01 Mai 2007

Ein Visum für Kleinbloggersdorf

Es gibt rund 50 Millionen Blogs auf der Welt, und es müsste mit dem Teufel zugehen, wären keine brillanten darunter. Deutschland steuert zur Gesamtstatistik circa 200 000 Blogger bei, und die Qualitätsvermutung gilt natürlich auch hier.

Buchverlage haben dieses kreative Potenzial bisher weitgehend ignoriert – ein Fehler, wie die in 13 thematische Blöcke aufgeteilte Bloganthologie „Berlin oder so“ beweist, für die Selberblogger André einfach mal so einen Verlag gründete. Und warum auch nicht: Auch viele Blogtexte werden ja von jetzt auf gleich aus der Hüfte geschossen.

Neun Webschreiber sind vertreten in dieser Sammlung, und natürlich enthält sie nur Texte, die überhaupt verpflanzbar sind in die Welt der Druckerschwärze, also solche ohne unverzichtbare Hyperlinks oder selbstreferenzielle Spielereien. (Nur manch durchgestrichene Passage blieb übrig, in Blogs eine grinsende Selbstenttarnung des Wirklichgedachten.)

Diese Kurzgeschichten und Alltagsbetrachtungen, die sich keineswegs nur mit Berlin beschäftigen, funktionieren in beiden Sphären; was sie auszeichnet, ist vor allem ihre zwanglose Entstehung, die keinen Verwertbarkeitserwägungen folgte. Diese Texte genügen sich selbst, die Blogger hofften auf nichts als vielleicht ein paar Klicks mehr. Und weil diese Prosa keinen Vorbedingungen unterworfen war, trägt sie auch keine Fesseln.

Ihre Sujets und Formen sind so willkürlich wie ihre Umsetzung individuell, und die sich als gemeinsames Element durchziehende Selbstironie, ihr amüsierter Blick auf die Welt von heute, ist nur der editorischen Auswahl des Herausgebers geschuldet, nicht aber einer wie immer gearteten Normiertheit der (letztlich fiktiven) Gattung Blogprosa.

Doch auch innerhalb der Auswahl ist das Spektrum groß. Wir stoßen auf die persiflierte Hypochondrie von Parka Lewis, den Sarkasmus von Pe („Mit der Routine wächst meine Freude an den Besuchen der Unfallpraxis.“) oder die (etwas überrepräsentierten) Dialoge in Berliner Schnauze von Erasmus von Meppen.

In diesen Blogtexten wird der Zeitgeist durch den Fleischwolf gedreht, mit subversivem Unernst werden Bürokratie und Institutionen unterminiert. Das den Absurditäten des Alltags ausgelieferte Blogger-Ich rettet sich auf die einsame Insel der Sprachspielerei – oftmals getreu dem Motto: veräppeln kann ich mich auch selber. So holt es sich live und unter den Augen der Blogosphäre die Souveränität über sein Leben zurück.

Etwas Essenzielles aber fehlt diesem Sammelband zwangsläufig, denn es ist nicht extrahierbar aus dem Virtuellen: die Reaktionen der Leser. Im Web ergeben erst die Kommentare das große Ganze, der Blogtext selbst ist nur Brennstoff einer Diskussion, die bisweilen wochenlang weiterglost und deren Niveau ein Spiegelbild ist für das Niveau des Bloggers – Musterbeispiel: der Stuttgarter poodlepop, den in der Blogroll zu beherbergen ich schon seit vielen Monden die Ehre habe.

Seine witzigen und geschliffen formulierten Misanthropien liefern die Höhepunkte des Bandes. Poodlepops Kunst ist eine durchaus literarische, seine Abstürze von ironisch gezierter Hochsprache in Mode- und Alltagssprech (und zurück) zeugen von ausgereifter und vollkontrollierter Virtuosität.

Dass indes auch Blogtexte altern, sofern sie erst einmal gedruckt sind, sieht man an den Berliner Zoogeschichten des Erasmus von Meppen. Während er sich im Buch auf ewig mit dem „sagenumwobenen Zwergplumplori“ beschäftigen muss, ist die Welt praktisch schon wieder über Knut hinaus. In seinem Blog aber hat Erasmus natürlich mühelos Schritt gehalten, darauf wette ich meinen kompletten Hyperlinkvorrat (und surfe jetzt sofort mal verifizierend bei ihm vorbei).

Fast alle Texte aus „Berlin oder so“ liegen natürlich längst und weiterhin offen herum in den Weiten des Webs. Man muss sie nur suchen wollen, und dieses Buch ermuntert dazu – vor allem jene, die bisher noch kein Visum für Kleinbloggersdorf hatten.


30 April 2007

Dresden (3. Tag)

Erst heute mittag hatte ich mir notiert, was Dresden alles nicht hat. Ganz vorn auf der Liste: schwarze Menschen, Moslems, Frühstückscafés, Zeitungskioske, Kaffeebars und montags geöffnet.

Heute Abend gingen wir auf die Suche nach einem würdigen Restaurant für Ms. Columbos Geburtstagsdinner, und nacheinander begegneten uns: ein Frühstückscafé, ein schwarzer Mensch, ein Kiosk und eine orientalisch anmutende Frau mit Kopftuch.

Wir nehmen all das als regelbestätigende Ausnahmen. Zumal die Kaffeebar bis zum Schluss nicht auftauchte. Was Dresden ebenfalls nicht hat, ist ein Holzindianer vor einem Behindertenparkplatz. Den hat nur Radebeul.

Er steht vorm Karl-May-Museum, welches aber ebenfalls montags nicht geöffnet hat.

29 April 2007

Dresden (2. Tag)

In Dresden wurden drei weltbewegende Dinge erfunden: die Kondensmilch, der Büstenhalter und der Kaffeefilter. Zwei davon sind meiner Meinung nach völlig unnötig. Aber meine Meinung zählt ja nicht, auch nicht die zur Frauenkirche, wo wir heute einmal hineinlinsten.

Nichts gegen geniale Architektur, doch die penible Rekonstruktion eines komplett zerstörten Bauwerks scheint mir doch widersinnig. Diese Frauenkirche hier wirkt wie das Ikea-Modell der Frauenkirche: alles zu hell, zu pastellfarben, zu perfekt, zu 1:1. Klar kann man alles nachbauen, aber muss man das auch?

Ein Barockbauwerk wirkt nur durch seine Patina, also genau das, was dem Nachbau eines Barockbauwerks notwendigerweise fehlt. Ein Riesenposter des Originals hätte es deswegen auch getan.

Egal, interessanter ist eh, was ich abends zufällig auf zwei Fotos entdeckte, die ich vom Ausflugslokal Luisenhof aus geschossen hatte: ein rundes Objekt mit Kometenschweif (oben rechts undeutlich zu erkennen). Eigentlich hatte ich Kondensstreifen im Visier (mich faszinieren Linien und ihre Relationen zueinander), doch dieses Etwas hatte sich mit auf die Bilder geschmuggelt.

Weiß irgendjemand etwas von einem brachialen Einschlag in Sachsen? Bei Spiegel online stand jedenfalls nichts.

Dresden (1. Tag)

„Lass uns am Montag zur PornNight in die DanceFactory gehen!“, rufe ich beim Anblick des abgebildeten Schildes in der Nähe der Semperoper erregt aus. Doch Ms. Columbos Begeisterung für diesen Vorschlag hält sich in engen Grenzen.

Sie verweist darauf, zufällig an diesem Tag Geburtstag zu haben, und an ihrem Ehrentag, vermutet sie schon jetzt, schwebe ihr hochwahrscheinlich ein anderer Ausgehwunsch vor, dessen meinerseitige Respektierung sie sich inständig erhoffe.

Dann eben keine PornNight.

Im Reiseführer hatte ich übrigens gelesen, Dresdner reagierten generell unwirsch, wenn man sich über ihren Dialekt belustige. Zunächst ergibt sich zur Verifizierung dieses Gerüchtes gar keine Gelegenheit. In der Innenstadt nämlich sind alle möglichen Dialekte zu hören, darunter Englisch und Bayerisch, aber kein Sächsisch.

Erst vorm Zwinger plötzlich das Erfolgserlebnis: Eine junge Mutter spricht mit ihren zwei Rackern, und zwar in einen überdeutlich von den hiesigen Umständen beeinträchtigten Zungenschlag. „Sogar diese Frau“, raune ich Ms. Columbo erstaunt zu, „hat einen Sexualpartner gefunden. Obwohl sie so spricht.“

„Du bist fies!“, schimpft Ms. Columbo und schlägt mir auf den Oberarm. So schaffte es Dresden gleich am ersten Tag, Zwietracht zu säen.

28 April 2007

Wie Ahlen gegen St. Pauli mal fiktiv führte

Auf dem Liveticker von kicker.de tauchte heute Abend das dokumentierte Zwischenergebnis auf: Ahlen führte 1:0 am Millerntor. In der 9. Minute sei das Tor gefallen, hieß es erläuternd, sogar der Schütze war namentlich aufgeführt.

Allerdings hatte kicker.de diese merkwürdige (Fehl)Information weltweit exklusiv. Aber beunruhigt war ich schon.

Auf nach Sachsen

Morgen geht es auf Kurzurlaub nach Dresden, und ich schwöre Ms. Columbo auf die Reise ein. „Wir müssen versuchen“, führe ich aus, „nicht über diese Menschen und ihre Sprache zu lachen. Wir müssen versuchen, uns auf den semantischen Kern ihrer Aussagen zu konzentrieren.“

Ms. Columbo ist grundsätzlich einverstanden, bringt aber eine Korrektur an. „Wir müssen vor allem versuchen“, sagt sie, „den semantischen Kern ihrer Aussagen zu verstehen.“ Ich nicke. Es ist ein Experiment. Neuland, Terra incognita. Sachsen eben.

Als Rüstzeug hole ich mir noch eine Kiezvolldusche in der Domschänke, wo die Zementierung des ersten Tabellenplatzes von St. Pauli (3:0 gegen Ahlen!) zünftig begangen wird. Während den Fans dank der Kombination aus Euphorie und Astra zunehmend die Gesichtszüge entgleisen, sind jene der zwei Domschänkenxanthippen wie in Beton gegossen.

Anders können die beiden solche Abende auch nicht überstehen. Und um die fragwürdige Statik des abgebildeten Bierturms mental zu ertragen, hilft nur genau jene Stoik, über die sie im Übermaß verfügen.

Der Astraturm brach übrigens den ganzen Abend über nicht zusammen, was man von einigen St.Pauli-Fans nicht unbedingt behaupten kann.

So, jetzt auf nach Sachsen. Haben die da überhaupt schon WLAN? Oder Strom?

26 April 2007

Der unhaltbare Tabasco

Speisekammern sind wie unerforschte Gebiete, vergleichbar mit dem Kongo 1612. Nur mit dem Unterschied, dass man für alles, was man in der Speisekammer vorfindet, evidenterweise selbst verantwortlich ist, auch wenn man sich nicht mehr daran erinnern kann.

Wann zum Beispiel bestückten wir sie bloß mit der abgebildeten Flasche Tabascosauce? Wahrscheinlich noch vor der Euroumstellung. Bisher sah ich darin kein Problem, zumal ich ihre Existenz längst vergessen hatte. Doch heute stieß ich auf das Fläschchen mit dem Teufelsgebräu. Ich schaute es mir rundherum an und stieß aufs Verfallsdatum. Es war bestürzend: Mai 2003.

Ich wollte es schon beschämt wegwerfen, als ich stutzte. Wie um alle Chilis in der Welt kann Tabasco überhaupt ein Verfallsdatum haben? Von diesem Teufelszeug wird doch selbst das todesmutigste Bakterium die Beißerchen lassen!

Ja, in meiner Welt könnte man Tabasco locker als Alternative zu Formaldehyd benutzen. Doch all das scheint eine jener Lebenslügen gewesen zu sein, denen man sich irgendwann gequält stellen muss. So wie der letzten: Bambi war gar kein Reh, sondern ein Weißwedelhirsch. Und ich weiß nicht mal, was ein Weißwedelhirsch ist.

Das Fläschchen Tabasco habe ich dann doch weggeworfen.

25 April 2007

Alles wegen Hartz IV

St. Pauli ist der ärmste Stadtteil Hamburgs, und manch ein Kiezianer muss sich entscheiden: Hund oder Leine. Während eins davon keinerlei Sinn ergibt, ist das andere offenbar nicht immer finanzierbar.

Doch meine Mitbewohner sind findig, wie ich jüngst vorm Aldiladen in der Paul-Roosen-Straße dokumentieren konnte. Die beiden zusammengebundenen Plastiktüten in geschmackvoller Farbkombination scheinen mir sogar dauerhaft als Leinenersatz vorgesehen zu sein.

Warum dieser dumme Kläffer aber lauthals gegens Fotografiertwerden protestierte, obwohl ich damit doch im Begriff stand, ihm jene 15 Minuten (Blog)Ruhm zu verschaffen, die sonst nur Menschen zustehen, blieb unklar.

Zieh Leine!, flüsterte ich ihm grinsend zu, doch die sophistische Wortspielerei entging ihm. Zumindest musste ich sein ausdauernd anhaltendes Kläffen so deuten. Vielleicht hat ihn aber auch einfach nur die unzumutbare Nahrungsversorgung tierisch genervt.


Ich meine: Milch! Und dann noch fettarm!

24 April 2007

Ich hasse rote Krawatten

„Haben Sie eine Kamera dabei?“, fragt mich der Sicherheitsmann am Eingang der Color Line Arena, und ich, überrumpelt, begehe den fatalen Fehler, ihm die Wahrheit zu sagen. Wahrscheinlich sind das die vermaledeiten Reste meiner protestantischen Erziehung, ich weiß es nicht.

Jedenfalls schickt mich der Mann zu einem Kameraeinsammler ein paar Meter weiter, und ich erwäge, diesen Gang einfach nicht anzutreten, doch beim Abtasten der Leute, die hinter mir in der Schlange standen, dreht der Sicherheitsmann sich immer wieder um zu mir. Kein Entkommen; er kennt seine Pappenheimer.

Der Kameraeinsammler trägt einen lächerlich kurzen roten Schlips, der etwa in der Mitte zwischen Kehlkopf und (imaginierten) Nabel endet, aber das Ästhetische spielt gerade keine Rolle, denn er will meine Kamera. Gerade beginne ich mich an den unschönen Gedanken kameraloser Stunden zu gewöhnen, als es heißt: „Ein Euro bitte.“

„Warten Sie mal“, sage ich, „Sie zwingen mich, meine Kamera abzugeben, die ich lieber behalten würde, und verlangen auch noch Geld dafür?“ Der Mann schaut mich gelangweilt an. „Dafür“, sagt er, während ich auf seinen lachhaft kurzen roten Schlips starre, „passen wir auch darauf auf.“

„Darum habe ich Sie aber gar nicht gebeten!“, wende ich mit unamüsiertem Lächeln ein. „Normalerweise zahle ich nur für Dienstleistungen, die ich aktiv in Auftrag gebe.“

„Tja“, sagt der Mann und verstaut meine Kamera in einer hermetisch verschließbaren und – wie sich Stunden später herausstellen soll – ohne Hilfsmittel wie Scheren, Teppichmesser oder Kreissägen nicht mehr zu öffnenden hochreißfesten Plastiksicherheitstüte der Marke Debasafe. Sie hat die Codenummer 5854767.

Der Mann händigt mir einen Plastikstreifen aus, auf dem die gleiche Nummer steht. „Nicht verlieren“, sagt er, „sonst kriegen Sie die Kamera nicht wieder.“ „Das wäre ja noch schöner!“, errege ich mich, während ich ihm widerwillig einen Euro in die Hand drücke. „Tja“, sagt er und legt die Münze in die Tasche. Aus irgendeinem Grund muss ich an Schäuble denken.

Ich hasse rote Krawatten. Vor allem, wenn sie zu kurz sind.

23 April 2007

Macken (1): Worte entbeinen

Die charmanteste von Ms. Columbos Macken ist die: Zu glauben, sie hätte keine. Aber sooo viel sind es ja auch wirklich nicht. Zumindest im Vergleich zu mir.

Wenn in diesem Blog erst jetzt, nach mehr als anderthalb Jahren, eine Rubrik namens „Macken“ startet, so liegt es nämlich keineswegs an der völligen Abwesenheit derselben – im Gegenteil: Es versteckten sich derart zahlreiche in den bisherigen Blogeinträgen, dass ich zu dem Schluss kam, sie verdienten eine eigene Rubrik.

Beginnen wir also diesen hoffentlich langen und fruchtbaren Strang, und zwar mit einer relativ harmlosen: Wenn ich S- oder U-Bahn fahre und nichts zu lesen dabei habe, beginne ich mich nach einer gefühlten Nanosekunde entsetzlich zu langweilen – was ich sofort gierig damit überbrücke, Wörter von den Werbeschildern im Wagon in alle nur denkbaren deutschen Teilwörter zu zerlegen. Innerlich natürlich, nicht öffentlich.

Nehmen wir als Beispiel das nur scheinbar spröde, unergiebige Wort „Postbank“. Zurzeit deliriert es noch unschuldig auf einem dieser Schilder vor sich hin, doch schon in wenigen Sekunden wird es sachgerecht entbeint. Postbank, da stecken drin: natürlich „Post“ und „Bank“ (letztere gleich zweimal, einmal zum Sitzen, einmal zum Überfallen), „an“, „ost“, „Po“ und „post!“ (als – ähem – Befehlsform an Poser); auch die „Ostbank“ lässt sich bilden, und zusammen mit dem Ausgangswort, was natürlich mitgezählt wird (ich spiele nach meinen Regeln!), kommen wir auf recht formidable neun Wörter.

Nicht schlecht für einen Begriff, der aus lediglich acht Buchstaben besteht, wovon nur zwei sich des Vorzugs erfreuen dürfen, ein klangvolles Leben als Vokale führen zu dürfen.

Ja, und schon fahre ich in St. Pauli ein und habe mich nur mäßig gelangweilt. Dafür nehme ich es auch gern in Kauf, als Beherberger von Macken zu gelten. Im Gegensatz zu gewissen anderen Leuten, deren charmanteste es ist zu glauben, sie hätten keine. Pah.

22 April 2007

In eigener Sache

Auch meine Bloggersoftware bietet nun endlich die Möglichkeit, Einträge mit Schlagworten zu versehen. Natürlich eine ganz feine Sache, denn wer hat nicht schon immer mal davon geträumt, etwa die komplette Frankensaga in einem Rutsch runterlesen zu können? Ich auf jeden Fall …

Deshalb werde ich von nun an nach und nach alle rund 550 Einträge entsprechend
„taggen“. Jene, die dieses Blog als RSS-Feed abonniert haben, muss ich also vorsorglich warnen: Sie erhalten die alten Einträge noch mal, ergänzt um die entsprechenden Schlagworte.

Ich hoffe, dass wir trotz dieser temporären Unbill weiterhin so traulich kuscheln wie die zwei auf dem Werbeplakat am Spielbudenplatz. Im übertragenen Sinne.

21 April 2007

David Gilmour oder Zu früh ist auch zu spät

Gestern mit Andreas in der sanktpaulianischen Kneipenlandschaft versackt. Auf die genaueren Umstände kann ich erst später näher eingehen, doch hier schon mal zwei Geschichten über den Pink-Floyd-Gitarristen David Gilmour, die sich im gestrigen Kneipendialog als verblüffende ungleiche Zwillinge entpuppten. 

Meine Story geht so: Vergangenes Jahr schwelgte ich in zitternder Vorfreude aufs Konzert von Gilmour im CCH. Es sollte meine erste leibhaftige Begegnung mit einem Mitglied von Pink Floyd werden und war aus biografischen Gründen von ganz immenser Bedeutung. Denn als Teenager schlief ich jahrelang ein zu „Dark side of the moon“, nachdem ich mir das Album auf Cassette gezogen und vorher das elendige Weckerklingeln von „Time“ rausgeschnipselt hatte. 

Jedenfalls traf ich in der Stadt damals zufällig einen Kollegen und fragte ihn, ob ich denn morgen Abend die Freude hätte, auch ihn beim Gilmour-Konzert anzutreffen. „Morgen?“, fragte er und runzelte auf unheilverkündende Weise die Stirn, „das Konzert war doch gestern …“ Nun, er hatte Recht. Und ich einen mächtigen Hals. 

Viele Jahre vorher, nämlich 1989, traf Andreas in der Bar Centrale in St. Pauli mal auf David Gilmour, der anlässlich eines Pink-Floyd-Konzertes in Hamburg weilte und damals offenbar nichts dabei fand, sich ins Kieznachtleben zu stürzen wie jeder normale Mensch auch, zum Beispiel Andreas. Letzterer, zwar kein ausgewiesener Floyd-Fan, doch zeitlebens dem Kontakt mit musikalischer Prominenz zugeneigt, trat tapfer an Gilmour heran und fragte wenig originell (wie er selbst zugibt): 

„Mr. Gilmour, how was the concert tonight?“ 

Gilmour, der begnadete Schöpfer solch elegischer Gitarrensoli wie in „Shine on you crazy diamond“ oder „Comfortably numb“, blickte auf. Dann erwiderte er: 

„The concert tomorrow was brilliant.“ 

So haben sich unsere beiden Geschichten gleichsam ausgeglichen. In der einen kam Andreas zu früh, in der anderen ich zu spät. Ergibt quasi ein 1:1 – was aber nichts an der Tatsache ändert, dass weder Andreas noch ich je ein Konzert von David Gilmour gesehen haben. 

Soviel zur Aussagekraft von Statistiken. 

Im Aidadivawahn

Es ist ein Witz. Hunderttausende strömen an die Landungsbrücken, drängen sich an den Weinstöcken am Stintfang, treten sich am Fuß des Hafenhotels auf die Füße, und alle haben nur ein Ziel: 68 500 Bruttoregistertonnen namens Aidadiva beim trägen Elbabwärtsfahren zuzusehen.

Was wollen diese Menschen hier? Interessiert sie die Lasershow? Das Feuerwerk? Oder wirklich nur das monströs dicke Schiff, das ihrer wildesten Träume verkörpert von Müßiggang und Fernweh?

Es ist ein Witz. Und ich bin mittendrin.

20 April 2007

Wer brüllt, hat Unrecht

Zunächst muss ich GP im Aurel auslösen. Er hat – da als Erster eingetroffen – bereits für uns beide Bier bestellt, welches direkt am Tresen zu bezahlen ist; allerdings verfügt er zurzeit über keinen Cent Bargeld. Jetzt sitzt er da, wohlbeschirmt vom Argwohn der Barfrau. Schöner Anblick.

Eine sardonische Sekunde lang überlege ich, jede Bekanntschaft mit ihm entrüstet abzustreiten, doch die Zeit drängt: Wir müssen hoch in die Color Line Arena, wo Roger Waters uns auf einen monströsen Trip in die Vergangenheit schicken will. Und siehe da: Der alte Haudegen ist fast genauso gut wie die Pink-Floyd-Coverband, die ich vor einigen Jahren in der Großen Freiheit sah.

GP sitzt die ganze Zeit ruhig im psychedelischen Pathosdonner, während ich ihm zwischen den Stücken unnützes Fachwissen zubrülle. „Der Song war auf der ersten Floyd-Platte!“, schreie ich, „noch von Syd Barrett geschrieben!“

Er stiert mich an, als spräche ich hyperboräisch, und ich verfluche innerlich diesen ewigen Drang, der mich immer dann überkommt, wenn ich mich auf einem bestimmten Gebiet sachkundiger wähne. Auch Ms. Columbo sieht sich oftmals solchen Attacken ausgesetzt, erträgt sie allerdings mit einer Engelsgeduld, die ich als Liebesbeweis werten muss.

„Achtung, gleich kommt ein toller Solopart der Sängerin!“, brülle ich GP während „The great gig in the sky“ ins oropaxlose Ohr, und schon kommt ein toller Solopart der Sängerin. Nach der letzten Zugabe spricht GP von „einem der großartigsten Konzerte überhaupt“, was mich erfreut, aber auch wundert, denn zuvor hatte er keinerlei Anhaltspunkte für diese Einschätzung geliefert.

Er klärt mich auf: Allein die Tatsache, dass er nicht vorzeitig gegangen sei, müsse ich bereits als überschäumende Begeisterung werten. Ich entschuldige mich dafür, ihn während „Comfortably numb“ mit der gebrüllten Info erschreckt zu haben, dies sei schon immer mein Lieblingssong vom Album „The wall“ gewesen.

Insgesamt also ein toller Abend – wozu auch ein grauhaariges Waters-Groupie vor der Bühne beiträgt, das vor unseren Augen eine Ton-Bild-Schere aufführt. Die sehr rüstige Dame hüpft auf und ab und singt dabei lauthals: „We don’t need no education – teachers: leave us kids alone!“ Und das Merkwürdigste: Ihr scheint das alles überhaupt nicht merkwürdig vorzukommen.

Übrigens war der oben erwähnte Song gar nicht auf der ersten, sondern der zweiten Floyd-Platte, wie ich zu Hause feststelle, und Syd Barrett war auch nicht der Autor.


GP darf das nie erfahren.

18 April 2007

Der Himmel über St. Pauli

Manchmal laufe ich durch die Stadt wie ein Aborigine, dann ist alles voller kartierter Erinnerungen.

Das Bankhochhaus am Bahnhof Altona mit dem einst zerbrochenen Fenster unterm Dach, durch das der Einbrecher in den Tod sprang. Das Zeisekino, auf ewig verbunden mit dem ersten Sehen von „Fargo" (mit Frances McDormand, die den North-Dakota-Ausruf „Jesus!“ immer verkürzt herauszischt, als spräche sie von Käse: „Cheese!“).

Die Sonne, die sich im Winter durch die schwarzen Wolken wühlt, um einen Blick auf die Hafenkräne zu werfen. Oder jener nicht fixierbare, doch ideale Ort mitten auf der Elbe, wo unser Ausflugsschiff lag, als das Feuerwerk überm Hafen losging.

Ja, wie ein Aborigine, der uralten Songlines folgt, laufe ich manchmal durch die Stadt, und sie erzählt mir hundert Geschichten im konspirativen Timbre persönlicher Erinnerungen. Und wenn ich Glück habe, kommt jede Woche eine neue Geschichte, ein neues Bild hinzu.

Eins davon sehen wir fast jeden Abend: wie die Illumination St. Paulis die über uns hinwegziehenden Abendwolken einfärbt. Das Rotlichtviertel, das sich im Himmel spiegelt: ein schönes, melancholisches Bild für den Trost, den auch eine entmystifizierte Welt zu spenden vermag.

Islamisten werden das nie verstehen.

17 April 2007

And the winner is …

Ich nahm zwei Würfel und warf sie. Pasch 4. Die Quersumme ist 8.

Als nächstes ermittelte ich die Quersummen aller Uhrzeiten, zu denen der Beitrag von gestern kommentiert wurde. Denn der erste Kommentar mit der Quersumme 8 sollte den Gewinner der ausgelobten CD von Laura Veirs identifizieren.

Ganz einfach und völlig fair. Dachte ich. Doch herauskam – ich selbst … Künstlerpech.

Also neu würfeln: Pasch 1, Quersumme 2. Und diesmal klappte es – es gewann rainerhi, der Mann also, der sonst nie kommentiert! Ich bitte um deine Adresse per Mail, und die CD geht auf den Weg – natürlich versandkostenfrei.

Kommentiert werden darf übrigens trotzdem weiter. Ja, schlimmer noch: Wer ab jetzt nichts mehr sagt, gerät in Verdacht, nur aus merkantilen Erwägungen den Mund aufgemacht zu haben.

Und das will ja wohl keiner.

16 April 2007

Laura Veirs zu verschenken

Die vielfältigen Probleme einer umfangreichen Plattensammlung ahnt man nicht im Entferntesten, wenn man sie noch nicht hat, die umfangreiche Plattensammlung.

Neben dem schieren Platzbedarf, der irgendwann zu diversen Reibungen bis hinein in eine ansonsten toll funktionierende Zweierbeziehung führt, stellt eine umfangreiche Plattensammlung auch enorme Anforderungen ans menschliche Gedächtnis. Zumindest an meins.

Manchmal stehe ich auf dem Flohmarkt und frage mich: Habe ich diese Platte schon oder nicht? Immer öfter auch freue ich mich kindlich über ein feines Fundstück, welches ich im besten Fall schon seit Jahren suchte und nun glückstrunken nach Hause trage, wo ich der frustrierenden Wahrheit ins Gesicht blicken muss. Sie lautet: Jetzt habe ich die Platte doppelt.

Heute Abend im Knust, beim Konzert von Laura Veirs, über die ich vor Äonen schon einmal ein bisschen bloggte, stand ich am Verkaufsstand und fragte mich angesichts ihrer CD „The Triumphs & Travails of Orphan Mae“ ratlos, ob ich mich eigentlich schon in der Gewissheit ihres Besitzes wiegen dürfe oder nicht.

Da ich das nicht nur innerlich, sondern auch vernehmlich für den Verkäufer tat, versuchte er sich an einer pragmatischen Lösung. „Buy it to make it sure“, sagte er listig. Ein Killerargument, wie ich bewundernd zugeben musste.

Also kaufte ich sie. Und jetzt habe ich sie doppelt. Die im Archiv ist allerdings eine gebrannte Promoversion, ich darf sie somit nicht einmal auf Ebay versteigern, weil man für so was natürlich sofort wieder gesperrt wird.

Praktisch veranlagte Blogleser drängt es jetzt sicherlich danach, mir ersatzweise den Verkauf der erst heute Abend erstandenen Original-CD nahezulegen, was zwar legal wäre, aber erst recht nicht in Frage kommt. Sie hat nämlich im Gegensatz zu der profan verpackten Kopie ein schönes rotes Pappcover (neudeutsch: Digipack), das ich nie mehr missen mag.

Nein, dann verschenke ich lieber die Gebrannte – im Rahmen einer Verlosung unter allen Kommentatoren dieses Beitrags. Es entscheidet allein der blinde Würfel und nicht die Qualität des Kommentars. Wobei ich natürlich niemand davon abhalten will, etwas Intelligentes zu sagen – was eine völlig unnötige Bemerkung ist, denn das Niveau der hiesigen Kommentare übersteigt eh meist die Qualität der Beiträge, und deshalb …

… verdammt, ich verzettle mich. Eine umfangreiche Plattensammlung verschlechtert offenbar nicht nur die Performance des Erinnerungsvermögens, sondern meine Geistesleistungen ganz allgemein.

Kurz: Wer die Platte haben will, soll was sagen.

Pasta.

Gut geklaut ist schlecht gebloggt

Niemand muss bloggen. Es gibt kein Gesetz, das uns dazu verpflichtet. Wer bloggt, tut das vollkommen freiwillig. Er möchte sich ausdrücken. Das dachte ich zumindest immer. Es gibt aber auch Menschen, die tun nur so, als würden sie bloggen. Heute habe ich dank des aufmerksamen bosch so jemanden kennengelernt.

Es ist eine junge Frau aus Hamburg. Ihr Blog sieht ganz normal aus. Alles ist da: Einträge in verblüffender Frequenz und von erstaunlichem Variantenreichtum, dazu eine Blogroll und mutigerweise sogar ein Porträtfoto. Zudem ein Impressum, in dem es heißt:
„Die Betreiber der Seiten sind bemüht, stets die Urheberrechte anderer zu beachten bzw. auf selbst erstellte sowie lizenzfreie Werke zurückzugreifen. Die durch die Seitenbetreiber erstellten Inhalte und Werke auf diesen Seiten unterliegen dem deutschen Urheberrecht. Beiträge Dritter sind als solche gekennzeichnet.“
Alles scheint also harmlos und normal, doch es gibt einen gewaltigen Schönheitsfehler: Der Auszug aus dem Impressum ist der blanke Hohn. Denn die Einträge der jungen Frau sind geklaut.


Insgesamt sechs Blogs – darunter „boschblog“ und „Die Rückseite der Reeperbahn“ – hat sie regelmäßig geplündert, die Einträge von verräterischen Spuren gesäubert und als eigene Schöpfungen in ihrem Blog veröffentlicht. Allerdings mit den gleichen Überschriften wie die Originale, was eher von beklemmender Naivität als von krimineller Intelligenz zeugt.

Bosch kam ihr auf die Spur und wies sie zurecht; jetzt ist ihr Fakeblog offline. Mich interessierte vor allem, warum sie das überhaupt getan hat, wie sie tickt – Motivationsforschung in den Schmuddelecken der Blogosphäre. Es kam die erbetene ehrliche Antwort: „Ich fand deine Beiträge sehr gut geschrieben“, mailte sie mir, „und wollte mich damit schmücken, um anderen zu gefallen.“

Eine Offenheit, die den Augenbalken auf dem heutigen Foto erst ermöglichte. Wir sechs Beklauten standen übrigens nicht auf ihrer Blogroll, das ist sehr verständlich. Aber sie hat aus meinen Beiträgen Ms. Columbo gestrichen. Und das verzeihe ich ihr erst nach einer mehrwöchigen Karenzzeit.

15 April 2007

Alle Vöglein sind schon weg

Touristen schieben sich schwarmartig über die Landungsbrücken, die eklen Dieselschwaden der Schiffe hängen träg im traumhaften Tag, und wir suchen einfach nur Enten. Gerne auch Möwen. Denn wir haben Brotkanten dabei, und Vögel sollen sie fressen, solange es keine Tauben sind, diese elenden Ratten der Lüfte. 

Hierher aber, ans hochsommerliche Glitzerfunken sprühende Wasser, trauen sich die Tauben nicht. Sie fürchten sich vor der Aggessivität und den Hakenschnäbeln der Möwen. Aber wo sind die Möwen bloß? Und wo die Enten? Wir sehen keine. Eine Brücke nach der anderen laufen wir zunehmend verwundert ab, doch die Elbe scheint jetzt, wo endlich die Lachse wieder da sind, vom gefiederten Volk völlig verlassen. 

Wir sind schon wieder auf dem Rückweg, als ich auf dem kleinen Ponton unter Brücke 10 endlich ein faules Entenpaar entdecke. Es sitzt träg im Schatten des traumhaften Tages und verdöst die Mittagszeit, statt seiner evolutionären Pflicht zu folgen und Nahrung zu suchen. Doch heute erweist sich Tatenlosigkeit als genau richtige Taktik im Sinne Darwins, und als das erste Stückchen Brot neben ihnen ins Wasser platscht, sind die beiden sofort hellwach – genauso wie die gefühlten dreißig Möwen, die urplötzlich aus dem Nichts materialisieren, als hätte Scotty sie hierher gebeamt, an die Landungsbrücke 10. Wo, verdammt, waren diese Vögel die ganze Zeit? Und wie, in Phoenix’ Namen, kriegten sie die Mannalieferung derart schnell spitz? 

Jedenfalls herrscht binnen Sekunden ein Hauen und Stechen. Wir versuchen die Enten zu bevorzugen, weil sie keine Chance hätten im Kampf mit den Möwen, doch wir haben eh genug für alle dabei. Schon bald sind Enten und Möwen satt und prall und zunehmend desinteressiert. Ich kann Ms. Columbo zu Hause abliefern und sofort rübergehen zum Stadion, wo ich auf den letzten Drücker noch eine Schwarzmarktkarte fürs Spiel meines kleinen Stadtteilvereins gegen Holstein Kiel ergattere. St. Pauli siegt 2:0, ich stehe in der Nordkurve träg im traumhaften Tag und hole mir – Mitte April – einen leichten Sonnenbrand auf beiden Lippen.

Ich liebe den Klimawandel.

13 April 2007

Rückenkerle

Heute um 16:18 Uhr MESZ erhielt ich eine Mail von „Arianna“. Sie trug den Betreff „Re: Interesting“. Dabei kann ich mich nicht erinnern, ihr eine Mail mit dem Betreff „Interesting“ geschickt zu haben, auf die sie hätte antworten können. Ja, ich kenne Arianna nicht einmal, aber sie offenbar mich.

Arianna hat die Mailadresse Arianna@brosonhos.com, und die Website, die sie mich in dürren Worten aufzusuchen bat, preist sie mit den Worten an: „Big back guys on little white girls“.

Das klingt nicht sehr fair, doch abgesehen davon scheint mir auch der Begriff „Rückenkerle“ erklärungsbedürftig. Deshalb bat ich Arianna, mir die Sachlage zu erklären:


Betreff: Re: Re: Interesting

Hi, Arianna,
don't you rather mean big „black“ guys?
Otherwise it's NOT interesting.

Leider blieb sie mir bisher eine Antwort schuldig. Vielleicht ist sie sauer, weil ich mich nicht für Rückenkerle interessiere.

12 April 2007

Huhn oder Chicken?

In den Filialen von Balzac Coffee gibt es Kaffeesorten wie Hazelnut, Breakfast Blend, Arabien Moca Java oder Vanilla Almond. Außer aufgebrühten Bohnengetränken haben sie dort auch „tägliche frische Produkte aus unserer eigenen Bakery“, zum Beispiel Baguettes. Die tragen ähnlich orginär deutsche Namen.

Obwohl Ms. Columbo keineswegs zu jener dumpfen Masse Mensch gehört, die das grassierende Deppendenglisch schafsgleich nachplappert, neigt sie in fremder Umgebung doch zu einer gewissen adaptiven Milde; deshalb nahm sie ihre Bestellung vorgestern im Balzac-typischen Duktus vor.

„Ein Baguette mit Chicken“, sagte sie.
„Das ist nicht mit Schinken“, korrigierte sie Frau Balzac, „das ist mit Huhn.“

So kann’s gehen, wenn man sich in fremde Sphären vorwagt. Heute war sie gleichwohl wieder bei Balzac. Kuriert von ihrem misslungenen Ausflug in die schwankende Welt des Denglisch ließ sie die Erfahrung von vorgestern einfließen.

„Ein Baguette mit Huhn“, sagte sie.
Die Antwort war keine Antwort, sondern eine Frage: „Grilled chicken?“

Was mich vor allem wundert: warum ein nach Honoré de Balzac benannter Laden, dessen Logo ein nackter Engel auf einem Motorroller ziert, seine Produktnamen nicht französisiert.

Egal: Ms. Columbo ist an beiden Tagen satt geworden. Und nur das zählt.

11 April 2007

Unschöne Begleiterscheinungen

Vorher hatte ich gar nicht über den Satz nachgedacht, doch in dem Augenblick, als ich ihn der jungen Frau an der Kinokasse sagte, bemerkte ich seine unschönen Begleiterscheinungen: „Zweimal den ,Wixxer’ bitte“, hörte ich mich sagen.

Allerdings blieb die Cinemaxx-Frau ungerührt – oder besser: abgebrüht, denn der Film ist ein Erfolg, und sie hat diesen Satz bestimmt schon hundertmal gehört.

Unschöne Begleiterscheinungen weist auch stets das Verzehren eines Döners im Stehen auf, und das heutige Foto dokumentiert, welche das sind – und warum Ms. Columbo und ich höchst selten beim Verzehren eines Döners angetroffen werden.

Aber einmal alle zehn Jahre eben doch, und unglücklicherweise habe ich genau dann einen Fotoapparat dabei. Na ja, wie eigentlich immer.

10 April 2007

Ein Stofftier, aber nicht Knut

Ja, irgendein Wahnsinniger ist hinabgestiegen ins Gleisbett am S-Bahnhof Reeperbahn. Er hat die Gleise überquert, den Hammer ausgepackt und einen Nagel in die Fahrplanwand geschlagen. Um ein kleines schwarzes Stofftier mit gelben Füßchen daran aufzuhängen.

Dann ist er wieder über die Gleise zurückgestiegen. Er ist hochgeklettert auf den Bahnsteig, hat auf den nächsten Zug gewartet und ist davongefahren.

Wer immer das war, er muss die ganze Aktion lebend überstanden haben. Auf dem Hinweg hatte er die Starkstromleitung ja evidenterweise nicht berührt, sonst hinge jetzt kein Stofftier da. Und wäre ihm der Rückweg letal misslungen und hätte die Polizei seine verkohlten Überreste von den Gleisen schaben müssen, dann wäre einem der Beamten sicher das kleine schwarze Stofftier mit den gelben Füßchen am Fahrplanplakat aufgefallen, und er hätte es abgenommen.

Nein, der Wahnsinnige muss das alles wirklich lebend überstanden haben. Um welches Stofftier es sich handelt, konnte ich nicht genau erkennen, und zur Beweissicherung hinabsteigen wollte ich nicht.

Eins jedenfalls ist sicher: Es ist nicht Knut.

09 April 2007

Der Ebay-Idiotentest

Wenn man als Verkehrssünder in Flensburg fleißig punktet, muss man irgendwann zu einer Untersuchung, die der Volksmund nicht ganz zu Unrecht „Idiotentest“ getauft hat. So etwas gibt es auch bei Ebay, wie ich gerade schmerzlich am eigenen Leib erfahren muss.

Wir erinnern uns: Das Online-Auktionshaus hatte mich auf Betreiben des Fußballclubs HSV gesperrt. Bevor ich wieder etwas versteigern darf, soll ich also den Online-Idiotentest bestehen.

Ebay nennt das natürlich nicht Idiotentest, sondern „Info-Tour zum Thema Schutz gewerblicher Schutzrechte und geistigem Eigentums“ (sic!). Nun muss ich im Multiple-Choice-Verfahren neun Fragen beantworten – und die vorgeschlagenen Antworten legen nahe, dass Ebay mich wirklich für einen Idioten hält.

Eine Aufgabe lautet: „Sie haben einen Film mit einem DVD-Brenner kopiert und möchten diese DVD nun bei eBay verkaufen. eBay löscht daraufhin Ihr Angebot. Warum?“ Und als Option zum Kreuzchenmachen wird mir u. a. das hier offeriert: „b. Sie haben vergessen, den Abspann des Films auf die DVD zu kopieren.“

So geht das weiter: Ein toller Vorschlag für die Qualitätssteigerung von Auktionen jagt den nächsten. Gleichwohl möchte Ebay mich ganz offensichtlich dazu bewegen, immer den langweiligsten Vorschlag anzukreuzen, was ich natürlich tue – ich will schließlich wieder in die Gemeinschaft der Onlineversteigerer aufgenommen werden; man fühlt sich sonst wie ein halber Mensch.

Wer den amüsanten Idiotenparcours einmal selbst durchstolpern möchte, kann das völlig gefahrlos tun, denn einloggen muss man sich erst am Ende, aber halt nur Leute wie ich: Gesperrte, Parias, Aussätzige.

Ach ja: Ich habe bestanden und darf wieder versteigern. Und natürlich werde ich künftig keinesfalls vergessen, auch den Nachspann meiner eingestellten DVDs mitzukopieren.


Denn ich bin doch nicht blöd – sondern ganz und gar im Besitz meines geistigem Eigentums.

Im Totenpark

„Komm, wir probieren’s einfach!“, schlägt Ms. Columbo fröhlich Schwarzfahren vor, nachdem wir planen, den größten Parkfriedhof der Welt in Ohlsdorf zu besuchen und ich auf die mangelnde Reichweite unserer Monatskarte verwiesen habe.

„Früher“, tadle ich sie streng, „warst du eine anständige junge Frau, und jetzt planst du Gesetzesbrüche! Was ist bloß aus dir geworden?“ Sie bestreitet meine Analyse keineswegs, führt aber vor allem meinen schlechten Einfluss ins Feld. Mist, sie hat Recht.

Daher schlage ich verschärfend vor, wir könnten heute nachmittag ja Blumen von den Ohlsdorfer Gräbern klauen, das sei bestimmt noch verwegener als schwarzfahren. „Nein“, erwidert Ms. Columbo entschieden, „meine Gegner müssen sich wehren können.“

Also bleibt es beim abschnittsweisen Schwarzfahren, was durchaus zur aufregenden Episode gerät, denn am Jungfernstieg steigt ein Uniformierter der Hochbahn zu, platziert sich nur wenige Sitze entfernt gegenüber und bleibt bis Ohlsdorf (zum Glück tatenlos) sitzen, das sind gefühlte 34 Stationen.

Vorm Haupteingang des Friedhofs stoßen wir auf ein Bestattungsinstitut, welches die populäre Philosophie des „Geiz ist geil“ behutsam in seinen Tätigkeitsbereich überführt hat. Dennoch scheinen mir die beiden Wörter „Sarg“ und „Discount“ noch ein wenig zu fremdeln, aber das war ja bis vor kurzem auch noch mit „Billig“ und „Flug“ so.

Man sollte niemals Avantgardisten in ihrem Tun behindern.

08 April 2007

Bei den Osterfeuern

Was ist bloß so interessant daran, der zerstückelten Leiche eines Baumes dabei zuzusehen, wie sie ihre zeitlebens mühsam akkumulierte Energie in Form von Licht und Hitze vergleichsweise schlagartig wieder abgibt?

Keine Ahnung, doch auch wir entern an der Reeperbahn bei einbrechender Dunkelheit den überfüllten 36er-Bus, um unten an der Elbe die Osterfeuer brennen zu sehen.

Der Wind bläst von Westen her, wo jenes Meer liegt, das uns eines Tages alle überfluten wird, und deshalb riechen wir die Feuer, lange bevor wir sie sehen. Ironischerweise fördern die sinnlosen Osterfeuer genau jenen Effekt, der einst das Meer dazu bewegen wird, uns alle zu überfluten, doch heute Abend ist es noch nicht so weit.

Und als wir vor den Feuern stehen, lodert sogleich die archaische Faszination des Flammenstarrens wieder auf; sie muss uns ganz tief in den Genen liegen, und wahrscheinlich würden wir aus den gleichen Gründen auch problemlos den Geschmack eines Mammuts wiedererkennen.

Es ist heiß an den Feuern, doch der Wind, der von Westen her weht, ist kalt und böse, und statt uns in irgendeiner der Strandkneipen von innen her mit flüssiger Wärme auszukleiden, steigen wir wieder in den Bus, fahren nach Hause und legen einen Horrorfilm auf, den wir aus mehreren Gründen nach der Hälfte abbrechen.

06 April 2007

Definiere dialektisch

Jener abgebildete Philippino, der sich heute aus Karfreitagsgründen geißeln zu müssen glaubte, hat während seines blutigen Tuns offenbar sorgfältig darauf geachtet, das oben auf seinem Rücken eintätowierte affengeile Busenwunder unbeeinträchtigt zu lassen.

Hätte ich mich nicht einst mit Hegel und Marx beschäftigt, stünde ich ratlos und frappiert vor diesem Bild; so aber kann ich es einfach dialektisch nennen und zur Tagesordnung übergehen.

Frohe Ostern.

05 April 2007

Abenteuerurlaub Bloggerlesung

Am 14. April – dem gleichen Tag also, nur 152 Jahre später, als John Wilkes Booth Abraham Lincoln erschoss – gibt es in der Hanauer Zehntscheune eine schillernd kompilierte Bloggerlesung mit dem bewusst nach Vollhorst klingenden Titel „Herbert – Die Lesung“.

Beteiligt ist folgendes schrille Ensemble: DieJulia, German Psycho, Turnschuhromantik, Murmeltiertag, kreativbetrunken und Zahltag.

Das Ganze kostet lachhafte fünf Euro, man bekommt also im Schnitt für nur 83 Cent einen Blogger. Oder eine Bloggerin. Das entspricht umgerechnet einem Drittelbier – und entzieht Ausreden fürs Nichterscheinen jede Grundlage. Die Bewohner Hessens und benachbarter Bundesländer mögen also bitte geschlossen erscheinen.

Und keine Angst vor German Psycho: Normalerweise ist er recht harmlos. Zudem haben die Veranstalter versprochen, ihn beim Lesen festzuketten – wie einst King Kong im New Yorker Theater.

(Ja, ich weiß, wie das
damals ausging. Aber die Qualität der Ketten ist inzwischen viel besser. Die halten.)

(Foto: geocities)

04 April 2007

Die lange und jämmerliche Geschichte meiner Versuche, Bob Dylan zu fotografieren

Ich versuche in der Color Line Arena den offenen Kasten zu knipsen, in dem die Gitarren von Bob Dylans Begleitband aufbewahrt werden; er trägt die Aufschrift „Beware of DOG“. Und diese Warnung war berechtigt, denn sofort walzt eine Security-Bulldogge heran und verbietet mir das Knipsen.

Der Typ ist unfassbar dick und so wulstig rund wie das Michelin-Männchen, sein kahler Schädel mündet am Kinn unmittelbar in den Schlips. Ein Hals, an dem das Kleidungsstück festgebunden sein könnte, ist nicht zu sehen, nicht einmal im Ansatz.

„Beware of DOG!“, halte ich ihm die Trivialität meines Motivs kommentarlos vor und versuche ihm so die Lachhaftigkeit seines Ansinnens vor Augen zu führen. Was auch funktioniert. Allerdings lacht er nicht. „Danach ist sofort Schluss“, sagt er.


Im weiteren Verlauf des Abends versuche ich mehrfach heimlich Bob Dylan zu fotografieren, gerate jedoch immer wieder ins Visier der argwöhnischen Bulldogge. Dass letztlich kein einziges Bild entsteht, welches das Manko des Dilettantischen abzustreifen vermag, will ich gleichwohl nicht dem Dicken anlasten, sondern einer langen persönlichen Tradition vergeblicher Versuche, Bob Dylan zu fotografieren.

Sie reicht zurück bis in die frühen 80er Jahre, als ich erstmals der Gnade anteilig wurde, einen Ort auf dieser Erde mit dem auratischen Künstler teilen zu dürfen, was mir seither weitere fünf Male vergönnt war. Es war auf der Loreley am Rhein, das Gelände war so riesig wie meine Pocketkamera klein, und ich kam kaum näher als fünfzig Meter an die Bühne heran.

Dennoch wagte ich einen Schuss, der – zusätzlich beeinträchtigt durch ein ehrfurchtsvolles Zittern meiner Hände – einen verwischten rotweißen Fliegenschiss in der Mitte des Fotos ergab, und das war Bob Dylan. Dass ich der Einzige weltweit war, der diese Bilddeutung zu leisten imstande war, steigerte meine gedämpfte Freude über den Beweis meiner Begegnung allerdings kaum. (Übrigens habe ich heute Abend alle Schubladen nach diesem Foto durchwühlt, um diese Schilderung zu dokumentieren, konnte es aber nicht finden.).

Danach passierte dekadenlang nichts, doch vor zwei Jahren traf ich wieder einmal kamerabewehrt auf Dylan, und zwar im CCH. Der Versuch, in die Nähe der Bühne zu gelangen, schien zunächst von Erfolg gekrönt, doch kaum zückte ich die Kamera zum finalen Schuss, vertrieb mich ein menschlicher Panzerschrank, der mich jetzt, im Rückblick, frappant an jenes Monstrum erinnert, welches mich heute Abend vom „Beware of DOG“-Schild fernhalten wollte.

Aus der Deckung der letzten Reihe versuchte ich noch mal mein Glück und erzeugte jenes oben zu sehende wirre Gewische aus Rot- und Gelbklecksen, in dessen Mitte mit viel gutem Willen eine Art Hut zu erkennen ist, und der gehört Bob Dylan. Das tut er, ich schwör’s!

Heute Abend nun gelang mir unter den argwöhnischen Schweinsäuglein der Bulldogge jenes oben gleichfalls dokumentierte blaugrundierte Werk, in dessen Bildmitte ein verwackelter weißer Hut zu erkennen ist, worunter sich wer versteckt? Bob Dylan.

Diesmal – soviel kann ich stolz behaupten – habe aber nicht ich gewackelt, sondern Bob. Insofern bedeutet das einen kleinen Höhepunkt in der langen Geschichte meiner jämmerlichen Versuche, Bob Dylan zu fotografieren.

Na ja, wirklich wichtig sind ja eh nur die Bilder, die man im Kopf hat. Leider scheitere ich aber immer wieder daran, davon Abzüge fertigen zu lassen.

03 April 2007

Das Farb-Mäuse-Rätsel

In den Ottenser Zeisehallen findet ab und zu ein Flohmarkt statt. Er ist stets eine Sammelstelle für Wollsocken, Kräuterteefreaks und Atomkraft-nein-danke-Buttonträger. Nichts gegen Leute, die gegen Atomkraft sind, keineswegs, das bin ich ja selbst, aber optisch und mental geht mit ihnen oft einiges einher, das mich nicht gerade dazu bewegt, auf Deibel komm raus ihre Freundschaft zu suchen.

Im Kontext dieser spezifisch gestrickten Flohmarktbevölkerung muss man auch die zahlreichen Aushänge bewerten, die sich an einem als schwarzes Brett missbrauchten Gitterkonstrukt am Seitenausgang den vorüberziehenden Zeisehallenbesucherströmen präsentieren. Zum Beispiel das heute abgebildete.

Was will der explizit handylose Mensch überhaupt? Was zum Beispiel sind „FARB-MÄUSE“? Und warum fragt er, der FARB-MÄUSE-Anbieter, selbst irritiert nach dem Warum? Woran überhaupt soll man „Interresse“ haben?

Sind das etwa alles Chiffren, die jeder sofort versteht, der Wollsocken trägt und einen Atomkraft-nein-danke-Button? Und warum hat der Aushangkreateur „noch kein Handy“?

Vielleicht hat ja jemand Lust, das mithilfe seiner hinterlassenen Adresse zu klären, wozu man natürlich warten muss, bis der FARB-MÄUSE-Freak wieder mal vorbeikommt, sie sich notiert und dann von sich aus den Kontakt herstellt.

Ach, vielleicht mach ich das morgen selbst. Was tut man nicht alles, um auch in Zukunft was zum Bloggen zu haben.

Welches Tier ich am liebsten wäre:

Ein Geier in Patagonien. Aus vier Gründen:

a) Keine natürlichen Feinde.
b) Nette Landschaft.
b) Fliegen können.
c) Jeden Tag stellt dir jemand das Essen hin. (Gut: Es ist Aas. Aber ich esse ja auch Sushi.)

01 April 2007

Marilyn

Vorm Edeka-Markt stellt sich ein kleines Mädchen auf die Lüftungschlitze an der Hauswand, lässt sich das Röckchen von der Abluft hochpusten und schleckt dazu ein Eis.

Ich grinse popkulturhistorisch und sehe, wie eine Frau in meinem Alter, die gerade ihr Fahrrad abschließt, ebenfalls grinst, und zwar genauso. „Marilyn“, sagen wir synchron – und grinsen noch breiter.

Das Mädchen ist zu jung, um irgendetwas zu wissen von der überzeitlichen Wucht seines ikonografischen Verhaltens; es fragt sich bestimmt, warum zwei fremde Erwachsene sich wissend angrinsen, darum geht es lieber weg, die Sache ist ihm unheimlich.

Auch wenn es dageblieben wäre, hätte ich es natürlich nicht fotografiert; die Zeiten sind nicht danach, als Erwachsener kleine Mädchen zu fotografieren, deren Röckchen gerade hochgepustet werden. Deshalb gibt es an dieser Stelle nur ein Stilleben der verwaisten Lüftung.

Marilyn muss (und kann) man sich einfach dazudenken. Immerhin liegt sogar ihr Eisbecher noch da.

30 März 2007

Be my teddybear!

In meinem neuen Spreadshirt-Shop gibt es ab sofort nicht nur hinreißend hübsche Hemdchen mit dem Bloglogo, sondern auch ebenso verzierte Teddys (aber keine Eisbärbabys, leider …).

Oben in der Navigation findet sich von nun an auch der direkte Link zu dieser Goldgrube, die mich binnen weniger Monate derart duftendreich machen wird, dass die Hamburger Steuerfahndung auf ein Auslieferungsabkommen mit den Seychellen drängen dürfte.

Sei’s drum – ich riskier’s.

29 März 2007

Peng, du bist blöd!

Einst schoss er scharf in Wimbledon, inzwischen kämpft Ex-Tennisstar Michael Stich mit allen verfügbaren Waffen gegen Aids.

Ein Plakat seiner neuen Kampagne zeigt das abgebildete Motiv: Einem nackten Mann wächst statt des besten Stücks eine Pis(s)tole aus dem Bauch, vor ihm kniet eine halbnackte Frau und hat die Wumme im Mund. Daneben steht: „Zwischen Leben und Tod liegen nur 0,003 mm Latex.“

Wie
aber eine hauchdünne Gummischicht, welche der Pistole eventuell übergezogen ist (das kann man nicht erkennen), jene Kugel aufhalten soll, die Madames Daumen unzweifelhaft in der nächsten Sekunde abfeuern wird, das weiß nur der Stich.

Metaphern, soviel ist sicher, sind Glückssache.

28 März 2007

Beunruhigende Zeichen

In Peter Weirs 30 Jahre altem Filmklassiker „Die letzte Flut“ häufen sich mitten in einer australischen Großstadt seltsame Vorzeichen einer großen Katastrophe, von der die düster schweigenden Aboriginies längst wissen.

Dieser Film fiel mir heute ein, als ich abends vorm Dorinthotel auf den Bus wartete und neben dem Gehweg den abgebildeten Steinhaufen auf blauer Plastikscheibe entdeckte.

Ein beunruhigendes Ritual scheint ihm zugrunde zu liegen. Mir kommt er vor wie eine Art Schrein, der sich hermetisch abkapselt; mit ihm scheint etwas Archaisches einzubrechen in die ganz normale Hamburger Welt der Ampelphasen und Abfahrtzeiten.

Wahrscheinlich war es aber nur ein Kind, das, als der Bus kam, von seiner Mutter unwirsch aus der Botanik gezerrt wurde, sich plärrend hinwarf auf den nächstbesten Sitz hinterm Fahrer und mitansehen musste, wie sein kleines Kunstwerk aus Plastik und Kieseln zurückblieb, um bald darauf einen vergrübelten Blogger an eine Filmapokalypse aus ferner Zeit zu erinnern.

Ähnlich verwirrt war ich im vergangenen Mai, als ich in St. Pauli ein sorgsam geometrisch auf einem Randsteineck drapiertes Baguette entdeckte. Es liegt nahe, mir außer „Die letzte Flut“ auch „23 – Nichts ist so, wie es scheint“ noch mal anzuschauen.

Oder vielleicht lieber doch nicht.

27 März 2007

Zwischen Bach und Nutella

Beim Konzert von Ragna Schirmer in der stuck- und goldtrunkenen Laeiszhalle (Foto) kämpfe ich öfter mit dem Schlaf, was aber nicht an ihr liegt.

Schirmer durcheilt Johann Sebastian Bachs Goldberg-Variationen mit tausendfüßlerhafter Fingerfertigkeit; die eine Hand hüpft über die andere und umgekehrt, und zu verdanken hat sie diese grotesken Grifffolgen einem ebenso optimistischen wie sardonischen Komponisten, der den ganzen Irrwitz ausgerechnet für Klavierschüler komponiert hatte. Sehr witzig, Herr Bach.

Nach dem Konzert treffen wir Mark. Ich ulke herum: „Ich habe keine Fehler gehört. Nur in Variation 18 war mir die Quinte etwas zu terzig.“
„Stimmt“, sagt Mark, „aber das lag nur an Glenn Gould, der bei seinem Konzert in San Francisco 1964 die Quinte als Terze gespielt hat …“
„… aber doppelt so schnell“, werfe ich eifrig ein.
„Genau“, sagt Mark, „und Schirmer zitiert das nur – genau wie den Tschaikowsky-Triller in Variation 23.“

Dilettanten in Aktion. Gut, dass der Backstage-Termin mit Schirmer platzt. Ich hätte eh nichts zu fragen gewusst. Außer vielleicht: Warum hüpfen die Hände eigentlich die ganze Zeit übereinander wie Grundschüler beim Bockspringen – hätten sie sich die einzelnen Parts nicht einfach übergeben könne wie Staffelstäbe?

Wahrscheinlich hätte die Schirmer mich angestarrt wie der Küster der Lübecker Jakobikirche einen Amerikaner, der ihn fragt, ob es sich beim dort ausgestellten Rettungsboot der Pamir um die Arche Noah handele. Oder sie hätte angefangen zu weinen. Beides wäre unschön gewesen.

Mark gelüstet es – trotz Bach – nach einer Wurst, und weil dieser Wunsch nicht stantepede in Erfüllung geht, packt er ein mit Nutella bestrichenes Knäckebrot aus. Er hat es die ganze Zeit dabei gehabt, während der Goldberg-Variationen. Diese Welt, das wird mir plötzlich glasklar, ist unweigerlich dem Untergang geweiht.

Danach gehen wir ins La Provencale und essen Fischsuppe. Ich auch, obwohl ich mir bereits die Zähne geputzt hatte.

Die uninteressanten Päckchen

Gegenüber auf dem Flachdach turnen plötzlich zwei Jungs herum. Sie laufen hin und her, gehen dann zur Dachkante am Innenhof und werfen zwei weiße, offenbar gewichtige Päckchen hinunter. Schätzgewicht: vier Kilogramm.

Das ist der Moment, wo ich mich entschließe, wieder mal bei der Davidwache durchzuklingeln. Während ich auf die Streife warte, klettern die Jungs über Feuerleitern höher und höher. Jetzt stehen sie ungesichert auf dem Dach von Reeperbahn Nr. 35. Sie posieren, fotografieren sich gegenseitig mit ihren Handys. Immer hart an der Kante – ein gefährliches Spiel.

Zwei bullige Polizisten betreten unsere Wohnung, ein Mann und eine Frau. Ich zeige ihnen die Extremkletterer gegenüber und erzähle von den zwei weißen Päckchen. Letzteres stößt komischerweise kaum auf Interesse. Stattdessen verlangen sie meinen Personalausweis und treten sehr präsent auf unseren Balkon. Das finde ich merkwürdig. Lernt man das etwa auf der Polizeischule: Wenn dich ein mutmaßlicher Täter noch nicht entdeckt hat, dann werfe ihm den Überraschungseffekt per Selbstenttarnung vor die Füße?

Natürlich erblicken die Jungs die Polizisten sofort und verschwinden über den Dachgiebel auf die Reeperbahnseite. Die Polizisten geben das per Funk an die Verstärkung durch. „Auf der anderen Seite kommen die nicht runter“, theoretisiere ich und versuche noch einmal die Aufmerksamkeit auf die zwei weißen Päckchen zu lenken. Vergeblich.

Man sieht von unserem Balkon aus nur einen Teil des Innenhofs, doch das reicht, um dort frisch eingetroffene Menschen zu erkennen, und es sind keine Polizisten. Möglicherweise wollten die beiden Jungs ihre Fracht nicht verstecken, sondern übergeben. Eile scheint geboten, doch die beiden Uniformierten auf unserem Balkon geben sich gelassen. Das Funkgerät meldet sich. „Seht ihr die beiden noch?“, krächzt es. „Negativ“, sagt der Mann.

Beide Polizisten meine ich zu kennen, ich weiß auch woher: Aus den vielen Spiegel-TV-Dokus über den Kiez. Alle enden immer mit einem Einsatz der Leute von der Davidwache. Gehört zum Drehbuch. Das hier, denke ich bei mir, ist wie im richtigen Leben, also wie im Fernsehen.

Die Polizisten verlassen den Balkon und verharren im Wohnzimmer. Sie sind kurzärmlig, und ihnen ist kalt. Ich biete eine Jacke an, sie lehnen ab. Kaum ist unser Balkon menschenleer und die Luft scheinbar rein, klettern die Jungs wieder über den Giebel und beginnen den Abstieg. Natürlich haben sie keine Chance. Die Verstärkung wird per Funk informiert, dann gehen die beiden Polizisten runter, wo ihnen die Jungs in die Arme laufen.

Verstärkung trifft ein, Verhaftung mit allen Schikanen wird abgespult. Abgang alle. Auch im Innenhof sind keine Menschen mehr zu sehen, erst recht keine Polizisten.

Und auch keine weißen Päckchen mehr. Jede Wette.

26 März 2007

Am Gefängnis

Im Park Planten un Blomen blüht die Kirsche, Eichhörnchen turnen durchs Gehölz, und die Schilder an den Bäumen, die transsaisonal vor brüchigen Eisflächen auf den Teichen warnen, wirken wie ein schlechter Witz, über den wir trotzdem schmunzeln müssen an einem Strahletag wie diesem.

Der Park drängt an seiner Nordseite gegen die Mauern des Untersuchungsgefängnisses, und all das – Kirschblüte, Eichhörnchen, Teiche – können auch die Gefangenen sehen, wenn sie an den Zellenfenstern stehen.

Manche stecken die Unterarme durch die Gitterstäbe, lassen sie baumeln im Freien, in Freiheit. Unten, auf dem Parkweg, der sich an den Mauern des Gefängnisses entlangschlängelt, stehen die Angehörigen und schreien Grüße hoch, und von oben schallt es tieffrequent zurück; hier werden wichtige Dinge geklärt, meist auf türkisch oder kurdisch, es ist wie in diesem Raubkopiererspot, nur dass die Gefangenen mit dem Blick auf Kirschblüten, Eichhörnchen und Teiche noch nicht wissen, was sie erwartet, denn es ist ja ein Untersuchungsgefängnis.

Nennt uns Spaziergänger schadenfroh, doch das Gefangensein derer, die den Park nur anschmachten dürfen aus der Höhe, trübt unsere Stimmung keineswegs – im Gegenteil: Die Freiheit wird uns gar doppelt bewusst.


Und ohne schlechtes Gewissen fotografieren wir Kirschblüten, Eichhörnchen, Teiche und uns selber – und beschließen insgeheim, nichts zu unternehmen, was uns je dazu zwänge, den Park aus jener speziellen Perspektive anschmachten zu müssen.

24 März 2007

Salto mortale

Den Gehweg am U-Bahnhof Feldstraße (Foto: Bildarchiv Hamburg) nutzen zwei Obdachlose als Spielplatz. Der eine ist ein junger Kerl mit verlottertem Irokesenschnitt; sein Gesicht ist aufgedunsen von Schnaps und Sorgen, und er hat sich über Jahre ernst und konzentriert einen Biafrabauch angetrunken.

Plötzlich stürzt er sich nach vorne und absolviert einen tadellosen Salto. Seine stämmigen Beine krachen auf den Gehweg, kleine Staubwolken stieben hoch, vielleicht vom Asphalt, vielleicht auch von seinen verdreckten Stiefeln. Sein Kumpel, sicher 30 Jahre älter als er, sitzt auf dem Boden mit dem Rücken am Gehweggeländer. Er grinst zahnlos, während er langsam und ohne Enthusiasmus Beifall klatscht.

Erstaunlich fit, der Saltokünstler, denke ich im Vorüberfahren. Ich biege ab zum Recyclinghof, wo ich Druckerpatronen abgeben will. „Woher haben sie die?“, fragt mich eine Mitarbeiterin, die mir den korrekten Entsorgungsbehälter zeigt. „Na, gekauft“, antworte ich unsicher. Keine Ahnung, worauf sie hinauswill.

„Nein, woher haben Sie die?“, lässt sie nicht locker. „Aus dem Internet …?“, schlage ich zaghaft vor. „Ich meine: privat oder gewerblich?“, schnappt sie ungeduldig. „Ach so – privat“, sage ich. Ihre Frage war aber auch ziemlich unkonkret.

„Ihre Frage“, sage ich mit versöhnlichem Lächeln, „war aber auch ziemlich unkonkret.“ Sie schaut mich grinsend an durch ihre schwarze Hornbrille, ihre gefärbte Dauerwelle wippt im Frühlingswind, und dann sagt sie: „Sie sind mir aber ein ganz schöner Naseweis!“

Dieses Wort habe ich schon lange nicht mehr gehört, vor allem nicht auf mich gemünzt. Als ich den Hof verlasse, stoße ich wieder auf den obdachlosen Sportler. Ihm ist eine Zigarette heruntergefallen. Er bückt sich wacklig, doch ein kleiner Windstoß bläst sie ihm außer Griffweite. Er taumelt ihr zwei Schritte hinterher, bückt sich wieder, grabscht über seinen Biafrabauch ungelenk nach ihr und erwischt sie dann doch, beim dritten Versuch.

Und der, wundere ich mich, hat eben auf dem Gehweg einen Salto absolviert, ohne sich das Genick zu brechen oder wenigstens den Schädel? Und dann fällt mir noch ein, dass das anstehende totale Rauchverbot in Hamburg einer Bevölkerungsgruppe nun wirklich völlig schnuppe sein dürfte: den Obdachlosen.

22 März 2007

Ich glaub, es hackt

Eine der schönsten Preziosen im SZ-Magazin ist die Anagrammrubrik „Gemischtes Doppel“. Dort werden Worte bebildert, die bei vertauschten Silbenanlauten einen neuen Sinn ergeben, wenn auch oft einen recht absurden.

Beispiel: Ein Bild zeigt ein Stück Gras, darunter steht „Rasenheizung“; das Nachbarwort dreht die Silben um zu „Hasenreizung“, und man sieht einen genervten Mümmelmann, der durchs Käfiggitter mit einem Stock gepiesackt wird.

Das war selbstkreiert, nur um das Prinzip zu verdeutlichen, denn ich habe gerade kein SZ-Magazin zur Hand, und online enthält uns das Blatt die illustrierten Anagramme leider vor.

Egal, mir fallen eh ständig selber welche auf und ein: Gerade wird wie von selbst aus einer „Hackfresse“ (links) schwuppdiwupp ein „Frackhesse“ (rechts).

Und wenn mir jetzt irgendein beckmessernder Armanischlaumeier mit dem Einwand kommt, das, was Roland Koch da trägt, sei gar kein Frack, dann halte ich ihm entgegen: Mir doch egal! – und verwandle aus Trotz Beißschienen in Scheißbienen.
So.

21 März 2007

Betrug an Renate

Einmal die Reeperbahn überquert, und schon stoßen wir auf etwas, das uns wirklich noch gefehlt hat: einen Wochenmarkt. Überall Ökogemüse (Foto), Obst, Eier, Käse – und St.Pauli-Trikots, klar.

Das Erstaunliche am neuen Mittwochsmarkt auf dem Spielbudenplatz ist aber nicht nur die Sichtnähe zum Straßenstrich, sondern seine Öffnungszeit: von nachmittags 16 bis abends 23 Uhr. Ein Traum! Auch ganz normale Arbeitnehmer können dort einkaufen! Also wir!

Das nutzen wir heute Abend gegen 22 Uhr genüsslich aus und schreiten frohgemut durch den Regen rüber. Allerdings plagt mich schon auf dem Weg dorthin ein schlechtes Gewissen. Ich plane nämlich den Käsestand aufzusuchen, sehe vor meinem geistigen Auge aber schon jetzt eine verzweifelt in ihre Pestokaraffen weinende Renate, deren Käseladen ich allfreitäglich seit was weiß ich wie vielen Jahren frequentiere, wenn nicht noch länger.

„Es ist wie Fremdgehen, stimmt’s?“, sagt Ms. Columbo mitfühlend. Ganz genau. Ganz genau!

Allerdings habe ich zwar vor fremdzugehen, plane aber die Beziehung zu Renate gleichwohl aufrechzuerhalten. Und mal ehrlich: Könnte ich nicht hier, auf dem Markt, ein bisschen Käse kaufen und am Freitag bei Renate ein anderes bisschen? Wir leben schließlich im 21. Jahrhundert, und es ist ein liberales Jahrhundert, nicht wahr, da muss so etwas doch ohne größeres Trara möglich sein.

Wenn mir nur endlich dieses Bild einer in ihre Pestokaraffen weinenden Renate aus dem Kopf ginge. Davon geplagt trete ich mannhaft heran an den Käsestand auf dem Nachtmarkt. Ein Blick, ein Check, ein Fazit: gutes Angebot. Geradezu toll. Ein wenig Ziegencamenbert darf es ja wohl sein, davon geht Renate nicht pleite. Und dieser originelle Bierkäse mit der Lage Rosinen obendrauf – interessant. Den habe ich bei Renate noch nie gesehen. Damit kann ich ihr also gar nicht schaden.

Ms. Columbo möchte Manchego, Cremoulin haben wir schon länger nicht gegessen, und plötzlich habe ich a) eine Tüte voller Käse, b) 16 Euro zu bezahlen und c) absehbar am Freitag keinen Bedarf mehr.

Ach, Renate … Vielleicht besuche ich dich übermorgen doch und kaufe was fürs Eisfach.

Ich bin einfach noch zu ungeübt im Fremdgehen.

Möpö statt BILD

Auf der Verkehrsinsel zwischen Holsten- und Simon-von-Utrecht-Straße steht morgens ein Zeitungsverkäufer. Der Mann ist Mitte 60, er trägt stets eine Umhängetasche über dem leuchtend roten Poncho.

Als ich ihn das erste Mal von nahem sah, fiel mir sein Walter-Ulbricht-Kinnbart auf (Foto: das Original), der dank seines fortgeschrittenen Alters weiß gefärbt war. Und wie sich rasch herausstellte, teilte der Zeitungsmann auch den Zungenschlag mit dem einstigen SED-Chef.

„Was für ein Ess-zeh-hoa-Weddor!“, begrüßte er mich gestern so fröhlich wie trefflich mit einer gleichwohl schamhaften Umschreibung der meteorologischen Gesamtlage. Heute hingegen lachte nicht nur er, sondern uns beiden auch die Frühlingssonne. „Eine Mopo bitte“, sagte ich.

„Eine Möpö!“, juchzte der Sachse erfreut auf, „un ich dochde schön, eine BILD. BILD is nämlich aus. Viele forgässen: Mir läh’m im Kombjuderzeidaldor“, führte er weltläufig aus, „wenn mor orwends zu viele Exemblore zerügggibd, grischd mor am nägsde Doach ’s Gönding’gend gegörzd. Vom Gombjudor. Döshalb is de BILD aus.“

„Ich brauche sowieso keine BILD“, beruhigte ich ihn, „sondern die Mopo.“ „Eine Möpö“, strahlte der Sachse mit im Morgenlicht tanzenden Ulbricht-Bart, „hier, bidde sähr.“

Ich zahlte 60 Cent und fuhr weiter – in der Gewissheit, einen Menschen kennengelernt zu haben, der einst die DDR überlebt hatte und jetzt, im Westen, wegen stockender Verkäufe das BILD-Kontingent gekürzt bekommt.

Was kann es Schönres gäh’m?

19 März 2007

Matt vs. HSV 2:1 (kurz vor Ende der Verlängerung)

Wir erinnern uns: Ich versuche seit einiger Zeit, ein überschüssiges HSV-Ticket loszuwerden. Bei Ebay geriet ich allerdings sofort ins Visier des argusäugigen HSV, der eine Stornierung der Auktion erwirkte.

Ich rief aufgebracht in der Geschäftstelle an und verlangte ersatzweise eine Rücknahme und Erstattung der Karte, was mir unter deutlichen Anzeichen großer Erheiterung verweigert wurde. Dagegen protestierte ich in einem Schreiben ohne amüsierte Untertöne, woraufhin mir der HSV kühl beschied, ich habe mit der Auktion gegen Urheberrechte verstoßen.

Nun gut, dachte ich, vielleicht hätte ich einfach deutlicher herausstellen sollen, kein Schwarzhändler zu sein. Also startete ich – und das ist jetzt die neue Entwicklung – erneut eine Ebay-Auktion und bot die Karte explizit zum Selbstkostenpreis als Sofortkauf an. Keine zwei Tage später wurde der Bundesliga-Abstiegskandidat, der offenbar sonst nichts zu tun hat, schon wieder bei Ebay vorstellig.

Folge: Meine Auktion wurde zum zweiten Mal storniert, und nicht nur das: Ebay schmiss mich raus. Jetzt hatte ich also immer noch ein Ticket zu viel, dafür aber ein Ebay-Konto zu wenig – nicht mal mehr unsere Mingvasen dürfte ich seither versteigern, sofern wir welche besäßen.

Meine nächste Mail an den HSV war kein Liebesbrief, o nein. „Warum tun Sie das?“, erkundigte ich mich und deklarierte mich wahrheitsgemäß als „ehrlicher Ticketkäufer, den Sie ohne Gegenleistung um 48 Euro bringen wollen“. Heute nun erhielt ich folgende Antwort:

„Sehr geehrter Herr Wagner, eine Verletzung des Urheberrechts erfolgt in der Regel durch Verwendung von urheberrechtlich geschütztem Bildmaterial, wie z. B. eines Stadionplans der AOL Arena. Sofern Ihrerseits keine Verwendung für das besagte Ticket besteht, bieten wir gerne eine Rückgabe gegen eine Stornogebühr von € 2,00 an.“

Wow: Sie nehmen meine Karte also plötzlich doch zurück! Und was für die Zukunft noch wichtiger ist: Nicht die Auktion als solche war offenbar illegal, sondern nur meine Illustration derselben mit dem Stadionplan. Habt ihr das gehört, Schwarzhändler?

Warum man mir dieses entscheidende Detail erst nach zwei Wochen zäher Auseinandersetzungen und dem vorläufigen Ende meiner Ebay-Karriere mitgeteilt hat, das weiß wohl nicht mal Didi Beiersdorfer.

Heute habe ich die Karte zurückgeschickt. Natürlich per Einschreiben.

Nachtrag vom 31.3.2007: Aus! Aus! Das Spiel ist aus! Gestern wurde die Rücküberweisung des HSV auf meinem Konto verbucht.

18 März 2007

Ganz viel Gouda – aber wozu?

Manchem hier missfallen ja meine sonntäglichen Ausflüge zum Penny-Markt an der Reeperbahn, doch auch heute habe ich es wieder getan. Und immer erlebt man was.

Der Mann trägt Siebentagebart und Pferdeschwanz, und er wuchtet nur ein einziges Produkt aufs Kassenband, das aber reichlich: Gouda. Das holländische Exportgut, welches im Alter durchaus zu einem genussreichen Lebensmittel heranzureifen in der Lage ist, was man ihm in der bedrückenden Mittelmäßigkeit seiner jungen Jahre kaum zugetraut hätte, ist abgepackt in etwa halbpfündige Portionen keilförmigen Zuschnitts.

Es sind genau 22 Stück. Ich weiß es deshalb so genau, weil ich hinter ihm stehe und die Kassiererin sie durchzählt. 22 Packungen Gouda. Macht mehr als fünf Kilo.

„Bestimmt“, theoretisiert Ms. Columbo später zu Hause, „gab es die im Sonderangebot, und er friert sie ein.“ Mir hingegen schweben spontan – keine Ahnung warum – sexuelle Verwendungsarten vor, alternativ auch ein Fondue. Wahrscheinlich aber stimmt das alles nicht.

Gegen das Sonderangebot zum Beispiel spricht eine Beobachtung auf dem Heimweg. Ich sehe den Goudamann noch mal am Hamburger Berg, wie er die Käsemasse in den Kofferaum seines Kleinwagens packt. Nummernschild: Winsen an der Luhe.

Das widerlegt Ms. Columbos Theorie: Niemand fährt 40 Kilometer von Winsen an der Luhe nach Hamburg, um auf St. Pauli billigen Gouda zu kaufen. Abgehakt. Einen genauen sexuellen Verwendungszweck für 22 Päckchen Gouda vermag ich allerdings auch nicht anzugeben; selbst eine imaginierte Verflüssigung des Milchproduktes hilft meiner Fantasie nicht entscheidend auf die Sprünge.

Und Fondue? Nein, falscher Käse. Jedenfalls fährt er davon, der bezopfte Siebentagebart, um in Winsen an der Luhe irgendwas zu veranstalten mit ganz viel Gouda.

Der Fall wird ein Rätsel bleiben. Auf ewig.

17 März 2007

Die Totenkopfbluse


Link: sevenload.com

„Berlin Mitte“ heißt jetzt „Maybrit Illner“ – na, hoffentlich bleiben wenigstens die Postleitzahlen gleich. Mit solchen Gedanken radle ich mit A. von St. Pauli aus nach Westen Richtung Fabrik, wo der amerikanische Songwriter Bonnie Prince Billy spielt. Jeder nennt ihn einen Schrat, deshalb tue ich das nicht.

Zumal Billy, der eigentlich Will Oldham heißt, sich nicht als schrullige trübe Tasse, sondern als Witzbold entpuppt, der nach zwei Stunden seine letzte Zugabe, die wir ihm diktatorisch akklamierend abnötigen, mit dem Countryklassiker „On the Road again“ beschließt.

Dann, gegen 12, pesen wir zurück durch die Nacht im Nieselregen, preschen furios durch die Fußgängerzonen und über Bürgersteige, donnern über rote Ampeln, fahren keinen um und landen in der Domschänke, wo die (relativ neue) blonde Bedienung eine Bluse mit lauter Totenköpfen trägt.

„Hübsches Hemd“, lobe ich, während aus der Musikbox Simon & Garfunkels „Scarborough fair“ den melancholischen Glanz vergangener Jahrhunderte heraufbeschwört (und das in Mörderlautstärke). „Danke“, sagt sie und lächelt kein bisschen.

Später, als ich auf dem Weg zur Toilette versehentlich eine Tür öffne, auf der „Privat“ steht, höre ich hinter mir ein schneidendes „Halt!“. Sie ist es, die Blonde mit der Totenkopfbluse, und sie lächelt noch immer nicht. Ich glaube, für die Domschänke, wo sich nach St.Pauli-Spielen die Decke wölbt unterm Druck des hervorplatzenden Adrenalins, ist sie die Bestbesetzung.

Plötzlich ist es halb drei morgens, und meine Trinkkumpane überschütten mich lallend mit Spott, weil ich mich schon trolle – „on the road again“ für höchstens eine Minute, dann parke ich das Rad vorm Haus, und die Nacht nach dem fünften Konzert diese Woche erlischt wie eine Kerze, die man im Sturm auf den Balkon gestellt hat.

15 März 2007

Beim Showcase

Ein Showcase unterscheidet sich grundsätzlich von einem normalen Konzert. Beim Showcase zahlt niemand Eintritt, alle sind eingeladen. Anwesend sind Journalisten, die auf Häppchen und kostenlosen Wein hoffen, sowie Angehörige der zuständigen Plattenfirma.

Wenn die Journalisten genug Häppchen und kostenlosen Wein intus haben, tritt der zu promotende Künstler auf. Der träge Beifall der Journalisten wird übertönt vom enthemmten Juchzen einer homogenen Gruppe, die sich zentral vor der Bühne ballt: Es ist die Belegschaft der Plattenfirma.

Man erkennt sie vor allem daran, dass ihre Mitglieder wippen und klatschen und in rasch wiederkehrenden Intervallen schier epileptisch Begeisterung und Fassungslosigkeit heucheln, weil sie ihrem Chef, der lässig in Jeans und Jacket wippend und klatschend in ihrer Mitte steht, keinen Kündigungsgrund liefern wollen.

Dem Chef glost derweil die Panik im Auge, denn wenn sein Künstler, den er hier verzweifelt vorbildlich bewippt und beklatscht, nicht durchstartet, dann muss er die schon lang beäugte Villa auf Fehmarn abhaken und mindestens 80 Prozent dieser epileptischen Idioten um sich herum feuern.

Ja, man kann sagen: Die Jubelorgie dieser zentral vor der Bühne platzierten Gruppe steht in einem reziprok proportionalen Verhältnis zu ihren wahren Gefühlen – meistens jedenfalls, denn wann hat man schon mal einen Künstler im Portfolio, der dich wirklich zu schier epileptischer Begeisterung zwingt?

Insofern haben es die Journalisten viel leichter. Ihr stilles Sichlaben an Häppchen und Wein ist von großer Aufrichtigkeit, ihr schlaffes Applaudieren kaum minder. Und wenn sie dann heimwärts schlendern über Herbert- und Davidstraße, dank einer Begleiterin am Arm unbelästigt von allen Avancen, vorbei an Pornokinos, über Spielbudenplatz und Reeperbahn, dann stellen sie zufrieden fest: Alles ist an seinem richtigen Platz.

Das Leben ist schön.