In Lüneburg läuft eine Ausstellung, die sich mit dem Schicksal niedersächsischer Sinti im Dritten Reich beschäftigt. Die ortsansässige Landeszeitung schreibt vergangenen Samstag darüber und nennt den Artikel „Von Lüneburg nach Auschwitz“.
Natürlich muss man überlegen, welche Werbung man auf so einer Seite unterbringen kann. Ist ja heikel, das Thema. Man überlegt hin und her, und schließlich entscheidet man sich für die blutrote Anzeige eines Energieriesen. Slogan: „E.ON sorgt schon heute für das Gas von morgen!“ Mit Ausrufezeichen.
Auschwitz und Gas also – auf einer Seite.
Wie kommt es zu einem derart irreparablen Publikationsdesaster? Steckt bewusstlose Dämlichkeit dahinter oder gar Perfidie? Sind die Leute von der Landeszeitung nur blöd oder doch Nazis mit spezifischem Humor?
Wohl eher erstes, deutet Chef vom Dienst Joachim Zießler im Gästebuch der Landeszeitung an und gibt einen „bösen Fehler“ zu. Dieses Gästebuch hat übrigens Regeln, sie stehen obendrüber, und ein Satz darin lautet: „Beleidigende, rassistische und andere gegen geltendes Recht und die guten Sitten verstoßende Äußerungen werden nicht toleriert.“ Recht(s) so, Landeszeitung.
Natürlich stöberte ich auch noch ein wenig durch die anderen Einträge und stieß auf einen, der mich geradezu zärtlich berührte. Am 21. Januar nämlich schrieb ein offenbar dereinst von Lüneburg nach Frankreich verzogener Leser folgende Sätze, denen sich kein fühlendes Herz verschließen kann:
„ich lebe hier ganz isoliert mit keinem einzige
menschlichen menshen komme ich zusamen ...
ich habe hier also bloss mit den baeumen bekanntschat gemacht,
und diese zeigen sich jetzt wieder in dem alten gruenen Schmucke
und machen mich an alte tage und rauschen mir
alte vergessene lieder ins gedaechtnis zurueck,
und stimmen mich zur wehmuth. hei.hei ueber lueneburg.“
Selbst das orthografische und grammatikalische Dornengestrüpp dieser Sätze vermag ihre Poesie und Emotionalität nicht am Durchschimmern zu hindern. Das meine ich ganz ernst – und das, obwohl der einsame Schreiber Djihad Benchelif heißt, was eigentlich ganz andere Assoziationen wecken sollte.
Irgendein verständiges feminines Wesen müsste sich doch finden, das diesen in fremder Ferne gestrandeten Ex-Lüneburger mal richtig knuddelt, und sei es nur per Mail. Hier ist seine Adresse: hotbarid@yahoo.fr.
Ex cathedra: Die Top 3 der traurigsten Lovesongs
1. „Long black veil“ von Johnny Cash
2. „Crying in the rain“ von The Everly Brothers
3. „Wicked game“ von Chris Isaak.
Übrigens hatte ich zunächst die Anzeigenabteilung als Verursacher in Verdacht, wurde aber von einem anonymen Kommentator darauf aufmerksam gemacht, dass es die Redaktion verbockt habe. Daraufhin schrieb ich den Eintrag um – habe aber auch den Kommentar gelöscht, weil er beleidigend war.
AntwortenLöschenDieser Beweis der Dummheit der Klowand-Gegner toppt noch um Einiges mein Fundstück des Monats.
AntwortenLöschenhttp://www.tagesblog.de/index.php?id=1555
Obwohl ich den auch schon ziemlich hart daneben fand :))
Ich bin ja selbst Journalist und schwebe stets in Gefahr, einen Fehler zu begehen, der - einmal gedruckt – unkorrigierbar ist. Aber so etwas DARF einfach nicht passieren. Da haben einige Kontrollinstanzen versagt – oder es gab sie nicht, was genauso fahrlässig ist.
AntwortenLöschenNichts und niemand ist frei von Fehlern - wie man damit umgeht, zeugt von Charakter (oder eben auch nicht).
AntwortenLöschenInterview des Chefredakteurs mit der Netzzeitung zu diesem Thema:
AntwortenLöschenhttp://www.netzeitung.de/medien/379931.html
Hallo!
AntwortenLöschenHabe den Bericht leider jetzt erst gelesen.
Habe mal deinen Link für das Bild geklaut und ihn auf unserer Seite verwendet! Hoffe das war ok!?!?
Das ist ja echt heftig und gnadenlos!
Ich bin fast sprachlos - und das will was heissen!!!!
Es tut mir ja leid und so schlimm das auch ist - aber irgendwie birgt es nichtsdestotrotz enormes komödiantisches Potential.
AntwortenLöschen