22 März 2019

Von Brabblern und Schlenkerern

Wer einst mit sich selbst brabbelnd durch die Stadt lief, hatte entweder einen an der Waffel und/oder Freigang. 

Dann kamen die Headsetleute. Sie hatten möglicherweise auch einen an der Waffel, redeten aber nicht mit sich selbst, sondern wahrscheinlich mit einem anderen Headsetter, der irgendwo anders auf der Welt gerade öffentlich verhaltensauffällig wurde. 

Mit der Zeit habe mich sich derart an dieses grassierende Phänomen der Scheinmonologisten gewöhnt, dass ich die Frau, die mir heute in der Seilerstraße (Symbolfoto) brabbelnd entgegenkam, automatisch dieser trendsetzenden Bevölkerungsgruppe zuschlug. Allerdings trug sie, wie ich beim Vorübergehen erstaunt erkannte, gar kein Headset. Sie brabbelte definitiv mit keinem anderen als sich selbst – und hatte ergo entweder einen an der Waffel und/oder Freigang. Kurz: Diese Frau war mir sofort sympathisch, durchaus auch aus nostalgischen Gründen. 

Das galt nicht für die zwei Jungs, die ich später vom Balkon aus beim Durchschlendern unserer Straße zu Gesicht bekam. Der eine, ein hagerer Schlaks in übergroßen Joggingklamotten aus wahrscheinlich edelstem Polyester schlenkerte überlange Extremitäten durch die Gegend, als seien seine Gliedmaßen gar nicht durch Gelenke miteinander verbunden, sondern nur durch Haut und Sehnen. 

So tänzelte er an den geparkten Autos in der Seilerstraße lang, und bei jedem Wagen, an dem er vorbeikam, testete er ohne stehenzubleiben – also buchstäblich en passant –, ob sich nicht vielleicht die Fahrertür öffnen ließe.

Er hatte durchweg keinen Erfolg, was ihn aber nicht sonderlich zu stören schien. Sein schlenkeriger Gesamtzustand, sein fließender, von schräggestellten Füßen geprägter Gang: All das signalisierte eine gewisse Gelassenheit, die ihn jede einzelne der kleinen Enttäuschungen, die ihm jedes verschlossene Auto nun mal zufügte, ohne Unmut wegstecken ließ. Nein, der Schlaks blieb cool, und weiter ging’s zum nächsten, während sein neben ihm hertrottender Kapuzenkumpel dem Treiben still und stumm und duldsam zuschaute.

Was hätten die beiden Jungs wohl genau getan, wenn unverhofft eine Autotür aufgegangen wäre – erfreut reinspringen, kurzschließen, abdüsen? Oder das Handschuhfach um ein wenig Ballast erleichtern?

Ich muss zugeben: Das hätte ich schon gern erfahren. Und Sie ebenfalls!