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23 Mai 2010

Die Stille nach dem Schluss



Ms. Columbo und ich sind mit schuld an diesem Desaster. Denn nur zwei-, dreimal im Jahr betraten wir Real, den supersten Supermarkt von St. Pauli, wenn nicht von ganz Hamburg.

Fußballfeldgroß ruht der Gebäudetrumm am Neuen Kamp wie der Ayers Rock vom Kiez, und jetzt hat er dichtgemacht. Heute war der letzte Tag, der Ausverkauf läuft seit Wochen. Deshalb gab es nur noch die Reste der Reste.

Hier zeigte sich in schonungsloser Offenheit, was die Akteure der Konsumgesellschaft nun wirklich nicht haben wollen, was selbst für Nachlässe von 60 Prozent nicht mehr an den Mann (oder Hund) zu bringen ist.

Zum Beispiel Jever Fun, Matschtomaten, Mülleimerdeo, Punicasaft, der „Sanitas Insektenstichheiler“, Plastikbeißknochen oder die „Pillenbox Vergiss nix“. Auch Bettwäsche des FC Bayern lag bleiern herum, dabei stand doch das Champions-League-Finale noch bevor.

Traurig schlichen die Bediensteten durch die Ödnis der Regalreihen, niedergedrückt von einer ungewissen Zukunft. Einer schob mit leerem Blick die letzten Flaschen Rosé zusammen. Einst hatte die Plörre 3,79 gekostet, jetzt 40 Prozent weniger, trotzdem blieb sie unbeachtet.

Leider war der Single Malt Scotch längst weg und die übriggebliebenen Pistazienkerne lediglich um zehn Prozent rabattiert. Statt die Leiche auszuweiden, fotografierte ich also nur ein wenig herum – die Tristesse der leeren Regale, die Traurigkeit am Ende des Tages, die Stille nach dem Schluss.

Vielleicht sieht es so irgendwann mal in allen Supermärkten aus, vielleicht ist Real die düstere Avantgarde, wer weiß das schon.

Hol deine Schäfchen ins Trockene, flüsterte es von irgendwo, doch dieser gute Rat kam nicht aus dem Supermarktradio, dessen terroristisch optimistische Promoterstimmen noch immer irgendwelche Sonderangebote anpriesen, als gäbe es kein Morgen.

Und das gibt es ja auch nicht.


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22 März 2010

Die Tour de Ruhr: ein Nachklapp in 7 Bildern



Eine Lore im Ruhestand – Symbol des Ruhrgebiets, im Guten wie im Bösen




Skyline von Gelsenkirchen




Welkulturerbe Zeche Zollverein, Essen




Skyline von Essen




Fossilien im Ruhrmuseum, Essen




Ausstellung „Sternstunden“ im Gasometer Oberhausen




Dortmunder Schalkefans mit eigener Präsenz in der Veltins-Arena, Gelsenkirchen


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18 März 2010

Fundstücke (73): Lose Zusammengekehrtes

1. Auf den Toiletten des CCH ist der verchromte Spülkasten (Foto) so geformt und geneigt, dass er die untere Körperhälfte spiegelt – und dabei doch wahrhaftig die Größenverhältnisse ins Schmeichelhafte verzerrt. Frauen kriegen das wahrscheinlich überhaupt nicht mit.

2. Mein Ranglistenplatz auf der Statistikseite Bloggerei entsprach heute Abend exakt unserer Kabinennummer auf der anstehenden Ostseekreuzfahrt: 222. Was soll mir das sagen?

3. Die saumseligen Kommentare aus dem alten Blog bequemen sich übrigens peu à peu ebenfalls umzuziehen. Somit könnte ich alsbald erwägen, den Status quo ante komplett zu entfernen, doch irgendetwas hält mich davon ab. Ich warte erst einmal, ob Blogspot/Google auch tittenlastige Beiträge wie diesen auf Dauer unzensiert lässt.

4. Die Transen in der Schmuckstraße dürften seit heute tief durchatmen, denn endlich sind die Straßenbauarbeiten weitgehend durch. Das ordnungsgemäße Kobern ist nämlich eine geradezu unbewältigbare Herkulesaufgabe, wenn derweil Presslufthammer-B-B-B-Bernie in den Untergrund vorstößt und das Jaulen der Asphaltfräsen die stichhaltigsten Argumente übertönt. Doch jetzt wird ja wieder alles gut.

5. Ein großer Hamburger Verlag unterzieht freie Journalisten einer ganz besonderen Behandlung. Er bestellt einen Artikel zu einem bestimmten Honorar. Wenn auf der vorgesehenen Seite nun zur Freude des Verlags jemand eine viertelseitengroße Anzeige schaltet, kürzt er das Honorar für den bereits gelieferten Artikel um 25 Prozent, denn es wird ja auch weniger Text gedruckt … Im Klartext: Weil der große Hamburger Verlag plötzlich mit der Seite Geld verdient, spart er parallel am Honorar für den Journalisten. Wollte man die Begriffe „paradox“, „perfide“ und „schäbig“ gemeinsam definieren: Mit dieser Geschichte schaffte man es mühelos.

6. Es gibt einen neuen Bewerber um den Jil-Sander-Gammelsprech-Preis des Jahres. Auch er ist Modedesigner und heißt Wolfgang Joop. In der Zeitschrift Tush sagt der Mann Sätze wie: „Wir sind totally equipped und totally Opfer vom Equipment.“ Es ist vollkommen offensichtlich, dass der exzessive Umgang mit Klamotten bestimmte Synapsen beschädigt, die bei normalen Menschen das Babylon-Syndrom verhindern helfen. Es sollte allmählich Betty-Ford-Kliniken für so was geben.


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18 August 2009

Das Kurdenproblem



Es ist manchmal nicht einfach, politisch korrekt zu sein.

Da musste bei uns unten an der Ecke wieder mal ein alteingesessener Laden dichtmachen – Gentrifizierung, wir erinnern uns. Der Laden hieß Glöe und bot neben Brötchen, Bier, Salat und bunten Blättern auch Tische und Stühle an, von wo aus man mehr oder weniger gemütlich Fußball gucken konnte.

Deshalb galt Glöe im Kiezvolksmund auch als „Fussballtürke“, was ich aber erst durch die neuerdings an die Fenster gepappten Schilder erfahren habe. Die Pamphlete protestieren engagiert gegen Glöes plötzlichen Abgang; neulich standen sogar kleine Grabkerzen vor der Tür, die hat inzwischen wieder jemand abgeräumt.

Auf den angeklebten Zetteln stehen Sachen wie „Miethai = Abstieg“, „R.I.P.“, „Fussballtürke/You’ll never walk alone“ oder das auch bei Kindermorden gut eingeführte und bewährte „WARUM???“.

Ein anderes Schild konnotiert den kleinen Kiezladen mit der großen Krise: „OPEL: JA! FUSSI-TÜRKE: NEIN! WARUM?“ – und jetzt kommt endlich das anfangs erwähnte Problem mit der politischen Korrektheit ins Spiel. Auf dieses Plakat nämlich hat jemand mit Bleistift dazugeschrieben:

„Nette Soli-Aktion – aber es waren Kurden! ;-)“


03 August 2009

Immer weiterlächeln



Dieses „Smile“, Wolfsburgs Zufallsantwort auf Ursula von der Leyens Netzsperrenstoppschild, ist vielleicht nicht kritisch, sicher nicht ironisch, doch auf jeden Fall eins: tapfer.

Und es hat auf den ersten Blick keinen Autobezug, im Gegensatz zum mahnenden „Wer lenkt Sie eigentlich?“ – zu finden ebenfalls am Rande der sogenannten Autostadt, dieser Stadt in der Stadt, die ein gewaltiger Altar ist für den Verbrennungsmotor.

Nirgendwo anders in Deutschland dürfte man Schilder mit Werbesprüchen, die aufs Verwechselbarste offiziellen Verkehrsschildern nachempfunden sind, auf öffentlichem Grund installieren. Doch VW darf das, weil die Kommune nur der verlängerte Arm des Autobauers ist.

Denn die oft unterschätzte adrette Schönheit dieser Stadt, die patinalose, nie ganz das Sterile abstreifende Makellosigkeit ihrer Seen, Gärten und modernen Architektur, mit der sie ihre Geschichtslosigkeit und ihren schlimmen Geburtsfehler vergessen machen will: All das hängt am Tropf von VW, und ginge VW unter, die ganze Stadt ginge unter. So wie Detroit.

Der Untergang aber ist tabu in der Autostadt. Hier feiert VW noch immer ungebrochen die Ästhetik und die Verheißung des Autokaufs. Die Autostadt – mit der man jene von VW errichtete genauso bezeichnen kann wie ganz Wolfsburg – zelebriert mit aller Kraft und Kreativität den Erwerb von kunstvoll veschmolzenem Blech und Plastik. Sie verwandelt die Profanität des Warenkaufs in einen sakralen Akt.

Und die Zwillingstürme, in denen all diese Autos, die bald keiner mehr haben will, abholbereit herumstehen, glänzen riesig und gläsern in der Sonne wie Kathedralen.

Man sieht von draußen durch die Scheiben die winzigen Scheinwerfer der wartenden Wagen, wie sie hoffnungsfroh hinausschauen in die Ferne – den Käufern entgegen, die das alles hier am Leben erhalten (sollen).

Es hat fast etwas Rührendes, wie die Autostadt, dieses komplett auf die Erotik des Kaufaktes abgestimmte Ensemble aus Gebäuden und Interieuer, ihren drohenden Untergang ausblendet. Und dafür hat Wolfsburg, die Stadt des durchästhetisierten öffentlichen Raumes, das perfekte Symbol gefunden.

Es ist ein tapferes weißes „Smile“ auf rotem Grund, ein Oktagon des Ausblendens.



31 März 2009

Krisengewinnler

Für all jene, die ihren Job noch haben, ist die Krise bisher ein Segen. Ihr Gehalt blieb in der Regel gleich oder stieg sogar (sofern tarifabgesichert), doch ihre Lebenshaltungskosten sanken dramatisch.

Für Energie müssen sie zurzeit über 30 Prozent weniger bezahlen als vor einem Jahr. Autofahrer mit Job schwimmen also quasi in Geld.

Viele weitere wichtige Preise – ob für Lebensmittel oder Unterhaltungselektronik – sind ebenfalls seither verfallen, und das nicht nur, weil die Inflationsrate abstürzte, sondern auch weil sich der Handel einen munteren Preiskampf liefert.

Die Erhöhung der Krankenkassenbeiträge fällt bei so viel warmem Regen kaum ins Gewicht; sie werden zudem im Sommer wieder gesenkt – wegen der schwierigen Lage, haha.

Wer seinen ganz persönlichen Boom mitten in der Krise angemessen feiern möchte, kann auch noch erheblich billiger auf Kreuzfahrt (Foto) gehen als 2008.

Gloriose Zeiten also. Für Leute mit Job ist die Krise ein einziger Glücksfall.

Richtig ernst wird es erst danach: Wahrscheinlich streckt uns der Aufschwung derart nieder, dass uns Hören und Sehen vergeht.

09 Dezember 2008

Höhere Münzologie

Früher, zu D-Mark-Zeiten, sagten die Bettler „Hassemannemakk?“. Seit der Währungsumstellung sagen sie „Hassema’neuro?“

Sofern sich die Spendierfreude der Angebettelten nicht halbiert hat, müsste sich das Einkommen von Bettlern also verdoppelt haben.

Bis auf Bankmanager (vor der Finanzkrise) kann das wohl keine andere Berufsgruppe von sich behaupten.



26 Januar 2008

Die Rettung des Kapitalismus auf einem Bierdeckel

Heute fiel mir übrigens ein, wie man auf einen Schlag sämtliche wirtschaftlichen Probleme unseres Landes ein für alle mal lösen könnte, inklusive Alterssicherung.

Und zwar so: Man verpflichtet einfach per Gesetz jeden Bürger, sein Einkommen komplett wieder auszugeben, Monat für Monat. Bis auf den letzten Cent.

Dafür erhält er ab dem 60. Lebensjahr eine monatliche Rente von 2000 Euro; wenn er mehr will, kann er einen Teil seines erzwungenen Komplettkonsums ja auch riestern, kein Problem.

Die Einkommenssteuer wird selbstverständlich ersatzlos abgeschafft. Dafür schießt die Mehrwertsteuer auf – sagen wir – 40 Prozent.

Die Effekte wären fantastisch: Durch die erzwungene Konsumexplosion jubelten die Unternehmen, schafften Arbeitsplätze ohne Ende, und parallel quölle der Staatshaushalt über vor lauter Mehrwertsteuer, von der natürlich neben dem ganzen Infrastrukturblabla auch die 2000 Euro Prokopfrente bezahlt werden müssten.

An den Details muss man natürlich noch feilen, aber das kann ja Friedrich Merz machen; der braucht eh ein Comeback.

So, und jetzt, nach der Rettung des Kapitalismus auf einem Bierdeckel, gehe ich schlafen.


30 Oktober 2007

Eine kleine Anti-Pop-up-Tirade

Wenn es um Pop-up-Werbung geht, ist da nur noch Hass – auf Webseiten, denen ihr eigener Inhalt so wenig wert ist, dass sie sich dafür bezahlen lassen, dass Müll ihn verdeckt.

Auf Firmen, die glauben, uns mit solchen Zumutungen zum Klicken bewegen zu können (Telekom: Vergiss es!).

Auf Leute, die so etwas programmieren und dabei sogar meinen Pop-up-Blocker austricksen.

Hass.

Mit Konsequenzen. Ich surfe solche Seiten nicht mehr an. Ich verweigere Firmen, die
Pop-up-Werbung schalten, jeglichen Zutritt zu meinem Monatsbudget; sie landen auf einer Tabuliste.

Und wenn ich abends auf dem Kiez einen Informatiker kennenlerne, wird er abgeklopft, ob er charakterlos genug ist, sich an so etwas zu beteiligen. Wenn ja, dann zahlt er sein Bier selber.

Na gut, „Hass“ ist vielleicht etwas übertrieben. Doch heute, nach zwei Tagen ohne übliche Nahrungszufuhr und Kamillentee statt Wein, ist mir halt nach Übertreibungen.

21 Oktober 2007

Ums Verrecken cool

„Das ist das Drama: Alles hat seinen Preis in der Marktwirtschaft, jeder Kauf entscheidet darüber, wie wir leben, und jene, die am wenigsten haben, sind gleichzeitig diejenigen, die mit der Kaufentscheidung dafür sorgen, dass es weiterhin Dampf für die Maschinerie des Niedergangs gibt.“ Don Alphonso

Zurzeit hält jeder Hype nur noch zehn Minuten. Die hippe MySpace-Band von heute Morgen ist schon mittags wieder öde. Dem noch gestern ultracoolen Laptop fehlt die Killerapplikation des Folgemodells. Und das iPhone gibt’s erst ab November. Verdammt.

So denken sie, die Trendlämmer.
So denken wir doch, nicht wahr?

Noch nie hatten die Profi(t)trendsetter uns Dummerchen so im Griff wie heute. Lemminggleich hecheln wir Teens, Twens und Berufsjugendlichen dem neuesten Hype hinterher und gleich danach dem allerneuesten. Wie die Karnickel sollen wir den geilen Akt des Konsumierens vollziehen – und wehe, es wird dank des überzogenen Dispos ein Coitus interruptus. Autsch.

Wir wundern uns, dass die Welt vor die Hunde geht – aber warum wundern wir uns bloß? Unser eigener Erneuerungswahn ist doch schuld daran. Denn dem geilen Konsumakt geht in aller Heimlichkeit etwas viel Ungeileres voraus: ein Akt der Zerstörung durch Produktion.

Das ist doof, das ist unschön, und deshalb sollten die Dinge am besten recht lange halten. Sollte man meinen. Doch ganz im Gegenteil: Nur das erwünschte Kaputtgehen und Uncoolwerden von allem und jedem hält uns Hamster im Riesenrad am Laufen – und verzehrt zugleich die Ressourcen, die wir doch retten wollten, als wir neulich auf Ökostrom umstiegen.

Mal ehrlich: Wer die Welt wirklich retten will, der muss aufhören, sie zu verbrauchen. So simpel ist das.

Und so schwer ist das.

Unser ganzer Lebensstil nämlich – und mit ihm diese Ikone namens Wachstum – gehört vor Gericht. Klingt übel, ist es auch. Aber es ist wahr.

Jeder, der sich neue Schuhe kauft, obwohl die alten noch halten, beteiligt sich an der Zerstörung, ob er nun Grün wählt oder nicht. Jeder, der Auto fährt, obwohl er auch laufen könnte, bricht ein Stückchen Substanz aus dem Gefüge der Dinge. Jeder, der irgendeinem Trend folgt, obwohl er bis jetzt auch ohne ganz zufrieden war, schubst die Erde weiter Richtung Abgrund, selbst wenn er ein Hemd von American Apparel trägt und Burger bäh findet.

Das Bescheuertste daran: Trendhörigkeit – also unsere hocherwünschte Jagd nach der Coolness, dem Hype, dem jüngsten Schrei – geht immer aus wie das Rennen zwischen Hase und Igel. Du kannst nicht gewinnen. Oder für höchstens zehn Minuten. Denn überall ist es cooler, wo wir nicht sind. Momentan zum Beispiel in den USA, wo sie das iPhone schon kaufen können. Verdammt.

Wer die Welt wirklich retten will, muss ans Eingemachte.
Er. Muss. Den. Kapitalismus. Abschaffen.
So einfach ist das.

Und so schwer ist das.

Denn natürlich heißt das nicht, dass ein anderes System automatisch die Welt retten würde. Doch keinem anderen ist die permanente Zerstörung des Bestehenden so sehr ein Herzenswunsch wie der – ähem – sozialen Marktwirtschaft. Ihre ganze Dynamik schöpft sie aus dem möglichst raschen Uncoolwerden all dessen, was verkauft ist. All das schon Bezahlte ist aus ihrer Sicht mausetot, und deshalb muss sie neue Hypes ausrufen, möglichst global. Sie muss das aus ihrer Sicht Tote, weil Bezahlte auch uns Dummerchen als tot suggerieren, selbst wenn’s noch wunderbar funktioniert.

Weil die Dinge nicht schnell genug verrecken, macht die Marktwirtschaft uns zu Trendlämmern – ums Verrecken.

Ihre schlimmsten Alpträume drehen sich deshalb um die Schrecken unkaputtbarer Kleidung und ewig brennender Glühbirnen. Sie gruselt’s beim Gedanken an rostfreie Autos, an korrosionsfeste Häuser. Und die schlimmsten Depressionen kriegt sie, wenn sie sich vorstellt, wir, die Konsumenten irgendwo hier draußen, würden keinen Hypes mehr folgen. Der Horror.

Deshalb muss die Marktwirtschaft mit ihren Hilfstruppen, den Werbern, die Coolness täglich neu definieren, muss panisch neue Hypes kreieren und befeuern.

Der Todfeind des Kapitalismus ist unsere Bedürfnislosigkeit. Doch nur sie würde die Welt retten.

Wer cool sein will, sollte das wissen. Und erst dann losgehen, um sich ein iPhone zu kaufen. Und natürlich die nächste Ausgabe des U_mag.

(Dieser Text steht auch in der Oktoberausgabe des U_mag.)

09 Mai 2007

An den Stapeln sollt ihr sie erkennen

Das verlässlichste Indiz für die bevorstehende Pleite eines Magazins liefert der Fitnessclubindikator. Sobald sich auf den Ablageflächen meines Clubs eine Zeitschrift anfängt zu stapeln, weiß ich, was los ist.

Es ist das letzte Aufbäumen. Verzweifelt versucht der Verlag, die unverkäuflichen Hefte loszuwerden, um den Werbekunden weiter eine stabile Auflage zu suggerieren. Doch vergebens: Wenn die Stapel erst mal meinen Fitnessclub vermüllen, ist nix mehr zu machen.

Monatelang türmte sich hier zuletzt die Zeitschrift Woman, „Nimm mich!“, lockte sie, und ich gab sogar nach und las einen Artikel über die Ursachen des Drehschwindels.

Doch die Stapel wurden immer mehr und jeder immer höher. Man hörte quasi live den Countdown ticken, und vorletzte Woche war es soweit: Gruner & Jahr meldete das Aus für Woman. Ich freilich wusste das schon länger, dank Fitnessclubindikator.

Seit einiger Zeit stapelt sich hier übrigens immer mal wieder die Zeitschrift Healthy Living. Der nächste Countdown läuft.

Übrigens sind auch dramatische Anzeigenpreisnachlässe ein ernstes Alarmzeichen. Insofern ist die aktuelle Schaltung der BILD-Zeitung im kress-express („Statt 331.331 Euro zahen Sie nur 200.000 Euro für 1/1 Seite“) ein echter Hoffnungsschimmer.

08 März 2007

Vom Handeln mit Rezessionen

Promoterin: „Hallo, ich habe dir das neue Album von The Dingenskirchens geschickt. Planst du eine Rezession?“
Matt: „Du meinst wahrscheinlich eine Rezension.“

Promoterin: „Versteh ich jetzt nicht.“
Matt: „Eine Rezession ist ein wirtschaftlicher Abschwung.“
Promoterin (aufgeregt): „Genau das meine ich!“

Gut: Ich stelle mir also mal vor, wie es sein könnte, Rezessionen zu planen. Darin liegt, bei genauer Betrachtung, eine geniale Geschäftsidee: Ich könnte einen Im- und Exportservice aufmachen, mit Rezessionen. Man könnte sie ganz unkompliziert bei mir bestellen, und ich würde sie zeitnah liefern, sofern gerade eine geeignete auf Halde läge.

Aber wer wäre mein Zielpublikum, wer sollte mir welche abkaufen? Bin Laden vielleicht, die Taliban natürlich. Oder Hedgefonds, die prall und aufgeblasen sind vor lauter Put-Optionen.

Ich glaube, ich würde mich gleichwohl lieber teuer dafür bezahlen lassen, keine Rezessionen zu verkaufen. Ich würde mich fürs Stillhalten, fürs Wegschließen und Deponieren, vielleicht sogar fürs Entsorgen von Rezessionen bezahlen lassen, und zwar fürstlich. Von Leuten, die prall und aufgeblasen sind vor lauter Call-Optionen. Oder von Franz Müntefering.

Jau, ich glaube, so mache ich’s.