13 Juli 2006

Du Denkschnecke!

Der Fall Zidane lässt mir keine Ruhe. Musste der algerische Dickschädel wirklich mit körperlicher Roheit reagieren? Vielleicht hat Zidane ja einfach der Wortschatz gefehlt, und sein Kopfstoß war Ausdruck artikulativer Hilflosigkeit.

Hier bieten mein Kollege Kramer und ich unsere Hilfe an. Um für ähnliche Fälle gewappnet zu sein, möchten wir dem besten Fußballer der Welt ein paar persönlich erprobte Beleidigungen an die Hand geben, die vielleicht auch einen Materazzi zum Klappehalten gebracht hätten.

Wir achten bei unseren Disputen übrigens stets darauf, nicht in die Phrasenfalle zu tappen. Eine von Generationen hochroter Streithähne totgebrüllte Beleidigung wie „Hornochse!“ ist natürlich unter unserem Niveau. Nein, es muss schon etwas origineller sein.

Und genau das – eine originelle und dennoch treffsichere Beleidigung – hätte vielleicht dem WM-Finale eine andere Richtung gegeben. Also, Zidane, aufgepasst, fürs nächste Mal:


mw: Du Merkbefreiter!

K.: Datenbankstreber! Problemredakteur!

mw: Blindie! Schlamper!

K.: Hohlspiegeldauergast!

mw: Glatzenschlumpf!

K.: Leck misch!

mw: Lieber nicht – mir fällt keine geeignete Stelle ein.

K.: Bloody Banause!

mw: Nasenbär!

K.: Lutscher!

mw: Tuckentröster!

K.: Hosenhuster!

mw: Nasenhaarvokuhila! Knautschsackfresse!

K.: Zitzenzieher!

mw: Hundehaufenbedufter!

K.: Nassauer!

mw: Gibt es Rabatt für Leute, die das Schicksal damit bestraft hat, dich lose zu kennen?

K.: Schnauze, du Mundschleimhautbakterienzüchter!

mw: Die zweite gute Tat heute wird sein, dir den Mümmeltrichter zu polieren!

K.: Wurzelsepp!

mw: Du Elendszecke! Geografielegastheniker!

K.: Weißweinsammelbesteller, Autoverkäufer!

mw: Hey, ich bestehe auf Beleidigungen, du Faktenaufzähler!

K.: Rap-Rüpel! Fliegenlandebahnkopf! Basmatireisumstülper!

mw: Standspurdenker! Bratwurst! Neidhammel! Missgönner! Glatzenkandidat!!!

K.: Du siehst aus wie ein Kilo Gehacktes!

mw: Du Halbsynapse! Du Sockenschuss! Du Denkschnecke!

K.: Textverhunzer!

mw: Alphabetschänder! Wortvermüller! Dudendilettant!

K.: Du Schüsselsprung! Du Flugangsttier!

mw: Noch ein Wort, und ich schiebe dir diese CD-Box so tief in den Enddarm, dass du kuckst wie ein adipöser Karpfen.

K.: Krämersfrau!

mw: Intelligenzamöbe! Denkvakuum!

K.: Blödmannsgehilfe!


Und so weiter. Das Foto zeigt zum Ausgleich den Vollmond von gestern Nacht, wie er einen Kran hinter der Reeperbahn umschmeichelt. Wenigstens die zwei mögen sich.

Am Ende eines großen, dunklen Trips

Zwei schmerzliche Todesfälle am letzten Freitag, dem 7. Juli. Der eine, Rudi Carrell, wurde zur Legende, weil er seine Karriere bis zur Neige auskostete. Der andere, Syd Barrett, weil er seine Karriere nicht ausschöpfen konnte.

Barrett war ein strahlend hübscher Jüngling der 60er, ein frühreifes Genie; er gründete Pink Floyd, schenkte ihnen einige der merkwürdigsten Dreiminutenmeisterwerke der Popgeschichte, wurde zum LSD-Wrack und kehrte nie mehr ganz zurück von seinem großen, dunklen Trip.

Als er am Ende war, Anfang der 70er, verließ er eines Tages seine Wohnung in London ohne Koffer und kehrte zurück zu seiner Mutter nach Cambridge, zu Fuß, die ganze Strecke; und in diesem Haus hat er gelebt bis letzten Freitag, bis er starb.

Hat Barrett je gezecht, gefeiert, geliebt? Das Mysterium dieser sich hermetisch vor der Welt verbergenden Popikone hat mich immer fasziniert, und ab und zu googelte ich in den letzten Jahren nach Fotos von ihm. So wurde ich Zeuge, wie aus dem strahlend hübschen Jüngling der 60er urplötzlich – weil 30 Jahre zwischen den Fotos lagen – ein dicklicher Kahlkopf geworden war. Die letzten Paparazzibilder zeigten ihn magerer, gezeichnet von irgendetwas, das nicht nur körperliche Ursachen gehabt haben konnte.

„Shine on, you crazy diamond“, rief ihm Roger Waters 1975 in Form eines epischen Songs zu. Barrett hat nie auf Waters gehört; nur dessen Wunsch „Wish you were here“ leistete Barrett einmal Folge, als er bei den Aufnahmen zum gleichnamigen Pink-Floyd-Album im Studio auftauchte wie ein Phantom, das eine Weile stumm im Halbschatten stand und wieder verschwand.

Sein ganzes Leben verlief im Halbschatten, und jetzt ist er endgültig verschwunden.

Ex cathedra: Die Top 3 der Songs von Syd Barrett
1. „Arnold Layne"
2. „See Emily play"
3. „Mathilda mother“


Foto: blogmedias

12 Juli 2006

Reine Kopfsache

Ein gewisser Torsten aus Berlin, der seinen Beruf mit „Callboy“ angibt, verklagt zurzeit Blogger, weil sie ihn angeblich beleidigt oder auch einfach nur verlinkt haben. Auf seiner Website listet er alle auf, die er sich demnächst vorknöpfen will. Darunter auch mich.

Als Grund reicht ihm offenbar mein Eintrag vom 26. Mai, in dem ich ihn auf seine Rechtschreibwäche aufmerksam mache. Statt sich allerdings für die kostenlose Korrektur zu bedanken und an seinen Defiziten zugunsten einer weniger blamablen Zukunft zu arbeiten, droht er nun mit einer Anzeige. Bin sehr gespannt, wie er die begründen wird.

Wer sich für die Ab- und Hintergründe des Falls Callboy Torsten interessiert, findet im Blog Krambox eine Zusammenfassung.

Eines muss man dem radebrechend durchs Web marodierenden Torsten allerdings zugutehalten: Er gebraucht seinen Kopf nicht wie dieser Herr hier – zumindest noch nicht …



(Maus bewegen, Kopfstoß per Klick)


Falls es nicht funktioniert, bitte hier klicken.

10 Juli 2006

Gesichtszwillinge (5)

Kat vermutete zurecht ein baldiges Vorkommen von Gene Hackman und Luiz Filipe Scolari, brasilianischer Trainer der Portugiesen, in der Gesichtszwillingsrubrik.

Bei der Suche nach dem entsprechenden Fotobeweis stieß ich auf dieses brasilianische Blog, wo das Problem schon gelöst wurde.

Allerdings muss die beliebte Rubrik heute auf Drillingsstärke erhöht werden, denn ob man's glaubt oder nicht: Scolari ist auch ein Ähnlichseher von Oscar-Preisträger Sean Penn!

Die Selbstmordsekunde

Ein Denkmal kann sich selber köpfen.
Vorher wussten wir das nicht.

Und es ist erschütternd.

09 Juli 2006

Buhnenzauber

Am Strand von Westerland auf Sylt steckt ein Pfahl mit einem gelben Kreuz oben dran im Sand, und ein Schild ist drangenagelt, worauf steht: „BUHNE. Gefahr!“

Haha, feixt der stets einwechselbereite Besserwisser in mir, haha, sie haben die Pünktchen überm ü vergessen, aber warum eigentlich sollte von einer Openair-Theateraufführung, die zweifellos heute Abend genau hier stattfinden wird, eine Gefahr ausgehen – etwa, weil die Schauspieler wegen ihrer provinzbedingten Lausigkeit schädlich für unser Nervenkostüm sind, haha?

Überlegen den Kopf schüttelnd steige ich ins 20 Grad warme Wasser und paddle durch die Wellen, bis ich plötzlich knirschend auf Grund laufe, weil irgendein Riesenidiot unter Wasser ein Mäuerchen gemauert hat. Beide Oberschenkel schürfe ich mir auf, und dazu den rechten Hinternbacken, fluchend und blutend krieche ich an Land.

Dort dämmert mir dann allmählich, dass die Sylter doch keine Legastheniker oder grundlose Feinde der Pünktchen überm ü sind, sondern durchaus wissen, was es mit einer BUHNE wirklich auf sich hat. Ein schmerzhafter Lernprozess für ein Landei wie mich. Aber sonst war es ein sehr schöner Tagesausflug ans Meer.

PS: Ist es eigentlich bedenklich, mit offenen Schürfwunden durch ein von Algen und azurblauen Quallen bevölkertes grüntrübes Meer zu schwimmen?

Die Meinung eines Virologen oder so wäre mir relativ wichtig.

08 Juli 2006

Der unvollendete Panini-Coup

Neulich kommt der Franke an und erzählt ungewohnt spitzbübisch, er habe von seinem Bruder oder einem Freund, das weiß ich nicht mehr so genau, einen tollen Tipp fürs Sammeln von Panini-Bildchen bekommen. Die Methode gehe so: Du marschierst in einen Laden und kaufst eine ganze Kiste. Komplett. 500 Bildchen für 50 Euro. Und wenn du sie zu Hause öffnest und ein Päckchen nach dem anderen aufreißt, dann wirst du kein einziges Bildchen zweimal haben.

Panini nämlich, so der Bruder oder Freund des Franken, bestücke die Kartons nicht mit doppelten Stickern. Täten sie einfach nicht. Produktionstechnische Gründe. Wer also einzeln kaufe, sei logischerweise der Dumme – und zahle viel mehr als ein cleverer Franke oder dessen Bruder oder Freund.

Tagelang erzählt der bauernschlaue Würzburger immer wieder vom Reiz dieser Methode; man merkt, wie es tief in seiner fränkischen Psyche dräut und dröhnt, wie Geiz, Gier und Katholizismus einen erbarmungslosen Kampf ausfechten.

Und eines Tages ist es soweit: Er marschiert in einen Laden, knallt 50 Euro auf den Tresen und kauft einen kompletten Karton Panini-Bildchen. Die Leute sollen alle komisch geguckt haben, gibt der Franke donnernd zum Besten, aber das war ihm so egal wie eine Nürnberger Rostbratwurst.

Inzwischen, nach einer mehrtägigen Fron allabendlichen Klebens, für das er in Sing-Sing bestimmt zum Strafgefangenen des Monats aufgestiegen wäre, hat sich herausgestellt: Die Informanten waren zuverlässig, der Franke hat wirklich und wahrhaftig kein einziges Bildchen doppelt. Sein Album ist auf einen Schlag zu Fünfsechstel voll.

„Du hast den Sinn des Ganzen überhaupt nicht begriffen!", fahre ich, ein Panini-Verweigerer seit Erreichen der Pubertät, erregt auf. Doch der Franke keckert nur überlegen vor sich hin.

Allerdings gibt es da ein Problem. Zwar fehlen ihm nur noch 90 Stück – aber er hat nicht das kleinste Fitzelbild zum Tauschen.

Nicht mal eins von denen, wo zwei Saudis auf einmal drauf sind.

Ex cathedra: Die Top 3 der Songs übers Sammeln
1. „One piece at a time" von Johnny Cash
2. „Arnold Layne" von Pink Floyd
3. „The teardrop collector" von Love & Rockets

Die bisherigen Teile der Frankensaga
19.
Der Kulturstoffel 18. Fußball auf Fränkisch! 17. Auhuuu! 16. Die Bettelblickattacke 15. Der Franke bleibt störrisch 14. Der unvollendete Panini-Coup 13. Duck dich, Sylt! 12. Auf Partypatrouille 11. Laggs auf vier Uhr 10. Der Franke ist überall 9. Die Greeb-Pfanne 8. Erste gegen dritte Liga 7. Die verspätete Riesenkartoffel 6. Der historische Tag 5. Der Alditag 4. Der Faschingskrapfen 3. Der Klozechpreller 2. Der Dude 1. Das Alte Land


06 Juli 2006

Fundstücke des Tages (21)

1. Die Tageszeitung Die Welt brachte gestern einen Artikel über Hamburger Blogger, und der Autor stieß irgendwie auch auf mich, obwohl er mit Lyssa oder Eric Hegmann bestimmt mehr hätte reüssieren können. Was soll's: So kamen Rasmus vom brillanten, aber leider brachliegenden Blog Abgrund Hamburg, Erik von der Ringfahndung und ich nicht umhin, einige Marginalien beizusteuern. Wen's interessiert: Der Text steht hier online und wird hier archiviert.

2. Jemand, den ich kenne, nimmt gerade den Familiennamen seiner Frau an, weil beide keinen geeigneten Namen für ihr noch zu gebärendes Kind finden, der mit dem tütensuppenhaften „Knorr“ harmoniert. Eine rührende Geste. Aber soooo einfach wird das mit „Autzen“ auch nicht.

3. „Alle Mannschaften ziehen sich zurück, alles ist taktisch und studiert, nicht vibrierend. Deutschland ist die Ausnahme. Ich wünschte mir, Brasilien würde spielen wie Deutschland." Das ist zweifellos der schönste Satz, den ich seit Jahrzehnten über den deutschen Fußball gehört habe. Gesagt hat ihn Tostão, eine der brasilianischen WM-Legenden von 1970, einer aus der Pelé-Mannschaft also. Bin sprachlos. Nein, ein Wort fällt mir doch ein: Klinsmann.


4. Der Wolkenbruch heute nachmittag versuchte das alte Fabrikgebäude, in dem unsere Redaktion untergebracht ist, in die Elbe zu spülen. Es blieb allerdings bei pittoresken Tropfenmustern auf den Fensterscheiben. Aber kühler ist es nicht geworden, nur feuchter.

5. Der große Soul- und Bluessänger Van Morrison erwähnt in einem seiner Songs erstaunlicherweise die Reeperbahn, und zwar im Stück „Heavy connection“ vom Album „A period of transition“. Die Platte erschien 1977. Ungefähr so lange kenne ich sie auch schon, aber jetzt erst stoße ich auf diese kleine Skurrilität. Blamabel.


Ex cathedra: Die Top 3 der Songs von Van Morrison
1. „Sweet thing"
2. „Summertime in England"
3. „He ain't give you none"


Alle bisherigen Fundstücke des Tages:
1, 2, 3, 4, 5, 6, 7, 8, 9, 10, 11, 12, 13, 14,
15, 16, 17, 18, 19, 20, Oh, my Google!

Alessandros falsche Fußballkarten

So sehr auch Fußball, Feiern, Völkerverständigung und Fahnenabsatz gewonnen haben in den letzten vier Wochen, so wenig kann die Herrin des ganzen Spektakels, die Fifa, von dieser Sympathie- und Euphoriewelle profitieren.

Nein, die Fifa ist mehr denn je der missmutige, argwöhnische, Big-Brother-hafte Krake, der uns nur dann Tickets geben wollte, wenn wir uns nackicht machten, und es selbst dann nur im Ausnahmefall getan hat (wobei ich nicht die zwei Ausnahmen für mich verhehlen will …).

Wer die Fifa veräppelt, darf deshalb auf viel Sympathie hoffen. Wie etwa der österreichische Radiosender Ö3, der – ähnlich wie das Hamburger Studio Braun – den arglosen Nutzern moderner Telekommunikation gern fiese Telefonstreiche spielt.

Auch viele andere Gags sind empfehlenswert – und nicht gar so erbarmungslos wie die des Studio Braun.

05 Juli 2006

Nach dem Spiel ist nach dem Spiel

Deutsche Fußballfans in Ottensen: „So ne Scheiße, wir fahrn nicht nach Berlin, so ne Scheiße, wir fahrn nicht nach Berlin!“

Italienische Fans in St. Pauli: „Ihr könnt nach Hauuuuuse fahrn, ihr könnt nach Hauuuuse fahrn!“

Ähm, das sind wir doch schon. Und es ist ziemlich nett hier. Viel netter als noch vor vier Wochen.

Auch jetzt noch.
Nein: Jetzt erst recht.


(Foto: Spiegel online)

03 Juli 2006

Duck dich, Sylt!

„Kramer, wie wär’s“, sage ich heute laut und verwegen zu Kramer, „lass uns am Wochenende mit dem Schleswig-Holstein-Ticket nach Sylt fahren und die Insel aufmischen!“

Kramer schaut mich an, als hätte ihm gerade Papst Benedikt XVI einen gemeinsamen Bordellbesuch vorgeschlagen. Denn bei ihm und auch beim Franken habe ich den Ruf einer Spaßbremse oder, anders ausgedrückt, eines ganz erbärmlichen Trinkers, und das zu Recht. Wenn andere gemächlich in Fahrt kommen, so nach drei, vier Bier, wird mir schon blümerant, und ich muss den chemischen Selbstversuch abbrechen, um nicht nachts von Übelkeit geplagt durch die Wohnung wanken zu müssen und Ms. Columbo in höchste Sorge zu stürzen.

„Wie willst du den Sylt aufmischen“, höhnt Kramer, „etwa mit zwei Bier?“ Für Kramer nämlich bedeutet feiern automatisch saufen, und aufmischen automatisch auch. „Wir könnten zum Beispiel“, rufe ich ihm unbeeindruckt zu, „Sandburgen bauen – und sie anschließend zerstören!“ Kramer kringelt sich. „Genau“, ächzt er, „Sandburgen bauen!“

„Oder“, ziehe ich den brutalsten Pfeil aus dem Köcher, „wir könnten Strandkrebse quälen! Ist das nicht aufmischen?“ Findet Kramer keineswegs. Ohne Pils keine Party – seine Meinung.

„Dann lass uns eben ins Stadtbad fahren“, dehne ich unterm Einfluss von Hochsommer und unmittelbar bevorstehendem Feierabend seine Fassungslosigkeitsgrenze bis zum Äußersten, „und Mädchen aufreißen!“ Kramer schaut den Franken mit diesem Hast-du-das-auch-gerade-gehört-Blick an, und der realisiert das alles mit zweisekündiger Verspätung, ehe er mir eine derart unverschämte Lache ins Gesicht schüttet, als sei es wirklich völlig unmöglich, in meiner Begleitung Mädchen aufzureißen.

Wahrscheinlich hat er sogar Recht.

Also trinken wir gemeinsam ein Bier, jetzt und sofort. Der Franke eine Flasche allein, ich teile mir eine mit A., nur Kramer verzichtet aus irgendeinem gegrummelten Grund. Ausgerechnet der!

Vielleicht fahren wir am Wochenende wirklich mit dem Schleswig-Holstein-Ticket nach Sylt, aber ohne Kramer. Definitiv.

Die bisherigen Teile der Frankensaga
19. Der Kulturstoffel 18. Fußball auf Fränkisch! 17. Auhuuu! 16. Die Bettelblickattacke 15. Der Franke bleibt störrisch 14. Der unvollendete Panini-Coup 13. Duck dich, Sylt! 12. Auf Partypatrouille 11. Laggs auf vier Uhr 10. Der Franke ist überall 9. Die Greeb-Pfanne 8. Erste gegen dritte Liga 7. Die verspätete Riesenkartoffel 6. Der historische Tag 5. Der Alditag 4. Der Faschingskrapfen 3. Der Klozechpreller 2. Der Dude 1. Das Alte Land


02 Juli 2006

Elfmetertöter

Der arme Tropf, der hier einen Elfmeter zu schießen versucht, muss ein Engländer sein. Anders ist das Desaster nicht zu erklären. Immerhin bedeutet „penalty“, das englische Wort für Elfmeter, ja auch Bestrafung – aber eigentlich nicht für den Schützen.



Na ja, hoffen wir mal, dass er sich wenigstens nicht schwer verletzt hat.

Gesichtszwillinge (4)


Gut, der rote Zinken von Udo Lattek ist unkopierbar.

Aber sonst sehe ich recht viel Lattek im Gesicht seines Trainerkollegen Sven-Göran Eriksson, der sich gerade von der WM verabschieden musste.

Aber wahrscheinlich bin ich mal wieder der Einzige. Pffft.

01 Juli 2006

Debil vor Glück

Zu viert wollen wir die Nervenprobe des Viertelfinales im abgedunkelten Raum bestehen. Da klingelt es, und ein Großteil der Berliner WM-Blogger-WG bevölkert urplötzlich das Wohnzimmer – Stimmung!

Die armen Tröpfe brauchen dringend Asyl. Sie waren fürs Spiel Italien-Ukraine angereist und hatten versucht, die erste Halbzeit der Deutschland-Partie optisch irgendwo auf der Reeperbahn zu erhaschen, waren aber weitgehend gescheitert. Also hatte Sherpa Lyssa sie kurzerhand und klugerweise hierher verschleppt.

Nach dem gloriosen Elfmeterschießen bin ich endlich, endlich mal dabei und sogar aktiv beteiligt, als sich die legendären wildfremden Menschen um alle verfügbaren Hälse fallen; pikanterweise gehören auch ein Holländer (der Videoblogger Erik) und der Engländer Ben dazu. Man muss aber wirklich schon sehr genau hinschauen, um in beider Lächeln den Anschein von Säuerlichkeit zu erkennen. Und vielleicht bilde ich mir das auch nur ein.

Hinterher brechen die Berliner und ich zum zweiten Viertelfinalspiel in die Hamburger Arena auf, und ich muss sagen: Im wohligen Gefühl des deutschen Sieges durchs Busfenster eine Abendsonnendusche zu nehmen und sich selig zum Stadion schaukeln zu lassen, gehört schon jetzt zu den schönsten Gefühlserinnerungen des Jahres.

Über der zweiten Partie scheint durch die dramatischen Ereignisse zuvor ein mattschimmernder Seidenglanz zu liegen, und ich genieße selbst Fehlpässe von Timostschuk mit dem Grinsen eines Debilen. So zumindest müssen die mich seltsamerweise homogen umgebenden Koreaner meine Mimik deuten.

Jener Holländer übrigens, der bei Ebay noch bis zum 7. Juli Karten für das Spiel von heute Abend verticken will (Stückpreis: 1000 Euro), sollte sich vielleicht nach einer anderen Karriere umschauen. Zum Schwarzhändler fehlt ihm das Talent.

29 Juni 2006

Der Scheunen-Tor

Während wir bei der Fußball-WM eine Spitzenleistung nach der anderen goutieren dürfen (zumindest solange nicht die Ukraine oder England beteiligt sind), vergessen wir leicht, welche enorme Körperbeherrschung es bedeutet, überhaupt kontrolliert gegen einen Ball treten zu können.

Man muss sich nur einmal Altkanzler Schröders jammervolle und auch ästhetisch bestürzende Kickerei ins Gedächtnis rufen. Dann wird uns rasch klar, wie viele Menschen auf diesem Erdball die erwähnte
Körperbeherrschung nicht aufweisen, obwohl sie bisweilen anderer Meinung sind.

Zum Beispiel dieser hier:


So. Und um 17 Uhr geht es endlich weiter.

28 Juni 2006

Zwischen den Spielen

Ein bewölkter Tag bedeckt die Stadt wie ein altes schlaffes Haarnetz. Auf dem Mittelstreifen der Reeperbahn sterben die ersten frischgepflanzten Bäume schon wieder ab.

Ich starre ins Halbdunkel der Zimmerecke, zu keinem Gedanken fähig. Was tun? Keine Ahnung.

Dort steht er, dieser große Kasten. Es ist der Fernseher, ein graues, graues Nichts. Er ist aus. Klar. Denn es läuft … kein Fußball.

Die Weltmeisterschaft macht Pause.
Und das Schrecklichste: Auch morgen noch.

Der Bärendienst

(Foto: eisbaer.de)

Radikale Moralisten verstehe ich einfach nicht. In den USA haben Abtreibungsgegner mal einen Arzt ermordet, weil sie der Auffassung waren, es sei Mord, Zellhaufen operativ aus Frauenbäuchen zu entfernen. Diese Meinung dürfen sie ja gerne sagen und brüllen, aber einen ausgewachsenen, denkenden Menschen umzubringen, weil sie damit gegen das Umbringen protestieren wollen, kommt mir in jeder Hinsicht hirnrissig vor – und auf geradezu debile Weise unlogisch.

Ähnlich einige radikale Tierschützer: Sie drohen drei Jägern mit dem Tod, weil die den Bären Bruno getötet haben, der sich seit Wochen die Zeit damit vertrieben hatte, in Bayern Schafe und Hühner zu töten.

Man muss erst gar nicht in die Diskussion einsteigen, ob das Leben eines Menschen nun genauso wertvoll sei wie das eines Tieres, einer Pflanze, einer Amöbe oder von Plankton (wie wäre es mit dem Ebolavirus?), um eins sicher zu erkennen: Diese anonymen Droher denken gerade mal von ihrem Stammhirn bis zum Brett vor ihrem Kopf.


Wobei ich natürlich auf Brunos Seite bin. In den letzten 170 Jahren gab es genau zwei Bären in Bayern, und beide knallte man ab. Erzähl das mal einem Kanadier, der hält uns für bekloppt. Und das dürfte er natürlich sagen und brüllen, und vielleicht täte er das auch, aber eins ist sicher: Er käme niemals auf die Idee, uns deshalb das Erschießen anzudrohen.

Ex cathedra: Die Top 3 der Songs über Tiere
1. „Me and you and a dog named Boo“ von Lobo
2. „Es gibt Tage, da wünscht' ich, ich wär mein Hund“ von Reinhard Mey
3. „(Let me be your) teddy bear“ von Elvis Presley

27 Juni 2006

Auf Partypatrouille

Tolle Fete heute Abend. Ein berühmter Hamburger Eventmanager hat zum traditionellen Hoffest geladen, und weil er so berühmt ist, kommen auch viele Berühmtheiten. Darunter sind Havebeens (wie Alexander Klaws), Wannabees (wie diese junge sexy Sängerin, deren Name mir partout nicht einfallen will) und echte Künstler (wie Nils Koppruch von Fink).

Und mittendrin überraschenderweise Senait. Wie sich rasch herausstellt, hat der Kontakt mit ihren eritreischen Lippen ungefähr den gleichen Effekt, als würde man auf der Davidwache für die Erfassung von Fingerabdrücken präpariert. Ein Bussi hier, ein Bussi da, und schon muss ich Ms. Columbo beidwangig von enormen Lippenstiftspuren befreien.

Seltsamerweise komme ich unbefleckt davon; vielleicht bildet ein leichter Bartschatten ja eine Art Schutzfilm. Der Franke allerdings liefert das Gegenbeispiel für diese Theorie; ich sehe mich plötzlich unfasslicherweise an seiner ungeschlachten Wange mit einer Serviette herumhantieren. Natürlich nicht ohne ihm währenddessen vorzuschlagen, doch einfach nie mehr zu duschen – ich meine: Senaits Lippenstift!

Vor mir in der Grillimbisschlange steht Vanessa von der dahingeschiedenen Girlpopband No Angels. Ich erinnere mich an ein Interview mit ihr und dem Rest der Band vor einigen Jahren. Von den fünf Sängerinnen waren vier völlig bei der Sache, nur Vanessa beschäftigte sich die ganze Zeit mit ihrem Handy, simste klackerdiklack vor sich hin und lächelte versonnen ins Display.

Und was soll ich sagen: Heute Abend in der Grillimbissschlange ist es ganz genau wie damals. Sie starrt entrückt auf ihr Handy, drückt auf den Tasten herum, und das in unmittelbarer Nähe von Grillhähnchen und Pommes rotweiß. Kein Wunder, ehrlich gesagt, dass ihre Solokarriere nicht in Gang kommen will.

Zum Achtelfinale Schweiz-Ukraine ziehen wir uns alle in einen Saal mit Großbildleinwand zurück, und weil das Spiel ungefähr so aufregend ist wie das Starren auf eine monochrome Betonwand oder Vanessa Petruos Handydisplay, schlage ich eine Wette vor: einen Kasten Bier auf die Ukraine. Der Franke schlägt ein und beweist nach dem entscheidenden Elfemterschießen (0:3 gegen seine Schweizer) eine gewisse Haltung, verweigert mir aber das High Five. Auf dem Heimweg muss ich die Nacht ähnlich versonnen angelächelt haben wie Vanessa ihr Handy, und das lag nicht nur am erstaunlichen Chardonnay.

Weil man auf solche Partys als geladener Gast selbstverständlich keine Kamera mitnimmt, gibt es heute nur ein Foto von einem Gebäude, das sich immerhin in unmittelbarer Nähe des Hoffestes in den Hamburger Himmel reckt.

Ex cathedra: Die Top 3 der Girlbandsongs
1. „Be my baby“ von The Ronettes
2. „Barracuda“ von Heart
3. „River of joy“ von No Angels (übrigens von Senait geschrieben)

Die bisherigen Teile der Frankensaga
19. Der Kulturstoffel 18. Fußball auf Fränkisch! 17. Auhuuu! 16. Die Bettelblickattacke 15. Der Franke bleibt störrisch 14. Der unvollendete Panini-Coup 13. Duck dich, Sylt! 12. Auf Partypatrouille 11. Laggs auf vier Uhr 10. Der Franke ist überall 9. Die Greeb-Pfanne 8. Erste gegen dritte Liga 7. Die verspätete Riesenkartoffel 6. Der historische Tag 5. Der Alditag 4. Der Faschingskrapfen 3. Der Klozechpreller 2. Der Dude 1. Das Alte Land


25 Juni 2006

Laggs auf vier Uhr

Über das Restaurant Tai-Pan („Sushi all you can eat!“ abends für laue 14,90) habe ich schon einmal berichtet, und zwar recht positiv. Damals gab es das Sushi aber auch noch mit Fisch …

Zwischen zwei WM-Spielen laufen Ms. Columbo, der Franke und ich dort wohlgemut auf. Doch nachdem wir eine Viertelstunde lang ratlos suchend auf die kreisenden Gemüsetellerchen, frittierten Hähnchenunterschenkel, Gurkenstücke in Reisröllchen und pappigen Dim Sums gestarrt haben, moniere ich bei der schüchternen deutschen Bedienung die erschütternde Fischarmut, die vermutlich exakt jener der Elbe bei Dresden in den 70er Jahren entspricht. Das sage ich zwar nicht explizit, lasse es aber mitschwingen.

Der Sushikoch, beschwichtigt die junge Frau mich daraufhin eilends, sei im Verborgenen – nämlich der Küche – bereits fleißig tätig, und bald würde der Kreisverkehr, so fuhr sie sinngemäß fort, nur so strotzen vor Köstlichkeiten maritimer Herkunft.

Nach weiteren fünf Minuten des traurigen Betrachtens fischloser Sushischälchen wende ich mich erneut an die zuständigen Instanzen, diesmal aber auf höherer Entscheidungsebene, der chinesischen. Der Mann lächelt ebenso peinlich berührt wie deeskalierend und versichert mir unter unablässigem Nicken die baldige, ja gleichsam sofortige Niveauanhebung der Setlist. Murrend gehe ich zurück Ms. Columbo und dem Franken, und kaum sitze ich, liefert uns der Chinese unter Umgehung des Kreisverkehrs umstandslos eine kleine Kollektion von Lachssushi direkt an den Tisch.

Sogleich besänftigt danken wir herzlich und tun uns gütlich daran, ohne freilich zu den anderen Gästen aufzublicken, die zweifellos unsere Vorzugsbehandlung kräftig zu missbilligen wissen. Andererseits hatte ich – nur ich! – mich zweimal zum Widerstand aufgerafft, während die dumpfe Masse sich stumm in ihr Schicksal fügte. Sie sollen sich also bitte nicht so anstellen und die Zeit bis zur regulären Lieferung des Fischsushi eben mit Omelettstreifen verbringen, die rücklings auf Reisbällchen geschnallt sind.

Und siehe da: Allmählich zeichnet sich auch offiziell eine Besserung der Lage ab. Was auch dringend nötig ist, denn unsere außer der Reihe servierte Lieferung ist schon nach Sekunden aufgeteilt und verputzt. Allerdings wird uns nun auch die schlechte strategische Lage unserer Sitzposition deutlich. Wir sitzen sehr weit entfernt vom Ort der Laufbandbestückung. Jeder Lachs, alle Muscheln müssen, nachdem sie ins Rennen gegangen sind, fast eine komplette Runde absolvieren, ehe sie überhaupt in unsere Reichweite kommen. Und man kann sich vorstellen, wie schwer das angesichts der auf echtes Sushi geiernden Tai-Pan-Gäste selbst einem Fisch wie dem Lachs fallen muss, der in der freien Natur ja sogar Schleusen, Bärentatzen und wahrscheinlich auch Staudämme zu überwinden vermag, während er tapfer flußaufwärts strebt zum Ort seiner Geburt, wo er nach all der Mühsal schließlich umstandslos ablaicht und kurz darauf verstirbt.

Kurz: Es kommt weiterhin nichts Fischiges bei uns an. Von meiner Sitzposition aus sehe ich zwar mit Bassettblick, welche Must-have-Tellerchen aufs Band gestellt werden, doch der mir gegenüber sitzende Franke verfolgt kommentierend ihr Schicksal bis zu jener Sekunde, in der die besser postierte Konkurrenz sie betrüblicherweise runterklaubt.

Doch mit der Zeit schlägt sich wirklich hie und da eins durch bis zu uns. „Laggs auf vier Uhr“, raunt der Franke dann konspirativ zu uns herüber, „jetzt auf drei Uhr, auf zwei … jetzt!“, und die prächtige Ms. Columbo, perfekt platziert direkt am Band, greift beherzt zu und erlegt für unsere kleine Schicksalsgemeinschaft ein Sushischälchen – eins mit echtem Fisch!

Mit dieser perfekten Koordination, einer geradezu patentierbaren Schleppnetzfangmethode fürs Fischen in Innenräumen, entgehen uns hinfort keine relevanten Schälchen mehr, obgleich sie den ganzen Abend über kaum häufiger vorbeikommen als die Queen Mary 2 im hiesigen Trockendock.

Egal: Irgendwie werden wir jedenfalls satt.
Trotz „all you can eat“.

Ex cathedra: Die Top 3 der Songs über die Vorzüge des Teamwork
1. „Let's work together“ von Canned Heat
2. „Allein machen sie dich ein“ von Ton Steine Scherben
3. „Smells like team spirit“ (haha!!!) von Nirvana

Die bisherigen Teile der Frankensaga
19. Der Kulturstoffel 18. Fußball auf Fränkisch! 17. Auhuuu! 16. Die Bettelblickattacke 15. Der Franke bleibt störrisch 14. Der unvollendete Panini-Coup 13. Duck dich, Sylt! 12. Auf Partypatrouille 11. Laggs auf vier Uhr 10. Der Franke ist überall 9. Die Greeb-Pfanne 8. Erste gegen dritte Liga 7. Die verspätete Riesenkartoffel 6. Der historische Tag 5. Der Alditag 4. Der Faschingskrapfen 3. Der Klozechpreller 2. Der Dude 1. Das Alte Land

Gesichtszwillinge (3)


Nanu, seit wann trainiert denn Hannibal Lecter die Schweizer Fußballnationalmannschaft? Anthony Hopkins (rechts, äh links) und Köbi Kuhn wurden möglicherweise bei der Geburt getrennt.
(Fotos: Westlord.com, tele.ch)

Weitere Gesichtszwillinge:
– Franz Beckenbauer und Erich Honecker
– Angela Merkel und Peter Ustinov

24 Juni 2006

Beckenecker


Klar, an der Brille muss er noch arbeiten.
Den Rest hat Franz aber schon ziemlich gut hingekriegt.

23 Juni 2006

Die Fundstücke des Tages (20)

1. Seit vielen Jahren schon erspare ich es mir aktiv und bei vollem Bewusstsein, nach dem Sinn des Lebens zu suchen. In diesem kleinen Textkunststück von Thilo Baum erfahre ich nun auch, WARUM das die absolut richtige Entscheidung gewesen ist.

2. In der Berliner Galerie Aquarium findet zurzeit eine Ausstellung mit 27 wirklich außergewöhnlichen Fußballexponaten statt – darunter die drei Zähne (Foto), die der bedauernswerte französische Kicker Patrick Battiston 1982 verlor, als unser Tormann Toni Schumacher ihm mitten aufm Platz nach dem Leben trachtete. Oder die konservierte Spucke (!) von Frank Rijkaard, die man angeblich aus Rudi Völlers Haaren herausgeholt hat – bevor er duschte.


3. Im „Kochbuch Foodball“ von Arne Friedrich und Ralf Zacherl gibt es ein Gericht namens „Chicken Frings“. Für einen Kalauerconnaisseur wie mich natürlich ein Fest. Hier weitere Anregungen für die zweite Auflage: Klöße à la Klose, Spaghetti mit Ball-Hack oder Schnitzel in Lahmsoße.


4. Schon gewusst? Es gibt speziellen Multivitaminsaft für Nager. Und der ist nicht billig: Literpreis 18 Euro. Zuchtmäuse hingegen – also genau jene Tiere, die solche Multivitaminsäfte für Nager wahrscheinlich wegsüffeln wie Gerhard Mayer-Vorfelder zwei Bocksbeutel Grauburgunder – kriegt man schon ab 15 Cent. Eine fremde und seltsame Welt.

Alle bisherigen Fundstücke des Tages:
1, 2, 3, 4, 5, 6, 7, 8, 9, 10, 11, 12, 13,
14, 15, 16, 17, 18, 19, Oh, my Google!

22 Juni 2006

Droste gegen Zaimoglu und umgekehrt

(Foto: hr)

Am 16. Juni erschien in der taz ein Artikel („Ohne Fahne niemals nicht”) des Satirikers Wiglaf Droste, in dem er gegen „den deutschen Türken“ wettert, der zur WM „schwarzrotsenfige“ Fahnen schwenke.

Ich entdeckte den Text online und las ihn mit der üblichen Mischung aus Fassungslosigkeit und Genuss. Mit Droste muss man beileibe nicht immer konform gehen, aber eine gallige Schreibe hat der Mann – meine Herrn! Sein Geätze gegen den kulturellen, sozialen und politischen Mainstream gönne ich mir seit Jahren, und eins ist mir inzwischen klar geworden: Wir müssen uns Wiglaf Droste als unglücklichen Menschen vorstellen.

Aber darum geht es hier ja nicht. Sondern darum: Der erwähnte taz-Artikel über „den deutschen Türken“ verschwand plötzlich am Nachmittag des 16. Juni auf Nimmerwiedersehen aus der Online-Ausgabe. Da ich nur den Link gesichert hatte, nicht aber den Text, mailte ich die taz an und bat um Aufklärung. Dort gab man sich sehr, sehr schmallippig. Zum Glück fand ich den Artikel in einem Forum wieder, wo er seither heiß diskutiert wird.

Heute nun, sechs Tage später, druckte die taz eine Gegendarstellung des Schriftstellers Feridun Zaimoglu, und die Sache wird plötzlich glasklar: Droste nämlich hatte Zaimoglu in einem hingerotzten Nebensatz des besagten Artikels als „blasierten Buchabschreiber“ niedergemacht (-> Hintergrund); und offenbar erwirkte der daraufhin die Entfernung des Textes aus dem Web.


Interessanterweise veröffentlichte Droste in seinem Blog am Nachmittag des 16. Juni – wahrscheinlich sofort nach Entfernung des Artikels auf der taz-Seite – eine veränderte Fassung des Textes. Darin verschärft er noch den Ton (oder die taz hatte ihn zuvor entschärft) und bezeichnet Zaimoglu nun als „schmierigen Buchabschreiber“.

Dadurch erhält der Text nun sogar einen latent rassistischen Unterton, was Droste sich unbedingt verkneifen sollte. Sein Blog-Eintrag jedenfalls ist noch immer online. Mal schauen, wann Zaimoglu es schafft, auch den aus dem Netz zu kicken. Die Uhr läuft.

Zum Körzen!

(Illustr.: Uni Münster)

Statt der BILD-Zeitung lese ich täglich das BILDblog. Zugegeben, damit überlasse ich verdienten Kollegen wie Stefan Niggemeier die Drecksarbeit. Aber diese Methode schützt mich auch vor gesundheitsgefährdenden Sätzen. So stoße ich nämlich nur ab und zu auf Ekliges von BILD-Mann Norbert Kotzdörfer Körzdörfer.

Nun war es allerdings mal wieder soweit: Das BILDblog servierte mir eine besonders vomitive Körzdörferei. Direkt vor der WM hatte der Wortauswürger nämlich in BILD noch mal kräftig an der Patriotismusschraube gedreht, und zwar mit Ausrufen wie: „Ja zu Deutschland! Ja zu deutschem Bier! Ja zur deutschen Hymne!

Das könnte man natürlich einfach alles als strunzdumm und simpelstgestrickt abtun, doch ein Satz aus Körzdörfers Parolenparade überschritt meine Ekelgrenze doch erheblich: Ja zur deutschen Frau, die lächelnd zuschaut! – und zwar den deutschen Männern, die in den Fußballkampf ziehen.

Tja, und jetzt sitze ich hier mit diesem Satz und kann nicht anders, als an die Rhetorik eines deutschen Ministers zu denken und sein Gesabbel von der „deutschen Frau“, die „einspringt, um Männer für die Front frei zu machen“.

Aber das geht wahrscheinlich nur mir so.

Ex cathedra: Die Top 3 der Polit- und Parolensongs
1. „Woman is the nigger of the world“ von John Lennon
2. „Fight the power“ von Public Enemy
3. „Nazi punks fuck off“ von Dead Kennedys

20 Juni 2006

19 Juni 2006

Im Reich der Zombieblogs

Heute wird es etwas selbstbezüglich und theoretisch, aber auch sehr spannend, versprochen. Es geht darum: Manipuliert Blogger.com möglicherweise seine Mitgliedszahlen? Einige Indizien scheinen das zumindest nahezulegen.

Wenn man sich zum Beispiel das Profil von ginehidi anschaut, stellt man fest: Es wurde angelegt im Februar 2006 und seither zweimal angeschaut. Auch das benachbarte Profil von dan06 wurde damals angelegt und zweimal aufgerufen. dan06 soll sogar ein Blog haben („danscrew“), aber das ist nicht online. Interessant genug, um ein wenig weiter zu recherchieren. Immerhin suggeriert die achtstellige Zahl am Ende jeder Blogger-URL ja eine hohe Millionenzahl an registrierten Blogs. Doch wo sind die denn alle?

Also habe ich mal wahllos im Heuhaufen herumgestochert und es u. a. mit der sehr viel höheren Zahl 18472123 als URL-Abschluss probiert. Ergebnis: eine julia, wieder angelegt im Februar 2006, angeblich 8 Profilansichten, aber kein Blog. In anderen Ecken – bspw. um die 13.000.000 – sieht es genauso aus. Diesmal sind offenbar im September 2005 massenhaft Namen angelegt worden, z. B. adrikosa. Angeblich 4 Profilaufrufe, kein Blog.

Weitere Stichproben – auch in niedrigen Regionen – ergeben praktisch immer das gleiche Bild: Karteileichen, Dummys, fiktive Blogs ohne Ende; ein echtes ist so selten wie ein Bär im Bayrischen Wald. Es scheint beinah so, als hätte ein Bot hunderttausende (oder gar Millionen?) von Pseudoprofilen angelegt.

Aber könnte es denn wirklich sein, dass der Google-eigene Anbieter Blogger.com im weltweiten Kampf ums boomende Gewerbe exorbitante Mitgliedszahlen vortäuscht? Und warum – um als Marktführer wahrgenommen zu werden? Immerhin geht es ja auch um Werbeeinnahmen.

Wenn jemand eine andere – profanere – Erklärung für das Phänomen der untoten Blogs bei Blogger.com hat: Ich bin sehr gespannt. Denn vielleicht ist es ja wirklich so, dass gefühlte 95 Prozent der Blogger schon nach kurzer Zeit wieder alles stehen und liegen lassen, ohne ihr Blog jemals zu löschen. Das spräche aber auch nicht für die Strahlkraft des Anbieters, wie ich finde. Zumal die üblichen Profilelemente wie Foto (im Bild: meins), Lieblingsfilme usw. ja noch nachzulesen sein müssten. Doch bei all den oben aufgeführten Stichproben fand sich nichts dergleichen; all diese Blogger scheinen kulturelle Banausen zu sein.

Sehr komische Geschichte, nicht wahr? Vielleicht liege ich aber auch völlig falsch, ähnlich wie der durchgeknallte Verschwörungstheoretiker im Film „23“. Also: plausible Theorien erwünscht. Sonst kann ich nicht mehr ruhig schlafen …

Meine trindidadischundtobagoische Freundin

Allmählich wird es wirklich zur Groteske. Seit Frankreich 1998 Fußballweltmeister wurde, haben die Blauen kein einziges WM-Spiel mehr gewonnen. Wenn sie jetzt nicht Togo weghauen – oh je … Schuld sind die Südkoreaner, die Zidane & Co. ein 1:1 abtrotzten und jetzt bessere Chancen als die Franzosen haben, die nächste K.O.-Runde zu erreichen.

Sollten die quirligen Asiaten wirklich ins Achtelfinale einziehen, werden sieben von ihnen nicht nur eine Siegprämie bekommen, sondern auch vom Wehrdienst freigestellt. Zu Südkorea zu halten, kommt also einem pazifistischen Akt gleich, denn ihr Weiterkommen senkte ja logischerweise die globale Kriegsgefahr. Für Schlachten braucht's nun mal Soldaten, und je weniger es davon gibt, desto schwieriger wird es, ein Gemetzel anzuzetteln. Null Soldaten, null Kriege – so simpel ist die Welt. Sieben Südkoreaner weniger sind schon mal ein Anfang. Also: Daumen drücken gegen die Schweiz!

Bei den eben genannten Ländern ist es übrigens einfach, ihre Einwohner zu bezeichnen: Franzosen, Südkoreaner (Foto: Spiegel online), Schweizer. Aber wie ist es mit Trinidad und Tobago? Ganz knifflige Sache, der die Dudenredaktion in ihrem aktuellen Newsletter ein interessantes Kapitel widmet. Ghana geht ja noch („Ghanaer“), ebenso wie Costa-Ricaner. Aber Togo?


Da dachte man immer, mit „Togolese“ korrekt unterwegs zu sein, und muss sich nun belehren lassen: Amtlich heißt es anders, nämlich Togoer. Und Menschen von der Elfenbeinküste heißen nicht etwa „Elfen“, „Elfenbeinküstler“ oder gar „Elfenbeiner“, sondern: Ivorer.

Bei der Ländernamenblähung Serbien und Montenegro stellt sich das Problem jetzt eh nicht mehr, aber wie ist es denn nun mit Trinidad und Tobago – „Trinidader und Tobagoer“? Darf ich vorstellen: meine trindidadischundtobagoische Freundin? Knirsch. Nein: Der Duden erlaubt hier nur die Umschreibung. Man muss also sagen: „Einwohner von Trinidad und Tobago“. Langweilig, aber korrekt.

Ach ja: Sollten sich die Togoer von den Franzosen doch nicht weghauen lassen, wird es ihnen übrigens quietschegal sein, ob wir sie weiter Togolesen nennen oder nicht. Und die Blauen werden wieder mal mit Häme leben müssen – adieu, les bloed …

Ex cathedra: Die Top 3 der Songs mit Einwohnerbezeichnungen
1. „An englishman in New York“ von Sting
2. „Young americans“ von David Bowie
3. „Zorba the greek“ von Mikis Theodorakis

18 Juni 2006

Der Epochenstreit

Heute spätnachts in der Domschänke entbrannte ein astrabefeuerter Disput darüber, welcher kulturellen Epoche wohl die hier abgebildete Speisekarte an der Wand zuzuschreiben sei.

Ich tippte grob auf 1933, doch die Runde erhob empörten Widerspruch, aus dem sich als Kernthese ein „Keinesfalls aus der Nazizeit!“ herausschälte, wofür man vor allem typografische Argumente ins Feld führte.

Stattdessen plädierte man vehement für eine Verwurzelung des offenbar emaillierten Schildes in den 50er Jahren, woraufhin ich mich murrend auf die 40er hochhandeln ließ, ohne zu weiteren Kompromissen bereit zu sein.

Eine endgültige Klärung ist wohl nur durch kompetentes Fachpersonal zu leisten, dessen Eingreifen ich für sehr wünschenswert hielte. Von den drei schwarzen Kreisen war übrigens nur eine mit einer Preisangabe versehen (Mettwurstbrot: 6,50), was eine gewisse Dürftigkeit des kulinarischen Angebotes nahelegt.

Aber darum geht es ja gar nicht.

16 Juni 2006

Günter Netzer ist ein Außerirdischer

„Sie hatten eigentlich keine Chance“, lobt heute Abend ARD-Mann Gerhard Delling die tapferen Angolaner, „und die haben sie genutzt.“

Ganz klar ein Mottenkistenfund von seltener Muffigkeit. Das mit der keinen Chance ist nämlich ungefähr der älteste Spontispruch der Welt, seit 1969 das gleichnamige Buch von Herbert Achternbusch auf den Markt kam; der Witz hat einen Zottelbart länger als der von Hồ Chí Minh und löste schon anno 1970 durch seine Omnipräsenz auf öffentlichen Gebäuden Mordfantasien bei der Stadtreinigung aus.

All das muss man wissen, wenn man die Reaktion von Dellings Kompagnon Günter Netzer beurteilen will. Der prustet nämlich völlig baff los, er kringelt sich geradezu, schaut dann den Delling verdattert an und sagt mühsam beherrscht so was wie: „Na, Sie haben aber eine Ausdrucksweise!“

Wie man weiß, galt
Netzer zu der Zeit, als dieser Spruch als Graffito auf jeder Wand stand, als linker Hippie mit Ferrari, als Rebell am Ball und irgendwie auch in der Politik. Kann es wirklich sein, dass dieser Mann den Gag noch nie gehört hat?

Seine Verblüffung jedenfalls war unmittelbar und echt, und ich nehme deshalb an, der echte Günter Netzer wurde irgendwann Anfang des Jahrtausends gegen ein physiognomisch identisches, aber lausig ausgebildetes Alien ausgetauscht, das die Invasion der Erde vorbereiten soll – ähnlich wie im Film „Invasion of the body snatchers“.

Heute Nacht kriegt E. T. Netzer wahrscheinlich einen Rüffel und dann ein Update auf Alpha Centauri, weil bestimmt auch seinem Führungsoffizier die Wissenslücke schmerzlich aufgefallen ist.

Zu dieser ganzen Alienproblematik erzähle ich demnächst eventuell auch noch eine weitere kleine Geschichte, wenn mir danach ist.

Ex cathedra: Die Top 3 der Songs mit SciFi-Bezug
1. „A spaceman came travelling“ von Chris de Burgh
2. „Silver machine“ von Hawkwind
3. „2000 lightyears from home“ von The Rolling Stones

15 Juni 2006

Ex cathedra: Die WM-Checkliste

War heute leibhaftig und persönlich im Stadion beim 3:0 von Ecuador gegen Costa Rica. Hatte Kloß im Hals, als die Spieler einliefen – einfach deshalb, weil diese Kinder des Glücks wirklich und wahrhaftig bei einer waschechten Weltmeisterschaft mitspielten und ich live dabei sein durfte.

Im „Fifa-WM-Stadion“, wie die AOL Arena, die mal Volksparkstadion hieß, für vier Wochen genannt werden muss, waren alle Nichtsponsorennamen entfernt. Na ja: fast. Auf dem Herrenklo entdeckte ein kleiner Junge ein unscheinbares elektrisches Schaltelement in Bodennähe, auf dem „Siemens“ stand.

Das fiel dem Knirps sofort auf, und er wies seinen Daddy mit einer Mischung aus Unverständnis und Empörung darauf hin, doch der war selbst viel zu schockiert ob der skandalösen Entdeckung, um seinem Söhnchen Lebenshilfe gewähren zu können.

Während des Spiels wurden immer wieder Wellen gestartet, die allerdings nach dem ecuadorianischen 1:0 allesamt an der grimmigen Bewegungslosigkeit des frustrierten costaricanischen Blocks verebbten. Natürlich wurde er dafür fröhlich ausgepfiffen.

Da ich bisher alle (in Worten: ALLE) WM-Spiele gesehen habe, fühle ich mich stark genug für eine Kurzeinschätzung sämtlicher Teams. Eins ist sicher: Der Weltmeister ist auch dabei …

Los geht’s:


– Angola: unbedarft und kampfstark. Können einem das Leben schwer machen, aber ohne Angriff wird das nix.
– Argentinien: abgebrüht, kühl, souverän. WM-Mitfavorit
– Australien: bissig, mit Pitbullmentalität. Wird spielerische Mängel aber nicht ausgleichen.
– Brasilien: schlafender Riese mit einem wachen Moment. Sie sollten mal zu elft spielen.
– Costa Rica: harmlos, leblos, müde. Wie konnten diesen sedierten Mittelamerikanern bloß zwei Tore gegen uns gelingen?
– Deutschland: leidenschaftlich, surfend auf der Brandung der Begeisterung. Mit Heimvorteil wirklich ein WM-Kandidat. Hipp, hipp, hurra.
– Ecuador: ballsicher, stark in allen Mannschaftsteilen – und noch nicht richtig gefordert

– Elfenbeinküste: bullenstark und technisch vorzüglich. Könnten Holland schlagen. Nein: müssen!

– England: überschätzt. Große Namen, aber limitierte Mittel. Kein Weltmeister, nein, nein.

– Frankreich: Altherrentruppe, die ihre Erneuerung verpasst hat. Lebt nur noch vom Nimbus. Und der bröckelt.
– Ghana: ohne Sturm kein Dreier: So simpel ist das.

– Iran: zu wenig aggressiv und wohl auch physisch zweitklassig

– Italien: steigerungsfähig, wird das Potenzial bei Bedarf abrufen. Natürlich.

– Japan: außerhalb Asiens wird das nix

– Kroatien: robust und technisch stark; Mannschaft wird demnächst explodieren.

– Mexiko: spielstark, aber ohne die nötige Durchsetzungsfähigkeit. Und Borghetti ist alt geworden, meine Herren.

– Niederlande: Team wird Fahrt aufnehmen. Muss es auch. Robben kaputttreten: eine Option für jeden Gegner.

– Paraguay: Guter Sturm, aber der sollte auch mal richtig hinhlangen.

– Polen: und tschüss …

– Portugal: Wie immer: viele Vorschusslorbeeren, die rasch verwelken werden.

– Saudi-Arabien: gepflegter Spielstil, wenn man sie lässt. Wird aber nicht mehr passieren.

– Schweden: hat Geniestreichpotenzial. Wird im Achtelfinale scheitern.

– Schweiz: sehr bissig und spröde. Harter Brocken. Und wenn sie auch noch anfangen, Tore zu schießen ...

– Serbien-Montenegro: Können sie mehr als zerstören? Sie werden keine Gelegenheit mehr dazu bekommen.

– Spanien: perfektes Spielsystem, traumhaftes Verständnis. WM-Favorit.

– Südkorea: konditionsstark, aber zu bieder.

– Togo: gute Ansätze, aber starkes Leistungsgefälle im Team. Werden bald abreisen.

– Trinidad und Tobago: grandiose Amateure mit Herz. Hätten sie nur einen Knipser!

– Tschechien: auf dem Zenit, aber vielleicht auch schon zu saturiert. Alles ist möglich, im Guten wie im Schlechten.

– Tunesien: abwehrschwach, aber psychisch stabil – zumindest gegen Gegner aus der gleichen Liga.

– Ukraine: katastrophal. So lebhaft wie der Betonsarkophag überm AKW Tschernobyl.

– USA: schwach wie Bushs Umfragewerte. Selbst gegen Ghana wird das nichts.

Reeperwahn nachts um halb eins

An dieser Stelle muss jetzt mal German Psychos Ruf zerstört werden. Also: Er warf für uns heute nicht nur den Videobeamer an und projizierte das Spiel Deutschland-Polen auf eine eigens aufgehängte Leinwand; nein, er gewährte auch bereitwillig Zugang zu seinem Kühlschrank, in dem offenbar unerschöpfliche Astravorräte einer zweckdienlichen Verwendung entgegenbangten oder -fieberten; das weiß man bei Bier generell nicht so genau.

Seine zuvorkommende Art gipfelte im generösen Angebot, mir als Dauerleihgabe sein aussortiertes Nokiahandy zu überlassen, weil sich hinterm Display meines schraddeligen Siemensteils inzwischen derart viele Fusseln verfangen haben, dass ich mich wundere, wieso ich zu Hause überhaupt noch staubsaugen muss.


Kurz: German Psycho war ein vollendeter Gastgeber. Nur die direkt neben der Leinwand geparkte Chromaxt wirkte beunruhigend. Warum nur war sie so überaus blitzeblank gewienert …?

Als wir auf dem Heimweg die Reeperbahn erreichen, übersteigt der Trubel nach dem Sieg alle Vorstellungen. Tausende von Fans springen, hüpfen und singen auf der Meile herum, was einer Vollsperrung gleichkommt (das um 0:03 dokumentierte Bild der Kiezcam zeigt das nur sehr unzureichend). Dem Verkehr aus den Nebenstraßen bleibt nichts anderes übrig, als still zu verzweifeln. Und das war nur ein Vorrundenspiel …

Ein großer bulliger Mann in der Menge fasst plötzlich meine Hand und fragt: „Du Deutscher?“ Ich bejahe mit dem Konter „Und du bist Pole?“ Mit wehem Lächeln bestätigt er. „Tut mir Leid“, sage ich, eingedenk der polnischen Niederlage in letzter Sekunde. Er drückt meine Hand noch fester.

Weitaus merkwürdiger mutet indes der korpulente Typ unter unserem Balkon an, der um kurz vor halb eins an die Hauswand gegenüber schifft und dies mit einem dröhnenden „Einigkeit und Recht und Freiheit für das deutsche Vaterland!“ begleiten zu müssen glaubt; mit passablem Bariton übrigens.


Pissende Patrioten sind mir gleichwohl lieber als brandschatzende, weshalb ich die zag aufkeimenden Chromaxtfantasien recht erfolgreich niederkämpfen kann.

Ex cathedra: Die Top 3 der Songs über fatalen Waffengebrauch
1. „Careful with that axe, Eugene“ von Pink Floyd
2. „If I had a rocket launcher“ von Bruce Cockburn
3. „The man who shot Liberty Valance“ von James Taylor

14 Juni 2006

Bücher in freier Wildbahn

Als Mitglied eines weltweiten Netzwerks, welches sich für die generelle Freilassung von Büchern aus Bibliotheken und Schlafzimmerregalen einsetzt (vulgo „Bookcrossing“) erhalte ich stets eine Benachrichtigung per Mail, wenn mal wieder ein Exemplar in St. Pauli ausgesetzt wurde. Manchmal gehe ich dann sogar auf Pirsch, habe aber noch nie eins gefunden.

Natürlich habe ich auch selbst schon diverse Bücher ausgewildert, doch ein Finder hat sich noch nie via Bookcrossing bei mir gemeldet. Dabei waren die Bücher immer weg, wenn ich das nächste Mal verstohlen den fraglichen Ort in Augenschein nahm. Meldet euch doch mal, Männo!

Egal: Dieser Tage erreichte mich die Nachricht, ein Buch von Douglas Adams sei freigelassen worden, und zwar in „St. Pauli, Hamburg, at Heiligengeistfeld. Nun, diese Information ist in Zeiten, wo das WM-Fanfest täglich Zehntausende auf ein Areal von brutto 50 Hektar lockt, kaum konkreter als der Hinweis: Hinterlegt am Mittelmeer.

Die Suche habe ich mir also gespart. Aber da war ich trotzdem.

Ex cathedra: Die Top 3 der Songs mit Literaturbezug
1. „Summertime in England“ von Van Morrison
2. „American pie“ von Don McLean
3. alles von My Latest Novel

12 Juni 2006

Schönheit kommt von außen

Nachdem wir gestern auf dem Fanfest noch einmütig die besondere Anmut der persischen Frauen gepriesen haben, die selbst von Niederlage und Tschador nicht zu beeinträchtigen war, ist Andreas heute hochverblüfft von der erstaunlichen Schönheitsquote unter den Ghanaerinnen.

Und ich auch.

Da ist die Welt schon mal zu Gast bei Freunden – und düpiert uns mit brutalstmöglicher Ästhetik. Morgen Abend wartet der nächste, ähem, Höhepunkt: die Brasilianierinnen (Foto: WM-Fankurve).

Ach, die WM müsste ewig währen!

Ex cathedra: Die Top 3 der Songs über Schönheit
1. „Came so far for beauty“ von Leonard Cohen
2. „For the beauty of Wynona“ von Daniel Lanois
3. „Cylea“ von Christian Redl (Bonustrack)

11 Juni 2006

Der Fluch der Informationsgesellschaft

Unser Bauch-/Rückenkurs am Sonntag ist sakrosankt, ob nun ein WM-Spiel läuft oder nicht, selbst wenn daran die potenziell famosen Holländer beteiligt sind. Die erste Halbzeit verbringe ich noch auf dem Crosstrainer vorm Bildschirm, es steht 1-0, doch während der zweiten Hälfte muss ich Crunches machen, Liegestützen und Schlimmeres.

Zu Hause habe ich daher vorsorglich den DVD-Rekorder programmiert, ich werde also nichts verpassen. Jetzt, nach dem Kurs, gilt es nur noch den Fitnessclub zu verlassen, ohne das Endergebnis mitzukriegen. Spannung ist schließlich alles. Doch auf dem Weg vom Rödingsmarkt zum Kiez steht mir ein Parcours bevor, der mir alles abverlangen wird.

Zunächst muss ich durchs Clubfoyer, wo ein riesiger Flachbildfernseher die WM überträgt. Ein ernstes Hindernis, zumal man den Ton zur Erbauung auch der hintersten Ecke durchaus übers Anstandmaß hinaus aufgedreht hat. Mit tief ins Gesicht gezogener Baseballmütze, den Zeigefingern in den Ohren und innerlich „Na-na-na-ne-na-nä!“ rufend, haste ich durch die audiovisuelle Todeszone und schaffe es wirklich hinaus auf die Straße, ohne das kleinste Infofitzelchen aufzuschnappen.

Keine Ahnung, was die Leute dabei über mich denken. Oder was Ms. Columbo denkt, die ich im Gefolge habe. Na gut, eigentlich weiß ich, was sie denkt, aber ich frage lieber nicht. Die U-Bahn ist safe, wie Agenten oder Irak-Marines wohl sagen würden. An der Reeperbahn aber droht Ungemach. Fast jedes Bistro im Millerntorhochhaus überträgt nämlich live und versucht mit Außenlautsprechern auf diesen Umstand aufmerksam zu machen. Wir müssen daran vorbei, und es besteht das hohe Risiko, durch einen herüberwehenden Sprachfetzen der Nachberichterstattung das Spielergebnis zu erfahren. Das verdürbe mir gründlich den Spätnachmittag.

Auf dem Platz vorm Hochhaus sehe ich schon von weitem eine Gruppe orangeleuchtender Holländer, wende aber sofort den Blick ab, um meine innerlich ratternde Interpretationsmaschine mit keinerlei Hinweisen auf ihre Stimmungslage und somit auf den möglichen Spielausgang zu füttern. Außerdem rufe ich unablässig lautlos „Na-na-na-ne-na-nä!“ in mich hinein. Es wirkt. Aber wie jetzt den Bistrospießrutenlauf unbeschadet überstehen?

Ms. Columbo, selbst im Kopfschütteln noch konstruktiv, schlägt den Weg hintenrum vor. Sofort stimme ich zu. Nur von einer Touristenfresshalle namens Die Scheune droht geringe Gefahr, doch wir kommen ungeschoren dran vorbei, hasten durch die Seilerstraße. Fahrig schließe ich die Haustür auf und rette mich in den Flur.

Ein feiner Schweißfilm bedeckt meine Stirn. Tief in meiner Brust aber glost neben dem Stolz auf die bestandene Bewährungsprobe auch die Vorfreude auf die zweite Halbzeit. Das Interessante am Fußball ist ja, dass man nicht weiß, wie’s ausgeht, und diesen Zustand der Unschuld habe ich mir mit einer logistischen Meisterleistung und einem eiskalten Profi an meiner Seite erhalten.

Erleichtert falle ich in den Sessel und starte die Aufnahme. Doch es passiert nichts mehr, kein Tor, kein Elfer, kein Platzverweis. Die erste Halbzeit, sie hätte vollkommen gereicht.

Aber das konnte ich ja schließlich nicht wissen, verdammt noch mal.

Ex cathedra: Die Top 3 der Songs übers Nichtwissenwollen
1. „Please don't tell me how the story ends“ von Kris Kristofferson
2. „I don't want to talk about it“ von Crazy Horse
3. „Don't tell and we won't ask“ von Thrice


(Das Foto hat nur einen indirekten Bezug: Es zeigt eine Tribüne auf dem WM-Fanfest von hinten. Die über den Rand ragenden Wikingerhelme fand ich lustig.)