Abteilungsleiter: „Chef, Champagner darf man nur das nennen, was aus der Champagne kommt.“
Chef: „Du meinst, wegen der Palette Mumm? Nun, ich hab da eine Idee.“
Entdeckt bei Rewe.
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Entdeckt bei Rewe.
Da mir die Marke Aulull bislang unbekannt war, schaute ich genauer hin. Neben dem schmucklos ehrlichen Schwarz, in dem die Buchstaben gehalten waren, stach sofort das kühne Schriftdesign ins Auge. Mit seinen ausgefransten Linien war es sorgsam gegen den Strich des auf seelenlos-glatte Perfektion setzenden Zeitgeistes gebürstet. Der gleichzeitige Verzicht auf Serifen unterlief dialektisch die letzten Erwartungen an konventionelle Gestaltungselemente. Und wie die kleinen us sich beide zum mittig platzierten l verneigten und dabei doch mithilfe unterschiedlicher Strichlängen störrisch auf ihre Individualität beharrten, statt sich einfach nur dumpf zu spiegeln: Das kam zweifellos aus typografischer Meisterhand.
Was bloß mochte sich hinter Aulull verbergen? Die Seele welchen Produktes repräsentierte diese gewagte Gestaltung auf gewiss treffsicherste Weise? Mein erstes Befragen künstlicher Intelligenz förderte völlige Ratlosigkeit zutage. Sie stocherte im Nebel, hielt ein falsch getipptes „Allah“ für denkbar oder ein Fantasiewort aus Memes oder Gaming-Chats. Selbst ein Onomatopoetikum – genutzt, um lautmalerisch ein leises Heulen zu umschreiben – fand die KI nicht völlig unplausibel.
All das machte mich nicht klüger, aber umso interessierter. Aulull, hob ich innerlich beschwörend an, was auch immer du im Angebot hast: Ich werde dessen Erwerb wohlwollend in Betracht ziehen. Dann fiel mein Blick auf eine weitere elegant gerahmte Metallfläche ein paar Meter weiter.
Und darauf, auf der nun plötzlich zweifelsfrei identifizierbaren Müllklappe, stand es noch gänzlich unabgeblättert in seelenlos-glatter Perfektion: das Wort Abfall.
Ich erblickte einen dunkel gekleideten Brocken von bärtigem Mann mit Wollmütze, der seine gibbonartigen Arme weiträumig schlenkern ließ und dabei kiezweit hörbar „Arggggh!“, „Orchchch!“ und Ähnliches röhrte. Der Grund dafür blieb ungewiss, und mir einen zurechtzuimaginieren, fehlt mir momentan die Fantasie.
Ich frage mich in solchen Fällen oft, wie diese Menschen wohl ihren Alltag gestalten. Wie sind sie zu Hause? Führen sie gepflegte Gespräche am Frühstückstisch? Haben sie Arbeit und somit Kollegen, mit denen sie auf eine Art kommunizieren müssen, die keinesfalls in Richtung „Arggggh!“ und „Orchchch!“ tendieren darf, weil das über kurz oder lang ihren Job gefährdete?
Wie Sie wissen, werden solche Erlebnisse hier unter Balkonkino rubriziert (aber aus irgendeinem Grund nicht getaggt, fragen Sie mich nicht). Allein dieser Begriff verkörpert bereits die Distanz, die wir mittlerweile zum Geschehen rückseits der Reeperbahn eingenommen haben. Allerdings sind wir tagsüber natürlich oftmals auf St. Pauli unterwegs; Einkäufe wollen erledigt werden, und Spaziergänge werden noch immer gerne genommen, seit Corona sogar in gesteigerter Frequenz.
So stoßen wir immer wieder auf bemerkenswerte Phänomene. Zum Beispiel stehen in letzter Zeit vermehrt herren- und damenlose Schuhe draußen herum, an deren weiterhin vorhandener Funktionalität kein Zweifel besteht. Welche Geschichte etwa verbirgt sich hinter den roten High Heels, die wir neulich auf der Fensterbank eines Backsteingebäudes in der Seewartenstraße vorfanden? Niemand wird sie uns je erzählen.
Auf dem Spielbudenplatz hat ein Veranstalter den abgebildeten Hinweis auf unerwünschtes Publikum an die Wand seiner Location geklebt. Doch wenn unter den interessierten Besuchskandidaten wirklich Rassisten, Sexisten, Homophobe oder Arschlöcher wären (was – nebenbei bemerkt – statistisch äußerst wahrscheinlich ist): Ist ihnen das selbst überhaupt in derart ausreichendem Maße klar, dass sie einsichtig auf einen Besuch der Location verzichteten?
Fragen über Fragen. Hoffen Sie bitte nicht auf Antworten.
Der vordere Teil der Limousine war lückenlos ausgestopft mit prallstmöglichen Airbags, ein, wie ich finde, schönes und befriedigendes Beispiel für funktionierende Ingenieurskunst.
Wir eilten herbei, doch die Insassen, eine Frau und ein Mann, wühlten sich bereits verdattert, doch aus eigener Kraft aus ihrem Ballonparcours. Ihr Kontrahent stand derweil kreidebleich und stumm neben seinem Auto, während eine Angestellte aus der Physiopraxis, vor der sich alles zugetragen hatte, ihm ein Glas Wasser zu reichen versuchte und ein Passant bereits die 112 instruierte.
Es gab also anscheinend keine ernsthaft Verletzten und angesichts der zahlreich anwesenden Hilfswilligen wenig Unterstützungsbedarf, weshalb wir unseren Weg fortsetzten. Dieses Verfahren war einige Tage vorher weniger gut möglich gewesen, weil die entsprechende Szenerie uns bei einem Blick aus dem Wohnzimmerfenster zugemutet wurde. Das Foto soll einen ungefähren Eindruck davon vermitteln.
Zunächst schien es, als ginge der abgebildete Herr im Hoodie einer kiezüblichen Tätigkeit nach, nämlich unter Missachtung der überall verfügbaren öffentlichen Toiletten kurzerhand auf den Gehweg zu schiffen. Allerdings vermisste ich den dazugehörigen Strahl. Und das lag daran, dass der Mann auf halber Körperhöhe rhythmisch an sich herumhantierte. Meines Erachtens legte dieses Gebaren etwas ganz anders nahe als handelsübliches Wasserlassen. Nun ja.
Manchmal denke ich, wir sollten vielleicht doch nach Berchtesgaden ziehen.
Natürlich kann man den reichhaltigen personellen Besatz des Kiez’ als „merkwürdig“ beschönigen, doch wahrscheinlich rührt die Verhaltensauffälligkeit nicht weniger Menschen auf St. Pauli von ernsthaften psychischen Störungen her. Und das ist durchaus weniger unterhaltsam als schlichte Exzentrik.
Nehmen wir den jungen Mann heute Morgen am U-Bahnhof St. Pauli. Er trat an einen offenen Mülltütenhalter, in dem ich soeben ein frisch beschnäuztes Papiertaschentuch entsorgt hatte. Die eingehängte Tüte war vor kurzer Zeit erneuert worden, denn es war sonst nichts darin, nur mein Taschentuch. Nun betrat der junge Mann die Szene. Er war gänzlich in Schwarz gekleidet und trug einen Hoodie mit der nicht leicht zu widerlegenden Botschaft „Die Reeperbahn besteht zu 3/4 aus Alkohol“ auf dem Rücken.
Er stellte sich vor den Mülleimer und stierte hinein, als wollte er meditieren. Nach einer Weile ergriff er mein frisch beschnäuztes Papiertaschentuch, hielt es sich unter die Nase und schnupperte ausgiebig daran. Unsere Verwunderung evolvierte rasch. Nach der anscheinend positiv ausgefallenen Geruchsprobe nahm er das Taschentuch, um damit ausgiebig über den metallenen oberen Rand des Mülltütenhalters zu wischen.
Damit fuhr er ungefähr eine Minute lang fort, ehe offenbar sein Bedürfnis nach einem sauberen Mülltütenhalterrand gestillt war. Ob dies mit einem von mir kontaminierten Papiertaschentuch überhaupt zu bewerkstelligen war, wagte ich zu bezweifeln, jedoch nur innerlich, denn das schien mir kein Thema, das ich mit einem ganz in Schwarz gekleideten Mann mit einem „Die Reeperbahn besteht zu 3/4 aus Alkohol“-Hoodie, der an fremden Papiertaschentüchern schnüffelte, ausgiebig diskutieren sollte.
Als die U-Bahn kam, stieg er in denselben Wagen wie wir. Den Weg zum Bahnhof nutzte er dann vor allem, um sich mit beiden Händen, die eben noch mit einem vollgeschnäuzten Papiertaschentuch einen Mülltütenhalterrand gewienert hatten, vielfach durchs Haar und übers Gesicht zu streichen.
Also: bloße Exzentrik oder Ausdruck ernsthafter psychischer Probleme?
Händeschütteln als sozialer Akt verliert jedenfalls für mich weiter an Liebreiz.
In der Galerie im Erdgeschoss hat heute Silke Thoss ihren imaginären Kiosk Silkys Späti eröffnet – und auch wenn bei der Vernissage ein Gewitter den Partycrasher spielte: Bunter, das ist gewiss, wird’s dieses Jahr auf St. Pauli nicht mehr.
In Silkys Späti ist alles Pappmaché, alles ein Einzelstück und jedes „Produkt“ bis zur macho- und kapitalismusparodistischen Kenntlichkeit verfremdet. Schaun Sie doch mal rein. Soll Ihr Schaden nicht sein.
Übrigens habe ich noch nie einen Autofahrer gesehen, der sich über Herrn H.s auf der Fahrbahn errichtetes Streetoffice echauffiert hätte. Man hört ja sonst so allerhand, wie es zugehen soll vor Ampeln und auf Autobahnen. Geschrei, Gepöbel, justiziable Eigenschaftszuschreibungen: All das scheint in Deutschland gar nicht selten vorzukommen. Doch nicht in Gegenwart von Herrn H. Man umkurvt ihn offenkundig verständnisvoll und deshalb kommentarlos. Was er als selbstverständlich hinnimmt.
Nein, Herr H. lässt sich bei dem, was immer er dort tut, nicht stören. Man kann sogar sagen, dass die resiliente Konzentration, mit der Herr H. sein Streetoffice-Pensum abarbeitet, bewundernswert ist. Nichts bringt ihn aus der Ruhe.
Herr H. richtet seinen Stuhl immer nach Westen aus. Zwar scheint ihm dann die Sonne mitten ins Gesicht, doch wenigstens nicht aufs Laptopdisplay. Das könnte schließlich bei der Arbeit stören, eventuell sogar die Qualität der Ergebnisse beeinträchtigen. Deshalb vermutlich nach Westen. Manchmal denke ich, dass Herrn H. eine Schirmmütze guttäte, aber wer bin ich, seine selbst geschaffenen Rahmenbedingungen infrage zu stellen.
Herr H. ist mir bisher ein Mysterium. Steht er vielleicht in der Tradition von Melvilles Schreiber Bartleby? Welche biografischen Wendungen und Winkelzüge führten zu seinem stoischen Dasein als Streetworker im wortwörtlichen Sinn?
Vielleicht überwinde ich demnächst meine Scheu und frage ihn einmal. Dann mehr an dieser Stelle.
Die Deutungsmöglichkeiten dieses wohl mit Absicht so gestalteten Nummernschilds sind komplex, verwirrend, schillernd und widersprüchlich. Die Entschlüsselung überlasse ich lieber Ihnen.
Entdeckt heute irgendwo in Hamburg.
Vor knapp acht Jahren ging unser erster Versuch, Verdis Oper „Aida“ zu genießen, schrecklich schief: Wir flohen zur Halbzeit – „gekleidet“ in mülltütenartige Plastikregencapes – vorm Weltuntergang, der die Open-Air-Aufführung in Schwerin mit Donner, Sturm und Wassermassen zu behelligen geruhte. Wenigstens hatten wir den (echten!) Elefanten noch gesehen. Weitere Details zu diesem in mehrerlei Hinsicht unvergesslichen Ausflug nach Schwerin finden Sie hier.
Nun aber gibt es unverhofft doch noch die Chance zu erfahren, wie es weitergeht, nachdem der Elefant von der Bühne gestapft ist. Denn „AIDA – Das Arena Opern Spektakel 2024“ (sic!) feiert am 2. Februar in Hamburg Premiere, und wir sind eingeladen.
Man avisiert uns Multimediales, ja, Immersives; ausstaffiert sei das Ganze mit Omnisurroundlautsprechern, Projektoren, LED-Wänden, Kameras und Scheinwerfern sonder Zahl, wahrscheinlich alles originalgetreu nach Verdis Regieanweisungen angefertigt. Der Elefant soll allerdings statt aus Elefant aus neun Frauen bestehen. Tierschutz!
Doch egal wie’s weitergeht, nachdem die neun Damen von der Bühne gestapft sind: Diesmal werden wir keine Mülltüten tragen müssen, denn das alles findet in der Barclay’s Arena in Stellingen statt. Und es gibt noch Karten, soweit ich weiß.
Foto: Christoph Eisenmenger
Manches, was hier in der Seilerstraße so herumliegt, wirkt kieztypisch, etwa der damenlose Büstenhalter. Er wirkt ein wenig wie wütend entsorgt. Die Geschichte dazu würde mich interessieren, und ich ersuche Sie dringend, diese in erforderlicher Ausführlichkeit in den Kommentaren zu schildern.
Die Stolpersteine in unserer Straße wurden nach dem bestialischen Massaker der Hamas in Israel von einem kleinen Schutzwall aus Grablichten umgeben. Inzwischen trotzen sie wieder unumsäumt Wind, Wetter und Antisemitismus.
Was mich allerdings nun schon seit einigen Wochen irritiert, sind die beiden Autos unten rechts auf dem Parkplatz, der weiße Transporter und der rote Kleinwagen rechts daneben. Beide bewegen sich nämlich nicht. Nie. Sie stehen da wie stillgelegt.Meine Columbo-geschulte Intuition murmelt: Irgendetwas stimmt da nicht. Könntest du, Lerwicker Polizei, vielleicht mal verifizieren, dass dort wirklich keine leblosen Menschen hinterm Steuer sitzen? Oder im Kofferraum liegen? Danke.
Ergänzung vom 27.10.2023, 16 Uhr:
Apropos Prokrastination: Was generell im Leben gilt, gilt auch beim Bloggen – der innere Schweinehund ist verteufelt flexibel. Wenn ich zweitausend Blogbesucher am Tag habe, flüstert er: Du brauchst nichts zu schreiben, die Leute kommen ja eh. Und wenn es nur hundert sind, winkt er ab: Du brauchst nichts zu schreiben, interessiert ja eh keinen. Das Ergebnis ist jeweils dasselbe: Ich schreibe keinen neuen Blogeintrag. Und das kann’s ja auf Dauer nun wirklich nicht sein!
Deshalb gelobe ich heute – wie jedes Jahr – Besserung. Denn irgendwo da draußen sind ja doch immer noch welche, die sich an sporadischen Meldungen von der Rückseite der Reeperbahn erfreuen. Wie man an oben abgebildeter Grafik sieht, welche die vergangenen zwölf Jahre abbildet, sorgen diese liebreizenden Menschen (ja, Sie!) dafür, dass sich die Besucherzahl stetig, aber immer langsamer der Sechsmillionengrenze nähert. Bei einem monatlichen Durchschnitt, der nur noch selten die Zehntausendermarke knackt (es waren auch schon mal achtzigtausend!), ist das Schneckentempo natürlich kein Wunder.
Zu den beliebtesten Blogtexten des Jahres gehört skurrilerweise einer von Anno Domini 2016. Seit Monaten erfreut er sich wieder stabiler Beliebtheit. Es geht darin um eine bizarre Grabstätte auf dem Wiener Zentralfriedhof und um ausgeraubte Nutella-Gläser in Hamburg.
Wenn mir jemand vielleicht verklickern könnte und möchte, warum ausgerechnet dieser Text wieder aus den Tiefen des Archivs hochgestiegen ist und dann auch noch so dauerhaft reüssiert, dann möge er oder sie es gerne tun. Dann schreibe ich nämlich noch mal so einen!
Und hätte zum neunzehnten Bloggeburtstag wieder was zu erzählen.
„Guten Tag, ich hätte gerne zwei Kugeln in der Waffel, und zwar …“
„Wir haben keine Waffeln, nur Becher.“
„Gut, dann halt im Becher. Zwei Kugeln mit Schokoladensoße, und zwar …“
„Keine Schokoladensoße. Die gibt’s nur zur Schlemmertüte.“
„Äh, okay …? Dann einmal Walnuss und einmal Schokolade. Ich zahle mit Karte.“
„Keine Karte, nur bar.“
Die Niederegger-Zentrale in Lübeck kann natürlich überhaupt nichts für den außergewöhnlichen Liebreiz ihrer Filiale in Travemünde, aber als wir heute an der Zentrale vorbeiliefen, war uns beiden in stillem Einvernehmen klar, dass wir auf jeden Fall ein anderes Café ansteuern würden.
Ganz egal, welches. Hauptsache, nicht Niederegger.
Dieser prachtvolle Lincoln Continental steht im Automuseum Loh Collection aufm Dorf in Hessen. Sinnigerweise wird er dort als der Wagen vorgestellt, den John F. Kennedy „zuletzt lebend verließ“. Das war am 22. November 1963 vormittags. Und in der Tat: Am selben Tag stieg JFK in eine dunkelblaue Variante des Lincoln um, tja, und dann kam Lee Harvey Oswald. Das dunkle Modell haben die USA aber ganz offensichtlich nicht rausgerückt, weshalb der autosammelnde Milliardär Friedhelm Loh zähneknirschend „nur“ das weiße anschaffen konnte. Deshalb musste er das Ausstellungsstück argumentativ ein wenig pimpen. Trotzdem auratisch, das Teil – am Wochenende selbst getestet.
Ein Blogleser hat sich vom Foto eines Portals in Inverness aus diesem Eintrag zu einer – wie man sieht – sehr gelungenen Tuschezeichnung inspirieren lassen. Und da er mir postalisch sogar das Original vorbeischickte, hat nun unsere Bilderwand im Flur Zuwachs bekommen.
Fußball spielt auf dem Kiez durchaus eine Rolle, für manche offensichtlich sogar eine derart wichtige, dass sie sich deswegen selbst das Betreten ihrer Loggia versagen. Entdeckt am Fischmarkt.
Als ich gestern vom Einkaufen nach Hause kam, entdeckte ich auf meinem iPhone unversehens ein neues Foto. Das Verb „entdecken“ ist sorgsam gewählt, denn dieses Foto habe ich nicht selbst geschossen. Sie sehen es oben. Es zeigt den Schriftzug „DEAD SEA“ an einem kargen Sandstrand, und es ist anzunehmen, dass im Hintergrund das Tote Meer zu sehen ist.
Ich war noch nie am Toten Meer. Die mit dem Bild abgespeicherten Geodaten zeigen allerdings unzweifelhaft: Dieses Foto wurde genau dort aufgenommen, und zwar vor einem Jahr, am 9. Juni 2022, morgens um zwanzig vor elf mit einem iPhone 8. Ich hatte noch nie ein iPhone 8. Aber ich habe ein anderes Modell dieser Produktreihe, und die Erklärung dafür, dass ich wie die Jungfrau zum Kind in den Besitz eines fremden Fotos gelangte, dürfte in der Funktion AirDrop liegen. Damit kann unsereins, liebe Windows- und Android-User, Dateien auf direktem Weg zwischen Apple-Geräten austauschen. Ja, das ist super! Grundsätzlich.
„Spiritual Body Healing“, Sakralenergien, Chakradingens: Ich stand eindeutig vorm Hades der Esoterik. Wer schon länger in diesem Blog herumstöbert, kennt meine Haltung zu Humbug jeder Couleur. Insofern möchte ich Sie ermuntern, mir höchste Anerkennung zu zollen für den nächsten Schritt, den ich tat: Ich drückte trotz alledem die Türklinke und betrat diese Massagepraxis.
Nach dem Empfang durch einen muskulösen Herrn fernöstlicher Provenienz betrat ich die Toilette und gewahrte eine merkwürdige Rohrkonstruktion, die vom Wasserhahn des Waschbeckens zu einer Apparatur führte. Ein daran gehefteter Zettel informierte mich darüber, dass diese für eine „Informationslöschung auf null“ beim Wasser sorge.
Schwer stützte ich mich einen Moment auf die Keramik. Ja, ich war wirklich im Hades der Esoterik. Würde es mir gelingen, wieder unbeschadet zu den Gestaden der Wirklichkeit zurückzukehren?
Jedenfalls reduzierte ich angesichts der Wasserinformationslöschung auf null meine Erwartung an die bevorstehende Massage ebenfalls auf genau dieses Maß. Wahrscheinlich würde mir der Mann, ungeachtet seiner definierten Muskulatur, einfach nur eine Stunde lang die Chakren streicheln, Energieströme beflüstern und somit Dinge zu heilen versuchen, die a) nicht existierten und b) wenn doch, gar nicht kaputt waren.
Enorm erwartungsarm legte ich mich auf den Massagetisch und schaute, innerlich resigniert seufzend, einer von Klingklangmuzak umdudelten Wohlfühlstunde entgegen. Doch dann legte der Mann los. Und wie. Mehrfach musste ich in den folgenden sechzig Minuten Schmerzensschreie unterdrücken und vermochte sein sporadisches „Okay so?“ nur mit einem mühsam geächzten, Tapferkeit simulierenden „Ja, geht, kein Problem“ zu beantworten.
Am Ende waren meine Chakren Granulat. Er hatte meine Muskulatur aufgebrochen wie der Jäger das Wild. Und als er mich fragte, wie ich es gefunden habe, gestand ich ihm, eher auf Wellness eingestellt gewesen zu sein als auf eine amtliche Sportmassage.
„Nein, nein“, lachte er und schüttelte den Kopf. „Das war ganz klassisch. Bei einer Sportmassage wäre ich viel tiefer reingegangen.“
PS: In Ermangelung eines Beweisfotos gibt es hier eine Alsterimpression zu sehen – immerhin liegt die Praxis in der Nähe dieses Gewässers.
Zu den Dienstleistungen des Analservice Sperling gehören erwartungsgemäß Rohrreinigung und -sanierung sowie die besonders erwünschte Dichtheitsprüfung, und das alles natürlich rund um die Uhr. Schließlich weiß man nie, wann es einen trifft.