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16 September 2023

Bloggeburtstag Nr. 18


Auch zum achtzehnten Bloggeburtstag nehme ich Ihre und eure Glückwünsche nur verschämt entgegen, da das zurückliegende Jahr meinerseits wieder einmal eher von Prokrastination als hoher Blogfrequenz geprägt war. Zu meinem Glück hat aber eh bisher nur eine Person gratuliert, und zwar die mir sowieso sehr zugeneigte Ms. Columbo. Somit hält sich meine Scham in Grenzen.

Apropos Prokrastination: Was generell im Leben gilt, gilt auch beim Bloggen – der innere Schweinehund ist verteufelt flexibel. Wenn ich zweitausend Blogbesucher am Tag habe, flüstert er: Du brauchst nichts zu schreiben, die Leute kommen ja eh. Und wenn es nur hundert sind, winkt er ab: Du brauchst nichts zu schreiben, interessiert ja eh keinen. Das Ergebnis ist jeweils dasselbe: Ich schreibe keinen neuen Blogeintrag. Und das kann’s ja auf Dauer nun wirklich nicht sein! 

Deshalb gelobe ich heute – wie jedes Jahr – Besserung. Denn irgendwo da draußen sind ja doch immer noch welche, die sich an sporadischen Meldungen von der Rückseite der Reeperbahn erfreuen. Wie man an oben abgebildeter Grafik sieht, welche die vergangenen zwölf Jahre abbildet, sorgen diese liebreizenden Menschen (ja, Sie!) dafür, dass sich die Besucherzahl stetig, aber immer langsamer der Sechsmillionengrenze nähert. Bei einem monatlichen Durchschnitt, der nur noch selten die Zehntausendermarke knackt (es waren auch schon mal achtzigtausend!), ist das Schneckentempo natürlich kein Wunder.

Zu den beliebtesten Blogtexten des Jahres gehört skurrilerweise einer von Anno Domini 2016. Seit Monaten erfreut er sich wieder stabiler Beliebtheit. Es geht darin um eine bizarre Grabstätte auf dem Wiener Zentralfriedhof und um ausgeraubte Nutella-Gläser in Hamburg.

Wenn mir jemand vielleicht verklickern könnte und möchte, warum ausgerechnet dieser Text wieder aus den Tiefen des Archivs hochgestiegen ist und dann auch noch so dauerhaft reüssiert, dann möge er oder sie es gerne tun. Dann schreibe ich nämlich noch mal so einen! 

Und hätte zum neunzehnten Bloggeburtstag wieder was zu erzählen.



 

26 Mai 2023

Wir haben uns vergiftet

Als ich in Planten un Blomen gerade Bärlauch in der Blüte seines Lebens pflücke, stoppt neben mir ein Fahrzeug der Parkverwaltung. Zwei Frauen in Arbeitsklamotten sitzen darin, und ich befürchte das Schlimmste: dass sie mir die Ernte untersagen. Für uns ist die Bärlauchsaison nämlich quasi die fünfte Jahreszeit, eine paradiesische Phase zwischen Frühling und Sommer, in der wir uns mehrfach die Woche dem Genuss des – wie der Österreicher sagt – Latschenknofels widmen, meist in Form eines Salats. Soll das nun alles vorbei sein? Weil mich die Gärtnerinnen erwischt haben? Die Fahrerin beugt sich aus dem Fenster. „Sie wissen schon, dass Bärlauch giftig ist, wenn er blüht?“

Ich glaube mich verhört zu haben. Seit vielen Jahren ernten wir das köstliche Wildgemüse und sehen seiner Blühphase stets besonders vorfreudig entgegen. Zwar bedeutet sie einerseits das baldige Ende der fünften Jahreszeit, andererseits sind gerade die Bärlauchblüten von besonderer Schmackhaftigkeit. Noch intensiver als die inzwischen gar zu großen Blätter konzentriert sich in ihnen das knoblauchähnliche Aroma, und zudem trägt ihre weiße Pracht beträchtlich zur ästhetischen Veredelung von Ms. Columbos Salatkompositionen bei. Kurz: Wir lieben Bärlauchblütentage!

Das Wort Gift nun in einem nahtlos vorgetragenen Satz gemeinsam mit dem Wort Bärlauch zu vernehmen: Das irritiert mich. Und ich kann auch eine gewisse Verunsicherung nicht leugnen, denn wen habe ich hier vor mir? Eine hauptberufliche Gärtnerin! Gleichwohl lebe ich noch, was mich zur Gegenrede ermuntert. „Wie bitte?“, leite ich nach dem ersten Schreck (und der Erleichterung, dass sie mir anscheinend die Ernte nicht grundsätzlich untersagen möchte) meinen Einwand ein: „Wir verzehren Bärlauch seit Jahren, auch die Blüten, und vertragen alles bestens.“

„Ich sag’s ja nur“, rechtfertigt sich die Frau und lächelt bedauernd. Wenn ich also nachher tot umfalle, das soll mir wohl ihr gelächeltes „Ich sag’s ja nur“ mitteilen, dann ist keinesfalls sie schuld. Denn sie hat’s ja nur gesagt. Und sie ist die Expertin. Wobei ich an dieser Stelle betonen muss, ein glühender Anhänger des Expertentums zu sein. Während der Pandemie habe ich auf Virologen vertraut und nicht auf die YouTube-Universität, und bei Stromproblemen rufe ich den Elektriker, nicht den Klempner. Ja, ich mag Fachkräfte, und diese Frau hier betreut einen öffentlichen Park, sie wird doch wohl wissen, wovon sie spricht, nicht wahr.

Andererseits: Ich lebe noch.

Nach ihrem „Ich sag’s ja nur“ ist die Sache für die Gärtnerin erledigt. Sie und ihre Kollegin, die stumm geblieben ist, fahren weiter und überlassen mich meinem Schicksal – also Tod und Verderben. Zu Hause wird natürlich sofort gegoogelt. Eine fachlich kompetent wirkende Infoseite bestätigt mich vollumfänglich und blamiert die Gärtnerin: Viele Menschen glaubten, heißt es dort, dass Bärlauch zur Giftpflanze mutiere, sobald er blüht. „Doch das stimmt nicht.“

Das und die hervorragende Verträglichkeit des Bärlauchgiftes beweisen gerichtsfest: Was die Gärtnerin mir erzählt hat, ist Quatsch. Florales Querdenkertum. Mein unerschütterlicher Lobpreis des Expertentums, von dem mein Freundeskreis augenrollend Zeugnis ablegen kann, wirkt plötzlich schal. Ich meine: Diese Frau verdient ihr täglich Brot mit der Botanik, gleichwohl trötet sie Humbug über ein unschuldiges Wildgemüse in die Welt hinaus? Das ist ja ungefähr so, als glaubte ein Astronom an Astrologie. Oder ein Chemiker an Homöopathie.

Natürlich haben wir trotz alledem und gerade deshalb auch diese Portion Bärlauchblätter und -blüten zu einem köstlichen Salat verarbeitet – und ihn mühelos überlebt. Morgen geh ich wieder hin, vielleicht zum letzten Mal in dieser Saison. Denn die fünfte Jahreszeit ist schon fast wieder vorbei, es ist ein Jammer.




17 Februar 2022

Mein unsterblicher Taschenrechner

Es muss Anfang der Achtzigerjahre gewesen sein, als ich den hier abgebildeten Sharp-Taschenrechner kaufte. Es handelt sich um das Modell EL-230. Im Lauf der Zeit tat der EL-230 mir hervorragende Dienste, half mir durchs Abi und im Alltag. 

Nach einigen Jahren – möglicherweise Anfang der Neunziger – begann ich mich zu wundern, dass dem arbeitsamen Gesellen nie der Strom ausging. Nein, der Taschenrechner kalkulierte, dividierte, zog Wurzeln, ohne je zu klagen oder aus Strommangel das Display abzuschalten.

Nichtsdestoalledem wanderte der EL-230 irgendwann in irgendeine Schublade in irgendeinem Büromöbel. Denn inzwischen war der Personalcomputer der neuste heiße Scheiß, und ich Hipster schaffte mir die erste Windows-Mühle an, einen Victor Vicki, und später einen Macintosh-Performa; Beginn einer langen und glücklichen Apple-Geschichte.

Mit diesen Vielfachkönnern waren natürlich auch einfache Berechnungen locker zu wuppen, und die große Zeit der Taschenrechner neigte sich ihrem Ende zu. Ich klackerte hinfort munter auf Tastaturen herum und vergaß die tapfere alte Sharp-Mähre. Bis gestern: Da räumte Ms. Columbo im Büro auf und aus, und was fiel ihr in die Hände? Der EL-230.

Was damit sei, fragte sie, ob er weg könne. Mit einem nostalgischen Lächeln nahm ich den Taschenrechner in die Hand. Flashbacks aus Abizeiten blitzten vor meinem inneren Auge auf. Dann drückte ich aus Jux und Dollerei einfach mal die On-Taste.

Es erschien eine Null. Der EL-230 meldete sich zurück zum Dienst. Er wartete auf eine Rechenaufgabe.

Ich war baffer als baff. Wie kann das sein bei einem Gerät aus den Achtzigern, bei dem nie, nie, nie die Batterien erneuert wurden? Solarzellen schieden als Erklärung aus, so was war damals noch Science-Fiction, und selbst wenn nicht, so hatte der EL-230 doch den Großteil seines geruhsamen Lebens im seligen Winter-, Sommer-, Herbst- und Frühlingsschlaf in sonnenfernen Schubladen verbracht. 

Hatte Sharp im EL-230 vielleicht einen Fusionsreaktor verbaut? Ist er atombetrieben? Oder handelt es sich dabei gar um das erste funktionierende Perpetuum Mobile der Wissenschaftsgeschichte?

Wie Sie sehen, hatte ich Fragen. Und das Internet natürlich Antworten. Rasch stieß ich auf den Brief eines Tschechen an Sharp, der begeistert schildert, wie er den EL-230 seit geschlagenen dreißig Jahren betreibt, ohne je die Batterie gewechselt zu haben. Pah, denke ich, nur dreißig? Meiner hat fast vierzig aufm Buckel! Laut Sharp beträgt die Lebensdauer der beiden verbauten 1,5-Volt-Batterien jedenfalls sagenhafte 10.000 Betriebsstunden, und da der clevere EL-230 sich automatisch abschaltet, wird auch kein Betriebsminütchen mit Nichtstun verschwendet.

Das erklärt natürlich alles: Mein EL-230 ist – trotz Abi und all der Fron in den Jahrzehnten danach – insgesamt halt noch keine 10.000 Stunden in Action gewesen. 

Und jetzt bauen wir eine solche Batterie einfach ins iPhone ein und schmeißen alle Ladekabel weg.




06 August 2021

Der Charaktertest

Im letzten Beitrag mit dem Titel „Und wieder ist ein Ständer weg“ informierte ich Sie und die staunende Welt über den erneuten Verlust meines Fahrradständers, den wohl jemand mit seit Jahren nicht stillbaren Kastrationsfantasien zu verantworten hat – gerade auf St. Pauli eine sehr kontraproduktive Störung.

Statt mir nun einen neuen Ständer zu besorgen, der alsbald wieder abgesägt würde, wie ein Blick in meine unbestechliche Glaskugel verriet, entschied ich mich zu einer Bastelstunde. Im Mittelpunkt: ein alter hölzerner Kochlöffel und eine Rolle Isolierband. Eine halbe Stunde später sah die Lage so aus wie auf dem Foto.

Allerdings spielte die Physik nicht mit. Zum einen war der Löffel etwas kurz, zum andern war er mit dem Bordmittel Isolierband nicht derart fixierbar, dass er davon abgehalten werden konnte, immer wieder zeitlupenhaft wegzuknicken. Meine Konstruktion war also nicht mal annähernd in der Lage, die selbstverständliche, mühelose Funktionalität des abgesägten Ständers auch nur vage zu imitieren. Immerhin kann ich mich seither wenigstens in der Gewissheit sonnen, weltweit der wohl einzige Radbesitzer von ganz St. Pauli zu sein, dessen Gefährt über einen ausklappbaren Kochlöffel verfügt.

Das Ganze bleibt also zunächst einmal unbehoben, deshalb widmen wir uns lieber Ms. Columbos Fahrrad, dessen Benutzung sie schon seit Langem aus Gründen, die hier nicht weiter von Belang sind, verschmäht. Seit Jahren fristet es in Ermangelung eines wettersicheren Unterstandes ein tristes Dasein auf unserem Balkon, mit allen Nachteilen, die Ero- und Korrosion so mit sich bringen.

Schon vorher war das Rad in einem Zustand, der mit „renovierungsbedürftig“ nur beschönigend beschrieben wäre. Eine der beiden Handbremsen ließ sich überhaupt nicht mehr zu einer Bewegung überreden, die andere zwar schon, indes zeigte sie keinerlei Wirkung. Die Lampen gingen weder vorn noch hinten, den Reifen gebrach es an Luft, das ganze Ding war ein einziges großes Elend. Und dann kamen auch noch die langen, einsamen Jahre auf dem Balkon hinzu, die Unbill wechselnder Jahreszeiten mit Regen, Frost und Hitzebrut, die den stetig herabrieselnden Großstadtdreck in gemeinschaftlicher Anstrengung zu einer bockelharten Schicht verbuken, deren Entfernung man nur noch einem Sandstrahler zutraute.

Die Frage war also: Was tun mit dieser Radruine? Sie weiter auf dem Balkon Platz beanspruchen zu lassen, während sie sehr, sehr langsam den Gang alles Irdischen ging, schien nicht mehr tragbar. Doch um sie zum Beispiel in den Stand eines Ersatzrades für mich zu versetzen, hätte ich gewiss 200 Euro – und damit weit mehr als den Restwert – in die Hand nehmen und sie zu einem die Hände über dem Kopf zusammenschlagenden Fachmann schleppen müssen – nur um das Rad nach Instandsetzung erneut auf dem Balkon den fatalen Folgen von Ero- und Korrosion auszusetzen. Und für 200 Euro habe ich ehrlich gesagt auf dem Flohmarkt schon Gebrauchträder gekauft, die sich drei Jahre lang weitgehend beschwerdefrei fahren ließen (ehe sie mir wieder geklaut wurden).

Nein, eine Rundumreparatur schied aus. In Absprache mit der Eigentümerin entschloss ich mich stattdessen zu einem Charaktertest der Nachbarschaft: Ich stellte das Fahrrad unten auf den Gehweg zu all den anderen dort versammelten Artgenossen – allerdings ohne es am Geländer festzuketten.

Was würde geschehen? Wie lange bliebe es wohl ungeklaut dort stehen in all seiner Verletzlichkeit? Würde jemand bei diesem Haufen Schrott überhaupt noch zugreifen? Und wenn ja, wie viel Zeit würde vergehen, bis sich ein GEWISSENLOSES RIESENARSCHLOCH OHNE WÜRDE, ERZIEHUNG UND RESTMORAL seiner bemächtigte?

Nun, es waren knapp 24 Stunden.

Ich finde, damit hat der Kiez den Charaktertest klar bestanden. 
Denn es hätten ja auch nur zwei Stunden sein können.

PS: Mein Kochlöffel ist übrigens immer noch dran. Weiß auch nicht, was da los ist. 



06 April 2020

Fundstücke (244)


„Früher“, sagte Ms. Columbo heute Nachmittag beim Anblick dieser Schaufensterinfo, „nannte man das Adoption.“

Entdeckt in der Wohlwillstraße, St. Pauli.


17 November 2019

Essen, was aufn Tisch kommt

Nach langer Zeit ist es mal wieder passiert: Ich habe vorm Franken meinen Teller leer. Wer hier seit rund anderthalb Jahrzehnten mitliest, weiß sehr wohl, wie erwähnenswert diese Tatsache ist.

Wir sind im Palazzozelt an den Deichtorhallen, wo man uns mit Artistik, Kulinarik und Showeinlagen verwöhnt. Das hier ist der erste Gang, Vitello tonnato, Scheiben vom Holsteiner Kalb mit Tunfisch und Kapernäpfeln, und der Franke staunt: „Du vor mir fertig? War ja noch nie da.“ Doch, war es wohl, aber jeder meiner raren Erfolge wird natürlich vom Grundrauschen der Vielzahl seiner zerschmetternden Siege überdröhnt. „Aber der Abend“, droht er, „ist ja noch lang.“

Das stimmt – lang, aber dank der Künstler- und Artistenschar kurzweilig. Vor allem die Conferencière, die US-Amerikanerin Ariana Savalas, sorgt für gehobenes Niveau und verleiht dem Showmotto „Glanz & Gloria“ Glam und Glitzer, nicht nur wegen ihres in allen Spektren einer Discokugel funkelnden Abendkleides.

Wir sind derweil beim Zwischengang, confiertem Eismeerlachs mit Zitronenknusper, übergossen (von mir als Dienstleister für alle am Achtertisch) mit einem Blumenkohlsüppchen. Hier ist der Sieger nicht hundertprozentig feststellbar, da wir alle Nachschlag nehmen. Wertung zur Güte: Remis.

Zwischen den Nummern der Artisten – darunter ein Spanier namens Ramiro Vergaz, der mit bis zu sechs kapitalen Kegeln jongliert, was eindeutig von den Naturgesetzen so nicht vorgesehen ist – neckt Frau Savalas am Nachbartisch einen Gast mit Spötteleien über sein Outfit (Sweatshirt und Jeans). Zwar trage ich zum Glück einen mitternachtsblauen Schurwollanzug von Gieves & Hawkes, doch mir wird unschön bewusst, dass angesichts meines Sitzplatzes der Franke die letzte Brandmauer zwischen Savalas und mir ist. Im Notfall wäre zwar er zum Glück als Opfer leichter erlegbar, doch verspricht er für diesen Fall der Fälle, jeden auf Interaktivität erpichten Künstler eindringlich an mich zu verweisen.

Nun zum Hauptgang: Rücken und Bäckchen vom spanischen Eichelschwein mit knackigem Wokgemüse und Gewürzjus. Dazu spielt die Band Boomraiders Schweinerock. Darf sie herzlich gern, doch täte sie das etwas leiser, könnte man sich bei Bedarf auch mal mit seinem Tischgegenüber unterhalten. So bleibt mir als Gesprächspartner im Wesentlichen meine Brandmauer, der Franke, gegen den ich beim Hauptgang sehr, sehr knapp verliere.

Das vermaledeite Problem bei diesem von der Hamburger Spitzenköchin Cornelia Poletto konzipierten Menü ist aber auch, dass es viel zu gut mundet, um sich ernsthaft eines gebremsten Esstempos befleißigen zu können. Nach jedem Bissen denkt man: Hmm, jetzt gerne schon den nächsten. Und schwups, ist schon wieder ein Gang weg. Hier im Palazzozelt jedenfalls wird besonders gern und rasch gegessen, was auf den Tisch kommt.

Dieser Mechanismus setzt übrigens nur bei den Aufstrichen nicht ein, die als Amuse-Gueule in Porzellanschiffchen auf dem Tisch stehen. Merkwürdig durchschnittlich, geradezu gewöhnlich, wundert man sich – bis man im Programmheft auf die Sponsorenliste stößt. Darunter: Exquisa. So was schafft natürlich Sachzwänge, gegen die sich wohl auch eine Cornelia Poletto nicht wehren kann. Dann eben wenigstens hübsche Porzellanschiffchen als Trägermedium.

Nach atemberaubenden Trapez-, Bänder- und Stangennummern steht das Dessert an: Kokosbaiser mit Mascarponecreme, exotischen Früchten und Ananassorbet. Ein buntschillernder Strauß sich nur scheinbar widersprechender, doch letztlich miteinander verschmelzender Aromen; von allen am Tisch – Carnivoren wie Vegetariern – erhält das Dessert die Bestnote.

Der Franke und ich trennen uns hierbei schiedlich, friedlich unentschieden. Mehr von diesem seit rund anderthalb Jahrzehnten andauernden Wettstreit zwischen Goliath und mir dann nächstes Jahr. Oder spontan noch mal in den kommenden Wochen: Das Palazzozelt steht hier noch bis März.

Savalas verschonte uns übrigens beide. Tragen Sie also bloß nicht Sweatshirt und Jeans!


PS: Es gab natürlich von allen Gängen eine vegetarische Variante. Wie mir Ms. Columbo bestätigte, waren auch diese von erheblicher Qualität; ihre leise monierte Würzdezenz bei der Vorspeise (Auberginen-Caponata) sei, wie sie sagt, eine Klage auf hohem Niveau.

PPS: Zu dieser Veranstaltung waren wir eingeladen.

Foto: Palazzo Produktionen GmbH




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06 November 2019

Wenn der Geisterzug nicht kommt

Natürlich: Bahnbashing ist wohlfeil. Andererseits denke ich mir: Besser wird es bestimmt nicht, wenn keiner was sagt. Oder schreibt. 

Am Sonntag jedenfalls hatten wir mal wieder ein Bahnerlebnis der besonderen Art. Unser gebuchter IRE Berlin-Hamburg fiel aus. IRE ist die Kurzform für Interregio Express. Der Name legt nahe, dieser Zug huschte in Windeseile von der offiziellen in die heimliche Landeshauptstadt. Dabei kröche er, sofern er denn führe, gemütlich in drei Stunden durch die Pampa gen Elbe. Doch er fiel ja aus – wie eigentlich immer, beschied uns eine Frau an der Information.

Üblicherweise entert man als Bahnkunde in einem solchen Fall einfach einen beliebigen Ersatzzug, und alle sind zufrieden. Nicht aber den IRE! Der nämlich ist von dieser Regel ausgeschlossen. Obwohl wir also ein gültiges Ticket vorzuweisen hatten, zwang uns die Bahn, ein neues Ticket zu kaufen. Zum Tagespreis, und der war happig: 135,20 Euro für zweimal Berlin-Hamburg einfach, im ICE. Die Rückerstattung dieses Betrags sei indes nicht sicher, eröffnete man uns beim gleichzeitig mit dem Ticket übergebenen Fahrgastrechteformular. Aber wir könnten es ja mal probieren. Und ob wir das mal probieren! Mit Begleitschreiben!

Für den ICE, den wir dann ersatzweise bestiegen, hätte man uns gleichwohl nach Maßgabe der UN-Menschenrechtskonvention gar keine Tickets mehr verkaufen dürfen. Denn darin befand sich die Bevölkerung einer halben Kleinstadt, überall standen, lagen, hockten so schlecht gelaunte wie riechende Menschen herum, auch in den Gängen, vor den Türen, und manche hatten neben ausladenden Koffern auch Zwillingskinderwagen dabei. Das war das Szenario. 

Zeitweise war sogar unsicher, ob diese zuggewordene Presswurst überhaupt losfahren würde. Selbstverständlich war die anfangs noch erreichbare Toilette in der Nähe unseres Standplatzes weit jenseits jeder Funktionsfähigkeit; in der Schüssel stand die Brühe bis zur Brillenkante. Ms. Columbos spätere Versuche, in beide Richtungen wenigstens noch irgendein Klo zu erreichen, scheiterten daran, dass sich die Leute, Koffer und Zwillingskinderwagen praktisch bis zur Decke stapelten. Wie ihr erging es natürlich auch vielen anderen, weshalb die Gefahr von Pipileaks minütlich wuchs.

Wären uns diese Zustände bekannt gewesen, hätten wir natürlich gar kein Ticket gekauft und den ICE (nach vorherigem Toilettengang!) trotzdem grimmig geentert. Und den Zugbegleiter hätte ich sehen wollen, der den Schneid gehabt hätte, deswegen eine Diskussion anzufangen …! Aber natürlich kamen von denen auch keiner durch.

Am Ende bleibt die Frage, warum die Bahn uns überhaupt eine IRE-Fahrkarte verkauft hat, obwohl dieser Geisterzug die Strecke Berlin-Hamburg anscheinend gar nicht mehr bedient. Aber vielleicht erwarte ich auch einfach zu viel von einem deutschen Dienstleister im 21. Jahrhundert.




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16 August 2019

„Du Laif-Sdail-Veggedarier!“

Noch recht frisch auf dem Kiez zu Hause ist das Brewdog in den Tanzenden Türmen (Foto) eingangs der Reeperbahn. Dort gibt es hochpreisiges Craftbier und gute Burger, darunter vegetarische und vegane. Dass es Ms. Columbo und mich oft montags dort hinzieht, liegt an einem Brewdog-Angebot, das man schwerlich ablehnen kann: zwei Veggieburger zum Preis von einem. Da die Teile einzeln mit zweistelligen Preisen durchaus überteuert wirken, sieht das bei zweien zum selben Preis schon ganz anders aus. 

Als ich dem Franken ein feierabendliches Treffen ebenda vorschlage und von diesem verlockenden Angebot erzähle, reagiert er trotz der Aussicht auf ein fleischloses Abendessen erstaunlich erfreut. Was ist bloß los mit dem Franken, diesem menschgewordenen Carnivoren? Noch während ich innerlich herumrätsle, dämmert mir die Lösung: Der Franke denkt, er könne beide Burger alleine vertilgen. Aber so haben wir nicht gewettet! 

Dergestalt ertappt, versucht der Franke natürlich sofort das Thema zu wechseln, indem er sich auf meine Essgewohnheiten stürzt. „Du Laif-Sdail-Veggedarier!“, scheitert kläglich ein erster Beleidigungsversuch, und nicht nur an der auslautverweichenden Trägheit der fränkischen Zunge. Gleichwohl möchte er seine Kompatibilität mit aktuellen Ernährungstrends unterstreichen: „Ich esse nur dreimal die Woche Fleisch“, barmt er um Lob. „Und Wurst natürlich.“

Da fällt mir ein, wie der Franke mir vor Jahren mal erzählt hat, wie er seine Brote einst als Kind dick mit Leberwurst belegte und darauf flächendeckend eine zentimeterdicke Schicht Senf auftrug. Mir ging es generations- und soziokulturell bedingt ähnlich mit Blut- und Fleischwurst. Ah, selige Kindheit aufm Land!

Heutzutage könnte man mit derlei Gebaren höchstens noch bei Muttern punkten, aber nicht mehr in einer Stadt wie Hamburg, wo die Leute sogar beim Wodkakaufen eher nach der Flasche greifen, die sich per Aufdruck als „vegan“ ausweist. Na ja, wie ich bei früherer Gelegenheit schon mal erwähnte: Auch Zyankali ist vegan.

Der Brewdog-Besuch fand schließlich zu dritt statt. Ms. Columbo und ich teilten uns die beiden vegetarischen Burger zum Preis von einem (ich entschied mich schon aus Kalauergründen für das Modell „Hail Seitan“) – und der Franke tat, was menschgewordene Carnivoren nun mal tun: einen aus Echttier ordern.




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27 Februar 2019

Ein Mops namens Matt


Als ich mich gestern auf einer sonnenüberfluteten Alsterbank liebevoll meinem Mittagspausenbrot widmete, drang plötzlich ein herrisches „Thomas: nicht! THOMAS!!!“ an meine Ohren. Ich drehte mich um, um zu schauen, was der angeherrschte Herr wohl angestellt haben möge. Allerdings erblickte ich zu meiner nicht kleinen Überraschung kein Menschenmännchen, sondern einen Hunderüden, eine zottelige Straßenstrichmischung von grundsympathischem Äußeren. 

Das war also Thomas.

Ich dachte mir nicht allzu viel dabei, vermutete ein vielleicht etwas verpeiltes Frauchen, das in Form einer Haustierbenennung vielleicht einer verlorenen Liebe nachtrauerte oder ihr aus Rache ein Hundeego andichtet. Dann widmete ich mich wieder liebevoll meinem Mittagspausenbrot. Und vergaß Thomas.

Heute Mittag saß ich wieder – dem Jahrhundertfebruar sei Dank – auf einer sonnenüberfluteten Alsterbank, als sich eine knautschgesichtige Bulldogge oder so etwas Ähnliches (ich kenne mich damit nicht so aus) nach meinem Geschmack etwas zu sehr für mein Mittagspausenbrot zu interessieren begann. Doch schon erscholl aus dem Off eine Frauenstimme: „Charlotte! Hierher! CHARLOTTE!!!“

Eine knautschgesichtige Bulldogge namens Charlotte also. Okay. Als ich abends Ms. Columbo von diesen beiden Fällen berichtete und andeutete, ich sei da möglicherweise einer ganz großen Sache auf der Spur, nämlich Hunden mit Menschenvornamen, winkte sie nur ab. Das sei ein Trend, der längst thematisiert sei, sogar schon auflagenstark im Spiegel oder dergleichen.

Ich habe also wieder einmal etwas nicht mitgekriegt. Zumindest aber kann ich hiermit diesen Trend, von dessen Allgemeinbekanntheit ich dank Ms. Columbo soeben erfuhr, aus persönlicher Anschauung vollauf bestätigen. Ja, auch an der Alster laufen Hunde herum mit Menschenvornamen. 

Allerdings darf, ja muss man sich schon fragen, was aus bewährten Modellen wie Bobby, Rex oder … ähem … Blondi geworden ist, was diese über Jahrhunderte pass- und zielgenau gewählten Hundenamen denn wohl falsch gemacht haben, dass sie plötzlich durch Thomas, Charlotte oder – Gott bewahre! – Matthias ersetzt werden.

Andererseits: Ein Mops namens Matt hätte ja schon Charme. Da wär ich tolerant.






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