Auf dem Heimweg von einem Konzert betrete ich spontan die St.Pauli-Kneipe in der Detlev-Bremer-Straße, weil dort, wie von draußen zu sehen ist, ein Fußballspiel übertragen wird.
Hier wird gequalmt, als gäbe es kein Morgen und kein Gesetz dagegen. Und die Leinwand zeigt ein Bild, dessen Milchigkeit nur noch von seiner Unschärfe übertroffen wird.
Ich bestelle Orangensaft. Der Wirt schaut mich kurz an, als hätte ich ihm eröffnet, ich sei sein bei der Geburt getrennter Zwillingsbruder. Dann kramt er eine Weile im Kühlschrank und holt eine frische Flasche hervor. Er schüttelt sie so gekonnt, als hätte hier in der St.Pauli-Kneipe wirklich schon mal jemand Saft bestellt. Aber vielleicht transferiert er auch einfach sein Cocktailkönnen auf neues Terrain.
Ich setze mich an einen Tisch nah an der Theke (jeder Platz ist hier nahe an der Theke). Dort, am Tresen, führt ein Mann mit abgewetztem Jacket das große Wort und übertönt damit lässig den Sportreporter von der milchigen Leinwand. Der Mann wirkt schmierig, ungefähr wie Rolf Zacher, und strahlt jenes völlig grundlose Machoselbstvertrauen aus, das man nicht selten findet hier auf dem Kiez, bei Jung und Alt.
Er jedenfalls ist eher alt, sein Haar aber noch voll und ohne graue Strähnen, was nach meiner bescheidenen Meinung kein Geschenk der Natur ist. Der Mann stützt den Ellenbogen auf die Theke, hält die Zigarette hoch in die Luft und labert seinem jungen Nachbarn ein Ohr ab.
„Ich rauch seit 53 Johrn“, informiert er jetzt. Damit scheint er sich für ein positives Rollenmodell zu halten, denn: „Da gibt's welche, die kommen aufn Gesundheitstribb, die hörn auf zu saufen und hörn auf zu rauchen. Aber das machd der Organismus gor nich midd – unn wech sinnse!“
Längst übertönt er den Fußballreporter. Gut so. „Der Organismus“, paraphrasiert er, „kommt damit einfach nich zurächd.“ Sein Opfer schweigt. Der Schmierige zieht an der Zigarette, es ist etwa die vierhunderttausendste in 53 Jahren.
„Du“, wechselt er unvermittelt das Thema, „wenn ich deine Mudder känngelärnd hädde, dann wärst du jetz mein Souhn. Du, der hädd ich einen reingeperlt! Aber ich hab die ja gor nich känngelärnd.“
Mein Orangensaft ist alle. Ich wette, wenn ich in acht Wochen wieder hier einkehrte und ein Glas bestellte, es käme aus derselben Flasche. Und der schmierige Reinperler säße wieder rauchend an der Theke, mit tadellos funktionierendem Organismus.
Er darf nur nicht versehentlich aufhören zu rauchen. Dann isser wech.
Nee Nee, dann isser wech.
AntwortenLöschenMan beachte den Unterschied.
und Sie sind ganz sicher, dass Sie nicht in der nächsten Folge von "Ditsche" zu sehen sind? Am Steh-Tisch von Schildkröte - mit O-Saft? Uns könnten Sie es ja verraten...
AntwortenLöschendein_koenig, Sie haben Recht, da ist mir ein lautschriftlicher Fehler unterlaufen. Ich hoffe, Sie sehen es mir nach, ihn korrigiert zu haben und damit Ihren Kommentar absurd werden zu lassen …
AntwortenLöschenElbkind, schalten Sie einfach ein. Übrigens werde ich demnächst wirklich Schildkröte treffen. Mehr alsbald.
Welche Kneipe ist das denn? (Ich wohne seit 1,5 Jahren im Osten der Stadt, da verliert man so ein wenig den Überblick.)
AntwortenLöschenIch suche wegen EM eine Pinte mit Beamer und Raucherlaubnis, damit ich beim lauthalsen Lamentieren an der Theke meine kruden Kommentare mit Zigarettengewedel untermalen kann.
Danke, ich mag es absurde Kommentare abzugeben.
AntwortenLöschenCool - Schildkröte. Freu mich für dich. Kleines Interview für den Blog und seine Freunde wär schön.
Grandios
AntwortenLöschen- und wieder so voll Hamburger Luft - *tief einatme*
Oh Mann, wie gerne hätte ich dem Reinperler gelauscht. Manchmal beneide ich Sie ob der Gegend, in der Sie residieren.
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