27 Juni 2023

Wir haben aufgerüstet


Seit anderthalb Jahrzehnten währt er nun schon, unser epischer Kampf gegen die Kieztauben. Seit heute hat dieser Konflikt seine nächste Evolutions- beziehungsweise Eskalationsstufe erreicht.

Denn ich habe eine Wasserspritzpistole angeschafft, und, verdammt, ich werde sie benutzen!

Mit seinem Achthundert-Milliliter-Magazin und einem Pumpstrahl von zehn Metern Reichweite vermag das Modell der Marke Paochocky, wie ich hoffe, eine ausreichend verheerende Wirkung auf die Taubenpsyche zu erzielen. Aber auch nur auf die, denn körperliche Schäden haben die Gluckscheißer nicht zu befürchten.

Ich bin ja kein Unmensch. Nur dauersauer und deshalb willens, die Vögel möglichst nachhaltig zu vergrämen – zumal sie auf empörte Zischlaute, explosives Klatschen und andere sonische Kampfmittel schon lange nur noch so reagieren wie Friedrich Merz auf die inständige Bitte, sich vom Acker zu machen: gelangweilt.

In der Tat orientierte sich die ekle Taubenschar, was mich angeht, zuletzt immer deutlicher an Karl Valentin und seinem zeitlosem Rat: „Des ignoriern ma net amoi!“ Parallel dazu arbeitete sie zudem erfolgreich am Abbau ihres Gespürs für soziale Distanz, was sich erst kürzlich in einem paarweise vorgenommenen Besuch unseres Wohnzimmers niederschlug.

Schreiend und mit dreschflegelartigen Armbewegungen bat ich die beiden zu gehen, was auch gelang. Leider nur recht geringe Befriedigung vermochte ich dabei aus der Tatsache zu ziehen, dass eine der beiden Vertreterinnen der Art Columba livia forma domestica bei ihrer widerwilligen Flucht erst einmal Kopf voran gegens Balkonfenster krachte.

Statt aus diesem Vorfall nun – wie es jeder mittelclevere Vogel getan hätte – den Schluss zu ziehen, unser Territorium künftig zu meiden, hockten die Terrorgurrer bereits kurze Zeit später wieder balzend auf unserem Geländer und schissen wohlig auf Sonnenschirm und Balkonmöbel.

All das dürfte Ihnen verdeutlichen, warum ich nach siebzehn zehrenden Jahren endlich entscheidend aufrüsten musste. Seit gestern liegt also eine Paochocky-Wasserspritzpistole im Hängegitter für Pflanzentöpfe, welches am Balkongeländer angebracht ist, parat und fiebert dort dem ersten Kampfeinsatz entgegen. Und ich noch mehr.

Allerdings gibt es ein Problem. Seitdem nämlich lässt sich – Stand heute – keine Taube mehr blicken. Wirkt meine Paochocky etwa ähnlich wie Atombomben in der Geopolitik: Es reicht, sie zu zeigen, um sicherzustellen, dass niemand sie einsetzt? Klar, das wäre die beste Lösung für uns alle, vor allem für sie. Aber wahrscheinlich beratschlagen sie einfach nur, was nun zu tun ist.

„Morgen Mittag“, prophezeiht Ms. Columbo, „ist die Pistole bestimmt vollgekackt.“



 

19 Juni 2023

Kalauer (19–20)


In Freiburg stolperte ich innerhalb kurzer Zeit über gleich zwei kalauernde Fahrradläden, denen anscheinend die jahrelange Führungsfunktion der Friseurläden auf diesem Gebiet keine Ruhe ließ.

Zeichnet sich hier der Megatrend der Zukunft ab? Wann wird der erste Laden namens „Kommt Zeit, kommt Rad“ – also dem abgedroschensten Drahteselkalauer ever – aufploppen?

Sie werden es als Erste erfahren.


09 Juni 2023

Mein erstes und letztes Interview mit Rammstein

1999 traf ich den Rammstein-Bassisten Oliver Riedel (2. v. r., hier 2017) zum Interview. Die aktuellen Ereignisse bewegen mich, den Text aus der Mottenkiste zu holen, was ich normalerweise nur dann tue, wenn ein ehemaliger Interviewpartner dahinscheidet, als Nachruf, sozusagen – aber vielleicht wird dieses kurze Gespräch über Plastikpenisse und Feminismus (!) im Nachhinein ja auch noch einer, wer weiß.

Spiel mit dem Feuer

Eigentlich war es eine Schnapsidee, dem Regisseur David Lynch ein Demo zu schicken. Doch Lynch beschallte seinen Film „Lost Highway“ damit, und die Ossiband Rammstein wurde berühmt. Vor allem in Amerika gruselt man sich seither wohlig beim schlichten Stechschrittmix aus Metal und Techno, bei der kalkuliert skandalösen Show aus Feuer, Sex und Herrengemenschel. Ganz selten in der Rockgeschichte hat eine Band mit so beschränkter Kompositionskunst so überragenden Erfolg gehabt. Rammstein-Gigs, das unterstreicht jetzt auch das Konzertalbum und -video „Live aus Berlin“, sind wie Rockparteitage. Doch ist das durchdacht? Sind Rammstein schlau? Ein Interview mit dem Bassisten Oliver Riedel.

Oliver, warum ist eure Show bloß so humorfrei?
Riedel: Also, ich kann schon drüber lachen. Dem Till seine Pimmelstelle – das ist ja nicht wirklich ernst.

Du meinst den Song „Bück dich“: Da wird mit Hilfe eines Plastikpenis Geschlechtsverkehr zwischen Sänger Till Lindemann und Keyboarder Flake angedeutet. Dafür sind sie in Massachusetts verhaftet worden …
Riedel: … weil man Flakes Hintern sehen konnte. Das ist so schizophren: Die Kids können sich den brutalsten Film ankucken ab sechs, aber sowie man eine Brust sieht, ist der Film ab 18. Das ist Doppelmoral. Da stimmt was nicht.

Für euch aber nicht schlecht. Das gibt schöne Schlagzeilen.
Riedel: Auf jeden Fall!

Was verspritzt der Penis eigentlich – Milch?
Riedel: Früher war es Milch. Aber die ist sauer geworden. Jetzt nehmen wir weißen Alkohol. Und die Leute in der ersten Reihe wollen immer was davon haben.

Hat Till Lindemann einen Tank in der Hose?
Riedel: Nein. Einer sitzt hinter der Bühne und pumpt wie ein Verrückter. Wenn das nicht funktioniert, wird er ganz schön angebrüllt. Vom Till. Der steht dann da, und es kommt nix. Das finde ich ganz wichtig, dass da auch was rauskommt.

Natürlich. Politische Inhalte hatten bisher keinen Platz in euren Songs. Bleibt das so?
Riedel: Im Prinzip schon. Rammstein macht keine politische Aussage. Vielleicht indirekt. Keine Ahnung.

Welche Partei ist denn wählbar für ein Rammstein-Mitglied?
Riedel: Da gibt‘s ganz verschiedene. Von Grün über Umweltgesetz-Partei (gemeint ist wohl die Naturgesetz-Partei, mw) bis CDU, SPD …

So breit ist das Spektrum …?
Riedel: Mmh. So wie die Musik auch breitgefächert ist.

Wegen eurer Leni-Riefenstahl-Ästhetik hält man euch jedenfalls für rechts.
Riedel: Weil man eine bestimmte Ästhetik benutzt, heißt das ja noch nicht, dass man rechts ist.

Ihr seid es nicht?
Riedel: Definitiv nicht. Deswegen können wir auch diese Ästhetik benutzen.

Es ist doch Teil des Skandals, den ihr erzeugen wollt: dieses Missverständnis zu provozieren.
Riedel: Wir wollen nicht provozieren, um erfolgreich zu sein. Sondern weil es uns Spaß macht.

Spaß? In euren Songs geht es um Sex, Gewalt, Sodomie, Sadomaso … Was haltet ihr denn vom Feminismus?
Riedel: „Feminismus“?

Frauenemanzipation. Alice Schwarzer.
Riedel: Ist okay, auf jeden Fall. Wir akzeptieren Frauenemanzipation.

Und wie ist für dich der typische Deutsche?
Riedel: Arbeitsam, ordnungsfanatisch. In der Musik überträgt sich das dann auf gerade Beats. Wie unsere: stumpf und ziemlich monoton.

Gerade in den USA bestätigt ihr das alte Hollywoodbild der Deutschen: martialisch zu sein und mit dem Feuer zu spielen.
Riedel: Na klar. Wir haben auch überlegt, ob wir extra für Amerika Lederhosen anziehen und Bockwurst am Eingang verkaufen sollen.

Ich glaube, das hätte eure Aura zerstört.
Riedel: Nicht für die Amerikaner! Die stehen auf dieses Image der Deutschen.

Ihr spielt mit diesen Stereotypen, aber ihr ironisiert sie nicht.
Riedel: Doch, die ironisieren wir schon. Unser Keyboarder hat sich mal auf dem brennenden Mantel des Sängers eine Bockwurst gegrillt. Solche Sachen.

(Erschienen in kulturnews, September 1999)

Foto: Bryan Adams



 

08 Juni 2023

Wie die Jungfrau zum Kind

Als ich gestern vom Einkaufen nach Hause kam, entdeckte ich auf meinem iPhone unversehens ein neues Foto. Das Verb „entdecken“ ist sorgsam gewählt, denn dieses Foto habe ich nicht selbst geschossen. Sie sehen es oben. Es zeigt den Schriftzug „DEAD SEA“ an einem kargen Sandstrand, und es ist anzunehmen, dass im Hintergrund das Tote Meer zu sehen ist.

Ich war noch nie am Toten Meer. Die mit dem Bild abgespeicherten Geodaten zeigen allerdings unzweifelhaft: Dieses Foto wurde genau dort aufgenommen, und zwar vor einem Jahr, am 9. Juni 2022, morgens um zwanzig vor elf mit einem iPhone 8. Ich hatte noch nie ein iPhone 8. Aber ich habe ein anderes Modell dieser Produktreihe, und die Erklärung dafür, dass ich wie die Jungfrau zum Kind in den Besitz eines fremden Fotos gelangte, dürfte in der Funktion AirDrop liegen. Damit kann unsereins, liebe Windows- und Android-User, Dateien auf direktem Weg zwischen Apple-Geräten austauschen. Ja, das ist super! Grundsätzlich.

Allerdings – und hier wird es unheimlich – habe ich per Voreinstellung festgelegt, dass ich AirDrop-Dateien ausschließlich von Menschen akzeptiere, die in meinem Adressbuch stehen. Und dann muss ich auch noch gefragt werden, ob ich dem Anliegen dieses Menschen, mir eine Datei zu übertragen, zustimme. All das kann ich definitiv ausschließen. Gestern geschah nichts dergleichen. Ich habe nicht einmal jemand getroffen, der in meinem Adressbuch steht. Nur Ms. Columbo, und die war auch noch nie am Toten Meer. 

Meine Ratlosigkeit, das spüren Sie sicherlich überdeutlich, ist mit Händen zu greifen. Doch unter Ihnen gibt es gewiss Spezialisten, die nun laut auflachend den Kopf schütteln über den ahnungsarmen Blogvater und ihm die simpelste Erklärung dieses Vorfalls per Kommentar frei Haus liefern, sodass er ruhig schlafen kann, anstatt Gefahr zu laufen, Verschwörungstheorien zu spinnen, in denen Tim Cook, Elon Musk, der BND oder Putin prominente Rollen spielten.

Dass ich das Beweisfoto hier veröffentliche, ohne über die Bildrechte zu verfügen, sieht man mir hoffentlich nach. Wer immer auch das Copyright besitzt, möge sich bitte beschweren – mir aber auch eine sehr gute Geschichte dazu erzählen, wie sein Foto es auf mein iPhone XE geschafft hat. 

Deal?