Abends bevölkern noch merkwürdigere Menschen den Penny an der Reeperbahn als vormittags. Es sind Gestalten, wie sie im Film „Blade Runner“ durch die Straßen wanken.
Schmutzige Punkpärchen stehen am Eingang und fragen: „Möchtest du uns was schenken?“ Zwischen den Regalen schlurfen obdachlose alte Männer mit löchrigen Mützen herum. Betrunkene lehnen murmelnd an den Ständen, mit toten Kippen zwischen den Lippen. Wir sind hier in Deutschland, dem Land des Aufschwungs.
Vor mir an der Kasse steht ein vielleicht 60-Jähriger. Seine verdreckte Ballonseidenjacke wird ausgebeult von einem Rücken, der ihm in Paris einen Job als Glöckner einbrächte. Oben trägt er Glatze, darunter hängen die talgglänzenden Haare kraftlos auf dem schuppenverschneiten Kragen. Auch in seinen wuchernden weißen Koteletten hängen die Reste abgestorbener Hautzellen. Doch am schlimmsten sehen seine Hände aus.
Sie glühen nicht nur feuerrot; ihre schrundigen, mit langen gelben Nägeln verzierten Finger sind zudem an den Rändern mit einer porösen grauen Masse bewachsen; vielleicht eine Bakterienkolonie, die sich hier aus Erfahrung sicher wähnt vor Attacken durch Hygieneartikel.
Ein gruseliger Anblick. Als der Mann sich mit seiner linken Hand auf dem Band abstützt und so meinem Artikel – einem kleinen Karton mit Gefrierbeuteln – sehr nahekommt, zucke ich innerlich zusammen. Was natürlich lächerlich ist: Die Beutel, in die ich demnächst Lebensmittel unterzubringen gedenke, sind ja im Karton und somit außer Gefahr, kontaminiert zu werden.
Trotzdem rücke ich die Packung unauffällig etwas weiter weg Richtung Fließbandrand, allerdings mit einem befriedigenden Gefühl der Scham. Wie muss es Notärzten gehen, die jemand wie ihn bei Bedarf wiederbeleben müssen – mit Mund-zu-Nase-Beatmung und allen Schikanen?
Als er dem Kassierer mit seiner schrundigen, rotgrauen Hand das centgenau abgezählte Kleingeld hinhält, wird mir erst bewusst, was er einkauft. Es ist nicht etwa die erwartbare Flasche Wodka oder Doppelkorn. Sondern erstaunlicherweise eine Gebäck- und Waffelmischung sowie ein Tetrapack Ice Tea (Geschmacksrichtung: Pfirsich).
Der Kassierer ist Afrikaner und trägt ein Schild mit dem Namen Boateng. So heißt auch ein Spieler des HSV. Ich frage ihn nur deswegen nicht, ob sie miteinander verwandt sind, weil es mir peinlich wäre, der Hundertste zu sein, der ihn das fragt.
Später erlegt Ms. Columbo im Bad den ersten Moskito des Jahres.