14 Juli 2007

Fahrraddieb am Werk (2)

(Fortsetzung dieses Beitrags)

20:22 Uhr, Polizeiwache 16, Lerchenstraße.


Ich: (trete an den verwaisten Tresen; aus dem Nebenraum kommt eine Polizistin. Sie ist burschikos, ihre Unterlippe hängt ein wenig, sie mustert mich von unten.)
Polizistin: Ja?
Ich: Guten Tag. (halte den abgebrochenen Schlüssel hoch) Gestern Abend ist mir dieser Schlüssel im Fahrradschloss abgebrochen, und jetzt habe ich eine Flex dabei, um es durchzuschneiden. Das wollte ich Ihnen nur sagen, damit Sie mich nicht verhaften, wenn Sie mich dabei erwischen.
Polizistin: (stutzt kurz, schaut triefäugig, dann:) Machense ma.
Ich: (überrascht) Ja?
Polizistin: Ja.
Ich: Danke. Auf Wiedersehen.
Polizistin: (im Abgehen) Wiedersehn.

15 Minuten später, am Bunker.

Das Fahrrad lehnt noch am Baum. Irgendjemand hat einen tadellosen lila Rucksack auf den Gepäckträger gepackt. Ein saumseliger Passant steht in der Nähe und sinniert in der Gegend herum. Überhaupt herrscht eine überraschende Bevölkerungsdichte.

Ich tue unschuldig, wage es aber noch nicht, die Flex zu zücken. Wenn von rechts gerade keine Touristentruppe Richtung U Feldstraße schlendert, kommt von links mindestens eine Fahrradkolonne. Verdammt.

Ich beginne zu schwitzen. Dabei will ich doch nur mein eigenes Fahrrad losschneiden. Plötzlich eine Passantenstromlücke. Ich zücke die Flex, ich setze sie an – und sehe auf der anderen Straßenseite eine Frau im lockeren Schanzenlook auf dem Geländer sitzen. Sie raucht und beobachtet mich.

Egal, denke ich, besser nur eine als gleich zwölf, und schneide. Die Flex kreischt, als folterte man ein Schwein, das hört man bestimmt noch in Altona, und der Funkenkranz, den sie schlägt, ginge auch als Freitagsfeuerwerk auf dem Dom durch.

Die Frau schaut nicht nur, sie schaut misstrauisch, wenn nicht alarmiert. Ich schwitze stärker, ich drücke die kreischende Flex auf die Fahrradkette, ich stehe im Funkenregen – und klack, die Kette ist durch.

Fahrig stecke ich das Teufelsgerät in die Umhängetasche, mir doch egal, wenn das Schneiderad heiß ist, Hauptsache schnell weg. Ich ziehe am Rad, die Frau stiert, sie vergisst sogar zu rauchen. Panisch schwinge ich mich auf den Sattel, spüre die Verdunstungskälte des Schweißes im Nacken, ich fahre los, sie ist halb aufgestanden, ich trete heftig in die Pedale, schneller, schneller – und bin in Sicherheit.

Sie ist die Einzige, die eine Personenbeschreibung abgeben kann. Und dann wird sich die triefäugige Polizistin auf Wache 16 hoffentlich an mich erinnern und das Verfahren einfach stillschweigend einstellen.

Meine einzige Chance.

23 Kommentare:

  1. Sie haben aber ja noch Zeit zur Verteidigung, Beweisstellung oder eben schlichtweg zur Flucht. Die Ermittlungen gegen den huschenden, männlichen Fahrradfahrer mit lilafarbener Gepäcktasche werden sich erst einmal in ganz andere Richtungen bewegen, denke ich ;-)

    btw: Köstlich!

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  2. Den Rucksack habe ich übrigens nach alter Serienkillermanier in einer Mülltonne versteckt. Ich sage natürlich nicht in welchem Stadtteil.

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  3. Könnten Sie bitte den "saumseligen Passanten" näher beschreiben?

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  4. Dunkle, mittelkurze Haare, leicht fülliger Typ, rundes Gesicht, ein Twen; sein unschlüssiges Herumstehen, die ganze Ziellosigkeit, die er ausstrahlte, seine verdammte Bereitschaft zu warten: All das war extrem nervig, in meiner Situation.

    Wieso fragen Sie: Kennen Sie ihn …?

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  5. Damit dürfte das ganze durchgestanden sein, zumal es ja um die Chronologie einer angekündigten Fahrradzueignung ging, und Herr Schäuble aus uns bekannten Gründen davon informiert war oder hätte informiert sein können. Da er eine Garantenpflicht kraft Amtes hat, wäre das Unterlassen von Maßnahmen eine Strafvereitelung, die eine strafbare Vortat braucht. Ergo: Sollte Herr Matt W. aus H. also wie auch immer des Fahrraddiebstahls (das klingt ein wenig nach Bullerbü oder Saltkrokan - drollig) schuldig sein und gesprochen werden, dann wäre gegen Herrn Schäuble und alle Amtspersonen, die es auch schon vorher gewußt haben, wegen Strafvereitelung im Amt zu ermitteln. Ein echter Joker in Ihren Händen.
    Aber das mit dem tadellosen lila Rucksack könnte locker als Fundunterschlagung durchgehen.
    Dabei haben Sie, Herr Matt, diesen tadellosen lila Rucksack sicherlich nur erwähnt, damit noch mehr Spannung in diese rasante Geschichte kommt. In Wirklichkeit gehört er doch Ihnen oder einer Person, die mit Ihren in einer Haushaltsgemeinschaft lebt, oder es gab ihn überhaupt nicht.
    Das sollten Sie in Ihrer ersten verantwortlichen Vernehmung im Rahmen der Gewährung rechtlichen Gehörs betonen. Sie dürfen aber auch schweigen.

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  6. Da hams aber Glück gehabt. Wahrscheinlich hat die Schlampe im lockeren Schanzenlook, der der lila Rucksack gehört, bei der triefäugigen Bullin allerdings schon Anzeige erstattet.

    Sie müssen übrigens hinsichtlich korrektem krininellen Verhalten (über ausreichend kriminelle Energie verfügen Sie ja) noch viel von Opa lernen.

    Das Wichtigste:

    Solche Unternehmungen unternimmt man besser dann, wenn viele Leute in der Nähe sind und nicht ohne Komplizen. Also nicht stundenlang vorher herumstehen wie das lebende schlechte Gewissen.

    Nicht ohne Perücke arbeiten.

    Gut war: Flex ist besser als Bolzenschere.

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  7. Olaf, Ihre Ausführungen beruhigen mich. Was wahr ist, muss aber auch wahr bleiben: Schon auf dem Foto zum ersten Teil der Geschichte sehen sie den fremden Rucksack aufblitzen. Ich hatte ihn noch nie vorher gesehen, und ich kenne auch niemanden, der ihn kennt. Ehrlich!

    Ich hatte noch nie den geringsten Zweifel, verehrter Herr Opa, dass von Ihnen in vielerlei Hinsicht viel zu lernen ist, gerade und besonders auf dem Gebiet der allgemeinen Verbrechensbegehung.

    Wie wäre es also, wenn Sie zu Ausbildungezwecken Ihren Wohnsitz wieder in die Nähe der Rückseite der Reeperbahn verlegten? Es soll Ihr Schaden nicht sein, auch in finanzieller Hinsicht nicht.

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  8. Ich hatte eigentlich damit gerechnet, dass sich kein Mensch dafür interessiert, wenn man in der Öffentlichkeit ein Fahrradschloß knackt.

    Ich hab übrigens mal was ganz Ähnlichesso erlebt.

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  9. Also ich würde auch hingucken – und nach Abwägung der Gefahrenlage vielleicht sogar hingehen.

    So was darf man doch nicht durchgehen lassen! ;-)

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  10. ups eine doofe Situation muss man echt mal sagen ^^

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  11. Ich hatte beim Lesen fürchterliche Angst, dass sich die beobachtende Frau, in Wirklichkeit ein Alien, in den stechschrittlaufenden Terminator verwandelt.

    In diesen androgynen Typ mit der Postbotenuniform und dem fiesen Grinsen, der seine Gestalt in Sekundenschnelle von Frau- zu Auto-zu Quecksilbertropfen umwandeln kann!

    In diesem Falle Matt einholt, sich an den Gepäckträger klammert und sich als dämonische Fahrradkette um seinen zitternden Fuß schlingt!
    Mein Gott, war das knapp.

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  12. Diese Sorge umhüllt mich heimelig wie ein Kokon. Danke!

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  13. Ja. Bitte!

    Das war ja noch schlimmer als die Story mit dem Hai in der Ostsee und dem appen Vogelfuß.. oder heisst es abben?
    :)

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  14. „Abben“ natürlich. So wird es ein okayer Satz.

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  15. Ah, ja.

    Opa fand es ja eine okaye Handlung, die Flex zu nehmen.
    Ich persönlich hätte ja zur 47er Kantschrägbolzen mit Riffeldoppelkopf und 38er Schlippschlupfverriegelung und dreifach genoppter Drehfeile gegriffen.
    Aber ne Flex ist natürlich auch okay!

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  16. Sie meinen wohl „zum“ Kantschrägbolzen. Ansonsten natürlich eine gute Wahl. Haben Sie vielleicht ein Foto von dem Trumm?

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  17. Ach, es heisst "der" Bolzen? Äh, ja..okay.
    Leider kein Foto, das Teil ist ähh, gerade ausgeliehen. Ja, ausgeliehen.

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  18. Dann eben nächste Woche. Ich kann waten …

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  19. Hm, der Mann ist mit dem Teil ausgewandert? Sehr weit weg? Auf unbestimmte Zeit? Es gibt dort keine Post? Und er hat auch keine Kamera, denn die hat er mir ausgeliehen?
    Internet ist auch nicht, da gibts keinen Strom.
    Tja, leider, ich habe ja alles versucht..

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  20. Das ist ja empörend! Den würde ich anzeigen! Gleich morgen früh auf der Davidwache!

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  21. Hier gibts keine Davidwache. Oder heißen die überall "Davidwache"?
    Mensch, ich hab ja echt von nix eine Ahnung, aber das dann auch zu 100%. :D

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  22. Hahahaha, der ist ja wohl jetzt Geschichte.

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