Im Seebad Zoppot, nur 20 Zugminuten von Danzig entfernt, wurde Klaus Kinski geboren. Deshalb habe ich Christian Davids Biografie des Weltstars mit auf die Reise genommen und gestern Abend 200 Seiten davon weggelesen.
Natuerlich musste ich Ms. Columbo nach Zoppot verschleppen; sie wehrte sich nicht. Hier herrschte heute eine merkwürdige Atmosphäre, sie erinnert an Louis Malles Film „Atlantic City“. Dabei ist gar kein Winter mehr, sondern schon Vorsaison, das Meer hat bald 20 Grad.
Doch heute war dort die See bleigrau von den schweren Wolken, die der Wind von Westen herüberschickte, und ein halbherziger Regen benieselte lautlos die Mole.
Als wir kamen, verließ gerade die letzte Schulklasse stumm die über 500 Meter lange Brücke. Wir standen schließlich allein an der bugförmigen Spitze und schauten hinaus auf die Ostsee, wo eine Phalanx von Schiffssilhouetten am Horizont festgefroren war.
Hinter uns – fast so weit entfernt, wie die Reeperbahn lang ist – verfiel unmerklich weiter das trutzige Grand Hotel, das schon in den späten 20ern hier gestanden haben muss, als der kleine Kinski am Strand nach Bernsteinbrocken grub.
In Bahnhofsnähe liegt Kinskis Geburtshaus, dort haben sie nach langem, erbittertem Streit über den promisken Wüterich erst vor wenigen Jahren eine Gedenkstätte zugelassen und im Erdgeschoss einen schummrigen Pub mit burgunderfarbenen Wänden und Tischdecken eingerichtet.
Ich bestelle als Reminiszenz und auf eigenes Risiko ein Piwo Nosferatu von der rein polnischsprachigen Karte. Es kommt ein Bier, das mit rotem Saft (wahrscheinlich Blutorange) eingefärbt wurde; der Strohhalm im Glas erschreckt mich sehr, doch das Ganze schmeckt nicht einmal übel. Besser jedenfalls als Jungfrauenblut (wie ich vermute).
Von den Wänden schauen Kinskis in allen Posen und Rollen: als Aguirre, als Vampir, als Woyzeck und als düsterer Westernheld. Dazu läuft die ganze Zeit Massive Attack. Wahrscheinlich hätte Kinski nach Paganini gebrüllt, den CD-Spieler durch die Scheibe gepfeffert und mit brennenden Kerzen nach der Bedienung geworfen.
Außer im Pub an der Kosciuszki-Straße 10 scheint der einzige Bewohner Zoppots, der es je zu Weltruhm brachte, in der Stadt nicht präsent zu sein. An der Mole konzentrieren sich die Straßenmaler auf Karikaturen von Marilyn Monroe, Elvis Presley oder Angela Merkel, doch keiner kommt auf die Idee, auch Kinski zu malen.
Keine Zoppot-Postkarte zeigt sein Konterfei, nirgends weist ein Schild auf sein Geburtshaus hin. Die Stadt scheint sich noch immer zu schämen für ihn; was zu seinen Lebzeiten galt, gilt auch posthum: Mit Kinski kam und kommt keiner aus. Wir verlassen die Pub Galeria Kinski gegen 19 Uhr, kurz nach „Unfinished sympathy“.
Jedes Seebad der Welt lässt sich deprimieren vom Nieselregen, überall. Und so ging es heute auch Zoppot. Kinski zog mit sechs hier weg und kam nie mehr zurück.
Wir aber werden wiederkommen, mit Bikini und Badehose – sobald die Sonne die bleigraue Ostsee wieder blau färbt.
Und ich werde am Strand nach Bernstein graben.
Ihr "Piwo Nosferatu" klingt für mich aber ganz verdächtig nach "Berliner Weiße mit Schuss (rot)" - die wird auch mit Strohhalm getrunken.
AntwortenLöschenSo genau will ich das gar nicht wissen …
AntwortenLöschenSind Sie sich sicher, dass Sie nach Bernstein graben möchten?
AntwortenLöschenHallo Herr Matt,
AntwortenLöschengeben Sie's zu - Bernstein ist nur ein Vorwand - Sie hoffen die Gebeine von Kinski zu finden oder so was ähnliches... Ich würde Ihnen maximal Hoffnung auf vergrabenen Sperrmüll aus Deutschland machen. Oder das eine oder andere unter dubiosen Umständen verschwundene Auto aus Deutschland.
Keine Angst. Ist "nur" Bier mit Himbeersaft.
AntwortenLöschenAmber, na sicher … Nach was sonst – Muscheln? Womit ich auch Ihre Vermutung, Herr big-eno, hoffentlich widerlegt habe. Außerdem muss ich die angedeuteten Vorurteile gegen das friedliebende und genügsame Völkchen der Polen aufs Entschiedenste zurückweisen!
AntwortenLöschenBeweise in den nächsten Tagen.
Ich bin damit nicht einverstanden.
AntwortenLöschenMatt: Wird Ihr Netzzugang überwacht? Sie klingen so... anders... ;-)
AntwortenLöschenViel Glück beim Bernsteingraben. Auf eine solche Idee kann aber wirklich nur nach Konsumption eines Himbeerbieres kommen... tststs.
Hier wird man automatisch infiziert. Alles dreht sich um Bernstein bzw. Burnsztyn, wie die Polen das zu nennen belieben. Dazu braucht es also kein Piwo Nosferatu.
AntwortenLöschen