24 Oktober 2008

Zwischen zwei Sätzen



Als ich hörte, er sei heute in die Psychiatrie eingeliefert worden, nachdem er zuvor mit einem Messer durch die Wohnung geirrt sei und gestammelt habe: „Mein Vater hat mich seit Wochen nicht angerufen“, da fiel mir wieder jener Tag vor 32 Jahren ein, an dem sein Vater starb.

Ich setzte mich zu ihm aufs Moped an jenem Tag. Wir fuhren zum Baggersee und setzten uns auf die Steine. Dann sagte er: „Jetzt haben wir die Scheiße.“

Er hatte Recht.

Er wurde, was er schon war: ein Egomane, der von seiner Mutter erwartete, jeden Wunsch erfüllt zu bekommen, jetzt, wo er „Herr im Hause“ war.

Dann gründete er eine Familie und begann sie systematisch zugrunde zu richten. Er versoff alles, die Liebe seiner Frau, seiner Kinder, seiner Mutter, er versoff den Führerschein, den Job, sein Geld, das Haus, seine Würde, sein ganzes verdammtes ziviles Leben.

Aus jeder Therapie haute er ab. Immer wieder ging er im Dorf von Tür zu Tür, klingelte und bat um Geld für Essen. Seine Mutter hungere, erzählte er, und dann versoff er alles. Manche geben ihm immer noch etwas.

Er und seine Mutter leben seit Jahren im Dreck, wie die Ratten.

„Jetzt haben wir die Scheiße“, 1976.
„Mein Vater hat mich seit Wochen nicht angerufen“, 2008.

Die ganze Tragödie seines verpfuschten Lebens liegt in der Verbindung zwischen diesen beiden Sätzen über eine Distanz von 32 Jahren.

Ich sollte das seinem Psychiater erzählen.


8 Kommentare:

  1. Derbe Kost. Wenn er wieder klar ist, wird er Deine Freundschaft schätzen können.

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  2. so denn er einen hat...einen psychiater!?

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  3. Zumindest solange er in er Psychiatrie ist, sollte sich eine Fachkraft um ihn kümmern, wie ich finde. Aber ich bin Laie; vielleicht präferiert man heutzutage ja die strikt pharmakologische Lösung.

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  4. Büxt er denn nur aus, um sich neuen Stoff zu besorgen? Weil dagegen gibt es doch Ersatzstoffe. Mit dem psychischen Problem weiß ich aber auch nicht weiter. Meine Mutter hat früher in der Entgiftung gearbeitet. Sie hat nahezu pausenlos mit den Patienten geredet, ihnen das Gefühl gegeben, sie sind nicht wertlos ...
    Besuchen Sie ihn denn?

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  5. Nein, zu weit weg – in jeder Hinsicht.

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  6. Loslassen.
    Bei solchen Krankengeschichten jedenfalls, die
    nicht die eigene Familie betreffen.
    Nur Loslassen schützt vor Anhäufung eigener
    Schuldgefühle.

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  7. Er war doch verheiratet? Was macht seine Frau?

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