Man sollte nach einem langen Bürotag nie hungrig zu einer Veranstaltung gehen, bei der die Methode der Futterversorgung im Ungewissen liegt. Diese existenzielle Erkenntnis reifte in langen Hamburger Jahren heran zur Statur eines Axioms. Umso unverständlicher, wieso sie mir immer mal wieder entfällt.
Zur CD-Veröffentlichungsparty in der psychedelisch bunten Kantine des Spiegel jedenfalls erscheinen wir fatalerweise ohne kulinarische Absicherung. Ein Fehler, ein schwerer. Denn schon wenige Minuten nach unserer Ankunft ereilt uns düstere Kunde: Der Spiegel serviert ein „Flying Buffet“.
Das ist die Höchststrafe. „Ich hätte mir zu Hause noch ein paar Oliven reinziehen sollen“, zische ich kraftlos Ms. Columbo zu. Denn ein „Flying Buffet“ bedeutet vor allem eins: Das Essen ist immer gerade da, wo wir nicht sind. Wenn man Glück hat, kann man Sichtkontakt herstellen, mehr auch nicht.
Manchmal flattert es federleicht vorüber, erwägt aber nicht mal im Traum einen Zwischenstopp an unserem Tisch. Nein, ein „Flying Buffet“ funktioniert nur, wenn die Gäste schon vorgesättigt oder mit gesunder Brutalität im Nahkampf ausgestattet sind. Beides trifft auf Ms. Columbo und mich nur sehr partiell zu, eigentlich gar nicht.
Um die Zeit zu überbrücken, bis eventuell doch eins dieser flüchtigen Tabletts mit Lachstatar, thailändischer Kokossuppe oder Basmatireis an Rindfleischstreifen in Greifweite vorüberschwebt, bephilosophiere ich Ms. Columbo mit schwachbrüstigen Theorien.
Zum Beispiel mit jener über den mäßigenden Einfluss der Zivilisation auf die animalisch-vulkanische Kraft der Triebe, die es uns als einziger Spezies hienieden ermögliche, selbst bei akutem Hunger dem darbenden Mitmenschen einen Bissen abzugeben – sofern wir selbst überhaupt einen Bissen haben natürlich, aber da ist das „Flying Buffet“ ja vor.
Als alter Dialektiker streife ich natürlich pflichtgemäß auch Brechts brachialen Balladenvers „Erst kommt das Fressen, dann kommt die Moral“, um auch die bei einer Verschärfung der Situation progressiv zunehmende Anfälligkeit der gepriesenen Triebzügelung nicht unerwähnt zu lassen.
Während unserer wenig engagierten und gedanklich immer wieder in Richtung Lachstatar abschweifenden Diskussion flackert mein Blick unruhig durch den Raum. Ich sehe viele zufrieden möfelnde Partygäste, die sicht- und hörbar an der Qualität der thailändischen Kokossuppe wenig auszusetzen haben.
Ich werde immer schwächer. Ms. Columbo überbrückt mit Mineralwasser, ich halte mich an den nahrhafteren Orangensaft – und urplötzlich, wie aus dem Schlaraffenland herbeigebeamt, steht ein Engel vor uns. Er ist weiblich, er lächelt, und er balanciert auf anmutigste Weise ein vieltelleriges Tablett. Wir entscheiden uns unisono für den Lachs, und von da an beginnt der Abend zu flutschen.
Der Engel vergisst uns hinfort nicht mehr, ja, er bekommt sogar Verstärkung. Kein Gang entgeht uns, das „Flying Buffet“ als Prinzip verliert nach und nach seinen Schrecken – bis zum nächsten Mal, an dem wir nach einem langen Bürotag hungrig zu einer Veranstaltung gehen, bei der die Methode der Futterversorgung im Ungewissen liegt.
Brecht jedenfalls war schon ein Guter, aber echt.
Hab flying buffets erstmals bei Travis' Video zu »Sing« gesehen. Da sah's etwas anders aus. Aber Sie hatten ja auch gleich zweiEngel an Ihrer Tafel. Oder drei, wenn man charmant ist.
AntwortenLöschen"Alles wird gut."
AntwortenLöschen(Nina R.)
In den 70ern befand ich mich in einer vergleichsweise
AntwortenLöschenkomfortableren Situation. Justizministerkonferenz
Stuttgart. Stehempfang.
BMJ Vogel schützen und Wägelchen schieben. (Tarnung)
Drei Fliegen mit einer Patsche.
Gute Idee damals. Beim Umkurven jeder Säule natürlich
die Vorkosterfunktion voll erfüllt. (3.Fliege)
Das war Rettung in höchster Not!
AntwortenLöschenNicht auszudenken, wenn Herr Matt ermattet auf die Matte gesunken wäre?
(Ich frage mich, wann die Herren Kölner und Olaf eigentlich schlafen? Schlafen sie überhaupt? Fünf Minuten? Meine Bewunderung!)
Frau Anna,
AntwortenLöschendas frage ich mich manchmal auch. In Fachkreisen wird das als senile Bettflucht diskutiert.
Nein - es ist anders: Ich bin einfach ein Frühaufwacher. 03:00 Uhr kommt öfter vor. Würde ich mich dann umdrehen und weiterdösen, dann laufe ich bis mittags gegen alle Türrahmen.
Und am Wochenende penne ich einfach, wie es kommt.
Das muß möglich sein.
Na ja, zehn Jahre trailertrucking (zuletzt in den Semesterferien) tun dann ihr übriges dazu.
Aber erinnern Sie das Drama um die Aufnahme der nächtlichen Radiosendung, wo ich vor meiner Musikanlage (und nicht vor einer Altenwohnanlage) aufgewacht bin. Da habe ich geschwächelt.
Und ich denke, daß es geht, wenigstens phasenweise: Ich glaube es war Edison, der seinerzeit am Tag gelegentlich zwischendurch bei Gelegenheit kurz einmal geschlafen hat (so etwa eine Stunde) und das über Jahre. Im Wachsein war er Forscher und Erfinder.
Ohne ihn wäre es jetzt eher dunkel um Sie herum. Na ja, es hätte wahrscheinlich dann ein anderer erfunden.
Aber was, wenn nicht ?
Die Herren retten auf jeden Fall meine Nachtstatistik. Nicht auszudenken, wenn wirklich mal während einer ganzen Stunde keiner vorbeischaute. Dann würde ich glatt depressiv, sogar im Schlaf.
AntwortenLöschenHerr Olaf, Ihre Schlafenszeiten sind wirklich sehr erstaunlich. Ich gehe manchmal erst um drei ins Bett. Meistens aber um eins.
AntwortenLöschenWas viel zu spät ist!
Ja, ich erinnere mich an das Drama mit der Radiosendung, wie könnte ich das jemals vergessen! Da hat sich der Körper wahrscheinlich einfach all den Schlaf geraubt, den Sie ihm über Jahre verweigert hatten.
Genies schlafen wenig, das ist allgemein bekannt, von daher bin ich keins. Leider.
Matt, wie wäre es mit einer ans Bett gebundenen Schiffssirene, die ertönt, wenn einer im Blog reinschaut?
Das würde Sie bestimmt beruhigen und wäre eine sehr schöne Einschlafmusik in Ihren Ohren.
Super Idee, grundsätzlich. Doch leider behagt sie Ms. Columbo nicht. Komisch.
AntwortenLöschenKomisch. :-)
AntwortenLöschenNa, dann vielleicht über Kopfhörer? Ein dumpfer Summton, direkt in die Gehörgänge und die Nervenbahnen.
Es gibt immer eine Lösung, man muss sie nur finden,
rät Frau Anna
Herr Matt,
AntwortenLöschenman kann ja auch getrennt nächtigen, wenn es zu arg würde.
Manchmal muß und darf man auch den geliebten Menschen ein wenig fordern. ;-)
Frau Anna,
bitte verfallen Sie nicht dem Umkehrschluß, wonach alle, die wenig schlafen, Genies sind und umgekehrt.
Früher Vogel fängt den Wurm.
Herr Matt,
AntwortenLöschennoch etwas kurzes zur "Nachtstatistik": Manch einer schaut einfach einmal vorbei um zu sehen, ob alles in Ordnung und die Rückseite der Reeperbahn noch da ist. Und nicht weg.
Sie leiden auch darunter?
AntwortenLöschenJahrelang funktionierte das so, erst die Reden, ein bißchen Gedudel und dann das Bufett. Doch schlagartig hat man auf die flüchtende Bedienung gesetzt. Diesen Empfang werde ich nie vergessen. Mittlerweile hab ich die Stategie des Abfangens erarbeitet. Man schaut, halb gelangweilt, wo die Cateringfirma aufbaut, irgendein Hinterausgang ist das meist. Und dann dekoriert man sich davor, mit einem genügend großen Getränkevorrat.Die Getränkestände sind ja immer am anderen Ende der Halle. Wenn jetzt die Fischplatten kommen, oder die Datteln mit Speck, ist man als erster dran. Da ich diese Strategie nicht geheim halte, sind wir meist schon ein ganzer Club Hungriger am Hinterausgang.
Nicht ungeschickt. Irgendwann aber wird sich das „Flying Buffet“ auch auf diese evolutionäre Weiterentwicklung eingestellt haben.
AntwortenLöschenBis hahin bin ich wenigstens nicht verhungert.
AntwortenLöschenZur Not hab ich bis dann eine Brezel in der Handtsche.
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