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12 November 2023

Nick Drake goes Palazzo

Erneut war ich eingeladen zur Vorpremiere der kulinarisch aufs Vorzüglichste kontaminierten Variéteveranstaltung Palazzo in Hamburg. Der übliche Spiegelpalast, wo all das Wohlheil offiziell ab heute seinen Lauf nimmt, steht diese Saison auf einer Pferderennbahn; das Menü kommt wie immer von der Hamburger Spitzenköchin Cornelia Poletto.

Unabhängig von den unterhaltsamen Darbietungen – etwa der Schlangenfrau aus Äthopien, bei deren rückgratlosen Verbiegungen und -renkungen ich nicht immer hinschauen konnte – hatte mich das diesjährige Programm schon vor der Vorspeise in den Bann geschlagen, nämlich als die Band um den südafrikanischen Soulsänger Yamisava meinen Lieblingssong von Nick Drake coverte: „Northern Sky“

Ich glaube, wenn man mich gefragt hätte, was ich am wenigsten an diesem Palazzo-Abend erwartet hätte, dann hätte ich gesagt: dass jemand „Northern Sky“ von Nick Drake covert. Yamisava singt wie ein Hybrid aus Marvin Gaye und Nat King Cole, abgeschmeckt mit einer Prise Sam Cooke.

Jedenfalls hätte es ab dem „Northern Sky“-Moment nur noch schlechter werden können, wurde es aber nicht – zumindest wenn man vom tollpatischen Nachbarpaar zu meiner Linken absieht. Zunächst kippte er ein Glas Riesling (Markus Pfaffmann, Pfalz, Jahrgang 2022) ohne weitreichende Folgen quer über den Tisch, und etwa eine Stunde später legte seine Begleiterin mit einem Glas Mineralwasser (S. Pellegrino, Jahrgang unbekannt) nach – diesmal allerdings wurden meine Hose und unser beider Smartphones in Mitleidenschaft gezogen.

Dieser Zwischenfall ereignete sich kurz nach der Nummer des Clowns Kasimir, der mit drei Jonglierbällen in der Hand auf- und absprang und seine eigene Frage „Mit wie vielen Bällen springe ich hier auf und ab?“ mit „Fünf“ auch gleich selbst beantwortete. Ja, das Publikum und ich brauchten auch einen Moment, ehe wir die Zählung erfolgreich verifzieren konnten.

Alles zum diesjährigen Palazzo-Motto („Ladies first“), zur Show, den Artisten, zum Menü und dem ganzen Rest gibt es auf der Palazzo-Website. Hier hingegen endet jetzt alles mit einer kleinen Fotoschau.





 

11 November 2022

Zurück in Polettos Palazzo


Endlich wieder Palazzo! Diesen wilden Mix aus Koch- und Körperkunst hatte in den letzten beiden Jahren leider Corona gecancelt. Die Eintrittspreise (99 Euro für die Bühnenloge an normalen Tagen, 3.600 Euro für die Direktionsloge an Silvester) decken ein recht breites Spektrum zwischen Bürgergeld und Bonzenjahresbonus ab, doch wir waren dankenswerterweise eh eingeladen. Und mit uns traditionell auch der legendäre Franke, diesmal sogar samt Sohn, einem hochtalentierten baldigen Volljuristen. Der Apfel fällt also manchmal doch weit vom Stamm!

Damit will ich dem Franken natürlich keineswegs zu nahe treten; er hat halt nur ganz andere „Qualitäten“, deren ausführlicher Dokumentation sich dieses Blog unter großen persönlichen Opfern des Betreibers seit sehr, sehr Langem verpflichtet fühlt.

Dazu, zu des Franken Qualitäten, gehört es zum Beispiel, sich der oralen Elimination von Eismeerlachstatar mit Avocado, Babyromanasalat und Kräutervinaigrette zu widmen. Eben dies hat uns Palazzo-Küchenchefin Cornelia Poletto als Vorspeise komponiert. Als Appetizer jonglierte vorher ein Australier namens Jeromy Nuuk mit bis zu sieben Bällen gleichzeitig, und das geht gar nicht. Punkt. Aber so steht es geschrieben, und zwar hier. Also muss es wahr sein.

Nach der Bauchrednernummer von Daniel Reinsberg fragt eine Tischnachbarin bass ratlos in die Runde: „Wisst ihr, wie er das macht?“ Im Prinzip ja: reden, ohne ’s Maul aufzumachen. Rein ablauforganisatorisch bleibt hingegen vieles im Unklaren. Wie es etwa möglich ist, auch Buchstaben glasklar hervorzubringen, zu deren Artikulation man nun mal notwendigerweise die Gosch’n öffnen muss (zum Beispiel Vokale), das hat der feine Herr Reinsberg natürlich für sich behalten.

Als Zwischengang kommt Parmesansuppe mit grünem Spargel und Grissinicrunch. Man lässt uns zudem als ultimative Verlockung einen gut gefüllten Nachschlagtopf samt Kelle da, was – wie ich zugeben muss – nicht nur für den Franken eine Versuchung darstellt, der zu widerstehen uns einfach die charakterliche und sittliche Reife fehlt. Und zwar mehrfach hintereinander.

Weiter geht’s mit Comedy, Seil- und Mitmachnummern, viel Musik der Hausband und dem Hauptgang „Polettos Chickeria“: glasierte Perlhuhnbrust mit Süßkartoffelpüree, wildem Brokkoli und Vadouvanjus. Vadouwatt?, fragen Sie sich bestimmt jetzt auch, und die Antwort lautet laut Google: eine indische Gewürzmischung. Wieder was gelernt.

Nach dem Dessert (Vierländer Apfel „caldo e freddo“ mit Salzkaramellsauce) und der abschließenden Handstandnummer von Junru Wang (Foto), deren Rückenmuskulatur mindestens so eindrucksvoll ausgestaltet ist wie ihre Balancierfähigkeiten, geht es heiter wieder heim nach St. Pauli.

Der krisenbedingt etwas abgespeckte Palazzo 2022 wirkt nun hoffentlich nur in der Erinnerung nach und nicht auch in Form einer heimischen Omikronzucht. Bei einer ordentlichen Dauerdurchlüftung des gemütlichen Spiegelzelts hätten wir uns jedenfalls noch wohler gefühlt.

Ach ja: Sollten Sie noch ein hochskurriles Weihnachtsgeschenk suchen – „Die Frankensaga“ ist weiterhin lieferbar und harret eines entsetzenbereiten Publikums.




17 November 2019

Essen, was aufn Tisch kommt

Nach langer Zeit ist es mal wieder passiert: Ich habe vorm Franken meinen Teller leer. Wer hier seit rund anderthalb Jahrzehnten mitliest, weiß sehr wohl, wie erwähnenswert diese Tatsache ist.

Wir sind im Palazzozelt an den Deichtorhallen, wo man uns mit Artistik, Kulinarik und Showeinlagen verwöhnt. Das hier ist der erste Gang, Vitello tonnato, Scheiben vom Holsteiner Kalb mit Tunfisch und Kapernäpfeln, und der Franke staunt: „Du vor mir fertig? War ja noch nie da.“ Doch, war es wohl, aber jeder meiner raren Erfolge wird natürlich vom Grundrauschen der Vielzahl seiner zerschmetternden Siege überdröhnt. „Aber der Abend“, droht er, „ist ja noch lang.“

Das stimmt – lang, aber dank der Künstler- und Artistenschar kurzweilig. Vor allem die Conferencière, die US-Amerikanerin Ariana Savalas, sorgt für gehobenes Niveau und verleiht dem Showmotto „Glanz & Gloria“ Glam und Glitzer, nicht nur wegen ihres in allen Spektren einer Discokugel funkelnden Abendkleides.

Wir sind derweil beim Zwischengang, confiertem Eismeerlachs mit Zitronenknusper, übergossen (von mir als Dienstleister für alle am Achtertisch) mit einem Blumenkohlsüppchen. Hier ist der Sieger nicht hundertprozentig feststellbar, da wir alle Nachschlag nehmen. Wertung zur Güte: Remis.

Zwischen den Nummern der Artisten – darunter ein Spanier namens Ramiro Vergaz, der mit bis zu sechs kapitalen Kegeln jongliert, was eindeutig von den Naturgesetzen so nicht vorgesehen ist – neckt Frau Savalas am Nachbartisch einen Gast mit Spötteleien über sein Outfit (Sweatshirt und Jeans). Zwar trage ich zum Glück einen mitternachtsblauen Schurwollanzug von Gieves & Hawkes, doch mir wird unschön bewusst, dass angesichts meines Sitzplatzes der Franke die letzte Brandmauer zwischen Savalas und mir ist. Im Notfall wäre zwar er zum Glück als Opfer leichter erlegbar, doch verspricht er für diesen Fall der Fälle, jeden auf Interaktivität erpichten Künstler eindringlich an mich zu verweisen.

Nun zum Hauptgang: Rücken und Bäckchen vom spanischen Eichelschwein mit knackigem Wokgemüse und Gewürzjus. Dazu spielt die Band Boomraiders Schweinerock. Darf sie herzlich gern, doch täte sie das etwas leiser, könnte man sich bei Bedarf auch mal mit seinem Tischgegenüber unterhalten. So bleibt mir als Gesprächspartner im Wesentlichen meine Brandmauer, der Franke, gegen den ich beim Hauptgang sehr, sehr knapp verliere.

Das vermaledeite Problem bei diesem von der Hamburger Spitzenköchin Cornelia Poletto konzipierten Menü ist aber auch, dass es viel zu gut mundet, um sich ernsthaft eines gebremsten Esstempos befleißigen zu können. Nach jedem Bissen denkt man: Hmm, jetzt gerne schon den nächsten. Und schwups, ist schon wieder ein Gang weg. Hier im Palazzozelt jedenfalls wird besonders gern und rasch gegessen, was auf den Tisch kommt.

Dieser Mechanismus setzt übrigens nur bei den Aufstrichen nicht ein, die als Amuse-Gueule in Porzellanschiffchen auf dem Tisch stehen. Merkwürdig durchschnittlich, geradezu gewöhnlich, wundert man sich – bis man im Programmheft auf die Sponsorenliste stößt. Darunter: Exquisa. So was schafft natürlich Sachzwänge, gegen die sich wohl auch eine Cornelia Poletto nicht wehren kann. Dann eben wenigstens hübsche Porzellanschiffchen als Trägermedium.

Nach atemberaubenden Trapez-, Bänder- und Stangennummern steht das Dessert an: Kokosbaiser mit Mascarponecreme, exotischen Früchten und Ananassorbet. Ein buntschillernder Strauß sich nur scheinbar widersprechender, doch letztlich miteinander verschmelzender Aromen; von allen am Tisch – Carnivoren wie Vegetariern – erhält das Dessert die Bestnote.

Der Franke und ich trennen uns hierbei schiedlich, friedlich unentschieden. Mehr von diesem seit rund anderthalb Jahrzehnten andauernden Wettstreit zwischen Goliath und mir dann nächstes Jahr. Oder spontan noch mal in den kommenden Wochen: Das Palazzozelt steht hier noch bis März.

Savalas verschonte uns übrigens beide. Tragen Sie also bloß nicht Sweatshirt und Jeans!


PS: Es gab natürlich von allen Gängen eine vegetarische Variante. Wie mir Ms. Columbo bestätigte, waren auch diese von erheblicher Qualität; ihre leise monierte Würzdezenz bei der Vorspeise (Auberginen-Caponata) sei, wie sie sagt, eine Klage auf hohem Niveau.

PPS: Zu dieser Veranstaltung waren wir eingeladen.

Foto: Palazzo Produktionen GmbH




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09 November 2018

Fluchtpunkt Topinamburschaumsüppchen


Eins muss man ja mal deutlich festhalten: Ohne den schlüpfrigen Santa-Pauli-Weihnachtsmarkt und das Varietézelt Palazzo wäre die Vorweihnachtszeit in Hamburg nichts weiter als eine fantasielose Glühweinverklappungstortur vor bisweilen wenigstens schöner Kulisse.

Während uns Santa Pauli alljährlich vielerlei unchristliche Aktivitäten wie etwa ein geschlechterübergreifendes Stripzelt anempfiehlt (sie schrauben drüben aufm Spielbudenplatz übrigens just die Buden zusammen), setzt die Dinnershow Palazzo im Spiegelpalast an den Deichtorhallen heuer zum fünften Mal auf die Verbindung von Kulinarik und Artistik. Und diesmal spart die Mottoshow namens „Kings & Queens!“ sich – im Gegensatz zum vergangenen Jahr – glücklicherweise auch die derben Zoten. Ohne freilich bei den Akrobatennummern auf Erotik zu verzichten.

Sogar für Interessierte mit eher fließenden Geschlechterdefinitionen ist einer abgestellt: Der Spanier Omar Cortes Gonzalez (großes Foto), einst Turnolympionike in Sydney 2004, hangelt sich in Travestiemontur an baumelnden Bändern durch die Tiefe des Raums und vor allem dessen Höhe. „Er sieht ein wenig aus wie der Bruder von Conchita Wurst“, flüstert mir mein Schwippschwager zu. Korrekt.

Mit Ms. Columbo, dem Franken und besagtem Schwippschwager saß ich an einem optimal platzierten Tisch: nah genug am Geschehen, doch ausreichend weit weg, um bei der in einer halbvollen Badewanne startenden Luftnummer von Fréderique Cornoyer-Lessard ohne Wasserflecken auf dem Sakko davonzukommen; dicht dran und doch auf der richtigen Seite des Tisches, um den üblichen Mitmachspäßken zu entgehen und stattdessen weiter vergnügt am weißen D’Artagnan nippen zu können.

Palazzo – das bedeutet reinsten Eskapismus. Denn was kümmern uns noch Trump, Horst und Erdogan, was Schäfer-Gümbels Griff nach der Macht in Hessen oder die zweifelhafte Zukunft der gesetzlichen Rente, wenn wir unter einer rot illuminierten Zeltkuppel gemütlich Angeldorsch und Speckknusper aus Cornelia Polettos Topinamburschaumsüppchen fischen dürfen?

Die Realität in Form einer fantasielosen Glühweinverklappungstortur vor bisweilen wenigstens schöner Kulisse holt uns noch früh genug ein. Denken Sie an meine Worte.


Disclaimer: Zu dieser Veranstaltung war ich eingeladen.



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10 November 2017

Zoten, Zoff und Ziegenricotta


Nicht nur aus alliterierenden Gründen – ich schlug dort mit dem Franken, den Frauen und Freunden auf – war der gestrige Abend im Palazzo-Spiegelzelt an den Deichtorhallen ein erinnernswerter. Man fühlt sich dort ein wenig wie auf einem Kreuzfahrtschiff: eingetaucht in eine künstliche Schummerwelt ohne Gestern und Morgen, in der die Stunden unversehens verfliegen. Ein Abend getaktet im Rhythmus der Essensgänge und den Nummern des Unterhaltungsprogramms. 

Während die frühere Sterneköchin Cornelia Poletto, die mit dem früheren Bahnchef Rüdiger Grube verheiratet ist, für vier anspruchsvolle Gänge sorgt (natürlich zeitgeistgemäß für Fleischesser und -verächter), versucht sich die Rahmenhandlung aus Nummerrevue und Akrobatik an etwas sehr, sehr Schwierigem: mit allerlei Derbheiten das Zielpublikum kräftig zu erweitern, ohne Kulinariker mit kulturellem Anspruch ganz zu verschrecken. Denn damit das Palazzo-Spiegelzelt bis März – so lange bleibt es stehen an den Deichtorhallen – zuverlässig gefüllt bleiben möge, müssen nun mal auch schlichtere Humorgemüter herbeigelockt werden.

Die Rahmenhandlung feiert unter dem Obertitel „Glücksjäger“ vor allem Süchte wie Rauchen, Trinken, Sex und Glücksspiel, und das in der Nähe der mittigen Rundbühne platzierte Publikum muss durchaus damit rechnen, ordentliche Spritzer aus Wasserpistolen abzubekommen. Die vielen verbalen und realen Tiefschläge  des sich hemmungslos zoffenden Ensembles kommen hingegen auch in unserer Randlage unverfälscht an. Doch selbst wenn uns daran etwas ernstlich gestört hätte: Mit den vorzüglichen Weinen – einem Grauburgunder von Hauck aus Rheinhessen und einer Merlot-/Cabernet-Sauvignon-Cuvée aus dem Languedoc – hätten wir uns mühelos auch noch den gröbsten Gag schöntrinken können.

Das Programm mit seinen auf althergebrachte Weise rollenkonformen Anzüglichkeiten zeigt sich jedenfalls komplett unbeeindruckt von den zurzeit grassierenden Sexismusdiskussionen. Hier werden Lauch und sehr große Karotten noch handfest phallisch allegorisiert, und gegen Ende – ich hatte mich gerade ausgiebig der lackierten Perlhuhnbrust mit Mais und geräuchertem Pflaumenjus gewidmet – traten auch noch zwei nackte Rumturner auf, die mit nichts als Pfannen bewaffnet die selbstaufgeworfene Frage lange kunstvoll offen hielten: Sehen wir nun ihre Schniedel noch baumeln oder doch nicht? 

(Wenn Sie die Antwort erfahren wollen, müssen Sie schon selber hingehen – hier gibt’s Karten

Ein Abend also zwischen Zoten, Zoff und Ziegenricotta – um diesen Rückblick ähnlich abzuschließen, wie er anfing: alliterierend.