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05 Juli 2018

Fundstücke (230)

Da hast du in der Schanze nur mal kurz gecornert, und dann das.
Entdeckt am Schulterblatt.



09 Juli 2017

G20: Nachlese eines Desasters


Ich weiß nicht, ob das Gerücht stimmt, aber in den Tagen vorm Gipfel sollen Leute aus der autonomen Szene die oben abgebildeten Plakate mit dem Text „NO G20 – SPARE OUR STORE“ verteilt haben – aber nur an manche, offenbar politisch genehme Ladengeschäfte. Was im Umkehrschluss bedeuten hätte, dass jene, die kein Plakat erhalten hatten, zum Abschuss freigegeben waren. So eine Art umgekehrtes Judensternprinzip also.

Wie gesagt: Keine Ahnung, ob das stimmt. Keine Ahnung, ob eine Art linksautonomes Gremium eine Selektion des Einzelhandels vorgenommen hat. Die Plakate sah man jedenfalls in den Tagen vorm Gipfel in vielen Geschäften. Heute hingen immer noch viele auf dem Kiez und in der Schanze; an unversehrten Scheiben.


Andere hatten keine „SPARE OUR SHOP“-Plakate abgekriegt, und weil sie nicht mal ein Shop waren, bastelten sie sich panisch selber welche. Die Kita in der Bernhard-Nocht-Straße zum Beispiel. 

Das Gebäude, in dem sie untergebracht ist, wurde erst vor einigen Jahren im typischen Klinker-Glas-Mix errichtet, und das macht es wohl – durch den Tunnelblick eines Pflastersteinwichtes – zum zerstörungsprädestinierten Palast des Raubtierkapitalismus. Zumindest scheint die Kita-Leitung diesen Verdacht gehegt zu haben – und appellierte vorauseilend auf schier verzweifelte Weise ans Mitleid der Randalierer. 

Ob es die Schilder waren, die wirkten, oder der Schwarze Block gerade keine Wurfgeschosse zur Hand hatte, als er durchs Viertel marodierte: Wir werden es nie erfahren. 




Mindestens einer von ihnen aber hatte zumindest eine Spraydose dabei. Und schaffte es, beim Verschönern einer Klinkerfassade in der Taubenstraße gleich zwei Rechtschreibfehler in einen einfachen Hauptsatz einzubauen. Möchte man wirklich, dass solche Leute irgendwann mal das Sagen (und Schreiben!) haben? Auch nur ein winziges Bisschen? Nope, Sir.


Eingangs des Schulterblatts brachte die Gluthitze der brennenden Barrikaden den Asphalt zum Schmelzen. Er erstarrte danach wieder zu einem welligen, grobporigen, buckligen Etwas, das nun von Baustellenmarkierungen eingezäunt ist. 

Ein paar Dutzend Meter weiter haben Anwohner des Schanzenviertels eine Wäscheleine gespannt und Zettel drangehängt, auf denen sie ihre Wut (nicht nur auf die potenziellen Mörder, sondern auch auf unseren Ersten Bürgermeister Olaf Scholz) und ihren Stolz darauf, anders zu sein als die Marodeure, aufgeschrieben haben. 

Drumherum sitzt alles bereits wieder in den Kneipen, Restaurants, auf Bänken und Gehwegen. Es ist viel passiert, aber nichts davon verdirbt ihnen dauerhaft Durst und Appetit – nimm das, Autonomer.






Den ganzen Sonntag über räumten die Schanzenbewohner ihr Viertel auf, und heute Abend sah es schon beinah wieder so hübsch abgeranzt aus wie immer – wenn man von den vielen blinden Fensterlöchern absieht, hinter denen nun Bretter und Spanplatten befestigt sind. 

In der Seilerstraße sind die grotesk wirkenden, weil in dieser Gegend eigentlich nicht überlebensfähigen Parklücken inzwischen wieder verschwunden. Das Foto unten konserviert aber die atemberaubende Ausnahmesituation für die Ewigkeit – damit die Enkelgeneration es uns auch glaubt.



Auf dem Spielbudenplatz hatte noch jemand eine Botschaft für alle, die es angeht. Eine ohne einen einzigen Rechtschreibfehler. 






20 Januar 2014

Ein Fall für den Duden


Spontan dachte ich ja beim Anblick dieses auf dem Schlachthofflohmarkt entdeckten Schildes, bei „Polover“ handele es sich um einen mir bisher unbekannten und besonders zärtlichen Kosenamen für Schwule.

Auch wenn ich schließlich begriff, wie profan der wahre Sachverhalt war, so plädiere ich hiermit doch dafür, den „Polover“ von nun an in den Kanon der Schwulenkosenamen aufzunehmen.

Duden, übernehmen Sie!


10 Juni 2013

15 November 2012

Glück im Unglück und im Keks


Neulich vermisste ich meine Kamera. Nirgends war sie zu finden. Ich schickte Rundmails an die üblichen Verdächtigen, ohne Erfolg.

Als ich drei Tage später zu Hause eine Jacke von der Garderobe nahm, sah ich sie plötzlich wieder. Sie hing mittels der Handschlaufe an einem der Jackenknöpfe. Die ohne Zweifel gerichtsfeste Rekonstruktion des Vorfalls lautet hiermit folgendermaßen:

 

Als ich den Parka, in deren Brusttasche sich die Kamera üblicherweise befindet, drei Tage zuvor von der Garderobe genommen hatte, verfing sich die Schlaufe im Knopf der darunter hängenden Jacke. Die Kamera wurde dadurch sanft und unbemerkt herausgezogen und blieb dort baumeln.

Die üblichen Verdächtigen waren also wirklich unschuldig. Das war Vorfall Nummer eins, der glimpflich ausging. Vorfall Nummer zwei betraf mein iPhone. Es befindet sich ebenfalls gerne mal in der Brusttasche des Parkas.

Beim Schlendern übern Flohmarkt fand ich es allerdings zu meiner Verblüffung in der Umhängetasche, in der ich normalerweise Flohmarkfunde wie rare Edelweine verstaue, aber niemals das iPhone.

Auch hier gelang mir dank meiner Sherlock-Holmes-schen Kombiniationsgabe eine lückenlose Beweisführung des Tathergangs: 


Ich hatte in einer Kiste gewühlt, die auf dem Boden stand, und mich tief hinabgebeugt. Dabei war das iPhone klammheimlich aus der Brusttasche gefallen – aber nicht etwa in die Kiste, sondern in meine Umhängetasche, die mir ob meiner gebeugten Körperhaltung und wohl auch in weiser Voraussicht vom Rücken vor den Oberkörper gerutscht war.

All das geschah
direkt vor meinen Augen und doch vollkommen unbemerkt. Zwei entscheidende Gadgets, ohne die mein Leben trübsinnig wäre und voller Harm und Ödnis, sind also aus purem Dummenglück weiterhin in meinem Besitz.

„Mit all dem“, fasste Ms. Columbo diese Slapsticknummern zusammen, „könntest du im chinesischen Staatszirkus auftreten.“ Anscheinend bin ich gebenedeit unter den Schusseln.

Apropos China: Im Asiarestaurant Bok im Schanzenviertel erwischte ich neulich oben abgebildete Glückskeksbotschaft, die meine gesamte Berufslaufbahn der vergangenen 25 Jahre trefflichst auf den Punkt bringt.

Irgendwie ein toll(dreist)er Monat, dieser November, wenn ich dieses Fazit schon mal ziehen darf.

22 März 2012

Die gemütlichsten Ecken von St. Pauli Hamburg (67)



Entdeckt am Schulterblatt – also dort, wo alle hinziehen wollen, koste es, was es wolle.

Gemütliche Matratzen liegen ja schon mal da.



11 März 2012

Fundstücke (155): Die hartnäckige Kortaffel



Wenn man „knadschgabutt“ (O-Ton meine Mutter) und vollzerflossen aus dem Bodyfitkurs von Chris, dem Schlächter, gekrochen kommt und an einem Plakat vorbei muss, auf dem steht „SWEAT IS WEAKNESS“, dann fühlt man sich sofort noch knatschkaputter und zudem unfein veräppelt.

Doch zum Glück gibt es
im öffentlichen Raum auch Kommunikationsversuche, die eher lustig sind als düpierend. Zum Beispiel die oben abgebildete Schaufensterwerbung in einer Schanzenboutique. Wer also demnächst vorhat, sich den ein oder anderen Menschen mit geschlechtsunabhängigen 50 Prozent Ermäßigung anzuschaffen, sollte dort einmal vorbeischauen.



Die Kumpir-Kette hingegen beharrt seit Jahren hochoffiziell per Leuchtreklame darauf, eine „Patoto“ statt „Potato“ zu backen, und zwar stadtteilübergreifend, denn ich habe das gleiche Schild schon vor Jahren im Grindelviertel entdeckt.

Mein Rat daher an die Kumpir-Kette: Verwendet doch einfach das hübsche Wort „Kartoffel“, dann dürften solche Blamagen bald Geschichte sein. Andererseits gibt es natürlich auch die Möglichkeit „Kortaffel“ …

Ach, macht doch, was ihr wollt.


02 März 2012

Über den Wolken



Es ist eine objektiv feststehende Tatsache vom Range eines Axioms, dass Damien Jurado mit „Cloudy Shoes“ den bisher besten Song des laufenden Jahrzehntes geschrieben hat, und ich würde mich auf Bon Ivers Küchentisch stellen und diese Behauptung wiederholen.

Doch der gute Damien spielte und spielte dieses Stück einfach nicht bei seinem Konzert heute Abend im Schanzenviertel. Stattdessen trug er weiße Socken, und zwar ohne Schuhe. Erst vor den Zugaben unterwarf er sich den bewährten Regeln öffentlichen Verhaltens und bedeckte sich.

Und deshalb wird, wie Sie oben sehen können, seine akustische Solofassung von „Cloudy Shoes“, welche er erst auf unser nachhaltiges Insistieren anstimmte, zum Glück nicht von ästhetischen Tabubrüchen kontaminiert.

Wer sich die episch-psychedelische Originalversion von „Cloudy Shoes“ anhören möchte: bitte sehr.




26 Februar 2012

Pilates auf Piña Colada



Es gibt Fragen, die man sich nur in Hamburg stellen kann. Zum Beispiel: Wohin gehen wir heute Abend – ins Uebel & Gefährlich oder ins Freundlich + Kompetent?

Vorgestern entschieden wir uns für ersteres, um den australischen Überflieger Gotye – die exakte Schnittmenge aus Sting, Phil Collins und Peter Gabriel – seinen Riesenhit „Someone that I used to know“ singen zu hören.

Immer wenn ich im Uebel & Gefährlich bin, frage ich mich übrigens, warum Betreiber Tino Hanekamp (den mein Rechtschreibprogramm hartnäckigst zu „Dino Hansdampf“ verballhornen möchte) das „Uebel“ mit Ue, das „gefährlich“ aber mit Umlaut schreibt. Und wahrscheinlich hat er es genau aus diesem Grund getan, dieser Fuchs.

Gestern Abend ging es aber weder ins U&G noch ins F+K, sondern ins Haus III&70, wo die hier in diesem Blog sehr beliebte Berliner Songwriterin Julia A. Noack spielte – und das trotz der überaus schlechten Erfahrung beim letzten Auftritt ebenda.


Julia ist weltweit die einzige Songwriterin, die ungestraft „Pilates“ auf „Piña Coladas“ reimen darf, ohne von uns mit Schuhen beworfen zu werden. Im eingebundenen Video aber singt sie überhaupt nicht, sondern loopt höchst mantraesk das Ende ihres Songs „Leave the door ajar“ vor sich hin.

Als ich ihr nach dem Konzert androhte, diese Passage auf YouTube hochzuladen, guckte sie panisch und sagte: „Aber nur, wenn es gut ist.“ Versprochen.

Wie ist es eigentlich im Freundlich + Kompetent?
Ich war noch nie da.


20 Februar 2012

Fundstücke (153)

Noch während ich dieses Schild in der Sternstraße im Schanzenviertel fotografierte, glaubte ich an einen unfreiwilligen Missgriff der Kioskinhaber. Vielleicht hatten sie ja „Alkoholika“ gemeint.

Doch die daneben ausgestellten Fotos des sogenannten „geschulten Personals“ belehrten mich eines Besseren. Darauf zu sehen waren nämlich ausschließlich mittel- bis vollderangierte Männer, die der Gruppenbezeichnung des Schildes außergewöhnlich treffsicher entsprachen.


Nein: Das hier war keine Real-, sondern gewollte Satire. Eine, welche die tagtägliche Kioskwirklichkeit wahrscheinlich ebenso gut widerspiegelte, wie sie dem anvisierten Zielpublikum Heimeligkeit suggerierte. Sie war somit Fazit und Ausblick zugleich.

Und da sage noch einer, die Schanze sei nur was für Hipster.


08 November 2011

Keine Chance mehr für die Schanze?



„Also jetzt glaube ich auch, dass die Schanze gentrifiziert wird“, sagte Ms. Columbo, als wir gestern im Zirkusweg dieses Plakat auf einer Litfaßsäule erblickten.

Und das stimmt: Es gibt kaum ein stärkeres Indiz dafür, dass ein Stadtviertel von gehobener Bürgerlichkeit infiltriert wurde, als der Bau einer Waldorfschule.

Wenn man diese von einem esoterischen Rassisten gegründete und von seinem Denken weiterhin subkutan kontaminierte Verbildungseinrichtung erst mal im Viertel hat, dann ist alles zu spät. Schon das Deppenleerzeichen auf dem Plakat ist Vorbote verheerenden Unheils.

„Wo ist eigentlich der schwarze Block, wenn man ihn mal braucht?“, wäre mir deshalb beinah rausgerutscht. Doch zum Glück
wird das niemand je erfahren.

22 August 2011

Die Jo-Jos der Avantgarde



Eine Frau in mittleren Jahren verteilt die Zeitschrift „Spartakist“, es riecht nach Bratwurst und gebrannten Mandeln. Rastafaris verkaufen tropische Cocktails, vor der Roten Flora gibt es „Soli-Bier“ für einszwanzig, am Kuchenstand läuft Punk. Schwangere Mütter mit bereits geschlüpftem Nachwuchs im Tragetuch blättern in Kisten mit angeschmuddelten Platten der Dead Kennedys, und trotz der Hitze würden viele hier eher auf Dixieklos verzichten als auf ihr Palästinensertuch:


Hach, ich liebe das Schanzenfest.

Es erinnert mich an alte Studienzeiten in Marburg. Man fühlt sich links und gut, das ganze Schulterblatt ist gesperrt, Tausende schieben sich übers Pflaster, vorbei an Transparenten und Ständen mit veganem Hack, und ich mit meinem Rad mitten in der Masse, während eine Frau rechts von mir ihrem Begleiter zuraunt: „Warum müssen diese Leute auch ihr Fahrrad mitbringen …“


Tagsüber ist das Schanzenfest ein wunderbarer Ort voller Sonne, Familien und aufrecht ums Weltwohl Besorgter, doch wenn es dunkel wird, brennen seit einigen Jahren rituell die Barrikaden.

Als ich allerdings einen Flohmarktstandbesitzer rufen hörte: „Leude, seid Teil der Avantgarde, kauft Jo-Jos!“, da wusste ich, dass es abends nicht so schlimm werden würde wie sonst. Und genauso kam es auch: ein bisschen wurde gezündelt und gekloppt, fünf Polizisten mussten zum Arzt – Pipifax gegenüber 2010.

Wer genau da jährlich an jedem Schanzenfestabend jeweils mit Ansage rummarodiert, ist mir allerdings inzwischen noch unklarer als in den Jahren zuvor. Anlass zu dieser Verunsicherung gibt dieses YouTube-Video.

Dort ist nämlich ein Mann zu sehen, der die pyromanischen Kinderspiele allem Anschein nach dazu nutzt, um den richtigen Winkel des Hitlergrußes zu üben, und zwar mit dem linken Arm (ab 00:55). Doch keiner aus der Menge beweist ihm, dass man auch mit dem zusammengeknüllten „Spartakist“ sehr gut ein Maul stopfen kann.

Wo seid ihr, liebe Selbstreinigungskräfte, wenn man euch mal braucht?


19 August 2011

Bahrdt, der iPhone-Basher



Ich finde ja (wenngleich aus zugegebenermaßen egoästhetischen Gründen), Vince Bahrdt von Orange Blue hat die geilste Frisur der Welt.

Heute Abend, als er uns in der Kaffeerösterei Elbgold auf der Schanze sein neues Soloalbum vorstellte, plante ich ihm das auch in angemessenen Worten mitzuteilen, doch er war zu sehr damit beschäftigt, sein iPhone niederzumachen, deshalb kam ich gar nicht zu diesem schmeichelhaften Einwurf.

Er könne alles mit seinem Handy machen, fluchte er, Internet und so: alles Klasse, aber das Telefonieren – eine einzige Katastrophe. Ständig brächen die Gespräche zusammen. „Vince, bist du noch dran? Vince?“, äffte er verzweifelte Gesprächspartner nach.

Bestimmt ein iPhone 4, dachte ich als zufriedener 3GS-Besitzer, und verlieh dieser Vermutung auch unverblümt Ausdruck. „Stimmt!“, rief Bahrdt, holte sein Handy aus der Tasche und pfefferte es mit verächtlicher Verve auf den Tisch, als sei es aus verwindungssteifem Carbon.

„Verwindungssteif“ ist übrigens mein drittliebstes deutsches Adjektiv, aber das nur nebenbei.

Sein Handy hatte keine Schutzhülle, aber einen buntschimmernden Fettschlier auf dem schutzhüllenlosen Display. „Das iPhone 4“, dozierte ich souverän Halbwissen vom Hörensagen, „soll ja Verbindungsprobleme haben, wenn man es mit der linken Hand unten an der Ecke umfasst.“ Vince schaute mich großäugig an. „Ja!“, rief er, „ganz genau! Hier sitzt die Antenne, hier unten!“

Dann balancierte er das Telefon parodistisch auf der flachen Hand und simulierte mit hoher Parodiestimme ein Telefongespräch. Ich schmunzelte in mich hinein. Man muss halt nicht immer das neuste Modell besitzen.

„Und: Wie ist momentan die Internetqualität?“, fragte ich forsch und rief zum Balkenvergleich mit meinem 3GS. Das Display machte mir Mut: Es zeigte vier von fünf. Damit setzte ich ohne Zweifel eine schwer zu toppende Marke.

Doch Vince kniff. „Wenn ich das jetzt einschalte“, behauptete er mit deutlichen Anzeichen stolzen Geschmeicheltseins, „macht es nur bing, bing, bing, ständig bing, bing, bing.“

Ich lehnte mich zurück. Jetzt konnte ich mir die Bemerkung mit der geilen Frisur endgültig sparen.

22 Februar 2011

Der Ätschi-bätschi-Gott



Ein etwa 17-jähriges Mädchen marschiert telefonierend bei Rot über die vierspurige Stresemannstraße, ohne den Verkehr auch nur eines Blickes zu würdigen.

Es gibt schließlich Wichtigeres als eine Tonne heranrauschendes Todesblech, und das Wichtigere kommt gerade aus einem kleinen Kästchen mit SIM-Karte, welches das Mädchen fest ans Ohr presst. Auch als das ignorante Teenie mitten auf der Straße empört angehupt wird, zeigt es keine Reaktion, sondern schlurft weiter, über die nächsten zwei Spuren.

Echt cool, die Kleine. Und entschieden suizidal, freilich ohne es zu ahnen.


Das hupende Auto verfehlt das Mädchen knapp. Wir schauen fasziniert zu. „Solchen Leuten“, moniert Ms. Columbo mit einer Mischung aus Genervtheit und Bewunderung, „passiert immer nichts.“ „Nun“, erwidere ich, „das würde ja einen Gott voraussetzen, der sich als eine Art Kontraindikator versteht.“ „Genau!“, pflichtet mir Ms. Columbo bei, „ein Ätschi-bätschi-Gott!“

So verwunderlich wäre das freilich gar nicht, denn schon in der Bibel wird von einer eingehenden Psychoanalyse berichtet, die zu dem beunruhigenden Ergebnis kommt, die Wege des Herrn seien unergründlich. Und zur Unergründlichkeit gehört es unbedingt dazu, auch mal optional die Verdammenswerten zu hätscheln und die Folgsamen zu vierteilen.

Das Mädchen, das da so sinnierend und in sich gekehrt über die vierspurige Stresemannstraße stapfte, kam jedenfalls mit dem Leben davon. Wohl bald schon wird es seinen fragwürdigen Genpool wider alle Vernunft reproduzieren, vielleicht sogar mithilfe seines Gesprächspartners am anderen Ende der Handyverbindung, wer weiß das schon.

Als wir Zeuge dieses Vorfalls wurden, kamen wir übrigens gerade aus einem mit bröckeligen Kacheln verkleideten Café namens Herr Max (Foto) in der Schanze, wo es den definitiv besten Espresso gibt, den man für einen Euro kaufen kann.

Ich würde mich übrigens auf die Theke des Caffe Latte stellen und das wiederholen. Aber dort ist der Espresso eh teurer.


07 September 2010

Alles Handarbeit (würg)



Unangefochtenes Zentrum des in Hamburg weltberühmten Galãostrichs am Schulterblatt ist das Transmontana, das hier schon mehrfach wohlwollend Erwähnung fand.

Das Transmontana ist ein hochcharmantes portugiesisches Café mit einem Bestelltresen direkt links hinter der Eingangstür, so dass die Gästeschlange immer den Durchgang versperrt. Und im Transmontana ist immer Schlange. Der Laden ist in der Schanze beliebt bis zur Vernarrtheit, hier kaufen Studenten, Werber und Autonome in friedvoller Eintracht ihre Natas. Oder ihre Sandwiches – und die sind das Problem.

Die einzelnen Zutaten liegen griffbereit in sichtbaren Schalen unterm Glastresen, und wenn eine der anscheinend nach strikt ethnischen Kriterien ausgewählten Tresendamen (alles Portugiesinnen, wie’s scheint) ein Sandwich ofenfertig kompiliert, dann läuft das so:

Zunächst greift die stets dralle, offensichtlich unaufhaltsam dem Matronenhaften entgegenevolvierende Tresenfrau mit durchaus wurstigen Fingern in den Mozzarella und knatscht ihn auf die gebutterten Brötchenhälften. Dann grabscht sie so grob wie geübt in die Salamischale, pappt die Wurst auf den Käse, ehe sie ihre weiterhin ungewaschenen Flossen im Tomatenkübelchen versenkt. Dort fischt sie zwei tropfende Scheiben heraus, packt sie aufs Brötchen und matscht sie genüsslich mit bloßen Händen fest auf den Rest.

Zwischen zwei Sandwiches kassiert Ms. Salmonella Kaffee ab, nimmt speckige 10-Euro-Scheine entgegen und kramt im menschenfettverschlierten Münzwechselgeld. Und schon wühlen sich ihre glänzenden Finger wieder durch Käse, Wurst und Tomaten …

Dass die Sandwiches nach der eklen Prozedur in einer Art Waffeleisen mehrere Minuten lang erhitzt werden, ist zwar in erster Linie rezeptkonform; doch gleichzeitig dürfte das die komplette Entvölkerung des Schanzenviertels durch Streptokokkeninfektionen etwas hinauszögern.

Grundsätzlich wäre dieser Entvölkerungseffekt womöglich sogar zur begrüßen, dann sänken wenigstens die Mieten wieder und Schilder wie das abgebildete würden überflüssig. Doch damit entzöge sich das Transmontana zugleich auch seine eigene Geschäftsgrundlage, und das kann keiner wollen.

Wir kaufen dort übrigens stets nur Natas (gebenedeit sei ihr Erfinder). Die holen sie im Transmontana nämlich immer nur mit Zange vom Tablett, weiß der Teufel warum.


04 September 2010

Abfackeln ja – aber erst ab 50 Mille!



So, heute findet mal wieder unser lustiges und daher bundesweit bekanntes Schanzenfest statt.

In den letzten Tagen sollen Autonome im Viertel ein aufs Fest einstimmendes Flugblatt verteilt haben, in dem angeblich steht, das begleitende Abfackeln herumstehender Autos sei durchaus genehm – allerdings nur, sofern das Zielobjekt mindestens 50.000 Euro gekostet habe.

Wie kommen die Jungs und Mädels auf diesen Betrag? Klar, sie sind AUTOnome, also müssen sie was von Autos verstehen, aber die Berechnungsbasis würde mich schon auch en detail interessieren. Dürfte man als Autobesitzer zum Beispiel die Abwrackprämie gegenrechnen? Das sind so Fragen.

Wie auch immer: Jeder, der im Rahmen des Schanzenfestes Autos verbrennen möchte, sollte tunlichst eine Preisliste aktueller Modelle mit sich führen, damit ihm kein Fehler unterläuft. Sonst verdächtigt er vielleicht versehentlich einen völlig unschuldigen Mercedes E 250 CDI (204 PS, 6-Gang) der Abfackelbarkeit – dabei kriegt man den im Web schon für 49.861 Euro; ich habe recherchiert.

Es ist halt wie bei der Steuerprogression: Hast du irgendwann auch nur einen lausigen Euro zu viel, schnappt die Falle zu – wie zum Beispiel beim abgebildeten VW Touareg 3.0 V6 TDI (239 PS, 8-Gang-Automatik; Foto: VW) mit dem aber auch wirklich saudummen Listenpreis von 50.700 Euro.

Autonome sind also gewissermaßen wie das Finanzamt – und in ihrer strammen Orientierung an Grenzwerten sehr deutsch. Beruhigend, irgendwie.

17 April 2010

Fremdschämen am Schulterblatt



Eins vorweg: Ich fühle mich grundsätzlich wohl unter Menschen, die so alt sind, wie ich mich fühle. Doch gestern Abend im Haus 73 am Schulterblatt war das anders.

Das Haus 73 ist ein Veranstaltungszentrum mitten auf der Schanze, wo Autonome und Hausbesetzer regelmäßig der Polizei überdeutlich guten Tag sagen, wo sich Studenten, Werber, Veganer, Gentrifizierungsgegner und Bachblütenblödis an schönen Tagen auf dem Galaostrich gemeinsam die Sonne auf Designerbrillen, Palästinensertücher und Batikhemden scheinen lassen.

Dort also, im Haus 73, spielten gestern Abend bei kostenlosem Eintritt drei Songwriter, darunter die wunderbare Berliner Folksängerin Julia A. Noack – und alle wurden sie von einer schambefreiten Schanzenmischpoke gnadenlos niedergequatscht.

Einer blökte so lange in sein Headset, bis German Psycho ihn die Kellertreppe hinabstieß – doch leider konnte der so tapfere wie gnadenlose Kämpfer für höfliche Ruhe beim Konzert nicht überall sein. Ein Frauentrupp mit normierter Kurzhaarfrisur etwa erörterte über drei Sesselreihen hinweg, wer wie viel Milch in seinen Latte Macchiato haben möchte; ein Schlabbertyp mit am Kopf festgewachsener Kapuze laberte zurücklabernde Studentinnen an, ein Hornbrillenhornochse kickte Astraflaschen über den Steinfußboden.

Derweil wälzte sich eine unablässige Schlange von Leuten zum Rauchen raus und begegnete an der Tür neben der Bühne einer unablässigen Schlange von Leuten, die gerade vom Rauchen zurückkamen.

Und in diesem heillosen Tollhaustohuwabohu – verursacht von
dumpfbräsigen Ignoranten, die sich für die urbane Avantgarde halten – versuchte Julia A. Noack aus Berlin kleine feine Zupfgeschichten von Grizzlymädchen und angelehnten Türen zu Gehör zu bringen. Vergeblich.

Kurzum, Schanze: Ich habe mich selten so fremdgeschämt wie gestern Abend. Und jetzt bin ich irgendwie doch froh, dass du seit dem 1. März 2008 nicht mehr zu St. Pauli gehörst.

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