Matt auf Tour. Im Bunker an der Feldstraße besuche ich das Konzert einer Band aus Austin, die sich ihren entsagungsvoll pathetischen Namen bestimmt nur deshalb zugelegt hat, um traurige Nerds ins Netz zu locken: I Love You But I’ve Chosen Darkness. Ich setze mich zu zwei kiezbekannten traurigen Nerds auf den Boden, werde allerdings sogleich von links angetippt. Eine junge Frau.
Sie sagt: „Hier sitzt aber mein Freund.“ Ich sage: „Ups. Ich bin doch gar nicht dein Freund!“ – zumindest in meiner Fantasie sage ich das, denn momentan bin ich ein trauriger Nerd und alles andere als schlagfertig, weshalb mir ein lahmes und furchtbar nerdiges „Ich stehe auf, wenn er zurückkommt“ herausrutscht. Kein Ruhmesblatt.
Am nächsten Abend folgen Ms. Columbo und ich der Einladung zur Neueröffnung einer Kaffeerösterei an der Alster. Neben mir steht der Posaunist Nils Landgren. Er trägt einen tadellosen blauen Maßanzug; bei seiner leicht rundlichen Körperform eine weise Investition. Allerdings tummelt sich auf seinem Jackett unterm linken Schulterblatt ein fröhliches Ensemble weißer Fussel, das mein ästhetisches Empfinden massiv stört.
Ich tippe ihm auf die Schulter und sage: „Entschuldigen Sie, Herr Landgren, Sie haben störende weiße Fussel auf dem Rücken, darf ich Sie Ihnen entfernen?“ – zumindest in meiner Fantasie sage ich das, denn Landgren ist in weiblicher Begleitung, und das ist ja wohl ihre Aufgabe. Doch erst nach einer enervierenden Viertelstunde wird sie leicht vorwurfsvoll tätig.
Einen Espresso und ein paar Schnittchen später ziehen wir weiter ins Indra (Foto) auf der Großen Freiheit, dorthin, wo die Beatles ihren ersten Auftritt in Hamburg hatten. Die Luft ist angedickt mit Aura und Zigarettenqualm, und die Bühne betritt der auf tragische Weise verkapselte Singer/Songwriter Ray LaMontagne. Ein Mann, demgegenüber Nick Drake ein Zirkusclown gewesen sein muss.
Er sagt fast nichts, hält die Augen so fest geschlossen, als wäre er Lots Gattin und vor ihm läge Sodom; manchmal flüstert er „Thank you“ wie ein deprimierter Hamster – doch er singt mit heiserhoher Stimme die traumhaftesten Songs.
LaMontagne ist der Prototyp des traurigen Nerds, und wäre er eine Band, er hieße I Love You But I’ve Chosen Darkness, das wäre nur logisch. Irgendwann macht er eine kleine Ansage, so kraftvoll wie ein Kolibri. Ich rufe: „Lauter!“ – zumindest in meiner Fantasie, denn das Rufen übernimmt ein Typ in Thekennähe. Idiot.
Als Zugabe spielt LaMontagne mein Lieblingsstück. Es heißt „All the white horses“, und wenn man es hört, denkt man drei Minuten lang, es sei das Erstrebenswerteste auf der ganzen weiten Welt, ein trauriger Nerd zu sein.
Ex cathedra: Die Top 3 der Songs für Nerds
1. „Creep“ von Radiohead
2. „Loser“ von Beck
3. „Nobody loves you when you're down and out“ von John Lennon
Haha, Hallo Zielgruppe! "I Love You But I’ve Chosen Darkness." hätten mich mit ihrem Namen auch beinahe ins Netz gelockt, mich Nerd, mich.
AntwortenLöschenDu hast neben Nils Landgren gestanden? Ich gebe zu, ein wenig eifersüchtig bin ich schon.
AntwortenLöschenWar/ist das die Kafferösterei neben der Europapassage? Da bin ich letzte Woch reingestolpert und habe das Schild missachtet, wo drauf stand, dass das Kaffee demnächst eröffnet wird. Man hat mich dann etwas schräg angeschaut, da ich aber zielstrebig zu den Jazz-CDs gegangen bin, hat man mich gewähren lassen. Man wollte sich wohl seine zukünftige Kundschaft nicht vergraulen. Er im Nachhinein dämmerte es mir, dass die wohl noch geschlossen sind. Da sie aber brav waren, werde ich die Rösterei wohl in mein Beuteschema aufnehmen. Jazz und Kaffee ist ganz in meinem Sinne!
Ja, genau diese Rösterei war's. Klassik steht da übrigens auch rum.
AntwortenLöschenListen to Ray LaMontagne
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