Nach einer Party in der Kantine des Spiegelgebäudes stehen A. und ich an der Garderobe und wundern uns über den meterlangen Stau.
Ich meine: Wir sind hier beim Spiegel, und wenn donnerstags der Bundespräsident in einer Schwulenbar erwischt würde, dann hätten die cleveren Jungs sonntags eine 18-seitige Titelstory im Heft. Aber hier an der Garderobe geht gar nichts mehr.
Bald stellt sich heraus warum. Die beiden zuständigen Damen haben zwar Nummernschildchen ausgegeben, doch die Kleidungsstücke wild durcheinander gehängt. Die 73 benachbart die 154, die 18 freut sich übers Zufallstreffen mit der 66.
In der Schlange herrscht bald ärgerliches Gemurmel, das allmählich übergeht in lautstark sich äußernde Misslaune. Doch es bleibt nicht lange bei der verbalen Artikulation. Wie jede soziale Bewegung, so drängt auch diese Menge auf die schnelle Lösung, und natürlich ist es eine gewaltsame.
Auch wir sind willenloser Teil des Mobs und stürzen uns mit unseren Schildchen in den Mantelwald. Hilf- und machtlos schaut das Garderobierenensemble dem wilden Treiben zu. So müssen sich damals die DDR-Grenzer beim Fall der Mauer gefühlt haben. Ich habe die Nummer 180 und wühle mich durchs Stoffmeer.
„Freie Auswahl!“, rufe ich A. zu, und wahrscheinlich glühen meine Wangen dabei rot vor Aufregung. Er reagiert gelassen. „Du machst dabei“, sagt er, „auf jeden Fall ein gutes Geschäft.“
Frechheit! Schließlich vertraute ich der Chaosgarderobiere meinen feinsten tiefblauen Baumwollmantel an. Ich schiebe A. ein schiefes Grinsen rüber und analysiere seine despektierliche Bemerkung als Folge übergroßen Alkoholkonsums. Noch vor wenigen Minuten nämlich kommentierte A. die Entgegennahme eines roten Salentoweins mit den bereits leicht ins Unscharfe lappenden Worten: „Ich steh zu meim Abstaubertum.“
Schließlich türmen wir mit unserer Beute Richtung U-Bahn, und o Wunder, es sind unsere eigenen Oberkleider. Der Abend endet dann im Silbersack, wo eine Rentnerreisegruppe zu „Tanze Samba mit mir“ hüftsteif das Sambatanzen imitiert.
A. möchte eine Knolle, ich einen Weißwein. Ich gehe zur Theke. „Was für einen Weißen gibt es denn?“, frage ich den Wirt. Der macht „Puh!“, bläst ratlos die Backen auf und verschwindet zu Recherchezwecken im Nebenraum.
Ein mittdreißiger Wuschelkopf mit Schneidezahnlücke wird Zeuge dieses in der Silbersackgeschichte wohl einmaligen Vorfalls und grinst mich ungeachtet seiner dentalen Mängel frontal an. „Falsche Frogee!“, konstatiert er hochamüsiert.
Ich gebe ihm sofort Recht – bekomme zum Lohn aber einen direktimportierten Pfälzer Müller-Thurgau, wie der Wirt in akribischer Kleinarbeit ermittelt hat. Was mal wieder beweist: Es gibt keine dummen Fragen, selbst im Silbersack nicht.
Auf dem Heimweg überquere ich den Hans-Albers-Platz, wo außer einem halben Dutzend Huren niemand zu sehen ist. Doch selbst die haben voll den Montagsblues, denn zur Abwehr ihres höchstens viertelherzigen „Kommste mal mit?“ reicht mein bloßes Schweigen völlig aus.
Und das ist normalerweise völlig anders.
Ich bin doch sehr froh darüber, daß mich A. anscheinend in jeder Beziehung sehr würdig vertreten hat... ;-)
AntwortenLöschenMontagsblues. Wie gut, dass heute schon Dienstag ist...
AntwortenLöschenMatt, wie kommt es nur dazu, dass Ihre sogenannten "Freunde" immer auf Ihrer Bekleidung herumhacken? Dies natürlich und Gottseidank! nur im übertragenen Sinne.
Dabei trugen Sie nicht einmal Ihre frischumgetauschte Lands End-Jacke.
Montagesblues - das wandert in meinen Sprachschatz. Danke!
AntwortenLöschenIch bin irritiert. Niemand stellt die Fragen aller Fragen der Nichthanseaten: Was ist eine Knolle?
AntwortenLöschenIch nehme ein "n" zurück.
AntwortenLöschenIch bin ebenfalls irritiert.
AntwortenLöschenSo was Elementares weiß man doch auch woanders.
Eine Knolle ist ein Stubbi.
Glück auf! :-)
Eine kleine gedrungene Flasche mit Bierbauch, zu kurzem Hals und elementarem Inhalt: Das ist eine Knolle.
AntwortenLöschenGP, in der Tat hätte ich A. beinahe mit Ihnen verwechselt. Zumal er ebenfalls mit Frauengeschichten glänzen konnte, der Hallodri.
Anna, ich weiß auch nicht, warum meine Kleidung so oft ein Thema ist. Ich zum Beispiel mokiere mich nie darüber, wenn meine Freunde Armani tragen oder Cargohosen. Ich lasse ihnen einfach die Freude.
"Eine kleine gedrungene Flasche mit Bierbauch, zu kurzem Hals und elementarem Inhalt: Das ist eine Knolle."
AntwortenLöschenIch bin schon wieder irritiert und geknickt! Niemand hat mich bisher eine Knolle genannt... :-(