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16 Juni 2007
Ciao, Edi!
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Nachmittags radelte ich die Reeperbahn westwärts, bog am Albersplatz illegal links ab auf den Gehweg, umkurvte kühn die schon erstaunlich zahlreichen Flaneure, stoppte jäh vorm Nuttenturm und wurde augenblicks wehmütig.
Zum letzten Mal nämlich würde ich im klapprigen Lift die 14 Stockwerke hochjuckeln und Edi besuchen. Zum letzten Mal würde ich jenen speziellen, rheumabedingten Handschlag auf Schulterhöhe mit ihm austauschen. Und mich zum letzten Mal mit ihm kabbeln über meine Vorliebe, lieber an seinen Astraplastikflaschen zu nuckeln, statt das Bier ins Glas zu gießen.
„Flaschenbier trinkt man aus der Flasche!“, würde ich erneut eine uralte dogmaähnliche Weisheit zum Besten geben, die mich bisher glänzend durchs Leben gebracht hat, und er würde lächelnd den Kopf schütteln und mich unter Verweis auf den plastikverdorbenen Geschmack des Biers umzustimmen versuchen – als wenn es diesen Geschmack (so es ihn überhaupt gibt) beim Gießen ins Glas verlöre.
Und dann würden wir hinaustreten auf seinen lärmumtosten Balkon („Hier oben“, würde Edi wieder einmal unvermindert fassungslos erläutern, „ist es lauter als unten!“), er würde sich eine Zigarette drehen, derweil er die Stärken und Schwächen deutscher Kanzler abwöge und die Authentizität der Tagebücher Thomas Manns bezweifelte; und er würde vor den politischen Fettnäpfchen warnen, in die Ms. Columbo und ich in Danzig tappen könnten, wo wir ab morgen unseren Urlaub verbringen werden.
Ich würde ein wenig mit der Kamera herumspielen und kleine Filmchen von Edi und seiner neuen Piratenflagge drehen, die noch unzerzaust ist vom Kiezwind und stolz und schwarz den in naher Ferne einlaufenden Pötten Grüße hinüberweht.
Unten auf der Kreuzung würden plötzlich Reifen quietschen und es praktisch gleichzeitig gewaltig krachen, was uns unisono an die Brüstung hechten ließe, wo wir uns das kleine große Chaos in der Tiefe genüsslich anschauten wie einen Film von Jacques Tati.
Und dann würden wir uns irgendwann verabschieden, und zwar für lange, denn Edi, der alte Oberfunkmeister, zieht weg, von der Elbe an die Alpen.
Ich hätte ihn gern früher kennengelernt, würde ich ihm noch sagen. Und er würde mich wie immer warnen vorm klapprigen Lift, der immer wieder steckenbliebe („Das ist ein Abenteuer, das kann ich dir sagen!“), was mich wiederum bewöge, heute lieber alle 14 Stockwerke des Nuttenturms zu Fuß hinabzusteigen, weil meine Stimmung nun mal wehmütig ist und nicht abenteuerlustig.
Und genauso, wie ich es vermutet hatte, kam es auch heute Nachmittag. All das Geschilderte geschah, nichts traf nicht ein.
So denn: Ciao, alter Oberfunkmeister! Bis irgendwann einmal im Allgäu.
Ich hätte dich wirklich gerne früher kennengelernt.
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Schön, dass Sie gleichzeitig Fontane ein klein wenig widerlegen, gleichzeitig aber auch bestätigen konnten. Er war der Meinung: "Abschiedsworte sollten so kurz sein wie Liebeserklärungen."
AntwortenLöschenIch darf Ihnen einen erholsamen Urlaub wünschen ...
Ich neige ja generell zur Geschwaetzigkeit, wie ich zugeben muss. Danke fuer die Urlaubswuensche!
AntwortenLöschenCiao ragazzo und bitte denkt dran: keine Randale mehr auf der Westernplatte!
AntwortenLöschen"Westerplatte" bitte, ja? Heute waren wir da und haben uns noch mal entschuldigt fuer alles.
AntwortenLöschenMeyers Konversationslexikon Seite 554 : Westernplatte.
AntwortenLöschenWikipedia hat nicht immer recht. Vizeadmiral Benzino meinte das auch (mein Schnellbootskommandant) und der war als Fähnrich auf der "Schleswig Holstein" dabei.
PS:
Herzlichen Dank für das Triptychon (nicht Tryptichon oder Typtichon, wie der Herr Schreiberling meinen)
Danke fuer die vielen Korrekturen ...
AntwortenLöschenBei "Westerplatte" habe ich mich indes an unsere beiden Reisefuehrer und die Polen hoechstselbst gehalten. Offenbar gibt es da generellen Klaerungsbedarf ueber unser beider klaegliches Wirken hinaus.
Genau. Wahrscheinlich hat die "Schleswig Holstein" der Platte damals das "n" weggeschossen.
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