Eins muss man ja mal deutlich festhalten: Ohne den schlüpfrigen Santa-Pauli-Weihnachtsmarkt und das Varietézelt Palazzo wäre die Vorweihnachtszeit in Hamburg nichts weiter als eine fantasielose Glühweinverklappungstortur vor bisweilen wenigstens schöner Kulisse.
Während uns Santa Pauli alljährlich vielerlei unchristliche Aktivitäten wie etwa ein geschlechterübergreifendes Stripzelt anempfiehlt (sie schrauben drüben aufm Spielbudenplatz übrigens just die Buden zusammen), setzt die Dinnershow Palazzo im Spiegelpalast an den Deichtorhallen heuer zum fünften Mal auf die Verbindung von Kulinarik und Artistik. Und diesmal spart die Mottoshow namens „Kings & Queens!“ sich – im Gegensatz zum vergangenen Jahr – glücklicherweise auch die derben Zoten. Ohne freilich bei den Akrobatennummern auf Erotik zu verzichten.
Sogar für Interessierte mit eher fließenden Geschlechterdefinitionen ist einer abgestellt: Der Spanier Omar Cortes Gonzalez (großes Foto), einst Turnolympionike in Sydney 2004, hangelt sich in Travestiemontur an baumelnden Bändern durch die Tiefe des Raums und vor allem dessen Höhe. „Er sieht ein wenig aus wie der Bruder von Conchita Wurst“, flüstert mir mein Schwippschwager zu. Korrekt.
Mit Ms. Columbo, dem Franken und besagtem Schwippschwager saß ich an einem optimal platzierten Tisch: nah genug am Geschehen, doch ausreichend weit weg, um bei der in einer halbvollen Badewanne startenden Luftnummer von Fréderique Cornoyer-Lessard ohne Wasserflecken auf dem Sakko davonzukommen; dicht dran und doch auf der richtigen Seite des Tisches, um den üblichen Mitmachspäßken zu entgehen und stattdessen weiter vergnügt am weißen D’Artagnan nippen zu können.
Palazzo – das bedeutet reinsten Eskapismus. Denn was kümmern uns noch Trump, Horst und Erdogan, was Schäfer-Gümbels Griff nach der Macht in Hessen oder die zweifelhafte Zukunft der gesetzlichen Rente, wenn wir unter einer rot illuminierten Zeltkuppel gemütlich Angeldorsch und Speckknusper aus Cornelia Polettos Topinamburschaumsüppchen fischen dürfen?
Die Realität in Form einer fantasielosen Glühweinverklappungstortur vor bisweilen wenigstens schöner Kulisse holt uns noch früh genug ein. Denken Sie an meine Worte.
Disclaimer: Zu dieser Veranstaltung war ich eingeladen.
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