Die Rechnung im Restaurant beläuft sich auf 71,90 Euro. Das ist überraschend niedrig. Nach meiner Empfindung müsste sie ungefähr zehn Euro höher liegen.
Ich studiere den Beleg. Aha: Das 4-Gänge-Menü taucht versehentlich mit nur drei Gängen auf. Was nun?
„Selber schuld“, flüstert Ms. Columbo.
„Na gut, dann sage ich 78 Euro“, flüstere ich zurück.
„76“, zischt Ms. Columbo.
„Waaas?“, brülle ich lautlos, „sie haben sich zu unseren Gunsten verrechnet, und ich soll ein Popeltrinkgeld geben?“
Ms. Columbo schaut stählern. „Genau“, sagt sie.
Der Ober kommt. „78 bitte“, sage ich mit unmerklichem Zittern in der Stimme.
Wer ohne Schuld ist, werfe den ersten Stein.
Wir gehen und klingeln zwei Straßen weiter bei GP. Der Messerblock in seiner Küche scheint irgendwie den Abend zu kommentieren. Doch ich will lieber nicht darüber nachdenken, wie sich das alles dereinst auf unsere Lebensbilanz auswirken wird.
Übrigens waren die Tagliatelle, die es als zweiten Gang gab, lau und ungesalzen. Zum Glück.
„3000 Plattenkritiken“ | „Die Frankensaga – Vollfettstufe“ | RSS-Feed | In memoriam | mattwagner {at} web.de |
15 Juli 2007
14 Juli 2007
Fahrraddieb am Werk (2)
(Fortsetzung dieses Beitrags)
20:22 Uhr, Polizeiwache 16, Lerchenstraße.
Ich: (trete an den verwaisten Tresen; aus dem Nebenraum kommt eine Polizistin. Sie ist burschikos, ihre Unterlippe hängt ein wenig, sie mustert mich von unten.)
Polizistin: Ja?
Ich: Guten Tag. (halte den abgebrochenen Schlüssel hoch) Gestern Abend ist mir dieser Schlüssel im Fahrradschloss abgebrochen, und jetzt habe ich eine Flex dabei, um es durchzuschneiden. Das wollte ich Ihnen nur sagen, damit Sie mich nicht verhaften, wenn Sie mich dabei erwischen.
Polizistin: (stutzt kurz, schaut triefäugig, dann:) Machense ma.
Ich: (überrascht) Ja?
Polizistin: Ja.
Ich: Danke. Auf Wiedersehen.
Polizistin: (im Abgehen) Wiedersehn.
15 Minuten später, am Bunker.
Das Fahrrad lehnt noch am Baum. Irgendjemand hat einen tadellosen lila Rucksack auf den Gepäckträger gepackt. Ein saumseliger Passant steht in der Nähe und sinniert in der Gegend herum. Überhaupt herrscht eine überraschende Bevölkerungsdichte.
Ich tue unschuldig, wage es aber noch nicht, die Flex zu zücken. Wenn von rechts gerade keine Touristentruppe Richtung U Feldstraße schlendert, kommt von links mindestens eine Fahrradkolonne. Verdammt.
Ich beginne zu schwitzen. Dabei will ich doch nur mein eigenes Fahrrad losschneiden. Plötzlich eine Passantenstromlücke. Ich zücke die Flex, ich setze sie an – und sehe auf der anderen Straßenseite eine Frau im lockeren Schanzenlook auf dem Geländer sitzen. Sie raucht und beobachtet mich.
Egal, denke ich, besser nur eine als gleich zwölf, und schneide. Die Flex kreischt, als folterte man ein Schwein, das hört man bestimmt noch in Altona, und der Funkenkranz, den sie schlägt, ginge auch als Freitagsfeuerwerk auf dem Dom durch.
Die Frau schaut nicht nur, sie schaut misstrauisch, wenn nicht alarmiert. Ich schwitze stärker, ich drücke die kreischende Flex auf die Fahrradkette, ich stehe im Funkenregen – und klack, die Kette ist durch.
Fahrig stecke ich das Teufelsgerät in die Umhängetasche, mir doch egal, wenn das Schneiderad heiß ist, Hauptsache schnell weg. Ich ziehe am Rad, die Frau stiert, sie vergisst sogar zu rauchen. Panisch schwinge ich mich auf den Sattel, spüre die Verdunstungskälte des Schweißes im Nacken, ich fahre los, sie ist halb aufgestanden, ich trete heftig in die Pedale, schneller, schneller – und bin in Sicherheit.
Sie ist die Einzige, die eine Personenbeschreibung abgeben kann. Und dann wird sich die triefäugige Polizistin auf Wache 16 hoffentlich an mich erinnern und das Verfahren einfach stillschweigend einstellen.
Meine einzige Chance.
20:22 Uhr, Polizeiwache 16, Lerchenstraße.
Ich: (trete an den verwaisten Tresen; aus dem Nebenraum kommt eine Polizistin. Sie ist burschikos, ihre Unterlippe hängt ein wenig, sie mustert mich von unten.)
Polizistin: Ja?
Ich: Guten Tag. (halte den abgebrochenen Schlüssel hoch) Gestern Abend ist mir dieser Schlüssel im Fahrradschloss abgebrochen, und jetzt habe ich eine Flex dabei, um es durchzuschneiden. Das wollte ich Ihnen nur sagen, damit Sie mich nicht verhaften, wenn Sie mich dabei erwischen.
Polizistin: (stutzt kurz, schaut triefäugig, dann:) Machense ma.
Ich: (überrascht) Ja?
Polizistin: Ja.
Ich: Danke. Auf Wiedersehen.
Polizistin: (im Abgehen) Wiedersehn.
15 Minuten später, am Bunker.
Das Fahrrad lehnt noch am Baum. Irgendjemand hat einen tadellosen lila Rucksack auf den Gepäckträger gepackt. Ein saumseliger Passant steht in der Nähe und sinniert in der Gegend herum. Überhaupt herrscht eine überraschende Bevölkerungsdichte.
Ich tue unschuldig, wage es aber noch nicht, die Flex zu zücken. Wenn von rechts gerade keine Touristentruppe Richtung U Feldstraße schlendert, kommt von links mindestens eine Fahrradkolonne. Verdammt.
Ich beginne zu schwitzen. Dabei will ich doch nur mein eigenes Fahrrad losschneiden. Plötzlich eine Passantenstromlücke. Ich zücke die Flex, ich setze sie an – und sehe auf der anderen Straßenseite eine Frau im lockeren Schanzenlook auf dem Geländer sitzen. Sie raucht und beobachtet mich.
Egal, denke ich, besser nur eine als gleich zwölf, und schneide. Die Flex kreischt, als folterte man ein Schwein, das hört man bestimmt noch in Altona, und der Funkenkranz, den sie schlägt, ginge auch als Freitagsfeuerwerk auf dem Dom durch.
Die Frau schaut nicht nur, sie schaut misstrauisch, wenn nicht alarmiert. Ich schwitze stärker, ich drücke die kreischende Flex auf die Fahrradkette, ich stehe im Funkenregen – und klack, die Kette ist durch.
Fahrig stecke ich das Teufelsgerät in die Umhängetasche, mir doch egal, wenn das Schneiderad heiß ist, Hauptsache schnell weg. Ich ziehe am Rad, die Frau stiert, sie vergisst sogar zu rauchen. Panisch schwinge ich mich auf den Sattel, spüre die Verdunstungskälte des Schweißes im Nacken, ich fahre los, sie ist halb aufgestanden, ich trete heftig in die Pedale, schneller, schneller – und bin in Sicherheit.
Sie ist die Einzige, die eine Personenbeschreibung abgeben kann. Und dann wird sich die triefäugige Polizistin auf Wache 16 hoffentlich an mich erinnern und das Verfahren einfach stillschweigend einstellen.
Meine einzige Chance.
13 Juli 2007
Fahrraddieb am Werk (1)
16:17 Uhr, Polizeistation Davidwache, am Tresen.
Ich: (hoffe auf die Aufmerksamkeit des konzentriert arbeitenden Polizisten)
Polizist: (ohne aufzublicken) Sie wünschen?
Ich: Ich brauche Ihren fachmännischen Rat.
Polizist: (schaut auf) Dann schießen Sie mal los.
Ich: (halte mein Schlüsselfragment hoch) Gestern Nacht wollte ich am Bunker an der Feldstraße mein Fahrrad losbinden, dabei brach mir der Schlüssel im Schloss ab. Wenn ich jetzt mit einem Bolzenschneider dort auftauche, sieht das irgendwie … blöd aus.
Polizist: (mit feinem Lächeln) Da haben Sie Recht.
Ich: … und deshalb brauche ich Ihren fachmännischen Rat. Was soll ich tun?
Polizist: (grinst) Ein klassischer FaW also: Fahrraddieb am Werk.
Ich: Ja, genau, haha.
Polizist: (wieder ernst) Haben Sie Belege über das Fahrrad?
Ich: Nein. War ein Flohmarktkauf. Ich habe nur ein Foto.
Polizist: Hm, wenn Sie beim Aufschneiden von jemand beobacht werden und der ruft die Kollegen, dann kommen die mit drei Wagen angerast.
Ich: Ich sehe, Sie verstehen mein Problem.
Polizist: … und dann müssen Sie die Geschichte noch mal erklären, das gibt Papierkram, vielleicht Ermittlungsverfahren. Ich würde Sie ja dann gehen lassen, aber …
Ich: … aber die vielleicht nicht.
Polizist: (schaut hilflos in den hinteren Raum, dann mehr zu sich selbst) Wir haben gerade keinen Wagen da …
Ich: Ich habe sowieso noch gar keinen Bolzenschneider.
Polizist: Am besten gehen Sie zur Wache 16, mit Bolzenschneider.
Ich: Ist das die an der Stresemannstraße?
Polizist: Lerchenstraße, Ecke Stresemann. Erzählen Sie den Kollegen, was Sie vorhaben. Vielleicht haben die auch einen Wagen da.
Ich: Gut. Dann besorge ich mir erst mal einen Bolzenschneider.
Polizist: Viel Glück.
Ich: Danke.
19:44 Uhr, beim Nachbarn. Er hat keinen Bolzenschneider. Aber er hat, wie er sagt, „etwas viel Besseres“: eine Flex. Er zeigt mir, wie sie funktioniert.
„Sei bloß vorsichtig“, mahnt er, „das Ding ist gefährlich. Die Funken fressen sich sogar in die Brille.“
(Fortsetzung folgt)
Ich: (hoffe auf die Aufmerksamkeit des konzentriert arbeitenden Polizisten)
Polizist: (ohne aufzublicken) Sie wünschen?
Ich: Ich brauche Ihren fachmännischen Rat.
Polizist: (schaut auf) Dann schießen Sie mal los.
Ich: (halte mein Schlüsselfragment hoch) Gestern Nacht wollte ich am Bunker an der Feldstraße mein Fahrrad losbinden, dabei brach mir der Schlüssel im Schloss ab. Wenn ich jetzt mit einem Bolzenschneider dort auftauche, sieht das irgendwie … blöd aus.
Polizist: (mit feinem Lächeln) Da haben Sie Recht.
Ich: … und deshalb brauche ich Ihren fachmännischen Rat. Was soll ich tun?
Polizist: (grinst) Ein klassischer FaW also: Fahrraddieb am Werk.
Ich: Ja, genau, haha.
Polizist: (wieder ernst) Haben Sie Belege über das Fahrrad?
Ich: Nein. War ein Flohmarktkauf. Ich habe nur ein Foto.
Polizist: Hm, wenn Sie beim Aufschneiden von jemand beobacht werden und der ruft die Kollegen, dann kommen die mit drei Wagen angerast.
Ich: Ich sehe, Sie verstehen mein Problem.
Polizist: … und dann müssen Sie die Geschichte noch mal erklären, das gibt Papierkram, vielleicht Ermittlungsverfahren. Ich würde Sie ja dann gehen lassen, aber …
Ich: … aber die vielleicht nicht.
Polizist: (schaut hilflos in den hinteren Raum, dann mehr zu sich selbst) Wir haben gerade keinen Wagen da …
Ich: Ich habe sowieso noch gar keinen Bolzenschneider.
Polizist: Am besten gehen Sie zur Wache 16, mit Bolzenschneider.
Ich: Ist das die an der Stresemannstraße?
Polizist: Lerchenstraße, Ecke Stresemann. Erzählen Sie den Kollegen, was Sie vorhaben. Vielleicht haben die auch einen Wagen da.
Ich: Gut. Dann besorge ich mir erst mal einen Bolzenschneider.
Polizist: Viel Glück.
Ich: Danke.
19:44 Uhr, beim Nachbarn. Er hat keinen Bolzenschneider. Aber er hat, wie er sagt, „etwas viel Besseres“: eine Flex. Er zeigt mir, wie sie funktioniert.
„Sei bloß vorsichtig“, mahnt er, „das Ding ist gefährlich. Die Funken fressen sich sogar in die Brille.“
(Fortsetzung folgt)
12 Juli 2007
Eher eine Großigkeit
Natürlich, eigentlich ist es nur eine Kleinigkeit.
Doch wenn du aus dem Bunker fliehst, wo dir das MySpace-Freikonzert der französischen Band Justice außer geschickt programmierten Beats nur musikalische Ödnis geboten hat, derweil du fast erstickt bist im Qualm und dir den 1. Januar 2008, also den (Feier-)Tag des Rauchverbotes in öffentlichen Räumen, innerlich herbeigesehnt hast (was verdammt noch mal nicht funktionierte), wenn du dann wie betäubt unten aus dem Lift taumelst, dein am Baum angekettetes Fahrrad losbinden willst und dir dabei der Schlüssel im Schloss abbricht:
Dann ist das eben doch keine reine Kleinigkeit mehr.
Also trottest du, während du dich mit der Anschaffung eines Bolzenschneiders anfreundest, fluchend zur U-Bahn, wo dich – ausgerechnet dich! – ein Herumhänger um eine Kippe anschnorrt, der dir nicht glaubt, dass du Nichtraucher bist, und ein anderer dir die Wartezeit mit einem geblökten Handygespräch in einem hässlichen afrikanischen Dialekt versüßt:
Dann ist das inzwischen fast schon eine Großigkeit.
Trotzdem war ich früher zu Hause, als es das Foto nahelegt, und das war eigentlich das Beste am ganzen Abend.
Doch wenn du aus dem Bunker fliehst, wo dir das MySpace-Freikonzert der französischen Band Justice außer geschickt programmierten Beats nur musikalische Ödnis geboten hat, derweil du fast erstickt bist im Qualm und dir den 1. Januar 2008, also den (Feier-)Tag des Rauchverbotes in öffentlichen Räumen, innerlich herbeigesehnt hast (was verdammt noch mal nicht funktionierte), wenn du dann wie betäubt unten aus dem Lift taumelst, dein am Baum angekettetes Fahrrad losbinden willst und dir dabei der Schlüssel im Schloss abbricht:
Dann ist das eben doch keine reine Kleinigkeit mehr.
Also trottest du, während du dich mit der Anschaffung eines Bolzenschneiders anfreundest, fluchend zur U-Bahn, wo dich – ausgerechnet dich! – ein Herumhänger um eine Kippe anschnorrt, der dir nicht glaubt, dass du Nichtraucher bist, und ein anderer dir die Wartezeit mit einem geblökten Handygespräch in einem hässlichen afrikanischen Dialekt versüßt:
Dann ist das inzwischen fast schon eine Großigkeit.
Trotzdem war ich früher zu Hause, als es das Foto nahelegt, und das war eigentlich das Beste am ganzen Abend.
11 Juli 2007
Voll fürn Haarsch
Anfangs befiel das Virus nur reine Friseurläden. Nachdem solche Etablissements jahrhundertelang mit Namen wie „Salon Renate“ zufrieden gewesen waren, führte der Virusbefall nun zu unkontrollierter Kalaueritis.
Aus dem soliden „Salon Renate“ wurde krankheitsbedingt plötzlich „Bel Hair“, „Schopfgeldjäger“, „CreHaartiv“, „Haarcienda“ oder gar „Philhaarmonie“ – Herr Sick hat eine ganze Horrorliste solcher Symptome zusammengetragen.
Ein befallener Laden könnte natürlich auch jederzeit „Hair-vorragend“ heißen, wobei ich persönlich aber erst bei „Voll fürn Haarsch“ bewundernd die Braue höbe.
Dank der pandemischen Ausmaße dieser friseurtypischen Erkrankung ist jedenfalls nichts mehr unmöglich. Allerdings beschränkte sich der Befall bisher auf die genannte Innung. Hier auf St. Pauli gibt es jetzt allerdings einen ersten Hinweis, dass unser Virus die Artengrenze zu überschreiten im Begriffe ist.
Beim Grünen Jäger nämlich stand ich unlängst erstaunt vor einem Laden namens „pony & kleid“. Die Erkrankten offerieren parallel Haarschnitte und Oberbekleidung, und diese unmittelbare Nähe zweier eigentlich unvereinbarer Metiers erlaubte wohl auch dem Virus, das bisher scharf umrissene Verbreitungsgebiet der reinen Friseurläden in Richtung Bekleidungsbranche zu verlassen.
„pony & kleid“ also. Hoffentlich wissen die arglosen Kunden, worauf das phonetisch anspielt – auf ein Verbrecherpärchen nämlich, das in den 30er Jahren für mindestens 13 Morde verantwortlich war.
Daran müsste ich ehrlich gesagt ständig denken, wenn ich hilflos auf einem Friseurstuhl säße und jemand näherte sich mir von hinten mit einer Schere.
Doch vor diesem Problem stehen ja nur Leute, die noch Haare haben, harhar.
PS: Bonnie Parker von Bonnie und Clyde hat übrigens kurz vor ihrem Tod ein recht romantisches, in seiner Conclusio aber scharfsinniges und verblüffend prophetisches Gedicht geschrieben. Hier ist der Link.
Aus dem soliden „Salon Renate“ wurde krankheitsbedingt plötzlich „Bel Hair“, „Schopfgeldjäger“, „CreHaartiv“, „Haarcienda“ oder gar „Philhaarmonie“ – Herr Sick hat eine ganze Horrorliste solcher Symptome zusammengetragen.
Ein befallener Laden könnte natürlich auch jederzeit „Hair-vorragend“ heißen, wobei ich persönlich aber erst bei „Voll fürn Haarsch“ bewundernd die Braue höbe.
Dank der pandemischen Ausmaße dieser friseurtypischen Erkrankung ist jedenfalls nichts mehr unmöglich. Allerdings beschränkte sich der Befall bisher auf die genannte Innung. Hier auf St. Pauli gibt es jetzt allerdings einen ersten Hinweis, dass unser Virus die Artengrenze zu überschreiten im Begriffe ist.
Beim Grünen Jäger nämlich stand ich unlängst erstaunt vor einem Laden namens „pony & kleid“. Die Erkrankten offerieren parallel Haarschnitte und Oberbekleidung, und diese unmittelbare Nähe zweier eigentlich unvereinbarer Metiers erlaubte wohl auch dem Virus, das bisher scharf umrissene Verbreitungsgebiet der reinen Friseurläden in Richtung Bekleidungsbranche zu verlassen.
„pony & kleid“ also. Hoffentlich wissen die arglosen Kunden, worauf das phonetisch anspielt – auf ein Verbrecherpärchen nämlich, das in den 30er Jahren für mindestens 13 Morde verantwortlich war.
Daran müsste ich ehrlich gesagt ständig denken, wenn ich hilflos auf einem Friseurstuhl säße und jemand näherte sich mir von hinten mit einer Schere.
Doch vor diesem Problem stehen ja nur Leute, die noch Haare haben, harhar.
PS: Bonnie Parker von Bonnie und Clyde hat übrigens kurz vor ihrem Tod ein recht romantisches, in seiner Conclusio aber scharfsinniges und verblüffend prophetisches Gedicht geschrieben. Hier ist der Link.
10 Juli 2007
Puler unter sich
Auf Kiezkneipentour mit A. Als Startpunkt designiert war die Hasenschaukel, doch die hat überraschend erst ab mittwochs auf.
Also rein in den benachbarten Silbersack, eine legendäre Kneipe mitten im Rotlichtviertel, die aber auch nicht mehr das ist, was sie mal war. Ihren Ruhm in den Reiseführern verdankt sie vor allem ihrer Vinylmusikbox mit Schlagern, doch die ist: weg, nicht mehr da, Geschichte.
Schlimmer noch: Sie wurde schnöde ersetzt durch eine CD-Box. So geht’s natürlich nicht, Silbersack, und vielleicht ist deswegen auch niemand da, als wir gegen 21.30 Uhr eintreffen.
Nach zwei Astra ziehen wir weiter in die Kogge, ein uriger Schummerladen mit kostenlosem Kicker, einem DJ, der den ganzen Abend famosen 50er-Jahre-Countryswing spielt, und einem kerzensatten Tresen, der zugleich eine Rezeption ist, denn die Kogge fungiert in einem halbgeheimen Zweitleben auch als Hotel, allerdings mit Dusche auf dem Flur und Klo im Keller. Aber das Flair!
Wir hocken am Tresen resp. der Rezeption und widmen uns zufrieden der fortgesetzten Astrabekämpfung. Dabei stellen A. und ich eine gemeinsame Macke fest: Wir pulen beide an Flaschenetiketten.
A. gesteht mir seine geheime Obsession fürs Silberpapier an den Hälsen von Jeverbuddeln. Ich hingegen preise die versteiften Aluminiumummantelungen von Sektflaschenkorken, die sich wunderbar knüllen, zwirbeln und zerkrumpeln lassen.
Momentan aber habe ich – wie gesagt – nur eine Astrapulle zur Hand, was nicht gut ist. Zum einen hat sie keine befingerbare Halskrause, sondern nur ein Bauchetikett. Und sobald du davon den ersten Zipfel vom Glas gelöst hast, kannst du mit der nötigen Feinfühligkeit, die freilich jeder passionierte Friemler wie nebenbei erwirbt, das ganze Etikett auf einmal von der Flasche ziehen, und zwar mit einem sanften Ritsch, das fast untergeht im Countryswing.
Doch das macht keinen Spaß, das geht zu leicht, zu schnell, das ist, als käme man zu früh. Man muss also immer neue Flaschen Astra ordern, und vielleicht will die sardonische Brauerei genau das und schlingt den Flaschen deswegen keine Krausen um den Hals.
Mit Erörterungen wie diesen geht der Abend dahin, und plötzlich ist es 2 Uhr morgens und Zeit zu gehen. Eine Hure spricht uns an in der Friedrichstraße, sie sagt den üblichen Spruch: „Ihr zwei, kommt ihr mal mit?“ Und zum wiederholten Male verpasse ich es, „Klar, wann hast du Feierabend?“ zurückzufragen. Ich wüsste zu gern, was sie antworten würde.
Na, beim nächsten Mal.
Also rein in den benachbarten Silbersack, eine legendäre Kneipe mitten im Rotlichtviertel, die aber auch nicht mehr das ist, was sie mal war. Ihren Ruhm in den Reiseführern verdankt sie vor allem ihrer Vinylmusikbox mit Schlagern, doch die ist: weg, nicht mehr da, Geschichte.
Schlimmer noch: Sie wurde schnöde ersetzt durch eine CD-Box. So geht’s natürlich nicht, Silbersack, und vielleicht ist deswegen auch niemand da, als wir gegen 21.30 Uhr eintreffen.
Nach zwei Astra ziehen wir weiter in die Kogge, ein uriger Schummerladen mit kostenlosem Kicker, einem DJ, der den ganzen Abend famosen 50er-Jahre-Countryswing spielt, und einem kerzensatten Tresen, der zugleich eine Rezeption ist, denn die Kogge fungiert in einem halbgeheimen Zweitleben auch als Hotel, allerdings mit Dusche auf dem Flur und Klo im Keller. Aber das Flair!
Wir hocken am Tresen resp. der Rezeption und widmen uns zufrieden der fortgesetzten Astrabekämpfung. Dabei stellen A. und ich eine gemeinsame Macke fest: Wir pulen beide an Flaschenetiketten.
A. gesteht mir seine geheime Obsession fürs Silberpapier an den Hälsen von Jeverbuddeln. Ich hingegen preise die versteiften Aluminiumummantelungen von Sektflaschenkorken, die sich wunderbar knüllen, zwirbeln und zerkrumpeln lassen.
Momentan aber habe ich – wie gesagt – nur eine Astrapulle zur Hand, was nicht gut ist. Zum einen hat sie keine befingerbare Halskrause, sondern nur ein Bauchetikett. Und sobald du davon den ersten Zipfel vom Glas gelöst hast, kannst du mit der nötigen Feinfühligkeit, die freilich jeder passionierte Friemler wie nebenbei erwirbt, das ganze Etikett auf einmal von der Flasche ziehen, und zwar mit einem sanften Ritsch, das fast untergeht im Countryswing.
Doch das macht keinen Spaß, das geht zu leicht, zu schnell, das ist, als käme man zu früh. Man muss also immer neue Flaschen Astra ordern, und vielleicht will die sardonische Brauerei genau das und schlingt den Flaschen deswegen keine Krausen um den Hals.
Mit Erörterungen wie diesen geht der Abend dahin, und plötzlich ist es 2 Uhr morgens und Zeit zu gehen. Eine Hure spricht uns an in der Friedrichstraße, sie sagt den üblichen Spruch: „Ihr zwei, kommt ihr mal mit?“ Und zum wiederholten Male verpasse ich es, „Klar, wann hast du Feierabend?“ zurückzufragen. Ich wüsste zu gern, was sie antworten würde.
Na, beim nächsten Mal.
09 Juli 2007
Die Lücke
08 Juli 2007
Mein Schutzengel darf flügellahm sein
Dieses Kiezwochenende hat es in sich. Nach der gestrigen Konfrontation mit dem Schlagermove radle ich mich heute mittag in etwas fest, das verkehrstechnisch genauso fatale Folgen hat: einem Motorradgottesdienst.
Für diese merkwürdige Veranstaltung (warum gibt es so etwas nicht für Dreiräder, Herpeskranke, Goldplombenverweiger oder Leute mit Verwandten im Saarland?) hat man die komplette Willy-Brandt-Straße dichtgemacht.
Dort stehen nun auf einem Kilometer Länge 35.000 Motorräder im Weg herum. Geh- und Radwege hingegen sind voll mit Motorradbesitzern wie Mekka mit Moslems. Ich stecke mit meinem Fahrrad mittendrin und ziemlich fest.
Fürs Umkehren ist es zu spät, vorwärts geht’s auch nur zentimeterweise. Unfreiwillig muss ich daher der Predigt lauschen, die live aus dem Michel übertragen wird.
Taktisch klug haben die Eventmanager des Motorradgottesdienstes alle paar Meter eine Lautsprecherbox montiert, so dass mir kein Wort entgeht, während ich mich und mein Fahrrad irgendwie durch das Gewusel der Ledergestalten zu wühlen versuche.
Dass die meisten dieser sog. Biker ihre Helme lässig am Arm baumeln lassen, erhöht ihren Platzbedarf enorm, zu meinen Ungunsten. (Ich schaffe es kaum, meine Kamera kontrolliert zu zücken und diese massengestützte Manifestation der Irrationalität zu dokumentieren; deshalb gibt es heute auch nur ein Foto aus Wedel, wo wir abends das Hafenfest besuchten.)
Jedenfalls geht die Predigt im Gegensatz zu mir ihren Gang, und irgendwann sagt der Zeremonienmeister eine Gastsängerin an. Siehe da, es ist die unvergleichliche Rocklegende Inga Rumpf, die ihre Kunst inzwischen allerdings in den Dienst höherer Mächte und Motorradgottesdienste gestellt hat.
„Fahr nicht schneller, als dein Schutzengel fliegen kann“, singt sie und ahnt nicht, wie das in meinen Ohren klingen muss, nämlich wie Hohn.
Weil ich eh nichts Besseres zu tun habe, übertrage ich Rumpfs Rat auf meine aktuelle Situation. Ergebnis: Wer auch immer dafür zuständig ist, er kann zu meinem Schutz einen senilen, von Fersenabszessen geplagten und praktisch komplett flügellahmen Engel abordnen; denn selbst eine Engelshöchstgeschwindigkeit von lachhaften 2 km/h kann ich zurzeit nicht toppen.
Manchmal wünschte ich, ich lebte in Kempten. Aber nur ganz kurz.
Für diese merkwürdige Veranstaltung (warum gibt es so etwas nicht für Dreiräder, Herpeskranke, Goldplombenverweiger oder Leute mit Verwandten im Saarland?) hat man die komplette Willy-Brandt-Straße dichtgemacht.
Dort stehen nun auf einem Kilometer Länge 35.000 Motorräder im Weg herum. Geh- und Radwege hingegen sind voll mit Motorradbesitzern wie Mekka mit Moslems. Ich stecke mit meinem Fahrrad mittendrin und ziemlich fest.
Fürs Umkehren ist es zu spät, vorwärts geht’s auch nur zentimeterweise. Unfreiwillig muss ich daher der Predigt lauschen, die live aus dem Michel übertragen wird.
Taktisch klug haben die Eventmanager des Motorradgottesdienstes alle paar Meter eine Lautsprecherbox montiert, so dass mir kein Wort entgeht, während ich mich und mein Fahrrad irgendwie durch das Gewusel der Ledergestalten zu wühlen versuche.
Dass die meisten dieser sog. Biker ihre Helme lässig am Arm baumeln lassen, erhöht ihren Platzbedarf enorm, zu meinen Ungunsten. (Ich schaffe es kaum, meine Kamera kontrolliert zu zücken und diese massengestützte Manifestation der Irrationalität zu dokumentieren; deshalb gibt es heute auch nur ein Foto aus Wedel, wo wir abends das Hafenfest besuchten.)
Jedenfalls geht die Predigt im Gegensatz zu mir ihren Gang, und irgendwann sagt der Zeremonienmeister eine Gastsängerin an. Siehe da, es ist die unvergleichliche Rocklegende Inga Rumpf, die ihre Kunst inzwischen allerdings in den Dienst höherer Mächte und Motorradgottesdienste gestellt hat.
„Fahr nicht schneller, als dein Schutzengel fliegen kann“, singt sie und ahnt nicht, wie das in meinen Ohren klingen muss, nämlich wie Hohn.
Weil ich eh nichts Besseres zu tun habe, übertrage ich Rumpfs Rat auf meine aktuelle Situation. Ergebnis: Wer auch immer dafür zuständig ist, er kann zu meinem Schutz einen senilen, von Fersenabszessen geplagten und praktisch komplett flügellahmen Engel abordnen; denn selbst eine Engelshöchstgeschwindigkeit von lachhaften 2 km/h kann ich zurzeit nicht toppen.
Manchmal wünschte ich, ich lebte in Kempten. Aber nur ganz kurz.
Angriff der Hossa-Hamas
Der Traum ging so: Tagsüber sollte es niagaraartig schütten und die Spaßterroristen des Schlagermove vom Kiez spülen; abends dann würde es plötzlich aufklaren, so dass wir uns unter linden Bedingungen dem größten Konzert aller Zeiten widmen könnten, nämlich „Live Earth“ im Volksparkstadion.
Zunächst lief alles nach Plan. Es goss, als stünde Noah persönlich an den Schleusen. Ms. Columbo und ich frohlockten, während das vom Spielbudenplatz herüberwehende „Griechischer Wein“ übertönt wurde vom infernalischen Pladdern der Sintflut.
Das anschließende Aufklaren verfolgten wir bang, nahmen aber gegen 15:26 Uhr das göttliche Geschenk eines anständigen Gewitters gerne an.
Komischerweise schien den Veranstaltern ein Abbruch des Schlagermoves gleichwohl keine Option. Und dann wurde es um kurz nach 4 auch noch empörend trocken; nur die von Westen heraneilenden Wolkenwände ließen die Hoffnung leben.
Und siehe da: Um 16:55 zog irgendwo dort droben jemand erneut den ganz großen Stöpsel raus. Yippie! 17:35 aber ein ernster Rückschlag. Kurz bevor John Denvers „Country roads“ die Scheiben der Sexshops zum Klirren brachte, kam gar die verdammte Sonne raus.
Andererseits nahte auch unserer „Live Earth“-Besuch, und ein minutengenaues Timing kann man selbst Petrus nicht abverlangen. Wir brachen also auf. Ich schlug vor, über die Reeperbahn zur S-Bahn zu gehen, um einen angeekelten Blick auf die durchgeknallte Hossa-Hamas zu werfen. Doch erwies sich das als die schlechteste Idee, seit ich damals in Belgrad den falschen Zug bestiegen hatte und dies erst acht Stunden später bemerkte: an der Endstation.
Wir hingen nämlich sofort fest zwischen Massen lallender Rosaperückenträger, während auf der Reeperbahn Themenwagen entlangkrochen, die uns mit gefühlten zwanzigtausend Watt „Fremder Mann“ in alle Körperöffnungen pressten.
Endlich bei „Live Earth“. Der zweite Teil des Traum wurde einschränkungslos wahr: Es blieb trocken. Das Stadion aber gähnte vor Leere. In den Umbaupausen lief auf der Leinwand das Schwesterfestival in London, was uns schmerzlich bewusst machte, mit welchem Mittelmaß wir abgespeist wurden.
Hier Revolverheld – dort Duran Duran. Hier Juli – dort Metallica. Hmpf. Immerhin interpretierte Juli-Sängerin Eva Briegel die herbstlichen Temperaturen ganz und gar Gore-gemäß: „Es ist kälter geworden“, freute sie sich über ein wichtiges globales Ziel der Megaveranstaltung, „es wirkt schon!“
Das erklärt übrigens auch meine Aufmachung auf dem Foto.
Zunächst lief alles nach Plan. Es goss, als stünde Noah persönlich an den Schleusen. Ms. Columbo und ich frohlockten, während das vom Spielbudenplatz herüberwehende „Griechischer Wein“ übertönt wurde vom infernalischen Pladdern der Sintflut.
Das anschließende Aufklaren verfolgten wir bang, nahmen aber gegen 15:26 Uhr das göttliche Geschenk eines anständigen Gewitters gerne an.
Komischerweise schien den Veranstaltern ein Abbruch des Schlagermoves gleichwohl keine Option. Und dann wurde es um kurz nach 4 auch noch empörend trocken; nur die von Westen heraneilenden Wolkenwände ließen die Hoffnung leben.
Und siehe da: Um 16:55 zog irgendwo dort droben jemand erneut den ganz großen Stöpsel raus. Yippie! 17:35 aber ein ernster Rückschlag. Kurz bevor John Denvers „Country roads“ die Scheiben der Sexshops zum Klirren brachte, kam gar die verdammte Sonne raus.
Andererseits nahte auch unserer „Live Earth“-Besuch, und ein minutengenaues Timing kann man selbst Petrus nicht abverlangen. Wir brachen also auf. Ich schlug vor, über die Reeperbahn zur S-Bahn zu gehen, um einen angeekelten Blick auf die durchgeknallte Hossa-Hamas zu werfen. Doch erwies sich das als die schlechteste Idee, seit ich damals in Belgrad den falschen Zug bestiegen hatte und dies erst acht Stunden später bemerkte: an der Endstation.
Wir hingen nämlich sofort fest zwischen Massen lallender Rosaperückenträger, während auf der Reeperbahn Themenwagen entlangkrochen, die uns mit gefühlten zwanzigtausend Watt „Fremder Mann“ in alle Körperöffnungen pressten.
Endlich bei „Live Earth“. Der zweite Teil des Traum wurde einschränkungslos wahr: Es blieb trocken. Das Stadion aber gähnte vor Leere. In den Umbaupausen lief auf der Leinwand das Schwesterfestival in London, was uns schmerzlich bewusst machte, mit welchem Mittelmaß wir abgespeist wurden.
Hier Revolverheld – dort Duran Duran. Hier Juli – dort Metallica. Hmpf. Immerhin interpretierte Juli-Sängerin Eva Briegel die herbstlichen Temperaturen ganz und gar Gore-gemäß: „Es ist kälter geworden“, freute sie sich über ein wichtiges globales Ziel der Megaveranstaltung, „es wirkt schon!“
Das erklärt übrigens auch meine Aufmachung auf dem Foto.
07 Juli 2007
Lauter Banalitäten, aber wenigstens musikalische
Bereits gestern hatte mich Heißhunger auf bretonische Harfenmusik gepackt.
Wahrscheinlich lag es an etwas Kreuzbanalem, vielleicht war beim Skippen durchs „Fernseh” (Poodle) irgendwo im Off ein Harfenpartikel aufgeblitzt und hatte mir à la Proust eine verschollene Erinnerung aus dem Gedächtnis gefischt.
Heute jedenfalls gestand ich Ms. Columbo diesen Heißhunger – und gleich darauf auch das Bedürfnis, ihn endlich zu stillen, hier und jetzt.
Gottergeben sah sie mir zu, wie ich zur LP-Sammlung schritt und drei 70er-Jahre-Alben der bretonischen Harfencombo An Triskell hervorzog, um eine nach der anderen umstandslos aufzulegen – nicht ohne in erklärendes Salbadern zu verfallen übers Weshalb und Warum dieses von ihr richtigerweise als „schräg“ rubrizierten Tuns.
Aus welchen Gründen ich Ms. Columbo dann aber mit Zeltingers Kölschpunk „Müngersdorfer Stadion“ malträtierte, bleibt unklar. Und warum bloß stellte ich uns danach unter die prasselndste Fremdschämvolldusche seit „Borat“, nämlich mit Udo Lindenbergs „Wozu sind Kriege da?“? Der Abend endete dennoch versöhnlich, dank eines Dylan-Bootlegs („The Genuine Basement Tapes“, Teil 3).
Wen das alles interessieren soll, liegt übrigens genauso im Dunkeln wie die Ursache meines Heißhungers auf bretonische Harfenmusik.
Hat eigentlich jemand die Vinylsingle „Blanc bleu rouge“ von An Triskell? Das Ding muss ich haben. Wirklich.
Wahrscheinlich lag es an etwas Kreuzbanalem, vielleicht war beim Skippen durchs „Fernseh” (Poodle) irgendwo im Off ein Harfenpartikel aufgeblitzt und hatte mir à la Proust eine verschollene Erinnerung aus dem Gedächtnis gefischt.
Heute jedenfalls gestand ich Ms. Columbo diesen Heißhunger – und gleich darauf auch das Bedürfnis, ihn endlich zu stillen, hier und jetzt.
Gottergeben sah sie mir zu, wie ich zur LP-Sammlung schritt und drei 70er-Jahre-Alben der bretonischen Harfencombo An Triskell hervorzog, um eine nach der anderen umstandslos aufzulegen – nicht ohne in erklärendes Salbadern zu verfallen übers Weshalb und Warum dieses von ihr richtigerweise als „schräg“ rubrizierten Tuns.
Aus welchen Gründen ich Ms. Columbo dann aber mit Zeltingers Kölschpunk „Müngersdorfer Stadion“ malträtierte, bleibt unklar. Und warum bloß stellte ich uns danach unter die prasselndste Fremdschämvolldusche seit „Borat“, nämlich mit Udo Lindenbergs „Wozu sind Kriege da?“? Der Abend endete dennoch versöhnlich, dank eines Dylan-Bootlegs („The Genuine Basement Tapes“, Teil 3).
Wen das alles interessieren soll, liegt übrigens genauso im Dunkeln wie die Ursache meines Heißhungers auf bretonische Harfenmusik.
Hat eigentlich jemand die Vinylsingle „Blanc bleu rouge“ von An Triskell? Das Ding muss ich haben. Wirklich.
06 Juli 2007
Moby Dick und meine Badelatschen
Heute hatte alles einen Wasserbezug, nicht nur wegen des Regens. Nein, im Hafen liegt auch ein toter Pottwal (Foto: Spon).
Außerdem habe ich neue Badelatschen gekauft. Sie steckten in einer luftdichten Plastikhülle, deshalb enttarnten sie ein wichtiges Detail erst nach dem Auspacken. Die Latschen stinken nämlich, und zwar bestialisch.
Es ist, als hätten sich eine Teer- und eine Lackfabrik zusammengetan, um danach einen gewaltigen gemeinsamen Rülpser auszustoßen. Und dann noch einen.
Ms. Columbo jedenfalls rümpft zu Recht die hübsche Nase. „Kannst du sie nicht heute Nacht auf dem Balkon auslüften lassen?“, fragt sie rhetorisch. „Sie sind bestimmt nicht mit dem Kyoto-Protokoll zu vereinbaren.“
Genau diesen Verdacht habe ich auch. Gäbe es eine Methode, die Badelatschen zu verflüssigen, könnte man mit der entstehenden Brühe wahrscheinlich ein Auto betanken und die Rallye Paris-Dakar gewinnen. Oder einen toten Pottwal für sehr, sehr lange Zeit konservieren.
Mal sehen, wie morgen früh die olfaktorische Lage ist, nach der Nacht auf dem Balkon.
Außerdem habe ich neue Badelatschen gekauft. Sie steckten in einer luftdichten Plastikhülle, deshalb enttarnten sie ein wichtiges Detail erst nach dem Auspacken. Die Latschen stinken nämlich, und zwar bestialisch.
Es ist, als hätten sich eine Teer- und eine Lackfabrik zusammengetan, um danach einen gewaltigen gemeinsamen Rülpser auszustoßen. Und dann noch einen.
Ms. Columbo jedenfalls rümpft zu Recht die hübsche Nase. „Kannst du sie nicht heute Nacht auf dem Balkon auslüften lassen?“, fragt sie rhetorisch. „Sie sind bestimmt nicht mit dem Kyoto-Protokoll zu vereinbaren.“
Genau diesen Verdacht habe ich auch. Gäbe es eine Methode, die Badelatschen zu verflüssigen, könnte man mit der entstehenden Brühe wahrscheinlich ein Auto betanken und die Rallye Paris-Dakar gewinnen. Oder einen toten Pottwal für sehr, sehr lange Zeit konservieren.
Mal sehen, wie morgen früh die olfaktorische Lage ist, nach der Nacht auf dem Balkon.
04 Juli 2007
Schäuble ist undankbar
Ein aktueller Artikel auf tagesschau.de beschäftigt sich mit Blogaktionen gegen die immer schamloseren Schnüffelambitionen unserer Regierung. Dabei wird auch mein Aufruf „Blogger helfen Schäuble“ erwähnt.
Grund genug für ein kurzes Fazit dieser Aktion. Nicht nur ich, auch der erwiesene Staatsfreund German Psycho und viele andere verschickten wochenlang ihre privaten Mails in Kopie auch an Dr. Wolfgang Schäuble.
Das Seltsame aber: Es gab nie auch nur das kleinste Reaktiönchen, und deshalb macht die Aktion zurzeit Pause.
Es scheint nämlich, als sei unser Innenminister einer vom Stamme Nimm; mit Gegenleistungen hingegen hat er es nicht so. Stoisch schweigend nahm er unseren patriotischen Einsatz hin, als sei der selbstverständlich. Dabei ist er das gar nicht!
Ein klitzekleines Dankeschön wäre m. E. also schon opportun gewesen, oder wenigstens das Bundesverdienstkreuz am Bande. Gab es aber beides nicht.
Und so was verletzt schon ein Stück weit.
Grund genug für ein kurzes Fazit dieser Aktion. Nicht nur ich, auch der erwiesene Staatsfreund German Psycho und viele andere verschickten wochenlang ihre privaten Mails in Kopie auch an Dr. Wolfgang Schäuble.
Das Seltsame aber: Es gab nie auch nur das kleinste Reaktiönchen, und deshalb macht die Aktion zurzeit Pause.
Es scheint nämlich, als sei unser Innenminister einer vom Stamme Nimm; mit Gegenleistungen hingegen hat er es nicht so. Stoisch schweigend nahm er unseren patriotischen Einsatz hin, als sei der selbstverständlich. Dabei ist er das gar nicht!
Ein klitzekleines Dankeschön wäre m. E. also schon opportun gewesen, oder wenigstens das Bundesverdienstkreuz am Bande. Gab es aber beides nicht.
Und so was verletzt schon ein Stück weit.
Wer stoppt den Regen? Gute Frage.
Beim Konzert von John Fogerty im Stadtpark regnet es praktisch vom ersten bis zum letzten Stück. Der Mann rockt, dass sich ihm die dritten Zähne lockern, aber überdacht und deshalb im Trockenen.
Wir hingegen – also Tish Hinojosa und ich – stehen im Matsch. Das Wasser kommt nicht in Tropfen vom Himmel, sondern in Fäden. Was aber auch Vorteile hat. Denn süffelt man sein Bier im Regen, sinkt der Pegel im Becher deutlich langsamer, als es die Trinkgeschwindigkeit eigentlich nahelegt.
Natürlich sinkt zugleich auch peu à peu der Alkoholgehalt, doch das werden nur Proleten als Nachteil empfinden. Dem Mann von Welt indes vermittelt sich dies einfach als verfeinertes Geschmackserlebnis.
Ähnliches gilt auch für die Musik. Wer nie von John Fogerty live und persönlich überzeitliche Großballaden wie „Have you ever seen the rain“ und „Who’ll stop the rain“ serviert bekam, derweil ihm sinnigerweise bindfadenartiger Regen den Bierbecher auffüllte, der kann nicht mitreden bei den Themenkomplexen Rock’n’Roll, Authentizität, Tautologie und dämliche Zufälle.
Das weiß ich aber selbst erst seit heute Abend. Und jetzt schnell umziehen.
Wir hingegen – also Tish Hinojosa und ich – stehen im Matsch. Das Wasser kommt nicht in Tropfen vom Himmel, sondern in Fäden. Was aber auch Vorteile hat. Denn süffelt man sein Bier im Regen, sinkt der Pegel im Becher deutlich langsamer, als es die Trinkgeschwindigkeit eigentlich nahelegt.
Natürlich sinkt zugleich auch peu à peu der Alkoholgehalt, doch das werden nur Proleten als Nachteil empfinden. Dem Mann von Welt indes vermittelt sich dies einfach als verfeinertes Geschmackserlebnis.
Ähnliches gilt auch für die Musik. Wer nie von John Fogerty live und persönlich überzeitliche Großballaden wie „Have you ever seen the rain“ und „Who’ll stop the rain“ serviert bekam, derweil ihm sinnigerweise bindfadenartiger Regen den Bierbecher auffüllte, der kann nicht mitreden bei den Themenkomplexen Rock’n’Roll, Authentizität, Tautologie und dämliche Zufälle.
Das weiß ich aber selbst erst seit heute Abend. Und jetzt schnell umziehen.
03 Juli 2007
Eine Erde reicht uns nicht
Wir fliegen nie (okay, das liegt an meiner Flugangst), und wir fahren kein Auto.
Wir essen vor allem frische, unverpackte Lebensmittel, beziehen Ökostrom und stolpern lieber im Dunkeln durchs Treppenhaus, als diese dämonische Nichtenergiesparlampe anzuknipsen.
Und trotzdem: Lebten alle so wie Ms. Columbo und ich, bräuchten wir exakt 2,3 Planeten.
Ja, was sollen wir denn NOCH tun, Himmelsakra?
(Auf den Link zu diesem teuflischen Test wies mich dieser Herr hin. Na, danke auch …)
Wir essen vor allem frische, unverpackte Lebensmittel, beziehen Ökostrom und stolpern lieber im Dunkeln durchs Treppenhaus, als diese dämonische Nichtenergiesparlampe anzuknipsen.
Und trotzdem: Lebten alle so wie Ms. Columbo und ich, bräuchten wir exakt 2,3 Planeten.
Ja, was sollen wir denn NOCH tun, Himmelsakra?
(Auf den Link zu diesem teuflischen Test wies mich dieser Herr hin. Na, danke auch …)
01 Juli 2007
Warum ich nicht in einer Dokusoap mitspiele
Morgen um 18 Uhr startet auf RTL II eine neue tägliche Dokusoap über den Alltag auf St. Pauli. Sie heißt „Mein Kiez“.
Das erwähne ich nicht nur, weil sie eine hübsche Ergänzung zu diesem Blog sein könnte, sondern auch, weil ich vor einigen Wochen gefragt wurde, ob ich nicht selber mitspielen möchte.
Wollte ich nicht. Mein Durchschnittsgesicht gehört mir, da gehört es hin, und das kriegt auch in diesem Blog niemand zu sehen.
Der wichtigste Grund aber war der: Ich hätte angesichts einer Kamera bestimmt nur hochrot rumgestottert, idiotisch gegrinst und insgesamt gewirkt wie ein grenzdebiler IQ-Abstinenzler.
Vor allem mir selber mochte ich das nicht zumuten (für den Rest der Welt wäre das womöglich unterhaltsam gewesen). „Aber stell dir mal die explodierenden Zugriffszahlen auf dein Blog vor!“, charmierte mich Andreas, über den die Produzentin von „Mein Kiez“ mich kontaktiert hatte.
Ja, wirklich reizvoll. Wenn man aber meine Abneigung in Relation setzt zu vielleicht tausend Klicks mehr, dann verhält sie sich wie der Pazifik zu einer Urinpfütze am Rande der Reeperbahn.
Und nicht weit davon entfernt – nämlich in der Wohlwillstraße – ist das heutige Foto entstanden.
Das erwähne ich nicht nur, weil sie eine hübsche Ergänzung zu diesem Blog sein könnte, sondern auch, weil ich vor einigen Wochen gefragt wurde, ob ich nicht selber mitspielen möchte.
Wollte ich nicht. Mein Durchschnittsgesicht gehört mir, da gehört es hin, und das kriegt auch in diesem Blog niemand zu sehen.
Der wichtigste Grund aber war der: Ich hätte angesichts einer Kamera bestimmt nur hochrot rumgestottert, idiotisch gegrinst und insgesamt gewirkt wie ein grenzdebiler IQ-Abstinenzler.
Vor allem mir selber mochte ich das nicht zumuten (für den Rest der Welt wäre das womöglich unterhaltsam gewesen). „Aber stell dir mal die explodierenden Zugriffszahlen auf dein Blog vor!“, charmierte mich Andreas, über den die Produzentin von „Mein Kiez“ mich kontaktiert hatte.
Ja, wirklich reizvoll. Wenn man aber meine Abneigung in Relation setzt zu vielleicht tausend Klicks mehr, dann verhält sie sich wie der Pazifik zu einer Urinpfütze am Rande der Reeperbahn.
Und nicht weit davon entfernt – nämlich in der Wohlwillstraße – ist das heutige Foto entstanden.
Auf dem Nachtflohmarkt
Wie alles auf dem Kiez geht hier auch ein Flohmarkt erst zu später Stunde los, und deshalb heißt der auf dem Spielbudenplatz neben der Reeperbahn auch kurzerhand Nachtflohmarkt.
Seine Laufzeit – von 17 bis 23.30 Uhr – ist für Spätaufsteher wie mich von geradezu erotischem Reiz. Ich war sogar wild entschlossen, dort einen eigenen Stand zu betreiben. Allerdings fand sich für heute kein Mitstreiter, weshalb ich erst bei einem der nächsten meine Waren feilbieten werde. Lauter legale natürlich.
Beim Streunen über den Markt stachen relativ wenige kieztypische Stände ins Auge; der abgebildete gehörte aber definitiv dazu. Trotzdem erstand ich keine dreiviertelnackten Schaufensterpuppen, sondern langweiligerweise das, was ich immer erstehe, nämlich viel zu viele Platten.
Und ich knipste den Himmel überm Spielbudenplatz. Ein halbgarer Sommer wie dieser fährt nämlich am Firmament ästhetisch besonders viel auf – und bietet so jede Chance, sich auch dieses Wetter schönzureden.
30 Juni 2007
Mein Dauerkartenversuch
Klar. Selbstverständlich. Natürlich reserviere ich mir den Vormittag meines letzten Urlaubstags für die Schlange vorm Fanladen des FC St. Pauli, schließlich will ich eine Dauerkarte für die nächste Saison.
Ich bereite mich vor wie auf eine Expedition. Als ich am Stadion ankomme, bin ich bestens gerüstet: mit Mütze und Schirm (gegen den Regen), Winterjacke (gegen den empörend bissigen Juniwind), anderthalb Liter Mineralwasser (gegen den Durst) und aktuellem Spiegel (gegen die Langeweile).
Nur ein Klappstuhl fehlt, was mir aber erst nach anderthalb Stunden millimeterweisen Vorrückens unangenehm auffällt. Ich ertappe mich sogar dabei, den Rollstuhlfahrer hinter mir zu beneiden, schäme mich aber nur ein ganz klein bisschen.
Endlich habe ich mich vorgekämpft bis ins Innere des Containers; es ist, als stünde man vor der Himmelspforte. „Eine Dauerkarte für die Haupttribüne“, sage ich erschöpft und glücklich zu Petrus, „letzte Saison hatte ich noch keine, aber hier ist mein Mitgliedsausweis.“
Petrus schaut mich an. Und sagt irgendwie milde: „Tut mir Leid, ich kann dir keine verkaufen. Die bisherigen Kartenbesitzer haben ein Vorkaufsrecht. Nur wenn danach noch welche übrig sind, hast du vielleicht eine Chance. Aber die ist klein.“
Etwas in mir zerbricht, doch zum Glück sehr leise. Die anderen in der Schlange hören es nicht. Sie schweigen auch alle taktvoll. Das ist St. Pauli, yeah.
Als ich am verlorenen Vormittag meines letzten Urlaubstages zerbrochen aus dem Container schleiche, verstaut der Rollstuhlfahrer am Nachbarschalter gerade seine Dauerkarte in der Geldbörse und zockelt davon.
Ich folge ihm unbemerkt. Jetzt weiß ich, wo er wohnt. Nur für den Fall, dass ich nach der Verkaufsphase für die Vorsaisondauerkartenbesitzer doch nicht zum Zug kommen sollte. Aber so weit wird es nicht kommen.
In seinem Interesse.
Ich bereite mich vor wie auf eine Expedition. Als ich am Stadion ankomme, bin ich bestens gerüstet: mit Mütze und Schirm (gegen den Regen), Winterjacke (gegen den empörend bissigen Juniwind), anderthalb Liter Mineralwasser (gegen den Durst) und aktuellem Spiegel (gegen die Langeweile).
Nur ein Klappstuhl fehlt, was mir aber erst nach anderthalb Stunden millimeterweisen Vorrückens unangenehm auffällt. Ich ertappe mich sogar dabei, den Rollstuhlfahrer hinter mir zu beneiden, schäme mich aber nur ein ganz klein bisschen.
Endlich habe ich mich vorgekämpft bis ins Innere des Containers; es ist, als stünde man vor der Himmelspforte. „Eine Dauerkarte für die Haupttribüne“, sage ich erschöpft und glücklich zu Petrus, „letzte Saison hatte ich noch keine, aber hier ist mein Mitgliedsausweis.“
Petrus schaut mich an. Und sagt irgendwie milde: „Tut mir Leid, ich kann dir keine verkaufen. Die bisherigen Kartenbesitzer haben ein Vorkaufsrecht. Nur wenn danach noch welche übrig sind, hast du vielleicht eine Chance. Aber die ist klein.“
Etwas in mir zerbricht, doch zum Glück sehr leise. Die anderen in der Schlange hören es nicht. Sie schweigen auch alle taktvoll. Das ist St. Pauli, yeah.
Als ich am verlorenen Vormittag meines letzten Urlaubstages zerbrochen aus dem Container schleiche, verstaut der Rollstuhlfahrer am Nachbarschalter gerade seine Dauerkarte in der Geldbörse und zockelt davon.
Ich folge ihm unbemerkt. Jetzt weiß ich, wo er wohnt. Nur für den Fall, dass ich nach der Verkaufsphase für die Vorsaisondauerkartenbesitzer doch nicht zum Zug kommen sollte. Aber so weit wird es nicht kommen.
In seinem Interesse.
29 Juni 2007
Polnischer Nachtrag: Der nasse Slip
Wir hatten uns ein paar Fahrkarten gekauft und in die Tram gesetzt, wie wir es oft tun in unbekannten Städten.
Einfach losfahren und irgendwann, irgendwo aussteigen, wo es hübsch ist. Später wieder ein- und umsteigen, ins Blaue hinein die Fremde erkunden, und alles für ein paar Zloty (die „Swoti“ ausgesprochen werden, aber das nur nebenbei).
So waren wir kreuz und quer durchs öffentliche Verkehrsnetz von Danzig mäandert und irgendwie in Brzezno gelandet, einem kleinen Vorort direkt am Meer, dessen Seebrücke auf dem Foto zu sehen ist.
Brösen, wie das Städtchen früher auf deutsch hieß, ist nicht so überdeutlich auf Touristen abgestimmt wie Zoppot. Nein, hier gehen traditionell die Arbeiterfamilien baden, hier verleiht niemand Strandkörbe.
Der Sand ist feinkörnig und weißgelb, man sinkt sanft ein beim Gehen, und an jenem Tag lag die Ostsee bereitwillig flach da und glitzerte in der Sonne wie eine einzige Verlockung. Unwiderstehlich.
Einziges Problem: Badesachen hatten wir keine dabei, und von FKK halten die Polen ungefähr so viel wie von Schwulen und Lesben, nämlich wenig. „Dann gehe ich eben in Unterhosen rein“, informierte ich Ms. Columbo und schritt sofort zur Tat.
Eine halbe Stunde lang erfreute ich mich meines aquatischen Daseins. Allmählich aber schob sich mir das Problem des Landgangs ins Bewusstsein.
Mein Slip nämlich flatterte mir schon im trockenen Zustand nicht gerade um den Hintern (und um alles andere, was so ein Slip zu umhüllen hat). Die Aussicht, damit aus dem Wasser zu steigen und einen Strand voller polnischer Familien mit sehr vielen Kindern zu betreten, bereitete mir zunehmend Unbehagen.
Und das war berechtigt. Denn der wassersatte Slip tat an der Luft genau das, was man von ihm erwarten durfte: Er schmiegte sich mir derart eng an die Haut, als wäre er aufgesprüht. Dabei arbeitete er sämtliche drunter liegenden Körpermerkmale aufs Deutlichste heraus.
Mich beschlich sogar das Gefühl, seine einst weiße Farbe habe sich völlig verflüchtigt und einer weitgehenden Transparenz Platz gemacht, der polnische Familien mit sehr vielen Kindern nicht gerade mit uferloser Toleranz zu begegnen bereit wären.
Manchmal träumt man ja davon, aus heiterem Himmel öffentlich untenrum nackt dazustehen, und das sind keine schönen Träume, wirklich nicht. Doch das hier war kein Traum.
Ich zuppelte ein wenig am Slip herum in der Hoffnung, die dadurch einströmende Luft möge eine Art Blase unterm Stoff bilden, so dass darunter alles einigermaßen im Vagen verschwände. Doch mit einem kurzen präzisen Schmatzen sog sich die Unterhose wieder fest – wie die Abgussform einer hyperrealistischen Skulptur, die in Polen nur ohne Jugendfreigabe ausgestellt werden dürfte, wenn überhaupt.
Mir fiel meine Mütze ein, mit der ich aus Sonnenschutzgründen schwimmen gegangen war. Ich nahm sie ab und hielt sie wie zufällig vor die problematische Region. Und so stapfte ich verkrampft durch den weißgelben Sand hoch zu Ms. Columbo, die mich mit spöttischem Grinsen empfing.
Die Situation war damit allerdings noch nicht überwunden. Ohne Handtuch war ich dazu verdammt, mich vom Brösener Wind trocknen zu lassen, ehe ich dazu übergehen konnte, mich wieder polengemäß korrekt zu kleiden. Und das zog sich hin.
Der Slip selbst hingegen, dessen besonders problematische Vorderseite ich noch immer mühsam mit der Mütze verdeckte, schien sich jeder Verdunstungsaktivität hämisch zu verweigern. Das würde Stunden dauern.
Eine schnellere Lösung musste her. Unterwegs hatten wir an einem Kiosk die einzige deutsche Tageszeitung gekauft, und sie erwies sich nun als Rettung. Ms. Columbo versuchte meine Körpermitte mithilfe der ausgebreiteten Blätter (ich glaube, es war der Sportteil) möglichst umfänglich zu verdecken, ich zog mir dahinter fahrig den verzweifelt klammernden textilen Wasserspeicher runter und die richtige Hose an.
Und so war doch wahrhaftig die Hamburger Tageszeitung Die Welt mal zu irgendetwas nütze.
Einfach losfahren und irgendwann, irgendwo aussteigen, wo es hübsch ist. Später wieder ein- und umsteigen, ins Blaue hinein die Fremde erkunden, und alles für ein paar Zloty (die „Swoti“ ausgesprochen werden, aber das nur nebenbei).
So waren wir kreuz und quer durchs öffentliche Verkehrsnetz von Danzig mäandert und irgendwie in Brzezno gelandet, einem kleinen Vorort direkt am Meer, dessen Seebrücke auf dem Foto zu sehen ist.
Brösen, wie das Städtchen früher auf deutsch hieß, ist nicht so überdeutlich auf Touristen abgestimmt wie Zoppot. Nein, hier gehen traditionell die Arbeiterfamilien baden, hier verleiht niemand Strandkörbe.
Der Sand ist feinkörnig und weißgelb, man sinkt sanft ein beim Gehen, und an jenem Tag lag die Ostsee bereitwillig flach da und glitzerte in der Sonne wie eine einzige Verlockung. Unwiderstehlich.
Einziges Problem: Badesachen hatten wir keine dabei, und von FKK halten die Polen ungefähr so viel wie von Schwulen und Lesben, nämlich wenig. „Dann gehe ich eben in Unterhosen rein“, informierte ich Ms. Columbo und schritt sofort zur Tat.
Eine halbe Stunde lang erfreute ich mich meines aquatischen Daseins. Allmählich aber schob sich mir das Problem des Landgangs ins Bewusstsein.
Mein Slip nämlich flatterte mir schon im trockenen Zustand nicht gerade um den Hintern (und um alles andere, was so ein Slip zu umhüllen hat). Die Aussicht, damit aus dem Wasser zu steigen und einen Strand voller polnischer Familien mit sehr vielen Kindern zu betreten, bereitete mir zunehmend Unbehagen.
Und das war berechtigt. Denn der wassersatte Slip tat an der Luft genau das, was man von ihm erwarten durfte: Er schmiegte sich mir derart eng an die Haut, als wäre er aufgesprüht. Dabei arbeitete er sämtliche drunter liegenden Körpermerkmale aufs Deutlichste heraus.
Mich beschlich sogar das Gefühl, seine einst weiße Farbe habe sich völlig verflüchtigt und einer weitgehenden Transparenz Platz gemacht, der polnische Familien mit sehr vielen Kindern nicht gerade mit uferloser Toleranz zu begegnen bereit wären.
Manchmal träumt man ja davon, aus heiterem Himmel öffentlich untenrum nackt dazustehen, und das sind keine schönen Träume, wirklich nicht. Doch das hier war kein Traum.
Ich zuppelte ein wenig am Slip herum in der Hoffnung, die dadurch einströmende Luft möge eine Art Blase unterm Stoff bilden, so dass darunter alles einigermaßen im Vagen verschwände. Doch mit einem kurzen präzisen Schmatzen sog sich die Unterhose wieder fest – wie die Abgussform einer hyperrealistischen Skulptur, die in Polen nur ohne Jugendfreigabe ausgestellt werden dürfte, wenn überhaupt.
Mir fiel meine Mütze ein, mit der ich aus Sonnenschutzgründen schwimmen gegangen war. Ich nahm sie ab und hielt sie wie zufällig vor die problematische Region. Und so stapfte ich verkrampft durch den weißgelben Sand hoch zu Ms. Columbo, die mich mit spöttischem Grinsen empfing.
Die Situation war damit allerdings noch nicht überwunden. Ohne Handtuch war ich dazu verdammt, mich vom Brösener Wind trocknen zu lassen, ehe ich dazu übergehen konnte, mich wieder polengemäß korrekt zu kleiden. Und das zog sich hin.
Der Slip selbst hingegen, dessen besonders problematische Vorderseite ich noch immer mühsam mit der Mütze verdeckte, schien sich jeder Verdunstungsaktivität hämisch zu verweigern. Das würde Stunden dauern.
Eine schnellere Lösung musste her. Unterwegs hatten wir an einem Kiosk die einzige deutsche Tageszeitung gekauft, und sie erwies sich nun als Rettung. Ms. Columbo versuchte meine Körpermitte mithilfe der ausgebreiteten Blätter (ich glaube, es war der Sportteil) möglichst umfänglich zu verdecken, ich zog mir dahinter fahrig den verzweifelt klammernden textilen Wasserspeicher runter und die richtige Hose an.
Und so war doch wahrhaftig die Hamburger Tageszeitung Die Welt mal zu irgendetwas nütze.
28 Juni 2007
Ars longa, vita Briefs
Wer auf den Tag genau 22 Jahre nach dem Tod des Gatten noch immer verdammt teure Gedenkanzeigen in der FAZ schaltet, ist entweder plemplem oder strebt nach dem Ideal der ewigen Liebe.
Bei Frau Briefs vermute ich einfach mal Letzteres. Ohne zu wissen warum.
Allerdings erwarte ich nun auch am 7. Juli eine Anzeige zum verpassten 87. Geburtstag des Verblichenen. Sonst muss ich den Fall einer kompletten Neubewertung unterziehen.
(Hoffentlich denke ich an jenem Tag auch dran, die FAZ zu kaufen, bei dem ganzen Trubel um Live Earth in Hamburg.)
Bei Frau Briefs vermute ich einfach mal Letzteres. Ohne zu wissen warum.
Allerdings erwarte ich nun auch am 7. Juli eine Anzeige zum verpassten 87. Geburtstag des Verblichenen. Sonst muss ich den Fall einer kompletten Neubewertung unterziehen.
(Hoffentlich denke ich an jenem Tag auch dran, die FAZ zu kaufen, bei dem ganzen Trubel um Live Earth in Hamburg.)
27 Juni 2007
Meine Jacke ist gefährlich
Heute besuchen wir die Otto-Dix-Ausstellung im Bucerius-Kunstforum am Rathausmarkt. Lässig trage ich meine Jacke überm Arm.
Plötzlich tritt eine Aufseherin an mich heran und beginnt mich alarmierend großäugig anzuflüstern. Ich möge doch bitte, insistiert sie, die Jacke nicht überm Arm, sondern besser um die Hüfte gebunden tragen oder gerne auch anziehen; alternativ stünde es mir frei, sie der Garderoberie anzuvertrauen, die ein Stockwerk tiefer ihrem verdienstvollen Tagwerk nachginge.
„Ähm“, wundere ich mich, „warum darf ich denn meine Jacke nicht überm Arm tragen?“ Ihre Erklärung liefert ein Beispiel für das unkaputtbare Etikett „Typisch deutsch“, das mich in der Regel ärgert, weil mich Klischees meistens ärgern, hier aber hilflos macht. Denn die Erklärung ist einfach entwaffnend bizarr.
Sie sagt nämlich: „Das hat versicherungsrechtliche Gründe. Wenn Sie die Jacke überm Arm tragen und sich umdrehen, dann könnte der Reißverschluss andere gefährden.“
In der Tat hatte ich meinen Jackenreißverschluss bisher nicht im Verdacht, die öffentliche Ordnung bis hin zur Versicherungsrelevanz zu gefährden. Aber man lernt ja nie aus.
Folgsam binde ich mir also die Jacke um die Hüfte – und schaue mir das nächste Gemälde von Otto Dix an, auf dem eine fette, rauchende, schlauchbrüstige Hure sich einem Matrosen anbietet, der lüstern grinsend sein luziferianisches Wesen zur Schau stellt.
Beim nächsten Mal will ich die wilden Dix-Bilder (von denen sie hier eins sogar hinter einem roten Vorhang versteckt haben) auf dem Kiez sehen. Am besten in einem Pornokino in der Seilerstraße oder im Laufhaus an der Reeperbahn – also dort, wo von Reißverschlüssen nur eine Gefahr ausgeht: dass sie sich beim Aufzippen irreparabel verhaken.
Plötzlich tritt eine Aufseherin an mich heran und beginnt mich alarmierend großäugig anzuflüstern. Ich möge doch bitte, insistiert sie, die Jacke nicht überm Arm, sondern besser um die Hüfte gebunden tragen oder gerne auch anziehen; alternativ stünde es mir frei, sie der Garderoberie anzuvertrauen, die ein Stockwerk tiefer ihrem verdienstvollen Tagwerk nachginge.
„Ähm“, wundere ich mich, „warum darf ich denn meine Jacke nicht überm Arm tragen?“ Ihre Erklärung liefert ein Beispiel für das unkaputtbare Etikett „Typisch deutsch“, das mich in der Regel ärgert, weil mich Klischees meistens ärgern, hier aber hilflos macht. Denn die Erklärung ist einfach entwaffnend bizarr.
Sie sagt nämlich: „Das hat versicherungsrechtliche Gründe. Wenn Sie die Jacke überm Arm tragen und sich umdrehen, dann könnte der Reißverschluss andere gefährden.“
In der Tat hatte ich meinen Jackenreißverschluss bisher nicht im Verdacht, die öffentliche Ordnung bis hin zur Versicherungsrelevanz zu gefährden. Aber man lernt ja nie aus.
Folgsam binde ich mir also die Jacke um die Hüfte – und schaue mir das nächste Gemälde von Otto Dix an, auf dem eine fette, rauchende, schlauchbrüstige Hure sich einem Matrosen anbietet, der lüstern grinsend sein luziferianisches Wesen zur Schau stellt.
Beim nächsten Mal will ich die wilden Dix-Bilder (von denen sie hier eins sogar hinter einem roten Vorhang versteckt haben) auf dem Kiez sehen. Am besten in einem Pornokino in der Seilerstraße oder im Laufhaus an der Reeperbahn – also dort, wo von Reißverschlüssen nur eine Gefahr ausgeht: dass sie sich beim Aufzippen irreparabel verhaken.
26 Juni 2007
Mit Kutis Groove durch Westpommern
Wir jagen im Zug durch die Kaschubei nach Westen.
In Rumia sind alle Häuser schlammfarben, doch plötzlich strahlt ein blaues Dach surreal auf im Licht der launischen Sonne. Nah an den Gleisen schaukelt ein Kind, bewacht von seiner Mutter.
Ein halbfertiger Rohbau liegt rot und traurig da im Stillstand des Sonntags, während mir Grayson Capps sein „Mercy“ ins Ohr singt. Verlassen steht ein grüner Bus auf einem menschenleeren Platz in Wejherowo. Er ist der heimliche Bruder des traurigen Rohbaus; den Score dazu liefert Bert Janschs Folkmelancholie „Magdalina’s dance“.
Ich verbringe die meiste Zeit im Gang am offenen Fenster, und als mich niemand sieht, werfe ich ein gebrauchtes Papiertaschentuch heimlich hinaus in den Fahrtwind – Dünger für die polnische Krume …
In der weiten Tieflandebene vor Wiekowo steht ein Fuchs reglos auf einer Wiese zum baldigen Schaden einer Maus, lauernd, konzentriert und unbeeindruckt vom Rattern unseres Zugs, von der Zeit, dem Universum und davon, dass in zwölf Milliarden Jahren die Sonne die Erde auf großer Flamme braten wird, auch Polen.
Von Runowo bis Ulikowo, also fast durch halb Westpommern, legt Fela Kutis halbstündiges „Beast of no nation“ den richtigen Groove unters Stampfen des Zugs, während ich die Nase in den Wind halte, und ich verwettete Haus und Hof, dass noch nie irgendein Mensch die Zugfahrt zwischen Runowo und Ulikowo mit Kutis „Beast of no nation“ verbracht hat.
Das verändert den Blick auf die Landschaft, o ja, und der Blick verändert die Musik, das hätte ewig so weiter gehen können. Doch jetzt sind wir wieder zurück auf St. Pauli, die meisten polnischen Geschichten sind erzählt. Nur die noch nicht von mir in nasser Unterhose am Strand von Brzezno, aber die erzähle ich erst morgen.
Frühestens.
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24 Juni 2007
23 Juni 2007
Wo ist der Tiger?
Wir wollten einen Wodka trinken, und zwar in Dariusz Michalczewskis höchstpersönlicher Danziger Kneipe, dem Tiger Pub.
Als wir in der Rajska-Straße vorm Haus Nummer 4c standen, präsentierte sich uns allerdings nur eine fleckige Fassade samt traurig vor sich hin rottender Tür. Nichts davon hatte irgendeinen Boxbezug.
Offenbar war des Tigers Kneipierskarriere ähnlich zu Ende gegangen wie seine Boxerlaufbahn: mit einer Niederlage. Also gingen wir in eine Kneipe um die Ecke und orderten dort zwei Smirnoff.
Schon nach wenigen Schlucken erkundigte sich Ms. Columbo besorgt: „Kann es sein, dass ein Wodka mehr reinhaut, wenn man vorher keinen Wein getrunken hat?“
In dieser Kneipe schenkt man übrigens erheblich außergewöhnlichere Wodkaportionen aus, als es in Michalczewskis Tiger Pub der Fall gewesen wäre. Deshalb wurde es noch ein sssiemlich lussdiger Ahmd.
Als wir in der Rajska-Straße vorm Haus Nummer 4c standen, präsentierte sich uns allerdings nur eine fleckige Fassade samt traurig vor sich hin rottender Tür. Nichts davon hatte irgendeinen Boxbezug.
Offenbar war des Tigers Kneipierskarriere ähnlich zu Ende gegangen wie seine Boxerlaufbahn: mit einer Niederlage. Also gingen wir in eine Kneipe um die Ecke und orderten dort zwei Smirnoff.
Schon nach wenigen Schlucken erkundigte sich Ms. Columbo besorgt: „Kann es sein, dass ein Wodka mehr reinhaut, wenn man vorher keinen Wein getrunken hat?“
In dieser Kneipe schenkt man übrigens erheblich außergewöhnlichere Wodkaportionen aus, als es in Michalczewskis Tiger Pub der Fall gewesen wäre. Deshalb wurde es noch ein sssiemlich lussdiger Ahmd.
Lost in desorientation
Ich hätte gern einen perfekten Code, eine mathematische Methode, die ein für alle Mal meine erschreckende Desorientiertheit abschaffte.
Könnte ich zum Beispiel sicher sein, unser Hotel (Foto: eine Innenansicht) läge wirklich immer genau in der entgegengesetzten Richtung von der, die ich vermute, dann wäre alles gut. Ich stapfte einfach los in die „falsche“ Richtung und stünde alsbald vor der Unterkunft.
Manchmal ist es auch wirklich so – tätä! –, meistens aber ganz und gar nicht. Das Problem: Es gibt so viele Richtungen.
Vor allem die schrägen, diagonalen, abknickenden, ums Eck laufenden, auch die kurvigen, mäandernden, unmerklich gebogenen, Parallelität vortäuschenden machen mir zu schaffen. Sie verwirren mich. Und schon ist das Hotel ganz woanders.
Ich hätte gern deine Orientierungsgabe, seufze ich zu Ms. Columbo, und würde gern eine meiner Spezialfähigkeiten dagegen eintauschen. Welche denn, fragt Ms. Columbo. Zum Beispiel die, sage ich, noch in 100 Jahren sicher zu wissen, wer „Griechischer Wein“ geschrieben hat.
Reicht mir nicht, sagt Ms. Columbo. Na gut, rufe ich, dann dass Bernd Clüver einst im 20. Jahrhundert „Der Junge mit der Mundharmonika“ gesungen hat: Das würde ich hergeben für Orientierung!
Ms. Columbo aber will noch immer nicht tauschen. „Lady Bump“ von Penny McLean!, spiele ich meinen letzten von weiteren unübersehbar vielen Trümpfen aus. Doch sie will nur tauschen gegen eine echte Gabe und nicht, wie sie schonungslos offen darlegt, gegen Trashwissen.
Also werde ich weiterhin vermuten, das Hotel läge im Norden, werde daraus seine strikt südliche Lage ableiten und es am Ende im halblinken Mittelwesten wiederfinden.
Allerdings nur mit Ms. Columbos Hilfe.
Könnte ich zum Beispiel sicher sein, unser Hotel (Foto: eine Innenansicht) läge wirklich immer genau in der entgegengesetzten Richtung von der, die ich vermute, dann wäre alles gut. Ich stapfte einfach los in die „falsche“ Richtung und stünde alsbald vor der Unterkunft.
Manchmal ist es auch wirklich so – tätä! –, meistens aber ganz und gar nicht. Das Problem: Es gibt so viele Richtungen.
Vor allem die schrägen, diagonalen, abknickenden, ums Eck laufenden, auch die kurvigen, mäandernden, unmerklich gebogenen, Parallelität vortäuschenden machen mir zu schaffen. Sie verwirren mich. Und schon ist das Hotel ganz woanders.
Ich hätte gern deine Orientierungsgabe, seufze ich zu Ms. Columbo, und würde gern eine meiner Spezialfähigkeiten dagegen eintauschen. Welche denn, fragt Ms. Columbo. Zum Beispiel die, sage ich, noch in 100 Jahren sicher zu wissen, wer „Griechischer Wein“ geschrieben hat.
Reicht mir nicht, sagt Ms. Columbo. Na gut, rufe ich, dann dass Bernd Clüver einst im 20. Jahrhundert „Der Junge mit der Mundharmonika“ gesungen hat: Das würde ich hergeben für Orientierung!
Ms. Columbo aber will noch immer nicht tauschen. „Lady Bump“ von Penny McLean!, spiele ich meinen letzten von weiteren unübersehbar vielen Trümpfen aus. Doch sie will nur tauschen gegen eine echte Gabe und nicht, wie sie schonungslos offen darlegt, gegen Trashwissen.
Also werde ich weiterhin vermuten, das Hotel läge im Norden, werde daraus seine strikt südliche Lage ableiten und es am Ende im halblinken Mittelwesten wiederfinden.
Allerdings nur mit Ms. Columbos Hilfe.
22 Juni 2007
Die Wodkafrage
Am Strand von Sopot, unweit der Mole (Foto), habe ich wie neulich angekündigt nach Bernstein gegraben. Allerdings war das Spektakulärste, was ich fand, ein Vogelfuß.
Er war frisch abgerissen und hatte geradezu storchartige Ausmaße. „In der Ostsee gibt es doch Haie!“, verkündete ich aufgeregt. Als mich danach bei einem längeren Schwimmausflug etwas am Bein streifte, fiel mir dieser Satz wieder ein. Ich beschleunigte.
Meine vogelfußinduzierte Grundmulmigkeit wird zusätzlich verstärkt durch die hiesige Meeresfarbe. Es handelt sich um ein matschmattes Braungrün, welches schon nach wenigen Zentimetern jeden Blick in die Tiefe verhindert.
Wie nah meine Beine und Füße eventuell herumdümpelnder alienartiger Fauna kommen, bleibt also völlig im Trüben, erregt aber umso mehr die Fantasie. Ich beschleunige.
Abends nach dem Essen bestelle ich zwei Wodka, und der Ober rasselt mir ein halbes Dutzend zur Auswahl runter. „Ok, the best one!“, sage ich so ratlos wie forsch, wofür mich Ms. Columbo sogleich kritisiert.
„Ja, was hätte ich denn sagen sollen?“, errege ich mich, „the worst one? The cheapest one?“
„Nein“, sagt Ms. Columbo, „the strongest one.“ Versteh einer die Frauen.
Er war frisch abgerissen und hatte geradezu storchartige Ausmaße. „In der Ostsee gibt es doch Haie!“, verkündete ich aufgeregt. Als mich danach bei einem längeren Schwimmausflug etwas am Bein streifte, fiel mir dieser Satz wieder ein. Ich beschleunigte.
Meine vogelfußinduzierte Grundmulmigkeit wird zusätzlich verstärkt durch die hiesige Meeresfarbe. Es handelt sich um ein matschmattes Braungrün, welches schon nach wenigen Zentimetern jeden Blick in die Tiefe verhindert.
Wie nah meine Beine und Füße eventuell herumdümpelnder alienartiger Fauna kommen, bleibt also völlig im Trüben, erregt aber umso mehr die Fantasie. Ich beschleunige.
Abends nach dem Essen bestelle ich zwei Wodka, und der Ober rasselt mir ein halbes Dutzend zur Auswahl runter. „Ok, the best one!“, sage ich so ratlos wie forsch, wofür mich Ms. Columbo sogleich kritisiert.
„Ja, was hätte ich denn sagen sollen?“, errege ich mich, „the worst one? The cheapest one?“
„Nein“, sagt Ms. Columbo, „the strongest one.“ Versteh einer die Frauen.
Pragmatismus auf polnisch
Viele Männer hier humpeln. Wir sehen Krücken, steife Beine, grenzbelastete Gehstöcke. Polen scheint in orthopädischer Hinsicht eine Gefahrenzone zu sein. Der lahme Mann Europas.
Legte man eine normale Fortbewegungsfähigkeit zugrunde, dann kommt Polen ungefähr auf die Quadratwurzel davon. Zu dieser Problematik passt die abgebildete Telefonzelle.
Wie hat man sie zur behindertengerechten Version umgebaut? Man riss ihr einfach die Tür raus und setzte ein Rollstuhlsymbol aufs Dach.
Pragmatismus auf polnisch.
Legte man eine normale Fortbewegungsfähigkeit zugrunde, dann kommt Polen ungefähr auf die Quadratwurzel davon. Zu dieser Problematik passt die abgebildete Telefonzelle.
Wie hat man sie zur behindertengerechten Version umgebaut? Man riss ihr einfach die Tür raus und setzte ein Rollstuhlsymbol aufs Dach.
Pragmatismus auf polnisch.
21 Juni 2007
Polnische Prioritäten
Link: sevenload.com
Dem Bier bringen die Polen viel Verehrung entgegen. Höchstens der Papst steht noch höher im Rang.
Trotzdem habe ich noch in keiner Danziger Kneipe eine derart altarähnliche Inszenierung Benedikts gesehen wie für dieses Fläschchen Heineken – siehe Clip.
Ich indes halte mich gerstensafttechnisch ans einheimische Ziwiec (sprich „Tschiwi-etsch“), nicht nur wegen der besseren Klimabilanz, sondern auch aufgrund eines ganz generellen Interesses an jeweils lokaler Kulinarik.
Zur Kuttelsuppe konnte ich mich trotzdem noch nicht durchringen.
20 Juni 2007
Ziemlich Grass
Wir unternahmen einen Ausflug in jenen Stadtteil Danzigs, wo Günter Grass geboren wurde: nach Langfuhr. Die Danziger nennen dieses Viertel allerdings nicht Langfuhr, sondern Wrzeszcz.
Das macht einen einsamen Vokal auf acht Buchstaben – und klingt, als versuchte man das Wort „Wirsingschaschlik“ auszusprechen, während man ein klitschnasses Leinenbeutelchen im Mund hat, das mit Günter Grass’ und Lech Walesas Schnurrbarthaaren gefüllt ist.
„Walesa“ ist übrigens eine lachhaft unzureichende deutsche Schreibweise für den Namen des polnischen Expräsidenten. Das hiesige durchgestrichene l ist in Wahrheit nämlich ein W-Laut, so ähnlich wie im englischen „water“. Und das e in Walesa hat ein Häkchen untendran, was es als Nasallaut kennzeichnet.
Man sagt also so etwas Ähnliches wie „Wawengsa“, wenn man von Lech spricht, was in Polen aber nicht mehr allzuviele Leute tun. Von Grass indes hört und sieht man hier auch wenig, und so richtig weiß man auch in Wrzeszcz nicht Bescheid über den Nobelpreisträger.
Wir waren frohgemut ohne Stadtplan hingefahren und wollten uns durchfragen. War schwierig. Von der Straße, in der sein Geburtshaus steht, der Ulica Lelewela, hatten zwar einige Wrzeszczer und Wrzeszczerinnen schon mal gehört, doch wo genau die liegt: großes Fragezeichen.
Schließlich standen wir doch vor einem grauen Reihenhaus mit tiefhängenden Fenstern, an dessen Fassade eine kleine weiße Gedenktafel an den berühmtesten Danziger erinnert. Dann verließen wir Wrzeszcz wieder, um uns an den Strand zu legen.
Abends aßen wir dann kein Wirsingschaschlik, sondern das polnische Nationalgericht Bigos, was aber wenigstens so ähnlich aussieht.
Das macht einen einsamen Vokal auf acht Buchstaben – und klingt, als versuchte man das Wort „Wirsingschaschlik“ auszusprechen, während man ein klitschnasses Leinenbeutelchen im Mund hat, das mit Günter Grass’ und Lech Walesas Schnurrbarthaaren gefüllt ist.
„Walesa“ ist übrigens eine lachhaft unzureichende deutsche Schreibweise für den Namen des polnischen Expräsidenten. Das hiesige durchgestrichene l ist in Wahrheit nämlich ein W-Laut, so ähnlich wie im englischen „water“. Und das e in Walesa hat ein Häkchen untendran, was es als Nasallaut kennzeichnet.
Man sagt also so etwas Ähnliches wie „Wawengsa“, wenn man von Lech spricht, was in Polen aber nicht mehr allzuviele Leute tun. Von Grass indes hört und sieht man hier auch wenig, und so richtig weiß man auch in Wrzeszcz nicht Bescheid über den Nobelpreisträger.
Wir waren frohgemut ohne Stadtplan hingefahren und wollten uns durchfragen. War schwierig. Von der Straße, in der sein Geburtshaus steht, der Ulica Lelewela, hatten zwar einige Wrzeszczer und Wrzeszczerinnen schon mal gehört, doch wo genau die liegt: großes Fragezeichen.
Schließlich standen wir doch vor einem grauen Reihenhaus mit tiefhängenden Fenstern, an dessen Fassade eine kleine weiße Gedenktafel an den berühmtesten Danziger erinnert. Dann verließen wir Wrzeszcz wieder, um uns an den Strand zu legen.
Abends aßen wir dann kein Wirsingschaschlik, sondern das polnische Nationalgericht Bigos, was aber wenigstens so ähnlich aussieht.
19 Juni 2007
Einmal Hölle und zurück
Die Frau am Schalter kann englisch. „Two tickets to Hel“, sage ich und meine damit die Danzig vorgelagerte Halbinsel. Trotzdem verspüre ich aus rein phonetischen Gründen sofort das dunkle Bedürfnis, diesen Satz zu ergänzen: „And back, please!“, sage ich sicherheitshalber.
„To Hel only at weekends“, bedauert die Schalterfrau. Immerhin: Sie hätte mir ggflls. auch Rückfahrkarten verkauft. In einem erzkatholischen Land wie Polen nicht gerade selbstverständlich.
Die wahre Hölle begann übrigens in der Tat hier ganz in der Nähe, nördlich von Danzig nämlich: der Zweite Weltkrieg. Westerplatte heißt der Ort an der Weichselmündung, wo am 1. September 1939 das deutsche Schiff Schleswig-Holstein einen polnischen Militärstützpunkt anlasslos beschoss. Der Rest ist grausame Geschichte.
Wir lösten auf dem abgebildeten Dreimaster Lew zwei Karten, freilich ohne uns als Deutsche zu outen.
Am Wochenende geht es dann nach Hel, aber nur bei himmlischem Wetter.
„To Hel only at weekends“, bedauert die Schalterfrau. Immerhin: Sie hätte mir ggflls. auch Rückfahrkarten verkauft. In einem erzkatholischen Land wie Polen nicht gerade selbstverständlich.
Die wahre Hölle begann übrigens in der Tat hier ganz in der Nähe, nördlich von Danzig nämlich: der Zweite Weltkrieg. Westerplatte heißt der Ort an der Weichselmündung, wo am 1. September 1939 das deutsche Schiff Schleswig-Holstein einen polnischen Militärstützpunkt anlasslos beschoss. Der Rest ist grausame Geschichte.
Wir lösten auf dem abgebildeten Dreimaster Lew zwei Karten, freilich ohne uns als Deutsche zu outen.
Am Wochenende geht es dann nach Hel, aber nur bei himmlischem Wetter.
18 Juni 2007
Dahin, wo Kinski einst wegging
Im Seebad Zoppot, nur 20 Zugminuten von Danzig entfernt, wurde Klaus Kinski geboren. Deshalb habe ich Christian Davids Biografie des Weltstars mit auf die Reise genommen und gestern Abend 200 Seiten davon weggelesen.
Natuerlich musste ich Ms. Columbo nach Zoppot verschleppen; sie wehrte sich nicht. Hier herrschte heute eine merkwürdige Atmosphäre, sie erinnert an Louis Malles Film „Atlantic City“. Dabei ist gar kein Winter mehr, sondern schon Vorsaison, das Meer hat bald 20 Grad.
Doch heute war dort die See bleigrau von den schweren Wolken, die der Wind von Westen herüberschickte, und ein halbherziger Regen benieselte lautlos die Mole.
Als wir kamen, verließ gerade die letzte Schulklasse stumm die über 500 Meter lange Brücke. Wir standen schließlich allein an der bugförmigen Spitze und schauten hinaus auf die Ostsee, wo eine Phalanx von Schiffssilhouetten am Horizont festgefroren war.
Hinter uns – fast so weit entfernt, wie die Reeperbahn lang ist – verfiel unmerklich weiter das trutzige Grand Hotel, das schon in den späten 20ern hier gestanden haben muss, als der kleine Kinski am Strand nach Bernsteinbrocken grub.
In Bahnhofsnähe liegt Kinskis Geburtshaus, dort haben sie nach langem, erbittertem Streit über den promisken Wüterich erst vor wenigen Jahren eine Gedenkstätte zugelassen und im Erdgeschoss einen schummrigen Pub mit burgunderfarbenen Wänden und Tischdecken eingerichtet.
Ich bestelle als Reminiszenz und auf eigenes Risiko ein Piwo Nosferatu von der rein polnischsprachigen Karte. Es kommt ein Bier, das mit rotem Saft (wahrscheinlich Blutorange) eingefärbt wurde; der Strohhalm im Glas erschreckt mich sehr, doch das Ganze schmeckt nicht einmal übel. Besser jedenfalls als Jungfrauenblut (wie ich vermute).
Von den Wänden schauen Kinskis in allen Posen und Rollen: als Aguirre, als Vampir, als Woyzeck und als düsterer Westernheld. Dazu läuft die ganze Zeit Massive Attack. Wahrscheinlich hätte Kinski nach Paganini gebrüllt, den CD-Spieler durch die Scheibe gepfeffert und mit brennenden Kerzen nach der Bedienung geworfen.
Außer im Pub an der Kosciuszki-Straße 10 scheint der einzige Bewohner Zoppots, der es je zu Weltruhm brachte, in der Stadt nicht präsent zu sein. An der Mole konzentrieren sich die Straßenmaler auf Karikaturen von Marilyn Monroe, Elvis Presley oder Angela Merkel, doch keiner kommt auf die Idee, auch Kinski zu malen.
Keine Zoppot-Postkarte zeigt sein Konterfei, nirgends weist ein Schild auf sein Geburtshaus hin. Die Stadt scheint sich noch immer zu schämen für ihn; was zu seinen Lebzeiten galt, gilt auch posthum: Mit Kinski kam und kommt keiner aus. Wir verlassen die Pub Galeria Kinski gegen 19 Uhr, kurz nach „Unfinished sympathy“.
Jedes Seebad der Welt lässt sich deprimieren vom Nieselregen, überall. Und so ging es heute auch Zoppot. Kinski zog mit sechs hier weg und kam nie mehr zurück.
Wir aber werden wiederkommen, mit Bikini und Badehose – sobald die Sonne die bleigraue Ostsee wieder blau färbt.
Und ich werde am Strand nach Bernstein graben.
Natuerlich musste ich Ms. Columbo nach Zoppot verschleppen; sie wehrte sich nicht. Hier herrschte heute eine merkwürdige Atmosphäre, sie erinnert an Louis Malles Film „Atlantic City“. Dabei ist gar kein Winter mehr, sondern schon Vorsaison, das Meer hat bald 20 Grad.
Doch heute war dort die See bleigrau von den schweren Wolken, die der Wind von Westen herüberschickte, und ein halbherziger Regen benieselte lautlos die Mole.
Als wir kamen, verließ gerade die letzte Schulklasse stumm die über 500 Meter lange Brücke. Wir standen schließlich allein an der bugförmigen Spitze und schauten hinaus auf die Ostsee, wo eine Phalanx von Schiffssilhouetten am Horizont festgefroren war.
Hinter uns – fast so weit entfernt, wie die Reeperbahn lang ist – verfiel unmerklich weiter das trutzige Grand Hotel, das schon in den späten 20ern hier gestanden haben muss, als der kleine Kinski am Strand nach Bernsteinbrocken grub.
In Bahnhofsnähe liegt Kinskis Geburtshaus, dort haben sie nach langem, erbittertem Streit über den promisken Wüterich erst vor wenigen Jahren eine Gedenkstätte zugelassen und im Erdgeschoss einen schummrigen Pub mit burgunderfarbenen Wänden und Tischdecken eingerichtet.
Ich bestelle als Reminiszenz und auf eigenes Risiko ein Piwo Nosferatu von der rein polnischsprachigen Karte. Es kommt ein Bier, das mit rotem Saft (wahrscheinlich Blutorange) eingefärbt wurde; der Strohhalm im Glas erschreckt mich sehr, doch das Ganze schmeckt nicht einmal übel. Besser jedenfalls als Jungfrauenblut (wie ich vermute).
Von den Wänden schauen Kinskis in allen Posen und Rollen: als Aguirre, als Vampir, als Woyzeck und als düsterer Westernheld. Dazu läuft die ganze Zeit Massive Attack. Wahrscheinlich hätte Kinski nach Paganini gebrüllt, den CD-Spieler durch die Scheibe gepfeffert und mit brennenden Kerzen nach der Bedienung geworfen.
Außer im Pub an der Kosciuszki-Straße 10 scheint der einzige Bewohner Zoppots, der es je zu Weltruhm brachte, in der Stadt nicht präsent zu sein. An der Mole konzentrieren sich die Straßenmaler auf Karikaturen von Marilyn Monroe, Elvis Presley oder Angela Merkel, doch keiner kommt auf die Idee, auch Kinski zu malen.
Keine Zoppot-Postkarte zeigt sein Konterfei, nirgends weist ein Schild auf sein Geburtshaus hin. Die Stadt scheint sich noch immer zu schämen für ihn; was zu seinen Lebzeiten galt, gilt auch posthum: Mit Kinski kam und kommt keiner aus. Wir verlassen die Pub Galeria Kinski gegen 19 Uhr, kurz nach „Unfinished sympathy“.
Jedes Seebad der Welt lässt sich deprimieren vom Nieselregen, überall. Und so ging es heute auch Zoppot. Kinski zog mit sechs hier weg und kam nie mehr zurück.
Wir aber werden wiederkommen, mit Bikini und Badehose – sobald die Sonne die bleigraue Ostsee wieder blau färbt.
Und ich werde am Strand nach Bernstein graben.
17 Juni 2007
Taubenfutter zweckentfremdet
Warum sieht man nach einer Nacht im Liegewagen eigentlich immer so aus, als wäre man Stefan Hentschels Sandsack? Uebrigens fuehlt man sich auch genauso.
Dabei ist doch nichts weiter passiert, als dass man ein paar Stunden lang sehr beengt flachgelegen hat.
Wir werden jedenfalls einen Tag brauchen, um hier in Danzig die Sandsackexistenz wieder einzutauschen gegen etwas Menschenaehnlicheres.
Dabei hat es schon mal geholfen, den kleinen Jungen auf dem Marktplatz zu beobachten.
Seine Eltern hatten ihm Taubenfutter gekauft, was auf St. Pauli strafbar wäre, hier aber als Touristenattraktion sogar gefoerdert wird.
Der Kleine hatte aber eine bessere Idee: Er aß das Zeugs lieber selber. Aufschrei bei Mama, feixen bei Matt und Ms. Columbo.
So kann es weitergehen.
16 Juni 2007
Ciao, Edi!
Link: sevenload.com
Nachmittags radelte ich die Reeperbahn westwärts, bog am Albersplatz illegal links ab auf den Gehweg, umkurvte kühn die schon erstaunlich zahlreichen Flaneure, stoppte jäh vorm Nuttenturm und wurde augenblicks wehmütig.
Zum letzten Mal nämlich würde ich im klapprigen Lift die 14 Stockwerke hochjuckeln und Edi besuchen. Zum letzten Mal würde ich jenen speziellen, rheumabedingten Handschlag auf Schulterhöhe mit ihm austauschen. Und mich zum letzten Mal mit ihm kabbeln über meine Vorliebe, lieber an seinen Astraplastikflaschen zu nuckeln, statt das Bier ins Glas zu gießen.
„Flaschenbier trinkt man aus der Flasche!“, würde ich erneut eine uralte dogmaähnliche Weisheit zum Besten geben, die mich bisher glänzend durchs Leben gebracht hat, und er würde lächelnd den Kopf schütteln und mich unter Verweis auf den plastikverdorbenen Geschmack des Biers umzustimmen versuchen – als wenn es diesen Geschmack (so es ihn überhaupt gibt) beim Gießen ins Glas verlöre.
Und dann würden wir hinaustreten auf seinen lärmumtosten Balkon („Hier oben“, würde Edi wieder einmal unvermindert fassungslos erläutern, „ist es lauter als unten!“), er würde sich eine Zigarette drehen, derweil er die Stärken und Schwächen deutscher Kanzler abwöge und die Authentizität der Tagebücher Thomas Manns bezweifelte; und er würde vor den politischen Fettnäpfchen warnen, in die Ms. Columbo und ich in Danzig tappen könnten, wo wir ab morgen unseren Urlaub verbringen werden.
Ich würde ein wenig mit der Kamera herumspielen und kleine Filmchen von Edi und seiner neuen Piratenflagge drehen, die noch unzerzaust ist vom Kiezwind und stolz und schwarz den in naher Ferne einlaufenden Pötten Grüße hinüberweht.
Unten auf der Kreuzung würden plötzlich Reifen quietschen und es praktisch gleichzeitig gewaltig krachen, was uns unisono an die Brüstung hechten ließe, wo wir uns das kleine große Chaos in der Tiefe genüsslich anschauten wie einen Film von Jacques Tati.
Und dann würden wir uns irgendwann verabschieden, und zwar für lange, denn Edi, der alte Oberfunkmeister, zieht weg, von der Elbe an die Alpen.
Ich hätte ihn gern früher kennengelernt, würde ich ihm noch sagen. Und er würde mich wie immer warnen vorm klapprigen Lift, der immer wieder steckenbliebe („Das ist ein Abenteuer, das kann ich dir sagen!“), was mich wiederum bewöge, heute lieber alle 14 Stockwerke des Nuttenturms zu Fuß hinabzusteigen, weil meine Stimmung nun mal wehmütig ist und nicht abenteuerlustig.
Und genauso, wie ich es vermutet hatte, kam es auch heute Nachmittag. All das Geschilderte geschah, nichts traf nicht ein.
So denn: Ciao, alter Oberfunkmeister! Bis irgendwann einmal im Allgäu.
Ich hätte dich wirklich gerne früher kennengelernt.
15 Juni 2007
Hentschel revisited
Heute Abend um 22 Uhr sendet Vox eine neue Dokumentation (Foto: Spiegel TV) über den Kiezluden Stefan Hentschel.
Der Mann hat mir auch schon mal Ärger gemacht – allerdings posthum.
Der Mann hat mir auch schon mal Ärger gemacht – allerdings posthum.
Auf Tour de Hur
Die Werbeaufschrift dieses am Hambuger Berg parkenden Kleinwagens weckte spontan derart mein Interesse, dass ich sie vor lauter Aufregung nur verwackelt knipsen konnte.
Das Interesse erlahmte auch nach dem Besuch der Hurentour-Webseite kaum. Gleichwohl scheinen mir 25 Euro recht happig für gute zwei Stunden begleitetes Schlendern durch St. Pauli – zumal dies auf manch schwankendes Gemüt höchst appetitanregende Wirkung haben dürfte, doch am Ende wird es bloß mit einem Hurenschnaps ruhiggestellt.
Man raunt aber auch von der Reichung einer Currywurst, was natürlich eine sehr sinnige Idee ist, allein schon wegen der Form.
Immerhin steht beim Rundgang auch der Besuch eines einschlägigen Reeperbahn-Kaufhauses auf dem Programm. „Der Besuch des Sexshops“, schwärmt denn auch ein Hurentourtourist auf der Webseite, „hat bei allen Schweizern tiefe aber schöne Spuren hinterlassen.“
Ich glaube, ich frage mal nach einer Presseakkreditierung. Bericht folgt ggflls.
Das Interesse erlahmte auch nach dem Besuch der Hurentour-Webseite kaum. Gleichwohl scheinen mir 25 Euro recht happig für gute zwei Stunden begleitetes Schlendern durch St. Pauli – zumal dies auf manch schwankendes Gemüt höchst appetitanregende Wirkung haben dürfte, doch am Ende wird es bloß mit einem Hurenschnaps ruhiggestellt.
Man raunt aber auch von der Reichung einer Currywurst, was natürlich eine sehr sinnige Idee ist, allein schon wegen der Form.
Immerhin steht beim Rundgang auch der Besuch eines einschlägigen Reeperbahn-Kaufhauses auf dem Programm. „Der Besuch des Sexshops“, schwärmt denn auch ein Hurentourtourist auf der Webseite, „hat bei allen Schweizern tiefe aber schöne Spuren hinterlassen.“
Ich glaube, ich frage mal nach einer Presseakkreditierung. Bericht folgt ggflls.
13 Juni 2007
In Sichtweite der Taubenstraße
Tote Tauben auf St. Pauli bieten gewöhnlich einen erbärmlichen Anblick. Meist mussten sie eine deutliche Reduktion ihres Körpervolumens hinnehmen, da ihre Mortalitätsrate vor allem von fatalen Kontakten mit Verkehrsmitteln bestimmt wird.
Nur ganz selten hingegen sieht man Taubenleichen, die eines offenbar natürlichen Todes gestorben sind. Dann sehen sie aus, als schliefen sie.
Vornübergekippt und mit dem Schwänzchen in die Höh ruhen sie auf dem Gehweg, ihre Köpfchen sind traulich zur Seite geneigt, die Taubenwängchen ruhen friedlich auf dem Stein.
Es scheint dann, als träumten sie vom Pickparadies.
Genauso lag die von heute da – und das ausgerechnet in Sichtweite der Taubenstraße. Der Kiez kann so zynisch sein.
Nur ganz selten hingegen sieht man Taubenleichen, die eines offenbar natürlichen Todes gestorben sind. Dann sehen sie aus, als schliefen sie.
Vornübergekippt und mit dem Schwänzchen in die Höh ruhen sie auf dem Gehweg, ihre Köpfchen sind traulich zur Seite geneigt, die Taubenwängchen ruhen friedlich auf dem Stein.
Es scheint dann, als träumten sie vom Pickparadies.
Genauso lag die von heute da – und das ausgerechnet in Sichtweite der Taubenstraße. Der Kiez kann so zynisch sein.
12 Juni 2007
Besessen von Pennytüten!
Das Oberteil der rauchenden jungen Frau, die uns auf der Treppe zur U-Bahn St. Pauli begegnet, ist keineswegs maßgeschneidert, und das rotgelbe Material des Kleidungsstücks wirkt irgendwie künstlich. Nein, sie trägt nicht gerade American Apparel.
Doch erst beim näheren Hinsehen sehen wir es: Die Frau hat Löcher in die unteren Ecken einer großen Plastiktüte von Penny geschnitten und sie sich dann kopfüber angezogen.
„Nicht unoriginell“, sage ich anerkennend zu Ms. Columbo, „nur eventuell etwas kalt im Winter.“ Die rauchende Frau braucht das aber nicht zu kümmern: Zum Glück haben wir ja gerade Klimakatastrophe.
Diese kleine unwichtige Begebenheit – Achtung: Jetzt wird es sehr selbstbezüglich! – will ich zu Hause natürlich verbloggen, weil es auf der Rückseite der Reeperbahn nun mal so Sitte ist, kleine unwichtige Begegnungen zu verbloggen und so dem rechtmäßigen Vergessen zu entreißen.
Leider habe ich zur Illustration keine abknipsbare Pennytüte zur Hand. Deshalb google ich in der Bildersuche nach diesem Begriff – und sitze genau 0,06 Sekunden später schockiert blinzelnd vom Bildschirm, als erzählte mir gerade jemand, der Papst habe soeben eine Bank in Stockholm überfallen.
Was da nämlich als Suchergebnis vor meinen ungläubigen Augen die komplette Monitorfläche füllt, ist eine seitenlange Sammlung von Fotos aus diesem Blog …
O Mann, ich bin ganz offensichtlich besessen von Pennytüten! Und mit diesem Beitrag lindere ich nicht gerade die Symptome.
Doch erst beim näheren Hinsehen sehen wir es: Die Frau hat Löcher in die unteren Ecken einer großen Plastiktüte von Penny geschnitten und sie sich dann kopfüber angezogen.
„Nicht unoriginell“, sage ich anerkennend zu Ms. Columbo, „nur eventuell etwas kalt im Winter.“ Die rauchende Frau braucht das aber nicht zu kümmern: Zum Glück haben wir ja gerade Klimakatastrophe.
Diese kleine unwichtige Begebenheit – Achtung: Jetzt wird es sehr selbstbezüglich! – will ich zu Hause natürlich verbloggen, weil es auf der Rückseite der Reeperbahn nun mal so Sitte ist, kleine unwichtige Begegnungen zu verbloggen und so dem rechtmäßigen Vergessen zu entreißen.
Leider habe ich zur Illustration keine abknipsbare Pennytüte zur Hand. Deshalb google ich in der Bildersuche nach diesem Begriff – und sitze genau 0,06 Sekunden später schockiert blinzelnd vom Bildschirm, als erzählte mir gerade jemand, der Papst habe soeben eine Bank in Stockholm überfallen.
Was da nämlich als Suchergebnis vor meinen ungläubigen Augen die komplette Monitorfläche füllt, ist eine seitenlange Sammlung von Fotos aus diesem Blog …
O Mann, ich bin ganz offensichtlich besessen von Pennytüten! Und mit diesem Beitrag lindere ich nicht gerade die Symptome.
Flohmarktpech
Wenn man auf dem Flohmarkt Platten kauft, checkt man sie natürlich vorher intensiv auf Kratzer und andere Folgen des Zahns der Zeit.
Manche Schäden aber kann man partout nur zu Hause feststellen. Also leider zu spät.
Link: sevenload.com
Manche Schäden aber kann man partout nur zu Hause feststellen. Also leider zu spät.
Link: sevenload.com
11 Juni 2007
Unsere Nacht im Grand Hotel Kempinski
Während der turbulenten G-8-Tage fiel es uns plötzlich wieder ein: Auch Ms. Columbo und ich nächtigten einmal exakt dort, wo just Putin, Bush und Merkel um das Schicksal der Welt rangen – im Grand Hotel Kempinski von Heiligendamm.
Dies freilich taten wir nicht aus Großmannssucht und auch nicht aufgrund jener besonderen Ausprägung übergroßer Prominenz, die sich ihrer selbst mit der Buchung eines 17-Sterne-Hotels versichern muss. Nein, auch wenn es empörend klingt: Es geschah aus purer Not.
Damals, es war kurz nach der Wende, waren wir mit unseren ungewaschenem roten Polo ins Blaue losgefahren, immer die Ostseeküste lang. Wo es uns gefiel, suchten wir uns eine Pension oder ein privates Zimmer, schritten die Seebrücken ab, aßen ein ortsübliches Fischgericht und zockelten bald weiter gen Osten.
Einmal kamen wir bei einer muffeligen Familie unter in Boltenhagen, Bad Doberan oder so, die uns das Zimmer nur unter deutlichen Anzeichen des Missmuts aufschloss. Hier war klar: Man mochte keine Wessis, doch anders kam man halt nicht über die Runden.
Entsprechend war der Service. Das Frühstück gab es in einer beängstigend überfüllten Küche, die gleichwohl sämtliche Wohnfunktionen zugleich erfüllen musste (wahrscheinlich, weil man uns das Wohnzimmer vermietet hatte). Mehrere familieneigene Blagen lümmelten sich maulfaul mit uns an den Tisch, während Mrs. Missmut rauchend an der Spüle herumlärmte und die Waschmaschine ächzend vor sich hin öttelte.
Diese Unterkunft, so stellte es sich hinterher heraus, markierte das eine Ende des Spektrums, preislich wie in allen anderen Kategorien. Am anderen Ende lag das Grand Hotel Kempinski, natürlich.
Dabei planten wir in Heiligendamm die gleiche Vorgehensweise wie bisher: ankommen, durchs Dörfchen gurken, „Zimmer frei“-Schilder orten, klingeln, einziehen, Seebrücke, Fischgericht. Doch wir fanden keine „Zimmer frei“-Schilder. Heiligendamm war ausgebucht, auch ohne G 8.
Nur das Grand Hotel Kempinski nicht, wo wir uns schließlich verzagt an der Rezeption wiederfanden. Dort war man sehr gerne bereit, uns zu beherbergen, doch forderte man dafür einen geradezu empörenden Preis. Allein: Was blieb uns übrig?
Ich glaube, wir zahlten schmerzverzerrt umgerechnet 80 Euro für die Nacht; ein Preis, bei dem der heutige Hoteldirektor gewiss in Lebensgefahr geriete, wegen seines Lachanfalls.
Jedenfalls war es toll. Wir frühstückten an einem weißen Tisch auf englischem Rasen, die Ostsee fächelte uns eine bedeutungsvolle Brise zu, als huldigte sie unserer übergroßen Prominenz, und den Nachmittagskaffee nahmen wir im hoteleigenen Strandkorb zu uns, umhegt von behandschuhten Livrierten, wenn ich mich recht entsinne.
Doch wie gesagt: Das alles geschah aus purer Not. Ehrlich wahr.
Dies freilich taten wir nicht aus Großmannssucht und auch nicht aufgrund jener besonderen Ausprägung übergroßer Prominenz, die sich ihrer selbst mit der Buchung eines 17-Sterne-Hotels versichern muss. Nein, auch wenn es empörend klingt: Es geschah aus purer Not.
Damals, es war kurz nach der Wende, waren wir mit unseren ungewaschenem roten Polo ins Blaue losgefahren, immer die Ostseeküste lang. Wo es uns gefiel, suchten wir uns eine Pension oder ein privates Zimmer, schritten die Seebrücken ab, aßen ein ortsübliches Fischgericht und zockelten bald weiter gen Osten.
Einmal kamen wir bei einer muffeligen Familie unter in Boltenhagen, Bad Doberan oder so, die uns das Zimmer nur unter deutlichen Anzeichen des Missmuts aufschloss. Hier war klar: Man mochte keine Wessis, doch anders kam man halt nicht über die Runden.
Entsprechend war der Service. Das Frühstück gab es in einer beängstigend überfüllten Küche, die gleichwohl sämtliche Wohnfunktionen zugleich erfüllen musste (wahrscheinlich, weil man uns das Wohnzimmer vermietet hatte). Mehrere familieneigene Blagen lümmelten sich maulfaul mit uns an den Tisch, während Mrs. Missmut rauchend an der Spüle herumlärmte und die Waschmaschine ächzend vor sich hin öttelte.
Diese Unterkunft, so stellte es sich hinterher heraus, markierte das eine Ende des Spektrums, preislich wie in allen anderen Kategorien. Am anderen Ende lag das Grand Hotel Kempinski, natürlich.
Dabei planten wir in Heiligendamm die gleiche Vorgehensweise wie bisher: ankommen, durchs Dörfchen gurken, „Zimmer frei“-Schilder orten, klingeln, einziehen, Seebrücke, Fischgericht. Doch wir fanden keine „Zimmer frei“-Schilder. Heiligendamm war ausgebucht, auch ohne G 8.
Nur das Grand Hotel Kempinski nicht, wo wir uns schließlich verzagt an der Rezeption wiederfanden. Dort war man sehr gerne bereit, uns zu beherbergen, doch forderte man dafür einen geradezu empörenden Preis. Allein: Was blieb uns übrig?
Ich glaube, wir zahlten schmerzverzerrt umgerechnet 80 Euro für die Nacht; ein Preis, bei dem der heutige Hoteldirektor gewiss in Lebensgefahr geriete, wegen seines Lachanfalls.
Jedenfalls war es toll. Wir frühstückten an einem weißen Tisch auf englischem Rasen, die Ostsee fächelte uns eine bedeutungsvolle Brise zu, als huldigte sie unserer übergroßen Prominenz, und den Nachmittagskaffee nahmen wir im hoteleigenen Strandkorb zu uns, umhegt von behandschuhten Livrierten, wenn ich mich recht entsinne.
Doch wie gesagt: Das alles geschah aus purer Not. Ehrlich wahr.
10 Juni 2007
Die Puppenfrage
Heute stand mir schier aus dem Nichts eine Frage klar vor Augen, nämlich die, ob das Heer der Kölner Prostituierten während des Evangelischen Kirchentages womöglich Extraschichten schieben muss. Oder ob vielleicht gar hiesige Kiezhuren an den Rhein gereist sind, um Bedarfslücken zu schließen, ähnlich wie sie es alljährlich beim Oktoberfest in München tun.
Solch häretischen Gedanken hing ich nach während einer ausgiebigen Radtour über drei Flohmärkte; wahrscheinlich kamen sie auf dank der immensen Hitze und einer Begegnung auf dem Promenadenweg hinterm Tropeninstitut, wo mir fünf starke Jungs in Shorts und Bierlaune entgegenkamen.
Einer von ihnen trug eine prall aufgeblasene Gummipuppe mit willig geöffnetem Mund unterm Arm. Sie sah aus wie die abgebildete Munch-Variante, und auf ihrer Brust stand „Dolly“.
„Du und Dolly, ihr seid ein gutes Team!“, lobte ihn einer seiner Kumpels, und ich will gar nicht wissen, was genau er damit meinte. Doch ehe ich es trotzdem erfahren hätte, war ich auch schon vorübergerollt.
Gleichwohl fragte ich mich auf dem Weg zum Flohmarkt am Hein-Köllisch-Platz, wer solche Puppen wohl in der Entwicklungsphase auf naturgetreue Funktionalität testet – ist es der Chemiker, der ihre Kunststoffhaut entwickelt hat? Der Designer, der die äußere Form entwarf? Oder besteht der Vertriebschef auf dem Jus primae noctis?
Denn obwohl es kongenial erscheint: Man kann eine solche Puppe kaum mit einem Dildo zur Marktreife bringen.
Solch häretischen Gedanken hing ich nach während einer ausgiebigen Radtour über drei Flohmärkte; wahrscheinlich kamen sie auf dank der immensen Hitze und einer Begegnung auf dem Promenadenweg hinterm Tropeninstitut, wo mir fünf starke Jungs in Shorts und Bierlaune entgegenkamen.
Einer von ihnen trug eine prall aufgeblasene Gummipuppe mit willig geöffnetem Mund unterm Arm. Sie sah aus wie die abgebildete Munch-Variante, und auf ihrer Brust stand „Dolly“.
„Du und Dolly, ihr seid ein gutes Team!“, lobte ihn einer seiner Kumpels, und ich will gar nicht wissen, was genau er damit meinte. Doch ehe ich es trotzdem erfahren hätte, war ich auch schon vorübergerollt.
Gleichwohl fragte ich mich auf dem Weg zum Flohmarkt am Hein-Köllisch-Platz, wer solche Puppen wohl in der Entwicklungsphase auf naturgetreue Funktionalität testet – ist es der Chemiker, der ihre Kunststoffhaut entwickelt hat? Der Designer, der die äußere Form entwarf? Oder besteht der Vertriebschef auf dem Jus primae noctis?
Denn obwohl es kongenial erscheint: Man kann eine solche Puppe kaum mit einem Dildo zur Marktreife bringen.
08 Juni 2007
Das Rot von Ochsenblut
Hm, hat der Hauseigentümer die Farbe seines Wagens nun auf die Immobilienfassade abgestimmt oder umgekehrt?
Jedenfalls alles sehr stilbewusst hier in der Thadenstraße. Dort haben wir uns heute Abend ein italienisches Restaurant gesucht, um ein kleines Jubiläum zu begehen, und sogar die Farbe der Tomaten auf unserer Bruschetta schien mit dem Umgebungston harmonieren zu wollen.
Als ich nach der Penne arrabiata aufsah, war der ochsenblutrote Wagen vor dem ochsenblutroten Haus mit dem ochsenblutroten Graffito allerdings verschwunden.
Vielleicht war also alles nur ein Zufall. Vielleicht sind wir doch keine Deppen in der Matrix, denen man ab und zu mal kleine ästhetische Irritationen vorsetzt, um zu sehen, ob und was sie darüber bloggen.
Sehr beruhigend.
Jedenfalls alles sehr stilbewusst hier in der Thadenstraße. Dort haben wir uns heute Abend ein italienisches Restaurant gesucht, um ein kleines Jubiläum zu begehen, und sogar die Farbe der Tomaten auf unserer Bruschetta schien mit dem Umgebungston harmonieren zu wollen.
Als ich nach der Penne arrabiata aufsah, war der ochsenblutrote Wagen vor dem ochsenblutroten Haus mit dem ochsenblutroten Graffito allerdings verschwunden.
Vielleicht war also alles nur ein Zufall. Vielleicht sind wir doch keine Deppen in der Matrix, denen man ab und zu mal kleine ästhetische Irritationen vorsetzt, um zu sehen, ob und was sie darüber bloggen.
Sehr beruhigend.
07 Juni 2007
Wie ich heute Abend den deutschen Sieg herbeigepinkelt habe
In der 42. Minute des Spiels Deutschland-Slowakei entschließe ich mich auf gewissen Druck von innen, dem Halbzeitansturm auf die Toiletten zuvorzukommen und eile schon mal treppab.
Ich habe noch nicht einmal die Hose auf, da wogt natürlich verdammt noch mal der Jubel übers 2:1 (Hitzlsperger per Kopf, wie ich später erfahren soll) auch in die hinterste Kabine. Den Toilettengang absolviere ich routiniert, doch innerlich fluchend; manche meiner Schicksalsgenossen hier belassen es hingegen nicht bei stiller Kontemplation.
Zurück auf der Tribüne erwartet mich der fröhlich feixende Franke, der mir genussvoll Entwicklung und Vollendung des Tores unter die Nase reibt. Dabei schält sich eine fränkische Theorie heraus, die offensichtlich Folge temporärer Umnachtung ist.
Der völlig Verwirrte nämlich sieht meinen Toilettengang in einem unbestreitbaren Zusammenhang mit Hitzlspergers Kopfballtreffer. Geduldig erläutere ich ihm den essenziellen Unterschied zwischen Kausalität und Koinzidenz, doch barsch wischt er alles beiseite. Ich war pieseln, derweil ein Tor fiel: Das reicht dem katholisch vorgeschädigten Franken vollkommen, um eine direkte Ursache-Wirkung-Beziehung zwischen beiden Ereignissen herzustellen.
Was ich zu diesem Zeitpunkt noch nicht weiß: Viel mehr hat der Muffelkopf heute Abend auch nicht mehr zu bieten. Ob wir anderen 51.499 Zuschauer uns nun hinfort heiser schreien, in Rage klatschen, aufspringen oder die Welle machen: Der Franke sitzt da und rührt kaum ein Glied. „Bin doch kein Kleinkind“, grummelt er.
Stattdessen beginnt er mich ab der 60. Minute zu einem weiteren Toilettengang aufzufordern. Dabei liegen ihm keinerlei Indizien für die Notwendigkeit desselben vor. „Wir brauchen noch ein Tor“, brummt er.
Ich freilich bin höchst unwillig, mich zum bloßen Erfüllungsgehilfen eines auf meine Toilettengewohnheiten abgestimmten Schicksals degradieren zu lassen. Schließlich habe ich den Eintrittspreis im festen Willen entrichtet, mich gerade den Höhepunkten der Partie mit besonderem Genuss zu widmen. Und einen davon habe ich ja bereits verpasst, unter denkbar unwürdigen Umständen.
Ich bleibe also unbeirrt sitzen. Irritierenderweise wirkt das Spiel in der Folge wie eingefroren, es will auf dem Platz einfach nichts Spektakuläres mehr geschehen, selbst Strafraumszenen kommen inzwischen seltener vor, als Flugzeuge die Arena überqueren.
Für den Franken tragen daran jedoch nicht etwa Lahm, Frings, Gomez oder Rolfes die Hauptschuld; nein, mich klagt der Irre an. Meine störrische Weigerung, erneut die Toilette aufzusuchen, verhindert also eine ganze Halbzeit lang die Sicherheit im deutschen Spiel, die ein 3:1 zweifellos bedeutet hätte.
Ich müsste gehen, dann käme der Erfolg. Doch ich bleibe hier sitzen, und so tappt auch das Spiel entschlossen auf der Stelle. Nur der Franke entwickelt sich: Er wird immer sauertöpfischer.
Am Ende kann ich mir wenigstens den herbeigepinkelten Siegtreffer anrechnen lassen. Schönes Tor übrigens; ich habe gerade zu Hause die Aufzeichnung gesehen.
Ich habe noch nicht einmal die Hose auf, da wogt natürlich verdammt noch mal der Jubel übers 2:1 (Hitzlsperger per Kopf, wie ich später erfahren soll) auch in die hinterste Kabine. Den Toilettengang absolviere ich routiniert, doch innerlich fluchend; manche meiner Schicksalsgenossen hier belassen es hingegen nicht bei stiller Kontemplation.
Zurück auf der Tribüne erwartet mich der fröhlich feixende Franke, der mir genussvoll Entwicklung und Vollendung des Tores unter die Nase reibt. Dabei schält sich eine fränkische Theorie heraus, die offensichtlich Folge temporärer Umnachtung ist.
Der völlig Verwirrte nämlich sieht meinen Toilettengang in einem unbestreitbaren Zusammenhang mit Hitzlspergers Kopfballtreffer. Geduldig erläutere ich ihm den essenziellen Unterschied zwischen Kausalität und Koinzidenz, doch barsch wischt er alles beiseite. Ich war pieseln, derweil ein Tor fiel: Das reicht dem katholisch vorgeschädigten Franken vollkommen, um eine direkte Ursache-Wirkung-Beziehung zwischen beiden Ereignissen herzustellen.
Was ich zu diesem Zeitpunkt noch nicht weiß: Viel mehr hat der Muffelkopf heute Abend auch nicht mehr zu bieten. Ob wir anderen 51.499 Zuschauer uns nun hinfort heiser schreien, in Rage klatschen, aufspringen oder die Welle machen: Der Franke sitzt da und rührt kaum ein Glied. „Bin doch kein Kleinkind“, grummelt er.
Stattdessen beginnt er mich ab der 60. Minute zu einem weiteren Toilettengang aufzufordern. Dabei liegen ihm keinerlei Indizien für die Notwendigkeit desselben vor. „Wir brauchen noch ein Tor“, brummt er.
Ich freilich bin höchst unwillig, mich zum bloßen Erfüllungsgehilfen eines auf meine Toilettengewohnheiten abgestimmten Schicksals degradieren zu lassen. Schließlich habe ich den Eintrittspreis im festen Willen entrichtet, mich gerade den Höhepunkten der Partie mit besonderem Genuss zu widmen. Und einen davon habe ich ja bereits verpasst, unter denkbar unwürdigen Umständen.
Ich bleibe also unbeirrt sitzen. Irritierenderweise wirkt das Spiel in der Folge wie eingefroren, es will auf dem Platz einfach nichts Spektakuläres mehr geschehen, selbst Strafraumszenen kommen inzwischen seltener vor, als Flugzeuge die Arena überqueren.
Für den Franken tragen daran jedoch nicht etwa Lahm, Frings, Gomez oder Rolfes die Hauptschuld; nein, mich klagt der Irre an. Meine störrische Weigerung, erneut die Toilette aufzusuchen, verhindert also eine ganze Halbzeit lang die Sicherheit im deutschen Spiel, die ein 3:1 zweifellos bedeutet hätte.
Ich müsste gehen, dann käme der Erfolg. Doch ich bleibe hier sitzen, und so tappt auch das Spiel entschlossen auf der Stelle. Nur der Franke entwickelt sich: Er wird immer sauertöpfischer.
Am Ende kann ich mir wenigstens den herbeigepinkelten Siegtreffer anrechnen lassen. Schönes Tor übrigens; ich habe gerade zu Hause die Aufzeichnung gesehen.
05 Juni 2007
Typischer Dialog im Frühsommer (und dann wieder im Frühherbst)
Ms. Columbo: (im Büro am Rechner) „Warum ist es hier so kalt? Ist irgendwo eine Balkontür auf?“
Matt: „Mooooment mal: Schon die Prämisse dieser Frage ist falsch. Hier ist es überhaupt nicht kalt. Deshalb ist es auch irrelevant, ob irgendwo eine Balkontür auf ist.“
Ms. Columbo: „Und warum habe ich dann so kalte Hände und Füße? Willst du mal fühlen?“
Matt: „Klar …“ (fühlt) „Ouwha … Aber warum habe ich dann so warme Hände und Füße?“
Ms. Columbo: „Weiß nicht.“ (Wärmetransfer läuft.)
Matt: „Was ist denn mit der beheizbaren Maus, die ich dir geschenkt habe?“
Ms. Columbo: „Die ist doch nur für die rechte Hand. Und was ist mit der linken und den Füßen?“
Matt: „Ähm, sag mal … Die Maus ist ja überhaupt nicht warm! Hast du denn die Mausheizung gar nicht eingeschaltet?“
Ms. Columbo: „Nein. Dann ist nämlich die Lüftung des Rechners noch lauter.“
Matt: „Ich schließe jetzt mal die Balkontür.“
Ms. Columbo: „Sehr gut.“
Matt: „Mooooment mal: Schon die Prämisse dieser Frage ist falsch. Hier ist es überhaupt nicht kalt. Deshalb ist es auch irrelevant, ob irgendwo eine Balkontür auf ist.“
Ms. Columbo: „Und warum habe ich dann so kalte Hände und Füße? Willst du mal fühlen?“
Matt: „Klar …“ (fühlt) „Ouwha … Aber warum habe ich dann so warme Hände und Füße?“
Ms. Columbo: „Weiß nicht.“ (Wärmetransfer läuft.)
Matt: „Was ist denn mit der beheizbaren Maus, die ich dir geschenkt habe?“
Ms. Columbo: „Die ist doch nur für die rechte Hand. Und was ist mit der linken und den Füßen?“
Matt: „Ähm, sag mal … Die Maus ist ja überhaupt nicht warm! Hast du denn die Mausheizung gar nicht eingeschaltet?“
Ms. Columbo: „Nein. Dann ist nämlich die Lüftung des Rechners noch lauter.“
Matt: „Ich schließe jetzt mal die Balkontür.“
Ms. Columbo: „Sehr gut.“
Dies ist kein Blogeintrag
Nein, ich sei zu müde, bescheide ich gegen halb eins im Knust (Foto: die Klodecke) der Freundesrunde.
Nach dem gestern angekündigten – und wie sich herausstellt: wunderbaren – Konzert wollen die anderen noch etwas trinken gehen. Aber nein; zu müde.
Ha, meint daraufhin GG, bestimmt schütze ich das nur vor, um zu Hause trotz angeblicher Müdigkeit noch zu bloggen; dafür würde es ja immer reichen, das kenne man ja, wenn ich behaupte, ich sei müde.
Tja, und so kommt es, dass hier und heute an dieser Stelle nicht mal der kleinste Blogeintrag zu lesen ist.
Ich war einfach zu müde.
Nach dem gestern angekündigten – und wie sich herausstellt: wunderbaren – Konzert wollen die anderen noch etwas trinken gehen. Aber nein; zu müde.
Ha, meint daraufhin GG, bestimmt schütze ich das nur vor, um zu Hause trotz angeblicher Müdigkeit noch zu bloggen; dafür würde es ja immer reichen, das kenne man ja, wenn ich behaupte, ich sei müde.
Tja, und so kommt es, dass hier und heute an dieser Stelle nicht mal der kleinste Blogeintrag zu lesen ist.
Ich war einfach zu müde.
03 Juni 2007
„There’s a critic in every crowd“
Am Montagabend sehen wir uns alle im Knust. Nicht wahr?!
Die texanische Songwriterlegende Tish Hinojosa spielt dort nämlich ab 21 Uhr ein Konzert, und die Tatsache, dass sie ebenso frisch wie überraschend mit meinem Freund Andreas verheiratet ist, wird sie zu besonderen Höchstleistungen beflügeln, das wage ich mal zu behaupten.
Obwohl Tish schon mehrfach in Hamburg spielte und sie sogar von Ms. Columbo und mir schon mal zum Blumengießen verdonnert wurde, wird das kurioserweise das erste Konzert von ihr sein, das ich leibhaftig besuchen werde.
Das muss gefeiert werden. Wer mit mir ein Bier trinken möchte: An meinem Hemd sollt ihr mich erkennen.
Heute probten Tish und ihr Gitarrist Marvin Dykhuis schon mal in unserem Wohnzimmer einige Songs, darunter das hier zu hörende „Rio Grande“.
Im Hintergrund – ihr hört richtig – quiekt ab und zu ein Baby. Der Kleine ist gute vier Wochen alt und will wohl selbst mal Sänger werden. Was wahrlich kein Wunder wäre: Er gehört Senait Mehari.
Link: sevenload.com
Die texanische Songwriterlegende Tish Hinojosa spielt dort nämlich ab 21 Uhr ein Konzert, und die Tatsache, dass sie ebenso frisch wie überraschend mit meinem Freund Andreas verheiratet ist, wird sie zu besonderen Höchstleistungen beflügeln, das wage ich mal zu behaupten.
Obwohl Tish schon mehrfach in Hamburg spielte und sie sogar von Ms. Columbo und mir schon mal zum Blumengießen verdonnert wurde, wird das kurioserweise das erste Konzert von ihr sein, das ich leibhaftig besuchen werde.
Das muss gefeiert werden. Wer mit mir ein Bier trinken möchte: An meinem Hemd sollt ihr mich erkennen.
Heute probten Tish und ihr Gitarrist Marvin Dykhuis schon mal in unserem Wohnzimmer einige Songs, darunter das hier zu hörende „Rio Grande“.
Im Hintergrund – ihr hört richtig – quiekt ab und zu ein Baby. Der Kleine ist gute vier Wochen alt und will wohl selbst mal Sänger werden. Was wahrlich kein Wunder wäre: Er gehört Senait Mehari.
Link: sevenload.com
02 Juni 2007
Versuch einer Busfahrt
Seit 15 Jahren schon hat der notorische CO2-Privatproduzent und Klimawandelbeschleuniger GP keinen Bus mehr bestiegen, aus diversen Gründen: weil sie ihm immer zu voll waren und zu prollig, weil die Mitfahrer stanken und ein bestürzender Mangel an rahmengenähten Schuhen ihm jede Fahrt vergällte.
Das ist im 21. Jahrhundert alles nicht mehr so, hatte ich ihn immer mal wieder zu beruhigen versucht. Gerade im Schnellbus, trumpfte ich gelegentlich auf, seien freie Platzwahl und dezente Passagiere schier an der Tagesordnung. Es handle sich bei einer solchen Unternehmung quasi um eine Stadtrundfahrt, nur viel billiger.
Als wir nun gestern Abend eine gemeinsame Party im nicht gerade fußnahen Uhlenhorst aufsuchen wollten, ließ er sich endlich einmal breitschlagen zum Busfahren, nach 15 abstinenten Jahren. Ich stieg an der Davidstraße zu, GP saß schon drin. Mir schwante sofort Übles.
Der Bus nämlich war voll wie die Reeperbahn nachts um halb eins. GP hatte zwar noch einen Platz ergattert, fuhr allerdings rückwärts und wurde von benachbarten Passagieren räumlich eingeengt. Gleichwohl versuchte der Gentleman in ihm, den ausgestrahlten Missmut nicht als Vorwurf an mich rüberkommen zu lassen.
„Was ist denn los?“, fragte ich und versuchte meinerseits, die Bestürzung, die mich sowieso bereits ergriffen hatte, mimisch als Erlebnis einer absoluten Ausnahmesituation zu codieren, so dass GP keinesfalls dem Glauben verfallen könnte, im Bus sei es immer so, wie sich die momentane Lage darstellte (was er ja sowieso 15 Jahre lang angenommen hatte).
Eine erfahrene Hanseatin im eleganten Kostüm klärte mich auf: „Die S-Bahn fährt nicht – Personenschaden. Da weiß man ja schon, was los ist.“ Sie lächelte so schmerzlich wie verschwörerisch. Ja, das weiß man in der Tat.
Ich stellte mich in den Gang und versuchte mimische Entschuldigungssignale Richtung GP auszusenden. Er sah aus dem Fenster. Zeitgleich wurde ich abgelenkt, und zwar olfaktorisch.
Neben mir nämlich stand ein grauer älterer Herr mit Pennytüte, dessen Haare seinem hellgrauem Jacketkragen einen feinen Fettschmier aufpinselten; und von ihm ging eine warme Dunstwolke aus, die mich inzwischen schmeichelnd umschloss und ihr Volumen stetig vergrößerte, und zwar in Richtung GP.
Die Dunstwolke roch nach Urin.
In diesem Augenblick zerbrach etwas in mir, vor allem meine bereits hektisch imaginierte Argumentationskette, mit der ich GP nach dem Aussteigen einen weiteren Busfahrversuch in näherer Zukunft hatte abringen wollen.
Nein, das war’s. Die Quote rahmengenähter Schuhe brauchte ich nicht mal mehr zu ermitteln. Zumal ich auch selbst keine trug.
Das ist im 21. Jahrhundert alles nicht mehr so, hatte ich ihn immer mal wieder zu beruhigen versucht. Gerade im Schnellbus, trumpfte ich gelegentlich auf, seien freie Platzwahl und dezente Passagiere schier an der Tagesordnung. Es handle sich bei einer solchen Unternehmung quasi um eine Stadtrundfahrt, nur viel billiger.
Als wir nun gestern Abend eine gemeinsame Party im nicht gerade fußnahen Uhlenhorst aufsuchen wollten, ließ er sich endlich einmal breitschlagen zum Busfahren, nach 15 abstinenten Jahren. Ich stieg an der Davidstraße zu, GP saß schon drin. Mir schwante sofort Übles.
Der Bus nämlich war voll wie die Reeperbahn nachts um halb eins. GP hatte zwar noch einen Platz ergattert, fuhr allerdings rückwärts und wurde von benachbarten Passagieren räumlich eingeengt. Gleichwohl versuchte der Gentleman in ihm, den ausgestrahlten Missmut nicht als Vorwurf an mich rüberkommen zu lassen.
„Was ist denn los?“, fragte ich und versuchte meinerseits, die Bestürzung, die mich sowieso bereits ergriffen hatte, mimisch als Erlebnis einer absoluten Ausnahmesituation zu codieren, so dass GP keinesfalls dem Glauben verfallen könnte, im Bus sei es immer so, wie sich die momentane Lage darstellte (was er ja sowieso 15 Jahre lang angenommen hatte).
Eine erfahrene Hanseatin im eleganten Kostüm klärte mich auf: „Die S-Bahn fährt nicht – Personenschaden. Da weiß man ja schon, was los ist.“ Sie lächelte so schmerzlich wie verschwörerisch. Ja, das weiß man in der Tat.
Ich stellte mich in den Gang und versuchte mimische Entschuldigungssignale Richtung GP auszusenden. Er sah aus dem Fenster. Zeitgleich wurde ich abgelenkt, und zwar olfaktorisch.
Neben mir nämlich stand ein grauer älterer Herr mit Pennytüte, dessen Haare seinem hellgrauem Jacketkragen einen feinen Fettschmier aufpinselten; und von ihm ging eine warme Dunstwolke aus, die mich inzwischen schmeichelnd umschloss und ihr Volumen stetig vergrößerte, und zwar in Richtung GP.
Die Dunstwolke roch nach Urin.
In diesem Augenblick zerbrach etwas in mir, vor allem meine bereits hektisch imaginierte Argumentationskette, mit der ich GP nach dem Aussteigen einen weiteren Busfahrversuch in näherer Zukunft hatte abringen wollen.
Nein, das war’s. Die Quote rahmengenähter Schuhe brauchte ich nicht mal mehr zu ermitteln. Zumal ich auch selbst keine trug.
01 Juni 2007
Als das Virus wiederkam (Zum Start der Open-Air-Saison)
Noch Anfang dieses Jahrtausends brach jeden Sommer eine weltweite Epidemie aus, und Millionen Infizierter wankten willenlos hinaus ins Grüne, zu Musikfestivals. Inzwischen ist die Massenerkrankung besiegt. Ein Rückblick mit Schaudern – aus dem Jahr 2054.
Aus der Sicht von heute – Sommer 2054 – wirkt das Verhalten junger Leute Anfang des Jahrtausends bizarr. Schuld war ein Virus. Immer im Sommer schlug es zu und zwang die Menschen zunächst dazu, sogenannte „Vorverkaufsstellen“ aufzusuchen.
Die von solcher Hirnvernebelung Befallenen beschlossen dann wie ferngesteuert, ein ganzes Wochenende lang alle Bequemlichkeiten der Zivilisation abzustreifen und sich in eine archaische Situation zu begeben, die ihrer körperlichen und geistigen Gesundheit unbedingt abträglich war. Das Groteske: Sie bezahlten sogar dafür! Um die 100 Euro Tribut forderte das Virus pro „Open-Air-Festival“, wie man damals den Ort der Krankheitsausübung beschönigend nannte.
Die Folgen waren grausam: Wer unterm euphorisierenden Einfluss des Woodstockvirus (so sein wissenschaftlicher Name) Wald und Wiesen aufsuchte, neigte binnen kurzem dazu, sich zu entkleiden, selbst wenn ästhetische Erwägungen dagegen sprachen.
Im Furor des Virenfiebers nahmen die Enthemmten alkoholhaltige Getränke im Übermaß zu sich und verschmutzten ihre unmittelbare Umgebung alsbald mit Abfällen aller Art, darunter Körpersäfte und –stoffe. Abends krochen die Infizierten in feuchte Zelte statt ins heimische Bett, holten sich frohgemut Halsentzündungen mitten im Sommer und erlebten das gemeinsame Klobenutzen mit 80 000 Leidensgenossen irrigerweise als beglückend – und das, obwohl viele der Kranken ein virusbedingt sehr lockeres Verhältnis zur Körper- und Raumhygiene hatten.
Oftmals verwandelte Regen die weitläufigen Areale vor den Bühnen in schlammige Seen. Gesunde hätten darauf mit einer Mischung aus Ekel, Dusch- und Abreisezwang reagiert, doch seit dem erstmaligen Ausbruch des Virus 1969 gehörte es zur Symptomatik des Befalls, das meist nackige Sichsuhlen im Dreck als toll zu empfinden und sich zur Not lieber mit einem Trecker aus dem Schlamm ziehen zu lassen, als dieses vermeintliche Vergnügen panisch zu fliehen.
Am schlimmsten jedoch waren die Darbietungen selbst, zu deren Besuch das Virus die Menschen trieb. Wer heute Musik hört, die ja seit 2031 nicht mehr öffentlich, sondern nur noch privat abgespielt werden darf, kann sich kaum vorstellen, welches Inferno regelmäßig über die Virusträger hereinbrach.
Auf den gewaltigen Bühnen spielten sogenannte „Bands“: selbst Erkrankte, die spezielle Parallelsymptome (Kreativität, Exhibitionismus) dazu trieben, öffentlich im Freien zu lärmen. Und technisch waren die Menschen jener Ära wirklich in der Lage, Lärm zu machen, o ja!
Hoch aufragende Boxenwände prügelten mit Tausenden von Watt auf die Kranken vor den Bühnen ein, und unter dieser Tortur begannen sie verweifelt zu schreien, ihre schlammverkrusteten Extremitäten zuckten konvulsivisch, und ihre nicht mehr steuerbaren Hände schlugen brutal aufeinander ein, bis sich die Innenflächen röteten.
So zwang das Virus die Infizierten nicht nur willenlos in die Wildnis; dort erwartete sie auch noch eine rundum fürchterliche Situation aus bedrückender Beengtheit, null Hygiene und Schallterror. So konnte es natürlich nicht weitergehen, und schon einige Jahre bevor das weltweit letzte Großkonzert vor echten Zuschauern über die Bühne ging (Tokio Hotel, Maracanã-Stadion, Rio de Janeiro, 2022), zeichnete sich das Ende der Liveära ab.
Für die vielen Kranken war es immer gefährlicher geworden, allsommerlich Festivals zu besuchen. Hörschutz aus der Sprengbranche, Schienbeinschoner und Kevlarwesten gehörten spätestens seit Hurricane 2014 zur Standardausrüstung jedes Infizierten. Die Gefahr, bei einem Kreislaufkollaps von merkbefreiten Mitpatienten totgetrampelt zu werden, ließ sich dagegen nur mit dem Ganzkörperairbag (vulgo „Festivalwurst“) abwenden.
Das pfiffige Teil kam um 2015 in Mode: Sobald ein eingebauter Sensor an der Brust „horizontale Lage“ signalisierte, pumpte es sich explosiv auf wie eine Schwimmweste und verschaffte dem Kranken zugleich eine Liegefläche von anderthalb Quadratmetern. Während der Massenpanik 2017 im dänischen Roskilde, einer der europaweit größten Versammlungsstätten Viruskranker, verhinderte die Festivalwurst das Schlimmste.
Open-Air-Besuche jedenfalls mussten irgendwann geplant werden wie Himalaya-Erstbesteigungen. Doch die Erkrankten waren wegen ihrer herabgesetzten Ratio dazu einfach nicht mehr in der Lage. Ab 2016 weigerten sich zudem alle Krankenkassen, die Behandlung von Knochenbrüchen, Gehörschäden und schlammbedingter Diarrhö zu finanzieren, wenn der Patient nicht nachweisen konnte, innerhalb des letzten Monats kein Open-Air-Konzert besucht zu haben.
Die Lage geriet allmählich außer Kontrolle, der volkswirtschaftliche Schaden ging ins Unermessliche. So entschlossen sich weltweit die Gesundheitsministerien in einer dramatischen Gesetzesinitiative, globale Massenimpfungen gegen das Woodstockvirus schon bei der Einschulung durchzusetzen. Mit Erfolg: Seit 2022 gibt es keine Freiluftfestivals mehr, in öffentlichen Innenräumen (damals: „Liveclubs“ oder einfach „Clubs“) wurde schließlich 2030 die letzte Monitorbox ausgemustert.
Heute, ein Vierteljahrhundet nach dem Scheitelpunkt der Krise, scheint die Krankheit im Griff, das Virus eingedämmt. Und wenn mal wieder ein Fall publik wird, wo sich jemand schreiend, zuckend und mit aufgedrehtem iPod in ein Schlammloch geworfen hat, um sich mitten im Sommer eine Erkältung zu holen und ein unter falschem Namen gemietetes und sorgsam verdrecktes Dixieklo zu benutzen, dann behandeln die Gesundheitsämter das sehr diskret.
Aber auch mit aller gebotenen Härte.
Dies ist die gekürzte Fassung eines Textes, den ich für das U_mag geschrieben habe. Er ist in der aktuellen Ausgabe nachzulesen, mit viel schöneren Fotos.
Aus der Sicht von heute – Sommer 2054 – wirkt das Verhalten junger Leute Anfang des Jahrtausends bizarr. Schuld war ein Virus. Immer im Sommer schlug es zu und zwang die Menschen zunächst dazu, sogenannte „Vorverkaufsstellen“ aufzusuchen.
Die von solcher Hirnvernebelung Befallenen beschlossen dann wie ferngesteuert, ein ganzes Wochenende lang alle Bequemlichkeiten der Zivilisation abzustreifen und sich in eine archaische Situation zu begeben, die ihrer körperlichen und geistigen Gesundheit unbedingt abträglich war. Das Groteske: Sie bezahlten sogar dafür! Um die 100 Euro Tribut forderte das Virus pro „Open-Air-Festival“, wie man damals den Ort der Krankheitsausübung beschönigend nannte.
Die Folgen waren grausam: Wer unterm euphorisierenden Einfluss des Woodstockvirus (so sein wissenschaftlicher Name) Wald und Wiesen aufsuchte, neigte binnen kurzem dazu, sich zu entkleiden, selbst wenn ästhetische Erwägungen dagegen sprachen.
Im Furor des Virenfiebers nahmen die Enthemmten alkoholhaltige Getränke im Übermaß zu sich und verschmutzten ihre unmittelbare Umgebung alsbald mit Abfällen aller Art, darunter Körpersäfte und –stoffe. Abends krochen die Infizierten in feuchte Zelte statt ins heimische Bett, holten sich frohgemut Halsentzündungen mitten im Sommer und erlebten das gemeinsame Klobenutzen mit 80 000 Leidensgenossen irrigerweise als beglückend – und das, obwohl viele der Kranken ein virusbedingt sehr lockeres Verhältnis zur Körper- und Raumhygiene hatten.
Oftmals verwandelte Regen die weitläufigen Areale vor den Bühnen in schlammige Seen. Gesunde hätten darauf mit einer Mischung aus Ekel, Dusch- und Abreisezwang reagiert, doch seit dem erstmaligen Ausbruch des Virus 1969 gehörte es zur Symptomatik des Befalls, das meist nackige Sichsuhlen im Dreck als toll zu empfinden und sich zur Not lieber mit einem Trecker aus dem Schlamm ziehen zu lassen, als dieses vermeintliche Vergnügen panisch zu fliehen.
Am schlimmsten jedoch waren die Darbietungen selbst, zu deren Besuch das Virus die Menschen trieb. Wer heute Musik hört, die ja seit 2031 nicht mehr öffentlich, sondern nur noch privat abgespielt werden darf, kann sich kaum vorstellen, welches Inferno regelmäßig über die Virusträger hereinbrach.
Auf den gewaltigen Bühnen spielten sogenannte „Bands“: selbst Erkrankte, die spezielle Parallelsymptome (Kreativität, Exhibitionismus) dazu trieben, öffentlich im Freien zu lärmen. Und technisch waren die Menschen jener Ära wirklich in der Lage, Lärm zu machen, o ja!
Hoch aufragende Boxenwände prügelten mit Tausenden von Watt auf die Kranken vor den Bühnen ein, und unter dieser Tortur begannen sie verweifelt zu schreien, ihre schlammverkrusteten Extremitäten zuckten konvulsivisch, und ihre nicht mehr steuerbaren Hände schlugen brutal aufeinander ein, bis sich die Innenflächen röteten.
So zwang das Virus die Infizierten nicht nur willenlos in die Wildnis; dort erwartete sie auch noch eine rundum fürchterliche Situation aus bedrückender Beengtheit, null Hygiene und Schallterror. So konnte es natürlich nicht weitergehen, und schon einige Jahre bevor das weltweit letzte Großkonzert vor echten Zuschauern über die Bühne ging (Tokio Hotel, Maracanã-Stadion, Rio de Janeiro, 2022), zeichnete sich das Ende der Liveära ab.
Für die vielen Kranken war es immer gefährlicher geworden, allsommerlich Festivals zu besuchen. Hörschutz aus der Sprengbranche, Schienbeinschoner und Kevlarwesten gehörten spätestens seit Hurricane 2014 zur Standardausrüstung jedes Infizierten. Die Gefahr, bei einem Kreislaufkollaps von merkbefreiten Mitpatienten totgetrampelt zu werden, ließ sich dagegen nur mit dem Ganzkörperairbag (vulgo „Festivalwurst“) abwenden.
Das pfiffige Teil kam um 2015 in Mode: Sobald ein eingebauter Sensor an der Brust „horizontale Lage“ signalisierte, pumpte es sich explosiv auf wie eine Schwimmweste und verschaffte dem Kranken zugleich eine Liegefläche von anderthalb Quadratmetern. Während der Massenpanik 2017 im dänischen Roskilde, einer der europaweit größten Versammlungsstätten Viruskranker, verhinderte die Festivalwurst das Schlimmste.
Open-Air-Besuche jedenfalls mussten irgendwann geplant werden wie Himalaya-Erstbesteigungen. Doch die Erkrankten waren wegen ihrer herabgesetzten Ratio dazu einfach nicht mehr in der Lage. Ab 2016 weigerten sich zudem alle Krankenkassen, die Behandlung von Knochenbrüchen, Gehörschäden und schlammbedingter Diarrhö zu finanzieren, wenn der Patient nicht nachweisen konnte, innerhalb des letzten Monats kein Open-Air-Konzert besucht zu haben.
Die Lage geriet allmählich außer Kontrolle, der volkswirtschaftliche Schaden ging ins Unermessliche. So entschlossen sich weltweit die Gesundheitsministerien in einer dramatischen Gesetzesinitiative, globale Massenimpfungen gegen das Woodstockvirus schon bei der Einschulung durchzusetzen. Mit Erfolg: Seit 2022 gibt es keine Freiluftfestivals mehr, in öffentlichen Innenräumen (damals: „Liveclubs“ oder einfach „Clubs“) wurde schließlich 2030 die letzte Monitorbox ausgemustert.
Heute, ein Vierteljahrhundet nach dem Scheitelpunkt der Krise, scheint die Krankheit im Griff, das Virus eingedämmt. Und wenn mal wieder ein Fall publik wird, wo sich jemand schreiend, zuckend und mit aufgedrehtem iPod in ein Schlammloch geworfen hat, um sich mitten im Sommer eine Erkältung zu holen und ein unter falschem Namen gemietetes und sorgsam verdrecktes Dixieklo zu benutzen, dann behandeln die Gesundheitsämter das sehr diskret.
Aber auch mit aller gebotenen Härte.
Dies ist die gekürzte Fassung eines Textes, den ich für das U_mag geschrieben habe. Er ist in der aktuellen Ausgabe nachzulesen, mit viel schöneren Fotos.
30 Mai 2007
Ganz schön Wunder-bar
Am 28. April besiegte der FC St. Pauli das Team aus Ahlen mit 3:0, auch wenn der kicker zwischenzeitlich etwas ganz anderes gesehen haben wollte.
Mit im Stadion war die Hamburger Band Wunder und drehte Material für ihr neues Video „Stadionlicht“, das es hier und heute taufrisch zu sehen gibt.
Die getragene, schwelgerische Ballade passt zwar nicht ganz zur gezeigten Euphorie im Stadion, doch wahrscheinlich will die Band uns damit nur sagen, dass in jeder großen Freude schon klammheimlich das Unglück keimt.
Und umgekehrt natürlich, sonst wäre das alles ja auch gar nicht zu ertragen.
Mit im Stadion war die Hamburger Band Wunder und drehte Material für ihr neues Video „Stadionlicht“, das es hier und heute taufrisch zu sehen gibt.
Die getragene, schwelgerische Ballade passt zwar nicht ganz zur gezeigten Euphorie im Stadion, doch wahrscheinlich will die Band uns damit nur sagen, dass in jeder großen Freude schon klammheimlich das Unglück keimt.
Und umgekehrt natürlich, sonst wäre das alles ja auch gar nicht zu ertragen.
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