Mein täglicher Radelweg zur Arbeit führt mich an der Kreuzung Holsten- und Utrecht-Straße vorbei. Dort prangt über Eck ein nicht eben kleiner Möbelladen, und seit Monaten verkünden gewaltige Transparente hinter seinen Scheiben den „Totalen Räumungsverkauf“.
Von außen sieht man zum Beispiel metallene Beistellregale mit zwei Abstellflächen, an denen riesige gelbe Preisschilder kleben. Der ursprüngliche Betrag ist durchgestrichen, aber lesbar; und aktuell hätte der totalausverkaufende Möbelladen gern nur noch lachhafte 280 Euro dafür. Meine Herren! Die Dinger scheinen einen Goldüberzug zu haben.
Seit einigen Wochen frage ich mich nun immer drängender, wann denn der „Totalausverkauf“ endlich abgeschlossen sein wird. Der Laden wird jedenfalls einfach nicht leerer. Mein Blick ist inzwischen geschärft, und ich muss gestehen, dass sich gar ein gerüttelt Maß unfeines Misstrauen einschlich. Allmorgendlich schaue ich mir im Vorüberfahren wie zwanghaft die Verkaufsräume an – und sie sind voll. Sie sind sogar immer gleich voll. Was auch kein Wunder ist, denn oftmals stehen Lieferwagen vor der Eingangstür. Sie laden aus, nicht ein. Und zwar Möbel. Sofas, Tische, Schränke: Immer rein damit.
Der „totale Räumungsverkauf“ scheint mir ergo – aber ich bin ja nur ein Laie und immens unbewandert in den Deklarationskonventionen von Möbelläden an Hamburger Kreuzungen – nicht hundertprozentig ernst gemeint zu sein. Sondern vielleicht nur zweiprozentig, aufgerundet. Irgendwie hat das Ganze etwas von persischen Teppichläden: Die haben auch immer gerade Ausverkauf und derart maximale Minipreise, dass du dich vor Verblüffung und aufbrandendem Teppichkaufzwang glatt lang hinlegen musst, aber zum Glück liegt ja genau dort ein persischer Teppich.
Ich werde das weiter beobachten. Zumindest, wenn es nicht regnet: Der Bus nimmt eine andere Strecke.
Große Musik, die heute durch den iPod floss: „Eternal drift“ von Axiom Ambient, „Another green world“ von Brian Eno und „The deadly nightshade“ von Daniel Lanois.
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31 Oktober 2005
30 Oktober 2005
Das Maffay-Missverständnis
In Gerhard Henschels hochamüsantem Roman „Der dreizehnte Beatle“ las ich heute den Satz: „Meine Zunge schmeckte wie ein Kniestrumpf“, und das erinnerte mich aus bestimmten Gründen an den Blog-Eintrag von gestern.
Die abgebildete Spinne verwehrte uns heute mit einem voluminösen Netz beinah den Ausstieg aus dem U-Bahn-Fahrstuhl am Rödingsmarkt, den wir nach dem Fitnesstraining gern benutzen, um uns nicht ächzend die vielstufigen Treppen hinanschleppen zu müssen.
Die Strecke der U3 führt von dort aus über nur drei Stationen nach St. Pauli, doch es gibt in ganz Hamburg keine schönere Fahrt. Es geht an der Speicherstadt entlang, dann ragt stolz die Kehrwiederspitze gen Himmel, auf der anderen Elbseite sehen wir das kühn geschwungee Musicalhaus für den „König der Löwen“, wir passieren zwei Prunkschiffe, die dauerhaft hier vor Anker liegen, die schneeweiße Cap San Diego und den moosgrün leuchtenden Segler Rickmer Rickmers, ehe wir an den Landungsbrücken nach rechts abknicken und mit einem Bild des alten Elbtunnels auf der Retina in die U-Bahnröhre eintauchen, die hochführt zur Reeperbahn.
Apropos Cap San Diego: Dort verbrachte ich mal einen denkwürdigen Abend, den ich ob seiner Denkwürdigkeit bereits einmal bei den höflichen Paparazzi geschildert habe. Doch leider fiel er einem gewaltigen Servercrash zum Opfer, wovon sich die verdienstvolle Website noch immer nicht recht erholt hat. Deshalb gibt es die Story jetzt exklusiv in diesem Blog:
Es herrscht Trubel auf dem Museumsschiff Cap San Diego im Hamburger Hafen. Peter Maffay präsentiert sein neues Album, eingespielt mit Menschen aus aller Welt, darunter der US-amerikanische Blues-Musiker Keb' Mo'. Vom Management habe ich telefonisch die lose Zusage, mit Maffay ein Interview führen zu können, alleine, „so irgendwann ab 22 Uhr“. Nun, nach Präsentation und Buffet, gilt es, im Tohuwabohu den richtigen Menschen zu erwischen, der mit mir Maffay findet.
Irgendwann finde ich eine hochblonde Mitarbeiterin seines Büros. Vielmehr: Sie findet mich. Ob ich noch einen Wunsch hätte, fragt sie. Ja, ich suche Peter Maffay. Der ist noch oben, sagt sie, und wird am Tisch von Keb' Mo' erwartet, kommen Sie, ich bringe Sie zum Tisch von Keb' Mo'. Wir gehen hoch, am Tisch kein Keb' Mo', kein Maffay. Warten Sie, sagt sie, ich hole Keb' Mo'. Entschuldigung, nicht nötig, sage ich, ich möchte sowieso Peter Maffay sprechen.
Sag mal, fragt sie einen Kollegen, weißt du, wo Keb' Mo' ist? Wahrscheinlich im Salon, sagt er. Kommen Sie, flüstert sie, wir gehen hoch in den Salon. Im Salon gedämpfte Stimmung und kein Keb' Mo'. Aber Peter Maffay, gerade im Interview. Klappt ja wunderbar. Ich nehme Platz im Vorraum und warte, dass ich drankomme.
Die Blonde trollt sich. Ich verfolge zufrieden den Aufmarsch der Kollegen, die nach mir dran sein werden. Nach zehn Minuten kommt sie zurück, in heller Aufregung. Wild gestikuliert sie vom Treppenabsatz herüber. Kommen Sie! Kommen Sie! brüllt sie flüsternd, ich habe Keb' Mo'! Ich stehe auf, gehe einige Schritte auf sie zu, sage: Entschuldigung; aber sie läuft erregt die Treppe hinab, weiter wie von Sinnen winkend – klar, schließlich hat sie Keb' Mo'!
Zögernd gehe ich zum Absatz, bange um den Platz in der Schlange. Ich bin der nächste bei Maffay, flüstere ich hinunter, ich darf meinen Platz in der Schlange nicht aufgeben. Sie: Keb' Mo' ist hier unten, kommen Sie, ich setze mich solange auf Ihren Platz! Aber ich möchte Keb' Mo' nicht sprechen, barme ich, ich will nur Peter Maffay sprechen!
Sie bleibt stehen. Ihr Winken gefriert, sie erstarrt geradezu, Erkenntnis bahnt sich ihren Weg, wenngleich mühsam. Ja, drei Meter entfernt von mir ist jetzt alles schiere blonde Fassungslosigkeit. Aber vorhin, heult sie, wollten Sie doch noch Keb' Mo'! Nein, flüstere ich verzweifelt treppab, ich wollte Maffay, immer nur Maffay! Sie hebt die Arme, wirft sie durch die Luft und jault im Abdampfen diesen Satz, den ich nie mehr vergessen werde: Ich mache dieses Spielchen nicht mehr mit!
Immerhin ist mein Platz noch frei, ein Glück. Ich habe weitere zehn Minuten Zeit, über die Tücken menschlicher Kommunikation nachzudenken, ohne freilich zu letzten Schlüssen zu kommen. Ah, jetzt ist Maffay frei, er stellt sich an die Theke zu seinen Mitarbeitern für einen Sekt zwischen zwei Interviews. Ich stelle mich dazu, warte auf die Chance, ihn zum Gespräch zu bitten, ohne dem Freundeskreis unhöflich in die Parade zu fahren.
Plötzlich beugt sich sein Manager zu mir herüber und flüstert: Sagen Sie, woran ist eigentlich das Gespräch mit Keb' Mo' gescheitert … ?
Später, auf dem Weg zu Fuß nach Hause in die Seilerstraße, fühle ich mich echt schlecht. Keb' Mo' wahrscheinlich auch.
Große Musik, die heute durch den iPod floss: „Space travel is boring“ von Sun Kil Moon, „San Francisco“ von Caterina Valente und „57th minute of the 23rd hour“ von Galliano.
Die abgebildete Spinne verwehrte uns heute mit einem voluminösen Netz beinah den Ausstieg aus dem U-Bahn-Fahrstuhl am Rödingsmarkt, den wir nach dem Fitnesstraining gern benutzen, um uns nicht ächzend die vielstufigen Treppen hinanschleppen zu müssen.
Die Strecke der U3 führt von dort aus über nur drei Stationen nach St. Pauli, doch es gibt in ganz Hamburg keine schönere Fahrt. Es geht an der Speicherstadt entlang, dann ragt stolz die Kehrwiederspitze gen Himmel, auf der anderen Elbseite sehen wir das kühn geschwungee Musicalhaus für den „König der Löwen“, wir passieren zwei Prunkschiffe, die dauerhaft hier vor Anker liegen, die schneeweiße Cap San Diego und den moosgrün leuchtenden Segler Rickmer Rickmers, ehe wir an den Landungsbrücken nach rechts abknicken und mit einem Bild des alten Elbtunnels auf der Retina in die U-Bahnröhre eintauchen, die hochführt zur Reeperbahn.
Apropos Cap San Diego: Dort verbrachte ich mal einen denkwürdigen Abend, den ich ob seiner Denkwürdigkeit bereits einmal bei den höflichen Paparazzi geschildert habe. Doch leider fiel er einem gewaltigen Servercrash zum Opfer, wovon sich die verdienstvolle Website noch immer nicht recht erholt hat. Deshalb gibt es die Story jetzt exklusiv in diesem Blog:
Es herrscht Trubel auf dem Museumsschiff Cap San Diego im Hamburger Hafen. Peter Maffay präsentiert sein neues Album, eingespielt mit Menschen aus aller Welt, darunter der US-amerikanische Blues-Musiker Keb' Mo'. Vom Management habe ich telefonisch die lose Zusage, mit Maffay ein Interview führen zu können, alleine, „so irgendwann ab 22 Uhr“. Nun, nach Präsentation und Buffet, gilt es, im Tohuwabohu den richtigen Menschen zu erwischen, der mit mir Maffay findet.
Irgendwann finde ich eine hochblonde Mitarbeiterin seines Büros. Vielmehr: Sie findet mich. Ob ich noch einen Wunsch hätte, fragt sie. Ja, ich suche Peter Maffay. Der ist noch oben, sagt sie, und wird am Tisch von Keb' Mo' erwartet, kommen Sie, ich bringe Sie zum Tisch von Keb' Mo'. Wir gehen hoch, am Tisch kein Keb' Mo', kein Maffay. Warten Sie, sagt sie, ich hole Keb' Mo'. Entschuldigung, nicht nötig, sage ich, ich möchte sowieso Peter Maffay sprechen.
Sag mal, fragt sie einen Kollegen, weißt du, wo Keb' Mo' ist? Wahrscheinlich im Salon, sagt er. Kommen Sie, flüstert sie, wir gehen hoch in den Salon. Im Salon gedämpfte Stimmung und kein Keb' Mo'. Aber Peter Maffay, gerade im Interview. Klappt ja wunderbar. Ich nehme Platz im Vorraum und warte, dass ich drankomme.
Die Blonde trollt sich. Ich verfolge zufrieden den Aufmarsch der Kollegen, die nach mir dran sein werden. Nach zehn Minuten kommt sie zurück, in heller Aufregung. Wild gestikuliert sie vom Treppenabsatz herüber. Kommen Sie! Kommen Sie! brüllt sie flüsternd, ich habe Keb' Mo'! Ich stehe auf, gehe einige Schritte auf sie zu, sage: Entschuldigung; aber sie läuft erregt die Treppe hinab, weiter wie von Sinnen winkend – klar, schließlich hat sie Keb' Mo'!
Zögernd gehe ich zum Absatz, bange um den Platz in der Schlange. Ich bin der nächste bei Maffay, flüstere ich hinunter, ich darf meinen Platz in der Schlange nicht aufgeben. Sie: Keb' Mo' ist hier unten, kommen Sie, ich setze mich solange auf Ihren Platz! Aber ich möchte Keb' Mo' nicht sprechen, barme ich, ich will nur Peter Maffay sprechen!
Sie bleibt stehen. Ihr Winken gefriert, sie erstarrt geradezu, Erkenntnis bahnt sich ihren Weg, wenngleich mühsam. Ja, drei Meter entfernt von mir ist jetzt alles schiere blonde Fassungslosigkeit. Aber vorhin, heult sie, wollten Sie doch noch Keb' Mo'! Nein, flüstere ich verzweifelt treppab, ich wollte Maffay, immer nur Maffay! Sie hebt die Arme, wirft sie durch die Luft und jault im Abdampfen diesen Satz, den ich nie mehr vergessen werde: Ich mache dieses Spielchen nicht mehr mit!
Immerhin ist mein Platz noch frei, ein Glück. Ich habe weitere zehn Minuten Zeit, über die Tücken menschlicher Kommunikation nachzudenken, ohne freilich zu letzten Schlüssen zu kommen. Ah, jetzt ist Maffay frei, er stellt sich an die Theke zu seinen Mitarbeitern für einen Sekt zwischen zwei Interviews. Ich stelle mich dazu, warte auf die Chance, ihn zum Gespräch zu bitten, ohne dem Freundeskreis unhöflich in die Parade zu fahren.
Plötzlich beugt sich sein Manager zu mir herüber und flüstert: Sagen Sie, woran ist eigentlich das Gespräch mit Keb' Mo' gescheitert … ?
Später, auf dem Weg zu Fuß nach Hause in die Seilerstraße, fühle ich mich echt schlecht. Keb' Mo' wahrscheinlich auch.
Große Musik, die heute durch den iPod floss: „Space travel is boring“ von Sun Kil Moon, „San Francisco“ von Caterina Valente und „57th minute of the 23rd hour“ von Galliano.
29 Oktober 2005
Der Zwischenfall
Gestern in der Redaktion sitze ich bei offenem Fenster im T-Shirt am Rechner und lasse mir von meinem nagelneuen USB-Ventilator Kühlung zublasen. Ich meine: Es ist fast November! Das geht doch nicht. Alles gerät aus den Fugen.
Auch abends. Wir sind bei Freunden zum Essen, in Bahrenfeld. Die S-Bahnlinie 1 verbindet die Station Reeperbahn mit diesem westlichen Stadtteil. Abends fahren die Züge nicht mehr so oft. Als wir gegen 23.15 Uhr den Bahnsteig betreten, müssen wir uns auf 15 Minuten Wartezeit in klarer Oktoberkälte einstellen.
Dass es am Ende fast 45 werden, liegt nicht an der Bahn. Sondern an einem besoffenen 18-Jährigen, der beschließt, auf die Gleise hinabzusteigen und über die Schwellen ins Dunkel hinauszustolpern. Wir kriegen es nicht live mit, sondern nur das, was dann passiert: nämlich die Reaktion seines nüchternen Kumpels, der hinterherspringt und nach einer Weile erfolglos und panisch zurückkehrt (Ankunft der Bahn: in 12 Minuten), den Notrufknopf drückt und adrenalingepeitscht mit einer reservierten Dame am anderen Ende verhandelt, während wir ihm soufflieren, wie die Richtung heißt, in die der Unzurechnungsfähige entschwunden ist. Ein weiterer wartender Fahrgast ruft derweil die Polizei. Ankunft der Bahn: in acht Minuten.
Der just eingefahrene Zug auf dem Gegengleis bleibt vorsorglich stehen, man weiß ja nicht, wo der verschwundene Verwirrte hintaumelt. Bald herrscht richtig Betrieb auf dem Bahnsteig. Ratlos stehen Menschen herum, verärgert, besorgt. Der panische Kumpel will nicht auf die Einsatzkräfte warten und springt erneut auf die Gleise, um seinen Freund zu retten. Und wirklich: Zwei Minuten später hat er ihn am Schlafittchen und schleppt ihn hoch. „Alles deine Schuld!“ schreit er ihn an, „deine Mutter wird dich verprügeln!“
Und jetzt kommen sie alle binnen weniger Minuten an, die Blau- und die Grünhemden, die Streifenpolizisten und die Kripo, die S-Bahn-Exekutive, und alle umringen die Jungs, es wird unübersichtlich. Längst ruht der komplette Fahrbetrieb, auf der Anzeige steht gar keine Zeitangabe mehr. Ankunft der Bahn: irgendwann.
Der Verursacher steht stumpf und schwankend da, die Fäuste tief in die Taschen gestemmt, und ihm dämmert, dass er ein Problem hat. Was er da unten gewollt habe, im Dunkeln auf den Gleisen? Er weiß es nicht mehr. Er wollte einfach weg. Seine Ruhe haben. Er ist 18, wohnt alleine, und Mama sitzt in Harburg. Ob sie ihn abholen kann? „Sie kriegt Sozialhilfe“, murmelt er verwaschen, und für ihn scheint das die Antwort auf die Frage zu sein.
Die Polizei befragt Zeugen, es geht darum, wer alles Schuld hat an diesem Schlamassel. Darum, ob der kleine Retter mitbelangt werden muss oder seine Aktion legitim war – das wird noch richtig wichtig, denn es geht um viel Geld. Die Einsätze der Rettungskräfte wollen bezahlt sein, das komplette Lahmliegen der S1 zwischen Wedel und Poppenbüttel verursacht ebenfalls finanzielle Schäden.
„Deine Mutter“, ruft der Kleine wieder voller Zorn und Resignation, „wird dich verprügeln!“ Er sitzt jetzt zerschlagen auf der Drahtbank. Der Gerettete bittet ihn stumm um eine Kippe, und er reicht sie ihm mit müder Geste. Neben ihnen sitzt ein weiterer Freund wie tot auf der Bank, sein Kopf hängt zwischen den Knien, er ist derartig voll, dass man ihm morgen alles über diese Scheißnacht erzählen muss. Sofern er dann schon wieder aufnahmefähig ist.
Ah, seliges Teenagerleben.
Auf unserer Heimfahrt – nach rund 45 Minuten – sah es dann übrigens draußen ungefähr so aus wie auf dem heutigen Foto.
Große Musik, die heute durch den iPod floss: „Rockin' chair“, „It makes no difference“ und „Tears of rage“, alle von The Band (die monothematische Auswahl liegt an einem Band-Sampler, den ich mir gestern Nacht zusammenstellte).
Auch abends. Wir sind bei Freunden zum Essen, in Bahrenfeld. Die S-Bahnlinie 1 verbindet die Station Reeperbahn mit diesem westlichen Stadtteil. Abends fahren die Züge nicht mehr so oft. Als wir gegen 23.15 Uhr den Bahnsteig betreten, müssen wir uns auf 15 Minuten Wartezeit in klarer Oktoberkälte einstellen.
Dass es am Ende fast 45 werden, liegt nicht an der Bahn. Sondern an einem besoffenen 18-Jährigen, der beschließt, auf die Gleise hinabzusteigen und über die Schwellen ins Dunkel hinauszustolpern. Wir kriegen es nicht live mit, sondern nur das, was dann passiert: nämlich die Reaktion seines nüchternen Kumpels, der hinterherspringt und nach einer Weile erfolglos und panisch zurückkehrt (Ankunft der Bahn: in 12 Minuten), den Notrufknopf drückt und adrenalingepeitscht mit einer reservierten Dame am anderen Ende verhandelt, während wir ihm soufflieren, wie die Richtung heißt, in die der Unzurechnungsfähige entschwunden ist. Ein weiterer wartender Fahrgast ruft derweil die Polizei. Ankunft der Bahn: in acht Minuten.
Der just eingefahrene Zug auf dem Gegengleis bleibt vorsorglich stehen, man weiß ja nicht, wo der verschwundene Verwirrte hintaumelt. Bald herrscht richtig Betrieb auf dem Bahnsteig. Ratlos stehen Menschen herum, verärgert, besorgt. Der panische Kumpel will nicht auf die Einsatzkräfte warten und springt erneut auf die Gleise, um seinen Freund zu retten. Und wirklich: Zwei Minuten später hat er ihn am Schlafittchen und schleppt ihn hoch. „Alles deine Schuld!“ schreit er ihn an, „deine Mutter wird dich verprügeln!“
Und jetzt kommen sie alle binnen weniger Minuten an, die Blau- und die Grünhemden, die Streifenpolizisten und die Kripo, die S-Bahn-Exekutive, und alle umringen die Jungs, es wird unübersichtlich. Längst ruht der komplette Fahrbetrieb, auf der Anzeige steht gar keine Zeitangabe mehr. Ankunft der Bahn: irgendwann.
Der Verursacher steht stumpf und schwankend da, die Fäuste tief in die Taschen gestemmt, und ihm dämmert, dass er ein Problem hat. Was er da unten gewollt habe, im Dunkeln auf den Gleisen? Er weiß es nicht mehr. Er wollte einfach weg. Seine Ruhe haben. Er ist 18, wohnt alleine, und Mama sitzt in Harburg. Ob sie ihn abholen kann? „Sie kriegt Sozialhilfe“, murmelt er verwaschen, und für ihn scheint das die Antwort auf die Frage zu sein.
Die Polizei befragt Zeugen, es geht darum, wer alles Schuld hat an diesem Schlamassel. Darum, ob der kleine Retter mitbelangt werden muss oder seine Aktion legitim war – das wird noch richtig wichtig, denn es geht um viel Geld. Die Einsätze der Rettungskräfte wollen bezahlt sein, das komplette Lahmliegen der S1 zwischen Wedel und Poppenbüttel verursacht ebenfalls finanzielle Schäden.
„Deine Mutter“, ruft der Kleine wieder voller Zorn und Resignation, „wird dich verprügeln!“ Er sitzt jetzt zerschlagen auf der Drahtbank. Der Gerettete bittet ihn stumm um eine Kippe, und er reicht sie ihm mit müder Geste. Neben ihnen sitzt ein weiterer Freund wie tot auf der Bank, sein Kopf hängt zwischen den Knien, er ist derartig voll, dass man ihm morgen alles über diese Scheißnacht erzählen muss. Sofern er dann schon wieder aufnahmefähig ist.
Ah, seliges Teenagerleben.
Auf unserer Heimfahrt – nach rund 45 Minuten – sah es dann übrigens draußen ungefähr so aus wie auf dem heutigen Foto.
Große Musik, die heute durch den iPod floss: „Rockin' chair“, „It makes no difference“ und „Tears of rage“, alle von The Band (die monothematische Auswahl liegt an einem Band-Sampler, den ich mir gestern Nacht zusammenstellte).
28 Oktober 2005
Die Fahrradwerkstatt
Neulich gab ich mein sehr sympathisches und im Wesentlichen treues Fahrrad in Reparatur, weil der Hinterreifen platt, die Vorderlampe abgebrochen und das Rücklicht defekt war. Im Ottenser Fahrradladen beäugt man die Schäden und nimmt ohne Murren die Mängelliste auf.
Am Abholtag gehe ich wohlgemut hin, doch dieses Gefühl verfliegt rasch. Denn der Chef des Ladens sagt: „Das Rücklicht ist ja jetzt neu, aber das fällt Ihnen bestimmt bald wieder ab.“ Ah so, wundere ich mich, warum denn das? „Weil das Schutzblech an zwei Stellen gebrochen ist und nur noch von einem kleinen Steg gehalten wird.“ Aha, sage ich, und warum haben Sie das nicht gleich mal eben mitrepariert? „Weil wir dafür keinen Auftrag hatten. Wir dachten, Sie wüssten das, und es wäre Ihnen egal.“
Ah so, sage ich, jetzt neugierig geworden, und warum haben Sie mich nicht vor fünf Tagen, als ich das Fahrrad abgegeben habe, einfach mal drauf aufmerksam gemacht und sich erkundigt, ob Sie nicht vielleicht die Ehre haben dürften, auch diese Kleinigkeit gleich mitzuerledigen? „Das haben wir erst in der Werkstatt gesehen.“ Na gut, mag sein, wende ich ein, aber Sie hätten mich doch anrufen können und nachfragen – nur so als Anregung. „Wir dachten eben“, sagt der Fachmann, „Sie wüssten das, und es wäre Ihnen egal.“
Diese Stelle im Kreis der Diskussion kenne ich bereits. Doch dieses Musterbeispiel deutschen Unternehmertums hat noch einen Nachsatz im Köcher: „Außerdem“, sagt er nämlich, „ist das doch eh nur ein Fahrrad, um von A nach B zu kommen.“
„Eh nur ein Fahrrad, um von A nach B zu kommen.“ Meine Güte: Wofür ist dieses Ding mit den zwei Rädern und dem Lenker denn sonst da – zum Staubsaugen? Wahrscheinlich möchte der Mann ausschließlich HiTech-Maschinen mit Titanrahmen, beheiztem Sattel und serienmäßigem GPS an den Mann bringen, für 3000 Euro das Stück. Aber, guter Mann, auch ein solches Gerät kann nicht staubsaugen. Es bringt dich einfach nur von A nach B.
Nach der ersten Sprachlosigkeit muss ich mich nun mit dem unschönen Gedanken anfreunden, dass die gepeinigten Leute vom Fahrradladen offenbar bereits dreimal mein Erscheinen mit entsetztem innerlichem Aufstöhnen begleitet haben: Oh nein, da ist er wieder, dieser Typ mit seinem Fahrrad für von A nach B! Mist, er hat uns gesehen, wir können nicht mehr tun, als hätten wir schon zu …
Insofern muss ich Ihnen geradezu dankbar sein für ihr Übermaß an Höflichkeit, mir erst beim drittenmal dezente Hinweise auf meine Unerwünschtheit gegeben zu haben. Da ich jedoch ebenfalls ein höflicher Mensch bin, respektiere ich das hinfort natürlich.
Das heutige Foto zeigt mein sehr sympathisches, im Wesentlichen treues Rad an der S-Bahn-Station Sternschanze in Gegenwart eines Eisenträgers, der das Stationsdach stützt. Das Hinterrad habe ich übrigens doch noch vom Fahrradladen wechseln lassen; für einen sofortigen Vereinswechsel war ich einfach zu faul.
Große Musik, die heute durch den iPod floss: „Walk on the wild side“ von Tok Tok Tok, „He was the king“ von Neil Young und „Play an old guitar“ von The Band Of Blacky Ranchette.
Am Abholtag gehe ich wohlgemut hin, doch dieses Gefühl verfliegt rasch. Denn der Chef des Ladens sagt: „Das Rücklicht ist ja jetzt neu, aber das fällt Ihnen bestimmt bald wieder ab.“ Ah so, wundere ich mich, warum denn das? „Weil das Schutzblech an zwei Stellen gebrochen ist und nur noch von einem kleinen Steg gehalten wird.“ Aha, sage ich, und warum haben Sie das nicht gleich mal eben mitrepariert? „Weil wir dafür keinen Auftrag hatten. Wir dachten, Sie wüssten das, und es wäre Ihnen egal.“
Ah so, sage ich, jetzt neugierig geworden, und warum haben Sie mich nicht vor fünf Tagen, als ich das Fahrrad abgegeben habe, einfach mal drauf aufmerksam gemacht und sich erkundigt, ob Sie nicht vielleicht die Ehre haben dürften, auch diese Kleinigkeit gleich mitzuerledigen? „Das haben wir erst in der Werkstatt gesehen.“ Na gut, mag sein, wende ich ein, aber Sie hätten mich doch anrufen können und nachfragen – nur so als Anregung. „Wir dachten eben“, sagt der Fachmann, „Sie wüssten das, und es wäre Ihnen egal.“
Diese Stelle im Kreis der Diskussion kenne ich bereits. Doch dieses Musterbeispiel deutschen Unternehmertums hat noch einen Nachsatz im Köcher: „Außerdem“, sagt er nämlich, „ist das doch eh nur ein Fahrrad, um von A nach B zu kommen.“
„Eh nur ein Fahrrad, um von A nach B zu kommen.“ Meine Güte: Wofür ist dieses Ding mit den zwei Rädern und dem Lenker denn sonst da – zum Staubsaugen? Wahrscheinlich möchte der Mann ausschließlich HiTech-Maschinen mit Titanrahmen, beheiztem Sattel und serienmäßigem GPS an den Mann bringen, für 3000 Euro das Stück. Aber, guter Mann, auch ein solches Gerät kann nicht staubsaugen. Es bringt dich einfach nur von A nach B.
Nach der ersten Sprachlosigkeit muss ich mich nun mit dem unschönen Gedanken anfreunden, dass die gepeinigten Leute vom Fahrradladen offenbar bereits dreimal mein Erscheinen mit entsetztem innerlichem Aufstöhnen begleitet haben: Oh nein, da ist er wieder, dieser Typ mit seinem Fahrrad für von A nach B! Mist, er hat uns gesehen, wir können nicht mehr tun, als hätten wir schon zu …
Insofern muss ich Ihnen geradezu dankbar sein für ihr Übermaß an Höflichkeit, mir erst beim drittenmal dezente Hinweise auf meine Unerwünschtheit gegeben zu haben. Da ich jedoch ebenfalls ein höflicher Mensch bin, respektiere ich das hinfort natürlich.
Das heutige Foto zeigt mein sehr sympathisches, im Wesentlichen treues Rad an der S-Bahn-Station Sternschanze in Gegenwart eines Eisenträgers, der das Stationsdach stützt. Das Hinterrad habe ich übrigens doch noch vom Fahrradladen wechseln lassen; für einen sofortigen Vereinswechsel war ich einfach zu faul.
Große Musik, die heute durch den iPod floss: „Walk on the wild side“ von Tok Tok Tok, „He was the king“ von Neil Young und „Play an old guitar“ von The Band Of Blacky Ranchette.
Das Knust
Schon wieder ein Konzert: Teenage Fan Club im Knust. Suse vom Hamburger Lokalfernsehen Tide TV spendiert mir und Volker je einmal Garderobe; das ist uns auch noch nicht passiert. Dafür spendiere ich eine Runde Bier, und Volker auch.
Vor einigen Jahren war das Knust noch an der Brandstwiete zu Hause. Der berühmten Brandstwiete. Denn wenn man draußen vor der Tür stand, sah (und sieht) man die prachtvolle Wucht des Spiegel-Gebäudes, steingewordene Investigation, Lordsiegelbewahrer der Demokratie, Fluch und Schrecken korrupter Regierungen.
Dort, im alten Knust, erlebte ich eins meiner größten Hamburger Desaster. Ich hatte eine Gästelistenzusage fürs Konzert von Townes van Zandt, heiliger Suffkopp der Songwriter, tragischster aller Tragöden, fleischgewordener Galgenhumor. Townes war unglaublich sanftmütig, trug aber einen Schmerz mit sich herum, den man kaum ertragen konnte. Er am allerwenigsten, und deshalb trank er und trank und trank. Es war klar, dass der Mann weniger Chancen auf ein langes Leben haben würde als der Rest von uns.
Ich hatte also eine Gästelistenzusage fürs Townes-Konzert im Knust, es sollte mein drittes werden. Beim ersten hatte ich mich in der Pause schüchtern und keck in seine Garderobe geschlichen, das war in Marburg vor Äonen, ich hatte all meine Townes-Platten unterm Arm und einen wasserfesten schwarzen Edding dabei, und er lächelte auf diese dumpfe, selbstvergessene Weise, wie Betrunkene es tun, nahm den Edding und krakelte mir auf jede Platte einen Kaktus, der einsam an einem endlos sich schlängelnden Wüsten-Highway steht. Schätze meines Archivs!
Im Knust also Konzert Nummer drei. Ich stehe erwartungsfroh an der Kasse, doch man findet mich trotz vorheriger telefonischer Zusage nicht auf der Gästeliste. Ich bin konsterniert, argumentiere, diskutiere, man bleibt unnachgiebig, ich werde sauer, gar störrisch, der Kassenwart genauso, keiner will mehr sein Gesicht verlieren, und ich ziehe schließlich ab, kochend.
Townes spielt sein Konzert im Knust ohne mich. Sechs Wochen später ist er tot.
Im Monat darauf war ich der unglücklichste von rund 50 Fans, die sich im Knust versammelt hatten, um noch einen auf ihn zu trinken (ein sarkastisches Ritual, ich weiß), und man legte den Videomitschnitt jenes Abends auf, den ich verschenkt hatte aus Arroganz und kleinlicher Eitelkeit. „Nobody’s fault but mine“, singt David Bromberg. Er hat Recht.
Das ist lange her, aber unvergessen. Eine Wunde, die sich nicht schließen will, und die auch heute Abend wieder schmerzte – einfach, weil ich im Knust war, auch wenn es inzwischen umgezogen ist nach St. Pauli und im Foyer besänftigende weiße Leuchtkugeln von der Decke hängen. Weiße Leuchtkugeln sind meine Lieblingslampen, mit Abstand.
Große Musik, die heute durch den iPod floss: „Out of the blue“ von The Band, „Chelsea burns“ von Keren Ann und „Sleeping is the only love“ von The Silver Jews.
Vor einigen Jahren war das Knust noch an der Brandstwiete zu Hause. Der berühmten Brandstwiete. Denn wenn man draußen vor der Tür stand, sah (und sieht) man die prachtvolle Wucht des Spiegel-Gebäudes, steingewordene Investigation, Lordsiegelbewahrer der Demokratie, Fluch und Schrecken korrupter Regierungen.
Dort, im alten Knust, erlebte ich eins meiner größten Hamburger Desaster. Ich hatte eine Gästelistenzusage fürs Konzert von Townes van Zandt, heiliger Suffkopp der Songwriter, tragischster aller Tragöden, fleischgewordener Galgenhumor. Townes war unglaublich sanftmütig, trug aber einen Schmerz mit sich herum, den man kaum ertragen konnte. Er am allerwenigsten, und deshalb trank er und trank und trank. Es war klar, dass der Mann weniger Chancen auf ein langes Leben haben würde als der Rest von uns.
Ich hatte also eine Gästelistenzusage fürs Townes-Konzert im Knust, es sollte mein drittes werden. Beim ersten hatte ich mich in der Pause schüchtern und keck in seine Garderobe geschlichen, das war in Marburg vor Äonen, ich hatte all meine Townes-Platten unterm Arm und einen wasserfesten schwarzen Edding dabei, und er lächelte auf diese dumpfe, selbstvergessene Weise, wie Betrunkene es tun, nahm den Edding und krakelte mir auf jede Platte einen Kaktus, der einsam an einem endlos sich schlängelnden Wüsten-Highway steht. Schätze meines Archivs!
Im Knust also Konzert Nummer drei. Ich stehe erwartungsfroh an der Kasse, doch man findet mich trotz vorheriger telefonischer Zusage nicht auf der Gästeliste. Ich bin konsterniert, argumentiere, diskutiere, man bleibt unnachgiebig, ich werde sauer, gar störrisch, der Kassenwart genauso, keiner will mehr sein Gesicht verlieren, und ich ziehe schließlich ab, kochend.
Townes spielt sein Konzert im Knust ohne mich. Sechs Wochen später ist er tot.
Im Monat darauf war ich der unglücklichste von rund 50 Fans, die sich im Knust versammelt hatten, um noch einen auf ihn zu trinken (ein sarkastisches Ritual, ich weiß), und man legte den Videomitschnitt jenes Abends auf, den ich verschenkt hatte aus Arroganz und kleinlicher Eitelkeit. „Nobody’s fault but mine“, singt David Bromberg. Er hat Recht.
Das ist lange her, aber unvergessen. Eine Wunde, die sich nicht schließen will, und die auch heute Abend wieder schmerzte – einfach, weil ich im Knust war, auch wenn es inzwischen umgezogen ist nach St. Pauli und im Foyer besänftigende weiße Leuchtkugeln von der Decke hängen. Weiße Leuchtkugeln sind meine Lieblingslampen, mit Abstand.
Große Musik, die heute durch den iPod floss: „Out of the blue“ von The Band, „Chelsea burns“ von Keren Ann und „Sleeping is the only love“ von The Silver Jews.
26 Oktober 2005
Die Tanke
Gestern erwähnte ich Christians Begegnung der Dritten Art mit Bob Dylan an einer österreichischen Tankstelle. Heute erzählt er die ganze Geschichte in seinem eigenen Blog. Lohnt sich.
Komme heute nach Arbeitstag und Fitnesstraining erst gegen 21 Uhr in ein verwaistes Zuhause, denn die Liebste ist auf Achse. Und immer an einsamen Abenden packt mich der Heißhunger auf das Besondere – sei es, um mich über ihre Abwesenheit hinwegzutrösten, sei es, weil ich mir dann in aller Ruhe etwas zubereiten kann, das sie nicht mag.
Zum Beispiel gebratene luftgetrocknete Salami mit gedünsteten Tomaten und überbackenem Spiegelei, was am Ende komplett auf ein doppelt getoastetes Sauerteigbrot gelegt wird, das mit dünnen, durch die Wärme des Brotes leicht angeschmolzenen Parmesanscheiben belegt ist. Dazu ein Astra Urtyp – das ist kulinarisches Glück. Deftig, aber unübertrefflich.
So ist's geplant, und die Butter brodelt auch schon in der Pfanne, als ich die Kühlschranktür öffne und nur sehr wenige Eier erblickte. Genauer gesagt: null. Auf St. Pauli ist das aber kein Problem. Während der Rest der Republik nach 20 Uhr nur noch zum Nachbarn gehen kann, um Lebensmittelmängel zu beheben, habe ich die Wahl zwischen mindestens vier Läden, die sich an keine Öffnungszeiten halten müssen. Einer davon hat meines Wissens sogar rund um die Uhr auf (sicher kann ich es nur deswegen nicht sagen, weil ich ihn morgens um vier noch nie aufgesucht habe).
Ich entscheide mich für die geografisch nächste Möglichkeit: die Tankstelle am Spielbudenplatz, die trotz eines augenscheinlich begrenzten Verkaufsraums ALLES zu haben scheint, natürlich auch Eier. Diese Tanke rettet meinen Abend, nicht zum erstenmal. Und auf dem Rückweg ragt das Steakhaus an der Reeperbahn derart attraktiv in die Nacht, dass es hier glatt fotografisch verewigt werden muss.
Große Musik, die heute durch den iPod floss: „25 minutes to go“ von Johnny Cash, „La la la I love you“ von Don McLean und „Sing“ von Travis.
Komme heute nach Arbeitstag und Fitnesstraining erst gegen 21 Uhr in ein verwaistes Zuhause, denn die Liebste ist auf Achse. Und immer an einsamen Abenden packt mich der Heißhunger auf das Besondere – sei es, um mich über ihre Abwesenheit hinwegzutrösten, sei es, weil ich mir dann in aller Ruhe etwas zubereiten kann, das sie nicht mag.
Zum Beispiel gebratene luftgetrocknete Salami mit gedünsteten Tomaten und überbackenem Spiegelei, was am Ende komplett auf ein doppelt getoastetes Sauerteigbrot gelegt wird, das mit dünnen, durch die Wärme des Brotes leicht angeschmolzenen Parmesanscheiben belegt ist. Dazu ein Astra Urtyp – das ist kulinarisches Glück. Deftig, aber unübertrefflich.
So ist's geplant, und die Butter brodelt auch schon in der Pfanne, als ich die Kühlschranktür öffne und nur sehr wenige Eier erblickte. Genauer gesagt: null. Auf St. Pauli ist das aber kein Problem. Während der Rest der Republik nach 20 Uhr nur noch zum Nachbarn gehen kann, um Lebensmittelmängel zu beheben, habe ich die Wahl zwischen mindestens vier Läden, die sich an keine Öffnungszeiten halten müssen. Einer davon hat meines Wissens sogar rund um die Uhr auf (sicher kann ich es nur deswegen nicht sagen, weil ich ihn morgens um vier noch nie aufgesucht habe).
Ich entscheide mich für die geografisch nächste Möglichkeit: die Tankstelle am Spielbudenplatz, die trotz eines augenscheinlich begrenzten Verkaufsraums ALLES zu haben scheint, natürlich auch Eier. Diese Tanke rettet meinen Abend, nicht zum erstenmal. Und auf dem Rückweg ragt das Steakhaus an der Reeperbahn derart attraktiv in die Nacht, dass es hier glatt fotografisch verewigt werden muss.
Große Musik, die heute durch den iPod floss: „25 minutes to go“ von Johnny Cash, „La la la I love you“ von Don McLean und „Sing“ von Travis.
25 Oktober 2005
Dylan (2)
Gestern nachmittag ging ich ins Büro von Kramer und dem Franken und sagte: „Liebe Kollegen, ich möchte euch darum bitten, mal für einen Moment innezuhalten. Lasset uns innehalten und der Tatsache gedenken, dass eins der größten Genies, das je unter der Sonne wandelte, sich just in dieser Sekunde ganz in der Nähe von uns aufhält und wir die unverdiente Ehre haben, diese Stadt mit ihm zu teilen.“
Die Kollegen schauten irritiert, einer zieh mich sogar eines pastoralen Tons. Doch die beiden hatten ja auch keine Karten für das abendliche Konzert von Bob Dylan. Aber ich. Auf dem Weg durchs hässliche CCH begegnete ich kurz dem Blick von Bap-Chef Wolfgang Niedecken und war recht froh, dass er nicht wusste, mit welchen Worten ich vor einiger Zeit seine Hörbuchfassung von Dylans Memoiren auseinandergenommen hatte.
Ich saß im Hochparkett (alle saßen, leider), und dennoch bekam ich die volle Ladung jener Auradusche ab, die Dylan stets aufdreht, wenn er einen Saal betritt. Näher als bei einem Dylan-Konzert kann man der Geschichte der Populärkultur nämlich nicht sein. Er spielt sein „All along the watchtower“, und diese mythosbildende Maschine namens Gehirn lässt die ganze Historie des Rock innerlich abschnurren und sagt dir, dass Jimi Hendrix ohne diesen Song um ein paar Nummern kleiner ins kollektive Menschheitsgedächtnis eingesunken wäre. Hendrix!
Und genau jener Typ, der dafür verantwortlich ist, steht in nur wenigen Metern Entfernung vor dir, ganz in schwarz und mit einem hellen Hut auf dem notorischen Wuschelkopf, er patscht auf dem Keyboard herum, raunzt „the wind began to howl“ und schickt dich unter die Auravolldusche. Und weil wir, wir alle, seine Songs okkupiert und sie in Folklore, Volksgut, Allgemeinbesitz verwandelt haben, holt er sie sich zurück, indem er sie verbiegt und zerkrächzt, indem er alle Melodien in eine fließen lässt, ob von „Simple twist of fate“ oder „Lay lady lay“, und so ihr Zombiedasein beendet und sie wieder zum Leben erweckt. Ja, er holt seine Kinder heim.
Dylan spielt keine verschiedenen Stücke mehr (obwohl seine Band die Harmonien heute abend sehr originalnah angeht und sie mit überraschendem Countryflair versieht), sondern er singt einen einzigen großen, großen Song. Am Ende steht er stumm da, wiegt sich vor und zurück, wischt sich kurz über die Nase mit unbewegter Miene und versucht es einen weiteren Tag auszuhalten, im Körper einer Legende gefangen zu sein, im Körper von BOB DYLAN.
Hinterher geht es in der Weltbühne weiter, wo Kollege Max Dax aus Berlin Dylan-Raritäten auflegt, und der aus dem Eintrag von gestern bekannte Zeiser vom Prinz erzählt, wie er mal Dylan auf Europatour hinterher reiste und dem Sänger an einer Tankstelle in der Nähe von Wien leibhaftig begegnete. Er stand zwischen den Zapfsäulen herum, trug eine Kapuze über dem Kopf und blickte in den Wagen, aus dem heraus ihn Zeiser & Co. anstarrten. Dann ging er weg.
Lasset uns innehalten.
Große Musik, die heute durch den iPod floss: „Ringing bells“ von Mando Diao, „Valdez in the country“ von Donny Hathaway und „Sans Soleil“ von Kreidler.
Die Kollegen schauten irritiert, einer zieh mich sogar eines pastoralen Tons. Doch die beiden hatten ja auch keine Karten für das abendliche Konzert von Bob Dylan. Aber ich. Auf dem Weg durchs hässliche CCH begegnete ich kurz dem Blick von Bap-Chef Wolfgang Niedecken und war recht froh, dass er nicht wusste, mit welchen Worten ich vor einiger Zeit seine Hörbuchfassung von Dylans Memoiren auseinandergenommen hatte.
Ich saß im Hochparkett (alle saßen, leider), und dennoch bekam ich die volle Ladung jener Auradusche ab, die Dylan stets aufdreht, wenn er einen Saal betritt. Näher als bei einem Dylan-Konzert kann man der Geschichte der Populärkultur nämlich nicht sein. Er spielt sein „All along the watchtower“, und diese mythosbildende Maschine namens Gehirn lässt die ganze Historie des Rock innerlich abschnurren und sagt dir, dass Jimi Hendrix ohne diesen Song um ein paar Nummern kleiner ins kollektive Menschheitsgedächtnis eingesunken wäre. Hendrix!
Und genau jener Typ, der dafür verantwortlich ist, steht in nur wenigen Metern Entfernung vor dir, ganz in schwarz und mit einem hellen Hut auf dem notorischen Wuschelkopf, er patscht auf dem Keyboard herum, raunzt „the wind began to howl“ und schickt dich unter die Auravolldusche. Und weil wir, wir alle, seine Songs okkupiert und sie in Folklore, Volksgut, Allgemeinbesitz verwandelt haben, holt er sie sich zurück, indem er sie verbiegt und zerkrächzt, indem er alle Melodien in eine fließen lässt, ob von „Simple twist of fate“ oder „Lay lady lay“, und so ihr Zombiedasein beendet und sie wieder zum Leben erweckt. Ja, er holt seine Kinder heim.
Dylan spielt keine verschiedenen Stücke mehr (obwohl seine Band die Harmonien heute abend sehr originalnah angeht und sie mit überraschendem Countryflair versieht), sondern er singt einen einzigen großen, großen Song. Am Ende steht er stumm da, wiegt sich vor und zurück, wischt sich kurz über die Nase mit unbewegter Miene und versucht es einen weiteren Tag auszuhalten, im Körper einer Legende gefangen zu sein, im Körper von BOB DYLAN.
Hinterher geht es in der Weltbühne weiter, wo Kollege Max Dax aus Berlin Dylan-Raritäten auflegt, und der aus dem Eintrag von gestern bekannte Zeiser vom Prinz erzählt, wie er mal Dylan auf Europatour hinterher reiste und dem Sänger an einer Tankstelle in der Nähe von Wien leibhaftig begegnete. Er stand zwischen den Zapfsäulen herum, trug eine Kapuze über dem Kopf und blickte in den Wagen, aus dem heraus ihn Zeiser & Co. anstarrten. Dann ging er weg.
Lasset uns innehalten.
Große Musik, die heute durch den iPod floss: „Ringing bells“ von Mando Diao, „Valdez in the country“ von Donny Hathaway und „Sans Soleil“ von Kreidler.
24 Oktober 2005
Die panische Sekunde
Häufig bin ich auch abends im Einsatz, entweder auf Konzerten (mit gewöhnlich halbdienstlichem Anstrich, weil die Kontaktpflege das gänzlich freie Flottieren durch den Abend ein wenig einschränkt) oder auf Releasepartys und immer öfter auf sogenannten Listening Sessions. Dabei wird mir und den Kollegen einige Zeit vor Veröffentlichung ein neues Album vorgespielt, das sich die Plattenfirma nicht zu bemustern traut.
Das hat seine Gründe. In den 70ern und 80ern, Alice Schwarzers großer Zeit, war jeder Mann ein potentieller Vergewaltiger. Heute ist jeder Musikjournalist ein potentieller Raubkopierer. Wir werden inzwischen behandelt wie flackernd blickende syrische Hassprediger am Flughafen, die mit seltsam ausgebeulter Taille nach New York fliegen möchten – und zwar ohne Rückflugticket.
Unlängst stand bei einer Listening Session das neue Album von Kate Bush auf dem Programm. Die Plattenfirma hatte das Restaurant Gardoza's an der Alsenstraße dafür gebucht. Nach einer Leibesvisitation und Konfiszierung aller strombetriebener Gegenstände wurde uns auch ohne weitere Auflagen Zutritt gewährt. Das Gardoza’s ist eine gute Wahl für eine komplexe Künstlerin wie Kate Bush. Einerseits strahlt es eine gewisse postmoderne Kühle aus, andererseits wird es von einem gewaltigen offenenen Kamin dominiert. Seine Flammen schlagen hoch in ein großes gläsernes Rohr, das in der Decke verschwindet.
In gemütlicher Runde saßen wir dort beisammen. Da war der Wigger von Spiegel online, der Krulle vom WOM-Journal - und der Zeiser vom Prinz. Der hatte seine journalistischen Utensilien vergessen (wahrscheinlich, weil er unterbewusst annahm, die Plattenfirma argwöhnte in seinem Stift ein verstecktes Aufnahmegerät). Also lieh ich ihm meinen Schreibblock, von dem er im Verlauf der Albumvorführung ein ums andere Blatt abriss, um sich rezensionsrelevante Gedanken zu notieren.
Am Ende sage ich zu ihm: „So, Christian, gibst du mir bitte die Blätter wieder? Die waren nur geliehen.“ Die Sekunde panischer Verblüffung vor seinem erleichterten Auflachen war sehr hübsch anzuschauen.
Als die CD durchgelaufen war, nahm der Mann von der Plattenfirma sie aus dem Player, schaute weihevoll und kündigte ihre sofortige Vernichtung an. Dann zerbrach er sie, achtete aber darauf, dass keine Bruchstücke zu Boden fielen. Uns troff der Geifer, aber wir hatten keine Chance aufs kleinste Silberfitzelchen Kate Bush. Wenigstens händigte man uns die Handys wieder aus.
Guter Abend.
PS: Die Anti-Raubkopierer-Kampagne ist inzwischen Gegenstand von Spott und Satire. Oben abgebildete parodistische Variante des Claims konnte man unlängst bei spreadshirt.net als T-Shirt kaufen.
Große Musik, die heute durch den iPod floss: „The strangest thing" von George Michael, „Solitary diving“ von Adrian Crowley und „Desafinado“ von Astrud Gilberto & George Michael.
Das hat seine Gründe. In den 70ern und 80ern, Alice Schwarzers großer Zeit, war jeder Mann ein potentieller Vergewaltiger. Heute ist jeder Musikjournalist ein potentieller Raubkopierer. Wir werden inzwischen behandelt wie flackernd blickende syrische Hassprediger am Flughafen, die mit seltsam ausgebeulter Taille nach New York fliegen möchten – und zwar ohne Rückflugticket.
Unlängst stand bei einer Listening Session das neue Album von Kate Bush auf dem Programm. Die Plattenfirma hatte das Restaurant Gardoza's an der Alsenstraße dafür gebucht. Nach einer Leibesvisitation und Konfiszierung aller strombetriebener Gegenstände wurde uns auch ohne weitere Auflagen Zutritt gewährt. Das Gardoza’s ist eine gute Wahl für eine komplexe Künstlerin wie Kate Bush. Einerseits strahlt es eine gewisse postmoderne Kühle aus, andererseits wird es von einem gewaltigen offenenen Kamin dominiert. Seine Flammen schlagen hoch in ein großes gläsernes Rohr, das in der Decke verschwindet.
In gemütlicher Runde saßen wir dort beisammen. Da war der Wigger von Spiegel online, der Krulle vom WOM-Journal - und der Zeiser vom Prinz. Der hatte seine journalistischen Utensilien vergessen (wahrscheinlich, weil er unterbewusst annahm, die Plattenfirma argwöhnte in seinem Stift ein verstecktes Aufnahmegerät). Also lieh ich ihm meinen Schreibblock, von dem er im Verlauf der Albumvorführung ein ums andere Blatt abriss, um sich rezensionsrelevante Gedanken zu notieren.
Am Ende sage ich zu ihm: „So, Christian, gibst du mir bitte die Blätter wieder? Die waren nur geliehen.“ Die Sekunde panischer Verblüffung vor seinem erleichterten Auflachen war sehr hübsch anzuschauen.
Als die CD durchgelaufen war, nahm der Mann von der Plattenfirma sie aus dem Player, schaute weihevoll und kündigte ihre sofortige Vernichtung an. Dann zerbrach er sie, achtete aber darauf, dass keine Bruchstücke zu Boden fielen. Uns troff der Geifer, aber wir hatten keine Chance aufs kleinste Silberfitzelchen Kate Bush. Wenigstens händigte man uns die Handys wieder aus.
Guter Abend.
PS: Die Anti-Raubkopierer-Kampagne ist inzwischen Gegenstand von Spott und Satire. Oben abgebildete parodistische Variante des Claims konnte man unlängst bei spreadshirt.net als T-Shirt kaufen.
Große Musik, die heute durch den iPod floss: „The strangest thing" von George Michael, „Solitary diving“ von Adrian Crowley und „Desafinado“ von Astrud Gilberto & George Michael.
23 Oktober 2005
Die Porno-DVD
Auf dem Weg zur Bäckerei stolpere ich über eine Porno-DVD, die in der Detlev-Bremer-Straße auf dem Gehweg liegt. Die Rückseite zeigt nach oben, und die Macher hatten mit routiniertem Blick einige sehr ausdrucksstarke Szenen ausgewählt, welche die Kaufentscheidung begünstigen sollten.
Jetzt aber liegt die Hülle hier im Schmutz des Sonntagmorgens, der nächtliche Regen hat für Feuchtigkeit zwischen Cover und Plastikhülle gesorgt, so dass leichte Verfärbungen und eine Wellung des Papiers zu sehen sind.
Ich bin unschlüssig, was ich damit anstellen soll. Reinschauen, um zu sehen, ob noch eine DVD drin ist? Ohne näheren Augenschein in die nächste Mülltonne stopfen? Immerhin könnten Kinder das Teil finden. Zwar sind Kiezkids sicher abgebrühter als ihre Altersgenossen in Castrop-Rauxel oder gar Hodenhagen, aber hierbei handelt es sich unbedingt um Hardcore.
Wie auch immer: Ich hebe das in jeder Hinsicht schmuddelige Teil nicht auf, sondern schubse es mit dem linken Fuß nur etwas näher an die Hauswand und gehe weiter. Unterwegs plagt mich allerdings schnell das Gewissen, und ich beschließe, die DVD auf dem Rückweg doch noch spitzfingrig aufzuheben und der geborgenen Anonymität eines Mülleimers zu übereignen.
Als ich wenig später wieder in die Detlev-Bremer-Straße einbiege, sehe ich 20, 30 Meter vor mir eine junge Familie, und sie ist unweigerlich auf Pornokurs. Die beiden um die Eltern herumtollenden Kinder sind vielleicht vier oder fünf Jahre alt, und mir wird klar, dass ihr Vorsprung zu groß ist, um ihren Weg noch moralisch säubern zu können.
Ich habe es versaut, ich hätte es auf dem Hinweg erledigen sollen … Angespannt gehe ich hinter ihnen her, die Kinder sprühen vor Energie und dem altersüblichen Willen zur umfassenden Welteroberung. Jetzt kommen sie an die Stelle, gleich wird eins der Kinder etwas vom Boden aufheben und sagen: „Papa, was hat denn der Mann da für einen Stock am Bauch? Tut er der Frau weh? Warum haben die denn nichts an?“ Es wird so kommen, und ich kann nichts mehr tun.
Doch die DVD, sie ist weg. Die Stelle an der Hauswand tut, als sei nichts gewesen. Fünf Minuten ohne Aufsicht haben gereicht. Jemand hat sie mitgenommen, vielleicht einer, der sie kopfschüttelnd in die Tonne drosch, vielleicht einer, der sich einen schönen entspannenden Sonntagnachmittag damit macht.
Oder vielleicht ein Kind.
Eine Schrift auf dem Pflaster in unmittelbarer Nähe scheint sich spöttisch an mich zu wenden: „Es wird wieder“. Die Lehre daraus: Denk nicht nur das Richtige, sondern tu's auch. Und zwar sofort.
Große Musik, die heute durch den iPod floss: „City of dreams“ von Marah, „Silver bullets“ von Ryan Adams und „Just one star“ von Antony & The Johnsons.
Jetzt aber liegt die Hülle hier im Schmutz des Sonntagmorgens, der nächtliche Regen hat für Feuchtigkeit zwischen Cover und Plastikhülle gesorgt, so dass leichte Verfärbungen und eine Wellung des Papiers zu sehen sind.
Ich bin unschlüssig, was ich damit anstellen soll. Reinschauen, um zu sehen, ob noch eine DVD drin ist? Ohne näheren Augenschein in die nächste Mülltonne stopfen? Immerhin könnten Kinder das Teil finden. Zwar sind Kiezkids sicher abgebrühter als ihre Altersgenossen in Castrop-Rauxel oder gar Hodenhagen, aber hierbei handelt es sich unbedingt um Hardcore.
Wie auch immer: Ich hebe das in jeder Hinsicht schmuddelige Teil nicht auf, sondern schubse es mit dem linken Fuß nur etwas näher an die Hauswand und gehe weiter. Unterwegs plagt mich allerdings schnell das Gewissen, und ich beschließe, die DVD auf dem Rückweg doch noch spitzfingrig aufzuheben und der geborgenen Anonymität eines Mülleimers zu übereignen.
Als ich wenig später wieder in die Detlev-Bremer-Straße einbiege, sehe ich 20, 30 Meter vor mir eine junge Familie, und sie ist unweigerlich auf Pornokurs. Die beiden um die Eltern herumtollenden Kinder sind vielleicht vier oder fünf Jahre alt, und mir wird klar, dass ihr Vorsprung zu groß ist, um ihren Weg noch moralisch säubern zu können.
Ich habe es versaut, ich hätte es auf dem Hinweg erledigen sollen … Angespannt gehe ich hinter ihnen her, die Kinder sprühen vor Energie und dem altersüblichen Willen zur umfassenden Welteroberung. Jetzt kommen sie an die Stelle, gleich wird eins der Kinder etwas vom Boden aufheben und sagen: „Papa, was hat denn der Mann da für einen Stock am Bauch? Tut er der Frau weh? Warum haben die denn nichts an?“ Es wird so kommen, und ich kann nichts mehr tun.
Doch die DVD, sie ist weg. Die Stelle an der Hauswand tut, als sei nichts gewesen. Fünf Minuten ohne Aufsicht haben gereicht. Jemand hat sie mitgenommen, vielleicht einer, der sie kopfschüttelnd in die Tonne drosch, vielleicht einer, der sich einen schönen entspannenden Sonntagnachmittag damit macht.
Oder vielleicht ein Kind.
Eine Schrift auf dem Pflaster in unmittelbarer Nähe scheint sich spöttisch an mich zu wenden: „Es wird wieder“. Die Lehre daraus: Denk nicht nur das Richtige, sondern tu's auch. Und zwar sofort.
Große Musik, die heute durch den iPod floss: „City of dreams“ von Marah, „Silver bullets“ von Ryan Adams und „Just one star“ von Antony & The Johnsons.
Der Dobrospieler
Am Freitagnachmittag im Käseladen sagt Renate, während sie gerade eine Portion Parmaschinken schneidet: „Die Wochen rauschen nur so vorbei. Das merke ich immer, wenn ich Sie sehe.“ Ein verblüffendes Echo, ja geradezu eine unbewusste spiegelbildliche Replik auf meinen Blog-Eintrag vom 16. September, auf den ich nunmehr auch Renate hingewiesen habe.
Vorm Bahnhof Altona sitzt seit einigen Tagen ein Straßenmusiker. Er spielt Slide auf einem wunderschönen Dobro, einer Akustikgitarre mit silbrig schimmerndem Metallaufsatz; dazu bläst er Mundharmonika oder singt mit jener strapazierbaren Stimme, die der Wind und die Myriaden mikroskopischer Schmutzteilchen in der Luft europäischer Metropolen raugeschmirgelt haben.
Hinter seinem Gitarrenkoffer, der um Kleingeld barmt, liegen CDs, die man für 15 Euro kaufen kann, und sie verraten den Namen dieser One-Man-Band: Ewan Blackledge. Hoch über ihm besiegt gerade die Leuchtreklame des Media-Markts das Abenddämmerblau des Himmels, und es liegt eine Ironie in diesem Bild: Hier der Konzern, der den Geiz als geil in unser Gedächtnis hämmerte, und da der einsame Slide-Gitarrist, der darauf hofft, wir würden dank seiner Songs diesen Slogan eine Sekunde lang vergessen und für ein süßes Klirren im Gitarrenkoffer sorgen. Und das hat er geschafft.
Große Musik, die heute durch den iPod floss: „In the Ghetto“ von Candi Staton, „Drunken hands“ von Christian Kjellvander und „The errors of my ways“ von Wishbone Ash.
Vorm Bahnhof Altona sitzt seit einigen Tagen ein Straßenmusiker. Er spielt Slide auf einem wunderschönen Dobro, einer Akustikgitarre mit silbrig schimmerndem Metallaufsatz; dazu bläst er Mundharmonika oder singt mit jener strapazierbaren Stimme, die der Wind und die Myriaden mikroskopischer Schmutzteilchen in der Luft europäischer Metropolen raugeschmirgelt haben.
Hinter seinem Gitarrenkoffer, der um Kleingeld barmt, liegen CDs, die man für 15 Euro kaufen kann, und sie verraten den Namen dieser One-Man-Band: Ewan Blackledge. Hoch über ihm besiegt gerade die Leuchtreklame des Media-Markts das Abenddämmerblau des Himmels, und es liegt eine Ironie in diesem Bild: Hier der Konzern, der den Geiz als geil in unser Gedächtnis hämmerte, und da der einsame Slide-Gitarrist, der darauf hofft, wir würden dank seiner Songs diesen Slogan eine Sekunde lang vergessen und für ein süßes Klirren im Gitarrenkoffer sorgen. Und das hat er geschafft.
Große Musik, die heute durch den iPod floss: „In the Ghetto“ von Candi Staton, „Drunken hands“ von Christian Kjellvander und „The errors of my ways“ von Wishbone Ash.
21 Oktober 2005
Die Große Freiheit
Ich treffe in der Großen Freiheit 36 meinen Freund Mark, ebenfalls Musikjournalist. Wir veräppeln uns manchmal, indem wir uns gegenseitig in Artikeln erwähnen. Er hat mal in der Welt oder im Hamburger Abendblatt geschrieben, ich würde in Puschen bei Konzerten auf dem Kiez auftauchen; ich habe enttarnt, dass er bei der Anhörung eines neuen Oasis-Albums eine Kotzgeste über den Tresen geschickt hat.
Wahrscheinlich steht es zwischen uns ungefähr 4:4. Gestern trafen wir uns, wie gesagt, in der Großen Freiheit 36. Das ist echtes Beatles-Kernland. Um die Ecke war früher der Starclub, im Souterrain residiert noch heute der Kaiserkeller, wo die Beatles einst ihre ersten Hamburger Gigs spielten. Und heute feiert die Große Freiheit 36 ihren 20. Geburtstag.
An der Kasse gibt es erst mal Kommunikationsprobleme, weil die Kirche gegenüber glaubt, ausgerechnet bei meiner Ankunft minutenlang lauthals bimmeln zu müssen. Wenn just die Tür der Tabledance-Institution Dollhouse ein paar Meter weiter offensteht (was sie wegen der einladenden Aussicht öfter tut), dann beeinträchtigen die Glocken jetzt gerade die Taktfrequenz der Striptease-Show.
Alles ist hier eben sehr nah beieinander – die Theater und die Tunten, der Sex und das Sakrale, Gott und GV. Und die Heilsarmee in der Talstraße wird friedlich umlagert von einer Phalanx schwuler Pornokinos. Drinnen in der Großen Freiheit hört man aber keinen Mucks mehr von der Kirche, sondern nur noch die mörderische Euphorie der schwedischen Band Moneybrother, die das letzte Konzert ihrer Tournee nutzt, um St. Pauli zu rocken. Der Saal ist eine Symbiose aus Bühne und vielen Tresen, von der Decke schicken Punktstrahler scharfe Lichtkegel, und in einen davon hält Mark sein Bier, was ein hübsches Motiv abgibt.
Im Foyer mache ich mir ein paar Notizen, und ein Typ Marke Banktresor – so hoch wie tief und breit – starrt mich dumpf an. Ich lächle, aber er verzieht keine Miene. Komisch. Draußen läuft ein Transvestit vorbei, schnappt sich einen der Große-Freiheit-36-Geburtstagsluftballons und bringt ihn zum Zerplatzen. Er lächelt beim Einbiegen in die Schmuckstraße. Ich frage mich seltsamerweise, was seine Eltern gerade über ihn denken. Und ob er manchmal darüber nachdenkt, was seine Eltern über ihn denken. Egal – Parallelwelten. So fern voneinander wie Erde und Mars.
Zwischen Mark und mir steht es weiterhin 4:4. Denke ich mal, denn ich weiß nicht, was er über den Abend in der Großen Freiheit 36 schreiben wird. Jedenfalls habe ich keine Puschen getragen, sondern schwarze italienische Lederslipper.
Wahrscheinlich steht es zwischen uns ungefähr 4:4. Gestern trafen wir uns, wie gesagt, in der Großen Freiheit 36. Das ist echtes Beatles-Kernland. Um die Ecke war früher der Starclub, im Souterrain residiert noch heute der Kaiserkeller, wo die Beatles einst ihre ersten Hamburger Gigs spielten. Und heute feiert die Große Freiheit 36 ihren 20. Geburtstag.
An der Kasse gibt es erst mal Kommunikationsprobleme, weil die Kirche gegenüber glaubt, ausgerechnet bei meiner Ankunft minutenlang lauthals bimmeln zu müssen. Wenn just die Tür der Tabledance-Institution Dollhouse ein paar Meter weiter offensteht (was sie wegen der einladenden Aussicht öfter tut), dann beeinträchtigen die Glocken jetzt gerade die Taktfrequenz der Striptease-Show.
Alles ist hier eben sehr nah beieinander – die Theater und die Tunten, der Sex und das Sakrale, Gott und GV. Und die Heilsarmee in der Talstraße wird friedlich umlagert von einer Phalanx schwuler Pornokinos. Drinnen in der Großen Freiheit hört man aber keinen Mucks mehr von der Kirche, sondern nur noch die mörderische Euphorie der schwedischen Band Moneybrother, die das letzte Konzert ihrer Tournee nutzt, um St. Pauli zu rocken. Der Saal ist eine Symbiose aus Bühne und vielen Tresen, von der Decke schicken Punktstrahler scharfe Lichtkegel, und in einen davon hält Mark sein Bier, was ein hübsches Motiv abgibt.
Im Foyer mache ich mir ein paar Notizen, und ein Typ Marke Banktresor – so hoch wie tief und breit – starrt mich dumpf an. Ich lächle, aber er verzieht keine Miene. Komisch. Draußen läuft ein Transvestit vorbei, schnappt sich einen der Große-Freiheit-36-Geburtstagsluftballons und bringt ihn zum Zerplatzen. Er lächelt beim Einbiegen in die Schmuckstraße. Ich frage mich seltsamerweise, was seine Eltern gerade über ihn denken. Und ob er manchmal darüber nachdenkt, was seine Eltern über ihn denken. Egal – Parallelwelten. So fern voneinander wie Erde und Mars.
Zwischen Mark und mir steht es weiterhin 4:4. Denke ich mal, denn ich weiß nicht, was er über den Abend in der Großen Freiheit 36 schreiben wird. Jedenfalls habe ich keine Puschen getragen, sondern schwarze italienische Lederslipper.
20 Oktober 2005
Die Lieblingsband
Manchmal muss man seufzen über Hamburg. Da gehe ich zu einem Konzert in den Waagenbau an der Max-Brauer-Allee, will eine alte Lieblingsband aus den 80ern sehen, die Legendary Pink Dots, und wann geht es los? Offiziell um 22 Uhr. An einem Mittwochabend.
Vor Ort erfahre ich, dass ich mich realistischerweise lieber auf 23 Uhr einstellen sollte – allerdings erst mal aufs Vorprogramm. Die arbeitende Bevölkerung gehört offenbar nicht zur Zielgruppe. Also warte ich und vertreibe mir die Zeit mit einigen Fotostudien über den Waagenbau, der direkt (und ich meine DIREKT) unter einer S-Bahn-Brücke liegt, weshalb sie hier lieber keinen einsamen Singer/Songwriter auftreten lassen sollten.
Das Vorprogramm gestaltet der Keyboarder der Lieblingsband, er baut an einer dreiviertelstündigen Klangwand aus statischem Lärm, was durchaus seinen Reiz hat, aber nicht mittwochsabends zur Geisterstunde, wenn man auf seine Lieblingsband wartet.
Dann kommt sie, es ist schon Donnerstagmorgen, und mein alter Held Edward Ka-Spel ist aufgemacht wie eine Tuntendiva (würde Senait sagen): langer dunkler Umhang, ein Wollschal bis ans Schienbein, dazu eine lächerlich coole Sonnenbrille – der Mann wirkt wie ein Provinzstadtintellektueller, der auf Stadtrat und Kunstvereinsvorsitzende exzentrisch wirken will. Ich fotografiere lieber den Saxofonisten (auch wenn er partout nicht stillhalten will) und verziehe mich erschöpft gegen eins.
Übrigens war das nicht mal der Verzögerungsrekord. Auf den Beginn eines Konzertes im Molotov, einem kleinen Club in zwei Fußminuten Entfernung, musste ich mal bis viertel vor eins warten. An einem Donnerstag. Ganz klar: Die Hamburger Konzertveranstalter zielen voll auf die Generation Hartz IV. Auf die, die ausschlafen können.
Große Musik, die heute durch den iPod floss: „Black baby“ von Kruder & Dorfmeister, „Elevator“ von Jaffa und „Edge of time“ von Jean F. Cochoise.
Vor Ort erfahre ich, dass ich mich realistischerweise lieber auf 23 Uhr einstellen sollte – allerdings erst mal aufs Vorprogramm. Die arbeitende Bevölkerung gehört offenbar nicht zur Zielgruppe. Also warte ich und vertreibe mir die Zeit mit einigen Fotostudien über den Waagenbau, der direkt (und ich meine DIREKT) unter einer S-Bahn-Brücke liegt, weshalb sie hier lieber keinen einsamen Singer/Songwriter auftreten lassen sollten.
Das Vorprogramm gestaltet der Keyboarder der Lieblingsband, er baut an einer dreiviertelstündigen Klangwand aus statischem Lärm, was durchaus seinen Reiz hat, aber nicht mittwochsabends zur Geisterstunde, wenn man auf seine Lieblingsband wartet.
Dann kommt sie, es ist schon Donnerstagmorgen, und mein alter Held Edward Ka-Spel ist aufgemacht wie eine Tuntendiva (würde Senait sagen): langer dunkler Umhang, ein Wollschal bis ans Schienbein, dazu eine lächerlich coole Sonnenbrille – der Mann wirkt wie ein Provinzstadtintellektueller, der auf Stadtrat und Kunstvereinsvorsitzende exzentrisch wirken will. Ich fotografiere lieber den Saxofonisten (auch wenn er partout nicht stillhalten will) und verziehe mich erschöpft gegen eins.
Übrigens war das nicht mal der Verzögerungsrekord. Auf den Beginn eines Konzertes im Molotov, einem kleinen Club in zwei Fußminuten Entfernung, musste ich mal bis viertel vor eins warten. An einem Donnerstag. Ganz klar: Die Hamburger Konzertveranstalter zielen voll auf die Generation Hartz IV. Auf die, die ausschlafen können.
Große Musik, die heute durch den iPod floss: „Black baby“ von Kruder & Dorfmeister, „Elevator“ von Jaffa und „Edge of time“ von Jean F. Cochoise.
Der Edelwein
Autsch, das ist dekadent ... Habe mir einen langgehegten Traum erfüllt und zwei Flaschen des angeblich besten Weins der Welt erstanden: Chateau D'Yquem. Diese edelsüße Trockenbeerenauslese gibt es eigentlich nirgends zu kaufen, man kann sie nur beim Weingut direkt zeichnen. Und zeichnen wiederum darf nicht jeder, sondern nur langjährige Kunden (keine Ahnung, wie man unter diesen Umständen den geforderten Status erreichen kann).
Also keine Chance auf Yquem. Nur über Auktionen kommt man ran. Oder über einen Weinraritätenversand, der manchmal bei Kellerauflösungen auf ein paar Flaschen stößt, was ungefähr so wahrscheinlich ist wie eine Affäre zwischen Merkel und Lafontaine. Und bei einem solchen Raritätenhändler habe ich die beiden Piccolo-Flaschen auch entdeckt. Der Preis soll jetzt mal - ähem - keine Rolle spielen. Viel schmerzlicher ist die Jugend dieses Weins, der - da erst 1999 abgefüllt - noch Jahre brauchen wird, um zu jener dionysischen Köstlichkeit heranzureifen, die als Potential in ihm schlummert.
Vor einigen Jahren veranstaltete der Weinsammler Rodenstock eine Yquem-Verkostung in München, nachdem es ihm gelungen war, die letzten rund 230 Jahrgänge lückenlos zu ergattern. Wie sich herausstellte, war selbst ein Yquem aus den 1770er Jahren noch makellos. Nun, 230 Jahre werde ich nicht warten, das ist sicher.
* Nachtrag 15.7.2007: Diese Verkostung ist inzwischen in Verruf geraten. Möglicherweise wurden Flaschen gefälscht.
Also keine Chance auf Yquem. Nur über Auktionen kommt man ran. Oder über einen Weinraritätenversand, der manchmal bei Kellerauflösungen auf ein paar Flaschen stößt, was ungefähr so wahrscheinlich ist wie eine Affäre zwischen Merkel und Lafontaine. Und bei einem solchen Raritätenhändler habe ich die beiden Piccolo-Flaschen auch entdeckt. Der Preis soll jetzt mal - ähem - keine Rolle spielen. Viel schmerzlicher ist die Jugend dieses Weins, der - da erst 1999 abgefüllt - noch Jahre brauchen wird, um zu jener dionysischen Köstlichkeit heranzureifen, die als Potential in ihm schlummert.
Vor einigen Jahren veranstaltete der Weinsammler Rodenstock eine Yquem-Verkostung in München, nachdem es ihm gelungen war, die letzten rund 230 Jahrgänge lückenlos zu ergattern. Wie sich herausstellte, war selbst ein Yquem aus den 1770er Jahren noch makellos. Nun, 230 Jahre werde ich nicht warten, das ist sicher.
* Nachtrag 15.7.2007: Diese Verkostung ist inzwischen in Verruf geraten. Möglicherweise wurden Flaschen gefälscht.
18 Oktober 2005
Der Hähnchengrill
Freddy ist Mitte 40 und heißt eigentlich gar nicht Freddy. Dafür hat er einen mehrteiligen indischen Namen, der irgendwann mit „Singh“ endet. Doch als er vor vielen Jahren den Grillimbiss in der Hein-Hoyer-Straße übernahm, stand vom Vorbesitzer „Freddy's“ draußen auf der Leuchtreklame, original mit Deppenapostroph, und Herr Singh dachte sich, ein mehrteiliger indischer Name könnte die Kundschaft irritieren. Also wurde er der neue Freddy.
Wenn man vor seinem blitzsauberen winzigen Souterrainladen auf der Hein-Hoyer-Straße steht, sieht man die Reeperbahn. Dort wogen die Menschen, dort tobt das Leben, sie liegt nur 50 Meter weit weg. Doch von den tausenden Touristen verirren sich nur wenige hierher. 50 Meter: Das ist eine Welt. Deshalb hat Freddy kaum Laufkundschaft, sondern vor allem Stammkunden aus den umliegenden Straßen, natürlich auch aus der Seilerstraße. Und wenn man den Stammkundenstatus einmal erreicht hat, wird man ihn nicht mehr los. Das ist ähnlich geregelt wie beim Nobelpreiskommitee in Stockholm.
Sonntagabend, nach einigen geflügellosen Monaten, war ich mal wieder bei Freddy auf ein Hähnchen mit Pommes Frites, und er macht die Augen groß, als ich die drei Stufen zu ihm hinuntersteige, sagt „Ah, wie geht's?“ und reicht mir begeistert die Hand. Gut geht's, und selbst? „Gut, gut“, lächelt Freddy und entfernt eilfertig irgendein Krümelchen Paprikapulver von der Anrichte. Wie gesagt: Der Laden ist blitzsauber. Die Uhr, die hinter ihm an der Wand hängt, ist sogar in Frischhaltefolie eingeschlagen. Aus irgendeinem Grund.
„Wie immer?“ fragt er. Wie immer, sagt der Stammkunde. Und muss trotz mehrmonatiger Geflügellosigkeit nicht mal mehr erwähnen, dass er die Pommes nur gesalzen, nicht gepfeffert bevorzugt. Und das Hähnchen geviertelt. Freddy hat halt ein Gedächtnis wie ein indischer Elefant. Und wenn er dir, dem Stammkunden, am Ende das Wechselgeld überreicht, schafft er es mit einer kühnen manuellen Drehtechnik, das Übergeben der Münzen in ein herzliches Händedrücken münden zu lassen. Das hatte der alte Freddy, der mit dem Deppenapostroph, bestimmt nicht drauf. Das kann nur der Herr Singh.
Große Musik, die heute aus dem iPod floss: „My back pages“ vom Keith Jarrett Trio, „Albatros“ von Peter Holler und „Night drive“ von Lynn Miles.
PS: Die Transen sind wieder da – nur zur Information.
Wenn man vor seinem blitzsauberen winzigen Souterrainladen auf der Hein-Hoyer-Straße steht, sieht man die Reeperbahn. Dort wogen die Menschen, dort tobt das Leben, sie liegt nur 50 Meter weit weg. Doch von den tausenden Touristen verirren sich nur wenige hierher. 50 Meter: Das ist eine Welt. Deshalb hat Freddy kaum Laufkundschaft, sondern vor allem Stammkunden aus den umliegenden Straßen, natürlich auch aus der Seilerstraße. Und wenn man den Stammkundenstatus einmal erreicht hat, wird man ihn nicht mehr los. Das ist ähnlich geregelt wie beim Nobelpreiskommitee in Stockholm.
Sonntagabend, nach einigen geflügellosen Monaten, war ich mal wieder bei Freddy auf ein Hähnchen mit Pommes Frites, und er macht die Augen groß, als ich die drei Stufen zu ihm hinuntersteige, sagt „Ah, wie geht's?“ und reicht mir begeistert die Hand. Gut geht's, und selbst? „Gut, gut“, lächelt Freddy und entfernt eilfertig irgendein Krümelchen Paprikapulver von der Anrichte. Wie gesagt: Der Laden ist blitzsauber. Die Uhr, die hinter ihm an der Wand hängt, ist sogar in Frischhaltefolie eingeschlagen. Aus irgendeinem Grund.
„Wie immer?“ fragt er. Wie immer, sagt der Stammkunde. Und muss trotz mehrmonatiger Geflügellosigkeit nicht mal mehr erwähnen, dass er die Pommes nur gesalzen, nicht gepfeffert bevorzugt. Und das Hähnchen geviertelt. Freddy hat halt ein Gedächtnis wie ein indischer Elefant. Und wenn er dir, dem Stammkunden, am Ende das Wechselgeld überreicht, schafft er es mit einer kühnen manuellen Drehtechnik, das Übergeben der Münzen in ein herzliches Händedrücken münden zu lassen. Das hatte der alte Freddy, der mit dem Deppenapostroph, bestimmt nicht drauf. Das kann nur der Herr Singh.
Große Musik, die heute aus dem iPod floss: „My back pages“ vom Keith Jarrett Trio, „Albatros“ von Peter Holler und „Night drive“ von Lynn Miles.
PS: Die Transen sind wieder da – nur zur Information.
17 Oktober 2005
Der Kiezfreak
Warum setzt man bloß eine Vernissage schon um 19 Uhr an? Die noch viel wichtigere Frage: Warum schreibe ich den Termin trotzdem um 20 Uhr in den Kalender? Als ich im Levantehaus in der Mönckebergstraße eintreffe, ist das Buffet jedenfalls schon geräumt, aber der Künstler noch ebenso präsent wie die Getränkevorräte.
Es ist der britische Gitarrist Chris Rea, jener ruhmreiche Verehrer von „Josephine“, der zum Pinsel gegriffen und das gemalt hat, von dem er am meisten versteht: Gitarren. Gitarren. Gitarren. Siehe Foto.
Auf dem Rückweg steige ich in St. Pauli aus der U3 und finde den Bahnsteig klangverseucht vor. Ein wilder Technotrance übertönt brutalstmöglich die üblichen Etüden aus den installierten Lautsprechern. Ich schaue mich um und sehe einen Typen, wie man ihn wirklich nur hier trifft: älterer Herr mit wirren grauen Locken und Schnauzer, obenrum lila Blouson aus Ballonseide, untenrum herzeigbare dunkle Anzugshose, in der Rechten einen Gettoblaster und in der Linken eine Halbliterbüchse Bier, die er mit offenkundiger Routine ihrer Bestimmung zuführt.
Er ist die Quelle des infernalischen Lärms, macht selbst aber einen sehr ungerührten Eindruck. Warum sein Gettoblaster schrillen Technotrance und nicht zum Beispiel Chris Reas „Josephine“ ausspuckt, werden wir nie erfahren, denn ich habe nicht gefragt.
Es ist der britische Gitarrist Chris Rea, jener ruhmreiche Verehrer von „Josephine“, der zum Pinsel gegriffen und das gemalt hat, von dem er am meisten versteht: Gitarren. Gitarren. Gitarren. Siehe Foto.
Auf dem Rückweg steige ich in St. Pauli aus der U3 und finde den Bahnsteig klangverseucht vor. Ein wilder Technotrance übertönt brutalstmöglich die üblichen Etüden aus den installierten Lautsprechern. Ich schaue mich um und sehe einen Typen, wie man ihn wirklich nur hier trifft: älterer Herr mit wirren grauen Locken und Schnauzer, obenrum lila Blouson aus Ballonseide, untenrum herzeigbare dunkle Anzugshose, in der Rechten einen Gettoblaster und in der Linken eine Halbliterbüchse Bier, die er mit offenkundiger Routine ihrer Bestimmung zuführt.
Er ist die Quelle des infernalischen Lärms, macht selbst aber einen sehr ungerührten Eindruck. Warum sein Gettoblaster schrillen Technotrance und nicht zum Beispiel Chris Reas „Josephine“ ausspuckt, werden wir nie erfahren, denn ich habe nicht gefragt.
Die Rückseite der Reeperbahn
16 Oktober 2005
Das große Tiefblau
Blog-Stammleser querbeet hat mich heute dankenswerterweise darauf hingewiesen, dass ich nicht der Einzige bin, der das mediterrane Potenzial der Elbmetropole bemerkt hat. Er empfahl mir eine Web-Seite, die souverän den Nachweis erbringt, dass Hamburg in Wahrheit "Hamburgo“ heißt und für jede beliebige iberische Halbinsel eine Zierde wäre.
Das war auch der Grund, weshalb heute das Brötchenholen bei Rönnfeld eine Viertelstunde länger dauerte: ich konnte mich einfach nicht sattsehen am großen Tiefblau des Himmels über den strahlenden Fassaden St. Paulis, und deshalb feiert das heutige Foto erneut diesen großen Herbst. Das muss man ausnutzen; es werden andere Zeiten kommen.
Übrigens las ich am Samstag in der Mopo, ein Großteil der Hamburger Huren sei auf Außeneinsatz in München, beim Oktoberfest. Vielleicht erklärt das auch die weiterhin bestürzend transenlose Schmuckstraße.
Große Musik, die heute durch den iPod floss: „The seventh seal“ von In The Nursery, „The black Winds“ von Helldorado und „The everthere“ von Elbow.
Das war auch der Grund, weshalb heute das Brötchenholen bei Rönnfeld eine Viertelstunde länger dauerte: ich konnte mich einfach nicht sattsehen am großen Tiefblau des Himmels über den strahlenden Fassaden St. Paulis, und deshalb feiert das heutige Foto erneut diesen großen Herbst. Das muss man ausnutzen; es werden andere Zeiten kommen.
Übrigens las ich am Samstag in der Mopo, ein Großteil der Hamburger Huren sei auf Außeneinsatz in München, beim Oktoberfest. Vielleicht erklärt das auch die weiterhin bestürzend transenlose Schmuckstraße.
Große Musik, die heute durch den iPod floss: „The seventh seal“ von In The Nursery, „The black Winds“ von Helldorado und „The everthere“ von Elbow.
15 Oktober 2005
Die mediterranen Hanseaten
Die Bäume in Hamburg fragen sich zunehmend verständnisloser, wann denn endlich der Befehl zum Blättervergilben und -abwerfen kommt. Wahrscheinlich auch das abgebildete Exemplar an der Schulterblatt-Piazza, wo heute das Leben tobt wie zu besten Sommerzeiten.
Vor der portugiesischen Pastelaria Transmontana stehe ich wohlig 20 Minuten draußen in der Schlange, von oben die wärmste Oktobersonnendusche seit der letzten Eiszeit, von vorn ein Duftmix aus Natas, Galão und Toast und aus allen anderen Richtungen das gedämpfte Glücksgemurmel der sommerlich gekleideten Schanzenviertelmenschen, die heute nicht an gestern und morgen denken, sondern nur ans selige Hier und Jetzt.
Hamburger verwandeln sich augenblicklich von eingemummelten Raupen in juchzende Schmetterlinge, sobald die Sonne sagt: Hier bin ich! Wenn im Februar die ersten zagen Frühlingsahnungen aufkommen, stürmt der Hamburger dick verpackt ins Freie und wirft sich empört den Merinoschal über die Schulter, wenn seine Stammkneipe noch keine Tische rausgestellt hat. Die Chance ist aber klein, denn die Kneipiers sind ja selber Hamburger.
Und wer ein Cabrio hat, schlüpft beim ersten bleichen Spätwintersonnenstrählchen in Lammwollmantel und Thermohandschuhe und erkärt die Saison feierlich für eröffnet, natürlich mit versenktem Dach.
Jeder Hanseat ist tief im Herzen glühend mediterran, und er lebt das - der geografischen Lage zum Trotz - so oft und so lange aus wie irgend möglich. Heute ist es komplett ausgeschlossen, da nicht mitzutun. Ich reaktiviere also die Sonnenbrille und lese auf dem Balkon Zeitung, umwogt vom Soundtrack St. Paulis: von schräg gegenüber das Dauergebrumm der Klimaanlage des Spielsalons, aus südlicher Ferne das vereinzelte gutturale Sehnsuchtströten eines Kreuzfahrtschiffs, von der Reeperbahn her das urbane Grundrauschen des Individualverkehrs, vom Himmel das Wasserflugzeug und von irgendwoher die Hibbeligkeit einer Polizeisirene.
Und jetzt: der verdammte Mopedterrorist von gegenüber, der immer minutenlang öttelnd vorm automatischen Garagentor steht, bis es endlichendlich aufgegangen ist. Eine Kakophonie, klar. Doch sie klingt nach zu Hause.
Große Musik, die heute durch den iPod floss: „Lately“ von Vashti Bunyan, „Hope there's someone“ von Antony & The Johnsons und „Lelah Mae“ von Jeb Loy Nichols.
Vor der portugiesischen Pastelaria Transmontana stehe ich wohlig 20 Minuten draußen in der Schlange, von oben die wärmste Oktobersonnendusche seit der letzten Eiszeit, von vorn ein Duftmix aus Natas, Galão und Toast und aus allen anderen Richtungen das gedämpfte Glücksgemurmel der sommerlich gekleideten Schanzenviertelmenschen, die heute nicht an gestern und morgen denken, sondern nur ans selige Hier und Jetzt.
Hamburger verwandeln sich augenblicklich von eingemummelten Raupen in juchzende Schmetterlinge, sobald die Sonne sagt: Hier bin ich! Wenn im Februar die ersten zagen Frühlingsahnungen aufkommen, stürmt der Hamburger dick verpackt ins Freie und wirft sich empört den Merinoschal über die Schulter, wenn seine Stammkneipe noch keine Tische rausgestellt hat. Die Chance ist aber klein, denn die Kneipiers sind ja selber Hamburger.
Und wer ein Cabrio hat, schlüpft beim ersten bleichen Spätwintersonnenstrählchen in Lammwollmantel und Thermohandschuhe und erkärt die Saison feierlich für eröffnet, natürlich mit versenktem Dach.
Jeder Hanseat ist tief im Herzen glühend mediterran, und er lebt das - der geografischen Lage zum Trotz - so oft und so lange aus wie irgend möglich. Heute ist es komplett ausgeschlossen, da nicht mitzutun. Ich reaktiviere also die Sonnenbrille und lese auf dem Balkon Zeitung, umwogt vom Soundtrack St. Paulis: von schräg gegenüber das Dauergebrumm der Klimaanlage des Spielsalons, aus südlicher Ferne das vereinzelte gutturale Sehnsuchtströten eines Kreuzfahrtschiffs, von der Reeperbahn her das urbane Grundrauschen des Individualverkehrs, vom Himmel das Wasserflugzeug und von irgendwoher die Hibbeligkeit einer Polizeisirene.
Und jetzt: der verdammte Mopedterrorist von gegenüber, der immer minutenlang öttelnd vorm automatischen Garagentor steht, bis es endlichendlich aufgegangen ist. Eine Kakophonie, klar. Doch sie klingt nach zu Hause.
Große Musik, die heute durch den iPod floss: „Lately“ von Vashti Bunyan, „Hope there's someone“ von Antony & The Johnsons und „Lelah Mae“ von Jeb Loy Nichols.
14 Oktober 2005
Die weißen Bademäntel
Ein Date mit Senait Mehari. Nach einem langen Interview letztes Jahr haben wir uns nicht mehr aus den Augen verloren, jetzt ist sie mal wieder in Hamburg, und wir treffen uns auf ein Bier (4,50 Euro für 0,3 Liter!) im Park Hyatt Hotel.
Merkwürdig: im Foyer, an der Rezeption und sogar im Fahrstuhl sind Menschen in schneeweißen Bademänteln anzutreffen. Sie schlurfen stumm und zufrieden über die Auslage, und ein leicht hospitalistisches Flair macht sich breit. Doch alles ist in Ordnung; diese Häufung weißer Bademäntel liegt einfach nur an der Anziehungskraft des gut ausgebauten Wellness-Bereichs, den das Hyatt seinen Gästen offeriert.
Senait ist wie aufgedreht, obwohl (oder weil) sie einen achtstündigen Interviewmarathon hinter sich hat. Sie erzählt, ihr Vater, zu dem sie keinen Kontakt mehr hat (warum, kann man im Buch „Feuerherz“ nachlesen), habe über sie gesagt: „Ich möchte Senait nicht zum Feind haben.“
Stimmt, es ist mit Sicherheit viel angenehmer, sie zum Freund zu haben. Ich frage, ob sie überhaupt je für eine Weile still sitzen kann. „Ja“, sagt sie, nippt an ihrem Holsten und grinst, „wenn ich schlafe.“
Große Musik, die heute durch den iPod floß: „Far away“ von Martha Wainwright, „Hard to love a man“ von Magnolia Electric Co. und „Cry“ von James Blunt.
Merkwürdig: im Foyer, an der Rezeption und sogar im Fahrstuhl sind Menschen in schneeweißen Bademänteln anzutreffen. Sie schlurfen stumm und zufrieden über die Auslage, und ein leicht hospitalistisches Flair macht sich breit. Doch alles ist in Ordnung; diese Häufung weißer Bademäntel liegt einfach nur an der Anziehungskraft des gut ausgebauten Wellness-Bereichs, den das Hyatt seinen Gästen offeriert.
Senait ist wie aufgedreht, obwohl (oder weil) sie einen achtstündigen Interviewmarathon hinter sich hat. Sie erzählt, ihr Vater, zu dem sie keinen Kontakt mehr hat (warum, kann man im Buch „Feuerherz“ nachlesen), habe über sie gesagt: „Ich möchte Senait nicht zum Feind haben.“
Stimmt, es ist mit Sicherheit viel angenehmer, sie zum Freund zu haben. Ich frage, ob sie überhaupt je für eine Weile still sitzen kann. „Ja“, sagt sie, nippt an ihrem Holsten und grinst, „wenn ich schlafe.“
Große Musik, die heute durch den iPod floß: „Far away“ von Martha Wainwright, „Hard to love a man“ von Magnolia Electric Co. und „Cry“ von James Blunt.
13 Oktober 2005
Die verschwenderischen Zapfer
Mein Freund Gunnar, ein Profifotograf, hat sich die Bilder in diesem Blog mal angeschaut und kam zu dem fachkundigen Schluss, ich sei eindeutig ein „Stilllifer“.
Abgesehen davon, dass ein Wort, welches mit fünf strikt vertikal gebauten Buchstaben in Folge glänzt, nur Bewunderung verdient (selbst wenn es ein Anglizismus ist), so stimmt das absolut. Ich kann nur das halbwegs, was sich nicht bewegt.
Als neuerlicher Beweis mag das heutige Foto dienen, unlängst am Museum der Arbeit in Barmbek aufgenommen - obwohl der Kondensstreifen sich genau genommen schon irgendwie bewegt. Aber er atmet nicht, das ist wichtig.
Übrigens ist es auch meiner fotografischen Menschenscheu zu schulden und den grundsätzlichen Problemen, die es aufwirft, wenn man Fremde ohne ihr Einverständnis ablichtet, dass ich die folgende kleine Geschichte nicht bebildere.
Vor einigen Tagen sah ich am Rande des Heilggeistfeldes zwei abgerissene ältere Männer auf einer Bank sitzen. Sie beugten sich zueinander, als konzentrierten sie sich auf etwas. Im Vorübergehen sah ich, was es war.
Sie hatten ein Fünfliterfässchen Warsteiner zwischen sich auf der Bank stehen, und einer von ihnen versuchte das durch den Zapfhahn fließende Bier in eine leere Flasche zu füllen. Da der Strahl aber breiter war als die Halsöffnung, floß ein Gutteil davon auf den Bürgersteig. Wahrscheinlich hatten die beiden extra lange ihr Erbetteltes angespart, um sich eine preisgünstigere Großpackung leisten zu können - und dann das: keine Gläser. Das Leben ist kompliziert.
Ab heute gibt es an dieser Stelle übrigens immer die Songs des Tages. Nur zur Selbstvergewisserung. Und für die, die es interessiert. Heute also floß folgende große Musik durch meinen iPod: „Big Louise“ von Scott Walker, „Cripple Crow“ von Devendra Banhart und „Animal“ von Orenda Fink.
Natürlich noch viel mehr, denn ich war im Fitnessstudio, wo übrigens - o Wunder! - die Musik diesmal nicht ganz so schrecklich war wie im Eintrag „Das Fitnessstudio“ beschrieben (siehe September); und außerdem war sie auch etwas leiser, so dass ich die oben beschriebene große Musik sogar hören konnte, ohne meinen Hypotalamus persönlich mit den Ohrstöpseln bekannt machen zu müssen.
Sollte diese erfreuliche Entwicklung etwa daran liegen, dass ich bei der Bundeszentrale des Betreibers dezent auf den Blog-Eintrag „Das Fitnessstudio“ aufmerksam gemacht habe? Wenn ja, dann ist das der Beweis: Man kann die Welt ändern.
ICH kann die Welt ändern.
Abgesehen davon, dass ein Wort, welches mit fünf strikt vertikal gebauten Buchstaben in Folge glänzt, nur Bewunderung verdient (selbst wenn es ein Anglizismus ist), so stimmt das absolut. Ich kann nur das halbwegs, was sich nicht bewegt.
Als neuerlicher Beweis mag das heutige Foto dienen, unlängst am Museum der Arbeit in Barmbek aufgenommen - obwohl der Kondensstreifen sich genau genommen schon irgendwie bewegt. Aber er atmet nicht, das ist wichtig.
Übrigens ist es auch meiner fotografischen Menschenscheu zu schulden und den grundsätzlichen Problemen, die es aufwirft, wenn man Fremde ohne ihr Einverständnis ablichtet, dass ich die folgende kleine Geschichte nicht bebildere.
Vor einigen Tagen sah ich am Rande des Heilggeistfeldes zwei abgerissene ältere Männer auf einer Bank sitzen. Sie beugten sich zueinander, als konzentrierten sie sich auf etwas. Im Vorübergehen sah ich, was es war.
Sie hatten ein Fünfliterfässchen Warsteiner zwischen sich auf der Bank stehen, und einer von ihnen versuchte das durch den Zapfhahn fließende Bier in eine leere Flasche zu füllen. Da der Strahl aber breiter war als die Halsöffnung, floß ein Gutteil davon auf den Bürgersteig. Wahrscheinlich hatten die beiden extra lange ihr Erbetteltes angespart, um sich eine preisgünstigere Großpackung leisten zu können - und dann das: keine Gläser. Das Leben ist kompliziert.
Ab heute gibt es an dieser Stelle übrigens immer die Songs des Tages. Nur zur Selbstvergewisserung. Und für die, die es interessiert. Heute also floß folgende große Musik durch meinen iPod: „Big Louise“ von Scott Walker, „Cripple Crow“ von Devendra Banhart und „Animal“ von Orenda Fink.
Natürlich noch viel mehr, denn ich war im Fitnessstudio, wo übrigens - o Wunder! - die Musik diesmal nicht ganz so schrecklich war wie im Eintrag „Das Fitnessstudio“ beschrieben (siehe September); und außerdem war sie auch etwas leiser, so dass ich die oben beschriebene große Musik sogar hören konnte, ohne meinen Hypotalamus persönlich mit den Ohrstöpseln bekannt machen zu müssen.
Sollte diese erfreuliche Entwicklung etwa daran liegen, dass ich bei der Bundeszentrale des Betreibers dezent auf den Blog-Eintrag „Das Fitnessstudio“ aufmerksam gemacht habe? Wenn ja, dann ist das der Beweis: Man kann die Welt ändern.
ICH kann die Welt ändern.
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