03 Oktober 2006

Der Wink mit dem Bolzenschneider

Als ich nach viertelstündigem Besuch Andreas’ Wohnung in der Beckers Passage wieder verlasse und mein Fahrrad vom Eisenzaun gegenüber abschnallen will, steht dort zwar ein Fahrrad, aber nicht mehr meins.

Ich muss ähnlich konsterniert dreinschauen wie damals, als ich statt unseres Wagens nur eine bestürzend leere Asphaltfläche vorfand. Ich schaue mich ratlos um – und da ist es ja, mein Fahrrad. Es lehnt unversehrt auf der anderen Seite des Fußwegs, am Gitterzaun auf Andreas' Seite.

Allerdings hängt ihm nun lose die plastikummantelte Stahlkette über der Stange; die Kette ist mit einem sauberen Schnitt durchtrennt worden.

Offenbar wollte der Besitzer des zuständigen Bolzenschneiders so seinen Unmut über den Parkplatz meines Rades ausdrücken. Es wäre ihm wohl weitaus genehmer gewesen, ich hätte es gleich auf Andreas’ Seite angeschlossen. Doch statt mir dies auf altmodisch umständliche Weise mitzuteilen – etwa über einen Klebezettel auf meinem Sattel fürs nächste Mal –, wählte er die unverblümt brachiale, gewissermaßen metaphorische Kommunikation.

„Eure Rede sei ja, ja oder nein, nein“, plädiert ja schon die Bibel für Klarheit des Ausdrucks und gegen die schwachmatischen Anwandlungen der Diplomatie. Jedenfalls war dem Bolzenschneiderführer die Verdeutlichung seines Anliegens sogar ein Delikt wert (Sachbeschädigung), was mir noch einmal klar vor Augen führt, wie sehr ihn mein Falschparken innerlich aufgewühlt haben muss.

Wahrscheinlich habe ich sogar Glück gehabt, nicht persönlich zugegen gewesen zu sein, als der Herr (es muss ein Herr gewesen sein!) mit seinem Gerät die Szenerie betrat.

Kurz: Ich empfinde diesen Nachmittag als beglückend gelungen.

Ex cathedra: Die Top 3 der Songs über unangemessenes Verhalten
1. „Folsom prison blues“ von Johnny Cash
2. „I’d rather go blind“ von Chicken Shack
3. „If you don’t love me (I'll kill myself)“ von Pete Droge

10 Kommentare:

  1. Herzlichen Dank für diese agnostisch gefärbte Bibelexegese.

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  2. Ich denke eher, es war ein Appell an das Gute im Menschen:

    Vertrauen ist das Grundwasser des Herzens

    oder

    Wer an mich glaubt, braucht sein Fahrrad nicht abzuschließen.

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  3. Opa, bezüglich des Glaubens ans Gute im Menschen gewinnen die biblischen Grundaussagen für mich immer mehr Strahlkraft - vgl. die Kapitel über die Erbsünde …

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  4. Du und Dein Fahrradschloss haben also heute für alle Menschen gesühnt? Das wäre die Conclusio zum Thema Erbsünde.

    Nein, die Zeit der Aufklärung in Europa hatte mehr zu bieten, auch wenn sie ihre Kinder fraß.

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  5. Ich dachte immer, das mit den Kindern sei die Revolution gewesen.

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  6. @ Ritter Matthias:

    Sie frönen aber noch altertümlichen Vorstellungen: (es muss ein Herr gewesen sein!)

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  7. Na, hören Sie mal – würden Sie einer Dame dieses brutale Vorgehen gegen ein unschuldiges Phallussymbol zutrauen?

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  8. Selbstverständlich. Aufgrund meiner Erfahrungen jederzeit, freilich nicht allen.

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  9. Hm, muss ich mich jetzt für die Handlungen meiner Nachbarn entschuldigen? Ich weiß nicht so recht. Jedenfalls war mir deren Neigung zu unangekündigten Sachbeschädigungen bislang nicht bekannt, ich hätte Dich also nicht vorwarnen können.
    Und gleich noch eine Frage: Seit wann sind Phallussybole ringförmig?

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  10. Also, diese Kette kann verschiedene Aggregatzustände einnehmen, mal ringförmig und mal – ähem – lang und gerade. Zumal, wenn sie in zwei Teile zerschnitten wurde.

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