26 September 2007

Susi verschmäht Schnittwurst

Als wir uns vorm Ausflug nach Heidelberg frühstückend stärken, betritt ein gelbbrauner Jack-Russell-Terrier den Raum. Er sieht sich um und stellt sich dann vor mich hin. Seine Flanken zittern, wohl bedingt durch seine unübersehbare Betagtheit.

Der Hund schaut mich an. Bettelt er? Wirkt so. Kurz überlege ich, ob der von uns verschmähte Teller mit Schnittwurst ihn interessieren könnte, wage es aber nicht, ihm eine Scheibe hinzuwerfen. Zu resolut nämlich schilderte uns die riesenzähnige Wirtin bisher sämtliche Ge- und Verbote, die in ihrem Gästehaus unter allen Umständen gelten.

Dazu gehören etwa die Modalitäten des Türabschließens, Fensteröffnens sowie Heizungsauf- und -abdrehens. An Hundefütterregeln erinnere ich mich zwar nicht, doch das Risiko, mit der pfälzischen Wuchtbrumme unbedacht in Streit zu geraten, möchte ich nicht eingehen. Zu ungewiss wäre der Ausgang.

Da steht also der Hund und bettelt, und vor mir steht der Wurstteller. Jetzt betritt die Wirtin den Raum. „Susi!“, schnappt sie sofort, „du sollst doch hier net roi!“ Susi also; eine Hündin. Sie duckt sich, weicht aber noch nicht.

„Nix gesche Sie“, wendet sich die Wirtin nun in ruhigerem Tonfall an mich, „awwer de Susi steht off Männer mit wenich Haare.“ Der Hund steht vor mir und starrt mich weiter an. Doch nicht bettelnd, wie ich nun weiß, sondern bewundernd. Ich schaue mildgestimmt zurück.

„Nun“, antworte ich dann der strengen Chefin, „die Vorliebe für Männer mit wenig Haaren teilt die Susi mit meiner Frau.“ Endlich bin ich mal situationsgenau schlagfertig, doch die Wirtin überhört mein Bonmot. Stattdessen führt sie zahlreiche weitere empirische Beispiele für Susis spezielle Neigung an. Dann beginnt sie, das Tier auszuschimpfen.

Susi weiß sofort, was Sache ist und verzieht sich routiniert unter den Nachbartisch. Doch die dralle, pralle Winzerin hat sich plötzlich aus dem Nirgendwo mit einer giftgrünen Fliegenklatsche munitioniert. Das erweitert ihren Aktionsradius enorm, und unter „Raus mit dir, Susi!“-Rufen fuchtelt sie mit der Klatsche unter dem Tisch herum.

Susi gerät in ernsthafte Bedrängnis, ihr bleibt jetzt nur noch die Flucht aus dem Frühstücksraum. Im Weglaufen wirft sie mir einen traurigen Blick zu, der sich zu gleichen Teilen aus Wehmut und Sehnsucht speist – und keineswegs dem Teller mit der Schnittwurst gilt.

Schon eine Nette, die Susi. Werden wir uns jemals wiedersehen?


PS: Das Foto zeigt übrigens den abendlichen Ausblick vom Balkon des geschätzten Bloggerkollegen Joshuatree.

25 September 2007

Das Wort der Woche

Ein rustikales Neustädter Gästehaus mit angeschlossenem Weingut hat viele handfeste und flüssige Vorteile, die ich hier nicht näher aufzählen möchte, doch es hat auch ein entscheidendes Manko: "W-LAN" hält man hier höchstens für den westlichen Teil eines hessischen Flusses, der durch Wetzlar und Gießen fließt.

Zum Glück aber gibt es selbst in Neustadt schon Internetcafés, wenngleich mit überschaubaren Öffnungszeiten. Wenn Ms. Columbo und ich gegen 22.30 Uhr bestens gelaunt eine der höchst gastlichen Pfälzer Speisewirtschaften verlassen, fällt das in der Regel zusammen mit der soeben erfolgten Schließung des Loginlokals.

Abendliches Bloggen fällt also schwer, wie regelmäßige Leser gestern Abend schmerzlich erfahren mussten, und wer mir zurzeit Mails schickt, wird hoffentlich seine bald aufflammende und sehr verständliche Missbilligung ob meines Schweigens mit diesen schwierigen Bedingungen hier vor Ort entschuldigen.

Als ich es vorgestern dennoch während der knapp bemessenen Geschäftszeit ins Webcafé schaffte, durfte ich gar mit meinem eigenen Laptop online gehen. Erstaunlicherweise entpuppte sich das mir offerierte W-LAN aber als gänzlich ungeschützt. Kein Passwort war erforderlich, eine schlichtes OK genügte, um mich einzuloggen.

Dazu freilich wäre es, wie mir bald aufging, gar nicht nötig gewesen, den Laden kostenpflichtig zu betreten. Ich hätte mich einfach davor auf den Gehsteig hocken und lossurfen können, ohne dem naiven Geschäftsinhaber seinen moderaten Halbstundenobolus von einem Euro entrichten zu müssen.

Nicht, dass ich ein derart entehrendes Verhalten einpassen könnte in mein mir selbst oftmals korsettartig vorkommendes ethisch-moralisches Weltbild. Doch man darf ja mal ein wenig sardonisch vor sich hin spinnen.

Mein Laptop ist übrigens trotz alledem zum wichtigsten Reiseutensil geworden. Bei Ms. Columbo ist es hingegen etwas ganz anderes: nämlich ihr Linsenstöpselaufbewahrungsbehälter.

Genau der liefert mir übrigens auch schon jetzt mein Wort der Woche – und nicht das völlig enigmatische „Flurförderzeuge“, das ich illegalerweise im Mercedes-Werk Rastatt fotografieren konnte.

23 September 2007

Vom täglichen Ablecken

In der angeblich ältesten Weinstube Neustadts platziert uns der jederzeit amüsierbereite Wirt aus Platzmangel kurzerhand an einem Tisch, der bereits von zwei Rentnerehepaaren belegt ist.

Wir werden augenblicklich mit großem Hallo in die zechende Gemeinschaft aufgenommen. Als man vernimmt, wir kämen aus Hamburg, wird sofort der Standardspruch aus dem Klischeehandbuch abgerufen: „Ja, dort sind die Nächte lang!“

Sie haben durchaus recht, die Pfälzer Rentner, wie ich aus eigener Erfahrung bestätigen muss; denn jedes Klischee klammert sich ja verzweifelt an die bockige Wahrheit, ohne je abgeschüttelt zu werden.

Mit 71 wäre ich übrigens gern noch so kregel wie die wasserstoffblonde vollübertünchte nette Bonner Schabracke von gegenüber, die ihre Zigarette und schrilllackierten Fingernägel gen Decke reckt und mir in verpfälztem Rheinländisch von den gemeinsamen 49 Neustädter Jahren mit ihrem „ehemaligen Verlobten“ erzählt.

Der, 75, bestätigt die innige Verbindung gerne: „Desweche brauche wir aach kaa Wasser“, erzählt er mit jener explosionsartigen Routine, die auf ein häufiges Zumbestengeben dieses Bonmots verweist, „wir legge uns jede Daach ab!“

Das Doppelpaar versucht uns Pfalznovizen mit vereinten Kräften von den Vorzügen der hiesigen Lebensart zu überzeugen, liefert aber durch seine hedonistische Grundhaltung unbewusst schon genügend Argumente. Ich bestelle Saumagen, um endlich dahinter zu kommen, warum dieses Gericht es ermöglicht, in Deutschland Kanzler zu werden, und ich muss sagen: Es liegt an der Würze.

Sie macht munter, und in Verbindung mit einem trockenen Pfälzer Riesling liefert der Saumagen zuverlässig jene hellwache Pseudobräsigkeit, die dich jede Intrige siegreich überstehen lässt.

Insofern hat Kurt Beck (Pfalz) vielleicht doch noch Chancen, bei der nächsten Wahl die Merkel (Meck-Pomm) abzulösen. Mehr Gründe als der Saumagen fallen mir aber auch zurzeit nicht ein; doch vielleicht reicht das ja schon.

Die vier Rentner verabschieden sich irgendwann, und als ich beim jederzeit amüsierbereiten Wirt mit EC-Karte zahlen möchte, lehnt er bedauernd ab. „Aber Sie können mir ihre Frau dalassen“, schlägt er alternativ vor. „Dann lieber bar“, erwidere ich, „aber ich kann Sie verstehen.“


Ms. Columbo lächelt fein, aber nur wegen des Fünftelliters Weißburgunder, den sie weggezischt hat wie eine geübte Pfälzerin.

Wäre sie stocknüchtern gewesen, hätte sie säuerlich gegrinst. Mindestens.

22 September 2007

Kougelhöpf aus dem Baeckoffe

Baden-Baden atmet geradezu sein New Pop Festival. Alle Bewohner zwischen 8 und 80 haben ein Glänzen in den Augen vor Erleichterung. Denn einmal im Jahr ist das Städtchen mal kein Rentner-, sondern ein Partyparadies.

Sogar die Puppen wollen dabei sein, stürzen sich in die Bistros und mimen dort Gäste – und werden selbst dann vom sanftmütigen Badener Wirt noch geduldet, wenn echte Menschen keinen Platz mehr finden.

Vor lauter Begeisterung hat sogar das Reformhaus bis Mitternacht geöffnet. In der Buchhandlung spricht uns eine Verkäuferin an, deren Namensschild sie als „Frau Rübenkönig“ ausweist, und fragt, ob wir gestern das Konzert im Mercedes-Werk Rastatt gesehen haben. „Ja“, bestätige ich, „doch der Sound war nicht so gut.“ Ihr Beglücktsein wirkt schlagartig leicht eingetrübt, ist aber letztlich nicht torpedierbar.

Alle hier fiebern, feiern und juchzen unverfälscht mit, und während der Festivalkonzerte herrscht grimmigste Entschlossenheit, sich um jeden Preis euphorisieren zu lassen – Mitklatschen schon beim ersten Stück. Ja, der Einheimische ist ausgehungert, und er frisst auch den trockensten Brotkanten, als sei es himmlisches Manna.

In Straßburg hingegen, wo wir vormittags hingezockelt waren, herrscht beschauliche Ruhe. Fachwerk träumt unter blauem Himmel, durchrauscht von Mühlbächen, die zwischen den alterskrummen Wackelhäusern hervorstürzen.

Derweil liegt die ovale Glaskuppel des neuen Bahnhofs da wie ein satter Pottwal, der gemütlich ein antikes Gebäude verdaut. Den historischen Bahnhof nämlich ließen die Straßburger einfach stehen und bauten eine ihn überwölbende Glaskonstruktion drumherum.

Wie in einen Kokon spinnt auch die französische Sprache die überall herumliegenden deutschen Relikte ein. Auf den Klingelschildern tummeln sich noch immer Namen wie „Schreiber“ oder „Einhorn“, doch die Speisekarten der Restaurants offerieren bereits mutierte Formen wie „Kougelhöpf“ oder „Le Baeckoffe“. Aber auch „Nudeln“, die hier wahrscheinlich „Nüdälln“ ausgesprochen werden, was wir jedoch nicht genau wissen, denn wir essen Sauerkraut, genauer gesagt „choucroute“, und zwar mit „Knack“. Womit die Straßburger Würste meinen.

Zurück in Baden-Baden; dort ist seit heute Nacht das Festival vorbei. Die Stadt wird zurücksinken in ihre blitzsaubere Beschaulichkeit, und daran sind wir mitschuld: Denn wir reisen ab.

21 September 2007

Der Lappen ist weg!



„Denkst du daran, deinen Führerschein mitzunehmen?“, hatte Ms. Columbo gestern kurz vor der Abreise noch gesagt. Ich erinnere mich gut, sie mitleidig angeschaut zu haben. „Den Führerschein“, wies ich sie zurecht, „habe ich immer in der Brieftasche. Immer.“ Dann setzten wir uns in den ICE und fuhren wir los.

Heute Abend, während des Konzertes von Zasha Moktan im Theater Baden-Baden (Foto), hole ich zur Sicherheit meine Brieftasche heraus, um mir den Führerschein anzusehen; morgen früh wartet der Mietwagen auf Abholung.

Ich schaue in jedes Fach und finde den Führerschein nicht. Eine etwas hektischere Wiederholung des Prozesses bringt kein anderes Ergebnis.

Nach insgesamt vier vergeblichen Durchwühlversuchen wende ich mich an Ms. Columbo und flüstere: „Ich finde den Führerschein nicht.“ Sie schaut mich mit ihren großen braunen Augen an. „Aber ich habe dich doch gestern noch …“ „Ja“, unterbreche ich sie kraftlos, „aber der war immer da drin. Immer!“

Ich wühle wieder – nichts. Das Problem ist: Praktisch der gesamte Urlaub – ausgenommen Hin- und Rückfahrt mit der Bahn – basiert auf dem Prinzip Mietwagen. Und ohne Führerschein werden sie mir morgen früh bei Avis höchstens ein Kopfschütteln über den Tresen schicken, aber keinen Autoschlüssel.

Wir schweigen beide. Fieberhaft rattere ich Möglichkeiten durch. Kann die Polizei mir einen Ersatzführerschein ausstellen, obwohl ich ihnen nicht mal eine Nummer oder so was nennen kann? Bei der ausgebenden Stelle in Herborn werden sie niemand erreichen, die sind alle im Wochenende – Beamte halt, verdammt.

Nein, nix da: Ich habe es vermasselt, den kompletten Urlaub. Adieu, Elsaß, tschüs, Heidelberg, ade, Siegen (wohin uns der weiteste und wichtigste Ausflug geführt hätte: Besuch beim kranken Vater). Mir steht der Schweiß auf der Stirn, während dort unten Zasha Moktan nichts weiß vom Ablauf des Dramas auf der Empore.

Zwanghaft wühle ich erneut, zum gefühlt fünfzigsten Mal grabe ich fahrig in allen Fächern, selbst in jenen, wo der Führerschein höchstens vierfach gefaltet Platz gefunden hätte.

Und plötzlich – ertaste ich ihn …

Das Luder von Lappen hat sich verzweifelt ans Innenfutter geschmiegt wie Blattgold an einen Bilderrahmen, wie ein neurotisches Kängurujunges in Mamas Beutel, wie Kusch an von Beust.

Urplötzlich ist alles wieder gut. Mein Schweiß trocknet, Ms. Columbo sieht grundlos von weiteren Sanktionen ab.

Schade, dass man ein derart süßes Gefühl der Erleichterung nur damit erkaufen kann, dass man vorher richtig Scheiße baut.

20 September 2007

Nicht nur eine Frage der Menge

Natürlich ist es pipileicht, den unlängst schon mal erwähnten Likör mit dem derben Namen zu missbrauchen.

Die spätnachmittags urgemütliche Kneipe namens Herz von St. Pauli tut das kongenial – zumal jene spezielle Dienstleistung, auf die das abgebildete Schild anspielt, nur hundert Meter entfernt in bunter Vielfalt offeriert wird.

GP und ich, die wir beim Feierabendbier über all das nachsinnen, haben aber auch angesichts der Mengenangabe „2 cl“ angemessen schlüpfrige Gedanken. Ist das nun ein guter Preis, und wie unterscheidet er sich von dem in der Davidstraße?


Wir kommen zu keinem sinnvollen Ergebnis. Erst nachdem ich über den herbstlich tristen Spielbudenplatz (Foto) nach Hause geschlurft bin, gelingt mir nach sorgfältiger Recherche die mathematische Lösung dieser Frage.

Sie sieht so aus: Während man im Herzen von St. Pauli 2 Euro hinlegen muss und dafür 2 cl bekommt, fordern die netten Damen da drüben für die Entsorgung von 2 ml (also eines Zehntels dieser Menge!) ungefähr den 30-fachen Betrag.

Im einen Fall erhält man also etwas, im anderen gibt man etwas her – und blecht trotzdem 300-mal so viel. Das ist doch nicht gerecht.

Wer jetzt vermutet, es läge am hirnerweichenden Einfluss des Kiez’, dass ich solch bekloppte Sachen nicht nur im Stillen durchdenke, sondern auch verblogge – der liegt wahrscheinlich völlig richtig.

(Diese Argumentationstechnik nennt man übrigens Immunisierung.)

19 September 2007

Was Kohl mit Blutwurst zu tun hat



Neulich fiel mir eine 30 Jahre alte Ausgabe von Konkret in die Hände.

Ich stöberte amüsiert darin herum, seufzte nostalgisch und stieß gegen Heftende auf eine Reportage. Sie berichtete in recht überheblichem Ton von einer Tagung, auf der auch der damalige CDU-Kanzlerkandidat Helmut Kohl sich den Magen vollschlug.

Die hämische und im Rückblick so lachhaft falsche Prognose des Autors – Kohl schaffte später traumatisierende 16 Jahre Regentschaft – hat etwas Tröstliches und zugleich Beunruhigendes.

Sie zeigt: Niemand stehen Wesen und Schicksal dechiffrierbar im Gesicht geschrieben, seien es nun Kanzler, Serienkiller – oder Hexenazubis.



Ja, frau kann sich wirklich zur Hexe ausbilden lassen, wie ich erstaunt einem Aushang in der Marktstraße entnehmen darf. Es wird Kräuterkunde gelehrt und der Umgang mit Räucherwerk, im Mittelpunkt freilich stehen Magie und Rituale.

Die Pointe aber lauert am Ende der Seite, und dafür liebe ich die Hexenausbilderin sogar ein wenig: „Garantiert ohne Esoterik“ steht da. Haha.

Das klingt wie Blutwurst ohne Blut, Wasser ohne Nass, Kohl ohne Kanzlerschaft oder Schäuble ohne Lust auf Verfassungsbruch.

Womit wir wieder mal einen schier unmöglichen Bogen geschlagen haben. Aber mich stört’s ja nicht.

Ein feuchter Eckenpinklertraum

Als ich heute auf eine CD stieß, die der Praktikant in der Datenbank als „mongolisches Obertonjodeln“ kategorisiert hatte, wusste ich: Ich brauche Urlaub. Dringend.

Zum Glück geht es übermorgen los. Weg, nichts wie weg, nach Süden, wenn auch nur den Süden Deutschlands. Doch noch ist es nicht so weit, und ich sitze abends einsam im Kiezbeach auf der Reeperbahn, weil meine Verabredung A. absagt. Er muss „länger arbeiten“. Klassiker.

Dann verliert auch noch der SV Werder Bremen in Madrid, vom Nebentisch weht zusammenhanglos der Satz „Ich bin kein Linker, aber ich mag diese Musik“ herüber, und ich schlurfe alsbald mäßig begeistert um die Ecke nach Hause.

Dort lässt mir ein kurzer TV-Check den Atem stocken. Auf DSF sind sie offenbar wild erpicht, das 9Live-Niveau zu pulverisieren. Eine der DSF-Abzockshows ist nämlich in der Rolle der Erwartungsmoderatorin besetzt mit einer umgerechnet zwei Cent billigen Blondine, die sie in der Davidstraße glatt zum Teufel jagen würden – derart nuttig in einem rosa Bikini herumhängende Brüste zur lila Lackhose gingen selbst auf den Strich nicht durch, niemals.

Doch es wird noch schlimmer: Diese Karikatur eines feuchten Eckenpinklertraums ist schwer erkältet. Sie krächzt vor sich hin. Sie muss ständig husten. Und man fragt sich automatisch und bang: Wohin soll das alles noch führen? Zu Leprakranken, die uns ihr Schamlippenpiercing entgegenstrecken, während sie hirntote Quizfragen vor sich hinbrabbeln und ein paar Kröten ausloben, die allenfalls in einem Paralleluniversum ausgezahlt werden?

Mit diesen Gedanken lege ich mich schlafen und hoffe wider besseres Wissen auf angenehme Träume. Halleluja.

17 September 2007

Uriniert und ruiniert

Neulich erst hatte ich mir vorgenommen, über die einzigartig ruinierte rückseitige Fassade des Imperialtheaters in der Seilerstraße zu bloggen. Sie stellt einen Anziehungspunkt dar für herumtorkelnde Kiezbesucher, die den dort festgebackenen Taubendreck mit selbstproduzierten Körperflüssigkeiten in einen mörtelartigen Schmier verwandeln. Mit diesem Stoff könnte man B-Waffen produzieren. 

Außerdem hatte ich vor, aus dieser bedauerlichen Tatsache das dringend erforderliche Tünchen der gepeinigten Theaterwand zu folgern – doch jetzt ist der ganze fürchterliche Dreck plötzlich wirklich übertüncht und damit auch die Blogidee. 

Alles geht auf dem Kiez eben schnell. Du guckst einmal nicht hin, und schon steht da ein neues Hochhaus, eine urinierte Fassade ist frisch getüncht oder deine Stammkneipe eine Straße weitergezogen – wie vor einiger Zeit das Komet. Immerhin liegt der Laden weiterhin immens zentral, wie ich am Wochenende dem Tresenglobus entnehmen konnte. Die vor sich hin glühende Weltkugel hat nämlich ausschließlich Hamburg zum Thema; die Rückseite der Reeperbahn und somit auch das Komet liegen leicht südlich des Äquators (Klick aufs Fotos macht es groß)

Wenn wenigstens auch das Wetter sich an die geografischen Vorgaben des Kometglobus hielte. Doch dieses stundenlange Sprühen, das uns ein zynischer Spätsommer heute statt eines ordentlichen Wolkenbruchs anbieten zu müssen glaubte, dachte gar nicht daran. Wenigstens senkt das feuchte Fusseln auch die Quote herumtorkelnder Kiezbesucher. 

Vielleicht kommt mir das aber auch nur so vor, weil Montag ist – die Leute liegen einfach alle noch im Koma.

16 September 2007

Die verhinderten Groupies

Gestern Nacht im Molotow standen Dr. K. und ich mitten unter Menschen, die rund 20 bis 30 Jahre jünger waren als wir und enthemmt Leuchtringe schwenkten. Grund war eine australische Teenieband namens Operator Please.

Angeblich wird sie mit ihrem Mix aus Ska, Wave und Rock das nächste dicke Ding; Sängerin Amandah Wilkinson (m.) mit ihren geschätzten hundert Kilo Lebendgewicht ist das sogar jetzt schon.

Heute Morgen dann kommen Dr. K. und ich vom Brötchenholen und sehen die von der Kieznacht ermattete Band vorm Monopol-Hotel in der Sonne sitzen und aufs Frühstück warten.

„Wir sollten anfangen zu kreischen“, flüstere ich Dr. K. zu, „zum Beispiel: Waaaaah! Operator Please – I CAN'T BELIEVE IT!!!! Anschließend sollten wir auf die Knie fallen mit den Worten: OH, MY GOD!!!“, führe ich weiter aus, „danach die T-Shirts hochziehen und uns von allen fünf Bandmitgliedern die Brust mit einem Edding signieren lassen.“

Wir sind uns einig: Operator Please würden richtig dumm gucken, wenn zwei komische Typen von Mitte 40 jetzt und hier eine verzerrte Version der guten, alten Groupienummer durchzögen.

Doch wir trauen uns nicht. Und nicht nur, weil Ms. Columbo zu Hause auf die Brunchbrötchen wartet.

PS: Heute feierte dieses Blog übrigens den zweiten Geburtstag. Doch ich ersticke ehrlich gesagt noch nicht in Geschenken. Seufz.

15 September 2007

Matt im Lomi-Lomi-Land



Gemüsehändler Thorsten erweckt nicht gerade den Eindruck, als besuchte er abends nach dem Pastinakenverpacken noch Bachblütenkurse oder forschte intensiv nach seinem Wurzelchakra.

Es ist also eher der Gutmütigkeit dieses sympathischen St. Paulianers zu danken, dass bei ihm am schwarzen Brett alle möglichen Angebote esoterischer Natur hängen dürfen – und nicht umstandslos und zu recht dort landen, wo auch verschimmelte Avocados im (seltenen) Bedarfsfall ihre letzte Ruhe finden.

Während ich mich in der Warteschlange auf den freitäglichen Raukekauf vorbereite, gewahre ich daher u. a. ein schriftlich hinterlassenes Angebot zur „Aus- und Weiter Bildung zum Lomi Lomi Nui Practitioner“. Wer jetzt stirnrunzelnd stutzt, muss sich Ignoranz vorwerfen lassen; denn dabei handelt es sich natürlich um eine spezifische Ausprägung der berühmten hawaiianischen Tempelmassage. Dämmert’s jetzt?

Für günstige 400 Euro (drei Wochenblöcke à 40 Stunden) ermöglicht es der Kurs jedem Teilnehmer, sich hinfort selbst seinen Lebensunterhalt als „Traditioneller Hawaiianischer Lomi Lomi Nui Körperarbeit Practitioner“ verdienen zu können, zertifiziert natürlich.

Noch während ich die Vor- und Nachteile dieser Ausbildung abwäge (immerhin ist auch Persönlichkeitsentwicklung wesentlicher Bestandteil, und daran gebricht es mir noch immer erheblich), fällt mein Blick auf das konkurrierende Kursangebot einer gewissen Ruth Arens (rechts).

Die recht männlich wirkende Bubikopfasketin bietet nichts weniger als Wildgans-Qigong. Nein, nicht etwa nur Kranich-Qigong, Lungen-Qigong oder Stilles Qigong. Sondern Wildgans-Qigong, und da sind alle anderen Qigongs auch mit drin.

Doch was macht das denn eigentlich, das Wildgans-Qigong?, frage ich mich im Stillen interessiert. Und entnehme dem Prospekt Verheißungsvolles, während ich in der Schlange zentimeterweise vorrücke Richtung Raukekauf. Wildgans-Qigong nämlich entspannt und dehnt den gesamten Körper; wobei beides für manchen Körperteil nicht immer zum optimalen Gebrauch führt, aber das ist eine ganz andere Geschichte.

Zudem verspricht die Arens eine dank Wildgans-Qigong auch noch verbesserte Verdauung und Sehfähigkeit. Noch beim Raukekauf wird mir klar: Nach Absolvation dieses Kurses könnte ich besser kucken und kacken.

Und dagegen ist ja nun wirklich überhaupt nichts zu sagen.

14 September 2007

Der nette Vandale und die noch nettere Noack


Link: sevenload.com

Eingedenk dessen, was meinem Rad schon alles angetan wurde auf dem Kiez, war die Herangehensweise dieses Unbekannten geradezu soft. Er muss die Schutzkappen beider Reifen aufgedreht, die Ventile entnommen und anschließend solange gewartet haben, bis die Luft zur Gänze entwichen war.

Dann setzte er die Ventile wieder fachmännisch ein, schraubte beide Gummikappen drauf und ging seines Weges; in meiner Fantasie tat er das zufrieden pfeifend und mit sich im Reinen. Schikane light. Irgendwie ein netter Vandale, in meiner Fantasie. Außerdem bringt so eine erzwungene Aufpumpaktion am Morgen den Kreislauf auf Touren. Alles gut also.


Abends in Ottensen aber nicht. Ich sah im Vorbeifahren, wie ein Mann vor einem Dixieklo stand und dagegen pinkelte. Ich wiederhole: Er war nicht hineingegangen, sondern er stand davor, hatte alles ausgepackt, was auszupacken war, und pinkelte dagegen. Genauer gesagt: gegen die Tür. Manchmal schäme ich mich, zu dieser Hälfte der Menschheit zu gehören.

Das war allerdings längst wieder vergessen, als GP und ich in der Hasenschaukel einfielen, um mit rund zehn weiteren Gästen das Konzert der Berliner Sängerin Julia A. Noack zu genießen. Ich ließ die Kamera ein wenig mitlaufen, und wenn man mich schonen und es positiv ausdrücken möchte, geschah das im Stil des film noir.

Nach diesem Clip nämlich kann Frau Noack garantiert weiter unerkannt durch St. Pauli laufen; sie ist so gut wie nicht zu sehen, selbst ihre umstrittenen Schuhe nicht.

Doch das Schummerlicht, der flimmernde Kaminersatz hinter ihr, das Lagerfeuerhafte der ganzen Situation: All das passt perfekt zum Song „Leave the door ajar“, den sie hier in klassischer Folkmanier zupft. Danach setzte sie sich zu uns und wir – wie heißt das so schön? – hingen gemeinsam ab bis fast halb zwei.

Sogar GP, der eigentlich auf Cowpunk und so was steht, kaufte ihr ein Album ab, trotz der Schuhe. Feiner Kerl, irgendwie.

11 September 2007

Mein erstes und letztes Interview mit Joe Zawinul

Joe Zawinul, legendärer Wiener Jazzer und einer der bedeutendsten Musiker unserer Zeit, ist heute morgen mit 75 gestorben. Vor zwei Jahren sprach ich für die Zeitschrift kulturnews mit dem Meister aller Tastenklassen. Von Malibu aus erklärte mir Zawinul das Geheimnis seines Stils. Eine Neuauflage als Nachruf – bye, bye, Joe. 

Matt: Herr Zawinul, Sie leben im kalifornischen Malibu, also unter der Fuchtel Ihres Landsmanns Arnold Schwarzenegger. 
Zawinul: Nein, nicht wirklich. Es ist okay hier. 
Matt: Ihre Kompositionen gelten als saukompliziert. Wie biegen Sie einem Musiker eigentlich bei, dass er nicht gut genug ist – brutal oder schonend? 
Zawinul: Wenn er nicht gut genug wäre, wäre er überhaupt nicht in der Band. Jeder, der in meine Band kommt, ist gut genug. 
Matt: Muss er bei Ihnen vorspielen? 
Zawinul: Nicht in der normalen Weise. Man hört herum, man sieht Leute, wie sie auf der Bühne stehen. Es sind nicht nur die Noten allein, die wichtig sind. 
Matt: Haben Sie jemals vorgespielt? 
Zawinul: Sure. Freilich. 
Matt: Und: Sind Sie dabei mal durchgefallen? 
Zawinul: Nein. 
Matt: Der Jazz scheint in den letzten Jahrzehnten immer grooveorientierter zu werden, ihrer ja auch. 
Zawinul: Meine Musik war vom Tag 1 an immer grooveorientiert. Immer. Als ich Volksmusik gespielt habe genauso wie jetzt. Nie ein Unterschied. 
Matt: In den letzten Jahren kommen die Grooves häufig aus der Club- und Tanzmusik … 
Zawinul: In meiner Musik? 
Matt: Im Jazz allgemein. 
Zawinul: Well, I don’t know. Ich bin kein Jazzhörer. Und auch kein Musikhörer im Allgemeinen. 
Matt: Wie bitte: Sie sind kein Jazzhörer …? 
Zawinul: Nein. 
MattWas hören Sie denn dann? 
Zawinul: Überhaupt nix. 
Matt: Warum das nicht? 
Zawinul: Ich höre meine eigene Musik, während ich’s mache. Ich habe keine Zeit in meinem Gehirn dafür. Die beste Musik ist keine Musik. 
Matt: Woher kommt dann die Inspiration? Normalerweise setzt man sich doch auseinander mit anderen Künstlern. 
Zawinul: Meine Inspiration kommt vom Sound. Ich weiß, wie man einen Sound kriegt, auf allen Instrumenten. Wenn ich einen Sound habe, dann habe ich Musik. Ich brauche keine andere Inspiration, verstehen Sie? 
Matt: Haben Sie denn noch nie intensiv Musik anderer Künstler gehört? 
Zawinul: Ich habe es so viele Jahre getan – und dann an einem Tag total damit aufgehört. Und ich bin nie wieder dazu zurückgekommen. 
Matt: War das so, als ob man das Rauchen einstellt? 
Zawinul: Das war überhaupt keine schwierige Entscheidung für mich. Ich habe so viele Stücke selbst gemacht, manchmal 20 am Tag. Da blieb kein Raum mehr im Gehirn. 
Matt: Ein Stück auf ihrer neuen Platte heißt „Rooftops of Vienna“, und es klingt so übersprudelnd lebendig und hektisch, dass ich nicht gerade das beschauliche Wien vorm inneren Auge habe. 
Zawinul: Es hat keine Hektik, es ist relativ relaxt, fast wie eine Ballade. Wenn der Zuhörer hektisch ist, klingt alles hektisch. Wenn Sie sich ruhig hinsetzen, ist es eines der relaxesten Stücke überhaupt. Es ist riesig schnell und hat viel Feuer, aber im Grunde genommen ist es unheimlich relaxt. 
Matt: Wie kann das sein, wenn ein Stück so viele Beats pro Minute hat? 
Zawinul: Yeah, es kommt drauf an, welchen space man vor sich hat, verstehen Sie? 
Matt: Leider nein … 
Zawinul: Wenn ich zum Beispiel ein Flugzeug am offenen Himmel vorbeifliegen sehe, hat es eine andere Geschwindigkeit, als würde ich es vorm Fenster vorbeifliegen sehen. Dasselbe in der Musik: Wie ich phrasiere, das hat unheimlich viel space. Natürlich: Wenn man sich nur an die Taktzahl hält, hört man es schneller. 
Matt: Gut, ich werde versuchen … 
Zawinul: Brauchen’s gar net versuchen! Nur entspannt Schultern runter und an eine Ballade denken. Das Tempo ist one … two … three … four
Matt: Ein interessanter Einblick in meine Wahrnehmung des Stückes und … 
Zawinul: … in die Wahrnehmung des space im Allgemeinen! Ich wohne ja hier auf einem großen rock, und vor mir das Meer. Ich sehe nix wie das Meer. Und das ist natürlich ein riesiger space

(Foto: ESC)


10 September 2007

Douglas Adams’ späte Rache

W., dem ich versprochen habe, ihn niemals in diesem Blog zu erwähnen, lenkte meine Aufmerksamkeit auf eine schöne Veranstaltung, ohne selbst daran teilnehmen zu wollen: einen Barkassenausflug auf der Frau Hedi durch den Hafen zu Countrymusik und Bier, mit DJ Chief Brody und der Liveband Oklahoma Ranch. Pro Törn acht Euro, stündlich Zustieg an Brücke 10.

Also rief ich A. an, und der war gleich begeistert, obgleich ihn Country kaum, das Schippern durch die Fleete aber umso mehr reizte. Doch der Abend schien zu Ende, noch bevor er begonnen hatte. Denn als wir um neun Uhr an Brücke 10 die Barkasse auf uns zutuckern sahen, rief uns ein hagerer Mensch mit Dreispitz auf dem Kopf schon vom Boot aus zu: „Das war die letzte Fahrt, zu wenig Leute!“ Also kein „Lost highway“ auf der Elbe – Schiet.

Wir enterten das Schiffchen trotzdem, auf ein Bier. Plötzlich aber legte es ansagelos doch ab. Wir strahlten, und A. holte zur Feier der Fahrt die nächsten zwei Bier. Der Mann mit dem Dreispitz erklärte die überraschende Weiterfahrt mit der Generosität der Band, die spontan auf ihre Abendgage verzichtet hatte.

Das war sehr honorig von Oklahoma Ranch, obgleich ihr außergewöhnlich mäßiger Auftritt, der bald darauf folgte, auch kaum mehr als keine Gage wert gewesen wäre. Doch die Darbietungen schimmerten im sanften Licht ihrer Mildtätigkeit, und wir beklatschten sie ausgesucht höflich.

Wieder an Land verschlug es uns ins Komet zur Veranstaltung „Top oder Flop“, wo normalerweise Schallplatten, heute aber VHS-Cassetten zur Versteigerung ausgelobt wurden. Wenn niemand bot, wurde der arme Tropf von Film mit einem Hammer zerstört und in die Runde geworfen. Ein großer Spaß. Man darf nur nicht im Wurfradius sitzen, denn auch eine kaputte Videocassette entwickelt beträchtliche kinetische Energie.

Doch in dieser Nacht wurden nur wenige Tapes zerstört; selbst letztklassiger Trash wie der sehr blutige Berliner Untergrundfilm „Operation Unterarm“ fand für 50 Cent oder so seinen Käufer – obwohl gerade dieser Steifen dermaßen no budget war, dass die Macher notgeboren auf Spezialeffekte verzichtet hatten und dem Bereitsteller des im Titel erwähnten Unterarms kurzerhand eine echte Nadel quer durchs Fleisch stachen.

Von diesem Film nahm ich vorsorglich Abstand, zumal ich die Durchstechszene (Foto) ja jetzt schon gesehen hatte. Dafür ersteigerte ich nach einem sehr harten Bietduell mit dem Wirt beide Tapes der englischen TV-Verfilmung von Douglas Adams „Per Anhalter durch die Galaxis“ – und beglich so eine Schuld, die mich exakt seit dem 5. Mai 2001 latent drückte.

An jenem verfluchten Samstag nämlich war mir auf dem Flohmarkt am Schlachthof die gleiche VHS-Edition für 15 Mark zu teuer erschienen, und ich hatte von einem Kauf abgesehen. Nur eine Woche später, am 11. Mai 2001, starb Douglas Adams, wahrscheinlich an gebrochenem Herzen, wofür niemand anderes verantwortlich war als ich elender Geizhals.

Nun also konnte ich, mehr als sechs Jahre später im Komet, diese Schuld endlich begleichen – für 8,50 Euro, was umgerechnet 16,62 Mark entspricht, also sogar mehr als damals.

Wenig später übersah ich auf dem Weg zur Toilette eine geschickt versteckte Stufe und verstauchte mir zurecht böse den linken Knöchel, der sich nunmehr seit Tagen im lähmend langsamen Abschwellen übt.

Wenn man alles zusammennimmt – Adams’ Abgang, sechs Jahre schlechtes Gewissen, eine schlechte Countryband, ein verstauchter Knöchel –, dann bin ich insgesamt noch sehr glimpflich davongekommen.


Sofern nichts mehr nachkommt natürlich.

09 September 2007

Osama schwarz, Eva braun?

Bei Exkanzler Gerhard Schröder käme es mir nicht komisch vor, wenn er sich die Haare färbte, bei Osama bin Laden schon. Denn bisher schien schnöde Eitelkeit nicht gerade das hervorstechendste Laster islamistischer Terrorfürsten zu sein.

Doch was sonst sollte der Grund sein für Osamas schicke neue Bartfarbe (Foto: stern.de/AFP)? Ein spontan wiederaufflammendes Nachdunkeln längst ergrauter Haare ist jedenfalls in der Menschheitsgeschichte noch nicht vorgekommen.

Osama half also nach, und dies tat der verdiente Hassprediger konsequent monochrom, er verzichtete sogar auf blonde Strähnchen. Vielleicht wird er auch neuerdings einfach jünger statt älter, was George W. Bush endgültig in den Wahnsinn treiben dürfte.

Parallel zu Osamas Schönfärberei scheint auch eine blonde, blauäugige Ex-Nachrichtensprecherin endlich Farbe bekannt zu haben. Doch wie braun ist Eva wirklich? Zur Klärung dieser Frage liefert Ix interessante Argumentationshilfen.

Übrigens ist an Hermans Buch „Das Prinzip Arche Noah“ vieles sehr schlecht, zum Beispiel seine Autorin. Aber einiges auch sehr gut, zum Beispiel die Wertschätzung des Harems.

Findet bestimmt auch Osama.

Schleusen auf, Schleusen zu

Kachelmanns Wetterseite entnahm ich gestern Abend die Niederschlagsprognose fürs samstägliche Hamburg: null Millimeter. Dann sah ich heute Morgen die Wolkendecke. Sie schien mir kein gutes Omen für einen tollen Flohmarkttag zu sein.

Das Wolkenorakel lag richtig, nicht nur metorologisch: Schon auf dem Weg zu Andreas kippten mir alle drei Kisten von der Sackkarre. CDs, DVDs, Bücher: Alles ergoss sich auf die Rendsburger Straße. Immerhin war es da noch trocken, was sich allerdings bald nach dem Aufbau unseres Standes am Paulinenplatz änderte.

In den folgenden Stunden übte sich das Wetter in einer Art Powerpointpräsentation seiner vielfältigen Möglichkeiten. Vor allem zwei dominierten: Schleusen auf, Schleusen zu. Analog dazu hieß es am Stand: Planen rauf, Planen runter. Stundenlang.

Entsprechend waren die Umsätze. Den struppigen Klammerhasen, den Andreas an einen Pfosten in der Nähe geflanscht hatte, wollte nicht mal jemand klauen. Gegen vier Uhr packte ich frustriert meine drei Kisten auf die Sackkarre, kippte ihren Inhalt diesmal auf die Clemens-Schultz-Straße (die natürlich nicht mehr trocken war), mühte mich nach Hause und wuchtete alles in die Wohnung, diesmal unfallfrei.

Sofort klarte es draußen nachhaltigst auf.

Um mich selbst zu kasteien, besuchte ich erneut Kachelmanns Wetterseite. Die beharrte weiterhin auf null Millimeter Niederschlag, und inzwischen war das ja auch völlig korrekt, die Giebel der rückwärtigen Reeperbahnhäuser erstrahlten im güldnen Abendlicht. Ich hatte vorher nicht einmal geahnt, wie hämisch und persönlich beleidigend unser Zentralgestirn scheinen kann.

Na, mal sehen, wann meine Platten wieder trocken sind.

07 September 2007

Blut im Ohr

Jeden Tag passiert irgendetwas Interessantes, und wenn du es aufschreibst und ins Netz stellst, bist du ein Blogger. So einfach ist das. Und wenn mal partout nichts Interessantes passiert, thematisierst du es in deinem Blog, und ein weiterer Tag ist abgehakt.

Manchmal aber reicht schon ein zufällig belauschter, aus jeglichem Zusammenhang gerissener Gesprächsfetzen, um nicht auf die bloße Erörterung von Ereignislosigkeit zurückgreifen zu müssen.

Heute zum Beispiel begegnete ich einem mittelalten Paar. Es verließ vor mir das Bürogebäude ganz in der Nähe der fotografierten Ampel, und er sagte zu ihr: „Geh bitte auf meiner rechten Seite. Ich habe links noch Blut im Ohr.“

Ihre Antwort verstand ich schon nicht mehr, doch sein Satz hallte lange in mir nach. „Ich habe links noch Blut im Ohr.“ Wahrscheinlich gibt es Schriftsteller, deren innere Assoziationsmaschine sofort explosionsartig eine ganze komplexe Story, eine Lebens-, Liebes- oder Krimigeschichte herunterratterte, nur wegen dieses einen Satzes.

Bei mir ist das anders: Der Satz „Ich habe links noch Blut im Ohr.“ gibt mir schlicht mehr zu denken, als mir lieb ist. Und das reicht auch für einen Blogeintrag.

05 September 2007

Eine Definition von Einsamkeit

Das vergebliche Klingeln eines Handys, das gedämpft durch die verschlossene Tür eines Spindes dringt.

Es verstärkt die Tristesse erheblich, wenn sein abwesender Besitzer sich die Mühe gemacht hat, einen polyphonen Klingelton zu installieren.

Erst das Fressen, dann die Moral

Man sollte nach einem langen Bürotag nie hungrig zu einer Veranstaltung gehen, bei der die Methode der Futterversorgung im Ungewissen liegt. Diese existenzielle Erkenntnis reifte in langen Hamburger Jahren heran zur Statur eines Axioms. Umso unverständlicher, wieso sie mir immer mal wieder entfällt.

Zur CD-Veröffentlichungsparty in der psychedelisch bunten Kantine des Spiegel jedenfalls erscheinen wir fatalerweise ohne kulinarische Absicherung. Ein Fehler, ein schwerer. Denn schon wenige Minuten nach unserer Ankunft ereilt uns düstere Kunde: Der Spiegel serviert ein „Flying Buffet“.

Das ist die Höchststrafe. „Ich hätte mir zu Hause noch ein paar Oliven reinziehen sollen“, zische ich kraftlos Ms. Columbo zu. Denn ein „Flying Buffet“ bedeutet vor allem eins: Das Essen ist immer gerade da, wo wir nicht sind. Wenn man Glück hat, kann man Sichtkontakt herstellen, mehr auch nicht.

Manchmal flattert es federleicht vorüber, erwägt aber nicht mal im Traum einen Zwischenstopp an unserem Tisch. Nein, ein „Flying Buffet“ funktioniert nur, wenn die Gäste schon vorgesättigt oder mit gesunder Brutalität im Nahkampf ausgestattet sind. Beides trifft auf Ms. Columbo und mich nur sehr partiell zu, eigentlich gar nicht.

Um die Zeit zu überbrücken, bis eventuell doch eins dieser flüchtigen Tabletts mit Lachstatar, thailändischer Kokossuppe oder Basmatireis an Rindfleischstreifen in Greifweite vorüberschwebt, bephilosophiere ich Ms. Columbo mit schwachbrüstigen Theorien.

Zum Beispiel mit jener über den mäßigenden Einfluss der Zivilisation auf die animalisch-vulkanische Kraft der Triebe, die es uns als einziger Spezies hienieden ermögliche, selbst bei akutem Hunger dem darbenden Mitmenschen einen Bissen abzugeben – sofern wir selbst überhaupt einen Bissen haben natürlich, aber da ist das „Flying Buffet“ ja vor.

Als alter Dialektiker streife ich natürlich pflichtgemäß auch Brechts brachialen Balladenvers „Erst kommt das Fressen, dann kommt die Moral“, um auch die bei einer Verschärfung der Situation progressiv zunehmende Anfälligkeit der gepriesenen Triebzügelung nicht unerwähnt zu lassen.

Während unserer wenig engagierten und gedanklich immer wieder in Richtung Lachstatar abschweifenden Diskussion flackert mein Blick unruhig durch den Raum. Ich sehe viele zufrieden möfelnde Partygäste, die sicht- und hörbar an der Qualität der thailändischen Kokossuppe wenig auszusetzen haben.

Ich werde immer schwächer. Ms. Columbo überbrückt mit Mineralwasser, ich halte mich an den nahrhafteren Orangensaft – und urplötzlich, wie aus dem Schlaraffenland herbeigebeamt, steht ein Engel vor uns. Er ist weiblich, er lächelt, und er balanciert auf anmutigste Weise ein vieltelleriges Tablett. Wir entscheiden uns unisono für den Lachs, und von da an beginnt der Abend zu flutschen.

Der Engel vergisst uns hinfort nicht mehr, ja, er bekommt sogar Verstärkung. Kein Gang entgeht uns, das „Flying Buffet“ als Prinzip verliert nach und nach seinen Schrecken – bis zum nächsten Mal, an dem wir nach einem langen Bürotag hungrig zu einer Veranstaltung gehen, bei der die Methode der Futterversorgung im Ungewissen liegt.

Brecht jedenfalls war schon ein Guter, aber echt.

04 September 2007

Bye, bye, Poodle!

Ach, es ist ein Jammer, es ist zum Schlaghosenkürzen und Maultaschenzermatschen: Poodle hört auf zu bloggen!

Für mich ist das ganz besonders schmerzlich, weil der gebenedeite Stuttgarter damals, im Sommer 2005, die Initialzündung meines eigenen Bloggens lieferte. Ich hätte nicht übel Lust, aus lauter Protest selber aufzuhören, so.

Doch das geht nicht. Denn noch während des Trauerns heißt es die Fackel weitertragen, die der hadernde und zeternde Schwabe dereinst so strahlend hell entzündete. Doch ob mir je solche Sätze gelingen werden wie dieser, ist nicht nur höchst fraglich, sondern geradezu unwahrscheinlich:

„Ich selbst bekomme zwar von Haus nur an hohen Feiertagen einen Ständer, aber falls ich dabei an Heidi Klum denke, klappt es selbst dann nicht.“

Ja, das war Poodle, wie er leibte und bebte, und zwar einfach mal so nebenbei, nicht mal im Haupteintrag, sondern lässig aus der Hüfte geschossen im Kommentar zu einem seiner zeitlosen Texte.

Ja, Poodle war die Sonne, um die wir alle kreisen, sofern uns das Schicksal nicht ein Dasein als A-Blogger bescherte, und nun bleibt uns nur noch der Google-Cache, doch der sei dafür gelobt, gepudert, gepimpert und gepriesen. Amen.

02 September 2007

Keine alte Kuh

Für die Zeitschrift U_mag habe ich mich neulich mit der Frankfurter Rapperin Sabrina Setlur gestritten, während ihr Hund darauf bestand, von mir gekrault zu werden. Hier gibt’s einen kurzen Ausschnitt des Interviews mit der Kodderschnauze. Wer es komplett lesen will, muss schon an den Kiosk gehen, tja. Kostet aber nur zwei Euro. (Nein, mein Verleger hat mich NICHT zu diesem Beitrag gezwungen.)

Matt: Sabrina, ich möchte mich mit dir kabbeln.
Sabrina Setlur: Hmmhm … Dein gutes Recht.
Matt: Dein Album heißt ja auch „Rot“, immerhin die Farbe des Streits.
Setlur: Nicht nur! Rot ist auch die Farbe der Leidenschaft, der Liebe, der Intensität. Alarm, Hitze.
Matt: Kannst du dich daran erinnern, dass wir uns schon mal getroffen haben?
Setlur: Dunkel.
Matt: Das war 1997 – und eins der blödesten Interviews, die ich je hatte.
Setlur: Warum?
Matt: Du saßt wortkarg da, hast Kaugummi gekaut, MTV geguckt, und die meisten Fragen beantwortete dein Begleiter.
Setlur: Damals haben sich verschiedene Leute unheimlich verantwortlich gefühlt; daher diese Situation. Von mir war sie bestimmt nicht gewollt. Wenn ich wortkarg werden sollte, müsste ich schon eine Kieferoperation hinter mir haben.
Matt: Beim Rappen wäre das hinderlich.
Setlur: Rap hat nichts damit zu tun, wie man im Privaten redet. Ich rappe ja nicht den ganzen Tag. Ich sprech ja ganz normal mit dir.
Matt: Klingt so, ja.
Setlur: Glaub mir, ich spreche auf jeden Fall nicht in 135 bpm mit dir, wie auf dem Album.
Matt: Zumindest möchte ich darum bitten.
Setlur: Werden wir sehen. Wenn du dich artig benimmst.
Matt: Hast du die Texte deines Albums „Rot“ selber geschrieben?
Setlur: Zusammen mit Moses Pelham.
Matt: Hmm …
Setlur: Wir waren beide wirklich auf diesem Flash.
Matt: Du behandelst auf „Rot“ die klassischen Rap-Themen. Klingt alles immer noch teenagerhaft, aber du bist jetzt 33.
Setlur: Na und?
Matt: Wie lange kannst du das noch machen?
Setlur: Erstens: Das ist das Leben. Zweitens: Wie sollte sich denn eine 33-Jährige benehmen?
Matt: Sag du’s mir. Aber Partys feiern, immer wieder Beziehungen beenden …
Setlur: „Immer wieder“? Siehst du, du pauschalisierst!
Matt: … nachzutreten …
Setlur: Nee, das stimmt so nicht! Natürlich gibt es auf meiner Platte Balladen, die sich damit beschäftigen, dass eine Beziehung nicht klappt – aber ganz ruhig: Das ist überhaupt nichts Negatives! Und wenn wir von Partyliedern reden, dann geht es um das Gefühl des Zusammenseins, des Lebensbejahens – einfach der Freude. Das sind auch wieder so Klischees. Du hörst was und sagst: buff, buff, buff …!
Matt: Deswegen sprechen wir ja darüber.
Setlur: Zu dem Altersding: Mir wird immer bewusster, dass mir Leute aufdrücken wollen, ich sei eine alte Kuh – wogegen ich mich vehement wehre. Meiner Meinung nach ist man immer so alt, wie man sich fühlt.
Matt: Ein Klischee.
Setlur: Ein Klischee. Aber auch eine Gefühlsangabe.
Matt: Übrigens halte ich dich nicht für eine alte Kuh.
Setlur: Das wäre ja noch schöner!
Matt: Aber im Rap gibt es doch den Zwang, berufsjugendlich zu sein.
Setlur: Wenn das so ist, unterliege ich diesem Zwang nicht. Ich sag dir mal eins: Wenn ich mit 50 immer noch was zu sagen habe, dann wirst auch du mir nicht das Maul stopfen.
Matt: Werde ich wohl nicht schaffen.
Setlur: Nee, das schaffste nicht.
Matt: Beschreibt dich das Wort „Zicke“ eigentlich gut?
Setlur: Nein.
Matt: Hast du schon mal jemand eine runtergehauen?
Setlur: Ganz ehrlich: Ich habe immer Angst, dass ich mir mehr weh tue als dem, den ich schlage.
Matt: Was müsste ich tun, damit du mir eine langst?
Setlur: Mich körperlich angreifen.
Matt: Dann droht keine Gefahr.

Schwensens Schraubstock und die Beine von Olivia

Ja, das ist ist so einer dieser Abende, an denen man betütert und betüddelt, becatert und umschwänzelt wird, obwohl man doch keinen Zweifel daran gelassen hatte, dass ein Artikel darüber nun nicht in Frage käme. Trotzdem: Man wollte uns. Und man bekam uns.

Es geht um „The Dome“, jenen säkularen Gottesdienst für zehntausend kreischbereite Teenager, die ihre Bravo-Stars nirgends sonst in derart großer Zahl leibhaftig auf den Altar gestellt bekommen.

„Heute stehen hier die Top 5 der Charts auf der Bühne!“, schwärmt ein Mensch des veranstaltenden Fernsehsenders von sich und seinem Fernsehsender, und wir nicken pflichtschuldig und mit jener dosierten Bewunderung, die in solchen Momenten dank Höflichkeit, Routine und guter Erziehung als mimische Möglichkeit spontan zur Verfügung steht. Das Catering wirkt ebenfalls nicht demotivierend.

Nach drei gemütlichen Stunden in der Loge werden wir in einem Bus zur Aftershowparty ins Edelfettwerk kutschiert, ein labyrinthisch verbautes Ex-Fabrikgebäude, wo wir nach einem verwirrenden Rundgang zufällig in der Lounge landen und – wie sich herausstellt – auch stranden.

Hier sitzt man gemütlich und gut, die Bar ist in Reichweite, und auch die Mit-VIPs verirren sich irgendwann im Lauf der Nacht verlässlich hierher, so dass wir uns fühlen wie im Zentrum des Geschehens. Eine Position, die entscheidende Erkenntnisse erlaubt.

Zum Beispiel die, dass es keins der Models, die heute Abend hier herumlaufen, mit den unglaublich weiblichen Stelzenbeinen der gefühlt drei Meter großen Dragqueen Olivia Jones aufnehmen kann. Dabei heißt Olivia eigentlich Oliver Knöbel, was die Sache noch erstaunlicher macht.

Sabrina Setlur, Co-Moderatorin von „The Dome“, reichte Herrn Knöbel wahrscheinlich nur bis an den Nabel, doch das bleibt Theorie, denn wir schaffen es nicht, sie unauffällig nebeneinander zu stellen.

Eine weitere Erkenntnis aus der Lounge: Ex-Kiezgröße Kalle Schwensen hat a) wirklich zwei Augen hinter der angewachsenen Sonnenbrille (wenn man nah genug ran kommt, erweist sie sich als halb durchsichtig) und b) einen Händedruck wie ein augehungerter Schraubstock, der schon lange nichts Anständiges mehr zwischen die Spannbacken gekriegt hat.

Dank Schwensen sorge ich mich sofort nach dem Abklingen des Schmerzes schon wieder um meinen Ring. Ich erwäge ihn hinfort links zu tragen; schließlich häufen sich zuletzt solche Vorfälle.

Übrigens muss sich jeder hereinschneiende Star vor der Logowand fotografieren lassen, und wir nutzen ein paar starlose Minuten, um dort Faxen zu machen. Hätte Mark ein Blog, sähe man mich dort wahrscheinlich einbeinig herumhüpfen; so aber muss Mark damit leben, quasi beim Knutschen mit Sabrina Setlur erwischt worden zu sein.

Von ihr wird hier schon bald mehr zu lesen sein, das drohe ich schon mal an.

31 August 2007

Ich sehe gelb

Zum Glück gibt es den Spiegel. Ohne seine aktuelle Titelgeschichte „Die gelben Spione“ wäre mir das Ausmaß der chinesischen Gefahr niemals bewusst geworden.

Genauer gesagt haben wir den Kampf gegen die asiatische Invasion längst achtkantig verloren. Denn laut Spiegel-Statistik (Foto) gibt es in Deutschland schon jetzt – festhalten! – über 75 Millionen Chinesen! Und jeder ein Spion!

Empörend, dass dem Spiegel-Kritiker Oliver Gehrs diese schockierende Tatsache in seiner aktuellen Videoblogkolumne „Blattschuss“ nicht die kleinste Bemerkung wert war.

Ich glaube, ich wandere aus – nach China. Dort müssten sie nach diesem gewaltigen Exodus der Spione ja genug Platz haben.

Vielleicht könnten wir auch einfach die Länder tauschen.

30 August 2007

Von Tölen, Tauben und Toten

Neulich stieß ich in der Zeitung auf eine Liste bußgeldpflichtiger Vergehen in Hamburg. Einige waren für uns Kiezbewohner von besonderem Interesse. So fällt, wie ich erfuhr, beim öffentlichen Urinieren ein Zwangsobolus von mindestens 40 Euro an, die Obergrenze liegt bei 150. 

Legte sich also die Polizei ein Kiezwochenende lang auf die Lauer und bäte die Inhaber undichter Fortpflanzungsorgane zur Kasse, die Finanzierung der Elbphilharmonie wäre schlagartig gesichert, aber so was von. Wovon die Bußgeldhöhe genau abhängt, ließ die Zeitung offen. Fragte man mich, ich würde fürs Pinkeln in die Seilerstraße mit einem Betrag am oberen Ende der Marge liebäugeln. 

Weiter im Text: Das achtlose Liegenlassen von Verdauungsprodukten der eigenen Kläfftöle schlägt mit recht moderaten 25 bis 100 Euro zu Buche. Doppelt so teuer hingegen kann das Wegwerfen eines Fernsehers werden, obwohl das Gerät deutlich weniger stinkt. Der Unsitte des Fernseherwegwerfens begegnet man rund um die Reeperbahn übrigens durchaus nicht selten. Ja, wären es wenigstens funktionsfähige Plasmageräte mit mindestens 106 Zentimetern Bildschirmdiagonale! Aber nein. 

Übrigens wird ein solcher recht kunstvoll zerstörter Stuhl, wie ich ihn in der Schmuckstraße visuell dingfest machen konnte, preislich nicht anders behandelt als ein Fernseher. Auffällig beim Vergleich der aufgelisteten Untaten ist die manchmal unerklärlich krass differierende Bußgeldhöhe. Zum Beispiel beträgt die Strafe fürs Ausgraben einer Leiche maximal 500 Euro – und somit nur ein Zehntel des Betrags fürs Taubenfüttern. 

Man könnte übrigens gerade diese beiden Vergehen ganz gut miteinander kombinieren.

29 August 2007

Tannenzapfenzupfen (7)

(Foto via FHS Holztechnik)

Heute gibt es eine weitere Folge mit gruseliger Promoprosa und Pidginpoesie am Rande der Körperverletzung. Alles Blaugefärbte wurde Pressetexten zu neuen CDs entnommen und so belassen, wie der Promoter es schuf. (Woher der Rubrikenname „Tannenzapfenzupfen“ kommt, steht
hier
.)


1. „In der zur Zeit sehr kalten Jahreszeit Heizen heizen bei Punch It! die derzeit angenagtesten DJs ein.“(Ja, da steht wirklich „angenagtesten“. Und zweimal „heizen“. Ich kann doch auch nichts dafür.)

2.
„Schon allein der Name Tuomo Prättälä zergeht auf der Zunge wie schmackhaftes Kalakukko und schmiegt sich sanft in die Ohrmuschel wie ein finnischer Schneehase.“(Ja, der ist wirklich hübsch. Weiß jemand, was Kalakukko ist?)

3.
„Und als sie ihr erstes Lied zur elektrischen Gitarre anstimmt, öffnen sich Herz, Ohren und Augen in selten erlebter Klarheit. Uns gegenseitig am Ärmel zupfend, versuchen wir durch einen Wirbelsturm aus elektrischem Krach, maßlos schönem Gesang und nackter Emotion einander wissen zu lassen, dass wir hier gerade etwas Unglaubliches erleben dürfen. Da steht diese sehr junge Frau ganz bei sich selbst und ihren Liedern seiend. Wir schauen von kalten Fiebern geschüttelt zu ihr auf, mit geöffneten Seelen der nächsten Flutwelle aus unmaskiertem Gefühl und halsbrecherischer Virtuosität harrend.“ (Ein schönes Beispiel für Überehrgeiz, der vor Ernst und Bedeutung nur so zittert – und aus umso größerer Höhe in ein Jauchefass voll Lächerlichkeit platscht. Verdientermaßen natürlich.)

4.
„Erdmöbel waren schon in einer Menge Schubladen.“ (… dabei ist diese Bestattungsmethode eher im Mittelmeerraum verbreitet. Aber wenn’s der Promoter sagt. Wer’s nicht weiß: Erdmöbel nennt sich eine sehr gute Deutschpopband aus Köln.)

5. „Das Büro ist vom 23.9.–12.10. nicht besetzt. Mails werden nicht regelmässig gelesen, aber beantwortet.“(Das würde ich auch sehr gerne können.)

Was bisher geschah

6, 5, 4, 3, 2, 1


27 August 2007

Die Sitzkrise

Gestern Abend im Kino wurde es mal wieder düpierend deutlich: Ich bin ein hyperaktiver Lümmler, Ms. Columbo hingegen eine gerade Stillsitzerin. Keine Ahnung, wie sie das macht. Sie setzt sich hin, und gut ist. Zwei Stunden lang.

Ich dagegen brauche schon mal vier Minuten, um überhaupt eine halbwegs akzeptable Sitzhaltung zu finden. Trotzdem geht es nach ein paar zehn Sekunden schon los mit den Korrekturen, Schwerpunktverlagerungen und Positionskämpfen.

Beine übereinander, links über rechts. Dann rechts über links. Abwechselnd einen bestrumpften Fuß aufsetzen auf die Lehne vor mir (sofern dort niemand sitzt natürlich), manchmal auch beide, aber nur kurz. Den einen Fuß unter den anderen Oberschenkel, eine Minute später vice versa.

Linker Ellbogen auf die Lehne, rechtes Bein strecken, linkes anwinkeln. Und über Kreuz und umgekehrt und durcheinander. In der Dunkelheit des Kinosaals gibt es übelst viele Kombimöglichkeiten für vier Extremitäten, da macht sich die Welt der Stillsitzer ja gar keine Vorstellung von. Und ich dekliniere sie samt und sonders durch an einem einzigen verdammten Kinoabend, selbst bei Filmen ohne Überlänge.

Da, wo ich herkomme, nennt man das übrigens „juckeln“.

Wenn der Streifen schließlich vorbei ist, stellt sich Ms. Columbo erstaunlicherweise doch nicht als eingefroren heraus (was ich stets insgeheim befürchte), sondern vermag federnd aufzustehen und den Saal zügig zu verlassen.

Ließe sich unser beider Kinositzverhalten in gejoggte Kilometer umrechnen, käme ich auf ungefähr zwölf, sie auf nullkommanull. Komisch, dass wir uns hinterher doch über den Film unterhalten können – ganz so, als wäre ich nicht die ganze Zeit mit völlig anderen Dingen als Hingucken beschäftigt gewesen.

Gegensätze zicken sich an

Noch immer herrscht auf der Welt nicht immer umfassende Harmonie. Auch auf St. Pauli begegnete mir heute früh gegen 11 nicht überall eitel Sonnenschein.

Bei Penny zum Beispiel war – wie auch vorgestern bei Spar – der Getränkeautomat unpässlich. Die davor stehenden Herren in durchweg legerer Optik reagierten auf diesen Umstand keineswegs begeistert.

„Das iss der Hammä hiä!“, formulierte einer von ihnen deutliche Kritik an der Penny-Geschäftsführung. Seine äußere Aufmachung vertuschte geschickt die Tatsache, dass es der Menschheit bereits vor längerer Zeit gelungen war, Hilfsmittel wie Rasierer oder Friseurscheren zu erfinden.

Auch Waschmaschinen waren in der Welt dieses aufgewühlten Herrn nasen- und augenscheinlich ein rares Gut. Unter anderem deshalb dürfte er es künftig nicht leicht haben, einen Job als Vorstandsvorsitzender zu finden.

Auf der Rückfahrt traf ich am Hamburger Berg auf ein Paar, welches in nicht näher bestimmbarer Beziehung zueinander stand; es war aber auf jeden Fall eine von Gefühlen dominierte.

„Du Lutschä!“, charakterisierte die nur leicht bekleidete Frau ihren Gesprächspartner, und mir schienen darin schon beinah Anzeichen von Missbilligung mitzuschwingen. Auch er kam wohl zu einem ähnlichen Schluss und versuchte ihre Einschätzung zeitnah zu korrigieren.

„Dann steck ihn dir doch rein!“, riet er ihr gut zu, „dann kriegst du endlich mal wieder einen rein!“ Möglicherweise wollte er der Diskutantin damit gewisse Insiderkenntnisse ihrer privatesten Lebensumstände andeuten, woraus man wohl eine gute Bekanntschaft der beiden rückschließen darf.

Vielleicht standen sie gar in einer romantischen Beziehung; der vertrauliche Ton ihres Gesprächs legte das zumindest nahe. Und wie man weiß, ist es wichtig für das Leben als Paar, abweichende Standpunkte von Zeit zu Zeit offen und ehrlich zu thematisieren.

Diese beiden taten am Hamburger Berg also durchaus das Richtige: Sie arbeiteten engagiert an möglichst umfassender Weltharmonie. Als mir das bewusst wurde, fühlte ich mich selbst gleich viel harmonischer.

Es wirkt also schon.

26 August 2007

Keine Moralapostel, o nein

Wie die Landeier stehen wir kurz vor Abfahrt des Zuges nach Lüneburg vorm Fahrkartenautomaten – und geben schließlich aus Verzweiflung und Zeitnot entnervt auf.

Wir verstehen einfach nicht, was genau das Gerät von uns will. Und immer, wenn wir es zu wissen glauben, will es doch etwas anderes, was wir allerdings nicht dechiffrieren können. Dabei haben wir beide studiert!

Na gut, dann lösen wir die Fahrkarten eben im Zug beim Schaffner, ist doch egal. Doch während der halbstündigen Fahrt kontrolliert uns kein Mensch, wir steigen unbehelligt in Lüneburg aus nach kostenloser Fahrt.

Und nun die Frage an alle Mahatma Gandhis, Martin Luther Kings und Dietrich Bonhoeffers unter uns: Hätten wir fairerweise in Lüneburg doch noch Hin- und Rückfahrt lösen sollen?

Immerhin haben wir ja eine kostenpflichtige Dienstleistung in Anspruch genommen, und die sollte ordnungsgemäß entlohnt werden; das Sklavenhalterzeitalter ist schließlich längst überwunden. Wenn ich einen Flohmarktstand betreibe, erwarte ich ja auch, dass niemand ihn plündert, nur weil ich mal kurz auf Toilette muss.


Trotz alledem erwiesen wir uns als moralisch verwahrlost und buchten nur Rückfahrttickets.

Später auf der Geburtstagsparty erzählte uns ein Freund, es wäre unmöglich gewesen, im besagten Zug nachzulösen. Man hätte uns mit je 40 Euro zur Kasse gebeten, wegen Schwarzfahrens.

Ms. Columbo feixt noch breiter als vorher. Ich auch. Aber ich habe das Gefühl, Mahatma Gandhi hätte uns nicht adoptiert.

24 August 2007

Die Riesenpechsträhne

Heute begegnete ich einem nowitzkiartigen Zweimetermann, den eine dreistufige Pechsträhne im Klammergriff hatte. Genauer gesagt: Ich habe drei Stufen davon mitgekriegt. Vielleicht ging sie ja noch weiter, ich weiß es nicht.

Kommen wir zur Stufe eins. Als ich an der Kasse beim Gemüsehändler Thorsten stehe, hören wir von draußen plötzlich ein vielflaschiges Klirren. Unsere Köpfe rucken herum, und gegenüber, am Eingang vom Sparmarkt, sehe ich besagten Riesen ratlos vor seinem umgekippten Wägelchen stehen, einer Art Pritsche auf vier Rädern mit Zugseil vornedran. Jedenfalls hat das anscheinend selbstkonstruierte Gefährt eine Kiste mit leeren Flaschen verantwortungslos der Schwerkraft überlassen.

Die meisten Buddeln haben das schadlos überstanden, doch eine für den Riesen ärgerliche Anzahl ging bei diesem Missgeschick den Gang alles Irdischen. Nun muss er den Eingang von Scherben säubern, und das dauert.

Nach Erledigung meiner Geschäfte mit Thorsten muss ich selbst noch zum Sparmarkt. Als ich den Laden betrete, hat die Pechsträhne des Riesen gerade die zweite Stufe erreicht. Mit seinem Wägelchen und der Kiste mit den heilgebliebenen Flaschen hängt er nämlich zwischen den zwei automatischen Sperrgittern des Eingangs fest. Die hinter ihm hat sich schon geschlossen, die vor ihm aber verweigerte sich dem eigentlich logischen Öffnen; vielleicht lag es am klobigen Pritschenwagen, der sein Passiertempo entscheidend minderte.

„Könnten Sie vielleicht die Schranke öffnen?“, bittet er mich mit bereits deutlichen Anzeichen vokaler Erschöpfung. Ich wedele vor der Fotozelle herum, doch es tut sich nichts. Noch ein Versuch. Noch einer – und endlich öffnet sich ihm samt Ballast der Weg in den Laden.

Ich folge ihm und suche die vorangegangene Ms. Columbo, schaue hier, schaue da, und irgendwann schaue ich auch noch mal zurück zum Eingang, wo Spar die Getränkerücknahmeautomaten aufgestellt hat – und sehe den Riesen wieder.

Als er heute seine Wohnung verlassen hatte, wollte er einfach nur diesem Automaten sein Leergut übergeben. Doch jetzt – nach dem Schwund vorm Laden und den Problemen beim Betreten desselben – hat das noch immer nicht geklappt; er steht erstaunlich ruhig in einer statischen Pfandflaschenrückgabeschlange, die angeführt wird von einer ratlosen Sparverkäuferin.

Die weißbekittelte Frau drückt ratlos alle möglichen Knöpfe am Automaten und steckt dem Gerät immer wieder eine Flasche in den Schlund, die es aber mit gleichsam hämischer Unermüdlichkeit wieder ausspuckt.

Kein Zweifel: Der Riese steckt tief drin in Phase 3 seiner heutigen Pechsträhne. Letztlich weiß ich natürlich nicht, wie sein Tag weiterging – nur dass Ms. Columbo und ich schließlich an der Spar-Kasse vor ihm stehen und er noch immer eine Ruhe ausstrahlt, die nur zwei mögliche Ursachen haben kann: buddhistische oder vulkanische.

Mir ist es lieber, die richtige heute nicht mehr herausgefunden zu haben. Für eine der beiden gibt es ja Boulevardzeitungen.

23 August 2007

Ich Raschelhufer

Heute Morgen kam ich zum Rad und fand es ums Rücklicht dezimiert vor. Auch die Birne fehlte.

Dafür hielt immerhin die vordere Lampe noch die Stellung. Auch Lenker, Räder, Kette, Schaltung und Bremse waren nicht auf nennenswertes Interesse gestoßen. Jetzt bin mir nicht ganz sicher, ob ich dem aufkeimenden Gefühl der Dankbarkeit wirklich nachgeben sollte.

Zum Glück gab es heute auch heitere Momente. Verantwortlich war etwa jene Spammail, die mich mit folgenden Worten zu ködern versuchte: „Energy fur ihren Schwanz, kaufen!“ Oder Sibylle Bergs turnusmäßiger Rundbrief, der stets mit einer derart niedlichen Anrede eingeleitet wird, dass ich mich aktiv dran erinnern muss, wirklich mitgemeint zu sein.

Heute besäuselte Frau Berg u. a. mich mit „liebe kleine raschelhufer“. Wenn man so angesprochen wird, ist ein eingebüßtes Rücklicht samt Birne spürbar leichter zu verschmerzen.

Ja, ich musste sogar feststellen: Wenn man mich „lieber kleiner raschelhufer“ nennt, kommt mir ein Dieb überhaupt nicht mehr wie ein Dieb vor, sondern eher wie ein Stibitzer oder noch was Putzigeres.

Als Ms. Columbo und ich abends am Fischmarkt entlangspazierten, strömten bereits wieder Menschen ans Elbufer, die sich dem Auslaufen der Queen Mary 2 entgegenfreuten. Ich wandte dem Schiff den Rücken zu und fotografierte die Straßenlampe vorm Abendhimmel, und noch ehe das Auslauffeuerwerk losging, waren wir schon wieder zu Hause.

Man stumpft einfach ganz schön ab mit der Zeit.

Vom Franken reingelegt

Noch während wir zum Lunch dorthin unterwegs sind, will der Franke plötzlich partout nicht mehr ins Bistro des Monsun-Theaters (das Foto zeigt ihn bei seinem letzten Besuch ebenda).

Die Nudeln seien zu weich (was stimmt), die Portionen zu klein (was falsch ist), und außerdem fehle gewöhnlich ein interessantes totes Tier auf der Mittagskarte (was nur ihn interessiert).

Der grobschlächtige Vielesser hadert, motzt und salbadert, er zetert und ramentert, doch ich bin unerbittlich. Heute soll, muss, wird es das Monsun-Bistro sein, basta!

Schließlich will der Bonuspass den nächsten Stempel; nach dem zehnten Essen kriegt man eins umsonst. Plötzlich aber, mitten im monsunfeindlichen Wortschwall, sagt der Franke leise „bitte“ – und ich bin augenblicks platt, entwaffnet, niedergeschmettert, wehrlos.

Denn mit diesem kleinen Wörtchen „bitte“ legt der Franke Unfassliches nahe: nämlich irgendwie ein wenn schon nicht integrierter, so doch assoziierter Bestandteil eines sozialen Gefüges zu sein, gleichsam ein Mensch unter Menschen (na gut: zumindest ein Franke unter Menschen).

Dieses „bitte“ signalisiert geradezu so etwas wie eine humanoide Anwandlung, der Franke verfügt vielleicht sogar über zumindest rudimentäre Vorstufen sozialer Umgangsformen. Und das plättet mich.

Also trotte ich willenlos hinter ihm her, und zwar nicht ins Monsun, sondern ins Babylon, das ein kregler Ägypter führt, der uns stets mit glucksender, manchmal von keckerndem Lachen flankierter Fröhlichkeit empfängt.

Ja, der Franke hat wirklich „bitte“ gesagt, das muss ich erst mal verdauen. Und im Babylon bestellt er eine vegetarische Pizza.

22 August 2007

Nachlieferung

Was genau verantwortlich war für diesen großflächigen Fleck vorm Nachbarhaus, ich weiß es nicht.

Aber ich weiß eins: Er befindet sich exakt dort, wo damals die aus dem vierten Stock gesprungene Nachbarin aufschlug, als wir gerade das Haus verließen.

Warum nun zehn Jahre später gleichsam die Bebilderung zu diesem grauenhaften Tag nachgeliefert wird (und von wem), vermag ich nicht zu sagen.

Aber mich gruselt’s.

20 August 2007

Das Espressorätsel

Früher bestellte ich den Espresso immer lungo, also mit Wasser verlängert. Seit einiger Zeit arbeite ich an einer Geschmacksverfeinerung und bin im Zuge dessen auf doppio umgestiegen: gleiche Stärke, aber doppelte Menge.

Heute Abend nun gesteht mir Ms. Columbo, sie sei davon überzeugt, beide meiner speziellen Vorlieben beeinflussten seit Jahren die Qualität ihres Espressos, und zwar keineswegs zum Guten.

„Wenn du einen Lungo oder Doppio bestellst“, klagt sie, „kriege ich automatisch immer einen Verlängerten.“ Und das möge sie nicht.

Sie habe diesen Effekt über lange Zeit stillschweigend beobachtet, erläutert sie, und heute Abend sei es nun so weit, mich mit diesem inzwischen empirisch fundierten Forschungsergebnis zu konfrontieren.

Meine Zweifel an dieser Theorie erweisen sich augenblicks als noch größer als mein Amüsement, und wir beschließen die Probe aufs Exempel. In der Pizzeria am Großneumarkt, wo wir im milden Abendsonnenschein draußen sitzen können und uns fühlen wie im Romurlaub, ordert sie einen normalen Espresso, ich einen doppelten.

Woran wir überhaupt erkennen könnten, frage ich vorsorglich, ob ihr Einzelespresso wirklich über Gebühr verlängert worden sei. Sie wisse sehr wohl, welche Menge man gemeinhin beim Italiener serviert bekomme, antwortet sie mit charmanter Schnippischkeit. Dann warten wir. Es ist aufregend.

Zwischendurch frage ich zunächst mich und dann sie, wie man überhaupt einen italienischen Ober herbeirufe. In Frankreich käme man mit einem entschlossenen „Garçon!“ ja durchaus weiter, doch hier und jetzt – vielleicht „Signore“? Nein, erläutert Ms. Columbo als kompetente Halbsardin, es hieße schlicht „scusi“, „Entschuldigung“.

Und da kommt er auch schon, der Signore Scusi. Mit einem Doppio und einem – Cappuccino … Eine Fehllieferung. Der Cappuccino geht zurück, ein Einzelespresso muss nachbestellt werden. Und das verwässert natürlich die Versuchsanordnung völlig.

„Der Effekt“, merkt Ms. Columbo spitzfindig an, „tritt natürlich nur dann auf, wenn wir eine gemeinsame Bestellung aufgeben.“ Was zu beweisen gewesen wäre. Wir werden dranbleiben.

Ober heißt auf Italienisch übrigens „cameriere“.

19 August 2007

Meditieren auf der Reeperbahn

Mehrfach jährlich herrscht hier auf dem Kiez die sonische Hölle. Zum Beispiel beim Schlagermove („Fiesta Mexicana“-grölende Kampftrinker in Schlaghosen), dem Christopher-Street-Day (Tunten in Tüll und Karnevalsklamotten) oder den Harley Days (rollende Bierbäuche mit applizierten Graubärten).

Müsste ich mich entscheiden, welchen dieser empörenderweise sogar polizeiunterstützten Terrorakte ich zum Teufel wünschen sollte, so fiele mir das leicht: alle drei.

Außerdem gibt es hier noch ein Radrennen, die CyClassics. Auch das führt zu Lärmentwicklung. Denn tausende von Menschen stehen gewöhnlich an der Strecke und nerven akustisch die schutzlosen Fahrer.

Doch dank der Tour de France war heute alles anders. Zwar rauschte das Fahrerfeld zig-mal über die Reeperbahn, nur stand da kaum jemand rum. Radelnde Chemiedepots? Braucht wohl keiner mehr.

Weil aber natürlich trotzdem alles für den Autoverkehr gesperrt war, herrschte heute auf dem Kiez plötzlich eine himmlische Ruhe. Dafür danke ich Leuten wie Ullrich, Fuentes und Sinkewitz von Herzen. Bitte immer weiterspritzen, ja?

Natürlich nutzte ich auch die unverhoffte Chance, mich mal mitten auf die verwaiste Reeperbahn zu stellen und diese sonst tagtäglich so gequälte Straße einmal im verträumten Dämmerzustand zu fotografieren.

Ein bisschen war’s wie meditieren. Ommm.

Und sie bewegt sich doch!



Die vor einigen Wochen von mir ins Spiel gebrachte Aktion „Anna muss bloggen!“ ist ein voller Erfolg – denn Anna bloggt!

Sherlock Matt hat die ebenso scheue wie enigmatische Saarländerin in den Weiten des Webs aufgespürt. Nun möchte ich alle Doc Watsons da draußen – vor allem Olaf – ermuntern, es mir gleich zu tun.

Einfach so ausplaudern werde ich ihre URL natürlich nicht. Andererseits: „Jeder Mensch ist käuflich, es ist nur eine Frage des Preises“, schrieb mal ein bedeutender Philosoph im 25. Kommentar zu diesem Text, und wenn das richtige Angebot rüberkommt – wer weiß.

Tipp für den Anfang: Sie nutzt Wordpress, und ihren Blogkopf ziert das abgebildete stimmungsvolle Foto. Wer als erster ihre Blogadresse in einem Kommentar erwähnt, erhält natürlich einen der weltberühmten CD-Sampler aus original Reeperbahnrückseitenproduktion.

Das könnte vielleicht auch ein Outinganreiz für Anna selber sein …

18 August 2007

Die Pissnelke



In Winterklamotten gehen wir in dieser kalten Augustnacht rüber ins Millerntorstadion, angezogen von den cineastischen Verheißungen des 60er-Jahre-Trashfilms „Wenn es Nacht wird auf der Reeperbahn“.

Wir sehen Erstaunliches. Nämlich den jungen Fritz Wepper, wie er sich mit einer nackten Frau in den Laken wälzt. Wir sehen Leute, die LSD konsumieren, wir sehen bloße Brüste, und das in einem deutschen Film von 1967!

Gegen halb 11 geht drüben auf dem Dom das Feuerwerk los. Der Verständlichkeit der Filmdialoge nützt das natürlich wenig, doch das macht nichts – denn dafür fällt ein atmosphärischer Clip dabei ab, den man nirgendwo sonst auf der Welt drehen könnte.

Als ich mich auf dem Heimweg unserem Haus nähere, höre ich plötzlich eine Frau „Nicht schauen!“ kreischen. Der Imperativ dringt mir nur halb ins Bewusstsein; er wird auf die übliche Weise automatisch herausgefiltert.

Denn unter unserem Balkon geschieht allwochenendlich sowieso viel zu viel Seltsames und letztlich Harmloses, als dass man sich über Gebühr darum kümmern sollte.

Als ich fast an der Haustür bin, kreischt es indes wieder und sehr viel lauter „Nicht schauen!“. Ebenso hätte mich irgendjemand auffordern können: „Denk bitte jetzt gerade mal nicht an die Kleine Hufeisennase“, und an was hätte ich zwanghaft gedacht? Genau.
Natürlich schaue ich also jetzt hin und sehe eine ungefähr 19-Jährige, wie sie aufgebrezelt, großäugig und breit grinsend dahockt mit heruntergelassenen Hosen und auf den Gehweg pisst. Daneben steht ihre Freundin und überwacht die Situation.

„NICHT schauen!“, schreit die Pissnelke, und ihre Riesenohrringe wackeln im Wind. Ich schaue weg, schließe wortlos die Haustür auf und betrete die Wohnung.

Natürlich hätte ich sie aufs öffentliche Klo drüben auf der Reeperbahn hinweisen können, doch wozu? Es gibt schließlich Ziele, die viel eher zu erreichen sind, als Wildpinkler auf dem Kiez zur Rückkehr in die menschliche Zivilisation zu bewegen – zum Beispiel Weltfrieden.


16 August 2007

Zwischen Strand und Spritzenplatz

Ms. Columbo lacht sich halb kaputt über die Fortbewegungsart unbeholfener Seeelefanten auf 3Sat. In der Tat: Wenn die Viecher loskrauchen, sieht das wirklich aus, als wallten Wellen durch eine Presswurst voller Fettgeschwabbel.

„Wer denkt sich so was bloß aus!“, gluckst Ms. Columbo, „das allein ist doch schon eine Widerlegung der Schöpfungstheorie!“ Stimmt, jeder Kreationist müsste vom Glauben abfallen beim Betrachten eines x-beliebigen Seeelefantenfilms.

Apropos Wellen: Während einer unserer üblichen spitzfindigen Sprachdiskussionen kommen wir auf „La Ola“, bekannt als „Die La-Ola-Welle“. Da „La Ola“ aber übersetzt einfach „die Welle“ heißt, ist der Ausdruck „die La-Ola-Welle“ nichts weiter als eine ziemlich bescheuerte Verdopplung: „Die die Welle Welle“.

Warum reden wir so? Warum müssen Seeelefanten übern Strand walken, als wallten Wellen durch eine Presswurst voller Fettgeschwabbel?

Und warum hat mein Arzt seine Praxis ausgerechnet am Spritzenplatz und treibt auch noch seine typografischen Späßchen damit?

Clever und dreist



Gut, dieser stattliche Mensch war heute Abend vielleicht nicht der typischste aller Stones-Fans. Aber er war einer der cleversten.

Ich zum Beispiel hatte nicht mal mit dem Gedanken gespielt, unterm Hemd eine Abstellfläche fürs Bier in die Arena zu schmuggeln.

Die Rolling Stones höchstselbst waren
hingegen noch dreister: Sie schleppten gleich ein ganzes Parkhaus (ca. aus den Spätsechzigern) mit ins Stadion und versuchten es als Bühnenaufbau zu tarnen.

Hat nicht funktioniert.