07 März 2008

„Womma ficken?“

Seit St. Pauli immer mehr zum In-Viertel wird, werden die Vermieter spürbar gieriger. Immer mehr wird es zur entscheidenden Frage, ob unser Wohnviertel als „normal“ oder „gut“ gilt. Im Mietenspiegel kann das ein paar hundert Euro ausmachen, monatlich.

Eine Nachbarin aus dem dritten Stock erhielt jetzt wieder eine Mieterhöhung, die zweite seit 2006. Dabei, beklagt sie sich, werde vorm Haus noch immer gedealt, und liederliche Frauen sprächen fremde Männer an.

Mag sein, aber wir haben so etwas schon länger nicht mehr erlebt. Wenn das systematisch der Fall wäre, könnte man die Wohnlage in der Tat kaum als „gut“ bezeichnen – und die Mieterhöhung auch nicht als gerechtfertigt. Doch wie gesagt: Uns ist so etwas schon lange nicht mehr untergekommen, wenn überhaupt.

Als ich heute aus der Stadt kam, sprach mich vor der Haustür eine alte Frau an. Ihr Haar war als Bubikopf geschnitten und so weiß wie das von Rudi Völler. Ich schätzte sie auf über 70. Sie war hager, ihre Augen schwarz, kugelrund und groß, und sie trug einen beigen Trenchcoat mit Gürtel.

Sie sprach mich an, als ich gerade das Fahrrad an den Mast anschloss. Sie sagte: „Womma ficken?“

In solchen Situationen reagiere ich stets bedrückend konventionell, worüber ich mich im Nachhinein maßlos ärgere. Statt diesen grotesken Antrag recherchierend zu hinterfragen, statt im insistierenden Gespräch herauszufinden, weshalb eine wahrscheinlich aus dem Altenheim ausgebüxte Rentnerin durch die Straßen St. Paulis streunt und (vergleichsweise) junge Männer um Geschlechtsverkehr ersucht, antwortete ich mit verlegenem Lächeln: „Nein, danke.“

Wie langweilig. Wie öde. Wie absehbar.

Sie schaute mich mit erschütternder Traurigkeit an, in ihren Kulleraugen lag tödlicher Ernst. „Ich möch’ gern ma“, sagte sie mit verwaschener Stimme. Und ich wieder, im Weggehen: „Danke, nein, wirklich nicht.“

Als ich die Haustür aufschloss, drehte ich mich noch einmal um. Sie stand vor der verwaisten Kita, die Hände im Trenchcoat, und glotzte stumpf ins Fenster, eine traurige, weißgraue Verkörperung von Verzweiflung und Hoffnungslosigkeit.

Und als ich die Treppen hochstieg zur Wohnung, da dachte ich: Die Nachbarin hat recht. Unsere Wohnlage ist nicht „gut“, sie ist höchstens „normal“.

Das gilt wohl auch für diesen Hauseingang am Hamburger Berg.

11 Kommentare:

  1. Perfekter Blogeintrag

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  2. Es wird Sie doch nicht wirklich wundern, dass Ihnen die gesamte Frauenwelt zu Füßen liegt?
    Ms. Columbo rast bestimmt vor Eifersucht...

    Anna

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  3. Seit Ms. Columbo Sie als Blogpraktikantin akzeptiert hat, werte Anna, ist alles viel leichter geworden für mich … ;-)

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  4. Ich muß meinem König leider widersprechen. Dies ist keineswegs ein perfekter (und schon gar kein poodlitzerpreisverdächtiger) Blogeintrag.

    Das Gegenteil ist der Fall. Ich fühle mich wegen der vielen unbeantworteten Fragen völlig unbefriedigt:

    Handelte es sich um ein geschäftliches Angebot oder ging es um eine Copulacione sympathico?

    Wenn ja, wer sollte löhnen und wieviel?

    Wo sollte der late afternoon stand stattfinden, etwa in dem abgebildeten Hauseingang am Hamburger Berg? (Was dem Ganzen ein zusätzliches Prickeln verliehen hätte - Ms Columbo hätte ja jederzeit passieren können)

    Welche Technik sollte zur Anwendung kommen? Man stelle sich nur vor, siebzigjährige Erfahrung ...

    Stattdessen spekuliert der Herr über völlig klare Nebensächlichkeiten:

    Die Wohnlage ist ausgezeichnet, die Mieterhöhung selbstverständlich trotzdem vollkommen unberechtigt!

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  5. Details können entfallen, bei dem Wert der Geschichte. :-)

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  6. Dann sorgen Sie bitte wenigstens dafür, mein König, daß man erfährt, wer Sie sind.

    Einen Error 404 haben wir schon.

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  7. sehr schön. ich finde es nett, dass du dich bei ablehnung des angebots bedankst. "ketchup dazu?" "nein, danke." "ficken?" "nein, danke." umgangsformen werden genug unterschätzt.

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  8. Nun, vielleicht hat die alte Dame ja bei anderen Herren mehr Verständnis für ihr Anliegen gefunden. Schließlich heißt es ja, man solle das Alter ehren.

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  9. Und ich dachte die Berliner hier seien bescheuert :D

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  10. "Wie langweilig. Wie öde. Wie absehbar."

    Stimmt. Die wahren Fragen an das Leben im allgemeinen und die Dame im speziellen können wieder ncht beantwortet werden. Und 42 wäre jetzt die falsche Retourkutsche...

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  11. Ich hätte sie gefickt in alle 3 Löcher

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