22 August 2011

Die Jo-Jos der Avantgarde



Eine Frau in mittleren Jahren verteilt die Zeitschrift „Spartakist“, es riecht nach Bratwurst und gebrannten Mandeln. Rastafaris verkaufen tropische Cocktails, vor der Roten Flora gibt es „Soli-Bier“ für einszwanzig, am Kuchenstand läuft Punk. Schwangere Mütter mit bereits geschlüpftem Nachwuchs im Tragetuch blättern in Kisten mit angeschmuddelten Platten der Dead Kennedys, und trotz der Hitze würden viele hier eher auf Dixieklos verzichten als auf ihr Palästinensertuch:


Hach, ich liebe das Schanzenfest.

Es erinnert mich an alte Studienzeiten in Marburg. Man fühlt sich links und gut, das ganze Schulterblatt ist gesperrt, Tausende schieben sich übers Pflaster, vorbei an Transparenten und Ständen mit veganem Hack, und ich mit meinem Rad mitten in der Masse, während eine Frau rechts von mir ihrem Begleiter zuraunt: „Warum müssen diese Leute auch ihr Fahrrad mitbringen …“


Tagsüber ist das Schanzenfest ein wunderbarer Ort voller Sonne, Familien und aufrecht ums Weltwohl Besorgter, doch wenn es dunkel wird, brennen seit einigen Jahren rituell die Barrikaden.

Als ich allerdings einen Flohmarktstandbesitzer rufen hörte: „Leude, seid Teil der Avantgarde, kauft Jo-Jos!“, da wusste ich, dass es abends nicht so schlimm werden würde wie sonst. Und genauso kam es auch: ein bisschen wurde gezündelt und gekloppt, fünf Polizisten mussten zum Arzt – Pipifax gegenüber 2010.

Wer genau da jährlich an jedem Schanzenfestabend jeweils mit Ansage rummarodiert, ist mir allerdings inzwischen noch unklarer als in den Jahren zuvor. Anlass zu dieser Verunsicherung gibt dieses YouTube-Video.

Dort ist nämlich ein Mann zu sehen, der die pyromanischen Kinderspiele allem Anschein nach dazu nutzt, um den richtigen Winkel des Hitlergrußes zu üben, und zwar mit dem linken Arm (ab 00:55). Doch keiner aus der Menge beweist ihm, dass man auch mit dem zusammengeknüllten „Spartakist“ sehr gut ein Maul stopfen kann.

Wo seid ihr, liebe Selbstreinigungskräfte, wenn man euch mal braucht?


6 Kommentare:

  1. Lieber Matt,

    für solche Sprüche:

    "Doch keiner aus der Menge beweist ihm, dass man auch mit dem zusammengeknüllten 'Spartakist' sehr gut ein Maul stopfen kann."

    gib's in England zurzeit vier Jahre ohne Bewährung.

    Gruß, Stefan

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  2. Das bezweifle ich. Immerhin handelt es sich nur die Schilderung einer Beobachtung … ;)

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  3. Wieso sollten die Leute da einem Gesinnungsgenossen das Maul stopfen...?

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  4. Möglicherweise war es dieses mal ruhig, weil im Vorfeld die Auto-Abfackel-Wert-Grenze den wirtschaftlichen Bedingungen angepasst und auf 5.000 Euro herabgesetzt wurde. Haben Sie sich mal umgeschaut, ob entsprechende Flugblätter im Umlauf waren?

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  5. Es ist schade, dass das eigentlich unschlagbar schöne, friedliche und relativ unkommerzielle Schanzenfest in jedem Jahr mit den im Video gezeigten Krawallen endet. Mir fehlt jedes Verständnis für diese Proleten, das hat mit politischem Kampf auf jeden Fall nix zu tun. Und Stefan: Den von Ihnen gewählten Vergleich würde man in England als "to compare apples to oranges" bezeichnen ;)

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  6. German Psycho, Sie wissen doch: Rhetorische Fragen werden hier nicht mal ignoriert … ;)

    Anonym 19:32 Uhr: Ich habe nur den Spartakist gesehen, aber nicht reingeschaut. Ihre These hätte allerdings, wenn sie zuträfe, zum gegenteiligen Effekt führen müssen. Es gibt erheblich mehr Autos mit Restwerten um die 5.000 Euro als welche jenseits der 50.000 – gerade auf der Schanze.

    Anonym 19:47 Uhr: Mir kommt es auch so vor, dass viele sich nur austoben wollen, was aber von manchen Linken leider romantisierend zum Klassenkampf umgedeutet wird, statt die Krawallos und Hitlergrußüber auszugrenzen.

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