Zum Auftakt des Reeperbahnfestivals, welches mich seit gestern auf höchst sinnvolle Weise um einen Teil der Nachtruhe bringt, war ich in den Edelstripclub Dollhouse geladen. Dort hielt der Musiker Dave Stewart (l.) Hof.
Viele erinnern sich gewiss noch an seine große Zeit mit den Eurythmics („Sweet Dreams“). Hier im Dollhouse hatte er nicht nur sein neues Album dabei, sondern auch eine schräge Produktidee, an deren weltrevolutionäre Kraft der Mann unerschütterlich glaubt: eine Wodka-Martini-Maschine.
„Wie viele von Ihnen hatten vor zehn Jahren eine Cappuccinomaschine zu Hause?“, rief er uns in seiner Muttersprache Englisch zu. Ich bin mir nicht sicher, ob Engländer zu Espressomaschinen generell Cappuccinomaschinen sagen, er sagte auf jeden Fall Cappuccinomaschine.
Vor zehn Jahren? Keiner von uns hob die Hand, entweder aus Schüchternheit oder weil wir allesamt vor zehn Jahren keine Cappuccinomaschine zu Hause stehen hatten. „Sehen Sie?“, triumphierte Stewart und legte uns damit den zwingenden Rückschluss nahe, 2023 allesamt zu Hause über Wodka-Martini-Maschinen zu verfügen, und zwar natürlich welche aus seiner Fabrikation.
Nun, bei mir zumindest wird er mit dieser Prognose völlig falsch liegen, weil ich weder Wodka noch Martini mag und die Kombination aus beidem schon mal gleich doppelt nicht. Da ich aber die Suggestionskraft des Kollegen Germanpsycho kenne, der mich unlängst auf den anhaltenden Trip brachte, mich in edle Tuche zu kleiden, und zurzeit viel Zeit darauf verwendet, seine Skills im Cocktailmixen zu verfeinern, will ich Dave Stewarts Nahelegung vorsorglich mal nicht als komplett ins Fabelreich verbannen.
Er hatte übrigens noch einen anderen Knaller dabei: einen 11.1-Mix seiner aktuellen Single. Wenn ich 2023 dank Fukushima oder einer Überdosis Wodka-Martini über elf Ohren verfüge, höre ich mir den bestimmt (noch) mal in Ruhe an.
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27 September 2013
24 September 2013
Wie im Paradiso
Amsterdam unterliegt der unumschränkten Hegemonie der Radfahrer, und sie sind sich ihrer Herrschaft in jeder Sekunde bewusst.
Man springt besser beiseite, wenn irgendwer angerollt kommt, und das geschieht unablässig. Jeder hier scheint Fahrrad zu fahren, und wenn der Amsterdamer gerade mal in der Tram oder im Auto sitzt (was durchaus vorkommt), dann wahrscheinlich nur, weil er gerade einen Platten oder einen Fahrraddiebstahl zu verkraften hat.
Der unbekümmerte Drauflosfahrstil der Radler muss den Amsterdamer Krankenhäusern tagtäglich zuverlässig Kundschaft zuführen, das geht gar nicht anders. Und gleich am ersten Abend erlebten wir denn auch einen Zusammenstoß mit.
Vorm Melkweg nietete ein Radfahrer eine Passantin um, beide gingen schwer zu Boden, überlebten am Ende aber locker. Der allgemeine Effekt dieser Vernarrtheit ins Zweirad ist eine auffällig niedrige Quote adipöser Amsterdamer. Wir haben wirklich keine Dicken dort gesehen.
Sollte wirklich jemand aufgrund einer psychischen Störung oder dank purer Renitenz dem Radeln abhold sein, reguliert er sein Gewicht wahrscheinlich durch lange Aufenthalte in den Coffeeshops. Dort kann man sich jedes Hungergefühl auf angenehmste Weise wegkiffen und bleibt dauerhaft schlank. Draußen vor der Tür darf man allerdings anscheinend nicht an der Tüte suckeln; anders ist es nicht zu erklären, dass alle Bedröhnten trotz angenehmster Temperaturen brav drin verharrten.
Allerdings stehen die Türen der Coffeeshops stets einladend offen (vielleicht ist das Prinzip der Entlüftung durch nach außen führende Rohre in Holland unbeliebt), und ein Aufenthalt in den auf den Gehweg hinauswabernden Shitschwaden verschafft auch dem geizigsten Zufallspassanten eine durchaus erkleckliche Cannabiolzufuhr. Dazu reicht bloßes Weiteratmen.
Abends hatten wir uns zu Fuß durch die niemals nachlassende Drahteselstampede bis zum Paradiso vorgekämpft, um die Swamprocklegende Tony Joe White live zu erleben. Das Paradiso wurde einst gebaut, um hanebüchenen Unsinn zu verbreiten, als Kirche nämlich. Heute gehört es zweifellos zu den wunderbarsten Liveclubs, die man hienieden aufsuchen kann.
Sogar die mit historischen Glasmalereien verzierten Fenster sind noch erhalten, und die farbigen Spotlichtbahnen, die sich vorm Konzert still und stumm durch den Trockeneisdunst frästen, gaben dem Raum ein nostalgisches Flair, das mich an die Glastanzdielen meiner Jugend erinnerte.
Nachdem ich Tony Joes ultralangsame Version seines Übersongs „Rainy Night in Georgia“ im Kasten hatte, wusste ich, dass von nun an nichts mehr schiefgehen konnte an diesem Wochenende – außer von einer Drahteselstampede überrollt zu werden.
Aber das geschah dann merkwürdigerweise doch nicht.
22 September 2013
Die geschüttelte Unterhose
Unser Auto war vollgestopft mit Drogen. Nur ich wusste nichts davon.
Jörg, Micha und Frank waren nachsichtig mit mir gewesen an diesem Wochenende in Amsterdam, schließlich war ich Abstinenzler. Während ich brav mittaperte in Coffeeshops und Konzertclubs (John Martyn im Melkweg: ein zentrales Ereignis meines Lebens), erledigten sie auf den dortigen Toiletten wohl nicht nur die üblichen Geschäfte.
Als der Zoll uns auf der Rückfahrt rauswinkte, war ich ruhig wie ein Unschuldslamm. Schließlich war ich ja auch eins.
Zu dieser Zeit, 1981, gab es die Grenze zwischen Holland und Deutschland noch. Vier bärtige Zottel von Anfang 20, die gerade wohlgemut mit einem Alfa Romeo aus Amsterdam heranrauschten, wirkten damals auf deutsche Zöllner so harmlos wie Klaus Kinski in den Edgar-Wallace-Filmen.
Die Beamten, die ich heimlich mit meiner Kleinbildkamera durchs Fenster knipste, nahmen sich erst mal den Alfa vor. „Auseinandernehmen“ trifft es sogar noch besser. Sie zerlegten, schraubten ab und bogen auf, auch die Innenverkleidungen der Türen. Sogar die Radkappen montierten diese Superprofis ab.
Derweil wurden wir voneinander getrennt. Jeder musste einem Zöllner folgen. Ich landete in einem komplett gekachelten leeren Raum. Der Beamte stellte sich in etwa zwei Meter Abstand vor mich hin und sagte:
„So, jetzt ziehen Sie sich bitte aus. Und werfen Sie mir jedes Kleidungsstück einzeln zu. Außer der Unterhose. Die nur schütteln.“
Ich zog mich aus und warf ihm alles ordnungsgemäß rüber. Er betastete und knetete Schuhe, Strümpfe, Jacke, Hemd und Hosen sorgsam und legte sie beiseite. Und dann kam es zum Äußersten.
Ich, ein bärtiger, vor Aufregung zitternder Zottel, stand in einem gekachelten leeren Raum an der deutsch-holländischen Grenze splitternackt vor einem uniformierten Zollbeamten – und schüttelte meine Unterhose.
Es war grotesk, absurd, entwürdigend. Aber auch völlig ergebnislos.
Danach durfte ich mich wieder anziehen. Nach und nach trafen wir vier beim Alfa ein, alle um die Erfahrung dieser Prozedur reicher. Wir redeten kaum. Die Zöllner waren muffelig. Sie hatten keine Drogen gefunden.
Micha drehte den Zündschlüssel, der brave Alfa sprang an, langsam rollten wir vom Gelände – und dann löste sich die Spannung. Lachen, Kopfschütteln, Juchzen, aber ich war immer noch nicht im Bilde.
Bis Frank die Packung Tempotaschentücher aus dem Handschuhfach zog und grinsend die LSD-Plättchen zwischen den Papierlagen rauszog. Und Jörg unter den Beifahrersitz griff, wo er in seiner Panik einfach das Gras, die Hanfsamen und was weiß ich noch alles hingepfeffert hatte, als die Zöllner uns rauswinkten.
Nichts, nichts, nichts davon hatten diese Dilettanten gefunden – sondern sich stattdessen beim Abschrauben der Radkappen dreckige Flossen geholt. Es war zum Kringeln.
Was genau passiert wäre, wenn diese Leute keine Tomaten auf den Augen gehabt, sondern Drogenhunde dabeigehabt hätten: Ich habe da so eine Ahnung. Jörg, Micha und Frank jedenfalls versicherten mir, sie hätten mich im Bedarfsfall selbstverständlich rausgehalten. Ehrensache.
Am Wochenende war ich mal wieder in Amsterdam. In den Coffeeshops qualmten die Tüten wie immer. Wir tranken einen Espresso im Melkweg, wo John Martyn mir ein zentrales Ereignis meines Lebens beschert hatte – nur einen Tag bevor ich mich auf Anweisung eines wildfremden Mannes auszog und mit der Unterhose wedelte.
Die Erinnerung malt wirklich mit goldenem Pinsel, da hat Jan Plewka mal wieder recht.
Jörg, Micha und Frank waren nachsichtig mit mir gewesen an diesem Wochenende in Amsterdam, schließlich war ich Abstinenzler. Während ich brav mittaperte in Coffeeshops und Konzertclubs (John Martyn im Melkweg: ein zentrales Ereignis meines Lebens), erledigten sie auf den dortigen Toiletten wohl nicht nur die üblichen Geschäfte.
Als der Zoll uns auf der Rückfahrt rauswinkte, war ich ruhig wie ein Unschuldslamm. Schließlich war ich ja auch eins.
Zu dieser Zeit, 1981, gab es die Grenze zwischen Holland und Deutschland noch. Vier bärtige Zottel von Anfang 20, die gerade wohlgemut mit einem Alfa Romeo aus Amsterdam heranrauschten, wirkten damals auf deutsche Zöllner so harmlos wie Klaus Kinski in den Edgar-Wallace-Filmen.
Die Beamten, die ich heimlich mit meiner Kleinbildkamera durchs Fenster knipste, nahmen sich erst mal den Alfa vor. „Auseinandernehmen“ trifft es sogar noch besser. Sie zerlegten, schraubten ab und bogen auf, auch die Innenverkleidungen der Türen. Sogar die Radkappen montierten diese Superprofis ab.
Derweil wurden wir voneinander getrennt. Jeder musste einem Zöllner folgen. Ich landete in einem komplett gekachelten leeren Raum. Der Beamte stellte sich in etwa zwei Meter Abstand vor mich hin und sagte:
„So, jetzt ziehen Sie sich bitte aus. Und werfen Sie mir jedes Kleidungsstück einzeln zu. Außer der Unterhose. Die nur schütteln.“
Ich zog mich aus und warf ihm alles ordnungsgemäß rüber. Er betastete und knetete Schuhe, Strümpfe, Jacke, Hemd und Hosen sorgsam und legte sie beiseite. Und dann kam es zum Äußersten.
Ich, ein bärtiger, vor Aufregung zitternder Zottel, stand in einem gekachelten leeren Raum an der deutsch-holländischen Grenze splitternackt vor einem uniformierten Zollbeamten – und schüttelte meine Unterhose.
Es war grotesk, absurd, entwürdigend. Aber auch völlig ergebnislos.
Danach durfte ich mich wieder anziehen. Nach und nach trafen wir vier beim Alfa ein, alle um die Erfahrung dieser Prozedur reicher. Wir redeten kaum. Die Zöllner waren muffelig. Sie hatten keine Drogen gefunden.
Micha drehte den Zündschlüssel, der brave Alfa sprang an, langsam rollten wir vom Gelände – und dann löste sich die Spannung. Lachen, Kopfschütteln, Juchzen, aber ich war immer noch nicht im Bilde.
Bis Frank die Packung Tempotaschentücher aus dem Handschuhfach zog und grinsend die LSD-Plättchen zwischen den Papierlagen rauszog. Und Jörg unter den Beifahrersitz griff, wo er in seiner Panik einfach das Gras, die Hanfsamen und was weiß ich noch alles hingepfeffert hatte, als die Zöllner uns rauswinkten.
Nichts, nichts, nichts davon hatten diese Dilettanten gefunden – sondern sich stattdessen beim Abschrauben der Radkappen dreckige Flossen geholt. Es war zum Kringeln.
Was genau passiert wäre, wenn diese Leute keine Tomaten auf den Augen gehabt, sondern Drogenhunde dabeigehabt hätten: Ich habe da so eine Ahnung. Jörg, Micha und Frank jedenfalls versicherten mir, sie hätten mich im Bedarfsfall selbstverständlich rausgehalten. Ehrensache.
Am Wochenende war ich mal wieder in Amsterdam. In den Coffeeshops qualmten die Tüten wie immer. Wir tranken einen Espresso im Melkweg, wo John Martyn mir ein zentrales Ereignis meines Lebens beschert hatte – nur einen Tag bevor ich mich auf Anweisung eines wildfremden Mannes auszog und mit der Unterhose wedelte.
Die Erinnerung malt wirklich mit goldenem Pinsel, da hat Jan Plewka mal wieder recht.
18 September 2013
Neues aus der Musikbranche
Hélène Grimauds Finger waren kürzer, Adel Tawils Turnschuhe grüner und Julia A. Noacks Knust-Konzert dürftiger besucht als gedacht: Wie man sieht, hielten die letzten Tage einige Überraschungen für mich parat.
Bei Frau Noack spielte ich nach Mitternacht sogar noch den Hilfsroadie – eine Erfahrung, die mir in meiner langen Karriere im Dunstkreis der Musikbranche (gerade noch) gefehlt hatte. (Scherz!)
Die Woche beschließen wird ein Ausflug nach Amsterdam, wo ich mir die nächste Kerbe im Colt holen werde: Tony Joe White. Wenn der Mann nicht zu mir kommt, muss ich eben zu ihm. Betonung auf müssen.
Alles Weitere später. Ich kann zur Einstimmung schon mal eine höchst anregende Amsterdamstory ankündigen, die zwar etwas angejahrt, mir aus bald zu enttarndenen Gründen aber noch höchst präsent in Erinnerung ist. Es hat – so viel vorab – etwas mit Drogen und Striptease zu tun.
Stay tuned, wie wir Hilfsroadies sagen.
16 September 2013
Pareidolie (66–68)
Gut, dass der Lichtschalter (o.) seit einigen Jahrzehnten nicht mehr richtig geputzt wurde. Wie hätte er sonst an sein Hitlerbärtchen kommen sollen?
Felge und Ladekabel hingegen entfalten ihr pareidolisches Wirken auch in sauberem Zustand.
PS: Eine ganze Pareidoliegalerie gibt es bei der Pareidolie-Tante.
13 September 2013
Fundstücke (181)
Dieser Schemel – und jetzt halten Sie sich bitte fest – war in dem Moment, als ich ihn fotografierte, noch warm von Hélène Grimauds Hintern. Ungelogen.
Zu den Vorzügen meines Berufs gehört es manchmal, quasi Privatkonzerte genießen zu dürfen, durchaus auch mal von großen Stars wie der Klaviervirtuosin Grimaud, die heute bei Steinway & Sons vor den Augen geladener Gäste Flügel ausprobierte.
Der Versuchung, den von ihrem Hintern noch warmen Schemel danach probeweise selbst zu besetzen, widerstand ich übrigens auch aus dem Grund, dass sie – die Versuchung – komischerweise gar nicht aufkam.
Manchmal finde ich mich schon seltsam.
12 September 2013
Die Gentrifizierung wird immer schlimmer
Neulich, als ich feier(abend)lich übern Kiez nach Hause schritt, stürzte plötzlich ein Mann hastig quer über den Gehweg, stützte sich beidarmig schwer auf den hier abgebildeten Mülleimer am S-Bahn-Eingang Reeperbahn und erbrach sich ausgiebig in dessen deckellose Öffnung.
Ein unerhörter Vorgang. Denn hier verzichtet der handelsübliche Vomiteur normalerweise auf jeden lästigen Standortwechsel. Stattdessen folgt er seinem Göbelbedürfnis umstandslos an Ort und Stelle.
Was indes diesen Herren bewog, seinen Schwall unter Missachtung aller Kiezusancen in ein dafür durchaus geeignetes Behältnis zu reihern und nicht einfach vorn Verkaufstresen des Hotdoghökers, werden wir wohl nie erfahren.
Der Kiez jedenfalls – dieses Fazit muss man allmählich wohl kopfschüttlend ziehen – ist auch nicht mehr das, was er mal war. Ganz und gar nicht, um genau zu sein. Demnächst fangen die Leute womöglich noch an, öffentliche Pissoirs zu benutzen statt unseren Hauseingang.
Verdammte Gentrifizierung!
10 September 2013
Die gemütlichsten Ecken von St. Pauli (91):
Freddy’s Imbiss
Hier sehen Sie ein rares Selbstporträt, heimlich aufgenommen in Freddy’s Imbiss, als „Freddy“ gerade seinen Platz hinter der Theke mal verlassen hatte.
Oben auf den Leuchtkästen stehen akkurat gedruckt wunderschöne Wörter wie „Kohlwoulade“, „Putengschnetzeltes“ oder „Croque Tousouse“, und es gibt zweifellos auf dem ganzen weiten Kiez keinen gemütlicheren Ort, um auf sein sorgsam gevierteltes Grillhähnchen zu warten.
08 September 2013
Noch eine Bankenkrise
Allmählich wird es richtig unschön. Erst kam heraus, dass unser aller Mails verdachtsunabhängig abgefischt werden können, und jetzt ist auch das Onlinebanking nicht mehr sicher – genauer gesagt: noch nie sicher gewesen. Weil die Softwarehersteller den Geheimdiensten von vorneherein ein Türchen offengelassen haben.
Insgesamt unterhalte ich Geschäftsverbindungen mit vier Banken. Allen vieren habe ich heute ein paar einfache Fragen gemailt, die natürlich verdachtsunabhängig abgefischt worden sein könnten:
Die aktuellen Berichte in der Presse über bewusst eingebaute und somit von Geheimdiensten ohne richterlichen Beschluss nutzbare Sicherheitslücken in der Programmstruktur des Onlinebankings haben mich sehr verunsichert. Bitte beantworten Sie mir daher folgende Fragen:
1. Ist Ihnen dieses Problem bekannt und wenn ja, seit wann?
2. Wie schützen Sie ihre Kunden vor dem externen und verdachtsunabhängigen Abschöpfen von Kontodaten durch wen auch immer?
3. Was unternehmen Sie, um künftig die Sicherheit und Anonymität des Onlinebankings wieder zu garantieren?
Nicht dass ich mir irgendetwas Erhellendes von den Antworten erhoffe. Aber die willigen Vollstrecker sollen sich mit diesen Fragen beschäftigen müssen.
Und jetzt überklebe ich die Kamera meines MacBooks. Skypen wird ja eh überschätzt – und möglicherweise verdachtsunabhängig mitgeschnitten.
Zum Abendessen hatte ich übrigens Mozzarella, falls es jemanden irgendwo auf der Welt interessiert.
05 September 2013
02 September 2013
Wie optimistisch, wie naiv
Hübsch symbolisch, dieser Wegweiser auf einer Wand an der Großen Bergstraße. Diese Wand trifft sich mit einer anderen Wand in einer spitz zulaufenden Sackgasse. Ende Gelände.
Allerdings weiß ich beim besten Willen nicht, woher die Urheber des „Way of capitalism“-Wegweisers ihren Optimismus nehmen. Denn für ein baldiges Ende des Kapitalismus gibt es weder einen Grund noch Indizien noch historische Beispiele.
Revolutionen jedenfalls (korrigieren Sie mich, wenn ich ein Gegenbeispiel vergessen haben sollte) fanden bisher nur gegen Autokratien statt – gegen Monarchien (z. B. Frankreich 1789, Russland 1917, Iran 1978) oder Diktaturen (DDR 1989), aber noch nie gegen eine demokratisch legitimierte Regierung in einem kapitalistischen Wirtschaftssystem.
Das hat seine guten Gründe. Der Kapitalismus ist deswegen die bisher erfolgreichste Wirtschaftsform in der Geschichte, weil er so flexibel ist, so geschmeidig. Er versteht es bestens, interne Verwerfungen und Unwuchten gerade so weit abzuschmirgeln, dass er als Gesamtsystem nicht in Gefahr gerät.
Nur ein Beispiel: Als die Arbeiterbewegung aufkam, die potenziell systemgefährdend gewesen wäre, verstand „der Kapitalismus“ es hervorragend, sie in Form von Gewerkschaften zu legitimieren, einzubinden und somit zu besänftigen, gerade in westlichen Staaten wie Deutschland. Die Teilhabe auch unterer Schichten am Wohlstand, ihre Chance auf Auto, Häuschen und Italienurlaub sorgte zudem stets für Ruhe im Karton.
Ja, der Kapitalismus ist perfide genug, sogar die Armutsgrenze peu à peu den gestiegenen Durchschnittseinkommen anzupassen, so dass immer nur eine nicht systemgefährdende Minderheit revolutionären Gedanken nachhängt. Diese Anpassungsfähigkeit des Kapitalismus, welche spiegelbildlich seiner Fähigkeit entspricht, die Produktivität immer weiter zu steigern, ist sein unschlagbares Erfolgsrezept.
Das war es schon immer, das wird es auch bleiben. Und ob Bankenkrise, Umweltprobleme, Massentierhaltung, Geheimdienstüberwachung oder Altersarmut: Ehe irgendetwas davon so viel Druck auf den Kessel gibt, dass er zu explodieren droht, werden die Triebkräfte des Kapitalismus schon Mittel und Wege finden, genügend Luft rauszulassen. Und zwar gerade so viel, dass die Geschäfte weiter gut laufen.
Eine Revolution innerhalb eines demokratisch legitimierten Kapitalismus ist deshalb praktisch undenkbar. Seine Einhegungskompetenzen sind zu groß, seine Dehnungsfugen zu flexibel.
All das schoss mir heute durch den Kopf, als ich eingangs der spitz zulaufenden Sackgasse den Wegweiser „Way of capitalism“ erblickte. Wie grundlos optimistisch, dachte ich, wie erschütternd naiv.
Das aufgemalte Schild zeigte übrigens auch gen St. Pauli, und dorthin schritt ich denn auch munter aus im prickelnden Hamburger Herbstnieselregen.
01 September 2013
31 August 2013
Siebträgergesichter, entdeckt in der Küche im Dunstkreis unserer Espressomaschine.
Beide funktionieren übrigens auch prächtig, wenn man sie auf den Kopf stellt. Probieren Sie es doch einfach mal aus, indem Sie Ihr „Device“ um 180 Grad drehen.
Es wird Ihr Schaden nicht sein.
PS: Eine ganze Galerie gibt es weiterhin bei der Pareidolie-Tante.
Beide funktionieren übrigens auch prächtig, wenn man sie auf den Kopf stellt. Probieren Sie es doch einfach mal aus, indem Sie Ihr „Device“ um 180 Grad drehen.
Es wird Ihr Schaden nicht sein.
PS: Eine ganze Galerie gibt es weiterhin bei der Pareidolie-Tante.
27 August 2013
Doppelt deppert
Jeden Morgen radle ich die Seilerstraße runter gen Altona, und jeden Morgen stoße ich am Ende der Straße auf den seinem Namen keinerlei Ehre machenden Hamburger Berg. Dort bin ich leider unweigerlich dem Anblick der Außenfassade von „Rosi`s Bar“ ausgesetzt.
Nichts gegen diese Kneipe freilich; dort habe ich schon einige erbauliche Stunden verbracht. Vor allem montags, wenn niemand auf dem Kiez rumhängt, nicht mal die Pinneberger, dann sitzt es sich da sehr kommod in der ungewohnten Leere des Gastraums.
Denn wie wir längst wissen, ist die Großstadt als solche ein bestechend einleuchtendes Konzept, welches lediglich durch die Anwesenheit von Menschen beeinträchtigt wird, ganz arg sogar. Und montags gibt es außer der Bedienung so gut wie keine Menschen in „Rosi`s Bar“, das ist bestechend.
Aber auch an solchen Tagen hängt das Schild „Rosi`s Bar“ unverdrossen überm Eingang. Wenn man drin ist, sieht man’s zwar nicht, doch es ist da, es sorgt dafür, dass mir seine Präsenz stets bewusst ist. Und morgens, wenn ich mich dem Ende der Seilerstraße nähere, fahre ich sogar direkt darauf zu. Es springt mir ins Auge, es gibt kein Entrinnen. Ich schaue das Schild an, das Schild schaut mich an.
Wenn Sie jetzt glauben, es sei bloß der Deppenapostroph, der auf mein sprachästhetisches Empfinden einsticht wie Catherine Tramell mit einem Eispickel, dann liegen Sie nur halb richtig; wirklich quälend ist vor allem die Tatsache, dass der Hersteller des Schildes nicht einmal in der Lage war, einen ordentlichen Apostroph aus der Zeichensatzkiste zu ziehen.
Nein, diese volllegasthenische Trottellumme griff auch noch zu einem Accent grave! Dieser Fehlgriff macht den Deppenapostroph in „Rosi`s Bar“ gleichsam doppelt so deppert.
Wer aber jetzt denkt, diese missliche Lage an der Fassade müsste doch Rosis durchschnittlichen Astratagesumsatz erheblich mindern, der liegt womöglich falsch. Bei Rosi nämlich ist immer Remmidemmi außer montags, kaum einen Gast scheint es zu kümmern, was dort draußen an der Hauswand in entsetzlicher Permanenz Tag und Nacht vor sich geht, ja, es scheint, als würde kaum einer die Interpunktionskatastrophe überhaupt bemerken.
Manchmal denke ich inzwischen, zermürbt vom jahrelangen Daraufzufahren, ich könnte mich mit dem richtigen falschen Apostroph fast so was wie anfreunden.
„Rosi’s Bar“: Ja, das wäre ein Kompromiss.
(Nein! Niemals!)
Nichts gegen diese Kneipe freilich; dort habe ich schon einige erbauliche Stunden verbracht. Vor allem montags, wenn niemand auf dem Kiez rumhängt, nicht mal die Pinneberger, dann sitzt es sich da sehr kommod in der ungewohnten Leere des Gastraums.
Denn wie wir längst wissen, ist die Großstadt als solche ein bestechend einleuchtendes Konzept, welches lediglich durch die Anwesenheit von Menschen beeinträchtigt wird, ganz arg sogar. Und montags gibt es außer der Bedienung so gut wie keine Menschen in „Rosi`s Bar“, das ist bestechend.
Aber auch an solchen Tagen hängt das Schild „Rosi`s Bar“ unverdrossen überm Eingang. Wenn man drin ist, sieht man’s zwar nicht, doch es ist da, es sorgt dafür, dass mir seine Präsenz stets bewusst ist. Und morgens, wenn ich mich dem Ende der Seilerstraße nähere, fahre ich sogar direkt darauf zu. Es springt mir ins Auge, es gibt kein Entrinnen. Ich schaue das Schild an, das Schild schaut mich an.
Wenn Sie jetzt glauben, es sei bloß der Deppenapostroph, der auf mein sprachästhetisches Empfinden einsticht wie Catherine Tramell mit einem Eispickel, dann liegen Sie nur halb richtig; wirklich quälend ist vor allem die Tatsache, dass der Hersteller des Schildes nicht einmal in der Lage war, einen ordentlichen Apostroph aus der Zeichensatzkiste zu ziehen.
Nein, diese volllegasthenische Trottellumme griff auch noch zu einem Accent grave! Dieser Fehlgriff macht den Deppenapostroph in „Rosi`s Bar“ gleichsam doppelt so deppert.
Wer aber jetzt denkt, diese missliche Lage an der Fassade müsste doch Rosis durchschnittlichen Astratagesumsatz erheblich mindern, der liegt womöglich falsch. Bei Rosi nämlich ist immer Remmidemmi außer montags, kaum einen Gast scheint es zu kümmern, was dort draußen an der Hauswand in entsetzlicher Permanenz Tag und Nacht vor sich geht, ja, es scheint, als würde kaum einer die Interpunktionskatastrophe überhaupt bemerken.
Manchmal denke ich inzwischen, zermürbt vom jahrelangen Daraufzufahren, ich könnte mich mit dem richtigen falschen Apostroph fast so was wie anfreunden.
„Rosi’s Bar“: Ja, das wäre ein Kompromiss.
(Nein! Niemals!)
23 August 2013
Pareidolie (64)
Was Spiegel-Autor Konrad Lischka gerade gemacht hat, hätte ich ehrlich gesagt auch gekonnt: ein Buch mit Pareidolien zu füllen. Aber wer zu spät kommt, ist nun mal nicht der frühe Vogel, so ist das halt.
Deshalb geht es vorerst hier im Blog weiter mit der Pareidolieserie. Meine wäre auch bestimmt weniger gut vermarktbar, denn im Gegensatz zu Lischkas pareidolischem La-La-Land (Untertitel: „Die Welt steckt voller Lächeln“) geht es hier allzu oft sehr düster, ja manchmal geradezu panisch zu. Wie heute mal wieder.
Entdeckt auf dem Hoheluftflohmarkt.
PS: Eine ganze Galerie gibt es übrigens bei der Pareidolie-Tante. Sie hätte überhaupt als erste ein solches Buch machen sollen. Aber so ein E-Book ist ja schnell gestrickt heutzutage.
19 August 2013
Fundstücke (180): Menschenhandel in Ottensen
Die Vielzahl der Problemzonen dieses Werbeschildes rechtfertigen auf alle Fälle einen eigenen Blogeintrag.
Dabei möchte ich – um den Rahmen nicht zu sprengen – die sympathisch heterogen gehandhabte Groß- und Kleinschreibung von vorneherein ausklammern. Zu sehr dominiert die Strahlkraft der Deppenleerzeichen diesen Entwurf, als dass man ihre Würdigung mit anderen Aspekten kontaminieren dürfte.
Es geht schon oben los. Der Inhaber des beworbenen und – wie wir noch sehen werden – breit aufgestellten Unternehmens, Herr Musa, beschäftigt anscheinend einen Meister, der mit Nachnamen Friseur heißt. Welch schöner Zufall, ist Musa doch vor allem im Geschäftsfeld der Haarbehandlung tätig.
Interessanterweise aber scheint er sogar ein ganzes Team mit diesem Nachnamen in Lohn und Brot zu haben – und der Einfachheit halber unter dem Rubrum „Damen und Herren“ zusammenzufassen; wohl um nicht alle Rufnamen einzeln aufführen zu müssen. So ein Schild bietet schließlich nicht endlos Platz.
Musas Geschäftsmodell aber ist, wie bereits angedeutet, erstaunlich vielfältig. Es geht weit über das Shampoonieren und Trimmen hinaus. So hat der pfiffige Geschäftsmann – obzwar damit frohgemut gegen die Genfer Konvention verstoßend – sogar Rentner im Verkauf.
Jetzt mal abgesehen von moralisch-ethisch-gesetzlichen Erwägungen und diesem ganzen Pipapo: Der Endpreis von 8 Euro pro Rentner scheint mir doch sehr knapp kalkuliert. Vielleicht handelt es sich sogar um ein Lockvogelangebot, und das wäre auf jeden Fall illegal.
Denn müssten Rentner mit all ihrer in Jahrzehnten angesammelten Fachkunde und Lebenserfahrung nicht für deutlich mehr Geld in der Auslage liegen? Die Produktions- und Lagerkosten, das weiß jeder kaufmännische Berufsschüler, fließen schließlich in den Preis mit ein und sollten sich am Point of Sale entsprechend niederschlagen. Was sagen eigentlich seine Angestellten dazu, die Damen und Herren Friseur? Zumal Musas Parallelprodukt, ein simpler „Maschienenharrschnitt“, genau so wenig kostet wie ein Rentner.
Beides kann man beim kulanten Ottenser übrigens ohne jede „voranmeldung“ erwerben – und ich habe es jetzt doch nicht geschafft, die heterogen gehandhabte Groß- und Kleinschreibung dieses Großen unter den Kleinunternehmern von vorneherein auszuklammern.
Na ja, jeder macht mal Fehler.
PS: Über den Kamm, der oben rechts wahrscheinlich wild knurrend eine unschuldige Schere totbeißt, möchte ich an dieser Stelle nicht weiter eingehen. Aus Gründen.
Dabei möchte ich – um den Rahmen nicht zu sprengen – die sympathisch heterogen gehandhabte Groß- und Kleinschreibung von vorneherein ausklammern. Zu sehr dominiert die Strahlkraft der Deppenleerzeichen diesen Entwurf, als dass man ihre Würdigung mit anderen Aspekten kontaminieren dürfte.
Es geht schon oben los. Der Inhaber des beworbenen und – wie wir noch sehen werden – breit aufgestellten Unternehmens, Herr Musa, beschäftigt anscheinend einen Meister, der mit Nachnamen Friseur heißt. Welch schöner Zufall, ist Musa doch vor allem im Geschäftsfeld der Haarbehandlung tätig.
Interessanterweise aber scheint er sogar ein ganzes Team mit diesem Nachnamen in Lohn und Brot zu haben – und der Einfachheit halber unter dem Rubrum „Damen und Herren“ zusammenzufassen; wohl um nicht alle Rufnamen einzeln aufführen zu müssen. So ein Schild bietet schließlich nicht endlos Platz.
Musas Geschäftsmodell aber ist, wie bereits angedeutet, erstaunlich vielfältig. Es geht weit über das Shampoonieren und Trimmen hinaus. So hat der pfiffige Geschäftsmann – obzwar damit frohgemut gegen die Genfer Konvention verstoßend – sogar Rentner im Verkauf.
Jetzt mal abgesehen von moralisch-ethisch-gesetzlichen Erwägungen und diesem ganzen Pipapo: Der Endpreis von 8 Euro pro Rentner scheint mir doch sehr knapp kalkuliert. Vielleicht handelt es sich sogar um ein Lockvogelangebot, und das wäre auf jeden Fall illegal.
Denn müssten Rentner mit all ihrer in Jahrzehnten angesammelten Fachkunde und Lebenserfahrung nicht für deutlich mehr Geld in der Auslage liegen? Die Produktions- und Lagerkosten, das weiß jeder kaufmännische Berufsschüler, fließen schließlich in den Preis mit ein und sollten sich am Point of Sale entsprechend niederschlagen. Was sagen eigentlich seine Angestellten dazu, die Damen und Herren Friseur? Zumal Musas Parallelprodukt, ein simpler „Maschienenharrschnitt“, genau so wenig kostet wie ein Rentner.
Beides kann man beim kulanten Ottenser übrigens ohne jede „voranmeldung“ erwerben – und ich habe es jetzt doch nicht geschafft, die heterogen gehandhabte Groß- und Kleinschreibung dieses Großen unter den Kleinunternehmern von vorneherein auszuklammern.
Na ja, jeder macht mal Fehler.
PS: Über den Kamm, der oben rechts wahrscheinlich wild knurrend eine unschuldige Schere totbeißt, möchte ich an dieser Stelle nicht weiter eingehen. Aus Gründen.
15 August 2013
Franke ahoi!
Unglaublich, aber wahr: Der Franke – haha, halten Sie sich bitte gut fest! –, hat den Segelschein gemacht. Den Segelschein! Original aufm Wasser!
Ich weiß, das ist ungefähr so, als bewürbe sich ein Usbeke ums Jodeldiplom. Doch dem im Schatten des Josefspitals aufgewachsenen Naturburschen kam sein Ansinnen komischerweise überhaupt nicht komisch vor.
Als Folge desselben nervte er uns monatelang – und zwar mittags mit unvermittelt heruntergemurmelten Knotenknüpftechniken, nachmittags mit sorgenvollen Windstärkenmeldungen und abends mit dauerhafter Unabkömmlichkeit – er musste ja zum Segeltraining.
Wenn er ausnahmsweise doch mal mitkam zum Grillen an die Elbe, knechtete er uns mit komplett uninteressantem Fachwissen. Düste zum Beispiel ein Motorboot im Abendlicht von rechts nach links elbaufwärts, fragte er mich: „Was fällt dir an diesem Boot auf?“
„Es fährt im Abendlicht von rechts nach links elbaufwärts“, rollte ich mit den Augen. „Und woran erkennst du, dass es von rechts nach links fährt?“, bohrte der Franke weiter. „Eventuell daran, dass es offenkundig von rechts nach links fährt …?“, versuchte ich ihn mit zusammengekniffenen Augen zur Räson zu bringen.
„Nein!“, rief der Franke daraufhin triumphierend aus, „sondern daran, dass du ein GRÜNES LICHT siehst! Wenn es nämlich von links nach rechts führe, sähst du ein ROTES Licht!“
Vielleicht verhielt es sich auch umgekehrt mit den Farben, so genau weiß ich das nicht mehr. Jedenfalls war alles absolut hoffnungslos, und ich nagte verdrossen weiter an meiner gegrillten Aubergine, während der Franke sich glühenden Blicks auf die rot und grün die Elbe durchpflügenden Boote die dritte Bratwurst reinpfiff.
Wir alle sehnten den Tag seiner Theorieprüfung herbei, die er dank einer appgestützt fehlberechneten Fahrtzeit („Scheiß Google Maps!“, schimpfte er noch Tage später) und einer unerklärlich frankenfeindlichen roten Welle erst mit zehnminütiger Verspätung antrat und gleichwohl bestand.
Vor der einige Tage später folgenden praktischen Prüfung gerierte er sich als fahriges Nervenbündel, das von zu rettenden Bojen faselte, wegen der vorhergesagten Windstärke vier Panik schob und drauf und dran war, Steuer-, Back- und Bücherbord zu verwechseln. Doch auch dieses Examen absolvierte der Mann aus dem weinberggesprenkelten Binnenland erfolgreich.
„Einen Vorteil hat das Ganze ja“, wandte ich mich in des Franken Gegenwart seufzend an Kramer. „Ich sehe uns schon auf dem Sonnendeck Cocktails schlürfen, während Käptn Ahab uns über die Weltmeere schippert.“
Warum der Franke daraufhin irgendwas von einem Baum salbaderte, der uns beide von der Jolle fegen würde, weiß ich auch nicht. Im Herbst will er übrigens weitere Prüfungen ablegen, die ihn dazu berechtigen, nicht nur über die Alster, sondern auch quer durch Dreimeilenzonen zu marodieren.
Wo ist eigentlich Windstärke zwölf, wenn man sie mal braucht?
PS: Weiteren Frankenhorror gibt es in meinem E-Book „Die Frankensaga“ für einen stark untertriebenen Preis bei Amazon.
Ich weiß, das ist ungefähr so, als bewürbe sich ein Usbeke ums Jodeldiplom. Doch dem im Schatten des Josefspitals aufgewachsenen Naturburschen kam sein Ansinnen komischerweise überhaupt nicht komisch vor.
Als Folge desselben nervte er uns monatelang – und zwar mittags mit unvermittelt heruntergemurmelten Knotenknüpftechniken, nachmittags mit sorgenvollen Windstärkenmeldungen und abends mit dauerhafter Unabkömmlichkeit – er musste ja zum Segeltraining.
Wenn er ausnahmsweise doch mal mitkam zum Grillen an die Elbe, knechtete er uns mit komplett uninteressantem Fachwissen. Düste zum Beispiel ein Motorboot im Abendlicht von rechts nach links elbaufwärts, fragte er mich: „Was fällt dir an diesem Boot auf?“
„Es fährt im Abendlicht von rechts nach links elbaufwärts“, rollte ich mit den Augen. „Und woran erkennst du, dass es von rechts nach links fährt?“, bohrte der Franke weiter. „Eventuell daran, dass es offenkundig von rechts nach links fährt …?“, versuchte ich ihn mit zusammengekniffenen Augen zur Räson zu bringen.
„Nein!“, rief der Franke daraufhin triumphierend aus, „sondern daran, dass du ein GRÜNES LICHT siehst! Wenn es nämlich von links nach rechts führe, sähst du ein ROTES Licht!“
Vielleicht verhielt es sich auch umgekehrt mit den Farben, so genau weiß ich das nicht mehr. Jedenfalls war alles absolut hoffnungslos, und ich nagte verdrossen weiter an meiner gegrillten Aubergine, während der Franke sich glühenden Blicks auf die rot und grün die Elbe durchpflügenden Boote die dritte Bratwurst reinpfiff.
Wir alle sehnten den Tag seiner Theorieprüfung herbei, die er dank einer appgestützt fehlberechneten Fahrtzeit („Scheiß Google Maps!“, schimpfte er noch Tage später) und einer unerklärlich frankenfeindlichen roten Welle erst mit zehnminütiger Verspätung antrat und gleichwohl bestand.
Vor der einige Tage später folgenden praktischen Prüfung gerierte er sich als fahriges Nervenbündel, das von zu rettenden Bojen faselte, wegen der vorhergesagten Windstärke vier Panik schob und drauf und dran war, Steuer-, Back- und Bücherbord zu verwechseln. Doch auch dieses Examen absolvierte der Mann aus dem weinberggesprenkelten Binnenland erfolgreich.
„Einen Vorteil hat das Ganze ja“, wandte ich mich in des Franken Gegenwart seufzend an Kramer. „Ich sehe uns schon auf dem Sonnendeck Cocktails schlürfen, während Käptn Ahab uns über die Weltmeere schippert.“
Warum der Franke daraufhin irgendwas von einem Baum salbaderte, der uns beide von der Jolle fegen würde, weiß ich auch nicht. Im Herbst will er übrigens weitere Prüfungen ablegen, die ihn dazu berechtigen, nicht nur über die Alster, sondern auch quer durch Dreimeilenzonen zu marodieren.
Wo ist eigentlich Windstärke zwölf, wenn man sie mal braucht?
PS: Weiteren Frankenhorror gibt es in meinem E-Book „Die Frankensaga“ für einen stark untertriebenen Preis bei Amazon.
11 August 2013
Die bisher beste Beatles-Woche
Vor einigen Tagen lud mich das East-Hotel zur Vernissage des legendären Künstlerfotografen Jürgen Vollmer ein. Eins seiner berühmtesten Bilder zeigt den jungen John Lennon, wie er in der Jägerpassage in einem Hauseingang steht und arrogant guckt.
Dieses Foto machte Lennon Mitte der 70er zum Cover seines Albums „Rock’n’Roll“, und 30 Jahre später stellte ich es mit Ms. Columbos Hilfe am Originalschauplatz nach – wir berichteten.
Als ich nun zur Vollmer-Vernissage ins East aufbrechen wollte, dachte ich mir: Warum druckst du das Foto mit dir als Lennon nicht aus, steckst es in eine Mappe, nimmst es mit, schnappst dir Vollmer in einem günstigen Moment und lässt es dir signieren?
Schnapsideen muss man sofort umsetzen oder sie ganz lassen, und zwar für immerdar, also druckte ich es aus, steckte es in eine Mappe, ging damit ins East und wartete auf den günstigen Vollmer-Moment, um es mir signieren zu lassen.
Er kam auch. Vollmer, dessen 1961er-Pilzkopfschnitt die Beatles so umwerfend fanden, dass sie ihn baten, in diesem Sinne an ihnen herumzuschnippeln – der Rest ist Geschichte –, Vollmer also saß mit Klaus Voormann (der das „Revolver“-Cover designt hatte) bei einem Glas Vernissagesekt zusammen, als ich lautlos herantrat und um ein Autogramm bat.
Er war gleich dazu bereit, und ich gab ihm einen Stift. Dann schlug ich – ein wohlgesetzter dramaturgischer Moment – die Mappe mit dem Foto auf.
„Das ist aber nicht von mir!“, rief Vollmer sogleich überrascht aus und schien zu meinem aufkeimenden Entsetzen alle Anstalten zu machen, die Unterzeichnung zu verweigern.
Ich beschwichtigte ihn dergestalt, dass ja die Motividee von ihm stamme und als solche natürlich signierenswert sei, auch wenn die pophistorische Lichtgestalt Lennon durch einen unwürdigen Blogger blablabla …
Beruhigt und beherzt setzte der Meisterfotograf (74) daraufhin den Kugelschreiber an und unterzeichnete. Zu Hause steckte ich die Devotionalie sofort in einen Echtholzrahmen und ging zwei Tage später zum Konzert von Lennons Witwe Yoko Ono, was die Woche aufs Allersinnigste abrundete.
Die Ausstellung läuft übrigens noch bis zum 5. September, Eintritt frei.
PS: Das Originalmotiv links hat Vollmer mir natürlich nicht signiert. Das ist Photoshop, haha! Leider steht dieses Foto bei der Ausstellung auch nicht zum Verkauf, da Vollmer es schon vor einiger Zeit an Yoko Ono veräußert hat. Angebote für den Erwerb meines Fotos mit der Originalsignatur nehmen ich und Sotheby’s indes ab sofort entgegen. (Spaaaaß!)
Dieses Foto machte Lennon Mitte der 70er zum Cover seines Albums „Rock’n’Roll“, und 30 Jahre später stellte ich es mit Ms. Columbos Hilfe am Originalschauplatz nach – wir berichteten.
Als ich nun zur Vollmer-Vernissage ins East aufbrechen wollte, dachte ich mir: Warum druckst du das Foto mit dir als Lennon nicht aus, steckst es in eine Mappe, nimmst es mit, schnappst dir Vollmer in einem günstigen Moment und lässt es dir signieren?
Schnapsideen muss man sofort umsetzen oder sie ganz lassen, und zwar für immerdar, also druckte ich es aus, steckte es in eine Mappe, ging damit ins East und wartete auf den günstigen Vollmer-Moment, um es mir signieren zu lassen.
Er kam auch. Vollmer, dessen 1961er-Pilzkopfschnitt die Beatles so umwerfend fanden, dass sie ihn baten, in diesem Sinne an ihnen herumzuschnippeln – der Rest ist Geschichte –, Vollmer also saß mit Klaus Voormann (der das „Revolver“-Cover designt hatte) bei einem Glas Vernissagesekt zusammen, als ich lautlos herantrat und um ein Autogramm bat.
Er war gleich dazu bereit, und ich gab ihm einen Stift. Dann schlug ich – ein wohlgesetzter dramaturgischer Moment – die Mappe mit dem Foto auf.
„Das ist aber nicht von mir!“, rief Vollmer sogleich überrascht aus und schien zu meinem aufkeimenden Entsetzen alle Anstalten zu machen, die Unterzeichnung zu verweigern.
Ich beschwichtigte ihn dergestalt, dass ja die Motividee von ihm stamme und als solche natürlich signierenswert sei, auch wenn die pophistorische Lichtgestalt Lennon durch einen unwürdigen Blogger blablabla …
Beruhigt und beherzt setzte der Meisterfotograf (74) daraufhin den Kugelschreiber an und unterzeichnete. Zu Hause steckte ich die Devotionalie sofort in einen Echtholzrahmen und ging zwei Tage später zum Konzert von Lennons Witwe Yoko Ono, was die Woche aufs Allersinnigste abrundete.
Die Ausstellung läuft übrigens noch bis zum 5. September, Eintritt frei.
PS: Das Originalmotiv links hat Vollmer mir natürlich nicht signiert. Das ist Photoshop, haha! Leider steht dieses Foto bei der Ausstellung auch nicht zum Verkauf, da Vollmer es schon vor einiger Zeit an Yoko Ono veräußert hat. Angebote für den Erwerb meines Fotos mit der Originalsignatur nehmen ich und Sotheby’s indes ab sofort entgegen. (Spaaaaß!)
06 August 2013
High five, Hieronymus
Heute las ich auf Spiegel online die Geschichte eines US-amerikanischen Touristen, der in einem Museum in Florenz einer mittelalterlichen Statue den Finger abgerissen hat. Eventuell wollte er ihr ein high five geben.
Der (US-amerikanische!) Direktor des Museums, Timothy Verdon, beklagte laut Spon bitterlich die verrohten Sitten im Hier und Jetzt: „In einer globalisierten Welt wie der unseren“, schüttelte der Mann fassungslos den Kopf, „scheint man eine der grundlegenden Regeln für den Besuch von Museen vergessen zu haben: nämlich dass man die Werke nicht anfassen darf.“
Nun, ich kann ihn beruhigen: Das gilt nicht nur für eine globalisierte Welt wie die unsere, sondern auch für die unglobalisierte von gestern. Mir ist nämlich ein ähnlicher Fall aus den 80er Jahren bekannt. Er spielte in der Alten Pinakothek in München, und der für die verrohten Sitten zuständige Vollhorst war – ich.
Damals war ich ganz vernarrt in Deep Purples titelloses, doch nach seinem zentralen Stück als „April“ bekanntes Album, welches ein Gemälde des niederländischen Meisters Hieronymus Bosch (1450–1516) als Covermotiv zeigt. Das Bild ist Teil des Triptychons „Der Garten der Lüste“ und bekannt als „Die musikalische Hölle“ (s. Ausschnitt oben).
Darauf wird munter gemetzelt und gemeuchelt, und zwar gerne auch mal mit Musikinstrumenten; dass Deep Purple mit dieser Coverwahl also sich selbst und die Rezeptionsgeschichte des Hardrock ein wenig auf die Schippe nehmen, ging mir erst viele Jahre später auf, genauer gesagt: gerade eben.
In seiner Lust an Folterszenen jedenfalls zeigt der Maler höchst eindrucksvoll, welch verheerende Wirkung die Lektüre der Bibel auf die Synapsen selbst eines Jahrhundertgenies haben kann. Mit seiner psychedelischen Apokalyptik lieferte Bosch quasi die „Saw“-Serie des Mittelalters und wirkte damit auf das noch nicht völlig ausgeformte Hirn des jungen Matt durchaus faszinierend, zumal in Verbindung mit der Musik von Deep Purple.
Boschs Bilder boten schaurigschöne Trips in die Hölle und zurück, echt wahr, und mit diesem Vorwissen ging ich auf Klassenfahrt nach München und landete in der Alten Pinakothek. Und siehe da: Dort hing zu meinem wohligen Erschaudern ein echtes Gemälde von Herrn Bosch! Er höchstselbst hatte den Pinsel geführt, seine Hände die Leinwand gespannt.
Selbstverständlich handelte es sich wieder mal um eine fieberheiße Höllenfantasie abgründigster Natur. Es war aber nicht „Der Garten der Lüste“, das weiß ich noch. Welches Werk aber dann? Leider nicht mehr festzustellen, denn heutzutage hängt kein Bosch mehr in der Alten Pinakothek, wie eine kurze Recherche ergab – und ich hoffe nicht, dass diese Tatsache irgendetwas mit mir zu tun hat.
Ich stellte mich jedenfalls fasziniert vor Boschs Bild, welches einfach so an der Wand hing, ungeschützt, weder in einer Vitrine noch hinter einer Scheibe; wenn ich mich recht erinnere, hielt nicht mal eine Anstandskordel unsereins auf Abstand. Nein, der 500-jährige Firnis der Leinwand wurde unmittelbar umfächelt von der Atemluft der Moderne, falls man so großmütig sein möchte, die trüben 80er dieser Ära zuzurechnen.
Neben mir hielten sich verwirrte Mitschüler auf, die ich mit meinem Deep-Purple-generierten Bosch-Fachwissen zutextete. Während der Exegese wies ich mit dem Finger mal hier-, mal dorthin, kam der Leinwand in meinem Eifer plötzlich unbemerkt sehr nah – und dann geschah es:
Ich berührte sie.
Mein Finger auf der Farbe, die Hieronymus Bosch einst aufgetragen hatte. Mal eben ein halbes Jahrtausend überbrückt mit einer unbedachten Bewegung. Hier Hieronymus, der Kunstolympier, da ein Deep-Purple-Fan in einem schlecht sitzenden 80er-Jahre-Cordsakko, und beide teilten jetzt und für immer eine Erfahrung: die gleiche Stelle auf einem unsterblichen Gemälde berührt zu haben.
In meiner Erinnerung dauerte es keine zwei Sekunden vom erschreckten Zurückzucken meiner Hand bis zum Losheulen einer Sirene. Ich eilte geduckt weg vom Tatort, meine Mitschüler hinterher. In der Alten Pinakothek herrschte Aufregung, Ordnungskräfte eilten herbei, die Besucher schauten erschrocken, wildes Stimmengewirr.
Ich eilte durch die Menge zum Ausgang – adrenalinüberflutet, weil ich mir intuitiv sicher war, der Grund für den Alarm zu sein. Und ich entkam.
Was mich heute vor allem wundert, ist die widersprüchliche Strategie des Museums. Einerseits konnte jeder, der sich der damals noch unglobalisierten Welt zum Trotz bereits präventiv verrohte Sitten antrainiert hatte, ein Gemälde betatschen, weil es ungeschützt dahing; andererseits löste anscheinend schon ein Moskito, der sich im Garten der Lüste eine Verschnaufpause gönnen wollte, einen Großalarm in halb Bayern aus.
Jedenfalls habe ich noch nie einer florentinischen Statue einen Finger abgebrochen, und das plane ich dereinst, wenn Hieronymus Bosch mich zur Rede stellen wird, zu meiner Verteidigung anzuführen.
Und dann werden wir uns ein high five geben.
Der (US-amerikanische!) Direktor des Museums, Timothy Verdon, beklagte laut Spon bitterlich die verrohten Sitten im Hier und Jetzt: „In einer globalisierten Welt wie der unseren“, schüttelte der Mann fassungslos den Kopf, „scheint man eine der grundlegenden Regeln für den Besuch von Museen vergessen zu haben: nämlich dass man die Werke nicht anfassen darf.“
Nun, ich kann ihn beruhigen: Das gilt nicht nur für eine globalisierte Welt wie die unsere, sondern auch für die unglobalisierte von gestern. Mir ist nämlich ein ähnlicher Fall aus den 80er Jahren bekannt. Er spielte in der Alten Pinakothek in München, und der für die verrohten Sitten zuständige Vollhorst war – ich.
Damals war ich ganz vernarrt in Deep Purples titelloses, doch nach seinem zentralen Stück als „April“ bekanntes Album, welches ein Gemälde des niederländischen Meisters Hieronymus Bosch (1450–1516) als Covermotiv zeigt. Das Bild ist Teil des Triptychons „Der Garten der Lüste“ und bekannt als „Die musikalische Hölle“ (s. Ausschnitt oben).
Darauf wird munter gemetzelt und gemeuchelt, und zwar gerne auch mal mit Musikinstrumenten; dass Deep Purple mit dieser Coverwahl also sich selbst und die Rezeptionsgeschichte des Hardrock ein wenig auf die Schippe nehmen, ging mir erst viele Jahre später auf, genauer gesagt: gerade eben.
In seiner Lust an Folterszenen jedenfalls zeigt der Maler höchst eindrucksvoll, welch verheerende Wirkung die Lektüre der Bibel auf die Synapsen selbst eines Jahrhundertgenies haben kann. Mit seiner psychedelischen Apokalyptik lieferte Bosch quasi die „Saw“-Serie des Mittelalters und wirkte damit auf das noch nicht völlig ausgeformte Hirn des jungen Matt durchaus faszinierend, zumal in Verbindung mit der Musik von Deep Purple.
Boschs Bilder boten schaurigschöne Trips in die Hölle und zurück, echt wahr, und mit diesem Vorwissen ging ich auf Klassenfahrt nach München und landete in der Alten Pinakothek. Und siehe da: Dort hing zu meinem wohligen Erschaudern ein echtes Gemälde von Herrn Bosch! Er höchstselbst hatte den Pinsel geführt, seine Hände die Leinwand gespannt.
Selbstverständlich handelte es sich wieder mal um eine fieberheiße Höllenfantasie abgründigster Natur. Es war aber nicht „Der Garten der Lüste“, das weiß ich noch. Welches Werk aber dann? Leider nicht mehr festzustellen, denn heutzutage hängt kein Bosch mehr in der Alten Pinakothek, wie eine kurze Recherche ergab – und ich hoffe nicht, dass diese Tatsache irgendetwas mit mir zu tun hat.
Ich stellte mich jedenfalls fasziniert vor Boschs Bild, welches einfach so an der Wand hing, ungeschützt, weder in einer Vitrine noch hinter einer Scheibe; wenn ich mich recht erinnere, hielt nicht mal eine Anstandskordel unsereins auf Abstand. Nein, der 500-jährige Firnis der Leinwand wurde unmittelbar umfächelt von der Atemluft der Moderne, falls man so großmütig sein möchte, die trüben 80er dieser Ära zuzurechnen.
Neben mir hielten sich verwirrte Mitschüler auf, die ich mit meinem Deep-Purple-generierten Bosch-Fachwissen zutextete. Während der Exegese wies ich mit dem Finger mal hier-, mal dorthin, kam der Leinwand in meinem Eifer plötzlich unbemerkt sehr nah – und dann geschah es:
Ich berührte sie.
Mein Finger auf der Farbe, die Hieronymus Bosch einst aufgetragen hatte. Mal eben ein halbes Jahrtausend überbrückt mit einer unbedachten Bewegung. Hier Hieronymus, der Kunstolympier, da ein Deep-Purple-Fan in einem schlecht sitzenden 80er-Jahre-Cordsakko, und beide teilten jetzt und für immer eine Erfahrung: die gleiche Stelle auf einem unsterblichen Gemälde berührt zu haben.
In meiner Erinnerung dauerte es keine zwei Sekunden vom erschreckten Zurückzucken meiner Hand bis zum Losheulen einer Sirene. Ich eilte geduckt weg vom Tatort, meine Mitschüler hinterher. In der Alten Pinakothek herrschte Aufregung, Ordnungskräfte eilten herbei, die Besucher schauten erschrocken, wildes Stimmengewirr.
Ich eilte durch die Menge zum Ausgang – adrenalinüberflutet, weil ich mir intuitiv sicher war, der Grund für den Alarm zu sein. Und ich entkam.
Was mich heute vor allem wundert, ist die widersprüchliche Strategie des Museums. Einerseits konnte jeder, der sich der damals noch unglobalisierten Welt zum Trotz bereits präventiv verrohte Sitten antrainiert hatte, ein Gemälde betatschen, weil es ungeschützt dahing; andererseits löste anscheinend schon ein Moskito, der sich im Garten der Lüste eine Verschnaufpause gönnen wollte, einen Großalarm in halb Bayern aus.
Jedenfalls habe ich noch nie einer florentinischen Statue einen Finger abgebrochen, und das plane ich dereinst, wenn Hieronymus Bosch mich zur Rede stellen wird, zu meiner Verteidigung anzuführen.
Und dann werden wir uns ein high five geben.
04 August 2013
Fundstücke (179)
Travemünde heute Nachmittag: ein Trennstrich zu wenig, ein paar Wolken zu viel – die perfekte Mischung.
Dass die Preußen aus Münster den FC St. Pauli aus dem DFB-Pokal warfen, lag eindeutig daran, dass sie sich nicht scheuten, auch zu höchst unlauteren Mitteln zu greifen … (Foto: Sky-Screenshot)
Auf dem Kiez gibt es übrigens nichts, was man nicht käuflich erwerben kann. Quod erat demonstrandum.
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