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21 April 2018

San Bernadino

Wir waren 16. Die dunkle, stille Spanierin aus meinem Dorf war vor allem still, weil sie damals noch schlecht deutsch sprach. Das fand ich geheimnisvoll. Aber ich war hilflos. 

Als ich es mal schaffte, sie zu einem Besuch in meinem Zimmer zu bewegen, spielte ich ihr Christies „San Bernadino“ vor. „Warum?“, fragte sie. „Weil es mich immer an dich erinnert“, sagte ich, „es klingt spanisch, verstehst du?“ Sie verstand nicht – wie auch? – und wurde noch stiller. Wenn ich allein in meinem Zimmer war, legte ich oft „San Bernadino“ auf.

Ein andermal saßen wir im VW-Käfer eines Freundes gemeinsam auf der Rückbank, und es gelang mir eine Weile, ihre Hand festzuhalten. In einem unachtsamen Moment entzog sie sie mir, und wir saßen still nebeneinander da. Nicht mal unsere Beine berührten sich. Zu Hause hörte ich mir „San Bernadino“ an.

Später heiratete sie einen Verwandten von mir, der sie im Suff prügelte und ihr Leben verpfuschte. Mit zwei Kindern floh sie schließlich ins Nachbardorf, viele Jahre zu spät.

Hätte sie mir damals nicht ihre Hand entzogen und hätte „San Bernadino“ besser funktioniert, würde sich dieser Text wahrscheinlich in nichts auflösen. Roberto Blanco hat den Song übrigens mal auf Deutsch gesungen. 

Jetzt ist die dunkle, stille Spanierin gestorben.

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13 Oktober 2016

Bob Dylan und ich haben den Nobelpreis



Heute hat Bob Dylan den Literaturnobelpreis bekommen. Grund genug, hier und jetzt mal wieder meinen Rang als wahrscheinlich weltweit fanatischster Dylan-Coversongsammler überzubetonen.

Ich weiß nicht mehr genau, wann ich damit begann, systematisch Coverversionen von Bob-Dylan-Songs zu sammeln. Ich weiß nur, dass es keineswegs an Vorbehalten gegen Dylans Stimme oder Gesangsstil lag, was viele Leute ja ins Feld führen, wenn sie begründen wollen, weshalb dieses oder jenes Cover angeblich „besser“ sei als das Original.

Nein, Dylan ist ein einmaliger Interpret seiner selbst und seine Stimme ein Wunder der Natur, von Anfang an. Mittlerweile erinnert sie zwar eher an die verkohlten Ruinen einer metallverarbeitenden Fabrik, aber auch das hat seine Reize. Jedenfalls lag es nicht im Mindesten an einer Aversion gegen Dylan selbst, dass ich Covers zu sammeln begann, sondern an der puren Brillanz seiner Songs.

Stücke wie „Desolation Row“, „Wedding song“, „The ballad of Frankie Lee and Judas Priest“ oder „Don’t think twice“ sind so wunderbar komponiert, ihre Melodieführung so hinreißend, dass mir das Immerwiederhören der Originale irgendwann einfach nicht mehr reichte. Nein, meine Gier nach Varianten wurde im Lauf der Jahre immer größer – zumal man als Musikfan im Lauf seiner Sozialisation sowieso immer wieder mit verblüffenden Neu-, Um- und Ausdeutungen von Dylans Songs konfrontiert wird. Van Morrisons dramatisch zwischen Verlustangst und Angstlust schwankendes „It’s all over now, baby blue“ wird jeder Mensch mit Geschmack irgendwann kennen- und liebenlernen, ob er nun 1940 geboren ist oder 2001.

Ich jedenfalls begann vor einigen Jahren systematisch damit, alle – alle! – Bearbeitungen von Dylan-Kompositionen zu sammeln. Zunächst schlachtete ich die eigene LP- und CD-Sammlung aus, parallel dazu recherchierte ich Veröffentlichungen und schaufelte mir unzählige Coverblogs in den RSS-Reader (ich LIEBE das Internet!), um keine Interpretation zu verpassen, sei sie alt, abgelegen, scheußlich oder neu. Ich kaufte, kopierte, lud runter – kurz: Ich warf ein riesiges Dylan-Coversongsschleppnetz aus, und zwar mit recht passablem Erfolg.

Es gibt übrigens Fanatiker, die katalogisieren jedes einzelne gecoverte Stück, was eine unschätzbar wertvolle Quelle ist, aber auch ein steter Quell der Qual. Denn natürlich sind die bereits deutlich über 30.000 verzeichneten Studioeinspielungen von Dylan-Songs niemals alle zu beschaffen, und das frustriert schon ein bisschen. Andererseits gibt diese Tatsache mir auch die beruhigende Gewissheit, dass die Suche immer weitergehen kann und wird.

Denn das wäre ja das Schlimmste für einen Jäger und Sammler: dereinst den letzten, allerletzten Schatz gehoben zu haben.

Mein entsprechender iTunes-Ordner verzeichnet momentan jedenfalls nur rund sieben Prozent aller bekannten Covers, das sind exakt 2171 Stück mit einer Laufzeit von gut sechs Tagen – oder, digital gesprochen, 17,26 Gigabyte.

Darunter befinden sich epische Progrockversionen („All along the watchtower“, Affinity), ranschmeißerische Anschmachter („He was a friend of mine“, Cat Power), wildestes Cowpunkgeprügel („Blowin‘ in the wind“, Me First & The Gimme Gimmes), japanischer Kleinmädchenkitschpop („Mr. Tambourine man“, Kumisolo), superglitschige Schnulzepen („Wigwam“ von Drafi! Deutscher!!), virtuose Mash-ups („All along the love lockdown (Bob Dylan vs. Kanye West), ToTom) oder unfassbar grottige Poprockfassungen einer galizischen Amateurcombo namens 7 Ivvas.

Es gibt buchstäblich kein Genre, das es nicht gibt im Kosmos der Dylan-Covers, und jede einzelne Adaption beweist nur eins: wie inspirativ und befeuernd die jeweilige Originalkomposition ist. Kurz: Dylan hätte nicht nur den Literaturnobelpreis verdient, sondern auch den Musiknobelpreis. Den ich hiermit anrege.

All die oben genannten Künstler und Künstlerchen und auch all seine Fans verleihen diesem Songdichter letztlich seine Bedeutung – und deshalb hat nicht nur Bob Dylan heute den Nobelpreis bekommen, sondern sie alle. Wir alle. Auch ich. Aber nicht die, die ihn für einen schlechten Sänger halten. Sie haben irgendetwas nicht richtig verstanden.

Unter diesem Link finden Sie alle zurzeit von mir verwalteten Coversongs. Die Liste ist, wie Sie sicherlich schon ahnten (oder befürchteten), außerordentlich vorläufig.

Aber so was von.


PS: Dieser Text ist die aktualisierte Fassung einer Vorschau auf eine von mir 2011 konzipierte Dylan-Sendung beim Internetradio Byte.fm.

PPS: Das Foto zeigt mich im Kreise Gleichgesinnter bei der Zelebration von Dylans 75. Geburtstag im Mai diesen Jahres.

Update vom 6. Januar 2017: Inzwischen ist der Bestand auf 2335 Coversongs gewachsen, nicht zuletzt dank einiger liebenswerter Leser dieses Blogtextes. Dafür ein aufrichtiges Dankeschön!



 

19 November 2013

Ja, ich war einmal ein One-Hit-Wonder!

Jetzt, wo sie wieder mal um die Weltmeisterschaft im Schach ringen, fällt mir ein, dass ich diesem Spiel auch einmal verfallen war. Vor allem während des Studiums lieferte es mir willkommene Ausreden, um nicht lernen zu müssen. Stattdessen komponierte ich Schachprobleme, also künstliche Stellungen, in denen der einzige existierende Weg zum Matt in einer vorgegebenen Maximalzahl von Zügen gefunden werden muss.

Mein damaliger WG-Mitbewohner musste es oftmals ertragen, mich fiebrig an seiner Tür kratzen zu hören, in der Hand den neusten Zweizüger, den er bitte zu lösen bzw. auf Fehler abzuklopfen habe. Wie in den meisten Disziplinen, in denen ich mich zeitlebens betätigte, erreichte ich beim Komponieren von Schachaufgaben ein höchstens mittelmäßiges Niveau, wohingegen die Begeisterung, mit der ich mich diesem Sujet widmete, bisweilen ins Weltmeisterliche lappte. 

Jedenfalls musste ich irgendwann erkennen, dass meine Zwei- und Dreizüger allesamt in der Regionalliga anzusiedeln waren – bis auf einen. Ich weiß nicht, woher mir dieser kleine Geniestreich zugeflogen war; vielleicht war die Hausarbeit, die es an jenem Tag wegzuprokastinieren galt, besonders lästig, und das führte Motivation und Geistesblitz womöglich auf ausnehmend effiziente Weise zusammen. Was weiß ich. 

Am Ende der Komposition ging mir schlagartig auf, dass dieser Dreizüger alle meine vorherigen Versuche bei weitem übertraf. Sein Aufbau, die Ästhetik seines Ablaufs, die Wege der Figuren auf dem Brett: All das hatte eine Schönheit, die man einfach in der Regionalliga nicht findet. 

Damals gab es in der Zeitschrift Stern noch eine entsprechende Rubrik. Wöchentlich wurde ein Schachproblem veröffentlicht, und befeuert von meiner Heureka-Euphorie hatte ich die Chuzpe, meinen Dreizüger – von dem ich ahnte, dass er den Gipfel und Endpunkt meines Schaffens darstellte, also jenen einen Ausrutscher nach oben, der nicht mehr zu egalisieren, geschweige denn zu übertreffen war – an den Stern zu schicken. 

Leiter der Rubrik Schachprobleme war zu jener Zeit der große Schachkomponist Hans Klüver, und man kann sich mein Entzücken vorstellen, als ich eine postalische Antwort von ihm erhielt. Allerdings handelt es sich dabei erst mal nicht um eine Abdruckbestätigung, sondern um eine Rückfrage.

Klüver hatte eine kleine Unsauberkeit in der Komposition entdeckt, wodurch ein zweiter Weg zum Matt in drei Zügen möglich wurde, und das darf natürlich keinesfalls sein. Es war allerdings nicht sonderlich schwer, dieses Schlupfloch zu schließen. Ich schickte Klüver die modifizierte Version – und was soll ich sagen: Er druckte sie!

Am 21. Juli 1988 erschien mein Dreizüger im Stern, der damals, fünf Jahre nach den „Hitler-Tagebüchern“, zwar auch keine Fantastilliarde Hefte pro Woche mehr verkaufte, aber schon noch ein Dickschiff der deutschen Medienlandschaft war. Ich fühlte mich wie die Nummer eins der Singlecharts. 

Gleichwohl blieb ich ein One-Hit-Wonder, ohne damit zu hadern. Dieser Dreizüger war gewissermaßen mein „Vom Winde verweht“. Margaret Mitchell hat ja auch nichts weiter mehr zustande gebracht – oder zumindest nichts mehr, von dem sie glaubte, es könne mithalten mit jenem einen Roman, der ihr auf so wundersame Weise geglückt war. 

Auch ich erkannte, dass mir ein solcher Streich nie mehr gelingen würde. Deshalb vermochte ich zufrieden und gelassen auf dem Höhepunkt meines Ruhms zurückzutreten. Ich tat also genau das, was Otto Rehhagel 16 Jahre später nach dem Gewinn der Europameisterschaft mit Griechenland versäumen sollte. Hätte der Otto anno 88 besser mal Stern gelesen! 

Na ja, wie auch immer: Hier ist er jedenfalls, der Dreizüger von damals. 

Lösungsvorschläge bitte in den Kommentaren. Wie gesagt: Es gibt nur einen einzigen Weg, wie Weiß den Gegner in drei Zügen matt setzen kann. Wer einen zweiten finden sollte, wird mich in Melancholie und Irrsinn stürzen und zum No-Hit-Wonder degradieren, das nur zur Info. Und als Anreiz.

PS: Ich hoffe inständig, dass ich das alles hier nicht schon mal verbloggt habe. Wenn ja, dann vergessen Sie bitte diesen Eintrag rückstandslos. Burn after reading! (Und bitte den desavouierenden Link mailen, danke.)

08 Oktober 2012

So haben wir nicht gewettet!


Von: Matt Wagner
An:  Reinhold Beckmann
Date: Mon, 8 Oct 2012 23:20:26 +0200
Subject: So haben wir nicht gewettet!


Lieber Reinhold Beckmann,

heute wende ich mich in einer etwas delikaten Angelegenheit an Sie, aber wat mutt, dat mutt, wie wir hier in Hamburg sagen. Aber das wissen Sie ja, Sie wohnen ja auch hier.

Ich muss ein klein wenig ausholen. Im Dezember vergangenen Jahres waren ich und weitere Hamburger Journalistenkollegen zum Weihnachtsessen der Kölner Agentur Position ins Kiezrestaurant Abendmahl eingeladen. Ein hochgeschätzter Traditionstermin, bei dem es alljährlich so kulinarisch wie feuchtfröhlich zugeht. Medienleute, Sie wissen ja …

Die promillebefeuerte Stimmung an jenem Abend mag auch mit ein Grund für eine kleine Wette gewesen sein. Zufällig nämlich saß ich neben Frau Paul aus Ihrer Redaktion, und wir diskutierten angeregt bei ein, zwei (oder drei) Gläsern Wein über die damals noch hochbrisante Frage, wer wohl Nachfolger von Thomas Gottschalk bei „Wetten, dass …“ werden würde.

Für Frau Paul war sonnenklar: Johannes B. Kerner würde es werden und niemand sonst. Ich bestritt das vehement, es ging hin und her, ich brachte aller vertraglichen Verpflichtungen zum Trotz sogar Sie ins Spiel. Auf dem Höhepunkt der Diskussion schlug Frau Paul mir eine Wette vor. Sollte Kerner es werden, so lautete der Deal, hätte ich ihr eine Flasche Wein zu spendieren, wenn nicht, dann umgekehrt. Wenn Sie mögen, können Sie diesen Vorgang sogar im Internet nachlesen, denn ich habe ihn damals unter dem Titel „Kerner und der Weltuntergang“ verbloggt.

Nach Abschluss dieser Wette herrschte eine für mich, wie ich fand, außergewöhnlich komfortable Situation. Denn sobald irgendeiner der sieben Milliarden Erdbewohner mit Ausnahme von Johannes B. Kerner den Job bekommen würde, wäre ich um eine Flasche Wein reicher. Ich will jetzt nicht sagen, dass meine Gewinnchance 7.000.000.000:1 war. Aber sie war größer als die von Frau Paul, so viel war sicher.

Nur wenige Tage nach diesem Essen im Abendmahl schienen meine Chancen allerdings zu schwinden, denn die Agenturen meldeten die Rückkehr Kerners zum ZDF. Oha, dachte ich, wird hier etwa das Feld bereitet für die Übernahme von „Wetten, dass …“? Eine Mail an Frau Paul, in der ich ihr konzedierte, auf dem richtigen Weg zu sein, blieb leider unbeantwortet.

Zum Glück wurde es Kerner aber dann doch nicht. Wie wir alle inzwischen wissen und ich damals schon felsenfest ahnte, kam schließlich doch ein anderer der sieben Milliarden Erdbewohner zum Zug, nämlich Markus Lanz. Am 11. März stand die Personalie fest, und augenblicklich schrieb ich eine zwar tröstende, allerdings auch die Einlösung unserer Wette ansprechende Mail an Frau Paul, in der ich um Abstimmung der Übergabemodalitäten bat.

Doch wieder keine Antwort.
Kein guter Stil.
Und bis heute: kein Wein.

Deshalb wende ich mich in meiner Ratlosigkeit nun an Sie, ihren Chef. Vielleicht können Sie in dieser – wie gesagt: delikaten – Angelegenheit vermitteln. Es muss auch kein teurer Wein sein, da bin ich gesprächsbereit. Aber es sollte ein Wein sein. Schließlich haben wir gewettet.

Zeugin war übrigens ironischerweise eine Kollegin aus der Redaktion von Markus Lanz, aber das nur am Rande.

In der Hoffnung auf eine baldige und positive Antwort verbleibt Ihr ergebener Medienkonsument

Matt Wagner

PS: Eine trockene Spätlese vom Moselweingut Kallfelz würde ich nicht von der Bettkante stoßen.

PPS: Frau Paul ist natürlich auf CC.


16 September 2012

Der 7. Bloggeburtstag



Irgendwas ist ja immer: So hat der Webveteran Don Dahlmann seit vielen Jahren sein Blog überschrieben, und im Grunde stimmt das ja, auch hier, auf der Rückseite der Reeperbahn.

Doch immer öfter ist immer seltener was. Oder die Leistungsfähigkeit meiner Antennen lässt nach. Vielleicht laufe ich auch abgestumpfter über den Kiez als noch vergangenes Jahr. Oder ich habe mir früher selbst dann, wenn nur wenig war, etwas aus den Fingern gesogen, damit es so aussieht, als sei irgendwas ja immer, in und auf St. Pauli.

Na ja, jedenfalls hat die Blogfrequenz hier merklich nachgelassen. Das hat sicherlich etwas zu bedeuten, worüber ich mir demnächst mal ernsthaftere Gedanken machen werde. In erster Linie aber hat es (logischerweise) dazu geführt, dass auch die Besucherquote rückläufig ist.

Im Vergleich zum Jahr davor ist der Schnitt auf rund 17 000 monatliche Flaneure und rund 25 000 angeklickte Blogtexte gesunken. Das ist ein Rückgang um über 10 Prozent. Dafür blieben sie – bzw. Sie – wenigstens pro Besuch deutlich länger hier, nämlich 1:40 Minuten gegenüber 1:10 in der vergangenen Saison. Das ist allerdings noch nicht das Niveau von 2010, als die Verweildauer im Schnitt bei 1:54 Minuten lag.

Doch auch dafür gibt es Gründe. Meine Beiträge sind kürzer geworden, und das kommt Ihnen entgegen – schließlich erodiert Ihre Aufmerksamkeitsspanne unaufhaltsam. Das schließe ich zumindest rück, weil es mir selbst so geht. 700-seitige Bücher würde ich aufgrund ihrer offenkundigen literarischen Adipositas erst gar nicht mehr anfangen zu lesen, wenn ich den Kindle nicht hätte, der ihren Umfang auf segensreiche Weise erst mal verschleiert. Und wenn mir aufgeht, dass ich gerade mitten in einem Buch stecke, das in der Welt des toten Papiers so viel Luft verdrängt wie ein Backstein, dann bin ich längst angefixt.

Doch ich schweife ab. Also zurück zur Statistik. Insgesamt besuchten mich seit September 2005 knapp 1,43 Millionen Menschen und interessierten sich für 2,24 Millionen Seiten. In diesen sieben Jahren versuchte ich Ihnen mit 2318 Blogstücken eine Reaktion zu entlocken, was oftmals auch gelang: Ich erntete im Schnitt zehn Kommentare pro Beitrag, insgesamt genau 22.328.

Das gilt übrigens auch weiterhin: Hier wird nur deshalb gebloggt, weil und so lange Sie etwas dazu sagen.

Und natürlich, weil Ms. Columbo mir jedes Jahr zum Bloggeburtstag einen Kuchen backt.

09 September 2012

Mein kleiner Sonnenschein



Seit das Kleine da ist, hat sich mein Leben, mein Alltag, einfach alles total verändert.

Das Kleine war mit 2030 Gramm ein Leichtgewicht, ganz zart und filigran. Doch seit seiner Ankunft reißt es ununterbrochen die Klappe auf und schaufelt fröhlich in sich hinein, was man ihm auch anbietet. Erstaunlicherweise nimmt es trotzdem kein Gramm zu. Aber das sei normal, sagt Ms. Columbo.

In den ersten Nächten jedenfals bekamen ich und das Kleine kaum eine Stunde Schlaf, weil es immer mehr wollte, mehr, mehr. Aber wenn es mich dann anstrahlt mit diesem gleißend hellen, intensiven und hellwachen Blick, dann kann ich ihm einfach keinen Wunsch abschlagen. Und es gibt mir so viel zurück.

Außerdem ist es unglaublich leise. Echt wahr, das Kleine ist so leise, dass man nicht mal seinen Atem hören kann, das muss man sich mal vorstellen. Und allmählich kommt es auch nachts zur Ruhe. Mittlerweile schläft es manchmal sogar schon sechs Stunden durch, traumlos, wie es scheint.

Kurz: das Kleine ist einfach hinreißend, ich bin total vernarrt. Ich umhege und umsorge es, kann es den ganzen Tag verliebt anstarren, und wenn ich mal raus muss, fühle ich mich sofort unruhig, bin grundlos besorgt und denke nur an zu Hause. Und dann beeile ich mich, zu ihm zurückzukehren, um stundenlang mit ihm herumzuspielen.

Es scheint mich sogar bereits zu erkennen, denn immer, wenn ich ins Zimmer komme und es berühre, leuchtet es augenblicklich auf und strahlt mich hellwach an.

Das Kleine ist wirklich mein kleiner Sonnenschein, ich wüsste gar nicht mehr, wie ich ohne es leben könnte – ohne mein neues MacBook Pro 15" mit 2,6 Gigahertz und 512-SSD-Flashspeicher.

Ich glaube, ich taufe es auf den Namen Retina.


17 Dezember 2011

DeLonghi sucht Anschluss

Aufgemerkt, Hamburg; hergehört, Blankenese, Pinneberg und Poppenbüttel; spitz die Ohren, o Schanze und St. Pauli:

Wir verkaufen schon wieder eine Nespresso-Maschine. Diesmal handelt es sich um eine DeLonghi Lattissima, und weil der beste Motor nicht läuft, wenn der Tank leer ist, packen wir sämtliche Kapselvorräte dazu, und das sind sagenhafte 370 Stück – Anschaffungswert: 120 Euro.

Ab sofort kann bei Ebay auf dieses Ensemble geboten werden; los geht es bei sportlichen 1 Euro.

Wir übergeben das tadellos funktionierende und kreditkartengepflegte Schmuckstück aber nur hier in der Seilerstraße an Selbstabholer. Um die Anreisestrapazen zu mildern, servieren wir außerdem bei dieser Gelegenheit einen Espresso aus unserer neuen Siebträgermaschine. Das alles kann noch vor Weihnachten abgewickelt werden.

Alles Weitere steht im Auktionstext, Rückfragen beantworte ich – wie es meine Art ist – natürlich trotzdem gerne.

07 November 2011

Wie macht sich die „Frankensaga“?



Seit einigen Monaten ist jedermann der Verkauf selbstproduzierter eBooks über Amazon möglich. Ein großer Schritt für Amateure, ein möglicherweise gefährlicher für die Verlage – denn „die Einzigen, die im Verlagswesen noch nötig sind", glaubt Amazon, „sind der Autor und der Leser.“

Wie die private Produktion und Vermarktung eines eBooks funktioniert, welche Tücken man kennen und welche Tricks man anwenden sollte, hat Wolfgang Tischer in aller Ausführlichkeit geschildert – ein Beitrag, der übrigens stetig fortgeschrieben wird und nicht nur deshalb für eBook-Novizen hochinteressant bleibt. Dem möchte ich hier keine Konkurrenz machen, sondern nur ein kurzes Zwischenfazit zur „Frankensaga“ ziehen, die seit dem 10. Oktober bei Amazon erhältlich ist.

Mein sportliches Ziel war es, damit den 99 Euro teuren Kauf eines Kindle-Lesegerätes zu refinanzieren – und das funktionierte gut: Nach knapp zwei Wochen waren 45 Exemplare der „Frankensaga“ verkauft und der Kindle damit amortisiert.

Natürlich ist das – in absoluten Zahlen gerechnet – sehr wenig. Dennoch rangierte das Buch damit zeitweise unter den Top 60 der „Kindle-ebooks bezahlt“-Charts, was ein trübes Licht wirft auf die Gesamtverkäufe. Entsprechend ging es auf und ab: Mal rutschte die Frankensaga auf 3998 ab, berappelte sich plötzlich wieder auf 383, und zum Zeitpunkt dieser Niederschrift ruft sie von Rang 4.065 aus um Hilfe. (Die Sie ihr übrigens gerne gewähren dürfen.)

Wie auch immer: Auf dem Tantiemenkonto schlugen sich die Verkäufe der ersten beiden Wochen mit über 100 Euro nieder, natürlich vor Steuern. Dabei half sicherlich die Verlinkung in Udo Vetters lawblog; auch hier auf der Rückseite der Reeperbahn und auf Twitter habe ich immer mal wieder ein wenig Werbung dafür gemacht.

Die Verkaufsdynamik ließ nach den ersten zwei Wochen deutlich nach, doch Tage ohne jede Transaktion sind noch immer selten. Vor Weihnachten – das ist das nächste sportliche Ziel – soll die „Frankensaga“ sich dreistellig verkauft haben. Und dann dürfte auch bereits die erste Überweisung von Amazon eingetroffen sein, denn Erlöse werden erst zwei Monate, nachdem sie anfielen, ausbezahlt.

Seitdem das Buch bei Amazon online gegangen ist, läuft jedenfalls alles automatisch und – wie man loben muss – reibungslos und rund. Was ich bedauerlich finde: Anders als beim Verkauf von physischen Produkten wie Büchern oder CDs erhalte ich als eBook-Verkäufer von Amazon keine Information darüber, wer das elektronische Buch erworben hat.

Das macht die Transaktion unschön anonym – wie in der Buchhandlung eben. Doch bei Käufen im Internet treten die Handelspartner normalerweise in irgendeiner Form in Kontakt, man weiß, an wen man sich bei Problemen wenden muss, man kann auch mal nachfragen; all das ist nicht der Fall, wenn es um eBooks geht.

Nur wenn es rezensiert wird, erfahre ich etwas über die netten Menschen, die es erworben haben, und immerhin haben sich bisher zwei meiner Neugier erbarmt – danke vielmals! Doch wer sind die anderen? Was denken sie über ihren Kauf? Keine Ahnung.

In einem eigenen Amazon-Bereich kann ich lediglich eine täglich aktualisierte Statistik abrufen, die mich über die Zahl der Verkäufe und den Tantiemenstand informiert. Aber auch das empfinde ich als sehr erfreulich – und es steigert den Anreiz, über weitere Ideen nachzudenken, die eBook-fähig sein könnten. Denn in erster Linie macht es Spaß und ist sehr befriedigend, so etwas mit vergleichsweise wenig Aufwand selbst auf die Beine zu stellen und urplötzlich Inhaber einer ASIN-Nummer zu sein. Genauer gesagt: der ASIN-Nummer B005US3P5O.

Diese psychologische Komponente hat Amazon erkannt und nutzt sie aus – im Gegensatz zu den Verlagen, die wahrscheinlich zu viel Angst um ihre Corporate Identity haben, als dass sie sich mit der Schaffung eigener Onlineplattformen, die Autoren eine Selbstvermarktung erlaubten, dem Risiko einer Verwässerung aussetzen. Wir werden sehen, wohin das führt.

Mein Fazit jedenfalls ist positiv. Nur die Erlöse im nordamerikanischen Raum sind suboptimal. Lediglich ein einziges Exemplar der „Frankensaga“ wurde bisher über Amazon.com verkauft. Gesamterlös: 4,44 Dollar. Vor Steuern.

13 Oktober 2011

Kindisches für den Kindle

Es gibt eine gute und eine schlechte Nachricht.

Die gute: Seit heute ist mein bestürzendes E-Book „Die Frankensaga“ bei Amazon erhältlich, und zwar zu einem – im Verhältnis zu den Qualen, die zu seiner Entstehung führten – geradezu lachhaften Preis von 3,82 Euro.

Das Buch enthält sämtliche erschütternden Geschichten über den Franken auf einen Schlag, und genauso fühlt es sich auch an. Außerdem habe ich es noch ein wenig ergänzt, damit niemand sagen kann: Kenn ich doch schon alles.

Die schlechte Nachricht ist: Selbst bei Desinteresse müssen Sie es aus Gutherzig-, Mildtätig- und Mitmenschlichkeit trotzdem kaufen. Nur so nämlich kann ich mir die Therapie leisten, die nach fünf Jahren im Dunstkreis des Franken unabdingbar geworden ist. Außerdem wäre das supernett von Ihnen. Und ich mag nette Menschen.

Lesbar ist „Die Frankensaga“ übrigens auf allen Smartphones und Rechnern, die die kostenlose Kindle-App bzw. das Programm installiert haben, und natürlich auf dem Kindle-Reader selbst.

Bevor Sie in irgendeiner Weise tätig werden, sollten Sie allerdings sicherstellen, dass Sie volljährig sind und einen starken Magen haben.

PS: Gegen eine Paypal-Überweisung
(Preis auf Anfrage) maile ich Ihnen das komplette Ding auch in einem beliebigen Format zu. Hauptsache, ich bin es los.

Nachtrag 17.10.2011: Hier die ersten Rezensionen auf Amazon. Aber was meinen die mit „Macken-Matt“ …?


Nachtrag Januar 2013: Der Preis ist inzwischen auf 3,42 Euro gesunken. Die Inflation!



30 September 2011

Nachträglich zum Bloggeburtstag



Vergangenes Jahr hatte ich noch dran gedacht. Diesmal aber musste mich schon punktgenau am 16. September der aufmerksame Herr blogspargel dran erinnern: an den nunmehr sechsten Bloggeburtstag.

Zeit also, die jährliche Statistik nachzureichen. Das abgebildete Schaubild zeigt die Besucherzahlen zwischen September 2010 und August 2011. Im Monatsschnitt 20.000 Flaneure und rund 30.000 Klicks: Das ist auf dem Niveau der letzten Jahre, da entwickelt sich nichts mehr, das ist solide und fein.

Insgesamt kommt die Rückseite der Reeperbahn seit 2005 auf 1,25 Millionen Besucher und 1,98 Millionen Seitenaufrufe. Wer hier vorbeischaut, verweilt 1:10 Minuten, was 44 Sekunden weniger sind als im vergangenen Jahr. Aber ich schreibe ja auch kürzere Texte, da kann ich nicht mehr verlangen.

Der Tagesschnitt liegt zurzeit bei 600 Besuchern und knapp 900 Klicks. Im Lauf der letzten sechs Jahre warf ich der Welt 2.078 Beiträge zum Fraß vor, das sind 340 mehr als bei der letzten Erhebung. Eine tägliche Frequenz gelang mir also auch in den vergangenen zwölf Monaten nicht, aber das muss ja auch nicht sein.

„Dann blogg halt mal nichts“, sagt Ms. Columbo immer, wenn mir gerade nichts auf- oder einfällt, und wer wäre ich, einen so weisen Rat geringzuschätzen? Jedenfalls blogge ich sowieso nur deshalb, weil neben Ms. Columbo auch Sie, meine Damen und Herren, hier unverdrossen mitlesen und mein Wirken kritisch, sarkastisch und mit erheblicher Eloquenz begleiten.

Man kann wirklich sagen, dass ich hauptsächlich deswegen hier Zeugs hinschreibe, um Sie – ja, Sie! – zum Schreiben zu bewegen. Eine Aktion ohne Reaktion hat ja gleichsam nicht stattgefunden; und deshalb verdirbt mir ein unkommentierter Blogbeitrag praktisch den ganzen Tag.

„So lange die nicht kommentieren“, rufe ich dann manchmal pathetisch Ms. Columbo zu, „schreibe ich auch nix Neues!“ Mit Trotzen und Schmollen käme ich auch nicht weiter, erwidert sie dann, aber das ist mir doch egal.

Wenn Sie, meine sehr verehrten Damen und Herren, dieses Blog im siebten Jahr seines Bestehens also endlich abwählen wollen, dann wissen Sie jetzt, wie das zu bewerkstelligen ist.


Gilt natürlich auch fürs Gegenteil.

03 September 2011

Tish @ Tide TV



Schon oftmals waren meine Freunde Tish und Andreas hier im Blog zu Gast, heute waren sie es auch beim Hamburger Bürgerfernsehsender Tide TV, wo passend zu Tishs mexikanisch-amerikanischer Herkunft ein kapitaler Kaktus auf dem Studiotisch herumstand.

Und wenn Sie jetzt sagen: Ja, Herrschaftszeiten, warum sagt der feine Herr Reeperbahnblogger uns das nicht vorher, dann sage ich Ihnen hier und jetzt: Die
Sendung wird wiederholt, und zwar nicht nur am heutigen Samstag um 14 Uhr, sondern noch weitere drei Male; alles nachzulesen auf der soeben verlinkten Seite.

Wo man Tide TV überall empfangen kann, erfahren Sie hier. Eins vorweg: In Timbuktu wird es schwierig.

Foto: Tide TV


25 Juli 2011

Dialog mit meinem Hausarzt

Matt: Irgendwas ist immer. Echt.
Doktor
(50+): Wissen Sie, der 50. Geburtstag ist ein entscheidender Wendepunkt im Leben eines Mannes.
Matt
: Aha.

Doktor
: Ich will nicht unken, aber da kommt noch mehr.
Matt
: Oh …

Doktor
: Ich bin ja ein Schwein. Ich sage meinen Patienten immer: Warum soll es Ihnen besser gehen als mir?


(Das Symbolfoto zeigt Liftknöpfe im Amtsgericht in der Caffamacherreihe.)

05 Oktober 2010

Mein Leben als Computerspieler



Meine Karriere als Gamer verlief bisher erbärmlich.

Anfang der 90er spielte ich mal „King’s Quest“ (Foto), und zwar auf einer Windowsmühle mit 20-Megabyte-Festplatte. Gab es ein zweites Level? Wenn ja, dann habe ich es nie erreicht.

Das war’s dann erst mal für anderthalb Jahrzehnte, ehe ich mich bei „Second Life“ anmeldete. Zwar kein klassisches Game, aber immerhin.

Leider schaffte ich es nicht, von der Ankunftsinsel wegzukommen. Und das irgendwie erworbene Schwert, das unverrück- und -brauchbar im Sichtfenster hing wie eine zerquetschte Riesenlibelle auf der Windschutzscheibe, machte mir das zweite Leben auch nicht leichter.

Jedenfalls beendete ich meine „Second Life“-Aktivitäten sehr bald wieder; bald machten es mir Millionen nach, und ich fühlte mich ein bisschen avantgardistisch.

Danach zündete ich die dritte Stufe meiner erbärmlichen Gamerkarriere und legte mir testweise einen Account bei „Muxlim Pal“ zu, der moslemischen Variante von „Second Life“.

Ich hielt es für recht lustig, dort als burkalose Sexbombe in Jeans rumzumarodieren, doch alles, was passierte, war: Ich bekam immer wieder wie aus dem Nichts Kopftücher aufgesetzt und ständig Mails à la „ich suche eine muslimsche frau zweck islamische heiraten“.

Daraufhin habe ich es endgültig sein lassen mit dem ganzen Gamescheiß. Warum ich das überhaupt erzähle? Wollte ich einfach mal loswerden.

16 September 2010

Rückseitenjubiläum (schon wieder)



Heute wird dieses Blog fünf. Ganz schön alt für etwas, das als Schnapsidee begann. Wie im
vergangenen Jahr erlaube ich mir daher eine Zwischenbilanz.

In den Tiefen des Archivs haben sich bisher 1738 Beiträge angesammelt. 993.966 Besucher schauten vorbei, und ich weiß nicht, ob es anmaßend ist, doch ich hatte auf die Million gehofft. Den millionsten werde ich übrigens am Schlafittchen packen und reich beschenken – sofern ich ihn in flagranti erwische. Also bitte nicht mitten in der Nacht reinschleichen.

Insgesamt sorgten die hier gestrandeten Webflaneure für m. E. imposante 1.555.218 Seitenaufrufe, im Schnitt verweilte jeder von ihnen 1:54 Minuten auf der Rückseite der Reeperbahn. Der mit 109 Kommentaren ganz knapp erfolgreichste Text der gesamten fünf Jahre ist noch gar nicht so alt – ich kann es also immer noch …!

Im Lauf der Zeit erhielt ich 2 Abmahnungen, davon war eine teuer. Selbst musste ich einmal anwaltliche Hilfe erbitten – und holte mit unfreiwilliger Beihilfe von Spiegel TV zum Glück alles wieder rein.

Einschneidendstes Erlebnis des zurückliegenden Jahres war der vom Anbieter erzwungene Blogumzug. Er kostete mich die liebgewonnene Adresse www.mattwagner.de, doch zum Glück sind all die, denen es hier gefällt, mit umgezogen; einen Einbruch der Besucherzahlen gab es jedenfalls nicht. Und dafür bin ich Ihnen echt dankbar, meine Damen und Herren!

Ms. Columbo hat mir dieses Jahr übrigens zum Bloggeburtstag einen Birnenkuchen gebacken. Und er schmeckt fantastisch.

29 April 2010

Ein Idiot mit Schüttellähmung

Seit einiger Zeit kappe ich immer mehr Taue zu den Netzwerken im Web. Kein „Wer-kennt-wen“ mehr, Schluss mit „Stayfriends“.

Ich will wieder mehr auf meine Daten achten. Was natürlich witzig klingt bei einem Blogger, der mit Klarnamen aus seinem Leben berichtet, das gebe ich zu; doch hier auf der Rückseite der Reeperbahn kann ich wenigstens der Illusion frönen, alles unter Kontrolle zu haben.

Es wäre im Lichte dieser Rückzugsstrategie natürlich höchst inkonsequent, mir nach dem baldigen Ablauf meines Personalausweises eins von diesen neuen Chipdingern aufdrücken zu lassen. Deshalb besuche ich das Ortsamt St. Pauli, um mich für acht Euro Gebühr noch mal mit einer guten, alten Plastikkarte zu versorgen – das sind zehn Jahre Aufschub!

Auf dem Antrag ist ein schwarzumrahmtes Rechteck, in das ich unterschreiben soll. Ein aufregender Akt, denn regelmäßig missrät mir meine Unterschrift. Außerdem sieht sie jedesmal anders aus. Doch diesmal gelingt sie mir, ich bin erleichtert und auch ein wenig stolz.

„Hm“, macht die Ortsamtsdame, als sie den Antrag inspiziert, „ist Ihnen die Unterschrift da unten nicht ein wenig ins Schwarze geraten?“ Na ja, könnte schon sein, gerade so. Aber wenn’s nach mir ginge, dann …

Zu spät: Sie hat den Antrag bereits zerrissen und zerknüllt und druckt einen neuen aus. Jetzt bin ich enorm unter Druck, und Druck wirkt sich auf meine Testierfähigkeit aus wie eine mutierte Vogelspinne auf Arachnophobiker.

Zittrig setze ich an, verkrampfe augenblicklich, versuche das Debakel mit adrenalingepeitschtem Aktionismus in letzter Sekunde abzuwenden – und gerate diesmal ins Schwarze oben. Deutlich sogar. „Meine Unterschrift“, werfe ich kleinlaut ein, „ist eben sehr vertikal.“

Das mache nichts, antwortet die einfühlsame Ortsamtsfrau, während sie mich über ihre Lesebrille hinweg mustert, den Antrag zerreißt und einen neuen ausdruckt. Diesmal gelingt mir ein Gekrakel, als hätte Picasso einen epileptischen Anfall. Und obwohl dieses Gebilde nirgendwo ins Schwarze lappt, ist uns beiden stillschweigend klar, dass es keinesfalls die nächsten zehn Jahre auf einem nichtelektronischen Ausweis von sekundenlanger Schreibinkontinenz künden sollte.

Sie knüllt und zerreißt mit zunehmender Professionalität, Gleiches gilt für die Routine ihres Ausdruckens. Ihr Blick über die Lesebrille ist dabei weiterhin von Gelassenheit und Milde geprägt, ganz so, als hielte sie mich gar nicht für einen Idioten mit Schüttellähmung. Sie sollte auf Seelsorgerin umschulen.

Also Antrag Nr. 4 – und es klappt! Ich habe mich ins Ziel gerettet! Sie ist nicht schön, diese Unterschrift, zumindest nicht so schön wie die erste, die gewiss bei genauerem Hinsehen gar nicht ins untere Schwarze gelappt und deshalb eigentlich eine Chance verdient hatte. Aber immerhin.

„So“, sagt die Ortsamtsfrau sehr sanft, „das macht dann vier mal acht Euro. Also 32.“ Ich starre sie entgeistert an.


„Nur ’n Scherz“, sagt die Ortsamtsfrau.

Hoffentlich sitzt sie in zehn Jahren noch da, wenn meine neue gute, alte Plastikkarte ablaufen wird. Irgendwie sind wir ein gutes Team.

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31 März 2010

Der Besuch

Meine Nichte (16) ist zu Besuch. Sie kommt vom Dorf und ist jetzt in der großen Stadt. Grandios! Oder doch nicht? Ein beispielhafter Dialog.

Matt: Und, was machen wir – mit der Fähre durch den Hafen tuckern?
Nichte (maulig simsend): Mir egal.
Matt: Lust aufn Eis?
Nichte (rollt mit den Augen, beackert ihr Handy): Nö.
Matt: Okay, was ist dir lieber: Achterbahn aufm Dom oder Konzert im Knust?
Nichte (genervt, ihr Telefon vibriert, weil eine SMS reinkommt): Egal.
Matt: Worauf hast du denn mal so richtig Lust?
Nichte (desinteressiert zurücksimsend): Weiß net.
Matt: Shoppen?
Nichte (elektrisiert, schaut erstmals hoch): Au ja! Gibt’s hier H&M?

Außer zu H&M mussten wir dann auch noch zu Starbucks (omg!), promod (???) und Tally Weijl (wtf?).

Irgendwie beschleicht mich das Gefühl, ich verliere gerade den Kontakt zur Jugend.



25 März 2010

Über kurze Hosen (aus gegebenen Anlass)

Albern macht glücklich. Und umgekehrt. Deshalb fühle ich mich ganz wohl in meinem unreifen Leben, das geprägt ist von diversen nicht altersgemäßen Hobbys.

Ich meine: Wer erzählt schon in einem Weblog vom kaputten Reißverschluss an seiner Hosenvorderfront? Na bitte. Außerdem habe ich mal mit Scanner, Photoshop und Drucker einen Brief der Telekom täuschend echt nachgebaut (samt Unterschrift des Vorstandsvorsitzenden!) und damit meinem Schwiegervater weisgemacht, ihm werde der Handyvertrag gekündigt, weil er zu wenig telefoniere.

Das war kindisch – und hat Spaß gemacht. Wie überhaupt so vieles, was pennälerhaft anmutet. Zum Beispiel Kalauer bauen. Wie nennt man schlechte Krimischreiber? Thrillerpfeifen … Tut mir Leid, mir macht so etwas Spaß, aber eine adäquate Tätigkeit für einen Menschen meines Alters ist das nicht, zugegeben.

Ich habe – im Gegensatz zu meiner Umwelt – nie gelitten unter dieser Marotte, doch so richtig das Herz auf ging mir erst dank des russisch-amerikanischen Dichters Vladimir Nabokov. „Meine Seele wird immer kurze Hosen tragen“, sagte er mal, und plötzlich fühlte ich mich verstanden, obwohl ich nicht mal an eine Seele glaube.

Es ist also keine Frage des Alters, sondern der Einstellung. Und was ist gegen ein kleines Glück zu sagen, selbst wenn es sich aus dem Kindischsein speist? Bei meinen Eltern ziehe ich trotzdem nicht wieder ein, versprochen. Obwohl: Könnte ebenfalls spaßig sein.

Wie heißt es so schön? Wenn die Weisheit mit dem Alter kommt, steckt die Menschheit noch in den Kinderschuhen. Damit habe ich kein Problem. Einer geht übrigens noch (einmal): Wie nennt man es, wenn alte Herrschaften Sex haben?

Na, Greisverkehr.

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21 Juli 2009

Der Mann im Mond und Hildegard (Wiederholung/Remaster)



Damals betrieb Hildegard die einzige Wirtschaft im Dorf. Sie war eine burschikose Wirtin, die ihre eisgraue Struppigkeit gerne schwarz eingefärbt trug. Ihr mächtiger Busen wogte über dürren, zum Oval gebogenen Beinen – ein asymmetrischer, gleichwohl imposanter Anblick. Zweimal im Jahr wackelte Hildegard zur benachbarten Kirche; an den restlichen 363 Tagen bot ihre Kneipe die Alternative zu klerikalen Pflichten.

Im Juli 1969 aber bekam Hildegard Konkurrenz vom Fernsehen, das damals noch schwarzweiß war. Wir Kinder saßen davor und machten „Ooooh!“. Verschwommen war nämlich ein Raumschiff zu sehen, dessen Spinnenbeine fast an die von Hildegard erinnerten. Es stand in einer Wüstenei, und überm Horizont hockte ein böser schwarzer Himmel. Überall fraßen harte Schatten an gleißenden Lichtkanten.

Da war eine Leiter. Und ein Mann im weißen Raumanzug, der zu schweben schien. Auf der Scheibe seiner Helmkugel spiegelte sich die Sonne. Sein Gesicht sah man nicht. Der Mann hüpfte flink die Sprossen hinab, das sah lustig aus. Mit jeder Bewegung schlierte er Lichtbögen auf unseren Bildschirm, sie verblassten nur langsam. Stimmgewirr war zu hören, Gebrabbel wie aus einem gestörten Telefonhörer – Geisterstimmen der Moderne, von quiekenden Funksignalen durchzuckt.

Der Mann schwebte sachte von der Leiter auf den Boden, er schien leicht wie eine Feder. Staubwölkchen spritzten silbrig auf und sanken schläfrig wieder hinab. NEIL ARMSTRONG: der Mann im Mond trug endlich einen Namen. Abends liefen wir raus und starrten den Trabanten an, doch er sah aus wie immer.

Es war der 21. Juli 1969. Vor 40 Jahren.

Noch lange danach nahm ich Science-Fiction-Filme nicht ernst, wenn die Bilder scharf und bunt waren. Das Wahre und das Alte: Beides hat keine Farbe. Nehmen wir die erste Hälfte des 20. Jahrhunderts: Sie war schwarzweiß. „Vom Winde verweht“ in seinem obszönen Technicolor war ein Irrtum in der Zeit. Sich Chaplin oder Hitler rotwangig vor blauem Himmel vorzustellen, das hat etwas Falsches, trotz Guido Knopp.

„Das Leben ist in Farbe“, hat Wim Wenders mal gesagt, „aber Schwarzweiß ist realistischer.“ Hildegard kannte Wim Wenders nicht, aber den Unterschied zwischen Appel- und Doppelkorn. Das reichte, um an jenem Julitag zur Zweiflerin zu werden. „Aich glaawes net!", rief Hildegard im breiten Dorfdialekt, den ich mir damals gerade abzugewöhnen begann, weil man in der Schule nur mit Hochdeutsch weiterkam. „Ich glaube es nicht!“

Wir lachten uns tot. Hildegard glaubte nicht an Neil, den Mann im Mond? Dabei war er doch im Fernsehen gewesen, verhuscht und verwischt zwar, aber schwarz auf weiß! Nein, Hildegard glaubte es trotzdem nicht. Niemand fliegt einfach so zum Mond, so hoch wie der im Nichts hängt über Kneipe und Kirche, so „far far away“, wie die Slade kurz darauf aus Hildegards Jukebox plärren sollten, ehe man über Brandt und Punk und Ölkrisen, über Kohl, Cobain und Irak die Mondlandung allmählich vergessen sollte.

Nein, Hildegard glaubte es nicht. Heute, nach 40 Jahren mit falschen Hitler-Tagebüchern und echten Videokriegen, nach virtuellen Welten, dem „Unternehmen Capricorn“ und Cybersex, heute würde sich keiner mehr totlachen über Hildegard. Sie, die unbewusste Kassandra vom Dorf, misstraute dem schon früh, dem damals alle noch bewusstlos trauten: dem Bild.

Im Moon-Register des Reiseveranstalters Thomas Cook haben sich schon Zehntausende eingetragen, um baldmöglichst eine Pauschalreise zum Mond anzutreten.


Hildegard ist nicht dabei.

PS: Alles über Wahrheit und Lügen zur Mondlandung gibt es auf dieser außergewöhnlich großartigen Website von Uwe Rexin.


05 Juli 2009

Meine Beziehung zur Flora

Es gehört zu meinen erstaunlichsten natürlichen Fähigkeiten, Zimmerpflanzen dauerhaft in einem Niemandsland zwischen Nichtmehrwachsen und Nochnichteingehen dahinvegetieren lassen zu können.

Man könnte auch sagen: Ich habe einen „grauen Daumen“.


09 März 2009

Lost in desorientation 2?

Wollte auf dem Flohmarkt im Real-Parkhaus (Foto) eine Festplatte mit einem Terabyte Speicher für sagenhaft günstige 50 Euro kaufen, doch ich hatte zu wenig Geld dabei.

Nachdem ich durchs ganze Schanzenviertel geirrt war, ehe ich endlich am Schulterblatt einen Bankautomaten entdeckte, musste ich nach meiner Rückkehr zu Real feststellen, dass der Verkäufer längst seinen Tisch abgebaut und sich ins Wochenende empfohlen hatte.

Eine andere mögliche Erklärung lautet: Ich habe schlicht seinen Stand nicht mehr gefunden.

Die ist aber extrem unplausibel.