch noch nicht. Bloggen bildet halt.