05 Juni 2006

Ein ganz mieses Nie-Wo

Ich habe schon immer zum Kalauern geneigt, nicht nur über Pfingsten auf Rügen. Ein guter Kalauer ist so doof, dass er schon wieder gut ist. Natürlich muss er einen Sinn ergeben, l’art pour l’art macht ihn fad. Doppeldeutigkeit, vertrackter Hintersinn und ein inhaltlich intakter Bezug beim Verdrehen und Veräppeln eines Spruchs: All das muss ein Vertreter dieses zu Unrecht verpönten Genres schon leisten, wenn er als perfekt geadelt werden möchte. Das ist natürlich bockelschwer, und das meiste, was einem so aus dem Finger rutscht, ist höchstens schön doof, aber keinesfalls weltmeisterlich.

So ahnt man kurioserweise in der Stadt Calau, die angeblich doch seine Namensgeberin gewesen sein soll, nicht einmal, was ein Kalauer überhaupt ist. Das beweist die Rubrik „Kalauer des Monats“ auf ihrer Website, wo es viele miese Witze gibt, aber definitiv keine Kalauer. Hallo, Calau, das hier zum Beispiel ist ein echter: Was heißt Sonnenuntergang auf Finnisch? Hell-Sinki.

Zugegeben, der ist äußerst übel. Selbst ich wage mir dabei allenfalls ins Fäustchen zu lachen, obwohl ich glaube, ihn vor vielen Jahren selbst verbrochen zu haben. Oder nehmen wir den hier: Was sagte die betuchte Adlige, als sie noch einmal über ihre sündhaft teure Geschlechtsumwandlung nachsann? „Once I was rich – now I am Richard …“ Deutliche Steigerung, behaupte ich. Dennoch überlasse ich ihn gern der Beurteilung der Nachwelt. Oder: Wie könnte man die Suche nach jamaikanischen Gangstern nennen? Natürlich Rasta-Fahndung. Und so weiter.

Kalauer jedenfalls passieren mir ständig. Als wir am Freitag vor Pfingsten in Binz auf Rügen eintrafen, fiel mir als erstes ein kalauernder Werbeslogan ein, mit dem das Strandstädtchen junge Individualurlauber anlocken könnte: „Ich binz, wer sonz?“ Gut, der ist grauenhaft. Aber auch ein bisschen lustig. Für mich wenigstens. Selbst Ms. Columbo grinst meist höflich schief, wenn ich mal wieder ein Exemplar zum Besten gebe, was ungefähr täglich vorkommt. Manchmal lacht sie aber auch glöckchenhell auf, und dann weiß ich: Es war ein guter.

Die Kalaueritis wirkt sogar ansteckend. Wenn ich mich recht entsinne, ist der hier auf Ms. Columbos Dung gediehen: Wie nennt man vegetarische Rentner? Korn-Greise … Chapeau! Davon inspiriert kreierte ich – als intern Zuständiger für Schmuddeligkeiten – diesen Bruder im Geiste: Wenn alte Herrschaften Sex haben, nennt man das doch wohl … Greisverkehr. Harhar.

Der Fahrradverleih in Binz heißt übrigens „RADzfatz“. Finde ich zu bemüht, offen gestanden. Ich fühlte mich kalauertechnisch dank meines „Ich binz“ also sicher und überlegen auf der Insel. Doch kurz vor der Abreise musste ich mich düpieren lassen. Da parkte am Straßenrand ein Kleinwagen, der über und über mit Werbung vollgepflastert war, und mittendrin prunkte die Internetadresse www.ich-binz.info.

Jemand war also vor mir da gewesen. Es tröstete mich gar nicht – im Gegenteil –, als ich auf besagter Homepage auch noch diverse Volldeppenapostrophe entdeckte („Info's“, „FeWo’s“). Doch irgendwie passt das zum bisweilen abgrundtiefen „Nie-Wo“ (Arno Schmidt) dieses Beitrags. Gleichwohl möchte ich darum bitten, mir schweinische Elektropost zu ersparen. Also keine Iiiih-Mails, okay …?

(Foto: das schimpansenartige Gesicht des Fernrohrs auf der Binzer Seebrücke)
Ex cathedra: Die Top 3 der Songs über Inseln
1. „Island in the sun“ von Harry Belafonte
2. „Tiny island“ von Leo Kottke
3. „Bermuda“ von Jonathan Richman



14 Kommentare:

  1. ich, zum Bleistift, finde Obst-technisch, also so an und Pfirsich, haste total recht!

    AntwortenLöschen
  2. Schätz dich glücklich das du "ich binz" warst. Das Hossa hier war nicht zu ertragen ;)

    AntwortenLöschen
  3. Das glaube ich gerne! Allein beim Gedanken daran schaudert's mich noch mehr als in dem Augenblick, als ich an Pfingsten die Füße in die eiskalte Ostsee stippte.

    AntwortenLöschen
  4. Hat die Ochsentour erkenntnistechnisch nicht auch noch andere Früchte getragen, z.B. beim Blick durch den blauen Fernseher mit den abstehenden Ohren?

    Ja, dreimal sind die Heidihossas unten vorbei gemovt und Opa konnte wegen des beschissenen Wetters nicht einmal in den Stadtpark flüchten. Nach Kiel auslagern wie die Berliner die Love Parade!

    Ja,ja, so blau, blau, blau blüht der Enzian
    Was ist das bloß für eine Zeit.
    Auf Rügen stirbt nicht mal ein Schwan
    und Kalau liegt mir viel zu weit.

    AntwortenLöschen
  5. Haha, ich musste bei diesem Pseudonym gleich wieder an die wunderbar deftige Seemannsvokabel „Lochschwager“ denken … ;-)

    Beim Schlagermove würde ich eine Auslagerung in wirklich bedürftige Regionen befürworten. Zum Beispiel schwebt mir Bitterfeld vor oder Tschernobyl. Eins von beiden dürfen sich die Organisatoren aussuchen – die Zeit läuft ab JETZT.

    AntwortenLöschen
  6. Bin selber großer Kalauer-Fan. Grad eben hab ich erst zu einem Freund gemeint, dass Hip-Hopper, falls bei ihnen was kaputt geht, es RAParieren. Oder der Romantiger... oder die Tiere die Rechnen können, wie das Oktoplus und der Säbelzahltiger... Aber Niveau haben sie nicht, hehe

    AntwortenLöschen
  7. Hach, ich bin nicht allein auf der Welt. Schönes Gefühl …

    AntwortenLöschen
  8. Apropos schlimme Slogans: "Willkommen in OTTERnsen" am Bahnhof Altona ist auch großes Kalauerkino.
    Sah außerdem letztens ein T-Shirt mit dem Aufdruck: "Ich bin magisch-depressiv". Jaaaaa.

    AntwortenLöschen
  9. Hätt ich das mal früher gewußt, Matt, dann hätte ich mir auch während unserer letzten Treffen nicht alle fünf Minuten auf die Zunge gebissen.

    Aber ich will ja nicht larmoyant werden. Apropos Fußball: Wundervolle Kalauer sind ja schon manche Namen. Wie Pit Schnaß, der Kapitän. Oder Ede Ka, der Ladendieb (gähn). Oder die Mutter Zion (Biologin a.D.) Frau Lotte Rie hingegen fällt schon wieder deutlich ab, wogegen der Olaf Dochnetweg (ängstlicher Hesse) schon wieder echtes Gassenahuerpotential hat.

    Aber ich muß weiter. Am Horizont erwarten mich schon Vater und Mutter Morgana.

    Okay, der war geklaut und dennoch nicht lustig. Aber darum gehts ja. Jedenfalls dann, wenn man's weiß.

    Hmm - wobei das ja hieße, daß der gleiche Witz unterschiedliche Wirkungen hätte, je nachdem, wie schlau der Erzählende ist?

    Ach egal.Mir wird das alles zu fadenscheinig.

    AntwortenLöschen
  10. Na, dann freue ich mich schon aufs nächste Treffen … ;-)

    AntwortenLöschen
  11. Wie sagt mein Vater immer - In Studentenwohnheimen sind die Toiletten indisch.. jenseits des Ganges.

    Ein Klassiker.

    AntwortenLöschen
  12. Your are Excellent. And so is your site! Keep up the good work. Bookmarked.
    »

    AntwortenLöschen
  13. Interesting website with a lot of resources and detailed explanations.
    »

    AntwortenLöschen